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Unabhängige Zeitung der Region Rorschach und Rorschacherberg Sonderausgabe «verhört!» im Dezember 2017 «verhört!» – Ein Stück entsteht aus Originaltexten 1942 – Die Rorschacher Mädchenklasse des Maria- bergschulhauses schreibt dem Bundesrat einen Brief. Ihr Anliegen ist, dass der Ordnungshüter jüdische Flüchtlinge nicht wieder über die Grenze abschieben und in den sicheren Tod schicken solle. Die unerwar- tete Antwort löst eine Reihe von Verhören aus. Aus Zitaten der entsprechenden Protokolle sowie Inter- views mit überlebenden Flüchtlingen schrieb Beat Knaus 2016 das Theaterstück «Das Verhör – Ein Flüchtlingsdrama». Im Wesentlichen stützt sich der Stücktext zum einen auf den Brief der Mädchenreal- schulklasse IIc an den Bundesrat vom Montag, 7. 9. 1942, sowie das Untersuchungsprotokoll des im Anschluss daran durchgeführten Verhörs der Klasse und des Lehrers vom Freitag, 23. 10. 1942. Zum ande- ren basieren die Berichte über die Odyssee der sechs belgischen Flüchtlinge auf den Verhörprotokollen, die am Montag, 31. 8. 1942, auf der Stadtpolizei Zürich angefertigt wurden. Ausgehend von diesen Quelltexten erarbeiteten die 19 Studierenden Freifachs Theater der PHSG, sowie eine Lehrerin, welche das Grundlagenmodul des CAS Theaterpädagogik absolviert, unter der Leitung von Kristin Ludin und Björn Reifler ein neues Stu ck. «Wir hätten uns nie träumen lassen, dass die Schweiz diese Jammergestalten wie Tiere über die Grenze wirft. Was für eine grausame Enttäuschung gendeiner Form einzubauen. Ob das Lied gesungen, gepfiffen oder gesummt wird, war offen. Mit Hilfe des Ausprobierens – der Hergang des Wortes «Proben» ist hierbei erkennbar – fügten die Spielerinnen und Spie- ler nun eigene Texte hinzu und betteten die Zitate und Melodien in eine Szene ein. Mit Hilfe von Feedbacks der anderen Teilnehmenden und der Leitung wurden die Szenen der Gruppen verfeinert und konkretisiert, so dass am Ende des Tages vier spannende, ergreifende und unterschiedliche Momentaufnahmen entstanden, welche sich rund um die Verhöre in Rorschach hätten abspielen können. Dabei bildeten vor allem die Spra- che und Beziehungen eine grosse Herausforderung: Wie haben vierzehnjährige Schulmädchen 1942 ge- sprochen? Wie begrüssten Sie ihren Lehrer, wenn sie ihm auf der Strasse begegneten? Wie selbstbewusst konnte die junge Heidi Weber, welche den Brief verfasst hatte, dem Schulratspräsidenten gegenüber- treten? Diese und viele andere Fragen wurden aus- schweifend diskutiert und in einer Annahme in die Szenen eingebaut. Die vier Szenen der Begegnungen zwischen Mädchen, Lehrer und Behörden bilden aber nur einen von drei Hauptsträngen des Theaters. Die Flüchtlingsszenen wurden übernommen. Als drittes Element wurden die von den Spielerinnen und Spielern erarbeiteten Figu- ren, die in dieser Zeit am Vorfall hätten beteiligt sein können, eingeflochten, mit Massenszenen ergänzt und alles zu Stück «verhört! – Ein Drama aus Rorschach um 1942» zusammengesetzt. muss es sein, wieder zurückgestossen zu werden, von wo sie gekommen sind, um dort dem sicheren Tod entgegenzugehen.» «Der grösste Teil von uns weiss nur unvollständig was im Brief steht und wir haben unterschrieben auf Aufforderung hin.» Diese und ähnliche Auszüge aus den Protokollen der Verhöre vom 23. Oktober 1942 in Rorschach, welche der Brief der Rorschacher Klasse an den Bundesrat zur Folge hatte, bildeten die Ausgangslage zur Erarbeitung neuer Szenen des Schauspielstücks «verhört! – Ein Drama aus Rorschach um 1942». Die Studierenden des Freifachs Theater an der PHSG bekamen am Morgen des Probesonntags jeweils einen kleinen Zettel mit einem Originalzitat der Mädchen, des Lehrers oder der Behörden, welche an den Verhören beteiligt gewe- sen waren. Das Ziel war, in Gruppen eine zirka fünfminütige Szene, welche dann als solche ins Thea- terstück eingebaut werden konnte, gemeinsam zu ent- wickeln. Nach körperlichem, stimmlichem und geistigem Aufwärmen, sowie ein paar Sprech- und In- terpretationsübungen zu den erhaltenen Texten, wur- den die Studentinnen und Studenten in Gruppen aufgeteilt. Sie überlegten sich, wie sie die zufällig erhal- tenen Texte zu einer Szene zusammenfügen konnten und wo genau der Schauplatz ihrer Szene sein soll. Weiter erhielten die Spielerinnen und Spieler den Auf- trag, mindestens eines der bestimmten Lieder – «Lue- gid vo Berg und Tal» für die Behörden und «Kein schöner Land in dieser Zeit» für die Mädchen, in ir- Schauspielerinnen und Schauspieler aus dem Stück «verhört» Beginn des Untersuchungsprotokolls des Schulrates über das am 23. Oktober 1942 durchgeführte Verhör der Schülerinnen und des Lehrers. 8 Bericht der «Schweizer Illustrierten» über die Flüchtlingsdebatte im Nationalrat vom 22. und 23. September 1942. In dieser Debatte wurde die restriktive Flüchtlingspolitik des Bundes aller- dings nur von einem kleinen Teil der Paramen- tarier kritisiert. 9 1 Le Chef de la Division de Police du Département de Justice et Police, H. Rothmund, au Ministre de Suisse à la Haye, A. de Pury, Bern 27. Januar 1939, S. 1, in: Di- plomatische Dokumente der Schweiz, 1848ff., On- line-Datenbank Dodis: dodis.ch/46769. 