Wie können Manager in einer komplexen Welt erfolgreich ......dürfnissen gerecht werden – zu...

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1 Wie können Manager in einer komplexen Welt erfolgreich führen? Was Sie in diesem Kapitel erwartet: Eine Klärung, was Erfolg in einem Unternehmen bedeutet. Der Grundsatz, dass Manager für Ergebnisse verantwortlich sind. Kritische Gedanken über die Grenzen für anständiges Verhalten. Warum alte Managementkonzepte nicht mehr ausreichen. Eine Einführung ins systemische Management. 1.1■Was sind erfolgreiche Unternehmen? Was zeichnet ein erfolgreiches Unternehmen aus? Seine Gewinne? Sein Aktienkurs? Seine Produkte und Dienstleistungen? Seine Mitarbeiter? Oder sein Image? Das Bild ei- nes erfolgreichen Unternehmens ist vielfältig: Kunden: Ein erfolgreiches Unternehmen hat zufriedene, loyale Kunden. Sie schätzen die Produkte und Dienstleistungen, die ihren Preis wert sind. Sie sprechen voll Aner- kennung über diese Produkte und empfehlen sie in ihrem Bekanntenkreis weiter. Sol- che Kunden sind dem Unternehmen treu und kaufen dort seit vielen Jahren. Mitarbeiter: Ein erfolgreiches Unternehmen hat motivierte, leistungsstarke Mitarbei- ter. Sie setzen sich mit ganzer Kraſt ein und arbeiten hart. Sie kooperieren gut mit ihren Kollegen, stets im Sinne des Ganzen. Mit Kompetenz und Kreativität finden sie neue Lösungen, wo alte nicht mehr ausreichen. Die Mitarbeiter sind dem Unternehmen treu; sie empfehlen ihren Freunden diesen Arbeitgeber.

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1Wie können Manager in einer komplexen Welt erfolgreich führen?

Was Sie in diesem Kapitel erwartet:

� Eine Klärung, was Erfolg in einem Unternehmen bedeutet. � Der Grundsatz, dass Manager für Ergebnisse verantwortlich sind. � Kritische Gedanken über die Grenzen für anständiges Verhalten. � Warum alte Managementkonzepte nicht mehr ausreichen. � Eine Einführung ins systemische Management.

■■ 1.1■ Was sind erfolgreiche Unternehmen?

Was zeichnet ein erfolgreiches Unternehmen aus? Seine Gewinne? Sein Aktienkurs? Seine Produkte und Dienstleistungen? Seine Mitarbeiter? Oder sein Image? Das Bild ei-nes erfolgreichen Unternehmens ist vielfältig:Kunden: Ein erfolgreiches Unternehmen hat zufriedene, loyale Kunden. Sie schätzen die Produkte und Dienstleistungen, die ihren Preis wert sind. Sie sprechen voll Aner-kennung über diese Produkte und empfehlen sie in ihrem Bekanntenkreis weiter. Sol-che Kunden sind dem Unternehmen treu und kaufen dort seit vielen Jahren.Mitarbeiter: Ein erfolgreiches Unternehmen hat motivierte, leistungsstarke Mitarbei-ter. Sie setzen sich mit ganzer Kraft ein und arbeiten hart. Sie kooperieren gut mit ihren Kollegen, stets im Sinne des Ganzen. Mit Kompetenz und Kreativität finden sie neue Lösungen, wo alte nicht mehr ausreichen. Die Mitarbeiter sind dem Unternehmen treu; sie empfehlen ihren Freunden diesen Arbeitgeber.

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2   1 Wie können Manager in einer komplexen Welt erfolgreich führen?

