Wie die Jümme zu ihrem Namen kam

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Norbert Fiks Wie die Jümme zu ihrem Namen kam

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Norbert Fiks

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etrachtet man auf alten Landkarten von Ostfries-land das Leda-Jümme-Gebiet, fällt auf, dass der Fluss JÜMME darauf den Namen „Leda“ trägt,

während die heutige LEDA nicht benannt und gelegentlich gar nicht eingezeichnet ist. Der Name Jümme ist erst im späten 18. Jahrhundert belegbar.1 Gleichwohl muss er aus sprachlichen Gründen sehr viel älteren Ursprungs sein. Es stellt sich die Frage, wie dieses Namenswirrwarr zu erklären ist.

B

Nach heutigem Verständnis bilden LEDA und JÜMME ein Doppelfluss-System. Es liegt im nordwestlichen Nieder-sachsen in den Landkreisen Leer, Ammerland, Cloppen-burg und Emsland und entwässert dort eine Fläche von rund 2200 Quadratkilometern in die EMS. Dabei gilt die LEDA als Haupt- und die JÜMME als Nebenfluss.

Die LEDA im Westen hat zwei Quellflüsse, die OHE und die MARKA. Die OHE entspringt zwischen den emsländi-1 Um die verschiedenen Namensverwendungen besser unterscheiden zu können, sind die heutigen Flussnamen in Kapitälchen gesetzt, EMS, LEDA, JÜMME usw., alle Fluss- und Ortsnamen aus historischen Quellen in Anführungszeichen („Leda“, „Jümme“). Die kursive Form wird verwendet, wenn es um die Namensbedeutung geht.

Wie auf fast allen Karten aus dieser Zeit ist das Leda-Jümme-Gebiet auf der „Oost ende West Vrieslandt Beschryvinghe“ von 1568 sehr stark verzeichnet dargestellt.

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schen Ortschaften Börger und Spahn und fließt von dort in nordöstliche Richtung. Ohe ist vom althochdeutschen Wort aha (fließendes Wasser) abgeleitet, das sich in viel-fältiger Form als Namensbestandteil von Gewässern er-halten hat. Wo die OHE südwestlich von Sedelsberg den Küstenkanal und das Saterland erreicht, vereinigt sie sich mit der MARKA.

Dieser Zufluss entsteht in einem Moorgebiet westlich von Werlte. Wie der aus Mark (Grenze) und aha zusam-mengezogene Name andeutet, ist das Gewässer offenbar früher ein Grenzfluss gewesen. Noch heute bildet die MARKA auf einem kleinen Abschnitt die Grenze zwischen dem Emsland und dem Oldenburger Münsterland (Land-kreis Cloppenburg), eine politische Teilung, die im Mit-telalter bereits zwischen dem Hasegau im Osten und dem Agradingongau im Westen bestand2.

Vom Zusammenfluss von OHE und MARKA an trägt das Gewässer den Namen SAGTER EMS (Sagter = Saterländer). Es fließt nach Unterquerung des Küstenkanals in nördli-che Richtung weiter. Wo der DREYSCHLOOT in das Gewäs-ser mündet – an der ebenfalls historischen Grenze zwi-schen Ostfriesland und dem Oldenburger Münsterland – wird aus der SAGTER EMS die LEDA. Von dort aus fließt sie nach Nordwesten, nimmt in der Nähe von Amdorf die JÜMME auf und mündet nach wenigen Kilometern in die EMS.

Leda bedeutet ursprünglich Gewässer, Leitung und hat nichts mit der Königstochter dieses Namens aus der grie-

2 Klöver o. J., 31

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chischen Mythologie zu tun. Als Lade ist der Name be-reits im 9. Jahrhundert belegt3.

