Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes ? Zur historischen Genese von (Teil-)Wissenschaft.

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Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes ? Zur historischen Genese von (Teil-)Wissenschaft

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Wissenschaftliche Revolutionen oder

Anything Goes

Zur historischen Genese von (Teil-)Wissenschaft

Sir Karl Popper (1902-1994)und die Logik der Forschung

Karl Popper hat in seiner Logik der Forschung (1935) ein Modell der Wissenschaftsentwicklung entworfen das von einer staumlndigen Verbesserung unseres Wissens durch empirische Forschung ausgeht

Dabei werden aus Theorien Hypothesen abgeleitet deren empirische Uumlberpruumlfung fuumlhrt zur Verbes-serung der Theorien im negativen Fall zur Einschraumlnkung ihres Geltungsbereiches oder gar zu ihrer Verwerfung

Wissenschaft fuumlhrt auf diese Weise zu einer kontinu-ierlichen Optimierung unseres Wissens

Kumulatives Wissenschaftsverstaumlndnis

Thomas Kuhns Modell der Entwicklungvon Wissenschaft(en)

Der Wissenschaftstheoretiker Thomas S Kuhn veroumlffentlichte 1962 ein Modell der Wissenschaftsentwicklung das davon ausgeht

1 dass es in den einzelnen Wissenschaften jeweils uumlber einen laumlngeren Zeitraum ein herrschendes Paradigma gibt und

2 das in unvorhersagbarer Weise in einer wissen-schaftlichen bdquoRevolutionldquo durch ein neues herr-schendes Paradigma abgeloumlst wird

Er widersprach damit Poppers Idee einer kontinuier-lichen Weiterentwicklung der Wissenschaft durch Wissenszuwachs

Revolutionaumlres Wissenschaftsverstaumlndnis

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

CREATION OF A NEW WORLDVIEW

Questioning of old knowledge amp assumptions

Gradual replacement of religious amp superstition presumptions

Gradual rise of science amp reason

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

NEW DIRECTIONS IN ASTRONOMY amp PHYSICS

PTOLEMY Geocentricism

NICOLAUS COPERNICUS (1473-1543) Heliocentrisim

TYCHO BRAHE (1546-1601) More accurate position of planets

JOHANNES KEPLER (1571-1630) Elliptical planetary movement

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

NEW DIRECTIONS IN ASTRONOMY amp PHYSICS

GALILEO GALILEI (1564-1642)

Constructed first telescope

Described motion of bodies on earth

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

NEW DIRECTIONS IN ASTRONOMY amp PHYSICS

ISAAC NEWTON (1642-1727)

Universal Gravitation combined laws of planetary amp earth motion

Numerous practical applications

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

DISCOVERIES IN OTHER SCIENCES

Botany new medical applications

Anatomy better understand of how human body worked

Microscope invented

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

PHILOSOPHICAL THOUGHT

FRANCIS BACON (1561-1626)

Inductive reasoning working from particular to general conclusions

Empiricism amp scientific method

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

PHILOSOPHICAL THOUGHT

RENEacute DESCARTES (1596-1650)

Geometry any algebraic formula could be plotted as curve in space

Cartesian Dualism division of reality into ldquothinking substancerdquo amp ldquoextended substancerdquo

Deductive Reasoning starting with general assumptions amp working downward

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

POLITICAL THOUGHT

THOMAS HOBBES (1588-1679)

Negative mechanistic view of human nature

Strong sovereign necessary to control conflicting desires

Hobbersquos Leviathan

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

POLITICAL THOUGHT

JOHN LOCKE (1632-1704)

TABULA RASA humans born with blank slate

Government amp public enter contract

Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)

Geboren CincinnatiOhio USA1948 Master Education amp History of Science in Harvard1949 Doktor der Physik Harvard University1956 University of California Berkeley1961 Professor History of Science Berkeley1979 Professor Philosophie und Wissenschaftsgeschichte MIT

Boston

Wesentlichste Arbeit bdquoThe Structure of Scientific Revolutionldquo 1962 Ca eine Millionen verkaufte Exemplare

Derzeit immer noch wichtigste und einflussreichste Theorie der Wissenschaftsgeschichte wegen der Einfuumlhrung der Begriffe Paradigma und Paradigmenwechsel

Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)

Generell verstehen wir unter einem Paradigma

ein Buumlndel von bull theoretischen Leitsaumltzenbull Fragestellungen bull Methoden zu ihrer Beantwortung

das das Vorgehen der Wissenschaftler in einer je bestimmten historischen Periode der Wissenschaftsentwicklung charakterisiert

Kuhn - Paradigma

Allgemeine Merkmale Beispiel Newtons Mechanik

Jedes Paradigma beinhaltet bestimmte theoretische Annahmen

Einen Bestand an methodischen Regeln

paradigmatische Anwendungen und

bdquoquasi-metaphysischeldquo Uumlberzeugun-gen (S 55)

Newtons drei Axiome und das Gravitationsgesetz

z B bdquoNewtons Prinzipldquo Physikalische Vorgaumlnge sind durch Differentialgleichungen zu beschreiben

Fallbeschleunigung (Galileis Gesetze) und die Planetenbahnen im Sonnensystem (Keplers Gesetze)

Der bdquoabsolute Raumldquo und die bdquoabsolute Zeitldquo

Quelle Lauth III Teil WissenschaftlicherFortschritt und der Wandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)

Nach Kuhn kann man ein Paradigma kennzeichnen 1048708 durch das was beobachtet und uumlberpruumlft wird 1048708 durch die Art der Fragen welche in Bezug auf ein

Thema gestellt werden und die gepruumlft werden sollen

1048708 danach wie diese Fragen gestellt werden sollen

1048708 dadurch wie die Ergebnisse der wissenschaft-lichen Untersuchung interpretiert werden sollen

Thomas Kuhn The Structure of Scientific Revolutions Chicago 1962

Merkmale von Paradigmen

Wissenschaftliche Paradigmen sindgekennzeichnet durch 1048708ein bestimmtes Menschenbild 1048708 eine bestimmte Auffassung vomForschungsgegenstand 1048708 daraus resultierende spezifischemethodische Praumlferenzen 1048708 ein bestimmtes Begriffsvokabular und 1048708 (in manchen Faumlllen) eine Traditionsbildunguumlber Lehrer-Schuumller-Verhaumlltnisse

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersichtbull F Muumlhlhoumllzer Thomas S Kuhn in J Nida-Ruumlmelin

(Hrsg) Philosophie der Gegenwart in Einzeldar-stellungen von Adorno bis vWright 2Aufl Stuttgart Kroumlner 1999 S 383 ff

bull Wolfgang Stegmuumlller Hauptstroumlmungen der Gegen-wartsphilosophie 8 Aufl Stuttgart Kroumlner 1987 Kap III

bull Paul Hoyningen-Huene Die Wissenschafts-philosophie Thomas S Kuhns Rekonstruktion und Grundlagenprobleme Braunschweig Vieweg 1989

Normale Wissenschaftund wissenschaftliche Paradigmen

Die bdquonormale Wissenschaftldquo ist nach Kuhn durch die Bindung an ein Paradigma gekennzeichnet

bdquoDie Physik des Aristoteles der Almagest des Ptolemaumlus Newtons Principia und Opticks Franklins Electricity Lavoisiers Chimie Lyells Geology ndash diese und viele andere Werke dienten indirekt eine Zeitlang dazu fuumlr nachfolgende Generationen von Fachleuten die anerkannten Probleme und Methoden eines Forschungsgebiets zu bestimmen Sie vermochten dies da sie zwei wesentliche Eigenschaften gemeinsam hatten Ihre Leistung war neuartig genug um eine bestaumlndige Gruppe von Anhaumlngern anzuziehen die ihre Wissenschaft bisher auf andere Art betrieben hatten und gleichzeitig war sie noch offen genug um der neuen Gruppe von Fachleuten alle moumlglichen ungeloumlsten Probleme zu stellen Leistungen mit diesen beiden Merkmalen werde ich von nun an als bdquoParadigmataldquo bezeichnen ein Ausdruck der eng mit dem der bdquonormalen Wissenschaftldquo zusammenhaumlngtldquo

Anomalien und die Krise der normalen Wissenschaft

Durch gehaumluftes Auftreten von bdquoAnomalienldquo entsteht eine Krise der normalen Wissenschaft

Definition Anomalien sind bdquoPhaumlnomen[e] auf welche[] das Paradigma den Forscher nicht vorbereitet hatteldquo (70) Die Veraumlnderung des wissenschaftlichen Weltbilds beginnt mit der Einsicht bdquodaszlig die Natur in irgendeiner Weise die von einem Paradigma erzeugten die normale Wissenschaft beherrschenden Erwartungen nicht erfuumlllt hatldquo (66) Mit anderen Worten Anomalien stehen in Widerspruch zu den Vorhersagen der Theorie sind also mit Mitteln des Paradigmas nicht erklaumlrbar

Anomalien als Ausloumlser von Krisen bdquoDa das Auftauchen neuer Theorien eine umfassende Paradigmazerstoumlrung und groumlszligere Verschiebungen in den Problemen und Verfahren der normalen Wissenschaft erfordert geht ihm im allgemeinen eine Periode ausgesprochener fachwissenschaftlicher Unsicherheit voraus Wie zu erwarten wird diese Unsicherheit durch das dauernde Unvermoumlgen erzeugt fuumlr die Raumltsel der normalen Wissenschaft die erwartete Aufloumlsung zu finden Das Versagen der vorhandenen Regeln leitet die Suche nach neuen einldquo(80)

Anomalien versus Falsifikationen

bull Anomalien fuumlhren nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der zugrunde liegenden Theoriebull Anomalien koumlnnen normalerweise im Rahmen des Paradigmas erklaumlrt oder aufgeloumlst werden Anomalien sind bdquonormalldquobull Erst eine Haumlufung von bdquohartnaumlckigenldquo Anomalien fuumlhrt zur Krise der normalen Wissenschaft und damit moumlglicherweise zu einer wissenschaftlichen Revolution

Wie reagieren Wissenschaftler auf das Auftreten von Anomalien bdquoEinen ebenso offenkundigen wie wichtigen Teil der Antwort koumlnnen wir finden indem wie erst einmal festhalten was Wissenschaftler niemals tun wenn sie mit Anomalien konfrontiert werden und seien diese noch so schwerwiegend und lang andauernd Wenn sie auch beginnen moumlgen den Glauben zu verlieren und an Alternativen zu denken so verwerfen sie doch nicht das Paradigma das sie in eine Krise hineingefuumlhrt hat Das heiszligt also sie behandeln die Anomalien nicht als Gegenbeispiele obwohl Anomalien im Vokabular der Wissenschaftstheorie genau das sindldquo (90)

Wissenschaftliche Revolutionen (1)

Definition Wissenschaftliche Revolutionen sind Vorgaumlnge die zu einer mehr oder weniger radikalen Korrektur des wissenschaftlichen Weltbilds fuumlhren

Beispiele

bull die kopernikanische Revolution (Uumlbergang vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild)

bull Darwins Evolutionslehre

bull Einsteins Theorie von Raum und Zeit

bull die Entstehung der Quantenphysik (Indeterminismus und Unschaumlrferelation)

Wissenschaftliche Revolutionen (2)

bull Bei einer wissenschaftlichen Revolution wird ein etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie ersetzt

bull Verschiedene Paradigmen sind nach Kuhn bdquoinkommensurabelldquo dh es gibt keine objektiven Kriterien die eine Entscheidung fuumlr das eine oder andere Paradigma begruumlnden koumlnnten

Begruumlndung Vertreter unterschiedlicher Paradigmen sprechen verschiedene Sprachen gehen von unterschiedlichen theoretischen Annahmen und methodologischen Regeln aus

bdquoWenn Paradigmata in eine Diskussion uumlber die Wahl von Paradigmata eingehen ndash und sie muumlssen es ja - dann ist ihre Rolle notwendigerweise zirkulaumlr Jede Gruppe verwendet ihr eigenes Paradigma zur Verteidigung eben dieses Paradigmasldquo (106) Die zentrale Konsequenz aus dieser Feststellung ist daszlig Konflikte zwischen konkurrierenden Theorien bdquoniemals durch Logik und Experiment allein eindeutig entschieden werdenldquo koumlnnen (107)

Struktur der Wissenschaftlichen Revolution

Vorparadigmatische PhaseNebeneinanderstehende lose definierte miteinander kon-

kurrierende Ansaumltze ohne Dominanz eines einzelnen Paradigmas

Paradigmatische PhaseDurchsetzung eines Ansatzes Ausgrenzung konkurrierender

Ansaumltze herrschendes Paradigma wird Bezugsrahmen fuumlr Forschung eines Fachs normgebend Phase kumulativer normalwissenschaftlicher Forschung

Kritische PhaseErschoumlpfung des dominierenden Paradigmas Haumlufung von Fehl-

schlaumlgen und Anomalien lassen Zweifel an Erklaumlrungskraft des Paradigma entstehen

Revolutionaumlre PhaseBreiter Aufstand gegen herrschendes Paradigma Suchen neuer

Wege Widerstand der Vertreter des alten Paradigmas Neue Paradigmatische PhaseWeder Verifikation noch Falsifikation sondern DimensionssprungWettstreit der Paradigmata wird nicht durch Beweise entschieden

sondern mittels Durchsetzungskraft

VORPARADIGMATISCHE PHASE

ENTSTEHUNG EINES NEUEN PARADIGMAS

bdquoNORMALE WISSENSCHAFTldquo

HAumlUFUNG VON ANOMALIEN

KRISE DER NORMALEN WISSENSCHAFT

WISSENSCHAFTLICHE REVOLUTION

Kuhn ndash Wissenschaftliche Revolutionen

Quelle LauthSareiter Wissenschaftliche Erkenntnis Paderborn 2002 S 123

Probleme von Kuhns Modell

Bei der Beurteilung von Kuhns Theorien ist zu unterscheiden zwischen wissenschaftshistorischen Fakten und wissenschaftstheoretischenSchlussfolgerungen

Das Hauptproblem

bull Der Wandel des wissenschaftlichen Weltbilds ist nach Kuhn nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren Es gibt keinen Erkenntnis-fortschritt nur eine neue Sicht der Dinge

bull Die Wissenschaftstheorie (Poppers Logik der Forschung) muumlsste nach Kuhn durch wissenschaftshistorische und ndashsoziologische Betrachtungen ersetzt werden

bull Kuhns Theorie laumlszligt wichtige Fragen offen (siehe naumlchste Folie)

Offene Fragen

bdquoInsbesondere liefert Kuhn keine plausible oder befriedigende Erklaumlrung fuumlr die Verdraumlngung eines etablierten Paradigmas und den bdquoSiegldquo des neuen Paradigmas uumlber seinen Vorgaumlnger Nach Kuhns Auffassung ist der Konflikt zwischen zwei rivalisierenden Paradigmen bdquoniemals durch Logik und Experiment alleineldquo zu entscheiden Das wuumlrde jedoch bedeuten daszlig der Theorienwandel in der Wissenschaft nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren ist sondern nur durch Rekurs auf wissenschaftshistorische oder -soziologische Phaumlnomene Aber was koumlnnten dann die Ursachen dafuumlr sein daszlig ein einmal etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie vollstaumlndig verdraumlngt und ersetzt werden kann Kuhns Hinweis darauf daszlig die Vertreter des alten Paradigmas im Lauf der Zeit einfach bdquoaussterbenldquo ist sicherlich zu einfach Warum gelingt es den Anhaumlngern des alten Paradigmas nicht neue Anhaumlnger unter dem wissenschaftlichen Nachwuchs zu rekrutieren Warum sollte nicht die Entstehung von neuen Theorien im Lauf der Zeit zu einer Pluralitaumlt von konkurrierenden Paradigmen oder Theorien fuumlhren von denen jede eine gewisse Anzahl von bdquoAnhaumlngernldquo um sich scharen kann Warum sind heute praktisch alle Physiker davon uumlberzeugt daszlig Einsteins Relativitaumlts-theorie eine bessere Beschreibung und Erklaumlrung der physikalischen Phaumlnomene liefert als die Newtonsche MechanikWarum glaubt heute niemand mehr an das geozentrische Weltbild eines Aristoteles oder Kopernikus Warum hat Darwins Evolutionstheorie alle biologischen Theorien die von einer Konstanz der Arten ausgehen erfolgreich verdraumlngen koumlnnen ldquo

(B Lauth J Sareiter Wissenschaftliche Erkenntnis S 135)

Literaturtipp

bull Bernhard Lauth J Sareiter Wissenschaft-liche Erkenntnis Eine ideengeschichtliche Einfuumlhrung in die Wissenschaftstheorie Paderborn Mentis-Verlag 2002

Methodische FolgerungenKuhn versus Popper

bdquoWenn eine wissenschaftliche Theorie einmal den Status eines Paradigmas erlangt hat wird sie nur dann fuumlr unguumlltig erklaumlrt wenn ein anderer Kandidat vorhanden ist der ihren Platz einnehmen kann Kein bisher durch das Studium der wissenschaftlichen Entwicklung aufgedeckter Prozeszlig hat irgendeine Aumlhnlichkeit mit der methodologischen Schablone der Falsifikation durch unmittelbaren Vergleich mit der Naturldquo (90)

bdquoZweifellos ist die der Falsifikation zugesprochene Rolle derjenigen sehr aumlhnlich welche dieser Essay den anomalen Erfahrungen beimiszligt also jenen Erfahrungen die eine Krise hervorrufen und dadurch den Weg fuumlr eine neue Theorie bereiten Trotzdem duumlrfen anomale Erfahrungen nicht mit falsifizierenden gleichgestellt werden Ich glaube sogar daszlig es letztere uumlberhaupt nicht gibtldquo (157)

Eine Gegenposition hat Imre Lakatos vertreten In seinem Essay uumlber die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme zeigt Lakatos dass die von Kuhn diagnostizierten Phaumlnomene auch im Rahmen der falsifikationistischen Methodik erklaumlrbar sind

Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos

Imre Lakatos (1922-1974) kritisierte einmal das Poppersche Falsifizierungspostulat Wissen-schaftler neigen eher dazu ihre Theorien zu verteidigen als sie zu widerlegen

Lakatos hielt aber auch Kuhns Theorie der wissenschaftlichen Revolutionen fuumlr irreal und verstand Wissenschaft als ein Nebeneinander konkurrierender Forschungsprogramme

Ein alternatives Modell deswissenschaftlichen Fortschritts

In bdquoKritik und Erkenntnisfortschrittldquo entwickelt Imre Lakatos ein Alternativmodell des wissenschaftlichen Fortschritts Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen bdquoTheoriekernldquo und bdquoZusatzhypothesenldquo

bull Die meisten wissenschaftlichen Theorien fuumlhren erst in Verbindung mit geeigneten Zusatzhypothesen zu empirisch nachpruumlfbaren Vorhersagen

bull Widerspruumlche zwischen Theorie und Experiment fuumlhren daher nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der Theorie sondern koumlnnen auch durch Korrektur der Zusatzhyothesen aufgeloumlst werden

Ein modifiziertes Modell der empirischen Uumlberpruumlfungvon wissenschaftlichen Theorien

Wissenschaftliche Theorien (bdquoParadigmenldquo)

Zusatzhypothesen

Empirisch nachpruumlfbare Vorhersagen

Vergleich mit Beobachtung Messung

Experiment

Vorlaumlufige Bestaumltigung der Theorie

Revision der Theorie

Revision der Zusatzhypothesen

Wissenschaftliche Revolution

Signifikante Abweichungen (bdquoAnomalienldquo)Keine signifikanten Abweichungen

plus

Quelle Lauth III Teil Wissenschaftlicher Fortschritt und derWandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Erkenntnisfortschritt

Eine neue Theorie Tacute die ein etabliertes Paradigma T verdraumlngen soll muss nach Lakatos zwei Bedingungen erfuumlllen

bull Die neue Theorie muss die Erfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die alte Theorie zu korrekten Vorhersagen fuumlhrt muss Tacute dieselben Vorhersagen machen

bull Die neue Theorie muss die Misserfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die neue Theorie zu abweichenden Vorhersagen fuumlhrt bestaumltigen Beobachtungen und Messungen die abweichenden Vorhersagen

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersicht

VSteenblock Imre Lakatos in JNida-Ruumlmelin (Hrsg) Philosophie der Gegenwartin Einzeldarstellungenhellip 2AuflStuttgart Kroumlner 1999 S 400ff

Auch zu Kuhn Feyerabend usw

Werner Diederich (Hrsg) Theorien der Wissenschafts-geschichte Beitraumlge zur diachronen Wissenschafts- theorie FrankfurtMain Suhrkamp 1974

Literaturtipp

Thanx for your attentionhellip

  • Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes
  • Sir Karl Popper (1902-1994) und die Logik der Forschung
  • Thomas Kuhns Modell der Entwicklung von Wissenschaft(en)
  • Folie 4
  • Folie 5
  • Folie 6
  • Folie 7
  • Folie 8
  • Folie 9
  • Folie 10
  • Folie 11
  • Folie 12
  • Folie 13
  • Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)
  • Folie 16
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)
  • Merkmale von Paradigmen
  • Literaturtipp
  • Folie 20
  • Folie 21
  • Folie 22
  • Folie 23
  • Folie 24
  • Struktur der Wissenschaftlichen Revolution
  • Folie 26
  • Folie 27
  • Folie 28
  • Slide 29
  • Folie 30
  • Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos
  • Folie 32
  • Folie 33
  • Folie 34
  • Slide 35
  • Slide 36
  • Thanx for your attentionhellip
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Sir Karl Popper (1902-1994)und die Logik der Forschung

Karl Popper hat in seiner Logik der Forschung (1935) ein Modell der Wissenschaftsentwicklung entworfen das von einer staumlndigen Verbesserung unseres Wissens durch empirische Forschung ausgeht

Dabei werden aus Theorien Hypothesen abgeleitet deren empirische Uumlberpruumlfung fuumlhrt zur Verbes-serung der Theorien im negativen Fall zur Einschraumlnkung ihres Geltungsbereiches oder gar zu ihrer Verwerfung

Wissenschaft fuumlhrt auf diese Weise zu einer kontinu-ierlichen Optimierung unseres Wissens

Kumulatives Wissenschaftsverstaumlndnis

Thomas Kuhns Modell der Entwicklungvon Wissenschaft(en)

Der Wissenschaftstheoretiker Thomas S Kuhn veroumlffentlichte 1962 ein Modell der Wissenschaftsentwicklung das davon ausgeht

1 dass es in den einzelnen Wissenschaften jeweils uumlber einen laumlngeren Zeitraum ein herrschendes Paradigma gibt und

2 das in unvorhersagbarer Weise in einer wissen-schaftlichen bdquoRevolutionldquo durch ein neues herr-schendes Paradigma abgeloumlst wird

Er widersprach damit Poppers Idee einer kontinuier-lichen Weiterentwicklung der Wissenschaft durch Wissenszuwachs

Revolutionaumlres Wissenschaftsverstaumlndnis

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

CREATION OF A NEW WORLDVIEW

Questioning of old knowledge amp assumptions

Gradual replacement of religious amp superstition presumptions

Gradual rise of science amp reason

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

NEW DIRECTIONS IN ASTRONOMY amp PHYSICS

PTOLEMY Geocentricism

NICOLAUS COPERNICUS (1473-1543) Heliocentrisim

TYCHO BRAHE (1546-1601) More accurate position of planets

JOHANNES KEPLER (1571-1630) Elliptical planetary movement

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

NEW DIRECTIONS IN ASTRONOMY amp PHYSICS

GALILEO GALILEI (1564-1642)

Constructed first telescope

Described motion of bodies on earth

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

NEW DIRECTIONS IN ASTRONOMY amp PHYSICS

ISAAC NEWTON (1642-1727)