2 Heinrich Rothmund, Notiz über meine Bespre- chungen in Berlin. Hinflug Montag, 12. Oktober 1942, Rückflug Freitag, 6.November 1942, Bern Ende Ja- nuar 1943, S. 4, dodis.ch/11991. 3 Le Chef de la Division de Police du Département du Justice et Police, H. Rothmund, au Chef du Départe- ment de Justice et Police, E. von Steiger, Bern 30. Juli 1942, dodis.ch/11987. 4 Conseil féderal. Décision présidentielle du 4 août 1942, 1286. Flüchtlingsproblem, dodis.ch/47408. 5 Vortrag von Herrn Bundesrat von Steiger gehalten an der Landsgemeinde der «Jungen Kirche» in Zürich- Oerlikon am 30. August 1942, S. 22, dodis.ch/ 14256. 6 Sekundarschule Klasse 2c an Herren Bundesräte, Rorschach 7. September 1942, dodis.ch/12054. 7 Bundesrat Eduard von Steiger an Meine liebe junge Schweizerin, Bern, 14. Sept. 1942, S. 2–4, dodis.ch/ 12055. 8 Quelle: Untersuchungsprotokoll vom 23.10.1942 betr. Brief an den Bundesrat der Mädchensekundar- schulklasse 2c, S. 1, dodis.ch/35365. 9 Mitleid oder Staatsraison? Die große Flüchtlingsde- batte im Nationalrat, in: Schweizer Illustrierte, 30. September 1942. 10 Protokoll der Bundesversammlung 1942, National- rat 3. Sitzung vom 23. September 1942, S. 89–95, S. 92. 11 Eduard von Steiger, Bundesrat (1940–1951), 01.01.1950, RDB/RA1051599133, © RDB. Quellenangaben Als wir von diesem Projekt erfuhren, war ich sehr in- teressiert und auch gespannt, wie dieses Theaterstück umgesetzt wird. Eine Geschichte, welche im 2. Welt- krieg stattfindet, ist etwas völlig Neues für mich, denn bis anhin habe ich noch nie zu einer solchen Thematik Theater gespielt. Während meiner Schulzeit habe ich schon viele Informationen über den 2. Weltkrieg ge- hört und gelernt. Auch die Situation in der Schweiz wurde mehrmals behandelt. Aber als wir das Original- stück zum Lesen erhielten, blieb mir ein Kloss im Hals stecken. Da erfuhr ich aus Originalzitaten, wie sich die Leute damals wirklich in dieser Situation verhielten und was für ein Schicksal sie tragen mussten. So nah an dieser Zeit fühlte ich mich noch nie. Als dann eine Woche später Herr Thomas Metzger, Co-Leiter der Fachstelle Demokratiebildung und Menschenrechte der PHSG, genaue Details aus dieser Zeit erzählte, er- hielt ich noch mehr Informationen. Viele Tatsachen habe ich noch nie vorher gehört. Es war sehr ein- drücklich und liess auch zum Nachdenken anregen. Obwohl man die damalige Situation in der heutigen Zeit nie richtig verstehen kann, konnte ich mich immer mehr damit identifizieren und ich entwickelte ein gewisses Verständnis. Was das Projekt zudem für mich spannend macht, ist der Ort des Geschehens. In Rorschach von Rorschach zu spielen, macht das Ganze authentisch und eindrucksvoll. In den Proben verkörperten wir nun diese Personen, welche zu dieser Zeit existiert haben. In vielen anderen Theaterstücken hat man Figuren selber entwickelt und die Geschichte erfunden. In diesem Projekt soll alles auf tatsächliche Ereignisse gestützt sein. Mit den In- formationen, die wir im Vorfeld erhielten, war es ein- facher, sich in die Figur hineinzuversetzen. Doch es bleibt anspruchsvoll. Wie haben die Leute zu jener Zeit gesprochen? Wie haben sie sich bewegt? Wie war ihr Denkmuster? Solche Fragen können wir bloss erahnen oder von lebenden Zeugen erfahren. Aber genau diese Arbeit, sich mit historischen Gegebenheiten zu befas- sen, macht es äusserst spannend. Ich denke, dass genau dieser Zugang zu einer solchen Thematik ein grosser Lernerfolg ist. Ich habe seit Probenbeginn viel Neues aus dieser Zeit gelernt und lerne immer wieder dazu. Ein solcher Zugang kann ich mir auch später mit mei- nen zukünftigen Schülerinnen und Schülern vorstellen. Ich freue mich ausserordentlich auf die Aufführun- gen und hoffe, beim Publikum ebenfalls einen gross- artigen Eindruck zu hinterlassen, so wie ich ihn selbst erfahren habe. Von Daniel Pfister Wie empfinde ich das Projekt «verhört!» aus Sicht des Spielers? Seite 4 Seite 1 Spieler- und Spielerinnen Angela Marjanovic, Annina Rüttimann, Carolane Zuf- ferey, Caroline Murer, Céline Insinna, Christian Zehn- der, Daniel Pfister, Daria Schönenberger, Désirée Forte , Laura Frei, Lukas Pelzmann, Maria Gabathuler, Marisa Nuber, Nadine Steinmetz, Nicole Kaufmann, Nina Heule, Petra Nüssli, Sara Frischknecht, Stefanie Henseler, Tanja Eigenmann Regie und Projektleitung: Kristin Ludin, Björn Reifler Licht: Marco Frei, Centronics AG; Grafik: Stefan Edt- hofer; Medien: Otmar Elsener, Begoña Lema Vilas, Diana Franin; Historische Begleitung und Textre- cherche Theaterbroschüre: Thomas Metzger, Fach- stelle für Demokratiebildung und Menschenrechte PHSG; Kostüme: Heidy Reifler, SpielerInnen; Reserva- tion: Chenthusha Paramasivam; Probecatering: Michel Bruderer; Premièrencatering: Durchgangszentrum für Asylsuchende Landegg Vielen Dank an unsere Sponsoren Migros Kulturprozent, Zweirad Meier GmbH, Ror- schach, Raiffeisenbank, Rorschacherberg-Thal, Chäslaube Kündig, Rorschach, Hotel-Restaurant Rebstock AG, Rorschacherberg. Und weitere … Heidi Weber Der Brief der Schülerinnen war von Heidi Weber entworfen worden. Sie stand daher im Zentrum des Verhörs durch den Schulrat. Ror.Zeitung_1942_Print.qxp_Layout 1 14.11.17 17:09 Seite 1