Die JÜMME entspringt als SOESTE – ein Name unbekannter Bedeutung und Herkunft – in der Nähe von Emstek (Landkreis Cloppenburg). Die SOESTE fließt bis Cloppen-burg in westliche Richtung und wendet sich dort nach Norden. Bei der Ortschaft Kampe, wo von Osten die LAHE kommt, unterquert sie den Küstenkanal und fließt dann in nordwestlicher Richtung auf Barßel zu. Dort nimmt die SOESTE das NORDLOHER TIEF auf und wird zum BARSSELER TIEF. In westliche Richtung fließend, erreicht das BARSSELER TIEF nach kurzer Strecke die Einmündung des DREYSCHLOOTS, einer etwa 1,2 Kilometer langen künst-lichen Verbindung zur LEDA. Von dort an, wo die Grenze zum ostfriesischen Landkreis Leer überquert wird, heißt der Fluss offiziell JÜMME. Er fließt dann ein kurzes Stück nach Norden, knickt bei Detern nach Westen ab und nimmt das APER TIEF auf. An Stickhausen vorbei durch-zieht der Fluss in weiten Schleifen ein Jümmiger Hamm-rich genanntes Niederungsgebiet, bis er schließlich in die LEDA mündet.

Die Kartenmacher und Chronisten früherer Epochen ver-fügten nicht über diese detaillierten Kenntnisse. Früheste Einblicke in das geografische Verständnis geben für Ost-friesland die Landkarten und Chroniken des 16. Jahrhun-derts. Die ersten Karten der Gegend stammten von nie-derländischen oder belgischen Kartografen. Die „Caerte van oostlant“ des Cornelis Anthoniszoon von 1543 zeigt „D. Lae. F“ als einen Fluss, der von seiner Mündung in die EMS fast gradlinig nach Südosten an „Stickhus“ vor-

3 Altfridi Vita Sancti Liudgeri 1829, 413

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bei bis nach „Appen“ im Ammerland reicht. Ähnlich un-genau und schematisiert ist die Darstellung in der „Oost ende West Vrieslandt Beschryvinghe“ eines unbekannten Urhebers, 1568 in Antwerpen gedruckt. Dort hat „De Loe fl.“, der sich ebenfalls bis „Appen“ erstreckt, zwei Zu-flüsse von Süden her, die sich als LEDA und BARSSELER TIEF deuten lassen. Sehr viel wirklichkeitsgetreuer stellt die „Pars Phrisiae orientalis et occidentalis“ des Christian s'Grootens von 1564 das Leda-Jümme-Gebiet dar. Beide Flüsse sind auf dieser Karte erstaunlich genau wiederge-ben.

Auf der ersten in Ostfriesland entstandenen Landkarte – „Frisia orientalis nova ed exacta descripta“ von Laurenti-us Michaelis aus dem Jahr 1579 – ist das Flusssystem stark verzeichnet: Der Oberlauf der EMS ist die Verlänge-rung der LEDA bzw. der JÜMME, die Fließrichtungen wei-chen wie die Ortslagen zum Teil erheblich von den tat-sächlichen Gegebenheiten ab. So mündet bei „Stichusen“ ein von „Potzhusen“ heraufkommender Nebenfluss, der vermutlich die SAGTER EMS darstellt, in die hier nicht nä-her bezeichnete JÜMME. Auch die Karte „Frisia Orientalis“ von Johannes Florianus (1595) stellt das Le-da-Jümme-Gebiet ähnlich verzeichnet dar. Der „Lee flu.“ erstreckt sich von der Mündung in nordöstliche Richtung über „Appen“ hinaus ins Ammerland. Auf beiden Karten fließt die JÜMME nördlich an Stickhausen vorbei; der heu-tige Lauf an der ehemaligen Festung ist ein künstlicher Durchbruch aus späterer Zeit.

Die ebenfalls 1595 entstandene Karte „Typus Frisiae Ori-entalis“ von Ubbo Emmius ist häufig nachgestochen wor-den und bildet bis weit in das 18. Jahrhundert hinein die

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Grundlage der meisten Ostfriesland-Karten. Emmius stellt LEDA und JÜMME richtig orientiert da, lässt sie aber namenlos. Nur in einigen Nachdrucken wird der nördli-che Arm des Doppelflusses als „Leda“ bezeichnet. Das gesamte Gebiet südlich des JÜMME-Arms wird von Emmi-us als „Averledingerland“ bezeichnet.