Universal Gravitation combined laws of planetary amp earth motion

Numerous practical applications

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

DISCOVERIES IN OTHER SCIENCES

Botany new medical applications

Anatomy better understand of how human body worked

Microscope invented

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

PHILOSOPHICAL THOUGHT

FRANCIS BACON (1561-1626)

Inductive reasoning working from particular to general conclusions

Empiricism amp scientific method

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

PHILOSOPHICAL THOUGHT

RENEacute DESCARTES (1596-1650)

Geometry any algebraic formula could be plotted as curve in space

Cartesian Dualism division of reality into ldquothinking substancerdquo amp ldquoextended substancerdquo

Deductive Reasoning starting with general assumptions amp working downward

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

POLITICAL THOUGHT

THOMAS HOBBES (1588-1679)

Negative mechanistic view of human nature

Strong sovereign necessary to control conflicting desires

Hobbersquos Leviathan

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

POLITICAL THOUGHT

JOHN LOCKE (1632-1704)

TABULA RASA humans born with blank slate

Government amp public enter contract

Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)

Geboren CincinnatiOhio USA1948 Master Education amp History of Science in Harvard1949 Doktor der Physik Harvard University1956 University of California Berkeley1961 Professor History of Science Berkeley1979 Professor Philosophie und Wissenschaftsgeschichte MIT

Boston

Wesentlichste Arbeit bdquoThe Structure of Scientific Revolutionldquo 1962 Ca eine Millionen verkaufte Exemplare

Derzeit immer noch wichtigste und einflussreichste Theorie der Wissenschaftsgeschichte wegen der Einfuumlhrung der Begriffe Paradigma und Paradigmenwechsel

Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)

Generell verstehen wir unter einem Paradigma

ein Buumlndel von bull theoretischen Leitsaumltzenbull Fragestellungen bull Methoden zu ihrer Beantwortung

das das Vorgehen der Wissenschaftler in einer je bestimmten historischen Periode der Wissenschaftsentwicklung charakterisiert

Kuhn - Paradigma

Allgemeine Merkmale Beispiel Newtons Mechanik

Jedes Paradigma beinhaltet bestimmte theoretische Annahmen

Einen Bestand an methodischen Regeln

paradigmatische Anwendungen und

bdquoquasi-metaphysischeldquo Uumlberzeugun-gen (S 55)

Newtons drei Axiome und das Gravitationsgesetz

z B bdquoNewtons Prinzipldquo Physikalische Vorgaumlnge sind durch Differentialgleichungen zu beschreiben

Fallbeschleunigung (Galileis Gesetze) und die Planetenbahnen im Sonnensystem (Keplers Gesetze)

Der bdquoabsolute Raumldquo und die bdquoabsolute Zeitldquo

Quelle Lauth III Teil WissenschaftlicherFortschritt und der Wandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)

Nach Kuhn kann man ein Paradigma kennzeichnen 1048708 durch das was beobachtet und uumlberpruumlft wird 1048708 durch die Art der Fragen welche in Bezug auf ein

Thema gestellt werden und die gepruumlft werden sollen

1048708 danach wie diese Fragen gestellt werden sollen

1048708 dadurch wie die Ergebnisse der wissenschaft-lichen Untersuchung interpretiert werden sollen

Thomas Kuhn The Structure of Scientific Revolutions Chicago 1962

Merkmale von Paradigmen

Wissenschaftliche Paradigmen sindgekennzeichnet durch 1048708ein bestimmtes Menschenbild 1048708 eine bestimmte Auffassung vomForschungsgegenstand 1048708 daraus resultierende spezifischemethodische Praumlferenzen 1048708 ein bestimmtes Begriffsvokabular und 1048708 (in manchen Faumlllen) eine Traditionsbildunguumlber Lehrer-Schuumller-Verhaumlltnisse

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersichtbull F Muumlhlhoumllzer Thomas S Kuhn in J Nida-Ruumlmelin

(Hrsg) Philosophie der Gegenwart in Einzeldar-stellungen von Adorno bis vWright 2Aufl Stuttgart Kroumlner 1999 S 383 ff

bull Wolfgang Stegmuumlller Hauptstroumlmungen der Gegen-wartsphilosophie 8 Aufl Stuttgart Kroumlner 1987 Kap III

bull Paul Hoyningen-Huene Die Wissenschafts-philosophie Thomas S Kuhns Rekonstruktion und Grundlagenprobleme Braunschweig Vieweg 1989

Normale Wissenschaftund wissenschaftliche Paradigmen

Die bdquonormale Wissenschaftldquo ist nach Kuhn durch die Bindung an ein Paradigma gekennzeichnet

bdquoDie Physik des Aristoteles der Almagest des Ptolemaumlus Newtons Principia und Opticks Franklins Electricity Lavoisiers Chimie Lyells Geology ndash diese und viele andere Werke dienten indirekt eine Zeitlang dazu fuumlr nachfolgende Generationen von Fachleuten die anerkannten Probleme und Methoden eines Forschungsgebiets zu bestimmen Sie vermochten dies da sie zwei wesentliche Eigenschaften gemeinsam hatten Ihre Leistung war neuartig genug um eine bestaumlndige Gruppe von Anhaumlngern anzuziehen die ihre Wissenschaft bisher auf andere Art betrieben hatten und gleichzeitig war sie noch offen genug um der neuen Gruppe von Fachleuten alle moumlglichen ungeloumlsten Probleme zu stellen Leistungen mit diesen beiden Merkmalen werde ich von nun an als bdquoParadigmataldquo bezeichnen ein Ausdruck der eng mit dem der bdquonormalen Wissenschaftldquo zusammenhaumlngtldquo

Anomalien und die Krise der normalen Wissenschaft

Durch gehaumluftes Auftreten von bdquoAnomalienldquo entsteht eine Krise der normalen Wissenschaft

Definition Anomalien sind bdquoPhaumlnomen[e] auf welche[] das Paradigma den Forscher nicht vorbereitet hatteldquo (70) Die Veraumlnderung des wissenschaftlichen Weltbilds beginnt mit der Einsicht bdquodaszlig die Natur in irgendeiner Weise die von einem Paradigma erzeugten die normale Wissenschaft beherrschenden Erwartungen nicht erfuumlllt hatldquo (66) Mit anderen Worten Anomalien stehen in Widerspruch zu den Vorhersagen der Theorie sind also mit Mitteln des Paradigmas nicht erklaumlrbar

Anomalien als Ausloumlser von Krisen bdquoDa das Auftauchen neuer Theorien eine umfassende Paradigmazerstoumlrung und groumlszligere Verschiebungen in den Problemen und Verfahren der normalen Wissenschaft erfordert geht ihm im allgemeinen eine Periode ausgesprochener fachwissenschaftlicher Unsicherheit voraus Wie zu erwarten wird diese Unsicherheit durch das dauernde Unvermoumlgen erzeugt fuumlr die Raumltsel der normalen Wissenschaft die erwartete Aufloumlsung zu finden Das Versagen der vorhandenen Regeln leitet die Suche nach neuen einldquo(80)

Anomalien versus Falsifikationen

bull Anomalien fuumlhren nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der zugrunde liegenden Theoriebull Anomalien koumlnnen normalerweise im Rahmen des Paradigmas erklaumlrt oder aufgeloumlst werden Anomalien sind bdquonormalldquobull Erst eine Haumlufung von bdquohartnaumlckigenldquo Anomalien fuumlhrt zur Krise der normalen Wissenschaft und damit moumlglicherweise zu einer wissenschaftlichen Revolution

Wie reagieren Wissenschaftler auf das Auftreten von Anomalien bdquoEinen ebenso offenkundigen wie wichtigen Teil der Antwort koumlnnen wir finden indem wie erst einmal festhalten was Wissenschaftler niemals tun wenn sie mit Anomalien konfrontiert werden und seien diese noch so schwerwiegend und lang andauernd Wenn sie auch beginnen moumlgen den Glauben zu verlieren und an Alternativen zu denken so verwerfen sie doch nicht das Paradigma das sie in eine Krise hineingefuumlhrt hat Das heiszligt also sie behandeln die Anomalien nicht als Gegenbeispiele obwohl Anomalien im Vokabular der Wissenschaftstheorie genau das sindldquo (90)

Wissenschaftliche Revolutionen (1)

Definition Wissenschaftliche Revolutionen sind Vorgaumlnge die zu einer mehr oder weniger radikalen Korrektur des wissenschaftlichen Weltbilds fuumlhren

Beispiele

bull die kopernikanische Revolution (Uumlbergang vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild)

bull Darwins Evolutionslehre

bull Einsteins Theorie von Raum und Zeit

bull die Entstehung der Quantenphysik (Indeterminismus und Unschaumlrferelation)

Wissenschaftliche Revolutionen (2)

bull Bei einer wissenschaftlichen Revolution wird ein etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie ersetzt

bull Verschiedene Paradigmen sind nach Kuhn bdquoinkommensurabelldquo dh es gibt keine objektiven Kriterien die eine Entscheidung fuumlr das eine oder andere Paradigma begruumlnden koumlnnten

Begruumlndung Vertreter unterschiedlicher Paradigmen sprechen verschiedene Sprachen gehen von unterschiedlichen theoretischen Annahmen und methodologischen Regeln aus

bdquoWenn Paradigmata in eine Diskussion uumlber die Wahl von Paradigmata eingehen ndash und sie muumlssen es ja - dann ist ihre Rolle notwendigerweise zirkulaumlr Jede Gruppe verwendet ihr eigenes Paradigma zur Verteidigung eben dieses Paradigmasldquo (106) Die zentrale Konsequenz aus dieser Feststellung ist daszlig Konflikte zwischen konkurrierenden Theorien bdquoniemals durch Logik und Experiment allein eindeutig entschieden werdenldquo koumlnnen (107)

Struktur der Wissenschaftlichen Revolution

Vorparadigmatische PhaseNebeneinanderstehende lose definierte miteinander kon-

kurrierende Ansaumltze ohne Dominanz eines einzelnen Paradigmas

Paradigmatische PhaseDurchsetzung eines Ansatzes Ausgrenzung konkurrierender

Ansaumltze herrschendes Paradigma wird Bezugsrahmen fuumlr Forschung eines Fachs normgebend Phase kumulativer normalwissenschaftlicher Forschung

Kritische PhaseErschoumlpfung des dominierenden Paradigmas Haumlufung von Fehl-

schlaumlgen und Anomalien lassen Zweifel an Erklaumlrungskraft des Paradigma entstehen

Revolutionaumlre PhaseBreiter Aufstand gegen herrschendes Paradigma Suchen neuer

Wege Widerstand der Vertreter des alten Paradigmas Neue Paradigmatische PhaseWeder Verifikation noch Falsifikation sondern DimensionssprungWettstreit der Paradigmata wird nicht durch Beweise entschieden

sondern mittels Durchsetzungskraft

VORPARADIGMATISCHE PHASE

ENTSTEHUNG EINES NEUEN PARADIGMAS

bdquoNORMALE WISSENSCHAFTldquo

HAumlUFUNG VON ANOMALIEN

KRISE DER NORMALEN WISSENSCHAFT

WISSENSCHAFTLICHE REVOLUTION

Kuhn ndash Wissenschaftliche Revolutionen

Quelle LauthSareiter Wissenschaftliche Erkenntnis Paderborn 2002 S 123

Probleme von Kuhns Modell

Bei der Beurteilung von Kuhns Theorien ist zu unterscheiden zwischen wissenschaftshistorischen Fakten und wissenschaftstheoretischenSchlussfolgerungen

Das Hauptproblem

bull Der Wandel des wissenschaftlichen Weltbilds ist nach Kuhn nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren Es gibt keinen Erkenntnis-fortschritt nur eine neue Sicht der Dinge

bull Die Wissenschaftstheorie (Poppers Logik der Forschung) muumlsste nach Kuhn durch wissenschaftshistorische und ndashsoziologische Betrachtungen ersetzt werden

bull Kuhns Theorie laumlszligt wichtige Fragen offen (siehe naumlchste Folie)

Offene Fragen

bdquoInsbesondere liefert Kuhn keine plausible oder befriedigende Erklaumlrung fuumlr die Verdraumlngung eines etablierten Paradigmas und den bdquoSiegldquo des neuen Paradigmas uumlber seinen Vorgaumlnger Nach Kuhns Auffassung ist der Konflikt zwischen zwei rivalisierenden Paradigmen bdquoniemals durch Logik und Experiment alleineldquo zu entscheiden Das wuumlrde jedoch bedeuten daszlig der Theorienwandel in der Wissenschaft nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren ist sondern nur durch Rekurs auf wissenschaftshistorische oder -soziologische Phaumlnomene Aber was koumlnnten dann die Ursachen dafuumlr sein daszlig ein einmal etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie vollstaumlndig verdraumlngt und ersetzt werden kann Kuhns Hinweis darauf daszlig die Vertreter des alten Paradigmas im Lauf der Zeit einfach bdquoaussterbenldquo ist sicherlich zu einfach Warum gelingt es den Anhaumlngern des alten Paradigmas nicht neue Anhaumlnger unter dem wissenschaftlichen Nachwuchs zu rekrutieren Warum sollte nicht die Entstehung von neuen Theorien im Lauf der Zeit zu einer Pluralitaumlt von konkurrierenden Paradigmen oder Theorien fuumlhren von denen jede eine gewisse Anzahl von bdquoAnhaumlngernldquo um sich scharen kann Warum sind heute praktisch alle Physiker davon uumlberzeugt daszlig Einsteins Relativitaumlts-theorie eine bessere Beschreibung und Erklaumlrung der physikalischen Phaumlnomene liefert als die Newtonsche MechanikWarum glaubt heute niemand mehr an das geozentrische Weltbild eines Aristoteles oder Kopernikus Warum hat Darwins Evolutionstheorie alle biologischen Theorien die von einer Konstanz der Arten ausgehen erfolgreich verdraumlngen koumlnnen ldquo

(B Lauth J Sareiter Wissenschaftliche Erkenntnis S 135)

Literaturtipp

bull Bernhard Lauth J Sareiter Wissenschaft-liche Erkenntnis Eine ideengeschichtliche Einfuumlhrung in die Wissenschaftstheorie Paderborn Mentis-Verlag 2002

Methodische FolgerungenKuhn versus Popper

bdquoWenn eine wissenschaftliche Theorie einmal den Status eines Paradigmas erlangt hat wird sie nur dann fuumlr unguumlltig erklaumlrt wenn ein anderer Kandidat vorhanden ist der ihren Platz einnehmen kann Kein bisher durch das Studium der wissenschaftlichen Entwicklung aufgedeckter Prozeszlig hat irgendeine Aumlhnlichkeit mit der methodologischen Schablone der Falsifikation durch unmittelbaren Vergleich mit der Naturldquo (90)

bdquoZweifellos ist die der Falsifikation zugesprochene Rolle derjenigen sehr aumlhnlich welche dieser Essay den anomalen Erfahrungen beimiszligt also jenen Erfahrungen die eine Krise hervorrufen und dadurch den Weg fuumlr eine neue Theorie bereiten Trotzdem duumlrfen anomale Erfahrungen nicht mit falsifizierenden gleichgestellt werden Ich glaube sogar daszlig es letztere uumlberhaupt nicht gibtldquo (157)

Eine Gegenposition hat Imre Lakatos vertreten In seinem Essay uumlber die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme zeigt Lakatos dass die von Kuhn diagnostizierten Phaumlnomene auch im Rahmen der falsifikationistischen Methodik erklaumlrbar sind

Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos

Imre Lakatos (1922-1974) kritisierte einmal das Poppersche Falsifizierungspostulat Wissen-schaftler neigen eher dazu ihre Theorien zu verteidigen als sie zu widerlegen

Lakatos hielt aber auch Kuhns Theorie der wissenschaftlichen Revolutionen fuumlr irreal und verstand Wissenschaft als ein Nebeneinander konkurrierender Forschungsprogramme

Ein alternatives Modell deswissenschaftlichen Fortschritts

In bdquoKritik und Erkenntnisfortschrittldquo entwickelt Imre Lakatos ein Alternativmodell des wissenschaftlichen Fortschritts Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen bdquoTheoriekernldquo und bdquoZusatzhypothesenldquo

bull Die meisten wissenschaftlichen Theorien fuumlhren erst in Verbindung mit geeigneten Zusatzhypothesen zu empirisch nachpruumlfbaren Vorhersagen

bull Widerspruumlche zwischen Theorie und Experiment fuumlhren daher nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der Theorie sondern koumlnnen auch durch Korrektur der Zusatzhyothesen aufgeloumlst werden

Ein modifiziertes Modell der empirischen Uumlberpruumlfungvon wissenschaftlichen Theorien

Wissenschaftliche Theorien (bdquoParadigmenldquo)

Zusatzhypothesen

Empirisch nachpruumlfbare Vorhersagen

Vergleich mit Beobachtung Messung

Experiment

Vorlaumlufige Bestaumltigung der Theorie

Revision der Theorie

Revision der Zusatzhypothesen

Wissenschaftliche Revolution

Signifikante Abweichungen (bdquoAnomalienldquo)Keine signifikanten Abweichungen

plus

Quelle Lauth III Teil Wissenschaftlicher Fortschritt und derWandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Erkenntnisfortschritt

Eine neue Theorie Tacute die ein etabliertes Paradigma T verdraumlngen soll muss nach Lakatos zwei Bedingungen erfuumlllen

bull Die neue Theorie muss die Erfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die alte Theorie zu korrekten Vorhersagen fuumlhrt muss Tacute dieselben Vorhersagen machen

bull Die neue Theorie muss die Misserfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die neue Theorie zu abweichenden Vorhersagen fuumlhrt bestaumltigen Beobachtungen und Messungen die abweichenden Vorhersagen

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersicht

VSteenblock Imre Lakatos in JNida-Ruumlmelin (Hrsg) Philosophie der Gegenwartin Einzeldarstellungenhellip 2AuflStuttgart Kroumlner 1999 S 400ff

Auch zu Kuhn Feyerabend usw

Werner Diederich (Hrsg) Theorien der Wissenschafts-geschichte Beitraumlge zur diachronen Wissenschafts- theorie FrankfurtMain Suhrkamp 1974

Literaturtipp

Thanx for your attentionhellip

  • Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes
  • Sir Karl Popper (1902-1994) und die Logik der Forschung
  • Thomas Kuhns Modell der Entwicklung von Wissenschaft(en)
  • Folie 4
  • Folie 5
  • Folie 6
  • Folie 7
  • Folie 8
  • Folie 9
  • Folie 10
  • Folie 11
  • Folie 12
  • Folie 13
  • Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)
  • Folie 16
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)
  • Merkmale von Paradigmen
  • Literaturtipp
  • Folie 20
  • Folie 21
  • Folie 22
  • Folie 23
  • Folie 24
  • Struktur der Wissenschaftlichen Revolution
  • Folie 26
  • Folie 27
  • Folie 28
  • Slide 29
  • Folie 30
  • Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos
  • Folie 32
  • Folie 33
  • Folie 34
  • Slide 35
  • Slide 36
  • Thanx for your attentionhellip
Page 3: Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes ? Zur historischen Genese von (Teil-)Wissenschaft.

Thomas Kuhns Modell der Entwicklungvon Wissenschaft(en)

Der Wissenschaftstheoretiker Thomas S Kuhn veroumlffentlichte 1962 ein Modell der Wissenschaftsentwicklung das davon ausgeht

1 dass es in den einzelnen Wissenschaften jeweils uumlber einen laumlngeren Zeitraum ein herrschendes Paradigma gibt und

2 das in unvorhersagbarer Weise in einer wissen-schaftlichen bdquoRevolutionldquo durch ein neues herr-schendes Paradigma abgeloumlst wird

Er widersprach damit Poppers Idee einer kontinuier-lichen Weiterentwicklung der Wissenschaft durch Wissenszuwachs

Revolutionaumlres Wissenschaftsverstaumlndnis

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

CREATION OF A NEW WORLDVIEW

Questioning of old knowledge amp assumptions

Gradual replacement of religious amp superstition presumptions

Gradual rise of science amp reason

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

NEW DIRECTIONS IN ASTRONOMY amp PHYSICS

PTOLEMY Geocentricism

NICOLAUS COPERNICUS (1473-1543) Heliocentrisim

TYCHO BRAHE (1546-1601) More accurate position of planets

JOHANNES KEPLER (1571-1630) Elliptical planetary movement

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

NEW DIRECTIONS IN ASTRONOMY amp PHYSICS

GALILEO GALILEI (1564-1642)

Constructed first telescope

Described motion of bodies on earth

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

NEW DIRECTIONS IN ASTRONOMY amp PHYSICS

ISAAC NEWTON (1642-1727)

Universal Gravitation combined laws of planetary amp earth motion

Numerous practical applications

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

DISCOVERIES IN OTHER SCIENCES

Botany new medical applications

Anatomy better understand of how human body worked

Microscope invented

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

PHILOSOPHICAL THOUGHT

FRANCIS BACON (1561-1626)

Inductive reasoning working from particular to general conclusions

Empiricism amp scientific method

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

PHILOSOPHICAL THOUGHT

RENEacute DESCARTES (1596-1650)

Geometry any algebraic formula could be plotted as curve in space

Cartesian Dualism division of reality into ldquothinking substancerdquo amp ldquoextended substancerdquo

Deductive Reasoning starting with general assumptions amp working downward

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

POLITICAL THOUGHT

THOMAS HOBBES (1588-1679)

Negative mechanistic view of human nature

Strong sovereign necessary to control conflicting desires

Hobbersquos Leviathan

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

POLITICAL THOUGHT

JOHN LOCKE (1632-1704)

TABULA RASA humans born with blank slate

Government amp public enter contract

Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)

Geboren CincinnatiOhio USA1948 Master Education amp History of Science in Harvard1949 Doktor der Physik Harvard University1956 University of California Berkeley1961 Professor History of Science Berkeley1979 Professor Philosophie und Wissenschaftsgeschichte MIT

Boston

Wesentlichste Arbeit bdquoThe Structure of Scientific Revolutionldquo 1962 Ca eine Millionen verkaufte Exemplare

Derzeit immer noch wichtigste und einflussreichste Theorie der Wissenschaftsgeschichte wegen der Einfuumlhrung der Begriffe Paradigma und Paradigmenwechsel

Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)

Generell verstehen wir unter einem Paradigma

ein Buumlndel von bull theoretischen Leitsaumltzenbull Fragestellungen bull Methoden zu ihrer Beantwortung

das das Vorgehen der Wissenschaftler in einer je bestimmten historischen Periode der Wissenschaftsentwicklung charakterisiert

Kuhn - Paradigma

Allgemeine Merkmale Beispiel Newtons Mechanik

Jedes Paradigma beinhaltet bestimmte theoretische Annahmen

Einen Bestand an methodischen Regeln

paradigmatische Anwendungen und

bdquoquasi-metaphysischeldquo Uumlberzeugun-gen (S 55)

Newtons drei Axiome und das Gravitationsgesetz

z B bdquoNewtons Prinzipldquo Physikalische Vorgaumlnge sind durch Differentialgleichungen zu beschreiben

Fallbeschleunigung (Galileis Gesetze) und die Planetenbahnen im Sonnensystem (Keplers Gesetze)

Der bdquoabsolute Raumldquo und die bdquoabsolute Zeitldquo

Quelle Lauth III Teil WissenschaftlicherFortschritt und der Wandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)

Nach Kuhn kann man ein Paradigma kennzeichnen 1048708 durch das was beobachtet und uumlberpruumlft wird 1048708 durch die Art der Fragen welche in Bezug auf ein

Thema gestellt werden und die gepruumlft werden sollen

1048708 danach wie diese Fragen gestellt werden sollen

1048708 dadurch wie die Ergebnisse der wissenschaft-lichen Untersuchung interpretiert werden sollen