Partner: Ein erfolgreiches Unternehmen hat qualifizierte, zuverlässige Partner und Lie-feranten. Sie liefern fehlerfrei und stets termintreu. Sie unterstützen neue Entwicklun-gen und innovative Lösungen. Auf veränderte Bedürfnisse stellen sie sich rasch und unkompliziert ein. Diese vertrauensvollen Beziehungen bestehen schon seit vielen Jah-ren.Eigner: Ein erfolgreiches Unternehmen hat zufriedene, langfristig denkende Besitzer. Ihnen gehört das Unternehmen in Form von Gesellschaftsanteilen. Sie schätzen die gu-ten finanziellen Ergebnisse, die im Unternehmen seit vielen Jahren erwirtschaftet wer-den. Sie investieren Kapital in eine langfristige Entwicklung für Wachstum. Und sie zeigen ihre Wertschätzung für Mitarbeiter und Manager.Gesellschaft: Ein erfolgreiches Unternehmen wird in seinem Umfeld geachtet und res-pektiert. Neben seinen bekannten und geschätzten Produkten leistet es einen sichtba-ren Beitrag für die Gesellschaft, in dem es attraktive Arbeits- und Ausbildungsplätze zur Verfügung stellt. Sein gutes Image wird durch aktiven Umweltschutz und soziales Ver-antwortungsbewusstsein verstärkt.Einige Unternehmen hinken diesen Ansprüchen hinterher, aber viele Unternehmen er-füllen diese Kriterien. Von diesen erfolgreichen Unternehmen, ihren Managern und ih-ren Konzepten handelt dieses Buch. Es geht um gutes und erfolgreiches Management, das Unternehmen und Menschen gleichermaßen brauchen. Beginnen wir mit den Er-gebnissen, denn daran wird Erfolg sichtbar.

■■ 1.2■ Auf die Ergebnisse kommt es an!

Manager werden an Ergebnissen gemessen. Und das zu Recht. Allein die gute Absicht reicht nicht aus. Kunden erwarten gute Produkte und Dienstleistungen, die ihren Be-dürfnissen gerecht werden – zu einem angemessenen, wettbewerbsfähigen Preis. Schließlich bezahlen die Kunden dafür. Fehlerhafte Produkte, lange Wartezeiten, schlechter Service und nicht gehaltene Ankündigungen führen zu Enttäuschung und Ärger. Für Kunden zählen die Ergebnisse.Auch für die Eigner des Unternehmens zählen Ergebnisse. Finanzielle Ergebnisse kön-nen Gewinne, Renditen auf eingesetztes Kapital oder der Aktienkurs von Anteilen sein. Ob dabei eher kurzfristige oder langfristige Ziele verfolgt werden, ist unterschiedlich. Das rege Bemühen des Managements reicht Eignern meist nicht – es zählen die Ergeb-nisse.Mitarbeiter wollen Einkommen verdienen, jetzt und in Zukunft. Außerdem möchten sie fair und wertschätzend behandelt werden. Gute Arbeitsbedingungen, ein vertrauensvol-les Arbeitsklima und Chancen für persönliche Entwicklung sind für viele Mitarbeiter wichtig. Auch hier sind Absichten oder Ankündigungen nicht genug. Es zählen die Er-gebnisse.

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1.3 Heiligt der Zweck jedes Mittel?  3

Diese Botschaft ist besonders für junge Manager manchmal hart. Sie werden an tatsäch-lichen Ergebnissen gemessen. Die Entschuldigung „Ich konnte nichts dafür“, oder „Ich wusste nichts davon“, entlastet nicht von der Verantwortung für Ergebnisse. Reale Un-ternehmen sind jedoch komplexe Gebilde, in denen viel geschieht, was nicht von Mana-gern beherrscht wird. Tatsächlich entziehen sich einzelne Leistungen der Steuerung von Managern. Und dennoch tragen sie Verantwortung für Ergebnisse. Das macht den Managementberuf anspruchsvoll und herausfordernd. Aber nicht jeder kann und will solche Führungsverantwortung tragen.

■■ 1.3■ Heiligt der Zweck jedes Mittel?

