Wirksame orale Immuntherapie bei Erdnussallergie; Effective oral immunotherapy for peanut allergy;

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Hautarzt 2014 · 65:351–352 DOI 10.1007/s00105-014-2788-1 Online publiziert: 23. März 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 A.S. Yazdi Universitäts-Hautklinik, Tübingen Wirksame orale  Immuntherapie bei  Erdnussallergie Bei den Nahrungsmittelunverträglich- keiten wird eine nichtimmunologisch bedingte Nahrungsmittelintoleranz von einer immunologisch vermittelten Nah- rungsmittelallergie abgegrenzt. Ein typi- sches Beispiel einer Nahrungsmittelinto- leranz ist die Laktoseintoleranz, bei der der enzymatische Umbau der Laktose ge- stört ist. Bei den Nahrungsmittelallergien werden neben Spätreaktionen wie Ver- schlechterung eines atopischen Ekzems durch definierte Lebensmittel bzw. Aller- gene IgE-vermittelte Soforttypreaktionen beobachtet. Diese sind oft bereits durch geringe Allergenmengen auslösbar, und die spezifisch gegen das Allergen gerich- tete Reaktion ist reproduzierbar. Die Angaben zur Prävalenz der Nah- rungsmittelallergie divergieren stark. Ak- tuell wird von einer Prävalenz von ca. 3% über alle Altersgruppen ausgegangen [3]. Die klinische Präsentation ist ebenfalls sehr variabel und kann unterschiedli- che Organsysteme betreffen. Am häufigs- ten wird die Haut im Sinne einer Urtika- ria bzw. eines Angioödems betroffen, aber auch die Atemwege und der Gastrointesti- naltrakt können betroffen sein. In beson- ders schweren Fällen kommt es zu einer Herz-Kreislauf-Reaktion im Rahmen der Anaphylaxie. Häufige Auslöser einer Nah- rungsmittelallergie sind Kuhmilch, Hüh- nerei, Erdnuss, Fisch, Weizen oder Soja. Aufgrund der physikochemischen Eigenschaft der Allergene werden Nah- rungsmittelallergien in 2 Klassen unter- teilt. Hitzestabile Allergene, wie z. B. Kuh- milch, Hühnerei oder Erdnuss, können oft zu schweren anaphylaktischen Reaktio- nen führen und werden meist bereits im Kindesalter klinisch apparent, während die Nahrungsmittelallergien der Klasse 2 sich erst im frühen Erwachsenenalter ma- nifestieren. Die meist hitzelabilen Allerge- ne, wie z. B. Äpfel, Steinobst oder Gewür- ze, führen hier zu einem oralen Allergen- syndrom mit Juckreiz und Ödem im Be- reich der Kontaktstelle zum Allergen. Bei den Klasse-1-Allergenen werden sowohl Sensibilisierung als auch Symptomauslö- sung meistens durch die orale Aufnahme des Allergens induziert, während die Al- lergene, die Klasse-2-Nahrungsmittelall- ergien hervorrufen, pollenassoziiert sind [2]. So findet z. B. durch Birken- oder Bei- fußpollen eine Sensibilisierung über den Respirationstrakt statt. Die Erdnussallergie zählt zu den Klas- se-1-IgE-vermittelten Nahrungsmittelall- ergien und betrifft etwa 1% aller Kinder [4]. Schwere Anaphylaxien sind jedoch häufig, sodass die Erdnussallergie zu den gefährlichsten Nahrungsmittelallergien überhaupt zählt. Die Therapie allergischer Reaktio- nen besteht immer in einer strikten All- ergenkarenz. Jedoch kann es durch ver- steckte Erdnussspuren oder auch bei Kin- dern durch Unachtsamkeit zu einer gra- vierenden akzidentellen Exposition mit Erdnüssen kommen, sodass die Aller- genmeidung erschwert ist. Bei Aeroaller- genen oder Hymenopterenallergie steht neben der Allergenkarenz eine allergen- spezifische Immuntherapie (SIT) als The- rapieoption zur Verfügung. Hier werden entweder subkutan oder sublingual (z. B. bei Gräserpollenallergie) Allergenextrak- te appliziert, um so eine immunologische Toleranz zu bewirken. Auch bei Lebensmittelallergien wur- den bereits kleine Studien zur Wirksam- keit einer oralen Immuntherapie durch- geführt. Die hier diskutierte Studie [1] ist eine Phase-II-Folgestudie einer kleinen Phase-I-Studie der identischen Arbeits- gruppe. In der Cross-over-Studie wur- den 104 Kinder zwischen 7 und 16 Jahren untersucht. Einschlusskriterien waren das anamnestische Vorliegen einer Erdnuss- anaphylaxie, ein positiver Pricktest auf Erdnuss und eine allergische Reaktion in einer doppelblind durchgeführten pla- cebokontrollierten oralen Provokation (DBPCFC) mit Erdnuss. In dieser re- agierten 5 Kinder nicht. Daher wurden 49 Kinder und Jugendliche einer oralen Immuntherapie mit Erdnussmehl unter- zogen, während 50 Kinder als Kontroll- gruppe Placebo erhielten. Die beiden Gruppen wurden bezüglich Geschlecht, Alter, vertragener Dosis an Erdnuss in der DBPCFC, erdnussspezifischem IgE und Grad der anaphylaktischen Reaktion gleich verteilt, um diese Parameter als ursächlich zum Studienausgang auszu- schließen. Die tägliche Menge Erdnuss- mehl wurde innerhalb von 2 Wochen von initial 2 mg auf 800 mg/Tag aufdosiert, um dann diese Zieldosis über 24 Wochen täglich einzunehmen. Die Aufdosierung Originalpublikation Anagnostou K, Islam S, King Y et al (2014)  Assessing the efficacy of oral immunotherapy  for the desensitisation of peanut allergy in  children (STOP II): a phase 2 randomised con- trolled trial. Lancet [Epub ahead of print] 351 Der Hautarzt 4 · 2014| Journal Club