Thomas Kuhn The Structure of Scientific Revolutions Chicago 1962

Merkmale von Paradigmen

Wissenschaftliche Paradigmen sindgekennzeichnet durch 1048708ein bestimmtes Menschenbild 1048708 eine bestimmte Auffassung vomForschungsgegenstand 1048708 daraus resultierende spezifischemethodische Praumlferenzen 1048708 ein bestimmtes Begriffsvokabular und 1048708 (in manchen Faumlllen) eine Traditionsbildunguumlber Lehrer-Schuumller-Verhaumlltnisse

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersichtbull F Muumlhlhoumllzer Thomas S Kuhn in J Nida-Ruumlmelin

(Hrsg) Philosophie der Gegenwart in Einzeldar-stellungen von Adorno bis vWright 2Aufl Stuttgart Kroumlner 1999 S 383 ff

bull Wolfgang Stegmuumlller Hauptstroumlmungen der Gegen-wartsphilosophie 8 Aufl Stuttgart Kroumlner 1987 Kap III

bull Paul Hoyningen-Huene Die Wissenschafts-philosophie Thomas S Kuhns Rekonstruktion und Grundlagenprobleme Braunschweig Vieweg 1989

Normale Wissenschaftund wissenschaftliche Paradigmen

Die bdquonormale Wissenschaftldquo ist nach Kuhn durch die Bindung an ein Paradigma gekennzeichnet

bdquoDie Physik des Aristoteles der Almagest des Ptolemaumlus Newtons Principia und Opticks Franklins Electricity Lavoisiers Chimie Lyells Geology ndash diese und viele andere Werke dienten indirekt eine Zeitlang dazu fuumlr nachfolgende Generationen von Fachleuten die anerkannten Probleme und Methoden eines Forschungsgebiets zu bestimmen Sie vermochten dies da sie zwei wesentliche Eigenschaften gemeinsam hatten Ihre Leistung war neuartig genug um eine bestaumlndige Gruppe von Anhaumlngern anzuziehen die ihre Wissenschaft bisher auf andere Art betrieben hatten und gleichzeitig war sie noch offen genug um der neuen Gruppe von Fachleuten alle moumlglichen ungeloumlsten Probleme zu stellen Leistungen mit diesen beiden Merkmalen werde ich von nun an als bdquoParadigmataldquo bezeichnen ein Ausdruck der eng mit dem der bdquonormalen Wissenschaftldquo zusammenhaumlngtldquo

Anomalien und die Krise der normalen Wissenschaft

Durch gehaumluftes Auftreten von bdquoAnomalienldquo entsteht eine Krise der normalen Wissenschaft

Definition Anomalien sind bdquoPhaumlnomen[e] auf welche[] das Paradigma den Forscher nicht vorbereitet hatteldquo (70) Die Veraumlnderung des wissenschaftlichen Weltbilds beginnt mit der Einsicht bdquodaszlig die Natur in irgendeiner Weise die von einem Paradigma erzeugten die normale Wissenschaft beherrschenden Erwartungen nicht erfuumlllt hatldquo (66) Mit anderen Worten Anomalien stehen in Widerspruch zu den Vorhersagen der Theorie sind also mit Mitteln des Paradigmas nicht erklaumlrbar

Anomalien als Ausloumlser von Krisen bdquoDa das Auftauchen neuer Theorien eine umfassende Paradigmazerstoumlrung und groumlszligere Verschiebungen in den Problemen und Verfahren der normalen Wissenschaft erfordert geht ihm im allgemeinen eine Periode ausgesprochener fachwissenschaftlicher Unsicherheit voraus Wie zu erwarten wird diese Unsicherheit durch das dauernde Unvermoumlgen erzeugt fuumlr die Raumltsel der normalen Wissenschaft die erwartete Aufloumlsung zu finden Das Versagen der vorhandenen Regeln leitet die Suche nach neuen einldquo(80)

Anomalien versus Falsifikationen

bull Anomalien fuumlhren nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der zugrunde liegenden Theoriebull Anomalien koumlnnen normalerweise im Rahmen des Paradigmas erklaumlrt oder aufgeloumlst werden Anomalien sind bdquonormalldquobull Erst eine Haumlufung von bdquohartnaumlckigenldquo Anomalien fuumlhrt zur Krise der normalen Wissenschaft und damit moumlglicherweise zu einer wissenschaftlichen Revolution

Wie reagieren Wissenschaftler auf das Auftreten von Anomalien bdquoEinen ebenso offenkundigen wie wichtigen Teil der Antwort koumlnnen wir finden indem wie erst einmal festhalten was Wissenschaftler niemals tun wenn sie mit Anomalien konfrontiert werden und seien diese noch so schwerwiegend und lang andauernd Wenn sie auch beginnen moumlgen den Glauben zu verlieren und an Alternativen zu denken so verwerfen sie doch nicht das Paradigma das sie in eine Krise hineingefuumlhrt hat Das heiszligt also sie behandeln die Anomalien nicht als Gegenbeispiele obwohl Anomalien im Vokabular der Wissenschaftstheorie genau das sindldquo (90)

Wissenschaftliche Revolutionen (1)

Definition Wissenschaftliche Revolutionen sind Vorgaumlnge die zu einer mehr oder weniger radikalen Korrektur des wissenschaftlichen Weltbilds fuumlhren

Beispiele

bull die kopernikanische Revolution (Uumlbergang vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild)

bull Darwins Evolutionslehre

bull Einsteins Theorie von Raum und Zeit

bull die Entstehung der Quantenphysik (Indeterminismus und Unschaumlrferelation)

Wissenschaftliche Revolutionen (2)

bull Bei einer wissenschaftlichen Revolution wird ein etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie ersetzt

bull Verschiedene Paradigmen sind nach Kuhn bdquoinkommensurabelldquo dh es gibt keine objektiven Kriterien die eine Entscheidung fuumlr das eine oder andere Paradigma begruumlnden koumlnnten

Begruumlndung Vertreter unterschiedlicher Paradigmen sprechen verschiedene Sprachen gehen von unterschiedlichen theoretischen Annahmen und methodologischen Regeln aus

bdquoWenn Paradigmata in eine Diskussion uumlber die Wahl von Paradigmata eingehen ndash und sie muumlssen es ja - dann ist ihre Rolle notwendigerweise zirkulaumlr Jede Gruppe verwendet ihr eigenes Paradigma zur Verteidigung eben dieses Paradigmasldquo (106) Die zentrale Konsequenz aus dieser Feststellung ist daszlig Konflikte zwischen konkurrierenden Theorien bdquoniemals durch Logik und Experiment allein eindeutig entschieden werdenldquo koumlnnen (107)

Struktur der Wissenschaftlichen Revolution

Vorparadigmatische PhaseNebeneinanderstehende lose definierte miteinander kon-

kurrierende Ansaumltze ohne Dominanz eines einzelnen Paradigmas

Paradigmatische PhaseDurchsetzung eines Ansatzes Ausgrenzung konkurrierender

Ansaumltze herrschendes Paradigma wird Bezugsrahmen fuumlr Forschung eines Fachs normgebend Phase kumulativer normalwissenschaftlicher Forschung

Kritische PhaseErschoumlpfung des dominierenden Paradigmas Haumlufung von Fehl-

schlaumlgen und Anomalien lassen Zweifel an Erklaumlrungskraft des Paradigma entstehen

Revolutionaumlre PhaseBreiter Aufstand gegen herrschendes Paradigma Suchen neuer

Wege Widerstand der Vertreter des alten Paradigmas Neue Paradigmatische PhaseWeder Verifikation noch Falsifikation sondern DimensionssprungWettstreit der Paradigmata wird nicht durch Beweise entschieden

sondern mittels Durchsetzungskraft

VORPARADIGMATISCHE PHASE

ENTSTEHUNG EINES NEUEN PARADIGMAS

bdquoNORMALE WISSENSCHAFTldquo

HAumlUFUNG VON ANOMALIEN

KRISE DER NORMALEN WISSENSCHAFT

WISSENSCHAFTLICHE REVOLUTION

Kuhn ndash Wissenschaftliche Revolutionen

Quelle LauthSareiter Wissenschaftliche Erkenntnis Paderborn 2002 S 123

Probleme von Kuhns Modell

Bei der Beurteilung von Kuhns Theorien ist zu unterscheiden zwischen wissenschaftshistorischen Fakten und wissenschaftstheoretischenSchlussfolgerungen

Das Hauptproblem

bull Der Wandel des wissenschaftlichen Weltbilds ist nach Kuhn nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren Es gibt keinen Erkenntnis-fortschritt nur eine neue Sicht der Dinge

bull Die Wissenschaftstheorie (Poppers Logik der Forschung) muumlsste nach Kuhn durch wissenschaftshistorische und ndashsoziologische Betrachtungen ersetzt werden

bull Kuhns Theorie laumlszligt wichtige Fragen offen (siehe naumlchste Folie)

Offene Fragen

bdquoInsbesondere liefert Kuhn keine plausible oder befriedigende Erklaumlrung fuumlr die Verdraumlngung eines etablierten Paradigmas und den bdquoSiegldquo des neuen Paradigmas uumlber seinen Vorgaumlnger Nach Kuhns Auffassung ist der Konflikt zwischen zwei rivalisierenden Paradigmen bdquoniemals durch Logik und Experiment alleineldquo zu entscheiden Das wuumlrde jedoch bedeuten daszlig der Theorienwandel in der Wissenschaft nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren ist sondern nur durch Rekurs auf wissenschaftshistorische oder -soziologische Phaumlnomene Aber was koumlnnten dann die Ursachen dafuumlr sein daszlig ein einmal etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie vollstaumlndig verdraumlngt und ersetzt werden kann Kuhns Hinweis darauf daszlig die Vertreter des alten Paradigmas im Lauf der Zeit einfach bdquoaussterbenldquo ist sicherlich zu einfach Warum gelingt es den Anhaumlngern des alten Paradigmas nicht neue Anhaumlnger unter dem wissenschaftlichen Nachwuchs zu rekrutieren Warum sollte nicht die Entstehung von neuen Theorien im Lauf der Zeit zu einer Pluralitaumlt von konkurrierenden Paradigmen oder Theorien fuumlhren von denen jede eine gewisse Anzahl von bdquoAnhaumlngernldquo um sich scharen kann Warum sind heute praktisch alle Physiker davon uumlberzeugt daszlig Einsteins Relativitaumlts-theorie eine bessere Beschreibung und Erklaumlrung der physikalischen Phaumlnomene liefert als die Newtonsche MechanikWarum glaubt heute niemand mehr an das geozentrische Weltbild eines Aristoteles oder Kopernikus Warum hat Darwins Evolutionstheorie alle biologischen Theorien die von einer Konstanz der Arten ausgehen erfolgreich verdraumlngen koumlnnen ldquo

(B Lauth J Sareiter Wissenschaftliche Erkenntnis S 135)

Literaturtipp

bull Bernhard Lauth J Sareiter Wissenschaft-liche Erkenntnis Eine ideengeschichtliche Einfuumlhrung in die Wissenschaftstheorie Paderborn Mentis-Verlag 2002

Methodische FolgerungenKuhn versus Popper

bdquoWenn eine wissenschaftliche Theorie einmal den Status eines Paradigmas erlangt hat wird sie nur dann fuumlr unguumlltig erklaumlrt wenn ein anderer Kandidat vorhanden ist der ihren Platz einnehmen kann Kein bisher durch das Studium der wissenschaftlichen Entwicklung aufgedeckter Prozeszlig hat irgendeine Aumlhnlichkeit mit der methodologischen Schablone der Falsifikation durch unmittelbaren Vergleich mit der Naturldquo (90)

bdquoZweifellos ist die der Falsifikation zugesprochene Rolle derjenigen sehr aumlhnlich welche dieser Essay den anomalen Erfahrungen beimiszligt also jenen Erfahrungen die eine Krise hervorrufen und dadurch den Weg fuumlr eine neue Theorie bereiten Trotzdem duumlrfen anomale Erfahrungen nicht mit falsifizierenden gleichgestellt werden Ich glaube sogar daszlig es letztere uumlberhaupt nicht gibtldquo (157)

Eine Gegenposition hat Imre Lakatos vertreten In seinem Essay uumlber die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme zeigt Lakatos dass die von Kuhn diagnostizierten Phaumlnomene auch im Rahmen der falsifikationistischen Methodik erklaumlrbar sind

Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos

Imre Lakatos (1922-1974) kritisierte einmal das Poppersche Falsifizierungspostulat Wissen-schaftler neigen eher dazu ihre Theorien zu verteidigen als sie zu widerlegen

Lakatos hielt aber auch Kuhns Theorie der wissenschaftlichen Revolutionen fuumlr irreal und verstand Wissenschaft als ein Nebeneinander konkurrierender Forschungsprogramme

Ein alternatives Modell deswissenschaftlichen Fortschritts

In bdquoKritik und Erkenntnisfortschrittldquo entwickelt Imre Lakatos ein Alternativmodell des wissenschaftlichen Fortschritts Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen bdquoTheoriekernldquo und bdquoZusatzhypothesenldquo

bull Die meisten wissenschaftlichen Theorien fuumlhren erst in Verbindung mit geeigneten Zusatzhypothesen zu empirisch nachpruumlfbaren Vorhersagen

bull Widerspruumlche zwischen Theorie und Experiment fuumlhren daher nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der Theorie sondern koumlnnen auch durch Korrektur der Zusatzhyothesen aufgeloumlst werden

Ein modifiziertes Modell der empirischen Uumlberpruumlfungvon wissenschaftlichen Theorien

Wissenschaftliche Theorien (bdquoParadigmenldquo)

Zusatzhypothesen

Empirisch nachpruumlfbare Vorhersagen

Vergleich mit Beobachtung Messung

Experiment

Vorlaumlufige Bestaumltigung der Theorie

Revision der Theorie

Revision der Zusatzhypothesen

Wissenschaftliche Revolution

Signifikante Abweichungen (bdquoAnomalienldquo)Keine signifikanten Abweichungen

plus

Quelle Lauth III Teil Wissenschaftlicher Fortschritt und derWandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Erkenntnisfortschritt

Eine neue Theorie Tacute die ein etabliertes Paradigma T verdraumlngen soll muss nach Lakatos zwei Bedingungen erfuumlllen

bull Die neue Theorie muss die Erfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die alte Theorie zu korrekten Vorhersagen fuumlhrt muss Tacute dieselben Vorhersagen machen

bull Die neue Theorie muss die Misserfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die neue Theorie zu abweichenden Vorhersagen fuumlhrt bestaumltigen Beobachtungen und Messungen die abweichenden Vorhersagen

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersicht

VSteenblock Imre Lakatos in JNida-Ruumlmelin (Hrsg) Philosophie der Gegenwartin Einzeldarstellungenhellip 2AuflStuttgart Kroumlner 1999 S 400ff

Auch zu Kuhn Feyerabend usw

Werner Diederich (Hrsg) Theorien der Wissenschafts-geschichte Beitraumlge zur diachronen Wissenschafts- theorie FrankfurtMain Suhrkamp 1974

Literaturtipp

Thanx for your attentionhellip

  • Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes
  • Sir Karl Popper (1902-1994) und die Logik der Forschung
  • Thomas Kuhns Modell der Entwicklung von Wissenschaft(en)
  • Folie 4
  • Folie 5
  • Folie 6
  • Folie 7
  • Folie 8
  • Folie 9
  • Folie 10
  • Folie 11
  • Folie 12
  • Folie 13
  • Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)
  • Folie 16
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)
  • Merkmale von Paradigmen
  • Literaturtipp
  • Folie 20
  • Folie 21
  • Folie 22
  • Folie 23
  • Folie 24
  • Struktur der Wissenschaftlichen Revolution
  • Folie 26
  • Folie 27
  • Folie 28
  • Slide 29
  • Folie 30
  • Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos
  • Folie 32
  • Folie 33
  • Folie 34
  • Slide 35
  • Slide 36
  • Thanx for your attentionhellip
Page 4: Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes ? Zur historischen Genese von (Teil-)Wissenschaft.

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

CREATION OF A NEW WORLDVIEW

Questioning of old knowledge amp assumptions

Gradual replacement of religious amp superstition presumptions

Gradual rise of science amp reason

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

NEW DIRECTIONS IN ASTRONOMY amp PHYSICS

PTOLEMY Geocentricism

NICOLAUS COPERNICUS (1473-1543) Heliocentrisim

TYCHO BRAHE (1546-1601) More accurate position of planets

JOHANNES KEPLER (1571-1630) Elliptical planetary movement

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

NEW DIRECTIONS IN ASTRONOMY amp PHYSICS

GALILEO GALILEI (1564-1642)

Constructed first telescope

Described motion of bodies on earth

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

NEW DIRECTIONS IN ASTRONOMY amp PHYSICS

ISAAC NEWTON (1642-1727)

Universal Gravitation combined laws of planetary amp earth motion

Numerous practical applications

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

DISCOVERIES IN OTHER SCIENCES

Botany new medical applications

Anatomy better understand of how human body worked

Microscope invented

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

PHILOSOPHICAL THOUGHT

FRANCIS BACON (1561-1626)

Inductive reasoning working from particular to general conclusions

Empiricism amp scientific method

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

PHILOSOPHICAL THOUGHT

RENEacute DESCARTES (1596-1650)

Geometry any algebraic formula could be plotted as curve in space

Cartesian Dualism division of reality into ldquothinking substancerdquo amp ldquoextended substancerdquo

Deductive Reasoning starting with general assumptions amp working downward

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

POLITICAL THOUGHT

THOMAS HOBBES (1588-1679)

Negative mechanistic view of human nature

Strong sovereign necessary to control conflicting desires

Hobbersquos Leviathan

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

POLITICAL THOUGHT

JOHN LOCKE (1632-1704)

TABULA RASA humans born with blank slate

Government amp public enter contract

Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)

Geboren CincinnatiOhio USA1948 Master Education amp History of Science in Harvard1949 Doktor der Physik Harvard University1956 University of California Berkeley1961 Professor History of Science Berkeley1979 Professor Philosophie und Wissenschaftsgeschichte MIT

Boston

Wesentlichste Arbeit bdquoThe Structure of Scientific Revolutionldquo 1962 Ca eine Millionen verkaufte Exemplare

Derzeit immer noch wichtigste und einflussreichste Theorie der Wissenschaftsgeschichte wegen der Einfuumlhrung der Begriffe Paradigma und Paradigmenwechsel

Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)

Generell verstehen wir unter einem Paradigma

ein Buumlndel von bull theoretischen Leitsaumltzenbull Fragestellungen bull Methoden zu ihrer Beantwortung

das das Vorgehen der Wissenschaftler in einer je bestimmten historischen Periode der Wissenschaftsentwicklung charakterisiert

Kuhn - Paradigma

Allgemeine Merkmale Beispiel Newtons Mechanik

Jedes Paradigma beinhaltet bestimmte theoretische Annahmen

Einen Bestand an methodischen Regeln

paradigmatische Anwendungen und

bdquoquasi-metaphysischeldquo Uumlberzeugun-gen (S 55)

Newtons drei Axiome und das Gravitationsgesetz

z B bdquoNewtons Prinzipldquo Physikalische Vorgaumlnge sind durch Differentialgleichungen zu beschreiben

Fallbeschleunigung (Galileis Gesetze) und die Planetenbahnen im Sonnensystem (Keplers Gesetze)

Der bdquoabsolute Raumldquo und die bdquoabsolute Zeitldquo

Quelle Lauth III Teil WissenschaftlicherFortschritt und der Wandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)

Nach Kuhn kann man ein Paradigma kennzeichnen 1048708 durch das was beobachtet und uumlberpruumlft wird 1048708 durch die Art der Fragen welche in Bezug auf ein

Thema gestellt werden und die gepruumlft werden sollen

1048708 danach wie diese Fragen gestellt werden sollen

1048708 dadurch wie die Ergebnisse der wissenschaft-lichen Untersuchung interpretiert werden sollen

Thomas Kuhn The Structure of Scientific Revolutions Chicago 1962

Merkmale von Paradigmen

Wissenschaftliche Paradigmen sindgekennzeichnet durch 1048708ein bestimmtes Menschenbild 1048708 eine bestimmte Auffassung vomForschungsgegenstand 1048708 daraus resultierende spezifischemethodische Praumlferenzen 1048708 ein bestimmtes Begriffsvokabular und 1048708 (in manchen Faumlllen) eine Traditionsbildunguumlber Lehrer-Schuumller-Verhaumlltnisse

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersichtbull F Muumlhlhoumllzer Thomas S Kuhn in J Nida-Ruumlmelin

(Hrsg) Philosophie der Gegenwart in Einzeldar-stellungen von Adorno bis vWright 2Aufl Stuttgart Kroumlner 1999 S 383 ff

bull Wolfgang Stegmuumlller Hauptstroumlmungen der Gegen-wartsphilosophie 8 Aufl Stuttgart Kroumlner 1987 Kap III

bull Paul Hoyningen-Huene Die Wissenschafts-philosophie Thomas S Kuhns Rekonstruktion und Grundlagenprobleme Braunschweig Vieweg 1989

Normale Wissenschaftund wissenschaftliche Paradigmen

Die bdquonormale Wissenschaftldquo ist nach Kuhn durch die Bindung an ein Paradigma gekennzeichnet

bdquoDie Physik des Aristoteles der Almagest des Ptolemaumlus Newtons Principia und Opticks Franklins Electricity Lavoisiers Chimie Lyells Geology ndash diese und viele andere Werke dienten indirekt eine Zeitlang dazu fuumlr nachfolgende Generationen von Fachleuten die anerkannten Probleme und Methoden eines Forschungsgebiets zu bestimmen Sie vermochten dies da sie zwei wesentliche Eigenschaften gemeinsam hatten Ihre Leistung war neuartig genug um eine bestaumlndige Gruppe von Anhaumlngern anzuziehen die ihre Wissenschaft bisher auf andere Art betrieben hatten und gleichzeitig war sie noch offen genug um der neuen Gruppe von Fachleuten alle moumlglichen ungeloumlsten Probleme zu stellen Leistungen mit diesen beiden Merkmalen werde ich von nun an als bdquoParadigmataldquo bezeichnen ein Ausdruck der eng mit dem der bdquonormalen Wissenschaftldquo zusammenhaumlngtldquo

Anomalien und die Krise der normalen Wissenschaft

Durch gehaumluftes Auftreten von bdquoAnomalienldquo entsteht eine Krise der normalen Wissenschaft

Definition Anomalien sind bdquoPhaumlnomen[e] auf welche[] das Paradigma den Forscher nicht vorbereitet hatteldquo (70) Die Veraumlnderung des wissenschaftlichen Weltbilds beginnt mit der Einsicht bdquodaszlig die Natur in irgendeiner Weise die von einem Paradigma erzeugten die normale Wissenschaft beherrschenden Erwartungen nicht erfuumlllt hatldquo (66) Mit anderen Worten Anomalien stehen in Widerspruch zu den Vorhersagen der Theorie sind also mit Mitteln des Paradigmas nicht erklaumlrbar

Anomalien als Ausloumlser von Krisen bdquoDa das Auftauchen neuer Theorien eine umfassende Paradigmazerstoumlrung und groumlszligere Verschiebungen in den Problemen und Verfahren der normalen Wissenschaft erfordert geht ihm im allgemeinen eine Periode ausgesprochener fachwissenschaftlicher Unsicherheit voraus Wie zu erwarten wird diese Unsicherheit durch das dauernde Unvermoumlgen erzeugt fuumlr die Raumltsel der normalen Wissenschaft die erwartete Aufloumlsung zu finden Das Versagen der vorhandenen Regeln leitet die Suche nach neuen einldquo(80)