Seine Kenntnisse vom Lauf der „Leda“ fasst Emmius, der von 1588 bis 1596 Rektor der Latein-Schule in Leer war und anschließend nach Groningen ging, in seinem Geschichtswerk „Rerum Frisicarum historia“ von 1616 in Worte: „Stickhausen liegt ebenfalls an der Leda, aber eine große Meile von der Mündung entfernt.“4 Ähnlich sieht es Eggerik Beninga. Der gräfliche Drost der Fes-tung Leerort schreibt in seiner Mitte des 16. Jahrhunderts in Mittelniederdeutsch verfassten „Cronica der Fresen“, dass „dat water, de Lade genoempt, un na Sagelter, Fre-soite und Ape strecket“, bei Leerort in die EMS mündet5. Die Bezeichnung der JÜMME als „Leda“ setzt sich in den folgenden Jahrhunderten fort. Allerdings gibt es früh eine Ausnahme: Die zweite Fabricius-Karte „Oost-Frieslandt“ von 1592/1613 nennt den ansonsten namenlosen westli-chen Flussteil schon „Lee fl.“, während der östliche Teil nur in seinem Unterlauf südlich von Barßel als „Süss-te fl.“ bezeichnet wird.

4 Emmius 1616, 295 Beninga 1961, 281b

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Die anfängliche (literarische) Namenlosigkeit des südli-chen Arms oberhalb des Zusammenflusses bei Amdorf kann vielleicht damit erklären werden, dass er tatsächlich keinen allgemein gebräuchlichen Namen hatte, weil nie-mand da war, der ihm einen Namen gegeben hätte. Der Fluss schlängelt sich noch immer durch kaum besiedeltes Gebiet, es liegen heute wie in der Vergangenheit keine bedeutenden Orte an seinem Lauf, nur vereinzelte Gehöf-te. Die nächste größere Ortschaft, die der Fluss oberhalb von Leer berührt, ist Strücklingen im Saterland, das 1473 erstmals urkundlich erwähnt wird6. Erst mit der Besied-lung des Saterlands ab dem Hochmittelalter nimmt die Bedeutung der SAGTER EMS als Handelsweg vor allem für Torf zu, wovon die Zollstation an der Brücke bei Pots-

6 Klöver o. J., 52

Die Leda fließt durch wenig besiedeltes Gebiet. Wo der Dreyschloot (links) einmündet, überquert der Fluss die Grenze zwischen dem Oldenburger Münsterland und Ostfriesland.

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hausen zeugt. Dieses ostfriesische „Grenzdorf“, das ebenfalls am Ausgang des Mittelalters entstanden ist, zählt selbst heute kaum mehr als 30 Häuser.

Gering bevölkert ist zwar auch das von der „Leda“ durchflossene Gebiet, aber immerhin liegen am Fluss dieOrtschaft Detern und die Festung Stickhausen, die im Grenzgebiet zum Oldenburger Land im späten Mittelalter wichtige strategische Aufgaben hatten. Daneben war De-tern als „Tor nach Ostfriesland“ von wirtschaftlicher Be-deutung, weil es von dort schon im Hochmittelalter, deut-lich früher als an der SAGTER EMS, über das APER TIEF wirtschaftliche Verbindungen Richtung Oldenburg und über das BARSSELER TIEF nach Friesoythe und Cloppen-burg gab.

Die „Beschreibung des Hochfürstlichen ostfriesischen Amts Stickhausen in Ecclesiastic et Politics. . .“ von 17347 ist das älteste erhaltene offizielle Dokument, das Auskunft über die Flussnamen gibt und zudem von ei-nem Ortskundigen, dem auf der Stickhauser Burg residie-renden Amtmann, verfasst wurde. Die Beschreibungen der ostfriesischen Ämter gehen auf eine Anordnung von Fürst Georg Albrecht aus dem Jahr 1717 zurück. Sie soll-ten, so der Fürst, eine „historische Beschreibung, in ec-clesiasticis et politicis, und zwar nach dem gegenwärti-gen Zustand, nach Ihren respective Grentzen, Kirchen, dazu gehörigen Dörffern, Teich- und Siel-Achten und an-deren Umständen“ enthalten8. Weil bei einem Brand des Stickhauser Amtsgebäudes 1874 fast alle Akten zerstört

7 Nds. Staatsarchiv Aurich, Rep. 241, Nr. B 14e8 Weßels, Standardquellen im Staatsarchiv Aurich (online)

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wurden, ist die Beschreibung von 1734 eines der wenigen überlieferten Dokumente des Amts überhaupt.