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Hautarzt 2014 · 65:351–352DOI 10.1007/s00105-014-2788-1Online publiziert: 23. März 2014© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

A.S. YazdiUniversitäts-Hautklinik, Tübingen

Wirksame orale Immuntherapie bei Erdnussallergie

Bei den Nahrungsmittelunverträglich-keiten wird eine nichtimmunologisch bedingte Nahrungsmittelintoleranz von einer immunologisch vermittelten Nah-rungsmittelallergie abgegrenzt. Ein typi-sches Beispiel einer Nahrungsmittelinto-leranz ist die Laktoseintoleranz, bei der der enzymatische Umbau der Laktose ge-stört ist.

Bei den Nahrungsmittelallergien werden neben Spätreaktionen wie Ver-schlechterung eines atopischen Ekzems durch definierte Lebensmittel bzw. Aller-gene IgE-vermittelte Soforttypreaktionen beobachtet. Diese sind oft bereits durch geringe Allergenmengen auslösbar, und die spezifisch gegen das Allergen gerich-tete Reaktion ist reproduzierbar.

Die Angaben zur Prävalenz der Nah-rungsmittelallergie divergieren stark. Ak-tuell wird von einer Prävalenz von ca. 3% über alle Altersgruppen ausgegangen [3]. Die klinische Präsentation ist ebenfalls sehr variabel und kann unterschiedli-che Organsysteme betreffen. Am häufigs-ten wird die Haut im Sinne einer Urtika-ria bzw. eines Angioödems betroffen, aber auch die Atemwege und der Gastrointesti-naltrakt können betroffen sein. In beson-ders schweren Fällen kommt es zu einer Herz-Kreislauf-Reaktion im Rahmen der Anaphylaxie. Häufige Auslöser einer Nah-

rungsmittelallergie sind Kuhmilch, Hüh-nerei, Erdnuss, Fisch, Weizen oder Soja.

Aufgrund der physikochemischen Eigenschaft der Allergene werden Nah-rungsmittelallergien in 2 Klassen unter-teilt. Hitzestabile Allergene, wie z. B. Kuh-milch, Hühnerei oder Erdnuss, können oft zu schweren anaphylaktischen Reaktio-nen führen und werden meist bereits im Kindesalter klinisch apparent, während die Nahrungsmittelallergien der Klasse 2 sich erst im frühen Erwachsenenalter ma-nifestieren. Die meist hitzelabilen Allerge-ne, wie z. B. Äpfel, Steinobst oder Gewür-ze, führen hier zu einem oralen Allergen-syndrom mit Juckreiz und Ödem im Be-reich der Kontaktstelle zum Allergen. Bei den Klasse-1-Allergenen werden sowohl Sensibilisierung als auch Symptomauslö-sung meistens durch die orale Aufnahme des Allergens induziert, während die Al-lergene, die Klasse-2-Nahrungsmittelall-ergien hervorrufen, pollenassoziiert sind [2]. So findet z. B. durch Birken- oder Bei-fußpollen eine Sensibilisierung über den Respirationstrakt statt.

Die Erdnussallergie zählt zu den Klas-se-1-IgE-vermittelten Nahrungsmittelall-ergien und betrifft etwa 1% aller Kinder [4]. Schwere Anaphylaxien sind jedoch häufig, sodass die Erdnussallergie zu den gefährlichsten Nahrungsmittelallergien überhaupt zählt.