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Unabhängige Zeitung der Region Rorschach und Rorschacherberg

Sonderausgabe «verhört!» im Dezember 2017

«verhört!» – Ein Stück entsteht aus Originaltexten

1942 – Die Rorschacher Mädchenklasse des Maria-bergschulhauses schreibt dem Bundesrat einen Brief.Ihr Anliegen ist, dass der Ordnungshüter jüdischeFlüchtlinge nicht wieder über die Grenze abschiebenund in den sicheren Tod schicken solle. Die unerwar-tete Antwort löst eine Reihe von Verhören aus. AusZitaten der entsprechenden Protokolle sowie Inter-views mit überlebenden Flüchtlingen schrieb BeatKnaus 2016 das Theaterstück «Das Verhör – EinFlüchtlingsdrama». Im Wesentlichen stützt sich derStücktext zum einen auf den Brief der Mädchenreal-schulklasse IIc an den Bundesrat vom Montag,7. 9. 1942, sowie das Untersuchungsprotokoll des imAnschluss daran durchgeführten Verhörs der Klasseund des Lehrers vom Freitag, 23. 10. 1942. Zum ande-ren basieren die Berichte über die Odyssee der sechsbelgischen Flüchtlinge auf den Verhörprotokollen, die am Montag, 31. 8. 1942, auf der Stadtpolizei Zürichangefertigt wurden.

Ausgehend von diesen Quelltexten erarbeiteten die19 Studierenden Freifachs Theater der PHSG, sowieeine Lehrerin, welche das Grundlagenmodul des CASTheaterpädagogik absolviert, unter der Leitung vonKristin Ludin und Björn Reifler ein neues Stuck.

«Wir hätten uns nie träumen lassen, dass dieSchweiz diese Jammergestalten wie Tiere über dieGrenze wirft. Was für eine grausame Enttäuschung

gendeiner Form einzubauen. Ob das Lied gesungen,gepfiffen oder gesummt wird, war offen. Mit Hilfe desAusprobierens – der Hergang des Wortes «Proben» isthierbei erkennbar – fügten die Spielerinnen und Spie-ler nun eigene Texte hinzu und betteten die Zitate undMelodien in eine Szene ein. Mit Hilfe von Feedbacksder anderen Teilnehmenden und der Leitung wurdendie Szenen der Gruppen verfeinert und konkretisiert,so dass am Ende des Tages vier spannende, ergreifendeund unterschiedliche Momentaufnahmen entstanden,welche sich rund um die Verhöre in Rorschach hättenabspielen können. Dabei bildeten vor allem die Spra-che und Beziehungen eine grosse Herausforderung:Wie haben vierzehnjährige Schulmädchen 1942 ge-sprochen? Wie begrüssten Sie ihren Lehrer, wenn sieihm auf der Strasse begegneten? Wie selbstbewusstkonnte die junge Heidi Weber, welche den Brief verfasst hatte, dem Schulratspräsidenten gegenüber-treten? Diese und viele andere Fragen wurden aus-schweifend diskutiert und in einer Annahme in dieSzenen eingebaut.