Anomalien versus Falsifikationen

bull Anomalien fuumlhren nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der zugrunde liegenden Theoriebull Anomalien koumlnnen normalerweise im Rahmen des Paradigmas erklaumlrt oder aufgeloumlst werden Anomalien sind bdquonormalldquobull Erst eine Haumlufung von bdquohartnaumlckigenldquo Anomalien fuumlhrt zur Krise der normalen Wissenschaft und damit moumlglicherweise zu einer wissenschaftlichen Revolution

Wie reagieren Wissenschaftler auf das Auftreten von Anomalien bdquoEinen ebenso offenkundigen wie wichtigen Teil der Antwort koumlnnen wir finden indem wie erst einmal festhalten was Wissenschaftler niemals tun wenn sie mit Anomalien konfrontiert werden und seien diese noch so schwerwiegend und lang andauernd Wenn sie auch beginnen moumlgen den Glauben zu verlieren und an Alternativen zu denken so verwerfen sie doch nicht das Paradigma das sie in eine Krise hineingefuumlhrt hat Das heiszligt also sie behandeln die Anomalien nicht als Gegenbeispiele obwohl Anomalien im Vokabular der Wissenschaftstheorie genau das sindldquo (90)

Wissenschaftliche Revolutionen (1)

Definition Wissenschaftliche Revolutionen sind Vorgaumlnge die zu einer mehr oder weniger radikalen Korrektur des wissenschaftlichen Weltbilds fuumlhren

Beispiele

bull die kopernikanische Revolution (Uumlbergang vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild)

bull Darwins Evolutionslehre

bull Einsteins Theorie von Raum und Zeit

bull die Entstehung der Quantenphysik (Indeterminismus und Unschaumlrferelation)

Wissenschaftliche Revolutionen (2)

bull Bei einer wissenschaftlichen Revolution wird ein etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie ersetzt

bull Verschiedene Paradigmen sind nach Kuhn bdquoinkommensurabelldquo dh es gibt keine objektiven Kriterien die eine Entscheidung fuumlr das eine oder andere Paradigma begruumlnden koumlnnten

Begruumlndung Vertreter unterschiedlicher Paradigmen sprechen verschiedene Sprachen gehen von unterschiedlichen theoretischen Annahmen und methodologischen Regeln aus

bdquoWenn Paradigmata in eine Diskussion uumlber die Wahl von Paradigmata eingehen ndash und sie muumlssen es ja - dann ist ihre Rolle notwendigerweise zirkulaumlr Jede Gruppe verwendet ihr eigenes Paradigma zur Verteidigung eben dieses Paradigmasldquo (106) Die zentrale Konsequenz aus dieser Feststellung ist daszlig Konflikte zwischen konkurrierenden Theorien bdquoniemals durch Logik und Experiment allein eindeutig entschieden werdenldquo koumlnnen (107)

Struktur der Wissenschaftlichen Revolution

Vorparadigmatische PhaseNebeneinanderstehende lose definierte miteinander kon-

kurrierende Ansaumltze ohne Dominanz eines einzelnen Paradigmas

Paradigmatische PhaseDurchsetzung eines Ansatzes Ausgrenzung konkurrierender

Ansaumltze herrschendes Paradigma wird Bezugsrahmen fuumlr Forschung eines Fachs normgebend Phase kumulativer normalwissenschaftlicher Forschung

Kritische PhaseErschoumlpfung des dominierenden Paradigmas Haumlufung von Fehl-

schlaumlgen und Anomalien lassen Zweifel an Erklaumlrungskraft des Paradigma entstehen

Revolutionaumlre PhaseBreiter Aufstand gegen herrschendes Paradigma Suchen neuer

Wege Widerstand der Vertreter des alten Paradigmas Neue Paradigmatische PhaseWeder Verifikation noch Falsifikation sondern DimensionssprungWettstreit der Paradigmata wird nicht durch Beweise entschieden

sondern mittels Durchsetzungskraft

VORPARADIGMATISCHE PHASE

ENTSTEHUNG EINES NEUEN PARADIGMAS

bdquoNORMALE WISSENSCHAFTldquo

HAumlUFUNG VON ANOMALIEN

KRISE DER NORMALEN WISSENSCHAFT

WISSENSCHAFTLICHE REVOLUTION

Kuhn ndash Wissenschaftliche Revolutionen

Quelle LauthSareiter Wissenschaftliche Erkenntnis Paderborn 2002 S 123

Probleme von Kuhns Modell

Bei der Beurteilung von Kuhns Theorien ist zu unterscheiden zwischen wissenschaftshistorischen Fakten und wissenschaftstheoretischenSchlussfolgerungen

Das Hauptproblem

bull Der Wandel des wissenschaftlichen Weltbilds ist nach Kuhn nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren Es gibt keinen Erkenntnis-fortschritt nur eine neue Sicht der Dinge

bull Die Wissenschaftstheorie (Poppers Logik der Forschung) muumlsste nach Kuhn durch wissenschaftshistorische und ndashsoziologische Betrachtungen ersetzt werden

bull Kuhns Theorie laumlszligt wichtige Fragen offen (siehe naumlchste Folie)

Offene Fragen

bdquoInsbesondere liefert Kuhn keine plausible oder befriedigende Erklaumlrung fuumlr die Verdraumlngung eines etablierten Paradigmas und den bdquoSiegldquo des neuen Paradigmas uumlber seinen Vorgaumlnger Nach Kuhns Auffassung ist der Konflikt zwischen zwei rivalisierenden Paradigmen bdquoniemals durch Logik und Experiment alleineldquo zu entscheiden Das wuumlrde jedoch bedeuten daszlig der Theorienwandel in der Wissenschaft nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren ist sondern nur durch Rekurs auf wissenschaftshistorische oder -soziologische Phaumlnomene Aber was koumlnnten dann die Ursachen dafuumlr sein daszlig ein einmal etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie vollstaumlndig verdraumlngt und ersetzt werden kann Kuhns Hinweis darauf daszlig die Vertreter des alten Paradigmas im Lauf der Zeit einfach bdquoaussterbenldquo ist sicherlich zu einfach Warum gelingt es den Anhaumlngern des alten Paradigmas nicht neue Anhaumlnger unter dem wissenschaftlichen Nachwuchs zu rekrutieren Warum sollte nicht die Entstehung von neuen Theorien im Lauf der Zeit zu einer Pluralitaumlt von konkurrierenden Paradigmen oder Theorien fuumlhren von denen jede eine gewisse Anzahl von bdquoAnhaumlngernldquo um sich scharen kann Warum sind heute praktisch alle Physiker davon uumlberzeugt daszlig Einsteins Relativitaumlts-theorie eine bessere Beschreibung und Erklaumlrung der physikalischen Phaumlnomene liefert als die Newtonsche MechanikWarum glaubt heute niemand mehr an das geozentrische Weltbild eines Aristoteles oder Kopernikus Warum hat Darwins Evolutionstheorie alle biologischen Theorien die von einer Konstanz der Arten ausgehen erfolgreich verdraumlngen koumlnnen ldquo

(B Lauth J Sareiter Wissenschaftliche Erkenntnis S 135)

Literaturtipp

bull Bernhard Lauth J Sareiter Wissenschaft-liche Erkenntnis Eine ideengeschichtliche Einfuumlhrung in die Wissenschaftstheorie Paderborn Mentis-Verlag 2002

Methodische FolgerungenKuhn versus Popper

bdquoWenn eine wissenschaftliche Theorie einmal den Status eines Paradigmas erlangt hat wird sie nur dann fuumlr unguumlltig erklaumlrt wenn ein anderer Kandidat vorhanden ist der ihren Platz einnehmen kann Kein bisher durch das Studium der wissenschaftlichen Entwicklung aufgedeckter Prozeszlig hat irgendeine Aumlhnlichkeit mit der methodologischen Schablone der Falsifikation durch unmittelbaren Vergleich mit der Naturldquo (90)

bdquoZweifellos ist die der Falsifikation zugesprochene Rolle derjenigen sehr aumlhnlich welche dieser Essay den anomalen Erfahrungen beimiszligt also jenen Erfahrungen die eine Krise hervorrufen und dadurch den Weg fuumlr eine neue Theorie bereiten Trotzdem duumlrfen anomale Erfahrungen nicht mit falsifizierenden gleichgestellt werden Ich glaube sogar daszlig es letztere uumlberhaupt nicht gibtldquo (157)

Eine Gegenposition hat Imre Lakatos vertreten In seinem Essay uumlber die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme zeigt Lakatos dass die von Kuhn diagnostizierten Phaumlnomene auch im Rahmen der falsifikationistischen Methodik erklaumlrbar sind

Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos

Imre Lakatos (1922-1974) kritisierte einmal das Poppersche Falsifizierungspostulat Wissen-schaftler neigen eher dazu ihre Theorien zu verteidigen als sie zu widerlegen

Lakatos hielt aber auch Kuhns Theorie der wissenschaftlichen Revolutionen fuumlr irreal und verstand Wissenschaft als ein Nebeneinander konkurrierender Forschungsprogramme

Ein alternatives Modell deswissenschaftlichen Fortschritts

In bdquoKritik und Erkenntnisfortschrittldquo entwickelt Imre Lakatos ein Alternativmodell des wissenschaftlichen Fortschritts Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen bdquoTheoriekernldquo und bdquoZusatzhypothesenldquo

bull Die meisten wissenschaftlichen Theorien fuumlhren erst in Verbindung mit geeigneten Zusatzhypothesen zu empirisch nachpruumlfbaren Vorhersagen

bull Widerspruumlche zwischen Theorie und Experiment fuumlhren daher nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der Theorie sondern koumlnnen auch durch Korrektur der Zusatzhyothesen aufgeloumlst werden

Ein modifiziertes Modell der empirischen Uumlberpruumlfungvon wissenschaftlichen Theorien

Wissenschaftliche Theorien (bdquoParadigmenldquo)

Zusatzhypothesen

Empirisch nachpruumlfbare Vorhersagen

Vergleich mit Beobachtung Messung

Experiment

Vorlaumlufige Bestaumltigung der Theorie

Revision der Theorie

Revision der Zusatzhypothesen

Wissenschaftliche Revolution

Signifikante Abweichungen (bdquoAnomalienldquo)Keine signifikanten Abweichungen

plus

Quelle Lauth III Teil Wissenschaftlicher Fortschritt und derWandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Erkenntnisfortschritt

Eine neue Theorie Tacute die ein etabliertes Paradigma T verdraumlngen soll muss nach Lakatos zwei Bedingungen erfuumlllen

bull Die neue Theorie muss die Erfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die alte Theorie zu korrekten Vorhersagen fuumlhrt muss Tacute dieselben Vorhersagen machen

bull Die neue Theorie muss die Misserfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die neue Theorie zu abweichenden Vorhersagen fuumlhrt bestaumltigen Beobachtungen und Messungen die abweichenden Vorhersagen

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersicht

VSteenblock Imre Lakatos in JNida-Ruumlmelin (Hrsg) Philosophie der Gegenwartin Einzeldarstellungenhellip 2AuflStuttgart Kroumlner 1999 S 400ff

Auch zu Kuhn Feyerabend usw

Werner Diederich (Hrsg) Theorien der Wissenschafts-geschichte Beitraumlge zur diachronen Wissenschafts- theorie FrankfurtMain Suhrkamp 1974

Literaturtipp

Thanx for your attentionhellip

  • Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes
  • Sir Karl Popper (1902-1994) und die Logik der Forschung
  • Thomas Kuhns Modell der Entwicklung von Wissenschaft(en)
  • Folie 4
  • Folie 5
  • Folie 6
  • Folie 7
  • Folie 8
  • Folie 9
  • Folie 10
  • Folie 11
  • Folie 12
  • Folie 13
  • Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)
  • Folie 16
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)
  • Merkmale von Paradigmen
  • Literaturtipp
  • Folie 20
  • Folie 21
  • Folie 22
  • Folie 23
  • Folie 24
  • Struktur der Wissenschaftlichen Revolution
  • Folie 26
  • Folie 27
  • Folie 28
  • Slide 29
  • Folie 30
  • Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos
  • Folie 32
  • Folie 33
  • Folie 34
  • Slide 35
  • Slide 36
  • Thanx for your attentionhellip
Page 5: Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes ? Zur historischen Genese von (Teil-)Wissenschaft.

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

CREATION OF A NEW WORLDVIEW

Questioning of old knowledge amp assumptions

Gradual replacement of religious amp superstition presumptions

Gradual rise of science amp reason

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

NEW DIRECTIONS IN ASTRONOMY amp PHYSICS

PTOLEMY Geocentricism

NICOLAUS COPERNICUS (1473-1543) Heliocentrisim

TYCHO BRAHE (1546-1601) More accurate position of planets

JOHANNES KEPLER (1571-1630) Elliptical planetary movement

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

NEW DIRECTIONS IN ASTRONOMY amp PHYSICS

GALILEO GALILEI (1564-1642)

Constructed first telescope

Described motion of bodies on earth

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

NEW DIRECTIONS IN ASTRONOMY amp PHYSICS

ISAAC NEWTON (1642-1727)

Universal Gravitation combined laws of planetary amp earth motion

Numerous practical applications

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

DISCOVERIES IN OTHER SCIENCES

Botany new medical applications

Anatomy better understand of how human body worked

Microscope invented

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

PHILOSOPHICAL THOUGHT

FRANCIS BACON (1561-1626)

Inductive reasoning working from particular to general conclusions

Empiricism amp scientific method

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

PHILOSOPHICAL THOUGHT

RENEacute DESCARTES (1596-1650)

Geometry any algebraic formula could be plotted as curve in space

Cartesian Dualism division of reality into ldquothinking substancerdquo amp ldquoextended substancerdquo

Deductive Reasoning starting with general assumptions amp working downward

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

POLITICAL THOUGHT

THOMAS HOBBES (1588-1679)

Negative mechanistic view of human nature

Strong sovereign necessary to control conflicting desires

Hobbersquos Leviathan

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

POLITICAL THOUGHT

JOHN LOCKE (1632-1704)

TABULA RASA humans born with blank slate

Government amp public enter contract

Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)

Geboren CincinnatiOhio USA1948 Master Education amp History of Science in Harvard1949 Doktor der Physik Harvard University1956 University of California Berkeley1961 Professor History of Science Berkeley1979 Professor Philosophie und Wissenschaftsgeschichte MIT

Boston

Wesentlichste Arbeit bdquoThe Structure of Scientific Revolutionldquo 1962 Ca eine Millionen verkaufte Exemplare

Derzeit immer noch wichtigste und einflussreichste Theorie der Wissenschaftsgeschichte wegen der Einfuumlhrung der Begriffe Paradigma und Paradigmenwechsel

Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)

Generell verstehen wir unter einem Paradigma

ein Buumlndel von bull theoretischen Leitsaumltzenbull Fragestellungen bull Methoden zu ihrer Beantwortung

das das Vorgehen der Wissenschaftler in einer je bestimmten historischen Periode der Wissenschaftsentwicklung charakterisiert

Kuhn - Paradigma

Allgemeine Merkmale Beispiel Newtons Mechanik

Jedes Paradigma beinhaltet bestimmte theoretische Annahmen

Einen Bestand an methodischen Regeln

paradigmatische Anwendungen und

bdquoquasi-metaphysischeldquo Uumlberzeugun-gen (S 55)

Newtons drei Axiome und das Gravitationsgesetz

z B bdquoNewtons Prinzipldquo Physikalische Vorgaumlnge sind durch Differentialgleichungen zu beschreiben

Fallbeschleunigung (Galileis Gesetze) und die Planetenbahnen im Sonnensystem (Keplers Gesetze)

Der bdquoabsolute Raumldquo und die bdquoabsolute Zeitldquo

Quelle Lauth III Teil WissenschaftlicherFortschritt und der Wandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)

Nach Kuhn kann man ein Paradigma kennzeichnen 1048708 durch das was beobachtet und uumlberpruumlft wird 1048708 durch die Art der Fragen welche in Bezug auf ein

Thema gestellt werden und die gepruumlft werden sollen

1048708 danach wie diese Fragen gestellt werden sollen

1048708 dadurch wie die Ergebnisse der wissenschaft-lichen Untersuchung interpretiert werden sollen

Thomas Kuhn The Structure of Scientific Revolutions Chicago 1962

Merkmale von Paradigmen

Wissenschaftliche Paradigmen sindgekennzeichnet durch 1048708ein bestimmtes Menschenbild 1048708 eine bestimmte Auffassung vomForschungsgegenstand 1048708 daraus resultierende spezifischemethodische Praumlferenzen 1048708 ein bestimmtes Begriffsvokabular und 1048708 (in manchen Faumlllen) eine Traditionsbildunguumlber Lehrer-Schuumller-Verhaumlltnisse

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersichtbull F Muumlhlhoumllzer Thomas S Kuhn in J Nida-Ruumlmelin

(Hrsg) Philosophie der Gegenwart in Einzeldar-stellungen von Adorno bis vWright 2Aufl Stuttgart Kroumlner 1999 S 383 ff

bull Wolfgang Stegmuumlller Hauptstroumlmungen der Gegen-wartsphilosophie 8 Aufl Stuttgart Kroumlner 1987 Kap III

bull Paul Hoyningen-Huene Die Wissenschafts-philosophie Thomas S Kuhns Rekonstruktion und Grundlagenprobleme Braunschweig Vieweg 1989

Normale Wissenschaftund wissenschaftliche Paradigmen

Die bdquonormale Wissenschaftldquo ist nach Kuhn durch die Bindung an ein Paradigma gekennzeichnet

bdquoDie Physik des Aristoteles der Almagest des Ptolemaumlus Newtons Principia und Opticks Franklins Electricity Lavoisiers Chimie Lyells Geology ndash diese und viele andere Werke dienten indirekt eine Zeitlang dazu fuumlr nachfolgende Generationen von Fachleuten die anerkannten Probleme und Methoden eines Forschungsgebiets zu bestimmen Sie vermochten dies da sie zwei wesentliche Eigenschaften gemeinsam hatten Ihre Leistung war neuartig genug um eine bestaumlndige Gruppe von Anhaumlngern anzuziehen die ihre Wissenschaft bisher auf andere Art betrieben hatten und gleichzeitig war sie noch offen genug um der neuen Gruppe von Fachleuten alle moumlglichen ungeloumlsten Probleme zu stellen Leistungen mit diesen beiden Merkmalen werde ich von nun an als bdquoParadigmataldquo bezeichnen ein Ausdruck der eng mit dem der bdquonormalen Wissenschaftldquo zusammenhaumlngtldquo

Anomalien und die Krise der normalen Wissenschaft

Durch gehaumluftes Auftreten von bdquoAnomalienldquo entsteht eine Krise der normalen Wissenschaft

Definition Anomalien sind bdquoPhaumlnomen[e] auf welche[] das Paradigma den Forscher nicht vorbereitet hatteldquo (70) Die Veraumlnderung des wissenschaftlichen Weltbilds beginnt mit der Einsicht bdquodaszlig die Natur in irgendeiner Weise die von einem Paradigma erzeugten die normale Wissenschaft beherrschenden Erwartungen nicht erfuumlllt hatldquo (66) Mit anderen Worten Anomalien stehen in Widerspruch zu den Vorhersagen der Theorie sind also mit Mitteln des Paradigmas nicht erklaumlrbar

Anomalien als Ausloumlser von Krisen bdquoDa das Auftauchen neuer Theorien eine umfassende Paradigmazerstoumlrung und groumlszligere Verschiebungen in den Problemen und Verfahren der normalen Wissenschaft erfordert geht ihm im allgemeinen eine Periode ausgesprochener fachwissenschaftlicher Unsicherheit voraus Wie zu erwarten wird diese Unsicherheit durch das dauernde Unvermoumlgen erzeugt fuumlr die Raumltsel der normalen Wissenschaft die erwartete Aufloumlsung zu finden Das Versagen der vorhandenen Regeln leitet die Suche nach neuen einldquo(80)

Anomalien versus Falsifikationen

bull Anomalien fuumlhren nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der zugrunde liegenden Theoriebull Anomalien koumlnnen normalerweise im Rahmen des Paradigmas erklaumlrt oder aufgeloumlst werden Anomalien sind bdquonormalldquobull Erst eine Haumlufung von bdquohartnaumlckigenldquo Anomalien fuumlhrt zur Krise der normalen Wissenschaft und damit moumlglicherweise zu einer wissenschaftlichen Revolution

Wie reagieren Wissenschaftler auf das Auftreten von Anomalien bdquoEinen ebenso offenkundigen wie wichtigen Teil der Antwort koumlnnen wir finden indem wie erst einmal festhalten was Wissenschaftler niemals tun wenn sie mit Anomalien konfrontiert werden und seien diese noch so schwerwiegend und lang andauernd Wenn sie auch beginnen moumlgen den Glauben zu verlieren und an Alternativen zu denken so verwerfen sie doch nicht das Paradigma das sie in eine Krise hineingefuumlhrt hat Das heiszligt also sie behandeln die Anomalien nicht als Gegenbeispiele obwohl Anomalien im Vokabular der Wissenschaftstheorie genau das sindldquo (90)

Wissenschaftliche Revolutionen (1)

Definition Wissenschaftliche Revolutionen sind Vorgaumlnge die zu einer mehr oder weniger radikalen Korrektur des wissenschaftlichen Weltbilds fuumlhren

Beispiele

bull die kopernikanische Revolution (Uumlbergang vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild)

bull Darwins Evolutionslehre

bull Einsteins Theorie von Raum und Zeit

bull die Entstehung der Quantenphysik (Indeterminismus und Unschaumlrferelation)

Wissenschaftliche Revolutionen (2)

bull Bei einer wissenschaftlichen Revolution wird ein etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie ersetzt

bull Verschiedene Paradigmen sind nach Kuhn bdquoinkommensurabelldquo dh es gibt keine objektiven Kriterien die eine Entscheidung fuumlr das eine oder andere Paradigma begruumlnden koumlnnten

Begruumlndung Vertreter unterschiedlicher Paradigmen sprechen verschiedene Sprachen gehen von unterschiedlichen theoretischen Annahmen und methodologischen Regeln aus

bdquoWenn Paradigmata in eine Diskussion uumlber die Wahl von Paradigmata eingehen ndash und sie muumlssen es ja - dann ist ihre Rolle notwendigerweise zirkulaumlr Jede Gruppe verwendet ihr eigenes Paradigma zur Verteidigung eben dieses Paradigmasldquo (106) Die zentrale Konsequenz aus dieser Feststellung ist daszlig Konflikte zwischen konkurrierenden Theorien bdquoniemals durch Logik und Experiment allein eindeutig entschieden werdenldquo koumlnnen (107)

Struktur der Wissenschaftlichen Revolution

Vorparadigmatische PhaseNebeneinanderstehende lose definierte miteinander kon-

kurrierende Ansaumltze ohne Dominanz eines einzelnen Paradigmas

Paradigmatische PhaseDurchsetzung eines Ansatzes Ausgrenzung konkurrierender

Ansaumltze herrschendes Paradigma wird Bezugsrahmen fuumlr Forschung eines Fachs normgebend Phase kumulativer normalwissenschaftlicher Forschung

Kritische PhaseErschoumlpfung des dominierenden Paradigmas Haumlufung von Fehl-

schlaumlgen und Anomalien lassen Zweifel an Erklaumlrungskraft des Paradigma entstehen

Revolutionaumlre PhaseBreiter Aufstand gegen herrschendes Paradigma Suchen neuer

Wege Widerstand der Vertreter des alten Paradigmas Neue Paradigmatische PhaseWeder Verifikation noch Falsifikation sondern DimensionssprungWettstreit der Paradigmata wird nicht durch Beweise entschieden

sondern mittels Durchsetzungskraft

VORPARADIGMATISCHE PHASE

ENTSTEHUNG EINES NEUEN PARADIGMAS

bdquoNORMALE WISSENSCHAFTldquo

HAumlUFUNG VON ANOMALIEN

KRISE DER NORMALEN WISSENSCHAFT

WISSENSCHAFTLICHE REVOLUTION

Kuhn ndash Wissenschaftliche Revolutionen

Quelle LauthSareiter Wissenschaftliche Erkenntnis Paderborn 2002 S 123

Probleme von Kuhns Modell

Bei der Beurteilung von Kuhns Theorien ist zu unterscheiden zwischen wissenschaftshistorischen Fakten und wissenschaftstheoretischenSchlussfolgerungen