Die Therapie allergischer Reaktio-nen besteht immer in einer strikten All-ergenkarenz. Jedoch kann es durch ver-steckte Erdnussspuren oder auch bei Kin-dern durch Unachtsamkeit zu einer gra-vierenden akzidentellen Exposition mit Erdnüssen kommen, sodass die Aller-

genmeidung erschwert ist. Bei Aeroaller-genen oder Hymenopterenallergie steht neben der Allergenkarenz eine allergen-spezifische Immuntherapie (SIT) als The-rapieoption zur Verfügung. Hier werden entweder subkutan oder sublingual (z. B. bei Gräserpollenallergie) Allergenextrak-te appliziert, um so eine immunologische Toleranz zu bewirken.

Auch bei Lebensmittelallergien wur-den bereits kleine Studien zur Wirksam-keit einer oralen Immuntherapie durch-geführt. Die hier diskutierte Studie [1] ist eine Phase-II-Folgestudie einer kleinen Phase-I-Studie der identischen Arbeits-gruppe. In der Cross-over-Studie wur-den 104 Kinder zwischen 7 und 16 Jahren untersucht. Einschlusskriterien waren das anamnestische Vorliegen einer Erdnuss- anaphylaxie, ein positiver Pricktest auf Erdnuss und eine allergische Reaktion in einer doppelblind durchgeführten pla-cebokontrollierten oralen Provokation (DBPCFC) mit Erdnuss. In dieser re-agierten 5 Kinder nicht. Daher wurden 49 Kinder und Jugendliche einer oralen Immuntherapie mit Erdnussmehl unter-zogen, während 50 Kinder als Kontroll-gruppe Placebo erhielten. Die beiden Gruppen wurden bezüglich Geschlecht, Alter, vertragener Dosis an Erdnuss in der DBPCFC, erdnussspezifischem IgE und Grad der anaphylaktischen Reaktion gleich verteilt, um diese Parameter als ursächlich zum Studienausgang auszu-schließen. Die tägliche Menge Erdnuss-mehl wurde innerhalb von 2 Wochen von initial 2 mg auf 800 mg/Tag aufdosiert, um dann diese Zieldosis über 24 Wochen täglich einzunehmen. Die Aufdosierung

Originalpublikation

Anagnostou K, Islam S, King Y et al (2014) Assessing the efficacy of oral immunotherapy for the desensitisation of peanut allergy in children (STOP II): a phase 2 randomised con-trolled trial. Lancet [Epub ahead of print]

351Der Hautarzt 4 · 2014  | 

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fand ambulant mit 2-stündiger ärztlicher Nachbeobachtung statt. Nach erreichter Dosis wurde das Mehl zu Hause konsu-miert mit dem Hinweis, auf Kofaktoren wie sportliche Aktivität im zeitlichen Zu-sammenhang zur Einnahme zu verzich-ten.

Das Hauptziel der Studie war die ver-tragene DBPCFC mit Erdnüssen unter oraler Immuntherapie. Als zu vertragen-de Dosis wurden 1400 mg Erdnussprotein definiert, entsprechend ca. 10 Erdnüssen. Durch eine langsame Titration der Ge-samtdosis in Einzeldosen von 5–1000 mg, kombiniert mit Placebogaben, wurde so auch ein Schwellenwert der Verträglich-keit von Erdnüssen vor und während der Immunisierung ermittelt. Ausgewertete Nebenkriterien waren die Verträglichkeit der Desensibilisierungsdosis von 800 mg, entsprechend 5 Erdnüssen, die Verbes-serung der Lebensqualität und die Aus-wertung immunologischer Tests wie des Pricktests, des spezifischen IgE-Wertes und des Basophilenaktivierungstests.

Während der Einleitungsphase zogen 6 Kinder der Studiengruppe und 4 Kinder der Kontrollgruppe ihre Teilnahme an der Studie zurück, 4 weitere Studiengruppen-teilnehmer erreichten nicht die angestreb-te Zieldosis von 800 mg Erdnussmehl, so-dass 39 Patienten der Studiengruppe aus-gewertet werden konnten. Im Rahmen der Exposition mit 1400 mg Erdnusspro-tein reagierten in der Placebogruppe al-le 46 Teilnehmer. In der behandelten Ko-horte tolerierten jedoch 62% (24 von 39) der Jugendlichen die orale Einnahme von Erdnussprotein, die im Vorfeld, also vor Beginn der Immuntherapie, nicht vertra-gen wurde. Somit wurde die Haupthypo-these der Studie, nämlich die vertrage-ne Exposition unter oraler Immunthera-pie, in 62% der Fälle bestätigt. Ein weite-rer Endpunkt der Studie war die Bestim-mung der höchsten tolerierten Dosis an Erdnussprotein. Dieser Wert ist von klini-scher Bedeutung, da er vor kleinen Men-gen an Allergen schützen könnte, denn Erdnuss wird auch akzidentell konsumiert und kann so zu höhergradigen Anaphyla-xien führen. In der Kontrollgruppe lag der Median der vertragenen Dosis bei 5 mg, während die immunisierte Studiengrup-pe im Median 1400 mg Protein ohne Pro-bleme konsumieren konnte.