Im ständigen Streben nach Erfolg durch gute Ergebnisse können unterschiedliche Wege beschritten werden. Immer wieder bieten sich Abkürzungen und Alternativen zu den geregelten, doch gewundenen Pfaden zum Ziel. Was dürfen Manager? Dürfen sie sich über Regeln hinweg setzen? Welche Mittel sind erlaubt und welche nicht?Viele Manager glauben an den Spruch „Wer lang fragt, geht lang irr.“, also daran, dass die Diskussion um vertretbare Methoden im konkreten Einzelfall wenig nützt. Damit wird unterstellt, dass am Ende nur die Ergebnisse zählen. „Wenn das Ergebnis stimmt, fragt keiner mehr nach dem Weg.“ Diese Ansicht ist gefährlich und falsch.Obschon die Vielfalt der erwarteten Ergebnisse anspruchsvoll ist, rechtfertigt der Zweck nicht jedes Mittel. Gerade Manager, die mit großer Entscheidungsmacht ausgestattet sind, vergessen oder verdrängen dies gelegentlich. Die Entschuldigung „Das machen alle so“, oder „Das ist in unserer Industrie so üblich“, entlastet nicht von der Pflicht zu regelgerechtem, anständigem Verhalten. Dabei müssen einige Grenzlinien klar und deutlich gezogen werden, innerhalb derer Manager immer noch breite Handlungsspiel-räume haben.Zuerst ist dies der legale, gesetzlich definierte Rahmen. Er muss bindend sein, auch wenn er in einzelnen Situationen die Zielerreichung erschwert. Dies sei an zwei Beispie-len verdeutlicht:

1. Steuerhinterziehung

Wer sich seiner Pflicht als verantwortliche Führungskraft in einem Unter-nehmen oder als Privatperson entzieht, gesetzlich definierte Steuern ord-nungsgemäß zu bezahlen, begeht eine Straftat. Dies gilt auch, wenn Steu-ern den Nettogewinn eines Unternehmens mindern. Bei der Frage, wie weit steuerliche Gestaltungsspielräume kreativ genutzt werden, um mög-lichst wenig Steuern zu zahlen, öffnen sich rasch Grenzbereiche. Hier müssen Manager klar und deutlich Position beziehen.

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2. Bestechung

Im deutschen Strafrecht sind Tatbestände zur Bestechung und zur Vorteil-sannahme geregelt, die teilweise nur innerhalb der deutschen Staatsgren-zen Anwendung finden. So wurde es in einigen Wirtschaftszweigen üblich, in anderen Ländern Schmiergelder zu zahlen, um Geschäfte zu machen. Über lange Jahre waren solche förderlichen Aufwendungen sogar in Deutschland steuerlich als Kosten abzugsfähig. Dennoch waren sie rechtswidrig. Auch hier sollte jeder Manager klar und deutlich „nein“ sa-gen. Verzichten Sie auf solche Geschäfte und verlassen Sie Arbeitgeber, die solches Verhalten von ihren Managern verlangen!

Neben den gesetzlich klar geregelten Bereichen verleiten besonders die „grauen“ Berei-che zu unlauteren Mitteln. Wo endet die wertschätzende Pflege von Beziehungen, die durch eine Einladung zum Abendessen oder ein Weihnachtsgeschenk zum Ausdruck gebracht wird, und wo beginnt die unlautere Vorteilsannahme? Wie weit soll leistungs-orientierte Bezahlung hohes Engagement belohnen, und wo beginnt unzumutbarer Leis-tungsdruck? Wo dienen Kostensenkungen der Überlebensfähigkeit von Unternehmen im internationalen Wettbewerb, und wo entstehen durch billige Produkte Risiken für Verbraucher oder Umwelt?Nein, der Zweck heiligt nicht jedes Mittel. Doch die Abwägung in jedem Einzelfall kann schwierig sein, denn häufig entscheiden Manager nicht zwischen Schwarz und Weiß, sondern zwischen unterschiedlichen Grautönen. Wer erfolgreich in dynamischen Märk-ten führen will und gleichzeitig mit seinem eigenen Gewissen im Einklang leben möch-te, braucht eine solide Werteorientierung. Für die Auswahl der situativ angemessenen Mittel gibt es kein standardisiertes Erfolgsrezept. Das eigene Gewissen kann eine gute Kontrollinstanz sein. Fragen Sie sich im konkreten Einzelfall: „Wie würde ich einem achtjährigen Kind mein Verhalten erklären? Und was würde es von diesem Vorgehen halten?“ Zum Streben nach anständigem Verhalten gehört auch das Ringen um Prinzipien im beruflichen Umfeld. Dazu ist stets ein intensiver Dialog zwischen Führungskräften not-wendig. Wofür steht unser Unternehmen? Und wofür stehe ich ein? Erst wenn die Füh-rungskräfte eines Unternehmens ein gemeinsames, lebendiges Werteverständnis erar-beitet haben, können sie ihr Verhalten an diesen Prinzipien ausrichten. Ansonsten bleibt werteorientiertes Verhalten ein persönliches Thema.

