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Retrozessionen / Churning

Kickbacks und Churning -Vergehen werden zur Straftat

Erstmals kam es in der Schweiz zu einer strafrechtlichen Verurteilung wegen einbehaltenen Retrozession und wegen Churnings. Der Fall könnte Schule machen.

Das Urteil vom 22. November 2012 des Bezirksgerichts Bülach hört sich an wie die Geschichte eines Betrugsfalls unter vielen. Nach dreijähriger Untersuchung wurden Ende letzten Jahres drei Angeklagte des gewerbsmässigen Wuchers, Betruges und der ungetreuen Geschäftsbesorgung verurteilt. Die Täter erhielten Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren; wobei 27 Monate bedingt aufgeschoben und 9 Monate vollzogen werden. Die Verurteilten müssen je 150'000 Franken an Ersatzzahlungen an den Staat leisten – zudem sind zivilrechtliche Schadenersatzforderungen von mehreren Millionen Franken hängig. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, da einer der Angeklagten Berufung eingelegt hat.

Was ist geschehen? Über Konten der in Genf angesiedelten Dukascopy Bank führten die drei Verurteilten mit dem Geld ihrer Kunden Devisentransaktionen aus. Sie haben sich von der Dukascopy Bank dabei anscheinend vernachlässigbare Retrozessionen von USD 325 pro gehandelte USD million auszahlen lassen. Diese Retrozession wurde im Vertragswerk mit den Kunden nicht transparent dargestellt, sondern an unüblicher Stelle in einem mehrseitigen Vertragswerk als „Interbank-Kommission“ getarnt. Der dann getätigte Devisenhandel wurde mit so grossen Volumina (unter Einsatz von einem Leverage von bis zu 40) und in einer so hohen Frequenz getätigt, dass sehr hohe Retrozessionen anfielen. Während sich im eigentlichen Handel Gewinne und Verluste in etwa die Waage hielten, wurden die Kundenvermögen durch die von der Dukascopy Bank belasteten Gebühren, die sie zu einem grossen Teil als Retrozessionen and die Verurteilten weitergab, innert weniger Monate auf einen Bruchteil des ursprünglichen Stands reduziert. Der Staatsanwalt rechnete vor, dass die Verurteilten pro Monat im Handel eine Rendite von über 10% hätten erzielen müssen, nur um die erhaltenen Retrozessionen wett zu machen. Solche Renditen hätten sie indes nur in wengien Monaten erzielt.

In der Fachsprache nennt sich dieses Delikt „Churning“ oder Spesenschinderei. Die FINMA definiert Churning in ihrem Rundschreiben 2009/1 als „das Umschichten von Depots der Kunden ohne einen im Kundeninteresse liegenden wirtschaftlichen Grund“. In Churning-Fällen wurden in den bisher von den Gerichten behandelten Fällen den Kunden Gebühren wie Courtagen usw. belastet. Der vom Bezirksgericht Bülach beurteilte Fall lag insofern anders, als den Veurteilten Retrozessionen zuflossen, die ihnen die Dukascopy Bank aus den vereinnahmten Gebühren bezahlte..

Erster strafrechtlicher Fall

In diesem Fall wurden zwei umstrittene Vorgehensweisen zum ersten Mal unter strafrechtlichen Gesichtspunkten beurteilt: Einerseits wurden erhaltene Retrozessionen den Kunden vorbehalten. Anderseits wurde Churning betrieben, um die Retrozessionen zu maximieren.

Axel Springer Schweiz AG, 22.04.13,
Wie würdest Du die Verurteilten beschreiben? Unabhängige Vermögensverwalter? Waren sie Mitglieder beim VSV?
Paul Peyrot, 23.04.13,
Ja, sie waren Vermögensverwalter, so viel ich weiss nicht Mitglieder beim VSV.
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Dieser Fall hat das Potenzial, die Finanzwelt auf den Kopf zu stellen. Denn es stellt das erste Urteil im strafrechtlichen Sinn dar. Sprich: Sowohl das Churning wie auch das Verheimlichen oder Vorenthalten von Retrozessionen können seit letzten November eine Straftat sein.

Bisher wurden Fälle von Churning oder ungerechtfertigt zurückbehaltenen Retrozessionen ausschliesslich in Zivilprozessen vor Zivilgerichten eingeklagt. „Die strafrechtliche Dimension macht die Angelegenheit ungemein heikler, da strafrechtliche Anklagen nicht mit der Herausgabe der Retrozessionen oder dem Bezahlen von Schadenersatz gelöst werden können. Es ist also kein ‚Freikauf’ mehr möglich“, sagt Rechtsanwalt Paul Peyrot, der selbst im Verfahren vor dem Bezirksgericht Bülach eine Partei vertrat . „Strafrechtliche Aspekte sind insbesondere für Angestellte heikel. Während sich diese in Zivilverfahren gemeinhin darauf verlassen konnten, dass ihre Arbeitgeber die Ansprüche der Kläger befriedigen würden, stehen sie in strafrechtlichen Verfahren persönlich und direkt in der Verantwortung, wenn sie in den fraglichen Handlungen involviert waren. Strafrechtliche Sanktionen wie Bussen und Freiheitsstrafen können bzw. dürfen nicht von den Arbeitgebern übernommen werden.“ Der Anwalt spricht von einer Kriminalisierung einer Geschäftspraxis, die jahrzehntelang praktiziert wurde – wie früher die Insider Delikte oder Kartellabsprachen.

In den betroffenen Brachen besteht Handlungsbedarf. „Vermögensverwalter, Banken, Versicherungen und Vermittler müssten angesichts dieses Urteils zwingend und ohne Aufschub darauf achten, dass sie ihren Kunden gegenüber vollständige Transparenz bezüglich Retrozessionen und anderen Gebühren herstellen und absolut sicher stellen, dass sie berechtigt sind, diese zu behalten“, unterstreicht Peyrot.