Die vier Szenen der Begegnungen zwischen Mädchen,Lehrer und Behörden bilden aber nur einen von dreiHauptsträngen des Theaters. Die Flüchtlingsszenenwurden übernommen. Als drittes Element wurden dievon den Spielerinnen und Spielern erarbeiteten Figu-ren, die in dieser Zeit am Vorfall hätten beteiligt seinkönnen, eingeflochten, mit Massenszenen ergänzt undalles zu Stück «verhört! – Ein Drama aus Rorschach um1942» zusammengesetzt.

muss es sein, wieder zurückgestossen zu werden,von wo sie gekommen sind, um dort dem sicherenTod entgegenzugehen.»

«Der grösste Teil von uns weiss nur unvollständigwas im Brief steht und wir haben unterschriebenauf Aufforderung hin.»

Diese und ähnliche Auszüge aus den Protokollen derVerhöre vom 23. Oktober 1942 in Rorschach, welcheder Brief der Rorschacher Klasse an den Bundesrat zurFolge hatte, bildeten die Ausgangslage zur Erarbeitungneuer Szenen des Schauspielstücks «verhört! – EinDrama aus Rorschach um 1942». Die Studierenden desFreifachs Theater an der PHSG bekamen am Morgendes Probesonntags jeweils einen kleinen Zettel miteinem Originalzitat der Mädchen, des Lehrers oderder Behörden, welche an den Verhören beteiligt gewe-sen waren. Das Ziel war, in Gruppen eine zirka fünfminütige Szene, welche dann als solche ins Thea-terstück eingebaut werden konnte, gemeinsam zu ent-wickeln. Nach körperlichem, stimmlichem undgeistigem Aufwärmen, sowie ein paar Sprech- und In-terpretationsübungen zu den erhaltenen Texten, wur-den die Studentinnen und Studenten in Gruppenaufgeteilt. Sie überlegten sich, wie sie die zufällig erhal-tenen Texte zu einer Szene zusammenfügen konntenund wo genau der Schauplatz ihrer Szene sein soll.Weiter erhielten die Spielerinnen und Spieler den Auf-trag, mindestens eines der bestimmten Lieder – «Lue-gid vo Berg und Tal» für die Behörden und «Keinschöner Land in dieser Zeit» für die Mädchen, in ir-

Schauspielerinnen und Schauspieler aus dem Stück «verhört»

Beginn des Untersuchungsprotokolls des Schulrates über das am 23. Oktober 1942 durchgeführteVerhör der Schülerinnen und des Lehrers .8

Bericht der «Schweizer Illustrierten» über dieFlüchtlingsdebatte im Nationalrat vom 22. und23. September 1942. In dieser Debatte wurde dierestriktive Flüchtlingspolitik des Bundes aller-dings nur von einem kleinen Teil der Parlamen-tarier kritisiert.9

1 Le Chef de la Division de Police du Département deJustice et Police, H. Rothmund, au Ministre de Suisseà la Haye, A. de Pury, Bern 27. Januar 1939, S. 1, in: Di-plomatische Dokumente der Schweiz, 1848ff., On-line-Datenbank Dodis: dodis.ch/46769.2 Heinrich Rothmund, Notiz über meine Bespre-chungen in Berlin. Hinflug Montag, 12. Oktober 1942,Rückflug Freitag, 6.November 1942, Bern Ende Ja-nuar 1943, S. 4, dodis.ch/11991.3 Le Chef de la Division de Police du Département duJustice et Police, H. Rothmund, au Chef du Départe-ment de Justice et Police, E. von Steiger, Bern 30. Juli1942, dodis.ch/11987.4 Conseil féderal. Décision présidentielle du 4 août1942, 1286. Flüchtlingsproblem, dodis.ch/47408.5 Vortrag von Herrn Bundesrat von Steiger gehaltenan der Landsgemeinde der «Jungen Kirche» in Zürich-Oerlikon am 30. August 1942, S. 22, dodis.ch/ 14256.6 Sekundarschule Klasse 2c an Herren Bundesräte,Rorschach 7. September 1942, dodis.ch/12054.7 Bundesrat Eduard von Steiger an Meine liebe jungeSchweizerin, Bern, 14. Sept. 1942, S. 2–4, dodis.ch/12055.8 Quelle: Untersuchungsprotokoll vom 23.10.1942betr. Brief an den Bundesrat der Mädchensekundar-schulklasse 2c, S. 1, dodis.ch/35365.9 Mitleid oder Staatsraison? Die große Flüchtlingsde-batte im Nationalrat, in: Schweizer Illustrierte, 30.September 1942.10 Protokoll der Bundesversammlung 1942, National-rat 3. Sitzung vom 23. September 1942, S. 89–95, S. 92.11 Eduard von Steiger, Bundesrat (1940–1951),01.01.1950, RDB/RA1051599133, © RDB.