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1.4 Manager als Beruf für Millionen  5

■■ 1.4■ Manager als Beruf für Millionen

Manager ist ein relativ junger Beruf. Erst mit Beginn der Industrialisierung wurden wirtschaftlich tätige Organisationen geschaffen, die eine besondere Führungsleistung zur Bewältigung der komplexen Arbeitsabläufe und Strukturen, in denen viele Men-schen angestimmt arbeiten sollten, benötigten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren solche Unternehmen noch von „Unternehmern“ geprägt. Ihnen gehörte das Unterneh-men und sie übernahmen selbst die Führung. Oft hatten sie besonderes Fachwissen und trieben die technische Entwicklung neuer Produkte voran. In der Produktion wurde durch erfahrene Vorarbeiter und Meister operativ geführt. Zunächst waren nur wenige mittlere Führungspositionen zu besetzen.In der Mitte des 20. Jahrhunderts veränderte sich die Wirtschaft. Um rasch Wachstums-märkte zu erschließen, gewann die Kapitalbeschaffung über Aktienmärkte an Bedeu-tung. Die klassischen Unternehmer gaben die Führung ihrer Unternehmen an nachfol-gende Generationen oder professionelle Manager ab. Heute wird der überwiegende Anteil von Führungsleistung durch angestellte Manager erbracht.Das Berufsbild des Managers durchlief in den letzten zwei Jahrzehnten eine besonders rasante Entwicklung. Wirtschaftliche Absatz- und Beschaffungsmärkte wurden immer internationaler. Dabei wurden politische Staatsgrenzen durchlässiger und Handelsbar-rieren verschwanden innerhalb von Europa nahezu in Gänze. Durch technische Ent-wicklungen wie dem Internet entstand eine grenzenlose Kommunikationsfähigkeit rund um die Welt. Information wurde vom knappen Gut zu einem im Überfluss vorhan-denen Gut. Gleichzeitig wuchs die Bevölkerung der Erde auf 6,9 Milliarden Menschen an (→ UNO, 2008). Dies entspricht einer Verdopplung in nur 40 Jahren. Damit wuchsen Märkte und es verschoben sich politische Machtstrukturen. Die Sowjetunion zerbrach, und China öffnete seine Tore.Obschon der Managementberuf in den letzten Jahrzehnten immer anspruchsvoller ge-worden ist, muss er als Massenberuf angesehen werden, denn in Deutschland gibt es schätzungsweise vier Millionen Manager. Eine genaue Zahl erhebt das Statistische Bun-desamt nicht. Nach seinen Statistiken gab es am 31.12.2010 in Deutschland 40 Millio-nen Erwerbstätige (→ Statistisches Bundesamt, 2010). Die Aufstellung nach Berufen weist beispielsweise 150.000 Rechtsanwälte, 270.000 Ärzte und 660.000 Elektriker (alle Elektroberufe zusammengefasst) aus.Dass das Statistische Bundesamt keine Angaben über die Anzahl von Managern macht, mag auf den ersten Blick verwundern, ist jedoch leicht zu erklären. Manager ist kein Ausbildungsberuf in Deutschland. Zwar gibt es festgelegte und anerkannte Ausbildun-gen für Rechtsanwälte, Ärzte und Elektriker sowie rund 100 Handwerksberufe; eine festgelegte Ausbildung zum Manager gibt es jedoch nicht.Eine Abschätzung der Anzahl von Managern ist relativ einfach: Nimmt man eine Füh-rungsspanne von 1:10 an, die bedeutet, dass jeweils zehn Mitarbeiter von einer Füh-rungskraft geführt werden, und legt man 40 Millionen Erwerbstätige zugrunde, so erge-ben sich vier Millionen Manager. Da die tatsächliche Führungsspanne eher niedriger

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liegen dürfte, sprechen einige Veröffentlichungen sogar von fünf Millionen Managern. Damit zählt der Managementberuf zu den häufigsten Berufen in Deutschland.In nur einem Jahrhundert entstand ein neuer Massenberuf, der sich in den letzten Jahr-zehnten inhaltlich stark verändert hat. Da eine geregelte Ausbildung für diesen Beruf in Deutschland fehlt, nutzen Manager eine breite Vielfalt von Managementkonzepten, die in unterschiedlicher Form gelehrt werden. Teilaspekte des Managements werden an verschiedenen Fakultäten von Universitäten und Hochschulen gelehrt. Manches Kon-zept mag in der Vergangenheit wirksam gewesen sein, bietet aber in Gegenwart und Zukunft nur eine unzureichende Hilfestellung, denn Umwelt und Märkte verändern sich.