Im Kapitel „Von denen Flüßen und übrigen notablen Ge-wäßer in Stickhausener Amt. . .“ heißt es gleich zu An-fang: „Durch Saaterland fließet ein Fluß, welcher in der Wandelung durch die Eems, mit dem Zunahmen Sader genannt wird, gehet Potzhausen vorbeÿ, all da man mit-telst einer Brücke über den Fluß nach Oberledingen füh-ret und von dar ins Westen, bald allgemählig ins Norden sich wendet, mithin zur Rechten von Amdorf, beÿ Wils-hausen, sich mit der Leede vermischet.“ Ausdrücklich wird erwähnt, dass „die Leede. . . ihren Ursprung in Münsterland [nimmt], allwo sie zuerst Cloppenburg und Oÿte berühret, endlich Bassel, das letzte Dorff in Müns-terland“.

Zur Unterscheidung der drei wichtigsten Flüsse im Amt Stickhausen verwendet der Verfasser der Amtsbeschrei-bung neben „Saater Eems“ (LEDA) auch „Stickhauser Ems“ (JÜMME) und „die rechte Ems“ (EMS), so dass man den Eindruck gewinnen kann, Ems sei mehr eine allge-meine Bezeichnung für Flüsse gewesen als der Eigenna-me für einen bestimmten Fluss, so wie es in Ostfriesland noch heute für die Gewässernamen Ehe und Tief gilt. Das sorgt selbst in der Amtsbeschreibung für Ungereimhei-ten. Es heißt im Kapitel „Von den Fürstl. Ländereÿen“ nämlich: „Es sind auch in diesen Amt zweÿ Brücke über die Eems anzumerken, alß eine zu Stickhausen, eine aber zu Potzhausen beÿ der dortigen Zollstädte.“ Tatsächlich überquert die Brücke bei Stickhausen „die Leede“, die bei Potshausen aber die „Saater Ems“.

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In der Amtsbeschreibung wird erstmals „die Jümmeri-cher Hammerich“ – die von LEDA und JÜMME begrenzte Niederung zwischen Amdorf im Westen und Stickhausen bzw. Potshausen im Osten – erwähnt. Für dieses große Gebiet sind zwei „Teich Richter“ und zwei „Schloot Richter“ eingesetzt, die sich um die Deiche und die Ent-wässerung des Gebiets kümmern. Wenige Jahre später – 1749 – wird von J. H. Magott die sehr genau anmutende „Charte von denen in der Jünniger Hammerich belegenen königlichen Stücklanden“ angefertigt. Auf ihr berührt der „Leda Fluß“ die „Festung Stickhusen“.

Im Jahr 1744 wird Ostfriesland nach dem Tod von Graf Carl Edzard von Preußen annektiert. 50 Jahre später ver-fasst der Stickhauser Amtmann Rudolph Heinrich Karl von Glahn die „Statistisch Topografische Beschreibung des Amtes Stickhausen“9. Das Amt, schreibt er, „wird an zweyen Stellen durch die Ems oder die Soest u. Leda durchschnitten, welche res[pective] bey Detern und Vel-de, Stickhausen, Spieker, Neuburg und Amdorff bis nach Wiltshausen, sodann an der anderen Seite Potshausen vorbey, auch bis nach Wiltshausen fließen, woselbst sie sich vereinigen und Tiackleger vorbey nach Ler und so weiter hin gehen“ – wobei hier mit „Ems“ die „Aper Ems“, also die JÜMME, gemeint ist, und der Fluss „bey Potshausen“ noch im selben Abschnitt ausdrücklich als „die Leda“ bezeichnet wird. Verschiedene Namen wer-den aber weiter synonym gebraucht. So heißt es an ande-rer Stelle10 über das Gebiet von Amdorf, wo JÜMME und LEDA zusammenfließen, es habe „die Deiche teils an der

9 Nds. Staatsarchiv Aurich, Rep. 241, Nr. B 41 (Amtsbeschreibung 1794)10 Amtsbeschreibung 1794, 70

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Aper Ems gegen Loge und Nortmohr über, teils an der Sagter Ems gegen die Oberledinger Hamriche liegen“.