Quellenangaben

Als wir von diesem Projekt erfuhren, war ich sehr in-teressiert und auch gespannt, wie dieses Theaterstückumgesetzt wird. Eine Geschichte, welche im 2. Welt-krieg stattfindet, ist etwas völlig Neues für mich, dennbis anhin habe ich noch nie zu einer solchen ThematikTheater gespielt. Während meiner Schulzeit habe ichschon viele Informationen über den 2. Weltkrieg ge-hört und gelernt. Auch die Situation in der Schweizwurde mehrmals behandelt. Aber als wir das Original-stück zum Lesen erhielten, blieb mir ein Kloss im Halsstecken. Da erfuhr ich aus Originalzitaten, wie sich dieLeute damals wirklich in dieser Situation verhieltenund was für ein Schicksal sie tragen mussten. So nahan dieser Zeit fühlte ich mich noch nie. Als dann eineWoche später Herr Thomas Metzger, Co-Leiter derFachstelle Demokratiebildung und Menschenrechteder PHSG, genaue Details aus dieser Zeit erzählte, er-

hielt ich noch mehr Informationen. Viele Tatsachenhabe ich noch nie vorher gehört. Es war sehr ein-drücklich und liess auch zum Nachdenken anregen.Obwohl man die damalige Situation in der heutigenZeit nie richtig verstehen kann, konnte ich michimmer mehr damit identifizieren und ich entwickelteein gewisses Verständnis. Was das Projekt zudem fürmich spannend macht, ist der Ort des Geschehens. InRorschach von Rorschach zu spielen, macht dasGanze authentisch und eindrucksvoll.

In den Proben verkörperten wir nun diese Personen,welche zu dieser Zeit existiert haben. In vielen anderenTheaterstücken hat man Figuren selber entwickelt unddie Geschichte erfunden. In diesem Projekt soll allesauf tatsächliche Ereignisse gestützt sein. Mit den In-formationen, die wir im Vorfeld erhielten, war es ein-

facher, sich in die Figur hineinzuversetzen. Doch esbleibt anspruchsvoll. Wie haben die Leute zu jener Zeitgesprochen? Wie haben sie sich bewegt? Wie war ihrDenkmuster? Solche Fragen können wir bloss erahnenoder von lebenden Zeugen erfahren. Aber genau dieseArbeit, sich mit historischen Gegebenheiten zu befas-sen, macht es äusserst spannend. Ich denke, dass genaudieser Zugang zu einer solchen Thematik ein grosserLernerfolg ist. Ich habe seit Probenbeginn viel Neuesaus dieser Zeit gelernt und lerne immer wieder dazu.Ein solcher Zugang kann ich mir auch später mit mei-nen zukünftigen Schülerinnen und Schülern vorstellen.

Ich freue mich ausserordentlich auf die Aufführun-gen und hoffe, beim Publikum ebenfalls einen gross-artigen Eindruck zu hinterlassen, so wie ich ihn selbst erfahren habe. Von Daniel Pfister

Wie empfinde ich das Projekt «verhört!» aus Sicht des Spielers?

Seite 4 Seite 1

Spieler- und SpielerinnenAngela Marjanovic, Annina Rüttimann, Carolane Zuf-ferey, Caroline Murer, Céline Insinna, Christian Zehn-der, Daniel Pfister, Daria Schönenberger, DésiréeForte , Laura Frei, Lukas Pelzmann, Maria Gabathuler,Marisa Nuber, Nadine Steinmetz, Nicole Kaufmann,Nina Heule, Petra Nüssli, Sara Frischknecht, StefanieHenseler, Tanja Eigenmann

Regie und Projektleitung: Kristin Ludin, Björn ReiflerLicht: Marco Frei, Centronics AG; Grafik: Stefan Edt-hofer; Medien: Otmar Elsener, Begoña Lema Vilas,Diana Franin; Historische Begleitung und Textre-cherche Theaterbroschüre: Thomas Metzger, Fach-stelle für Demokratiebildung und MenschenrechtePHSG; Kostüme: Heidy Reifler, SpielerInnen; Reserva-tion: Chenthusha Paramasivam; Probecatering: MichelBruderer; Premièrencatering: Durchgangszentrum fürAsylsuchende Landegg

Vielen Dank an unsere SponsorenMigros Kulturprozent, Zweirad Meier GmbH, Ror-schach, Raiffeisenbank, Rorschacherberg-Thal,Chäslaube Kündig, Rorschach, Hotel-RestaurantRebstock AG, Rorschacherberg. Und weitere …

Heidi WeberDer Brief der Schülerinnen war von Heidi Weberentworfen worden. Sie stand daher im Zentrum desVerhörs durch den Schulrat.

Ror.Zeitung_1942_Print.qxp_Layout 1 14.11.17 17:09 Seite 1

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Grundzüge der schweizerischen Flüchtlingspolitik.