■■ 1.5■ Mit der Komplexität umgehen: Systemisches Management

Die Lehre von systemischem Management entstand in den 1960er Jahren. Sie wurde in den Zeiten großen wirtschaftlichen Wachstums zunächst von amerikanisch geprägten und kapitalorientierten Konzepten verdrängt. Heute erlebt das systemische Manage-ment eine Wiedergeburt, denn es bietet Lösungen für die realen Probleme des komple-xen wirtschaftlichen Lebens an.

Beispiel: Pflegedienstleistungen

Die Pflege von bedürftigen Menschen hat sich in Deutschland von einer familiären Auf-gabe zu einer gesellschaftlichen Herausforderung entwickelt. Das Statistische Bundes-amt erfasste im Jahr 2010 über 2,3 Millionen pflegebedürftige Menschen (→ Statistisches Bundesamt, 2010). Wiederholt werden Pflegemissstände, eine Unterfinanzierung und unzureichende Rahmenbedingungen beklagt, einige Experten sprechen offen vom Pfle-genotstand.In diesem schwierigen Umfeld erbringt das Unternehmen Domino World seine stationä-ren und ambulanten Pflegedienstleistungen in mehreren Einrichtungen rund um Berlin. Täglich werden ca. 1.200 Menschen von rund 500 Mitarbeitern gepflegt (→ domino world, 2011). Domino World hat sich zu einem exzellenten Unternehmen mit herausragenden Leistungen und Ergebnissen entwickelt: � Exzellente Kundenzufriedenheit bestätigen die gepflegten Menschen und deren Ange-hörige. So gewann Domino World 2010 zum dritten Mal in Folge die Auszeichnung „Deutschlands Kundenchampion“.

� Das Unternehmen wächst, ist finanziell gesund und erwirtschaftet eine Umsatzrenta-bilität, die nach eigenen Angaben konstant weit über dem Branchendurchschnitt liegt.

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� Seine Mitarbeiter zeigen sehr hohes Engagement und außergewöhnliche Loyalität zu Domino World. Am 24. Februar 2010 wurde Domino World als bester Arbeitgeber Deutschlands ausgezeichnet.

� Das Unternehmen genießt hohes Ansehen in seinem gesellschaftlichen Umfeld. Es hat Maßstäbe in der Gesundheitsbranche gesetzt.

Wie sind diese Erfolge möglich? Durch systemisches Management.Der Geschäftsführer Lutz Kanauchow hat mit Leidenschaft und Disziplin ein einzigarti-ges Unternehmen aufgebaut. Er beherrscht systemisches Management und lebt es in beeindruckender Weise vor. Zu seiner Unternehmensphilosophie sagt er: „Unser eige-nes Führungsmodell, der domino-Führungszirkel, gibt unseren Führungskräften die Ori-entierung und das Rüstzeug, damit es ihnen gelingt, die Herzen und den Verstand ihrer Mitarbeiter zu gewinnen. Wir betrachten unser Unternehmen als ein mehrdimensiona-les, lebendes System, in dem alle Teile in einem harmonischen Gleichgewicht stehen sollten. Einseitiges Denken und kurzfristiges Handeln hat, auf lange Sicht gesehen, selten Erfolg. Ganzheitlichkeit und Nachhaltigkeit sind wichtiger als schnelle und spek-takuläre Erfolge.“ (→ domino world, 2011)