Das Hauptproblem

bull Der Wandel des wissenschaftlichen Weltbilds ist nach Kuhn nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren Es gibt keinen Erkenntnis-fortschritt nur eine neue Sicht der Dinge

bull Die Wissenschaftstheorie (Poppers Logik der Forschung) muumlsste nach Kuhn durch wissenschaftshistorische und ndashsoziologische Betrachtungen ersetzt werden

bull Kuhns Theorie laumlszligt wichtige Fragen offen (siehe naumlchste Folie)

Offene Fragen

bdquoInsbesondere liefert Kuhn keine plausible oder befriedigende Erklaumlrung fuumlr die Verdraumlngung eines etablierten Paradigmas und den bdquoSiegldquo des neuen Paradigmas uumlber seinen Vorgaumlnger Nach Kuhns Auffassung ist der Konflikt zwischen zwei rivalisierenden Paradigmen bdquoniemals durch Logik und Experiment alleineldquo zu entscheiden Das wuumlrde jedoch bedeuten daszlig der Theorienwandel in der Wissenschaft nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren ist sondern nur durch Rekurs auf wissenschaftshistorische oder -soziologische Phaumlnomene Aber was koumlnnten dann die Ursachen dafuumlr sein daszlig ein einmal etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie vollstaumlndig verdraumlngt und ersetzt werden kann Kuhns Hinweis darauf daszlig die Vertreter des alten Paradigmas im Lauf der Zeit einfach bdquoaussterbenldquo ist sicherlich zu einfach Warum gelingt es den Anhaumlngern des alten Paradigmas nicht neue Anhaumlnger unter dem wissenschaftlichen Nachwuchs zu rekrutieren Warum sollte nicht die Entstehung von neuen Theorien im Lauf der Zeit zu einer Pluralitaumlt von konkurrierenden Paradigmen oder Theorien fuumlhren von denen jede eine gewisse Anzahl von bdquoAnhaumlngernldquo um sich scharen kann Warum sind heute praktisch alle Physiker davon uumlberzeugt daszlig Einsteins Relativitaumlts-theorie eine bessere Beschreibung und Erklaumlrung der physikalischen Phaumlnomene liefert als die Newtonsche MechanikWarum glaubt heute niemand mehr an das geozentrische Weltbild eines Aristoteles oder Kopernikus Warum hat Darwins Evolutionstheorie alle biologischen Theorien die von einer Konstanz der Arten ausgehen erfolgreich verdraumlngen koumlnnen ldquo

(B Lauth J Sareiter Wissenschaftliche Erkenntnis S 135)

Literaturtipp

bull Bernhard Lauth J Sareiter Wissenschaft-liche Erkenntnis Eine ideengeschichtliche Einfuumlhrung in die Wissenschaftstheorie Paderborn Mentis-Verlag 2002

Methodische FolgerungenKuhn versus Popper

bdquoWenn eine wissenschaftliche Theorie einmal den Status eines Paradigmas erlangt hat wird sie nur dann fuumlr unguumlltig erklaumlrt wenn ein anderer Kandidat vorhanden ist der ihren Platz einnehmen kann Kein bisher durch das Studium der wissenschaftlichen Entwicklung aufgedeckter Prozeszlig hat irgendeine Aumlhnlichkeit mit der methodologischen Schablone der Falsifikation durch unmittelbaren Vergleich mit der Naturldquo (90)

bdquoZweifellos ist die der Falsifikation zugesprochene Rolle derjenigen sehr aumlhnlich welche dieser Essay den anomalen Erfahrungen beimiszligt also jenen Erfahrungen die eine Krise hervorrufen und dadurch den Weg fuumlr eine neue Theorie bereiten Trotzdem duumlrfen anomale Erfahrungen nicht mit falsifizierenden gleichgestellt werden Ich glaube sogar daszlig es letztere uumlberhaupt nicht gibtldquo (157)

Eine Gegenposition hat Imre Lakatos vertreten In seinem Essay uumlber die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme zeigt Lakatos dass die von Kuhn diagnostizierten Phaumlnomene auch im Rahmen der falsifikationistischen Methodik erklaumlrbar sind

Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos

Imre Lakatos (1922-1974) kritisierte einmal das Poppersche Falsifizierungspostulat Wissen-schaftler neigen eher dazu ihre Theorien zu verteidigen als sie zu widerlegen

Lakatos hielt aber auch Kuhns Theorie der wissenschaftlichen Revolutionen fuumlr irreal und verstand Wissenschaft als ein Nebeneinander konkurrierender Forschungsprogramme

Ein alternatives Modell deswissenschaftlichen Fortschritts

In bdquoKritik und Erkenntnisfortschrittldquo entwickelt Imre Lakatos ein Alternativmodell des wissenschaftlichen Fortschritts Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen bdquoTheoriekernldquo und bdquoZusatzhypothesenldquo

bull Die meisten wissenschaftlichen Theorien fuumlhren erst in Verbindung mit geeigneten Zusatzhypothesen zu empirisch nachpruumlfbaren Vorhersagen

bull Widerspruumlche zwischen Theorie und Experiment fuumlhren daher nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der Theorie sondern koumlnnen auch durch Korrektur der Zusatzhyothesen aufgeloumlst werden

Ein modifiziertes Modell der empirischen Uumlberpruumlfungvon wissenschaftlichen Theorien

Wissenschaftliche Theorien (bdquoParadigmenldquo)

Zusatzhypothesen

Empirisch nachpruumlfbare Vorhersagen

Vergleich mit Beobachtung Messung

Experiment

Vorlaumlufige Bestaumltigung der Theorie

Revision der Theorie

Revision der Zusatzhypothesen

Wissenschaftliche Revolution

Signifikante Abweichungen (bdquoAnomalienldquo)Keine signifikanten Abweichungen

plus

Quelle Lauth III Teil Wissenschaftlicher Fortschritt und derWandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Erkenntnisfortschritt

Eine neue Theorie Tacute die ein etabliertes Paradigma T verdraumlngen soll muss nach Lakatos zwei Bedingungen erfuumlllen

bull Die neue Theorie muss die Erfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die alte Theorie zu korrekten Vorhersagen fuumlhrt muss Tacute dieselben Vorhersagen machen

bull Die neue Theorie muss die Misserfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die neue Theorie zu abweichenden Vorhersagen fuumlhrt bestaumltigen Beobachtungen und Messungen die abweichenden Vorhersagen

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersicht

VSteenblock Imre Lakatos in JNida-Ruumlmelin (Hrsg) Philosophie der Gegenwartin Einzeldarstellungenhellip 2AuflStuttgart Kroumlner 1999 S 400ff

Auch zu Kuhn Feyerabend usw

Werner Diederich (Hrsg) Theorien der Wissenschafts-geschichte Beitraumlge zur diachronen Wissenschafts- theorie FrankfurtMain Suhrkamp 1974

Literaturtipp

Thanx for your attentionhellip

  • Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes
  • Sir Karl Popper (1902-1994) und die Logik der Forschung
  • Thomas Kuhns Modell der Entwicklung von Wissenschaft(en)
  • Folie 4
  • Folie 5
  • Folie 6
  • Folie 7
  • Folie 8
  • Folie 9
  • Folie 10
  • Folie 11
  • Folie 12
  • Folie 13
  • Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)
  • Folie 16
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)
  • Merkmale von Paradigmen
  • Literaturtipp
  • Folie 20
  • Folie 21
  • Folie 22
  • Folie 23
  • Folie 24
  • Struktur der Wissenschaftlichen Revolution
  • Folie 26
  • Folie 27
  • Folie 28
  • Slide 29
  • Folie 30
  • Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos
  • Folie 32
  • Folie 33
  • Folie 34
  • Slide 35
  • Slide 36
  • Thanx for your attentionhellip
Page 6: Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes ? Zur historischen Genese von (Teil-)Wissenschaft.

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

NEW DIRECTIONS IN ASTRONOMY amp PHYSICS

PTOLEMY Geocentricism

NICOLAUS COPERNICUS (1473-1543) Heliocentrisim

TYCHO BRAHE (1546-1601) More accurate position of planets

JOHANNES KEPLER (1571-1630) Elliptical planetary movement

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

NEW DIRECTIONS IN ASTRONOMY amp PHYSICS

GALILEO GALILEI (1564-1642)

Constructed first telescope

Described motion of bodies on earth

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

NEW DIRECTIONS IN ASTRONOMY amp PHYSICS

ISAAC NEWTON (1642-1727)

Universal Gravitation combined laws of planetary amp earth motion

Numerous practical applications

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

DISCOVERIES IN OTHER SCIENCES

Botany new medical applications

Anatomy better understand of how human body worked

Microscope invented

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

PHILOSOPHICAL THOUGHT

FRANCIS BACON (1561-1626)

Inductive reasoning working from particular to general conclusions

Empiricism amp scientific method

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

PHILOSOPHICAL THOUGHT

RENEacute DESCARTES (1596-1650)

Geometry any algebraic formula could be plotted as curve in space

Cartesian Dualism division of reality into ldquothinking substancerdquo amp ldquoextended substancerdquo

Deductive Reasoning starting with general assumptions amp working downward

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

POLITICAL THOUGHT

THOMAS HOBBES (1588-1679)

Negative mechanistic view of human nature

Strong sovereign necessary to control conflicting desires

Hobbersquos Leviathan

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

POLITICAL THOUGHT

JOHN LOCKE (1632-1704)

TABULA RASA humans born with blank slate

Government amp public enter contract

Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)

Geboren CincinnatiOhio USA1948 Master Education amp History of Science in Harvard1949 Doktor der Physik Harvard University1956 University of California Berkeley1961 Professor History of Science Berkeley1979 Professor Philosophie und Wissenschaftsgeschichte MIT

Boston

Wesentlichste Arbeit bdquoThe Structure of Scientific Revolutionldquo 1962 Ca eine Millionen verkaufte Exemplare

Derzeit immer noch wichtigste und einflussreichste Theorie der Wissenschaftsgeschichte wegen der Einfuumlhrung der Begriffe Paradigma und Paradigmenwechsel

Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)

Generell verstehen wir unter einem Paradigma

ein Buumlndel von bull theoretischen Leitsaumltzenbull Fragestellungen bull Methoden zu ihrer Beantwortung

das das Vorgehen der Wissenschaftler in einer je bestimmten historischen Periode der Wissenschaftsentwicklung charakterisiert

Kuhn - Paradigma

Allgemeine Merkmale Beispiel Newtons Mechanik

Jedes Paradigma beinhaltet bestimmte theoretische Annahmen

Einen Bestand an methodischen Regeln

paradigmatische Anwendungen und

bdquoquasi-metaphysischeldquo Uumlberzeugun-gen (S 55)

Newtons drei Axiome und das Gravitationsgesetz

z B bdquoNewtons Prinzipldquo Physikalische Vorgaumlnge sind durch Differentialgleichungen zu beschreiben

Fallbeschleunigung (Galileis Gesetze) und die Planetenbahnen im Sonnensystem (Keplers Gesetze)

Der bdquoabsolute Raumldquo und die bdquoabsolute Zeitldquo

Quelle Lauth III Teil WissenschaftlicherFortschritt und der Wandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)

Nach Kuhn kann man ein Paradigma kennzeichnen 1048708 durch das was beobachtet und uumlberpruumlft wird 1048708 durch die Art der Fragen welche in Bezug auf ein

Thema gestellt werden und die gepruumlft werden sollen

1048708 danach wie diese Fragen gestellt werden sollen

1048708 dadurch wie die Ergebnisse der wissenschaft-lichen Untersuchung interpretiert werden sollen

Thomas Kuhn The Structure of Scientific Revolutions Chicago 1962

Merkmale von Paradigmen

Wissenschaftliche Paradigmen sindgekennzeichnet durch 1048708ein bestimmtes Menschenbild 1048708 eine bestimmte Auffassung vomForschungsgegenstand 1048708 daraus resultierende spezifischemethodische Praumlferenzen 1048708 ein bestimmtes Begriffsvokabular und 1048708 (in manchen Faumlllen) eine Traditionsbildunguumlber Lehrer-Schuumller-Verhaumlltnisse

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersichtbull F Muumlhlhoumllzer Thomas S Kuhn in J Nida-Ruumlmelin

(Hrsg) Philosophie der Gegenwart in Einzeldar-stellungen von Adorno bis vWright 2Aufl Stuttgart Kroumlner 1999 S 383 ff

bull Wolfgang Stegmuumlller Hauptstroumlmungen der Gegen-wartsphilosophie 8 Aufl Stuttgart Kroumlner 1987 Kap III

bull Paul Hoyningen-Huene Die Wissenschafts-philosophie Thomas S Kuhns Rekonstruktion und Grundlagenprobleme Braunschweig Vieweg 1989

Normale Wissenschaftund wissenschaftliche Paradigmen

Die bdquonormale Wissenschaftldquo ist nach Kuhn durch die Bindung an ein Paradigma gekennzeichnet

bdquoDie Physik des Aristoteles der Almagest des Ptolemaumlus Newtons Principia und Opticks Franklins Electricity Lavoisiers Chimie Lyells Geology ndash diese und viele andere Werke dienten indirekt eine Zeitlang dazu fuumlr nachfolgende Generationen von Fachleuten die anerkannten Probleme und Methoden eines Forschungsgebiets zu bestimmen Sie vermochten dies da sie zwei wesentliche Eigenschaften gemeinsam hatten Ihre Leistung war neuartig genug um eine bestaumlndige Gruppe von Anhaumlngern anzuziehen die ihre Wissenschaft bisher auf andere Art betrieben hatten und gleichzeitig war sie noch offen genug um der neuen Gruppe von Fachleuten alle moumlglichen ungeloumlsten Probleme zu stellen Leistungen mit diesen beiden Merkmalen werde ich von nun an als bdquoParadigmataldquo bezeichnen ein Ausdruck der eng mit dem der bdquonormalen Wissenschaftldquo zusammenhaumlngtldquo

Anomalien und die Krise der normalen Wissenschaft

Durch gehaumluftes Auftreten von bdquoAnomalienldquo entsteht eine Krise der normalen Wissenschaft

Definition Anomalien sind bdquoPhaumlnomen[e] auf welche[] das Paradigma den Forscher nicht vorbereitet hatteldquo (70) Die Veraumlnderung des wissenschaftlichen Weltbilds beginnt mit der Einsicht bdquodaszlig die Natur in irgendeiner Weise die von einem Paradigma erzeugten die normale Wissenschaft beherrschenden Erwartungen nicht erfuumlllt hatldquo (66) Mit anderen Worten Anomalien stehen in Widerspruch zu den Vorhersagen der Theorie sind also mit Mitteln des Paradigmas nicht erklaumlrbar

Anomalien als Ausloumlser von Krisen bdquoDa das Auftauchen neuer Theorien eine umfassende Paradigmazerstoumlrung und groumlszligere Verschiebungen in den Problemen und Verfahren der normalen Wissenschaft erfordert geht ihm im allgemeinen eine Periode ausgesprochener fachwissenschaftlicher Unsicherheit voraus Wie zu erwarten wird diese Unsicherheit durch das dauernde Unvermoumlgen erzeugt fuumlr die Raumltsel der normalen Wissenschaft die erwartete Aufloumlsung zu finden Das Versagen der vorhandenen Regeln leitet die Suche nach neuen einldquo(80)

Anomalien versus Falsifikationen

bull Anomalien fuumlhren nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der zugrunde liegenden Theoriebull Anomalien koumlnnen normalerweise im Rahmen des Paradigmas erklaumlrt oder aufgeloumlst werden Anomalien sind bdquonormalldquobull Erst eine Haumlufung von bdquohartnaumlckigenldquo Anomalien fuumlhrt zur Krise der normalen Wissenschaft und damit moumlglicherweise zu einer wissenschaftlichen Revolution

Wie reagieren Wissenschaftler auf das Auftreten von Anomalien bdquoEinen ebenso offenkundigen wie wichtigen Teil der Antwort koumlnnen wir finden indem wie erst einmal festhalten was Wissenschaftler niemals tun wenn sie mit Anomalien konfrontiert werden und seien diese noch so schwerwiegend und lang andauernd Wenn sie auch beginnen moumlgen den Glauben zu verlieren und an Alternativen zu denken so verwerfen sie doch nicht das Paradigma das sie in eine Krise hineingefuumlhrt hat Das heiszligt also sie behandeln die Anomalien nicht als Gegenbeispiele obwohl Anomalien im Vokabular der Wissenschaftstheorie genau das sindldquo (90)

Wissenschaftliche Revolutionen (1)

Definition Wissenschaftliche Revolutionen sind Vorgaumlnge die zu einer mehr oder weniger radikalen Korrektur des wissenschaftlichen Weltbilds fuumlhren

Beispiele

bull die kopernikanische Revolution (Uumlbergang vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild)

bull Darwins Evolutionslehre

bull Einsteins Theorie von Raum und Zeit

bull die Entstehung der Quantenphysik (Indeterminismus und Unschaumlrferelation)

Wissenschaftliche Revolutionen (2)

bull Bei einer wissenschaftlichen Revolution wird ein etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie ersetzt

bull Verschiedene Paradigmen sind nach Kuhn bdquoinkommensurabelldquo dh es gibt keine objektiven Kriterien die eine Entscheidung fuumlr das eine oder andere Paradigma begruumlnden koumlnnten

Begruumlndung Vertreter unterschiedlicher Paradigmen sprechen verschiedene Sprachen gehen von unterschiedlichen theoretischen Annahmen und methodologischen Regeln aus

bdquoWenn Paradigmata in eine Diskussion uumlber die Wahl von Paradigmata eingehen ndash und sie muumlssen es ja - dann ist ihre Rolle notwendigerweise zirkulaumlr Jede Gruppe verwendet ihr eigenes Paradigma zur Verteidigung eben dieses Paradigmasldquo (106) Die zentrale Konsequenz aus dieser Feststellung ist daszlig Konflikte zwischen konkurrierenden Theorien bdquoniemals durch Logik und Experiment allein eindeutig entschieden werdenldquo koumlnnen (107)

Struktur der Wissenschaftlichen Revolution

Vorparadigmatische PhaseNebeneinanderstehende lose definierte miteinander kon-

kurrierende Ansaumltze ohne Dominanz eines einzelnen Paradigmas

Paradigmatische PhaseDurchsetzung eines Ansatzes Ausgrenzung konkurrierender

Ansaumltze herrschendes Paradigma wird Bezugsrahmen fuumlr Forschung eines Fachs normgebend Phase kumulativer normalwissenschaftlicher Forschung

Kritische PhaseErschoumlpfung des dominierenden Paradigmas Haumlufung von Fehl-

schlaumlgen und Anomalien lassen Zweifel an Erklaumlrungskraft des Paradigma entstehen

Revolutionaumlre PhaseBreiter Aufstand gegen herrschendes Paradigma Suchen neuer

Wege Widerstand der Vertreter des alten Paradigmas Neue Paradigmatische PhaseWeder Verifikation noch Falsifikation sondern DimensionssprungWettstreit der Paradigmata wird nicht durch Beweise entschieden

sondern mittels Durchsetzungskraft

VORPARADIGMATISCHE PHASE

ENTSTEHUNG EINES NEUEN PARADIGMAS

bdquoNORMALE WISSENSCHAFTldquo

HAumlUFUNG VON ANOMALIEN

KRISE DER NORMALEN WISSENSCHAFT

WISSENSCHAFTLICHE REVOLUTION

Kuhn ndash Wissenschaftliche Revolutionen

Quelle LauthSareiter Wissenschaftliche Erkenntnis Paderborn 2002 S 123

Probleme von Kuhns Modell

Bei der Beurteilung von Kuhns Theorien ist zu unterscheiden zwischen wissenschaftshistorischen Fakten und wissenschaftstheoretischenSchlussfolgerungen

Das Hauptproblem

bull Der Wandel des wissenschaftlichen Weltbilds ist nach Kuhn nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren Es gibt keinen Erkenntnis-fortschritt nur eine neue Sicht der Dinge

bull Die Wissenschaftstheorie (Poppers Logik der Forschung) muumlsste nach Kuhn durch wissenschaftshistorische und ndashsoziologische Betrachtungen ersetzt werden

bull Kuhns Theorie laumlszligt wichtige Fragen offen (siehe naumlchste Folie)

Offene Fragen

bdquoInsbesondere liefert Kuhn keine plausible oder befriedigende Erklaumlrung fuumlr die Verdraumlngung eines etablierten Paradigmas und den bdquoSiegldquo des neuen Paradigmas uumlber seinen Vorgaumlnger Nach Kuhns Auffassung ist der Konflikt zwischen zwei rivalisierenden Paradigmen bdquoniemals durch Logik und Experiment alleineldquo zu entscheiden Das wuumlrde jedoch bedeuten daszlig der Theorienwandel in der Wissenschaft nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren ist sondern nur durch Rekurs auf wissenschaftshistorische oder -soziologische Phaumlnomene Aber was koumlnnten dann die Ursachen dafuumlr sein daszlig ein einmal etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie vollstaumlndig verdraumlngt und ersetzt werden kann Kuhns Hinweis darauf daszlig die Vertreter des alten Paradigmas im Lauf der Zeit einfach bdquoaussterbenldquo ist sicherlich zu einfach Warum gelingt es den Anhaumlngern des alten Paradigmas nicht neue Anhaumlnger unter dem wissenschaftlichen Nachwuchs zu rekrutieren Warum sollte nicht die Entstehung von neuen Theorien im Lauf der Zeit zu einer Pluralitaumlt von konkurrierenden Paradigmen oder Theorien fuumlhren von denen jede eine gewisse Anzahl von bdquoAnhaumlngernldquo um sich scharen kann Warum sind heute praktisch alle Physiker davon uumlberzeugt daszlig Einsteins Relativitaumlts-theorie eine bessere Beschreibung und Erklaumlrung der physikalischen Phaumlnomene liefert als die Newtonsche MechanikWarum glaubt heute niemand mehr an das geozentrische Weltbild eines Aristoteles oder Kopernikus Warum hat Darwins Evolutionstheorie alle biologischen Theorien die von einer Konstanz der Arten ausgehen erfolgreich verdraumlngen koumlnnen ldquo

(B Lauth J Sareiter Wissenschaftliche Erkenntnis S 135)

Literaturtipp

bull Bernhard Lauth J Sareiter Wissenschaft-liche Erkenntnis Eine ideengeschichtliche Einfuumlhrung in die Wissenschaftstheorie Paderborn Mentis-Verlag 2002

Methodische FolgerungenKuhn versus Popper

bdquoWenn eine wissenschaftliche Theorie einmal den Status eines Paradigmas erlangt hat wird sie nur dann fuumlr unguumlltig erklaumlrt wenn ein anderer Kandidat vorhanden ist der ihren Platz einnehmen kann Kein bisher durch das Studium der wissenschaftlichen Entwicklung aufgedeckter Prozeszlig hat irgendeine Aumlhnlichkeit mit der methodologischen Schablone der Falsifikation durch unmittelbaren Vergleich mit der Naturldquo (90)

bdquoZweifellos ist die der Falsifikation zugesprochene Rolle derjenigen sehr aumlhnlich welche dieser Essay den anomalen Erfahrungen beimiszligt also jenen Erfahrungen die eine Krise hervorrufen und dadurch den Weg fuumlr eine neue Theorie bereiten Trotzdem duumlrfen anomale Erfahrungen nicht mit falsifizierenden gleichgestellt werden Ich glaube sogar daszlig es letztere uumlberhaupt nicht gibtldquo (157)