Die in den Jahren 1933 bis 1945 sehr restriktive eidge-nössische Flüchtlingspolitik traf insbesondere jüdi-sche Emigranten sehr hart. Sie wurden nicht alspolitische Flüchtlinge anerkannt und hatten entspre-chend keinen Anspruch auf Asyl. Als es nach dem«Anschluss» Österreichs ans Deutsche Reich im Frühjahr 1938 und nach dem Einsetzen von Massen-deportationen in die Konzentrations- und Vernich-tungslager 1942 zu einer starken Zunahme an jüdi-schen Flüchtlingen kam, verschärfte die Schweiz ihreAufnahmepolitik weiter. Erst ab Sommer 1944 anerkannte sie schliesslich auch Jüdinnen und Juden als politische Flüchtlinge und nahm jene auf, diees in die Schweiz schafften. Laut der «UnabhängigenExpertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg»nahm die Schweiz während des Krieges rund 21 000jüdische Flüchtlinge auf, 24 000 wies sie an den Gren-zen ab. Nicht beziffert werden kann die Zahl derer, dieangesichts der restriktiven Haltung der Schweiz eineFlucht in die Eidgenossenschaft gar nicht erst wagten.

Antisemitischer Charakter der schweizeri-schen Flüchtlingspolitik 1933 bis 1945

Durch die Jüdinnen und Juden, die vor den national-sozialistischen Verfolgungen in die Schweiz fliehenwollten, sah die Bundesadministration die Ziele ihrer

Bevölkerungspolitik gefährdet. Diese sah sie imKampf gegen eine angebliche «Überfremdung» undwaren stark antisemitisch gefärbt. Daher sollte wennimmer möglich verhindert werden, dass jüdischeFlüchtlinge in die Schweiz gelangten, um, so etwa dieFormulierung Heinrich Rothmunds, Chef der Frem-denpolizei und Leiter der Polizeiabteilung des Jus-tiz- und Polizeidepartements, eine «Verjudung» derSchweiz zu verhindern. Jene jüdischen Flüchtlinge, diedennoch in die Schweiz gelangt waren, mussten beierster Gelegenheit die Schweiz in Richtung von Dritt-staaten verlassen, definierte sich die Eidgenossen-schaft doch als reines «Transitland».

Die eidgenössische Migrationspolitik war nicht erstseit 1933 durch antisemitische Maximen geprägt. Diesehatten sich bereits im vorangegangenen Jahrzehnt he-rausgebildet und standen in enger Verbindung mit derFormierung einer eidgenössischen Fremdenpolizei. Sogalten ab Mitte der 1920er Jahre erst für osteuropäi-sche und schliesslich für sämtliche Juden strengereEinbürgerungsrichtlinien als für andere Anwärterin-nen und Anwärter. Zwischen 1941 und 1944 wurdesogar ein Numerus clausus eingeführt: Lediglich zwölfJüdinnen oder Juden sollten pro Jahr eingebürgertwerden dürfen. Diese antisemitischen Bestimmungenwaren rein administrativer Natur. Sie waren rechtlichnicht verankert und entbehrten folglich einer demo-

kratischen Legitimierung. Aussage des Fremdenpoli-zeichefs Heinrich Rothmund vom 27. Januar 1939 zurschweizerischen Flüchtlingspolitik:

«Wir haben nicht seit zwanzig Jahren mit dem Mit-tel der Fremdenpolizei gegen die Zunahme derÜberfremdung und ganz besonders gegen die Ver-judung der Schweiz gekämpft, um uns heute dieEmigranten aufzwingen zu lassen.»1

Auszug aus dem Bericht des FremdenpolizeichefsHeinrich Rothmunds über seinen Besuch des Konzen-trationslagers Sachsenhausen am 21. Oktober 1942 anlässlich seiner Deutschlandreise in seiner Funktionals Chef der Eidgenössischen Fremdenpolizei:

«Beim Mittagessen ergab sich aus dem zwanglosenGespräch Gelegenheit, die Judenfrage durchzuneh-men. Ich versuchte, den Herren klarzumachen,dass Volk und Behörden in der Schweiz die Gefahrder Verjudung von jeher deutlich erkannt und sichstets so dagegen gewehrt haben, dass die Nachteileder jüdischen Bevölkerung durch die Vorteile wett-gemacht wurden, während das in Deutschlandnicht der Fall war. Die Gefahr kann nur dadurch be-gegnet werden, dass ein Volk sich von allem Anfangan gegen jede jüdische Ausschliesslichkeit wehrtund sie verunmöglicht.»2

Eidgenössische Flüchtlingspolitik 1933–1945Im Sommer 1942 setzte in Belgien, den Niederlandenund Frankreich die systematische Deportation von Jü-dinnen und Juden in die Vernichtungslager in Osteu-ropa ein. Im Juli nahmen deshalb in der Schweiz dieGrenzübertritte jüdischer Flüchtlinge deutlich zu,nachdem nach Kriegsausbruch kaum noch solche andie Schweizer Grenzen gelangt waren. Die schweize-rischen Behörden wollten dieser Fluchtbewegungeinen Riegel mit abschreckender Wirkung schieben.Am 4. August beschloss der Bundesrat, dass die vonder Schweiz auch weiterhin nicht als politischeFlüchtlinge angesehenen Jüdinnen und Juden konse-quent an der Grenze abzuweisen respektive auszuwei-sen seien, falls sie schon die Grenze überquert hätten.Diese Regelung hatte zwar schon davor bestanden,war aber nicht mehr mit gleicher Konsequenz durch-gesetzt worden. Am 13. August 1942 erging eine ent-sprechende Weisung an die zivilen und militäri-schen Behörden. Der Bund handelte dabei in vollemWissen um die schreckliche Verfolgungslage und dieBedrohung der jüdischen Bevölkerung in den vonDeutschland besetzten Gebieten, wovon er bereitsseit Ende 1941 Kenntnis hatte.