Interessant ist, dass die Staatsanwaltschaft auch die Dukascopy Bank ins Visier genommen hatte und ein strafrechtliches Verfahren auf Einziehung der erzielten Gebühren einleitete. Die Dukascopy Bank schloss daraufhin mit der Staatsanwaltschaft Zürich einen Vergleich und bezahlte einen hohen sechsstelligen Betrag, damit das Verfahren gegen sie eingestellt würde.

Staatsanwalt als Retter in Not

Zudem denkt Peyrot, dass der Fall bezüglich des Prozesswegs Schule machen könnte. Im Zivilrecht ist eine Klage auf Herausgabe von Retrozessionen oder auf Schadenersatz wegen Churning extrem schwierig zu führen, da der Kläger zunächst in den Besitz der relevanten Dokumente kommen muss und keine Möglichkeit hat, Zeugen zu verhören. Deshalb könnten Geschädigte künftig wie in diesem Fall vermehrt zu einer Strafanzeige greifen, um über den Staatsanwalt, der von Amtes wegen aktiv werden muss, die nötigen Beweismittel anzuhäufen. Über das Strafverfahren können sich die Kläger so ein Klagefundament legen: „Am Schluss halten die Kläger eine pfannenfertige Anklage in der Hand und können auf dem zivilrechtlichen Weg weiterprozessieren“, so Peyrot. Das Prozessrisiko ist so deutlich geringer, als wenn zunächst in einem Strafverfahren alle Beweise gesammelt werden müssen. Staatsanwaltschaften sind gemäss Peyrot heute entsprechend sensibilisiert und führen wie im beschriebenen Fall mit sehr grossem Aufwand „Pilotprozesse“.

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Peyrot kann sich gut vorstellen, dass nun im Nachzug auf das letztjährige Urteil des Bezirksgerichts Bülach immer Strafklagen von enttäuschten Anlegern eingereicht werden und somit auch mehr solche Retro-Churnings ans Tageslicht gelangen könnten. Dies nicht nur in der Finanzbrache, sondern auch in anderen Branchen, wo mit Retrozessionen von Dritten gearbeitet wird, z.B. in der Versicherungsbrache oder bei Treuhandgeschäften. Sobald es um etwas grössere Beträge gehe, würden die Kunden bei Konflikten mit Vermittlern in Zukunft wohl die Problematik der Retrozessionen aufgreifen, d.h. eine Abrechnung und Herausgabe verlangen.

Kasten: Transparent ist nicht gleich transparent

Die Verurteilten wogen sich in falscher Sicherheit und dachten, sie könnten ihre Geschäftspraktiken über Warnungen über das Verlustrisiko im Devisenhandel und durch abstrakte Hinweise auf möglicherweise im Handel anfallende Gebühren in ihren Verträgen absichern. Doch das Urteil zeigt, dass das nicht reicht, wenn dazu auch noch wie im vorliegenden Fall die Gebührenabrechnungen die Anleger in die Irre führen und die Anleger nicht genau erkennen können, welches das tatsächliche Ausmass der anfallenden Gebühren bzw. Retrozessionen ist. Anwalt Paul Peyrot: „Greift der Vermögensverwalter zu täuschenden Mitteln, um die Retrozessionen zu verbergen, kann der Strafbestand des Betrugs erfüllt sein.“

In anderen Fällen, wie einem, der vor sechs Jahren vor der Zivilkammer des Obergerichts Zürich verhandelt wurde und für Schlagzeilen sorgte, berechneten die Vermögensverwalter zwar extrem hohe Spesen, die an sich als „Churning“ zu beurteilen waren – wiesen sie aber so konkret, vollständig und transparent aus, dass das Obergericht davon ausging, die Anleger hätten diese zur Kenntnis genommen und akzeptier. Ddie Kläger scheiterten.

Möglicher zweiter Kasten: Kurz-Geschichte

Vor sechs Jahren klagte eine Pensionskasse erfolgreich auf die Herausgabe von Retrozessionszahlungen, die von der Depotbank an den externen Vermögensverwalter geflossen sind. Das Bundesgericht kam in diesem „ersten Retrozessionsurteil“ zum Schluss, dass Retrozessionen dem Kunden gehören, sofern dieser gegenüber dem Vermögensverwalter nicht konkret und in Kenntnis des Ausmasses der Beträge auf die Ablieferung verzichtet. Die Banken sahen in der Mehrzahl dieses „erste Retrozessionsurteil“ als nicht einschlägig für ihre Kunden und verweigerten diesen die Abrechnung und Rückerstattung der Retrozessionen. So kam es zu weiteren Klagen von Kunden.

Im Herbst 2012 doppelte das Bundesgericht in einem „zweiten Retrozessionsurteil“ nach: Auch Banken, die Zahlungen von einer Fondsgesellschaft erhalten, müssen diese den Kunden offen legen und darüber abrechnen.

Es gibt triftige Gründe dafür, dass der Bundesgerichtsentscheid vom Oktober nicht nur bei Vermögensverwaltungsaufträgen gilt, sondern auf alle Fälle, in denen ein Beauftragter von einer Drittperson Retrozessionen irgendwelcher Art erhält, übertragbar ist. Denn die Grundlage dazu ist so alt wie das Obligationenrecht.: Art. 400

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OR lautet ebenso schlicht wie einfach: „Der Beauftragte ist schuldig, auf Verlangen jederzeit über seine Geschäftsführung Rechenschaft abzulegen und alles, was ihm infolge derselben aus irgend einem Grunde zugekommen ist, zu erstatten.“