Eine Gegenposition hat Imre Lakatos vertreten In seinem Essay uumlber die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme zeigt Lakatos dass die von Kuhn diagnostizierten Phaumlnomene auch im Rahmen der falsifikationistischen Methodik erklaumlrbar sind

Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos

Imre Lakatos (1922-1974) kritisierte einmal das Poppersche Falsifizierungspostulat Wissen-schaftler neigen eher dazu ihre Theorien zu verteidigen als sie zu widerlegen

Lakatos hielt aber auch Kuhns Theorie der wissenschaftlichen Revolutionen fuumlr irreal und verstand Wissenschaft als ein Nebeneinander konkurrierender Forschungsprogramme

Ein alternatives Modell deswissenschaftlichen Fortschritts

In bdquoKritik und Erkenntnisfortschrittldquo entwickelt Imre Lakatos ein Alternativmodell des wissenschaftlichen Fortschritts Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen bdquoTheoriekernldquo und bdquoZusatzhypothesenldquo

bull Die meisten wissenschaftlichen Theorien fuumlhren erst in Verbindung mit geeigneten Zusatzhypothesen zu empirisch nachpruumlfbaren Vorhersagen

bull Widerspruumlche zwischen Theorie und Experiment fuumlhren daher nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der Theorie sondern koumlnnen auch durch Korrektur der Zusatzhyothesen aufgeloumlst werden

Ein modifiziertes Modell der empirischen Uumlberpruumlfungvon wissenschaftlichen Theorien

Wissenschaftliche Theorien (bdquoParadigmenldquo)

Zusatzhypothesen

Empirisch nachpruumlfbare Vorhersagen

Vergleich mit Beobachtung Messung

Experiment

Vorlaumlufige Bestaumltigung der Theorie

Revision der Theorie

Revision der Zusatzhypothesen

Wissenschaftliche Revolution

Signifikante Abweichungen (bdquoAnomalienldquo)Keine signifikanten Abweichungen

plus

Quelle Lauth III Teil Wissenschaftlicher Fortschritt und derWandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Erkenntnisfortschritt

Eine neue Theorie Tacute die ein etabliertes Paradigma T verdraumlngen soll muss nach Lakatos zwei Bedingungen erfuumlllen

bull Die neue Theorie muss die Erfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die alte Theorie zu korrekten Vorhersagen fuumlhrt muss Tacute dieselben Vorhersagen machen

bull Die neue Theorie muss die Misserfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die neue Theorie zu abweichenden Vorhersagen fuumlhrt bestaumltigen Beobachtungen und Messungen die abweichenden Vorhersagen

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersicht

VSteenblock Imre Lakatos in JNida-Ruumlmelin (Hrsg) Philosophie der Gegenwartin Einzeldarstellungenhellip 2AuflStuttgart Kroumlner 1999 S 400ff

Auch zu Kuhn Feyerabend usw

Werner Diederich (Hrsg) Theorien der Wissenschafts-geschichte Beitraumlge zur diachronen Wissenschafts- theorie FrankfurtMain Suhrkamp 1974

Literaturtipp

Thanx for your attentionhellip

  • Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes
  • Sir Karl Popper (1902-1994) und die Logik der Forschung
  • Thomas Kuhns Modell der Entwicklung von Wissenschaft(en)
  • Folie 4
  • Folie 5
  • Folie 6
  • Folie 7
  • Folie 8
  • Folie 9
  • Folie 10
  • Folie 11
  • Folie 12
  • Folie 13
  • Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)
  • Folie 16
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)
  • Merkmale von Paradigmen
  • Literaturtipp
  • Folie 20
  • Folie 21
  • Folie 22
  • Folie 23
  • Folie 24
  • Struktur der Wissenschaftlichen Revolution
  • Folie 26
  • Folie 27
  • Folie 28
  • Slide 29
  • Folie 30
  • Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos
  • Folie 32
  • Folie 33
  • Folie 34
  • Slide 35
  • Slide 36
  • Thanx for your attentionhellip
Page 7: Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes ? Zur historischen Genese von (Teil-)Wissenschaft.

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

NEW DIRECTIONS IN ASTRONOMY amp PHYSICS

GALILEO GALILEI (1564-1642)

Constructed first telescope

Described motion of bodies on earth

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

NEW DIRECTIONS IN ASTRONOMY amp PHYSICS

ISAAC NEWTON (1642-1727)

Universal Gravitation combined laws of planetary amp earth motion

Numerous practical applications

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

DISCOVERIES IN OTHER SCIENCES

Botany new medical applications

Anatomy better understand of how human body worked

Microscope invented

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

PHILOSOPHICAL THOUGHT

FRANCIS BACON (1561-1626)

Inductive reasoning working from particular to general conclusions

Empiricism amp scientific method

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

PHILOSOPHICAL THOUGHT

RENEacute DESCARTES (1596-1650)

Geometry any algebraic formula could be plotted as curve in space

Cartesian Dualism division of reality into ldquothinking substancerdquo amp ldquoextended substancerdquo

Deductive Reasoning starting with general assumptions amp working downward

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

POLITICAL THOUGHT

THOMAS HOBBES (1588-1679)

Negative mechanistic view of human nature

Strong sovereign necessary to control conflicting desires

Hobbersquos Leviathan

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

POLITICAL THOUGHT

JOHN LOCKE (1632-1704)

TABULA RASA humans born with blank slate

Government amp public enter contract

Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)

Geboren CincinnatiOhio USA1948 Master Education amp History of Science in Harvard1949 Doktor der Physik Harvard University1956 University of California Berkeley1961 Professor History of Science Berkeley1979 Professor Philosophie und Wissenschaftsgeschichte MIT

Boston

Wesentlichste Arbeit bdquoThe Structure of Scientific Revolutionldquo 1962 Ca eine Millionen verkaufte Exemplare

Derzeit immer noch wichtigste und einflussreichste Theorie der Wissenschaftsgeschichte wegen der Einfuumlhrung der Begriffe Paradigma und Paradigmenwechsel

Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)

Generell verstehen wir unter einem Paradigma

ein Buumlndel von bull theoretischen Leitsaumltzenbull Fragestellungen bull Methoden zu ihrer Beantwortung

das das Vorgehen der Wissenschaftler in einer je bestimmten historischen Periode der Wissenschaftsentwicklung charakterisiert

Kuhn - Paradigma

Allgemeine Merkmale Beispiel Newtons Mechanik

Jedes Paradigma beinhaltet bestimmte theoretische Annahmen

Einen Bestand an methodischen Regeln

paradigmatische Anwendungen und

bdquoquasi-metaphysischeldquo Uumlberzeugun-gen (S 55)

Newtons drei Axiome und das Gravitationsgesetz

z B bdquoNewtons Prinzipldquo Physikalische Vorgaumlnge sind durch Differentialgleichungen zu beschreiben

Fallbeschleunigung (Galileis Gesetze) und die Planetenbahnen im Sonnensystem (Keplers Gesetze)

Der bdquoabsolute Raumldquo und die bdquoabsolute Zeitldquo

Quelle Lauth III Teil WissenschaftlicherFortschritt und der Wandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)

Nach Kuhn kann man ein Paradigma kennzeichnen 1048708 durch das was beobachtet und uumlberpruumlft wird 1048708 durch die Art der Fragen welche in Bezug auf ein

Thema gestellt werden und die gepruumlft werden sollen

1048708 danach wie diese Fragen gestellt werden sollen

1048708 dadurch wie die Ergebnisse der wissenschaft-lichen Untersuchung interpretiert werden sollen

Thomas Kuhn The Structure of Scientific Revolutions Chicago 1962

Merkmale von Paradigmen

Wissenschaftliche Paradigmen sindgekennzeichnet durch 1048708ein bestimmtes Menschenbild 1048708 eine bestimmte Auffassung vomForschungsgegenstand 1048708 daraus resultierende spezifischemethodische Praumlferenzen 1048708 ein bestimmtes Begriffsvokabular und 1048708 (in manchen Faumlllen) eine Traditionsbildunguumlber Lehrer-Schuumller-Verhaumlltnisse

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersichtbull F Muumlhlhoumllzer Thomas S Kuhn in J Nida-Ruumlmelin

(Hrsg) Philosophie der Gegenwart in Einzeldar-stellungen von Adorno bis vWright 2Aufl Stuttgart Kroumlner 1999 S 383 ff

bull Wolfgang Stegmuumlller Hauptstroumlmungen der Gegen-wartsphilosophie 8 Aufl Stuttgart Kroumlner 1987 Kap III

bull Paul Hoyningen-Huene Die Wissenschafts-philosophie Thomas S Kuhns Rekonstruktion und Grundlagenprobleme Braunschweig Vieweg 1989

Normale Wissenschaftund wissenschaftliche Paradigmen

Die bdquonormale Wissenschaftldquo ist nach Kuhn durch die Bindung an ein Paradigma gekennzeichnet

bdquoDie Physik des Aristoteles der Almagest des Ptolemaumlus Newtons Principia und Opticks Franklins Electricity Lavoisiers Chimie Lyells Geology ndash diese und viele andere Werke dienten indirekt eine Zeitlang dazu fuumlr nachfolgende Generationen von Fachleuten die anerkannten Probleme und Methoden eines Forschungsgebiets zu bestimmen Sie vermochten dies da sie zwei wesentliche Eigenschaften gemeinsam hatten Ihre Leistung war neuartig genug um eine bestaumlndige Gruppe von Anhaumlngern anzuziehen die ihre Wissenschaft bisher auf andere Art betrieben hatten und gleichzeitig war sie noch offen genug um der neuen Gruppe von Fachleuten alle moumlglichen ungeloumlsten Probleme zu stellen Leistungen mit diesen beiden Merkmalen werde ich von nun an als bdquoParadigmataldquo bezeichnen ein Ausdruck der eng mit dem der bdquonormalen Wissenschaftldquo zusammenhaumlngtldquo

Anomalien und die Krise der normalen Wissenschaft

Durch gehaumluftes Auftreten von bdquoAnomalienldquo entsteht eine Krise der normalen Wissenschaft

Definition Anomalien sind bdquoPhaumlnomen[e] auf welche[] das Paradigma den Forscher nicht vorbereitet hatteldquo (70) Die Veraumlnderung des wissenschaftlichen Weltbilds beginnt mit der Einsicht bdquodaszlig die Natur in irgendeiner Weise die von einem Paradigma erzeugten die normale Wissenschaft beherrschenden Erwartungen nicht erfuumlllt hatldquo (66) Mit anderen Worten Anomalien stehen in Widerspruch zu den Vorhersagen der Theorie sind also mit Mitteln des Paradigmas nicht erklaumlrbar

Anomalien als Ausloumlser von Krisen bdquoDa das Auftauchen neuer Theorien eine umfassende Paradigmazerstoumlrung und groumlszligere Verschiebungen in den Problemen und Verfahren der normalen Wissenschaft erfordert geht ihm im allgemeinen eine Periode ausgesprochener fachwissenschaftlicher Unsicherheit voraus Wie zu erwarten wird diese Unsicherheit durch das dauernde Unvermoumlgen erzeugt fuumlr die Raumltsel der normalen Wissenschaft die erwartete Aufloumlsung zu finden Das Versagen der vorhandenen Regeln leitet die Suche nach neuen einldquo(80)

Anomalien versus Falsifikationen

bull Anomalien fuumlhren nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der zugrunde liegenden Theoriebull Anomalien koumlnnen normalerweise im Rahmen des Paradigmas erklaumlrt oder aufgeloumlst werden Anomalien sind bdquonormalldquobull Erst eine Haumlufung von bdquohartnaumlckigenldquo Anomalien fuumlhrt zur Krise der normalen Wissenschaft und damit moumlglicherweise zu einer wissenschaftlichen Revolution

Wie reagieren Wissenschaftler auf das Auftreten von Anomalien bdquoEinen ebenso offenkundigen wie wichtigen Teil der Antwort koumlnnen wir finden indem wie erst einmal festhalten was Wissenschaftler niemals tun wenn sie mit Anomalien konfrontiert werden und seien diese noch so schwerwiegend und lang andauernd Wenn sie auch beginnen moumlgen den Glauben zu verlieren und an Alternativen zu denken so verwerfen sie doch nicht das Paradigma das sie in eine Krise hineingefuumlhrt hat Das heiszligt also sie behandeln die Anomalien nicht als Gegenbeispiele obwohl Anomalien im Vokabular der Wissenschaftstheorie genau das sindldquo (90)

Wissenschaftliche Revolutionen (1)

Definition Wissenschaftliche Revolutionen sind Vorgaumlnge die zu einer mehr oder weniger radikalen Korrektur des wissenschaftlichen Weltbilds fuumlhren

Beispiele

bull die kopernikanische Revolution (Uumlbergang vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild)

bull Darwins Evolutionslehre

bull Einsteins Theorie von Raum und Zeit

bull die Entstehung der Quantenphysik (Indeterminismus und Unschaumlrferelation)

Wissenschaftliche Revolutionen (2)

bull Bei einer wissenschaftlichen Revolution wird ein etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie ersetzt

bull Verschiedene Paradigmen sind nach Kuhn bdquoinkommensurabelldquo dh es gibt keine objektiven Kriterien die eine Entscheidung fuumlr das eine oder andere Paradigma begruumlnden koumlnnten

Begruumlndung Vertreter unterschiedlicher Paradigmen sprechen verschiedene Sprachen gehen von unterschiedlichen theoretischen Annahmen und methodologischen Regeln aus

bdquoWenn Paradigmata in eine Diskussion uumlber die Wahl von Paradigmata eingehen ndash und sie muumlssen es ja - dann ist ihre Rolle notwendigerweise zirkulaumlr Jede Gruppe verwendet ihr eigenes Paradigma zur Verteidigung eben dieses Paradigmasldquo (106) Die zentrale Konsequenz aus dieser Feststellung ist daszlig Konflikte zwischen konkurrierenden Theorien bdquoniemals durch Logik und Experiment allein eindeutig entschieden werdenldquo koumlnnen (107)

Struktur der Wissenschaftlichen Revolution

Vorparadigmatische PhaseNebeneinanderstehende lose definierte miteinander kon-

kurrierende Ansaumltze ohne Dominanz eines einzelnen Paradigmas

Paradigmatische PhaseDurchsetzung eines Ansatzes Ausgrenzung konkurrierender

Ansaumltze herrschendes Paradigma wird Bezugsrahmen fuumlr Forschung eines Fachs normgebend Phase kumulativer normalwissenschaftlicher Forschung

Kritische PhaseErschoumlpfung des dominierenden Paradigmas Haumlufung von Fehl-

schlaumlgen und Anomalien lassen Zweifel an Erklaumlrungskraft des Paradigma entstehen

Revolutionaumlre PhaseBreiter Aufstand gegen herrschendes Paradigma Suchen neuer

Wege Widerstand der Vertreter des alten Paradigmas Neue Paradigmatische PhaseWeder Verifikation noch Falsifikation sondern DimensionssprungWettstreit der Paradigmata wird nicht durch Beweise entschieden

sondern mittels Durchsetzungskraft

VORPARADIGMATISCHE PHASE

ENTSTEHUNG EINES NEUEN PARADIGMAS

bdquoNORMALE WISSENSCHAFTldquo

HAumlUFUNG VON ANOMALIEN

KRISE DER NORMALEN WISSENSCHAFT

WISSENSCHAFTLICHE REVOLUTION

Kuhn ndash Wissenschaftliche Revolutionen

Quelle LauthSareiter Wissenschaftliche Erkenntnis Paderborn 2002 S 123

Probleme von Kuhns Modell

Bei der Beurteilung von Kuhns Theorien ist zu unterscheiden zwischen wissenschaftshistorischen Fakten und wissenschaftstheoretischenSchlussfolgerungen

Das Hauptproblem

bull Der Wandel des wissenschaftlichen Weltbilds ist nach Kuhn nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren Es gibt keinen Erkenntnis-fortschritt nur eine neue Sicht der Dinge

bull Die Wissenschaftstheorie (Poppers Logik der Forschung) muumlsste nach Kuhn durch wissenschaftshistorische und ndashsoziologische Betrachtungen ersetzt werden

bull Kuhns Theorie laumlszligt wichtige Fragen offen (siehe naumlchste Folie)

Offene Fragen

bdquoInsbesondere liefert Kuhn keine plausible oder befriedigende Erklaumlrung fuumlr die Verdraumlngung eines etablierten Paradigmas und den bdquoSiegldquo des neuen Paradigmas uumlber seinen Vorgaumlnger Nach Kuhns Auffassung ist der Konflikt zwischen zwei rivalisierenden Paradigmen bdquoniemals durch Logik und Experiment alleineldquo zu entscheiden Das wuumlrde jedoch bedeuten daszlig der Theorienwandel in der Wissenschaft nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren ist sondern nur durch Rekurs auf wissenschaftshistorische oder -soziologische Phaumlnomene Aber was koumlnnten dann die Ursachen dafuumlr sein daszlig ein einmal etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie vollstaumlndig verdraumlngt und ersetzt werden kann Kuhns Hinweis darauf daszlig die Vertreter des alten Paradigmas im Lauf der Zeit einfach bdquoaussterbenldquo ist sicherlich zu einfach Warum gelingt es den Anhaumlngern des alten Paradigmas nicht neue Anhaumlnger unter dem wissenschaftlichen Nachwuchs zu rekrutieren Warum sollte nicht die Entstehung von neuen Theorien im Lauf der Zeit zu einer Pluralitaumlt von konkurrierenden Paradigmen oder Theorien fuumlhren von denen jede eine gewisse Anzahl von bdquoAnhaumlngernldquo um sich scharen kann Warum sind heute praktisch alle Physiker davon uumlberzeugt daszlig Einsteins Relativitaumlts-theorie eine bessere Beschreibung und Erklaumlrung der physikalischen Phaumlnomene liefert als die Newtonsche MechanikWarum glaubt heute niemand mehr an das geozentrische Weltbild eines Aristoteles oder Kopernikus Warum hat Darwins Evolutionstheorie alle biologischen Theorien die von einer Konstanz der Arten ausgehen erfolgreich verdraumlngen koumlnnen ldquo

(B Lauth J Sareiter Wissenschaftliche Erkenntnis S 135)

Literaturtipp

bull Bernhard Lauth J Sareiter Wissenschaft-liche Erkenntnis Eine ideengeschichtliche Einfuumlhrung in die Wissenschaftstheorie Paderborn Mentis-Verlag 2002

Methodische FolgerungenKuhn versus Popper

bdquoWenn eine wissenschaftliche Theorie einmal den Status eines Paradigmas erlangt hat wird sie nur dann fuumlr unguumlltig erklaumlrt wenn ein anderer Kandidat vorhanden ist der ihren Platz einnehmen kann Kein bisher durch das Studium der wissenschaftlichen Entwicklung aufgedeckter Prozeszlig hat irgendeine Aumlhnlichkeit mit der methodologischen Schablone der Falsifikation durch unmittelbaren Vergleich mit der Naturldquo (90)

bdquoZweifellos ist die der Falsifikation zugesprochene Rolle derjenigen sehr aumlhnlich welche dieser Essay den anomalen Erfahrungen beimiszligt also jenen Erfahrungen die eine Krise hervorrufen und dadurch den Weg fuumlr eine neue Theorie bereiten Trotzdem duumlrfen anomale Erfahrungen nicht mit falsifizierenden gleichgestellt werden Ich glaube sogar daszlig es letztere uumlberhaupt nicht gibtldquo (157)

Eine Gegenposition hat Imre Lakatos vertreten In seinem Essay uumlber die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme zeigt Lakatos dass die von Kuhn diagnostizierten Phaumlnomene auch im Rahmen der falsifikationistischen Methodik erklaumlrbar sind

Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos

Imre Lakatos (1922-1974) kritisierte einmal das Poppersche Falsifizierungspostulat Wissen-schaftler neigen eher dazu ihre Theorien zu verteidigen als sie zu widerlegen

Lakatos hielt aber auch Kuhns Theorie der wissenschaftlichen Revolutionen fuumlr irreal und verstand Wissenschaft als ein Nebeneinander konkurrierender Forschungsprogramme

Ein alternatives Modell deswissenschaftlichen Fortschritts

In bdquoKritik und Erkenntnisfortschrittldquo entwickelt Imre Lakatos ein Alternativmodell des wissenschaftlichen Fortschritts Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen bdquoTheoriekernldquo und bdquoZusatzhypothesenldquo

bull Die meisten wissenschaftlichen Theorien fuumlhren erst in Verbindung mit geeigneten Zusatzhypothesen zu empirisch nachpruumlfbaren Vorhersagen

bull Widerspruumlche zwischen Theorie und Experiment fuumlhren daher nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der Theorie sondern koumlnnen auch durch Korrektur der Zusatzhyothesen aufgeloumlst werden

Ein modifiziertes Modell der empirischen Uumlberpruumlfungvon wissenschaftlichen Theorien

Wissenschaftliche Theorien (bdquoParadigmenldquo)

Zusatzhypothesen

Empirisch nachpruumlfbare Vorhersagen

Vergleich mit Beobachtung Messung

Experiment

Vorlaumlufige Bestaumltigung der Theorie

Revision der Theorie

Revision der Zusatzhypothesen

Wissenschaftliche Revolution

Signifikante Abweichungen (bdquoAnomalienldquo)Keine signifikanten Abweichungen

plus

Quelle Lauth III Teil Wissenschaftlicher Fortschritt und derWandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Erkenntnisfortschritt

Eine neue Theorie Tacute die ein etabliertes Paradigma T verdraumlngen soll muss nach Lakatos zwei Bedingungen erfuumlllen

bull Die neue Theorie muss die Erfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die alte Theorie zu korrekten Vorhersagen fuumlhrt muss Tacute dieselben Vorhersagen machen

bull Die neue Theorie muss die Misserfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die neue Theorie zu abweichenden Vorhersagen fuumlhrt bestaumltigen Beobachtungen und Messungen die abweichenden Vorhersagen

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersicht

VSteenblock Imre Lakatos in JNida-Ruumlmelin (Hrsg) Philosophie der Gegenwartin Einzeldarstellungenhellip 2AuflStuttgart Kroumlner 1999 S 400ff

Auch zu Kuhn Feyerabend usw

Werner Diederich (Hrsg) Theorien der Wissenschafts-geschichte Beitraumlge zur diachronen Wissenschafts- theorie FrankfurtMain Suhrkamp 1974

Literaturtipp

Thanx for your attentionhellip

  • Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes
  • Sir Karl Popper (1902-1994) und die Logik der Forschung
  • Thomas Kuhns Modell der Entwicklung von Wissenschaft(en)
  • Folie 4
  • Folie 5
  • Folie 6
  • Folie 7
  • Folie 8
  • Folie 9
  • Folie 10
  • Folie 11
  • Folie 12
  • Folie 13
  • Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)
  • Folie 16
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)
  • Merkmale von Paradigmen
  • Literaturtipp
  • Folie 20
  • Folie 21
  • Folie 22
  • Folie 23
  • Folie 24
  • Struktur der Wissenschaftlichen Revolution
  • Folie 26
  • Folie 27
  • Folie 28
  • Slide 29
  • Folie 30
  • Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos
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  • Thanx for your attentionhellip
Page 8: Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes ? Zur historischen Genese von (Teil-)Wissenschaft.