Mit Blick auf die Weisungen von August 1942 kam es inÖffentlichkeit und Presse erstmals zu einer breiterenKritik an der Flüchtlingspolitik. Der Protest der Sekun-darschulklasse 2c stellt ein eindrückliches Beispieldafür dar. Auch der Nationalrat schaltete sich in die Dis-kussion ein. Er debattierte am 22. und 23. September1942 zum Thema, stärkte letztlich dem Bundesrat je-doch insgesamt den Rücken. Die Proteste zeitigtendennoch einen gewissen Erfolg, denn die Weisung vom13. August 1942 wurde abgeändert und durch eine leichtabgeschwächte Version ersetzt. Die am heftigsten dis-kutierten Ausschaffungen von erst im Landesinnernaufgegriffenen Flüchtlingen wurde ausgesetzt, und essollte Ausnahmen aus humanitären Überlegungengeben. Ende 1942 erfuhren die Weisungen jedoch wie-der eine Verschärfung, was in der Öffentlichkeit aberkeine vergleichbaren Wellen mehr warf.

Einschätzung der Flüchtlingssituation durch RobertJezler, juristischer Mitarbeiter in der Polizeiabteilungdes Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements,Ende Juli 1942:

«In der ersten Zeit des Krieges kamen praktischkeine jüdischen Flüchtlinge zu uns. Als dann aberDeutschland begann, die im Reich noch ansässigenJuden nach Polen zu deportieren, kamen wiedervereinzelte jüdische Flüchtlinge über die Grenze.Die ersten wurden ohne weiteres zurückgewiesen.In letzter Zeit konnten wir uns jedoch zu solchenRückweisungen nicht mehr entschliessen. Dieübereinstimmenden und zuverlässigen Berichteüber die Art und Weise, wie die Deportationendurchgeführt werden, und über die Zustände inden Judenbezirken im Osten sind derart grässlich,dass man die verzweifelten Versuche der Flücht-linge, solchem Schicksal zu entrinnen, verstehenmuss und eine Rückweisung kaum mehr verant-worten kann.Besonders schlimm scheint heute dieLage der Juden in den von Deutschland besetztenGebieten, im Protektorat, in Holland, Belgien undNordfrankreich zu sein. Die dort lebenden Judenwissen keine Stunde, ob sie in der folgendenStunde deportiert, als Geisel verhaftet, oder garunter irgendeinem Vorwand hingerichtet sind.»3

Aus dem Bundesratsbeschluss vom 4. August 1942, derden Tod als Folge der Zurückweisung von Flüchtlin-gen bewusst in Kauf nahm:

Der Zustrom fremder Zivilflüchtlinge […] hat in denletzten Monaten ein Ausmass und einen Charakterangenommen, dass eine wieder strengere Anwen-dung des Artikels 9 des Bundesratsbe-schlusses vom17. Oktober 1939 [Rückschaffung rechtswidrig in dieSchweiz eingereister Ausländer] geboten ist, künftigalso in vermehrtem Masse Rückweisungen von aus-ländischen Zivilflüchtlingen stattfinden müssen,auch wenn den davon betroffenen Ausländern da-

raus ernsthafte Nachteile (Gefahren für Leib undLeben) erwachsen könnten.» 4

Aus dem Vortrag Bundesrat Eduard von Steigers ander Landsgemeinde der «Jungen Kirche» in Zürich-Oerlikon am 30. August 1942:

«Wer ein schon stark besetztes kleines Rettungs-boot mit beschränktem Fassungsvermögen undebenso beschränkten Vorräten zu kommandierenhat, indessen Tausende von Opfern einer Schiffs-katastrophe nach Rettung schreien, muss hartscheinen, wenn er nicht alle aufnehmen kann. Unddoch ist er noch menschlich, wenn er beizeiten vorfalschen Hoffnungen warnt und wenigstens dieschon Aufgenommen [sic!] zu retten sucht.» 5

Votum des freisinnigen St.Galler Nationalrat LudwigRittmeyer, der am 23. September 1942 als einer vonwenigen Ratsmitgliedern die offizielle Flüchtlings-politik in der sog. Flüchtlingsdebatte kritisierte, zurFlüchtlingspraxis der Schweiz:

«Worin besteht nun diese Praxis? Sie besteht darin,dass die Deserteure und politischen Flüchtlingevon uns aufgenommen und nicht zurückgeschicktwerden. […] Auf der andern Seite können abernicht aufgenommen werden und gehören nicht zuden politischen Flüchtlingen Leute, die aus rassi-schen Gründen, sagen wir jetzt Frankreich, verlas-sen und an unsere Grenzen flüchten. […]

[…] [Wenn] wir uns fragen, welcher leitende Ge-sichtspunkt bei dieser Praxis wegleitend sei, so ister offenbar der, dass wir wissen, dass wir bei einerRückweisung der politischen Flüchtlinge und derDeserteure diese in den Tod schicken würden. […]

[…] [Wenn] der Bundesrat konsequent sein wollte,müsste er auch diesen Leuten [die aus ‚rassischenGründen‘ verfolgt werden] die Grenze öffnen, weilwir uns ja alle klar darüber sind, dass die Konse-quenzen, die dieser Leute im Falle der Zurück-schiebung harren, genau die gleichen sind […].»10

Grenzschliessung im Spätsommer und Herbst 1942

Rorschach d. 7. Sept. 1942

Sehr geehrte Herren Bundesräte!