Manager können von Lutz Kanauchow lernen. Um auch in Zukunft erfolgreich zu sein, brauchen Manager ein gutes Verständnis von komplexen Systemen und passenden Steuerungsprozessen. Sie brauchen die Fähigkeit, systemisch zu führen. Das heißt, sie müssen in der Lage sein, als steuerndes Element innerhalb eines Systems zu wirken und als gestaltendes Element Systeme quasi von außen zu beeinflussen. Dabei können Manager komplexe Situationen nicht mehr beherrschen, sie führen vielmehr durch ziel-gerichtete Maßnahmen auf verschiedenen Systemebenen mit möglichst kurzen Rück-kopplungsschleifen.Während früher oft von systematischem, also planvollem Vorgehen gesprochen wurde, brauchen Manager heute ein ganzheitliches Verständnis vom Funktionieren von Syste-men und ihrer eigenen Rolle als führendes, leitendes oder steuerndes Element. Dieses systemische Management gibt Raum für die reale Komplexität wirtschaftlichen Lebens, und es verlangt von Managern einen Einklang von Führungsleistung und Persönlich-keit. Deshalb werden in diesem Buch die Begriffe Manager, Führungskraft und Leitung im Kontext von Organisationen synonym verwendet. Eine Differenzierung zwischen Ma-nagement, Führung und Leitung mag semantisch interessant sein, führt jedoch nicht zu neuen Erkenntnissen oder sinnvollen Unterscheidungen. Die im englischen Sprach-raum viel bemühte Debatte um Management und Leadership dient meist nur der Ab-grenzung von guter und schlechter Führungsleistung. Erfolgreiches Management in ei-nem systemischen Kontext sollte das klassische Verständnis von Führung, Leitung und Steuerung einschließen. Viele Managementkonzepte bieten scheinbar einfache Modelle an, mit denen Manager die reale Komplexität bewältigen sollen. Dies birgt das Risiko, wichtige Aspekte auf dem Altar der Einfachheit zu opfern. So sind Konzepte wie Shareholder-Value (nur der Akti-enkurs ist wichtig) oder Management by Objectives (wenn die Ziele klar sind, läuft alles von selbst) entstanden. Sie werden teilweise immer noch gelehrt, obwohl sie ihre be-

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grenzte Praxistauglichkeit in zahllosen Unternehmenskrisen und Pleiten offensichtlich unter Beweis gestellt haben.Nein, die Lösung liegt nicht in der Vereinfachung, auch wenn dies ein natürliches menschliches Bestreben ist. Manager müssen Komplexität wahrnehmen und anneh-men. Manager der Zukunft sind keine Herrscher, die anweisen und allein über richtig und falsch entscheiden. Sie sind vielmehr überzeugende Persönlichkeiten, die Men-schen in Organisationen und in einer sich verändernden Umwelt zielgerichtet und wir-kungsvoll führen. Sie nutzen ihren Einfluss und kennen ihre Grenzen.Dabei sind die Grundsätze und Prinzipien, die für Systeme und Organisationen gelten, immer gleich. Sie gelten für eine kleine Gruppe von Mitarbeitern ebenso wie für große Abteilungen und international agierende Konzerne. Sie gelten für produzierende Wirt-schaftsunternehmen und Dienstleister ebenso wie für gemeinnützige Vereine und sozi-ale Einrichtungen. Management findet immer in Organisationen statt. Denn erst das zielgerichtete Arbeiten mehrerer Einzelpersonen innerhalb einer Gruppe erzeugt die Notwendigkeit von Führung. Wo nur eine Einzelperson selbständig und unabhängig arbeitet, ist Management nicht notwendig, sondern nur ein gewisses Maß an Selbstfüh-rung.

Systemisches Management unterscheidet sich von traditionellem ManagementOrganisationen sind Systeme, die in einer offenen Wechselwirkung zu ihrem Umfeld stehen. Deshalb sind alle Modelle, die eine wirtschaftliche Organisation als geschlosse-nes System betrachten, fehlerbehaftet. Sie mögen zwar einfach sein, bilden die reale Komplexität jedoch nicht ab. Erst durch die Wechselwirkung zu Kunden und Märkten kann eine Organisation ihren Existenzzweck mit Leben erfüllen (Tabelle 1). Die reale Komplexität darf nicht ignoriert werden, denn begrenzte Führungskonzepte verhelfen nur zu begrenztem Erfolg – oft mit schmerzhaften Nebenwirkungen. Nachhaltiger Er-folg braucht immer den Blick für das Ganze.