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

NEW DIRECTIONS IN ASTRONOMY amp PHYSICS

ISAAC NEWTON (1642-1727)

Universal Gravitation combined laws of planetary amp earth motion

Numerous practical applications

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

DISCOVERIES IN OTHER SCIENCES

Botany new medical applications

Anatomy better understand of how human body worked

Microscope invented

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

PHILOSOPHICAL THOUGHT

FRANCIS BACON (1561-1626)

Inductive reasoning working from particular to general conclusions

Empiricism amp scientific method

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

PHILOSOPHICAL THOUGHT

RENEacute DESCARTES (1596-1650)

Geometry any algebraic formula could be plotted as curve in space

Cartesian Dualism division of reality into ldquothinking substancerdquo amp ldquoextended substancerdquo

Deductive Reasoning starting with general assumptions amp working downward

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

POLITICAL THOUGHT

THOMAS HOBBES (1588-1679)

Negative mechanistic view of human nature

Strong sovereign necessary to control conflicting desires

Hobbersquos Leviathan

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

POLITICAL THOUGHT

JOHN LOCKE (1632-1704)

TABULA RASA humans born with blank slate

Government amp public enter contract

Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)

Geboren CincinnatiOhio USA1948 Master Education amp History of Science in Harvard1949 Doktor der Physik Harvard University1956 University of California Berkeley1961 Professor History of Science Berkeley1979 Professor Philosophie und Wissenschaftsgeschichte MIT

Boston

Wesentlichste Arbeit bdquoThe Structure of Scientific Revolutionldquo 1962 Ca eine Millionen verkaufte Exemplare

Derzeit immer noch wichtigste und einflussreichste Theorie der Wissenschaftsgeschichte wegen der Einfuumlhrung der Begriffe Paradigma und Paradigmenwechsel

Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)

Generell verstehen wir unter einem Paradigma

ein Buumlndel von bull theoretischen Leitsaumltzenbull Fragestellungen bull Methoden zu ihrer Beantwortung

das das Vorgehen der Wissenschaftler in einer je bestimmten historischen Periode der Wissenschaftsentwicklung charakterisiert

Kuhn - Paradigma

Allgemeine Merkmale Beispiel Newtons Mechanik

Jedes Paradigma beinhaltet bestimmte theoretische Annahmen

Einen Bestand an methodischen Regeln

paradigmatische Anwendungen und

bdquoquasi-metaphysischeldquo Uumlberzeugun-gen (S 55)

Newtons drei Axiome und das Gravitationsgesetz

z B bdquoNewtons Prinzipldquo Physikalische Vorgaumlnge sind durch Differentialgleichungen zu beschreiben

Fallbeschleunigung (Galileis Gesetze) und die Planetenbahnen im Sonnensystem (Keplers Gesetze)

Der bdquoabsolute Raumldquo und die bdquoabsolute Zeitldquo

Quelle Lauth III Teil WissenschaftlicherFortschritt und der Wandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)

Nach Kuhn kann man ein Paradigma kennzeichnen 1048708 durch das was beobachtet und uumlberpruumlft wird 1048708 durch die Art der Fragen welche in Bezug auf ein

Thema gestellt werden und die gepruumlft werden sollen

1048708 danach wie diese Fragen gestellt werden sollen

1048708 dadurch wie die Ergebnisse der wissenschaft-lichen Untersuchung interpretiert werden sollen

Thomas Kuhn The Structure of Scientific Revolutions Chicago 1962

Merkmale von Paradigmen

Wissenschaftliche Paradigmen sindgekennzeichnet durch 1048708ein bestimmtes Menschenbild 1048708 eine bestimmte Auffassung vomForschungsgegenstand 1048708 daraus resultierende spezifischemethodische Praumlferenzen 1048708 ein bestimmtes Begriffsvokabular und 1048708 (in manchen Faumlllen) eine Traditionsbildunguumlber Lehrer-Schuumller-Verhaumlltnisse

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersichtbull F Muumlhlhoumllzer Thomas S Kuhn in J Nida-Ruumlmelin

(Hrsg) Philosophie der Gegenwart in Einzeldar-stellungen von Adorno bis vWright 2Aufl Stuttgart Kroumlner 1999 S 383 ff

bull Wolfgang Stegmuumlller Hauptstroumlmungen der Gegen-wartsphilosophie 8 Aufl Stuttgart Kroumlner 1987 Kap III

bull Paul Hoyningen-Huene Die Wissenschafts-philosophie Thomas S Kuhns Rekonstruktion und Grundlagenprobleme Braunschweig Vieweg 1989

Normale Wissenschaftund wissenschaftliche Paradigmen

Die bdquonormale Wissenschaftldquo ist nach Kuhn durch die Bindung an ein Paradigma gekennzeichnet

bdquoDie Physik des Aristoteles der Almagest des Ptolemaumlus Newtons Principia und Opticks Franklins Electricity Lavoisiers Chimie Lyells Geology ndash diese und viele andere Werke dienten indirekt eine Zeitlang dazu fuumlr nachfolgende Generationen von Fachleuten die anerkannten Probleme und Methoden eines Forschungsgebiets zu bestimmen Sie vermochten dies da sie zwei wesentliche Eigenschaften gemeinsam hatten Ihre Leistung war neuartig genug um eine bestaumlndige Gruppe von Anhaumlngern anzuziehen die ihre Wissenschaft bisher auf andere Art betrieben hatten und gleichzeitig war sie noch offen genug um der neuen Gruppe von Fachleuten alle moumlglichen ungeloumlsten Probleme zu stellen Leistungen mit diesen beiden Merkmalen werde ich von nun an als bdquoParadigmataldquo bezeichnen ein Ausdruck der eng mit dem der bdquonormalen Wissenschaftldquo zusammenhaumlngtldquo

Anomalien und die Krise der normalen Wissenschaft

Durch gehaumluftes Auftreten von bdquoAnomalienldquo entsteht eine Krise der normalen Wissenschaft

Definition Anomalien sind bdquoPhaumlnomen[e] auf welche[] das Paradigma den Forscher nicht vorbereitet hatteldquo (70) Die Veraumlnderung des wissenschaftlichen Weltbilds beginnt mit der Einsicht bdquodaszlig die Natur in irgendeiner Weise die von einem Paradigma erzeugten die normale Wissenschaft beherrschenden Erwartungen nicht erfuumlllt hatldquo (66) Mit anderen Worten Anomalien stehen in Widerspruch zu den Vorhersagen der Theorie sind also mit Mitteln des Paradigmas nicht erklaumlrbar

Anomalien als Ausloumlser von Krisen bdquoDa das Auftauchen neuer Theorien eine umfassende Paradigmazerstoumlrung und groumlszligere Verschiebungen in den Problemen und Verfahren der normalen Wissenschaft erfordert geht ihm im allgemeinen eine Periode ausgesprochener fachwissenschaftlicher Unsicherheit voraus Wie zu erwarten wird diese Unsicherheit durch das dauernde Unvermoumlgen erzeugt fuumlr die Raumltsel der normalen Wissenschaft die erwartete Aufloumlsung zu finden Das Versagen der vorhandenen Regeln leitet die Suche nach neuen einldquo(80)

Anomalien versus Falsifikationen

bull Anomalien fuumlhren nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der zugrunde liegenden Theoriebull Anomalien koumlnnen normalerweise im Rahmen des Paradigmas erklaumlrt oder aufgeloumlst werden Anomalien sind bdquonormalldquobull Erst eine Haumlufung von bdquohartnaumlckigenldquo Anomalien fuumlhrt zur Krise der normalen Wissenschaft und damit moumlglicherweise zu einer wissenschaftlichen Revolution

Wie reagieren Wissenschaftler auf das Auftreten von Anomalien bdquoEinen ebenso offenkundigen wie wichtigen Teil der Antwort koumlnnen wir finden indem wie erst einmal festhalten was Wissenschaftler niemals tun wenn sie mit Anomalien konfrontiert werden und seien diese noch so schwerwiegend und lang andauernd Wenn sie auch beginnen moumlgen den Glauben zu verlieren und an Alternativen zu denken so verwerfen sie doch nicht das Paradigma das sie in eine Krise hineingefuumlhrt hat Das heiszligt also sie behandeln die Anomalien nicht als Gegenbeispiele obwohl Anomalien im Vokabular der Wissenschaftstheorie genau das sindldquo (90)

Wissenschaftliche Revolutionen (1)

Definition Wissenschaftliche Revolutionen sind Vorgaumlnge die zu einer mehr oder weniger radikalen Korrektur des wissenschaftlichen Weltbilds fuumlhren

Beispiele

bull die kopernikanische Revolution (Uumlbergang vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild)

bull Darwins Evolutionslehre

bull Einsteins Theorie von Raum und Zeit

bull die Entstehung der Quantenphysik (Indeterminismus und Unschaumlrferelation)

Wissenschaftliche Revolutionen (2)

bull Bei einer wissenschaftlichen Revolution wird ein etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie ersetzt

bull Verschiedene Paradigmen sind nach Kuhn bdquoinkommensurabelldquo dh es gibt keine objektiven Kriterien die eine Entscheidung fuumlr das eine oder andere Paradigma begruumlnden koumlnnten

Begruumlndung Vertreter unterschiedlicher Paradigmen sprechen verschiedene Sprachen gehen von unterschiedlichen theoretischen Annahmen und methodologischen Regeln aus

bdquoWenn Paradigmata in eine Diskussion uumlber die Wahl von Paradigmata eingehen ndash und sie muumlssen es ja - dann ist ihre Rolle notwendigerweise zirkulaumlr Jede Gruppe verwendet ihr eigenes Paradigma zur Verteidigung eben dieses Paradigmasldquo (106) Die zentrale Konsequenz aus dieser Feststellung ist daszlig Konflikte zwischen konkurrierenden Theorien bdquoniemals durch Logik und Experiment allein eindeutig entschieden werdenldquo koumlnnen (107)

Struktur der Wissenschaftlichen Revolution

Vorparadigmatische PhaseNebeneinanderstehende lose definierte miteinander kon-

kurrierende Ansaumltze ohne Dominanz eines einzelnen Paradigmas

Paradigmatische PhaseDurchsetzung eines Ansatzes Ausgrenzung konkurrierender

Ansaumltze herrschendes Paradigma wird Bezugsrahmen fuumlr Forschung eines Fachs normgebend Phase kumulativer normalwissenschaftlicher Forschung

Kritische PhaseErschoumlpfung des dominierenden Paradigmas Haumlufung von Fehl-

schlaumlgen und Anomalien lassen Zweifel an Erklaumlrungskraft des Paradigma entstehen

Revolutionaumlre PhaseBreiter Aufstand gegen herrschendes Paradigma Suchen neuer

Wege Widerstand der Vertreter des alten Paradigmas Neue Paradigmatische PhaseWeder Verifikation noch Falsifikation sondern DimensionssprungWettstreit der Paradigmata wird nicht durch Beweise entschieden

sondern mittels Durchsetzungskraft

VORPARADIGMATISCHE PHASE

ENTSTEHUNG EINES NEUEN PARADIGMAS

bdquoNORMALE WISSENSCHAFTldquo

HAumlUFUNG VON ANOMALIEN

KRISE DER NORMALEN WISSENSCHAFT

WISSENSCHAFTLICHE REVOLUTION

Kuhn ndash Wissenschaftliche Revolutionen

Quelle LauthSareiter Wissenschaftliche Erkenntnis Paderborn 2002 S 123

Probleme von Kuhns Modell

Bei der Beurteilung von Kuhns Theorien ist zu unterscheiden zwischen wissenschaftshistorischen Fakten und wissenschaftstheoretischenSchlussfolgerungen

Das Hauptproblem

bull Der Wandel des wissenschaftlichen Weltbilds ist nach Kuhn nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren Es gibt keinen Erkenntnis-fortschritt nur eine neue Sicht der Dinge

bull Die Wissenschaftstheorie (Poppers Logik der Forschung) muumlsste nach Kuhn durch wissenschaftshistorische und ndashsoziologische Betrachtungen ersetzt werden

bull Kuhns Theorie laumlszligt wichtige Fragen offen (siehe naumlchste Folie)

Offene Fragen

bdquoInsbesondere liefert Kuhn keine plausible oder befriedigende Erklaumlrung fuumlr die Verdraumlngung eines etablierten Paradigmas und den bdquoSiegldquo des neuen Paradigmas uumlber seinen Vorgaumlnger Nach Kuhns Auffassung ist der Konflikt zwischen zwei rivalisierenden Paradigmen bdquoniemals durch Logik und Experiment alleineldquo zu entscheiden Das wuumlrde jedoch bedeuten daszlig der Theorienwandel in der Wissenschaft nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren ist sondern nur durch Rekurs auf wissenschaftshistorische oder -soziologische Phaumlnomene Aber was koumlnnten dann die Ursachen dafuumlr sein daszlig ein einmal etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie vollstaumlndig verdraumlngt und ersetzt werden kann Kuhns Hinweis darauf daszlig die Vertreter des alten Paradigmas im Lauf der Zeit einfach bdquoaussterbenldquo ist sicherlich zu einfach Warum gelingt es den Anhaumlngern des alten Paradigmas nicht neue Anhaumlnger unter dem wissenschaftlichen Nachwuchs zu rekrutieren Warum sollte nicht die Entstehung von neuen Theorien im Lauf der Zeit zu einer Pluralitaumlt von konkurrierenden Paradigmen oder Theorien fuumlhren von denen jede eine gewisse Anzahl von bdquoAnhaumlngernldquo um sich scharen kann Warum sind heute praktisch alle Physiker davon uumlberzeugt daszlig Einsteins Relativitaumlts-theorie eine bessere Beschreibung und Erklaumlrung der physikalischen Phaumlnomene liefert als die Newtonsche MechanikWarum glaubt heute niemand mehr an das geozentrische Weltbild eines Aristoteles oder Kopernikus Warum hat Darwins Evolutionstheorie alle biologischen Theorien die von einer Konstanz der Arten ausgehen erfolgreich verdraumlngen koumlnnen ldquo

(B Lauth J Sareiter Wissenschaftliche Erkenntnis S 135)

Literaturtipp

bull Bernhard Lauth J Sareiter Wissenschaft-liche Erkenntnis Eine ideengeschichtliche Einfuumlhrung in die Wissenschaftstheorie Paderborn Mentis-Verlag 2002

Methodische FolgerungenKuhn versus Popper

bdquoWenn eine wissenschaftliche Theorie einmal den Status eines Paradigmas erlangt hat wird sie nur dann fuumlr unguumlltig erklaumlrt wenn ein anderer Kandidat vorhanden ist der ihren Platz einnehmen kann Kein bisher durch das Studium der wissenschaftlichen Entwicklung aufgedeckter Prozeszlig hat irgendeine Aumlhnlichkeit mit der methodologischen Schablone der Falsifikation durch unmittelbaren Vergleich mit der Naturldquo (90)

bdquoZweifellos ist die der Falsifikation zugesprochene Rolle derjenigen sehr aumlhnlich welche dieser Essay den anomalen Erfahrungen beimiszligt also jenen Erfahrungen die eine Krise hervorrufen und dadurch den Weg fuumlr eine neue Theorie bereiten Trotzdem duumlrfen anomale Erfahrungen nicht mit falsifizierenden gleichgestellt werden Ich glaube sogar daszlig es letztere uumlberhaupt nicht gibtldquo (157)

Eine Gegenposition hat Imre Lakatos vertreten In seinem Essay uumlber die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme zeigt Lakatos dass die von Kuhn diagnostizierten Phaumlnomene auch im Rahmen der falsifikationistischen Methodik erklaumlrbar sind

Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos

Imre Lakatos (1922-1974) kritisierte einmal das Poppersche Falsifizierungspostulat Wissen-schaftler neigen eher dazu ihre Theorien zu verteidigen als sie zu widerlegen

Lakatos hielt aber auch Kuhns Theorie der wissenschaftlichen Revolutionen fuumlr irreal und verstand Wissenschaft als ein Nebeneinander konkurrierender Forschungsprogramme

Ein alternatives Modell deswissenschaftlichen Fortschritts

In bdquoKritik und Erkenntnisfortschrittldquo entwickelt Imre Lakatos ein Alternativmodell des wissenschaftlichen Fortschritts Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen bdquoTheoriekernldquo und bdquoZusatzhypothesenldquo

bull Die meisten wissenschaftlichen Theorien fuumlhren erst in Verbindung mit geeigneten Zusatzhypothesen zu empirisch nachpruumlfbaren Vorhersagen

bull Widerspruumlche zwischen Theorie und Experiment fuumlhren daher nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der Theorie sondern koumlnnen auch durch Korrektur der Zusatzhyothesen aufgeloumlst werden

Ein modifiziertes Modell der empirischen Uumlberpruumlfungvon wissenschaftlichen Theorien

Wissenschaftliche Theorien (bdquoParadigmenldquo)

Zusatzhypothesen

Empirisch nachpruumlfbare Vorhersagen

Vergleich mit Beobachtung Messung

Experiment

Vorlaumlufige Bestaumltigung der Theorie

Revision der Theorie

Revision der Zusatzhypothesen

Wissenschaftliche Revolution

Signifikante Abweichungen (bdquoAnomalienldquo)Keine signifikanten Abweichungen

plus

Quelle Lauth III Teil Wissenschaftlicher Fortschritt und derWandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Erkenntnisfortschritt

Eine neue Theorie Tacute die ein etabliertes Paradigma T verdraumlngen soll muss nach Lakatos zwei Bedingungen erfuumlllen

bull Die neue Theorie muss die Erfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die alte Theorie zu korrekten Vorhersagen fuumlhrt muss Tacute dieselben Vorhersagen machen

bull Die neue Theorie muss die Misserfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die neue Theorie zu abweichenden Vorhersagen fuumlhrt bestaumltigen Beobachtungen und Messungen die abweichenden Vorhersagen

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersicht

VSteenblock Imre Lakatos in JNida-Ruumlmelin (Hrsg) Philosophie der Gegenwartin Einzeldarstellungenhellip 2AuflStuttgart Kroumlner 1999 S 400ff

Auch zu Kuhn Feyerabend usw

Werner Diederich (Hrsg) Theorien der Wissenschafts-geschichte Beitraumlge zur diachronen Wissenschafts- theorie FrankfurtMain Suhrkamp 1974

Literaturtipp

Thanx for your attentionhellip

  • Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes
  • Sir Karl Popper (1902-1994) und die Logik der Forschung
  • Thomas Kuhns Modell der Entwicklung von Wissenschaft(en)
  • Folie 4
  • Folie 5
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  • Folie 11
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  • Folie 13
  • Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)
  • Folie 16
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)
  • Merkmale von Paradigmen
  • Literaturtipp
  • Folie 20
  • Folie 21
  • Folie 22
  • Folie 23
  • Folie 24
  • Struktur der Wissenschaftlichen Revolution
  • Folie 26
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  • Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos
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Page 9: Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes ? Zur historischen Genese von (Teil-)Wissenschaft.

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

DISCOVERIES IN OTHER SCIENCES

Botany new medical applications

Anatomy better understand of how human body worked

Microscope invented

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

PHILOSOPHICAL THOUGHT

FRANCIS BACON (1561-1626)

Inductive reasoning working from particular to general conclusions

Empiricism amp scientific method

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

PHILOSOPHICAL THOUGHT

RENEacute DESCARTES (1596-1650)

Geometry any algebraic formula could be plotted as curve in space

Cartesian Dualism division of reality into ldquothinking substancerdquo amp ldquoextended substancerdquo

Deductive Reasoning starting with general assumptions amp working downward

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

POLITICAL THOUGHT

THOMAS HOBBES (1588-1679)

Negative mechanistic view of human nature

Strong sovereign necessary to control conflicting desires

Hobbersquos Leviathan

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

POLITICAL THOUGHT

JOHN LOCKE (1632-1704)

TABULA RASA humans born with blank slate

Government amp public enter contract

Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)

Geboren CincinnatiOhio USA1948 Master Education amp History of Science in Harvard1949 Doktor der Physik Harvard University1956 University of California Berkeley1961 Professor History of Science Berkeley1979 Professor Philosophie und Wissenschaftsgeschichte MIT

Boston

Wesentlichste Arbeit bdquoThe Structure of Scientific Revolutionldquo 1962 Ca eine Millionen verkaufte Exemplare

Derzeit immer noch wichtigste und einflussreichste Theorie der Wissenschaftsgeschichte wegen der Einfuumlhrung der Begriffe Paradigma und Paradigmenwechsel

Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)

Generell verstehen wir unter einem Paradigma

ein Buumlndel von bull theoretischen Leitsaumltzenbull Fragestellungen bull Methoden zu ihrer Beantwortung

das das Vorgehen der Wissenschaftler in einer je bestimmten historischen Periode der Wissenschaftsentwicklung charakterisiert

Kuhn - Paradigma

Allgemeine Merkmale Beispiel Newtons Mechanik

Jedes Paradigma beinhaltet bestimmte theoretische Annahmen

Einen Bestand an methodischen Regeln

paradigmatische Anwendungen und

bdquoquasi-metaphysischeldquo Uumlberzeugun-gen (S 55)

Newtons drei Axiome und das Gravitationsgesetz

z B bdquoNewtons Prinzipldquo Physikalische Vorgaumlnge sind durch Differentialgleichungen zu beschreiben

Fallbeschleunigung (Galileis Gesetze) und die Planetenbahnen im Sonnensystem (Keplers Gesetze)

Der bdquoabsolute Raumldquo und die bdquoabsolute Zeitldquo

Quelle Lauth III Teil WissenschaftlicherFortschritt und der Wandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)

Nach Kuhn kann man ein Paradigma kennzeichnen 1048708 durch das was beobachtet und uumlberpruumlft wird 1048708 durch die Art der Fragen welche in Bezug auf ein

Thema gestellt werden und die gepruumlft werden sollen

1048708 danach wie diese Fragen gestellt werden sollen

1048708 dadurch wie die Ergebnisse der wissenschaft-lichen Untersuchung interpretiert werden sollen

Thomas Kuhn The Structure of Scientific Revolutions Chicago 1962

Merkmale von Paradigmen

Wissenschaftliche Paradigmen sindgekennzeichnet durch 1048708ein bestimmtes Menschenbild 1048708 eine bestimmte Auffassung vomForschungsgegenstand 1048708 daraus resultierende spezifischemethodische Praumlferenzen 1048708 ein bestimmtes Begriffsvokabular und 1048708 (in manchen Faumlllen) eine Traditionsbildunguumlber Lehrer-Schuumller-Verhaumlltnisse

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersichtbull F Muumlhlhoumllzer Thomas S Kuhn in J Nida-Ruumlmelin

(Hrsg) Philosophie der Gegenwart in Einzeldar-stellungen von Adorno bis vWright 2Aufl Stuttgart Kroumlner 1999 S 383 ff

bull Wolfgang Stegmuumlller Hauptstroumlmungen der Gegen-wartsphilosophie 8 Aufl Stuttgart Kroumlner 1987 Kap III

bull Paul Hoyningen-Huene Die Wissenschafts-philosophie Thomas S Kuhns Rekonstruktion und Grundlagenprobleme Braunschweig Vieweg 1989

Normale Wissenschaftund wissenschaftliche Paradigmen

Die bdquonormale Wissenschaftldquo ist nach Kuhn durch die Bindung an ein Paradigma gekennzeichnet

bdquoDie Physik des Aristoteles der Almagest des Ptolemaumlus Newtons Principia und Opticks Franklins Electricity Lavoisiers Chimie Lyells Geology ndash diese und viele andere Werke dienten indirekt eine Zeitlang dazu fuumlr nachfolgende Generationen von Fachleuten die anerkannten Probleme und Methoden eines Forschungsgebiets zu bestimmen Sie vermochten dies da sie zwei wesentliche Eigenschaften gemeinsam hatten Ihre Leistung war neuartig genug um eine bestaumlndige Gruppe von Anhaumlngern anzuziehen die ihre Wissenschaft bisher auf andere Art betrieben hatten und gleichzeitig war sie noch offen genug um der neuen Gruppe von Fachleuten alle moumlglichen ungeloumlsten Probleme zu stellen Leistungen mit diesen beiden Merkmalen werde ich von nun an als bdquoParadigmataldquo bezeichnen ein Ausdruck der eng mit dem der bdquonormalen Wissenschaftldquo zusammenhaumlngtldquo