Im zweiten Studienabschnitt, der Cross-over-Phase, wurden die Patien-ten aus der Kontrollgruppe mit täglich 800 mg Erdnussmehl therapiert. Auch hier konnten 91% der Kinder 800 mg Erdnussmehl tolerieren, sodass auch die-se Gruppe eine Verträglichkeit von ca. 5 Erdnüssen erreichte.

Neben der Effektivität ist vor allem die Sicherheit einer Therapie entscheidend. Am häufigsten trat ein oraler Juckreiz durch direkten Kontakt mit Erdnussmehl auf. Asthmatische Beschwerden wurden ebenfalls häufig beobachtet, die aber bei der Mehrzahl der Patienten durch Inha-lation eines β2-Sympathomimetikums kontrolliert wurden, lediglich ein Patient musste seinen Adrenalinautoinjektor als Notfallset anwenden.

Zusammenfassend bietet die orale Im-muntherapie mit täglich 800 mg Erdnuss in bis zu 91% der Behandelten einen Schutz vor dem Konsum von bis zu 5 Erdnüssen. Dieser Schutz vor einer akzidentellen Ex-position spiegelt sich auch in einer erhöh-ten Lebensqualität wider, denn die Betrof-fenen können durch die Immuntherapie bedenkenloser essen und sind so im So-zialleben weniger eingeschränkt.

Die Autoren diskutieren aber auch die Probleme der Studie, denn 10% aller Stu-dienteilnehmer brachen die Studie ab, und die Zieldosis von 800 mg Erdnuss pro Tag war im Vergleich zu kleineren Vorgängerstudien niedrig gewählt. Fer-ner wurde die orale Provokation während der Immuntherapie durchgeführt, sodass die Beurteilung der Langzeitwirkung und des Effektes über den Zeitraum der ora-len Immuntherapie hinaus keine Berück-sichtigung fand. Auch die Compliance der Kinder oder das Auftreten eine Infek-tes als Kofaktor kann langfristig ein Pro-blem darstellen, da eine Pausierung der täglichen Gabe oder eine veränderte Al-lergenschwelle aufgrund von Kofaktoren wie Infekten, Sport oder anderen Medika-menten die Wirkung und das Risiko der Therapie ändern können.

Fazit für die Praxis

FDie orale Immuntherapie stellt eine Hoffnung für hochgradig sensibi-lisierte Erdnussallergiker dar und 

könnte vor versteckten Erdnussspu-ren schützen.

FGrößere Studien sind aber erforder-lich, um die Sicherheit der Therapie zu gewährleisten.

Korrespondenzadresse

PD Dr. A.S. YazdiUniversitäts-HautklinikLiebermeisterstr. 25, 72076 Tü[email protected]

Interessenkonflikt.  A.S. Yazdi gibt an, dass kein Inter-essenkonflikt besteht.

Literatur

1.  Anagnostou K, Islam S, King Y et al (2014) Asses-sing the efficacy of oral immunotherapy for the desensitisation of peanut allergy in children (STOP II): a phase 2 randomised controlled trial. Lancet [Epub ahead of print]

2.  Kleine-Tebbe J, Herold DA (2003) Cross-reactive  allergen clusters in pollen-associated food allergy. Hautarzt 54:130–137

3.  Rona RJ, Keil T, Summers C et al (2007) The preva-lence of food allergy: a meta-analysis. J Allergy Clin Immunol 120:638–646

4.  Venter C, Hasan Arshad S, Grundy J et al (2010)  Time trends in the prevalence of peanut allergy: three cohorts of children from the same geogra-phical location in the UK. Allergy 65:103–108

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DossierAllergien in der KindheitSCIT, SLIT oder Gräsertablette – was hilft Kindern am besten? Kann man gegen Erdnuss oral hyposensibilisieren? Welche Tests verraten die Nahrungsmittel­allergie zuverlässig? Die Ant­worten und mehr liefert dieses Dossier!

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352 |  Der Hautarzt 4 · 2014

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