Wir können es nicht unterlassen Ihnen mitzuteilen, dasswir in den Schulen aufs höchste empört sind, dass man die Flüchtlinge so herzloswieder in das Elend zurückstösst. Hat man eigentlich ganz vergessen, dass Jesusgesagt hat: «Was ihr einem der Geringsten unter euch getan habt, das habt ihrmir getan». Wir hätten uns nie träumen lassen, dass die Schweiz, die Friedens-insel, die barmherzig sein will, diese zitternden, frierenden Jammergestalten wieTiere über die Grenze wirft. Wird es uns nicht so gehen wie dem Reichen, derden armen Lazarus nicht gesehen hat. Was nützt es uns, wenn wir sagen können:Ja, im letzten Weltkrieg hat die Schweiz noch etwas geleistet, dürfte man nur er-wähnen, was die Schweiz in diesem Krieg schon Gutes getan hat, besonders anden Emigranten. Haben nicht alle diese Menschen noch die ganze Hoffnung aufunser Land gelegt, und was für eine grausame, schreckliche Enttäuschung musses sein, wieder zurückgestossen zu werden, von wo sie gekommen sind, um dortdem sichern Tod entgegenzugehen. Wenn das so weiter geht, können wir sichersein, dass wir die Strafe noch bekommen. Es kann ja sein, dass Sie den Befehl er-halten haben, keine Juden aufzunehmen, aber der Wille Gottes ist es bestimmtnicht, doch wir haben Ihm mehr zu gehorchen als den Menschen. Wo wir zumSammeln aufgerufen wurden, taten wir es sehr gerne, für unser Heimatland undhaben willig die Freizeit geopfert, desshalb [sic!] erlauben wir uns für die Auf-nahme dieser ärmsten Heimatlosen zu bitten!

Mit Hochachtung und Vaterländischer Verbundenheit grüssen:

Sekundarschule Klasse 2c

Rösli Schlotterbeck, Heidi Weber, Jacqueline Jenny, Rosmarie Gansner, Irma Sto-essel, Dorli Stoll, Hildegard Scherrer, Elsbeth Eigenmann, Margrit Kaiser, Silvia Bader, Heidi Bächi, Alice Thalmann, Eva Dudler, Ruth Locher, Gritli Lüchinger, Hildegard Forster, Hedi Opprecht, Margrit Leemann, Greti Weber,Ruth Dombierer, Frieda Kradolfer, Trudi Sperrer 6

Originalansicht des Briefs der Schülerinnen an den Bundesrat

Klassenfoto der Sekundarschulklasse 2c.

«Wenn du alt und reif genug wärest, um Dir ein Bilddavon machen zu können, was die Schweiz tut im Ver-gleich mit anderen Ländern, dann hättest Du DeinemBundesrat nicht so schlechte Zeugnisnoten ausge-stellt. […] Liebe junge Schülerin, die du als Lehrmeis-terin (‚Lehrgotte‘ würden wir auf gut Berndeutschsagen) dem Bundesrat gegenüber aufgetreten bist.Ich bitte Dich, noch etwas Geduld zu haben. Wirwerden dann später noch einmal über die gleicheSache miteinander schreiben können. Ich bin über-zeugt, dass Du rot werden wirst, den Bundesrat mitVorwürfen überschüttet zu haben, wenn Dir einmalalle Schwierigkeiten, die mit diesen Flüchtlingsfra-gen zusammen- hängen und die Leistungen derjeni-gen, die für die Flüchtlinge mit Hingebung undLiebe arbeiten, besser bewusst sind.

Du kannst sicher sein, dass wir uns mit unserer Tä-tigkeit vor unsern Vorfahren, vor der ganzen andernWelt und vor dem lieben Gott verantworten dürfen.Vor diesem Examen habe ich nicht Angst. Es wirdstreng sein, aber gerecht.» 7

Ausschnitt aus dem Entwurf des Antwortschreibens von Bundesrat Eduard von Steiger, Vorsteher des EJPD, an die einzelnen Schülerinnen vom 14. September 1942.

Eduard von Steiger, Bundesrat (1940–1951)11

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Kino Palace Rorschach In der Rorschacher Zeitung vom 22. Oktober 1942 wurde angesichts der fortschreitenden De-portationen zu einer Filmvorführung zugunsten derFlüchtlinge, die es in die Schweiz geschafft hatten,eingeladen. Die ausverkaufte Vorstellung des Films«La Grande Illusion» am folgenden Tag erbrachte800 Franken für die Flüchtlingshilfe.

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