Tabelle 1 Vergleich systemisches und traditionelles Management

Traditionelles Management Systemisches Management

Organisation

Markt und Umwelt

Organisation

Markt und Umwelt

Organisation als in sich geschlossenes System mit kontrollierten Schnittstellen zur Marktumgebung

Organisation als offenes System mit viel-fältigen, dynamischen Wechselwirkungen zu Markt und Umwelt

Streben nach Erfolg durch Wachstum Streben nach Erfolg durch Veränderung

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Traditionelles Management Systemisches ManagementStabile, beherrschte Geschäftsprozesse Dynamische, steuerbare GeschäftsprozesseLineare Ursache-Wirkung-Zusammenhänge Komplexe Wechselwirkungen von Ursachen

und WirkungenStreben nach dem Optimum, der besten Lö-sung

Streben nach guten Lösungen mit fortwäh-rendem Lernen

Organisation schützt sich vor Veränderun-gen im Umfeld (Bedrohung der eigenen Sta-bilität)

Organisation öffnet sich den Veränderungen im Umfeld (Chance für neuen Erfolg)

Während im traditionellen Management angestrebt wird, Prozesse zu stabilisieren und zu beherrschen, akzeptiert das systemische Management Veränderungen als natürli-ches Phänomen. Folglich dürfen sich auch Prozesse fortwährend verändern und anpas-sen. Hier reicht es aus, steuernd auf Prozesse einwirken zu können; eine Beherrschung wird nicht angestrebt.Da in der Realität komplexe Wechselwirkungen zwischen vielen Faktoren bestehen, sucht das systemische Management nicht nach einfachen Ursache-Wirkung-Verkettun-gen. In der realen Vielfalt der Zusammenhänge gibt es vielfältige Möglichkeiten und Lösungen. Während das traditionelle Management stets nach dem Optimum sucht, ak-zeptiert das systemische Management eine hinreichend gute Lösung, die sich ohnehin fortwährend weiterentwickelt. Systemisches Management lässt Vielfalt zu, ohne dabei beliebig zu werden.Systemische Führung muss nicht neu erfunden werden. Komplexe Systeme existieren bereits seit Jahrtausenden in der Natur. Auch in der Gesellschaft und der Technik gibt es komplexe Systeme, deren Steuerung beobachtet und gut beschrieben werden kann. Nicht zuletzt ist der Mensch selbst ein komplexes Lebewesen, das sich Zeit seines Le-bens steuert – und sich manchmal selbst nicht beherrschen kann.

Systemisches Management ist natürlichIn der Natur beobachten wir biologische Systeme, die oft in kreisläufigen Zusammen-hängen wirken, wie der natürliche Wasserkreislauf mit Verdunstung, Niederschlag und Speicherung. Lebende Organismen wie Pflanzen und Tiere sind teilweise hochkomplexe Gebilde, die sich seit Jahrtausenden den Veränderungen der Umwelt anpassen und überleben. Die Erforschung des menschlichen Steuerungssystems, des Gehirns, liefert heute erste Erkenntnisse über unsere eigene Steuerung und unsere Fähigkeit zur Selbst-führung.In der Gesellschaft können wir zahlreiche Systeme beobachten, die jeweils einem be-stimmten Zweck dienen. Sie alle funktionieren, wenn auch nicht immer zur vollen Zu-friedenheit aller Beteiligten. Das Gesundheitssystem sorgt für medizinische Leistungen für 82 Millionen Bundesbürger in Deutschland auf einem im weltweiten Vergleich ext-rem hohen Niveau. In diesem System arbeiten ca. 4,6 Millionen Menschen. Der jährliche finanzielle Gesamtaufwand liegt bei 280 Milliarden Euro (→ Bundesministerium für Ge-sundheit, 2010). In diesem System wirken Technik, Menschen, Kapital, Information und