Auf Seite 4 der Amtsbeschreibung ist erstmals der Name „Jümme“ überliefert: „Vor Detern bey der Schanze verei-nigt sich das Aper Tief mit dem Fluß, welcher Stickhau-sen vorbey, ohne Zweifel vorher die Jümme geheißen ha-ben muß, indem der Hammrich, worinnen Spieker, Neu-burg, Amdorff, Wolde u. Terheyde belegen, der Jümmi-ger Hammrich genennt wird. . .“

Die erste Karte, die den Doppel-Fluss als „Leda“ und „Iümme“ bezeichnet, ist die Campsche Karte von 180611. Darauf sind auch die einzelnen Flussabschnitte als „Sa-11 Neue Geographische Special Charte von dem Furstenthum Ost-fries- und dem Harlingerland

Die Campsche Karte von 1806 (Ausschnitt) ist die erste, die den Fluss als „Iümme Fl.“ bezeichnet.

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gelter Tief“, „Basseler Tief“ und „Soeste“ gekennzeich-net. Damit hat die heute übliche Bezeichnung Einzug in die Kartografie erhalten, die sich in kurzer Zeit durch-setzt. Spätere Karten, die statt „Jümme“ noch „Leda“ schreiben, gibt es offenbar nicht.

Anfang des 19. Jahrhunderts wird das inzwischen ent-standene Namenswirrwarr offensichtlich, ohne allerdings thematisiert zu werden. Fridrich Arends betrachtet in sei-nem detaillierten, 1818 erscheinenden landeskundlichen Werk über „Ostfriesland und Jever“ die „Leda“ sogar ei-gentlich als „dreiarmig“. Dritter Arm ist das APER TIEF. Die beiden ostfriesischen Arme – also LEDA und JÜMME – werden „gewöhnlich ebenfalls die Ems genannt“, wobei zwischen der „Sagelter Ems“ im Süden und der nördli-chen „Basseler Ems“ unterschieden wird. Arend führt so-gar die Bezeichnungen „Leda“ und „Jumme“ für die bei-den Arme an, setzt allerdings irrtümlich die „Soest“ mit der LEDA gleich.12

Willem Camp, der von den ostfriesischen Landständen mit den Vermessungsarbeiten beauftragt worden ist, ver-steht die JÜMME als Hauptfluss, in den die LEDA mündet. Noch Otto Houtrouw stellt in seinen 1889 erschienenen „Wanderungen“ fest: „Zuerst östlich, dann in Stickhauser Amt nördlich von ihr [der Leda] hinfließend, wird uns der andere größere Fluß, die Jümme, oder Soest, auch Basseler Ems begegnen, die man auch wohl als den nörd-lichen und bedeutenderen Arm der Leda bezeichnen kann.“13 Auch heute ist die JÜMME an ihrer Mündung deutlich breiter als die LEDA in dieser Stelle. Eine Not-

12 Arends 1818, 95 f.13 Houtrow 1889, 165

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wendigkeit, klar zwischen Haupt- und Nebenfluss zu un-terscheiden, bestand wohl erst, als ab Anfang des 20. Jahrhunderts mit planmäßigen Wasserbau zur Ver-besserung der Entwässerung und zum Hochwasserschutz im Leda-Jümme-Gebiet begonnen wurde.

Die eindeutigen Flussnamen, wie sie heute üblich sind, setzen sich offenbar in zwei Schritten durch: Zuerst wird in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Leda mit dem bis dahin namenlosen Flussabschnitt verbunden, während die eigentliche „Leda“ nun überwiegend mit einem ihrer Synonyme bezeichnet wird. Das ist in der Zeit, als Ost-friesland preußisch wird und sich eine neue Verwaltung des Landes bemächtigt. Es bietet sich an, einen direkten Zusammenhang zwischen diesen beiden Tatsachen zu vermuten, denn die Änderungen beziehen sich nur auf die Flussabschnitte, die auf neuem preußischen Territorium liegen. Dafür gibt es aber keine Belege.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts bekommt die alte „Leda“ oder „Aper Ems“ amtlich den Namen JÜMME. Anlass und Verursacher sind nicht erkennbar. Erstaunlich ist jeden-falls, dass der anscheinend aus dem Nichts aufgetauchte Name JÜMME sich innerhalb nur weniger Jahre durchsetzt. Das mag an der großen Wirkung der Campschen Karte gelegen haben, die auf der ersten Neuvermessung Ost-frieslands seit Ubbo Emmius 200 Jahre zuvor beruht und von Behörden und Wirtschaft sehnlichst erwartet wur-de14. Es ist vielleicht auch ein Hinweis darauf, dass der Name zumindest der am Fluss lebenden Bevölkerung nicht unbekannt war, sondern nur nie in schriftlichen Quellen oder auf Karten auftauchte.