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viele weitere Faktoren. Es beinhaltet Selbststeuerungsmechanismen und wird unter anderem vom Bundesministerium für Gesundheit geführt.In der Technik existieren leistungsfähige Maschinen, riesige Anlagen und Tausende von IT-Systemen. Sie alle koordinieren vielfältige Komponenten, haben Fähigkeiten zur Selbststeuerung sowie eine zweckorientierte Führung. Das Auto ist ein solches techni-sches System. Während der Fahrer das Fahrzeug führt, die Fahrtrichtung steuert und die Geschwindigkeit bestimmt, funktionieren zahlreiche Selbststeuerungskreise unbe-merkt im Hintergrund: Der Motor wird in Abhängigkeit der Temperatur gekühlt, das ABS-System verhindert blockierende Räder, das Automatikgetriebe wählt den passen-den Gang, und die Klimaanlage regelt die Innentemperatur im Fahrzeug.All diese technischen, biologischen und sozialen Systeme sind komplex, das heißt, sie verbinden vielfältige Komponenten, die miteinander in gegenseitigen Wechselwirkun-gen stehen. Sie alle haben die Fähigkeit zur Selbststeuerung, meist in Form von inneren, selbständigen Regelkreisen. Und sie alle haben eine „Zentrale“, die quasi von oben zweckorientiert steuert. Manchmal ist dieser Zweck das Überleben der eigenen Gattung, manchmal streben Systeme nach Wachstum und Fortkommen. Und nur wenn diese Sys-teme anpassungsfähig an Veränderungen ihrer Umwelt sind, können sie langfristig überleben. Von all diesen Systemen können Manager lernen, wie ein System und seine Steuerung funktionieren.

Systemisch führen – mit Herz und VerstandDoch systemisches Management erfordert mehr als Wissen von Systemen. Es erfordert auch, sich selbst als komplexes Individuum zu begreifen, dessen Persönlichkeit eine breite Vielfalt von Kenntnissen, Fähigkeiten, Erfahrungen, Eigenschaften, Emotionen und Überzeugungen hat. Auch das Zusammenwirken von Menschen kann systemisch beschrieben werden.Systemische Führung beginnt beim Manager selbst. Manager müssen die eigenen Kräf-te ganzheitlich einsetzen, um ihre Führungsfähigkeit zu entfalten. So besteht systemi-sches Management aus

� dem Wissen um das Funktionieren von Systemen, die mit ihrem Umfeld in einer kom-plexen Wechselwirkung stehen, � einer respektvollen Wahrnehmung von Menschen mit individuellen Eigenschaften, die in Systemen wirken, und � der Akzeptanz von Komplexität, die weit über eine lineare Ursache-Wirkung-Verket-tung hinausgeht.

Wer auch in Zukunft erfolgreich führen will, muss systemisches Management und ganz-heitliche Führung verstehen und leben können. Dies ist eine große Herausforderung auf einer wissenschaftlich-intellektuellen und einer menschlich-persönlichen Ebene. Doch wer sich entscheidet diesen anspruchsvollen und oft schwierigen Weg zu beschreiten, auf den warten Anerkennung, Respekt und Wertschätzung. Der Weg lohnt sich.

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Erkenntnisse in Kurzform

� Systemische Führung befähigt Manager zu nachhaltigem, echtem Erfolg. � Manager sind Führungskräfte. Sie verstehen, dass verschiedene Inter-essengruppen auf die Organisation wirken, sowohl von innen (Mitarbei-ter, Vorgesetzte, Besitzer u. a.) als auch von außen (Kunden, Staat, Ge-sellschaft u. a.). Dies erzeugt Komplexität von Erwartungen und Kräften.

� Eine Organisation ist ein offenes System, das mit seinem Umfeld in Wechselwirkung steht und so ständiger Veränderung ausgesetzt ist.

� Manager haben eine führende und steuernde Funktion innerhalb des Systems, d. h. innerhalb der Organisation. Sie können die komplexen Wechselwirkungen zwar nicht beherrschen, dennoch sind sie für die Er-gebnisse, die durch die Organisation erzeugt werden, verantwortlich. Sie sind auch für die eingesetzten Methoden verantwortlich.

� Manager führen mit der ganzen Vielfalt ihrer Persönlichkeit. Dies schließt Wissen, Fähigkeiten, Erfahrungen, Eigenschaften, Emotionen und Überzeugungen ein. Mit Methoden aus einem systemischen Ma-nagementverständnis können sie in einer komplexen Welt nachhaltig erfolgreich führen.

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