14 Henninger et. al. 2005, 31 ff.

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Denn offenbar ist der sonst nirgends überlieferte Name Jümme nicht jüngeren Ursprungs, sondern scheint sehr alt zu sein. Viele noch heute gebräuchliche und meistens sehr kurze Flussnamen – Elbe, Weser, Jade, Leda – ge-hören zu den ältesten Namen überhaupt. In der lateini-schen Form Amisia ist der Name Ems durch Autoren wie Plinius und Tacitus bereits aus der Antike überliefert. Die Ursprung dieser Flussnamen reicht in die vorgermani-sche Zeit zurück, und ihre Bedeutungen sind häufig nur durch sprachwissenschaftliche Vergleiche mit Frühfor-men anderer indoeuropäischer Sprachen zu erschließen. Bei jüngern Orts- und Flussnamen dagegen ist die Na-mensbildung meist durchsichtig, weil die Bestandteile er-kennbar sind und deren Bedeutung noch bekannt ist. Als Beispiel sei nur auf die Sagter Ems oder das Barßeler Tief verwiesen.

Mit Jümme tut sich allerdings auch die Sprachwissen-schaft schwer. Selbst ausgewiesene Experten begeben sich auf schwankenden Boden, weil von der ganzen lan-gen Entwicklung des Namens von seiner ursprünglichen bis zur heutigen Form nur das letzte Glied der Kette be-kannt ist.

Es kommen zwei Erklärungen in Betracht: Jümme könnte eine Ableitung vom althochdeutschen gumpito, was Pfuhl oder Teich bedeutet, sein15. Davon hergeleitet sind unter anderem das oberdeutsche Wort Gumpe, eine Vertiefung im Boden eines Gewässers, und die niederdeutsche Kum-me (Schüssel)16, außerdem möglicherweise der Ortsname

15 Remmers 2004, 11816 Deutsches Wörterbuch Bd. 9, Spalte 1097 f.

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Gümmer (Ortsteil von Seelze bei Hannover)17. Sprach-wissenschaftlich wäre ein Wechsel von anlautendem G zu J möglich, Beispiele gibt es auch in Ostfriesland: Jem-gum hieß um 900 Giminghem, Jarßum entstand über Ier-zem aus Gerzhem18.

Nach Ansicht von Namensforscher Jürgen Udolph19 (frü-her Inhaber des Lehrstuhls für Onomastik an der Univer-sität Leipzig) ist Jümme aus indogermanisch *Jumina20

abzuleiten. Es enthält die indogermanische Wurzel ju- mit der Grundbedeutung fließen und den ebenfalls indo-germanischen Partizipialsuffix -meno-/-min-, der sich zum Beispiel in Ilmenau (Fluss bei Göttingen) findet. Gewässernamen, die mit Ju- beginnen und sich auf das-selbe Grundwort beziehen, sind in der indoeuropäischen Sprachwelt weit verbreitet etwa Jura im Baltikum, Iuras in Thrakien oder die Jühnde bei Göttingen.

Jümme hätte dann im weitesten Sinne die Bedeutung be-wässerte Gegend, was ja den tatsächlichen Verhältnissen genau entspricht, zumal der Fluss bis zu seiner Eindei-chung in 20. Jahrhundert bei Hochwasser regelmäßig große Fläche überflutet hat.

17 Ohanski/Udolph 199818 Remmers 2004, 11619 E-Mail an den Verfasser vom 27.9.200620 Das Sternchen * bedeutet in der historischen Sprachwissenschaft, dass ein Wort nicht durch Urkunden belegt ist, sondern nur auf Grund anderer Belege rekonstruiert wurde.

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Vielleicht bietet der Jümmiger Hammrich so etwas wie eine Antwort. Der Name ist erstmals durch die Amtsbe-schreibung von 1734 belegt21. Amtmann von Glahn geht 60 Jahre später von einem Zusammenhang mit dem Fluss aus22. Seine Vermutung, dass der Fluss „ohne Zweifel vorher die Jümme geheißen haben muß“, könnte eine Analogiebildung zum Paar Ems/Emsiger Hammrich sein.

Allerdings ist Emsiger Hammrich nicht von Ems abgelei-tet sondern von Emden. Es gibt in Ostfriesland eine große Zahl von Hammrichen, die formal alle gleich benannt sind: Barger Hammrich, Riepster Hammrich, Bunder Hammrich, Gandersumer Hammrich usw. Ihnen ist ge-meinsam, dass ihr Name von einem Ortsnamen abgeleitet ist. Denn es handelt sich ursprünglich um die von den Dorfbewohnern gemeinschaftlich genutzte Weide in den 21 Nds. Staatsarchiv Aurich, Rep. 241, Nr. B 14e22 Amtsbeschreibung 1794, 4

Die Bedeutung des Namens Jümme ist ungeklärt.

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Niederungen von EMS, LEDA und JÜMME. Hammrich (vom altfriesischen ham(m) = Grünland, Weide, merk = Gren-ze) bezeichnet also eine Funktion23. Heutzutage wird un-ter Hammrich die Niederung an sich verstanden, weil es die ursprüngliche Funktion nicht mehr gibt. Zu den weni-gen Ausnahmen von dieser Art der Namensbildung, bei denen das Bestimmungswort kein Ortsname ist, gehören der Westerhammrich und der Süderhammrich von Leer oder die Flur „Die obere niedrige Hammrich“ bei Nort-moor. Ein Hammrich-Name, bei dem das Bestimmungs-wort ein Gewässername ist, ist nicht bekannt.

Einen Ort Jümme (oder ähnlich), der dem Jümmiger Hammrich seinen Namen gegeben haben könnte, hat es nicht gegeben. Weil diese Art der Namensbildung mit Hammrich erst im Hoch- und Spätmittelalters auftrat, müsste man ihn kennen, selbst wenn er zwischenzeitlich umbenannt wurde oder wüst gefallen und vergessen sein sollte. Das spricht dafür, dass Jümmiger Hammrich eine relativ späte Bezeichnung ist, die zu einer Zeit entstand, als man die Hintergrund für diese Art der Namensbildung und auch die ursprüngliche Funktion des Hammrichs nicht mehr kannte. Denn im Vergleich mit anderen Hammrichen ist der Jümmiger Hammrich flächenmäßig sehr groß, viel zu groß für eine gemeinschaftlich genutzte Dorfweide. Der Fluss als das dominierende Element der Landschaft wäre dann sicher der erste Kandidat als Na-mensgeber für das angrenzende Niederungsgebiet gewe-sen.

23 Remmers 2004, 259

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Man könnte dies als weiteres Indiz dafür nehmen, dass der Name Jümme zwar alt ist, aber weitgehend vergessen war. Im amtlichen und literarischen Sprachgebrauch wur-de er von Leda verdrängt, weil dieser „von der Mündung aus“ bestimmt wurde. Das ist vielleicht die Antwort, al-lerdings eine unbefriedigende.

Der Zusammenfluss von Jümme, die von Osten kommt, und Leda bei Wiltshausen auf einem Satellitenbild von Google Maps.

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Quellen

AMTSBESCHREIBUNG 1734: Beschreibung des Hochfürstlichen ostfriesischen Amts Stick-hausen in Ecclesiastic et Politics. 1734. – Niedersächsisches Staatsarchiv Aurich, Rep. 241, Nr. B 14e (Abschrift: Helga Loeser, 2007)AMTSBESCHREIBUNG 1794: Statistisch Topografische Beschreibung des Amtes Stickhau-sen angefertigt durch RHK v. Glahn, 1. November 1794. – Niedersächsisches Staats-archiv Aurich, Rep. 241, Nr. B 41 (Abschrift: Helga Loeser, 2007)

Literatur

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