Anomalien und die Krise der normalen Wissenschaft

Durch gehaumluftes Auftreten von bdquoAnomalienldquo entsteht eine Krise der normalen Wissenschaft

Definition Anomalien sind bdquoPhaumlnomen[e] auf welche[] das Paradigma den Forscher nicht vorbereitet hatteldquo (70) Die Veraumlnderung des wissenschaftlichen Weltbilds beginnt mit der Einsicht bdquodaszlig die Natur in irgendeiner Weise die von einem Paradigma erzeugten die normale Wissenschaft beherrschenden Erwartungen nicht erfuumlllt hatldquo (66) Mit anderen Worten Anomalien stehen in Widerspruch zu den Vorhersagen der Theorie sind also mit Mitteln des Paradigmas nicht erklaumlrbar

Anomalien als Ausloumlser von Krisen bdquoDa das Auftauchen neuer Theorien eine umfassende Paradigmazerstoumlrung und groumlszligere Verschiebungen in den Problemen und Verfahren der normalen Wissenschaft erfordert geht ihm im allgemeinen eine Periode ausgesprochener fachwissenschaftlicher Unsicherheit voraus Wie zu erwarten wird diese Unsicherheit durch das dauernde Unvermoumlgen erzeugt fuumlr die Raumltsel der normalen Wissenschaft die erwartete Aufloumlsung zu finden Das Versagen der vorhandenen Regeln leitet die Suche nach neuen einldquo(80)

Anomalien versus Falsifikationen

bull Anomalien fuumlhren nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der zugrunde liegenden Theoriebull Anomalien koumlnnen normalerweise im Rahmen des Paradigmas erklaumlrt oder aufgeloumlst werden Anomalien sind bdquonormalldquobull Erst eine Haumlufung von bdquohartnaumlckigenldquo Anomalien fuumlhrt zur Krise der normalen Wissenschaft und damit moumlglicherweise zu einer wissenschaftlichen Revolution

Wie reagieren Wissenschaftler auf das Auftreten von Anomalien bdquoEinen ebenso offenkundigen wie wichtigen Teil der Antwort koumlnnen wir finden indem wie erst einmal festhalten was Wissenschaftler niemals tun wenn sie mit Anomalien konfrontiert werden und seien diese noch so schwerwiegend und lang andauernd Wenn sie auch beginnen moumlgen den Glauben zu verlieren und an Alternativen zu denken so verwerfen sie doch nicht das Paradigma das sie in eine Krise hineingefuumlhrt hat Das heiszligt also sie behandeln die Anomalien nicht als Gegenbeispiele obwohl Anomalien im Vokabular der Wissenschaftstheorie genau das sindldquo (90)

Wissenschaftliche Revolutionen (1)

Definition Wissenschaftliche Revolutionen sind Vorgaumlnge die zu einer mehr oder weniger radikalen Korrektur des wissenschaftlichen Weltbilds fuumlhren

Beispiele

bull die kopernikanische Revolution (Uumlbergang vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild)

bull Darwins Evolutionslehre

bull Einsteins Theorie von Raum und Zeit

bull die Entstehung der Quantenphysik (Indeterminismus und Unschaumlrferelation)

Wissenschaftliche Revolutionen (2)

bull Bei einer wissenschaftlichen Revolution wird ein etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie ersetzt

bull Verschiedene Paradigmen sind nach Kuhn bdquoinkommensurabelldquo dh es gibt keine objektiven Kriterien die eine Entscheidung fuumlr das eine oder andere Paradigma begruumlnden koumlnnten

Begruumlndung Vertreter unterschiedlicher Paradigmen sprechen verschiedene Sprachen gehen von unterschiedlichen theoretischen Annahmen und methodologischen Regeln aus

bdquoWenn Paradigmata in eine Diskussion uumlber die Wahl von Paradigmata eingehen ndash und sie muumlssen es ja - dann ist ihre Rolle notwendigerweise zirkulaumlr Jede Gruppe verwendet ihr eigenes Paradigma zur Verteidigung eben dieses Paradigmasldquo (106) Die zentrale Konsequenz aus dieser Feststellung ist daszlig Konflikte zwischen konkurrierenden Theorien bdquoniemals durch Logik und Experiment allein eindeutig entschieden werdenldquo koumlnnen (107)

Struktur der Wissenschaftlichen Revolution

Vorparadigmatische PhaseNebeneinanderstehende lose definierte miteinander kon-

kurrierende Ansaumltze ohne Dominanz eines einzelnen Paradigmas

Paradigmatische PhaseDurchsetzung eines Ansatzes Ausgrenzung konkurrierender

Ansaumltze herrschendes Paradigma wird Bezugsrahmen fuumlr Forschung eines Fachs normgebend Phase kumulativer normalwissenschaftlicher Forschung

Kritische PhaseErschoumlpfung des dominierenden Paradigmas Haumlufung von Fehl-

schlaumlgen und Anomalien lassen Zweifel an Erklaumlrungskraft des Paradigma entstehen

Revolutionaumlre PhaseBreiter Aufstand gegen herrschendes Paradigma Suchen neuer

Wege Widerstand der Vertreter des alten Paradigmas Neue Paradigmatische PhaseWeder Verifikation noch Falsifikation sondern DimensionssprungWettstreit der Paradigmata wird nicht durch Beweise entschieden

sondern mittels Durchsetzungskraft

VORPARADIGMATISCHE PHASE

ENTSTEHUNG EINES NEUEN PARADIGMAS

bdquoNORMALE WISSENSCHAFTldquo

HAumlUFUNG VON ANOMALIEN

KRISE DER NORMALEN WISSENSCHAFT

WISSENSCHAFTLICHE REVOLUTION

Kuhn ndash Wissenschaftliche Revolutionen

Quelle LauthSareiter Wissenschaftliche Erkenntnis Paderborn 2002 S 123

Probleme von Kuhns Modell

Bei der Beurteilung von Kuhns Theorien ist zu unterscheiden zwischen wissenschaftshistorischen Fakten und wissenschaftstheoretischenSchlussfolgerungen

Das Hauptproblem

bull Der Wandel des wissenschaftlichen Weltbilds ist nach Kuhn nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren Es gibt keinen Erkenntnis-fortschritt nur eine neue Sicht der Dinge

bull Die Wissenschaftstheorie (Poppers Logik der Forschung) muumlsste nach Kuhn durch wissenschaftshistorische und ndashsoziologische Betrachtungen ersetzt werden

bull Kuhns Theorie laumlszligt wichtige Fragen offen (siehe naumlchste Folie)

Offene Fragen

bdquoInsbesondere liefert Kuhn keine plausible oder befriedigende Erklaumlrung fuumlr die Verdraumlngung eines etablierten Paradigmas und den bdquoSiegldquo des neuen Paradigmas uumlber seinen Vorgaumlnger Nach Kuhns Auffassung ist der Konflikt zwischen zwei rivalisierenden Paradigmen bdquoniemals durch Logik und Experiment alleineldquo zu entscheiden Das wuumlrde jedoch bedeuten daszlig der Theorienwandel in der Wissenschaft nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren ist sondern nur durch Rekurs auf wissenschaftshistorische oder -soziologische Phaumlnomene Aber was koumlnnten dann die Ursachen dafuumlr sein daszlig ein einmal etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie vollstaumlndig verdraumlngt und ersetzt werden kann Kuhns Hinweis darauf daszlig die Vertreter des alten Paradigmas im Lauf der Zeit einfach bdquoaussterbenldquo ist sicherlich zu einfach Warum gelingt es den Anhaumlngern des alten Paradigmas nicht neue Anhaumlnger unter dem wissenschaftlichen Nachwuchs zu rekrutieren Warum sollte nicht die Entstehung von neuen Theorien im Lauf der Zeit zu einer Pluralitaumlt von konkurrierenden Paradigmen oder Theorien fuumlhren von denen jede eine gewisse Anzahl von bdquoAnhaumlngernldquo um sich scharen kann Warum sind heute praktisch alle Physiker davon uumlberzeugt daszlig Einsteins Relativitaumlts-theorie eine bessere Beschreibung und Erklaumlrung der physikalischen Phaumlnomene liefert als die Newtonsche MechanikWarum glaubt heute niemand mehr an das geozentrische Weltbild eines Aristoteles oder Kopernikus Warum hat Darwins Evolutionstheorie alle biologischen Theorien die von einer Konstanz der Arten ausgehen erfolgreich verdraumlngen koumlnnen ldquo

(B Lauth J Sareiter Wissenschaftliche Erkenntnis S 135)

Literaturtipp

bull Bernhard Lauth J Sareiter Wissenschaft-liche Erkenntnis Eine ideengeschichtliche Einfuumlhrung in die Wissenschaftstheorie Paderborn Mentis-Verlag 2002

Methodische FolgerungenKuhn versus Popper

bdquoWenn eine wissenschaftliche Theorie einmal den Status eines Paradigmas erlangt hat wird sie nur dann fuumlr unguumlltig erklaumlrt wenn ein anderer Kandidat vorhanden ist der ihren Platz einnehmen kann Kein bisher durch das Studium der wissenschaftlichen Entwicklung aufgedeckter Prozeszlig hat irgendeine Aumlhnlichkeit mit der methodologischen Schablone der Falsifikation durch unmittelbaren Vergleich mit der Naturldquo (90)

bdquoZweifellos ist die der Falsifikation zugesprochene Rolle derjenigen sehr aumlhnlich welche dieser Essay den anomalen Erfahrungen beimiszligt also jenen Erfahrungen die eine Krise hervorrufen und dadurch den Weg fuumlr eine neue Theorie bereiten Trotzdem duumlrfen anomale Erfahrungen nicht mit falsifizierenden gleichgestellt werden Ich glaube sogar daszlig es letztere uumlberhaupt nicht gibtldquo (157)

Eine Gegenposition hat Imre Lakatos vertreten In seinem Essay uumlber die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme zeigt Lakatos dass die von Kuhn diagnostizierten Phaumlnomene auch im Rahmen der falsifikationistischen Methodik erklaumlrbar sind

Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos

Imre Lakatos (1922-1974) kritisierte einmal das Poppersche Falsifizierungspostulat Wissen-schaftler neigen eher dazu ihre Theorien zu verteidigen als sie zu widerlegen

Lakatos hielt aber auch Kuhns Theorie der wissenschaftlichen Revolutionen fuumlr irreal und verstand Wissenschaft als ein Nebeneinander konkurrierender Forschungsprogramme

Ein alternatives Modell deswissenschaftlichen Fortschritts

In bdquoKritik und Erkenntnisfortschrittldquo entwickelt Imre Lakatos ein Alternativmodell des wissenschaftlichen Fortschritts Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen bdquoTheoriekernldquo und bdquoZusatzhypothesenldquo

bull Die meisten wissenschaftlichen Theorien fuumlhren erst in Verbindung mit geeigneten Zusatzhypothesen zu empirisch nachpruumlfbaren Vorhersagen

bull Widerspruumlche zwischen Theorie und Experiment fuumlhren daher nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der Theorie sondern koumlnnen auch durch Korrektur der Zusatzhyothesen aufgeloumlst werden

Ein modifiziertes Modell der empirischen Uumlberpruumlfungvon wissenschaftlichen Theorien

Wissenschaftliche Theorien (bdquoParadigmenldquo)

Zusatzhypothesen

Empirisch nachpruumlfbare Vorhersagen

Vergleich mit Beobachtung Messung

Experiment

Vorlaumlufige Bestaumltigung der Theorie

Revision der Theorie

Revision der Zusatzhypothesen

Wissenschaftliche Revolution

Signifikante Abweichungen (bdquoAnomalienldquo)Keine signifikanten Abweichungen

plus

Quelle Lauth III Teil Wissenschaftlicher Fortschritt und derWandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Erkenntnisfortschritt

Eine neue Theorie Tacute die ein etabliertes Paradigma T verdraumlngen soll muss nach Lakatos zwei Bedingungen erfuumlllen

bull Die neue Theorie muss die Erfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die alte Theorie zu korrekten Vorhersagen fuumlhrt muss Tacute dieselben Vorhersagen machen

bull Die neue Theorie muss die Misserfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die neue Theorie zu abweichenden Vorhersagen fuumlhrt bestaumltigen Beobachtungen und Messungen die abweichenden Vorhersagen

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersicht

VSteenblock Imre Lakatos in JNida-Ruumlmelin (Hrsg) Philosophie der Gegenwartin Einzeldarstellungenhellip 2AuflStuttgart Kroumlner 1999 S 400ff

Auch zu Kuhn Feyerabend usw

Werner Diederich (Hrsg) Theorien der Wissenschafts-geschichte Beitraumlge zur diachronen Wissenschafts- theorie FrankfurtMain Suhrkamp 1974

Literaturtipp

Thanx for your attentionhellip

  • Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes
  • Sir Karl Popper (1902-1994) und die Logik der Forschung
  • Thomas Kuhns Modell der Entwicklung von Wissenschaft(en)
  • Folie 4
  • Folie 5
  • Folie 6
  • Folie 7
  • Folie 8
  • Folie 9
  • Folie 10
  • Folie 11
  • Folie 12
  • Folie 13
  • Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)
  • Folie 16
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)
  • Merkmale von Paradigmen
  • Literaturtipp
  • Folie 20
  • Folie 21
  • Folie 22
  • Folie 23
  • Folie 24
  • Struktur der Wissenschaftlichen Revolution
  • Folie 26
  • Folie 27
  • Folie 28
  • Slide 29
  • Folie 30
  • Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos
  • Folie 32
  • Folie 33
  • Folie 34
  • Slide 35
  • Slide 36
  • Thanx for your attentionhellip
Page 10: Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes ? Zur historischen Genese von (Teil-)Wissenschaft.

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

PHILOSOPHICAL THOUGHT

FRANCIS BACON (1561-1626)

Inductive reasoning working from particular to general conclusions

Empiricism amp scientific method

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

PHILOSOPHICAL THOUGHT

RENEacute DESCARTES (1596-1650)

Geometry any algebraic formula could be plotted as curve in space

Cartesian Dualism division of reality into ldquothinking substancerdquo amp ldquoextended substancerdquo

Deductive Reasoning starting with general assumptions amp working downward

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

POLITICAL THOUGHT

THOMAS HOBBES (1588-1679)

Negative mechanistic view of human nature

Strong sovereign necessary to control conflicting desires

Hobbersquos Leviathan

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

POLITICAL THOUGHT

JOHN LOCKE (1632-1704)

TABULA RASA humans born with blank slate

Government amp public enter contract

Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)

Geboren CincinnatiOhio USA1948 Master Education amp History of Science in Harvard1949 Doktor der Physik Harvard University1956 University of California Berkeley1961 Professor History of Science Berkeley1979 Professor Philosophie und Wissenschaftsgeschichte MIT

Boston

Wesentlichste Arbeit bdquoThe Structure of Scientific Revolutionldquo 1962 Ca eine Millionen verkaufte Exemplare

Derzeit immer noch wichtigste und einflussreichste Theorie der Wissenschaftsgeschichte wegen der Einfuumlhrung der Begriffe Paradigma und Paradigmenwechsel

Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)

Generell verstehen wir unter einem Paradigma

ein Buumlndel von bull theoretischen Leitsaumltzenbull Fragestellungen bull Methoden zu ihrer Beantwortung

das das Vorgehen der Wissenschaftler in einer je bestimmten historischen Periode der Wissenschaftsentwicklung charakterisiert

Kuhn - Paradigma

Allgemeine Merkmale Beispiel Newtons Mechanik

Jedes Paradigma beinhaltet bestimmte theoretische Annahmen

Einen Bestand an methodischen Regeln

paradigmatische Anwendungen und

bdquoquasi-metaphysischeldquo Uumlberzeugun-gen (S 55)

Newtons drei Axiome und das Gravitationsgesetz

z B bdquoNewtons Prinzipldquo Physikalische Vorgaumlnge sind durch Differentialgleichungen zu beschreiben

Fallbeschleunigung (Galileis Gesetze) und die Planetenbahnen im Sonnensystem (Keplers Gesetze)

Der bdquoabsolute Raumldquo und die bdquoabsolute Zeitldquo

Quelle Lauth III Teil WissenschaftlicherFortschritt und der Wandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)

Nach Kuhn kann man ein Paradigma kennzeichnen 1048708 durch das was beobachtet und uumlberpruumlft wird 1048708 durch die Art der Fragen welche in Bezug auf ein

Thema gestellt werden und die gepruumlft werden sollen

1048708 danach wie diese Fragen gestellt werden sollen

1048708 dadurch wie die Ergebnisse der wissenschaft-lichen Untersuchung interpretiert werden sollen

Thomas Kuhn The Structure of Scientific Revolutions Chicago 1962

Merkmale von Paradigmen

Wissenschaftliche Paradigmen sindgekennzeichnet durch 1048708ein bestimmtes Menschenbild 1048708 eine bestimmte Auffassung vomForschungsgegenstand 1048708 daraus resultierende spezifischemethodische Praumlferenzen 1048708 ein bestimmtes Begriffsvokabular und 1048708 (in manchen Faumlllen) eine Traditionsbildunguumlber Lehrer-Schuumller-Verhaumlltnisse

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersichtbull F Muumlhlhoumllzer Thomas S Kuhn in J Nida-Ruumlmelin

(Hrsg) Philosophie der Gegenwart in Einzeldar-stellungen von Adorno bis vWright 2Aufl Stuttgart Kroumlner 1999 S 383 ff

bull Wolfgang Stegmuumlller Hauptstroumlmungen der Gegen-wartsphilosophie 8 Aufl Stuttgart Kroumlner 1987 Kap III

bull Paul Hoyningen-Huene Die Wissenschafts-philosophie Thomas S Kuhns Rekonstruktion und Grundlagenprobleme Braunschweig Vieweg 1989

Normale Wissenschaftund wissenschaftliche Paradigmen

Die bdquonormale Wissenschaftldquo ist nach Kuhn durch die Bindung an ein Paradigma gekennzeichnet

bdquoDie Physik des Aristoteles der Almagest des Ptolemaumlus Newtons Principia und Opticks Franklins Electricity Lavoisiers Chimie Lyells Geology ndash diese und viele andere Werke dienten indirekt eine Zeitlang dazu fuumlr nachfolgende Generationen von Fachleuten die anerkannten Probleme und Methoden eines Forschungsgebiets zu bestimmen Sie vermochten dies da sie zwei wesentliche Eigenschaften gemeinsam hatten Ihre Leistung war neuartig genug um eine bestaumlndige Gruppe von Anhaumlngern anzuziehen die ihre Wissenschaft bisher auf andere Art betrieben hatten und gleichzeitig war sie noch offen genug um der neuen Gruppe von Fachleuten alle moumlglichen ungeloumlsten Probleme zu stellen Leistungen mit diesen beiden Merkmalen werde ich von nun an als bdquoParadigmataldquo bezeichnen ein Ausdruck der eng mit dem der bdquonormalen Wissenschaftldquo zusammenhaumlngtldquo

Anomalien und die Krise der normalen Wissenschaft

Durch gehaumluftes Auftreten von bdquoAnomalienldquo entsteht eine Krise der normalen Wissenschaft

Definition Anomalien sind bdquoPhaumlnomen[e] auf welche[] das Paradigma den Forscher nicht vorbereitet hatteldquo (70) Die Veraumlnderung des wissenschaftlichen Weltbilds beginnt mit der Einsicht bdquodaszlig die Natur in irgendeiner Weise die von einem Paradigma erzeugten die normale Wissenschaft beherrschenden Erwartungen nicht erfuumlllt hatldquo (66) Mit anderen Worten Anomalien stehen in Widerspruch zu den Vorhersagen der Theorie sind also mit Mitteln des Paradigmas nicht erklaumlrbar

Anomalien als Ausloumlser von Krisen bdquoDa das Auftauchen neuer Theorien eine umfassende Paradigmazerstoumlrung und groumlszligere Verschiebungen in den Problemen und Verfahren der normalen Wissenschaft erfordert geht ihm im allgemeinen eine Periode ausgesprochener fachwissenschaftlicher Unsicherheit voraus Wie zu erwarten wird diese Unsicherheit durch das dauernde Unvermoumlgen erzeugt fuumlr die Raumltsel der normalen Wissenschaft die erwartete Aufloumlsung zu finden Das Versagen der vorhandenen Regeln leitet die Suche nach neuen einldquo(80)

Anomalien versus Falsifikationen

bull Anomalien fuumlhren nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der zugrunde liegenden Theoriebull Anomalien koumlnnen normalerweise im Rahmen des Paradigmas erklaumlrt oder aufgeloumlst werden Anomalien sind bdquonormalldquobull Erst eine Haumlufung von bdquohartnaumlckigenldquo Anomalien fuumlhrt zur Krise der normalen Wissenschaft und damit moumlglicherweise zu einer wissenschaftlichen Revolution

Wie reagieren Wissenschaftler auf das Auftreten von Anomalien bdquoEinen ebenso offenkundigen wie wichtigen Teil der Antwort koumlnnen wir finden indem wie erst einmal festhalten was Wissenschaftler niemals tun wenn sie mit Anomalien konfrontiert werden und seien diese noch so schwerwiegend und lang andauernd Wenn sie auch beginnen moumlgen den Glauben zu verlieren und an Alternativen zu denken so verwerfen sie doch nicht das Paradigma das sie in eine Krise hineingefuumlhrt hat Das heiszligt also sie behandeln die Anomalien nicht als Gegenbeispiele obwohl Anomalien im Vokabular der Wissenschaftstheorie genau das sindldquo (90)

Wissenschaftliche Revolutionen (1)

Definition Wissenschaftliche Revolutionen sind Vorgaumlnge die zu einer mehr oder weniger radikalen Korrektur des wissenschaftlichen Weltbilds fuumlhren

Beispiele

bull die kopernikanische Revolution (Uumlbergang vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild)

bull Darwins Evolutionslehre

bull Einsteins Theorie von Raum und Zeit

bull die Entstehung der Quantenphysik (Indeterminismus und Unschaumlrferelation)

Wissenschaftliche Revolutionen (2)

bull Bei einer wissenschaftlichen Revolution wird ein etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie ersetzt

bull Verschiedene Paradigmen sind nach Kuhn bdquoinkommensurabelldquo dh es gibt keine objektiven Kriterien die eine Entscheidung fuumlr das eine oder andere Paradigma begruumlnden koumlnnten

Begruumlndung Vertreter unterschiedlicher Paradigmen sprechen verschiedene Sprachen gehen von unterschiedlichen theoretischen Annahmen und methodologischen Regeln aus

bdquoWenn Paradigmata in eine Diskussion uumlber die Wahl von Paradigmata eingehen ndash und sie muumlssen es ja - dann ist ihre Rolle notwendigerweise zirkulaumlr Jede Gruppe verwendet ihr eigenes Paradigma zur Verteidigung eben dieses Paradigmasldquo (106) Die zentrale Konsequenz aus dieser Feststellung ist daszlig Konflikte zwischen konkurrierenden Theorien bdquoniemals durch Logik und Experiment allein eindeutig entschieden werdenldquo koumlnnen (107)

Struktur der Wissenschaftlichen Revolution

Vorparadigmatische PhaseNebeneinanderstehende lose definierte miteinander kon-

kurrierende Ansaumltze ohne Dominanz eines einzelnen Paradigmas

Paradigmatische PhaseDurchsetzung eines Ansatzes Ausgrenzung konkurrierender

Ansaumltze herrschendes Paradigma wird Bezugsrahmen fuumlr Forschung eines Fachs normgebend Phase kumulativer normalwissenschaftlicher Forschung

Kritische PhaseErschoumlpfung des dominierenden Paradigmas Haumlufung von Fehl-

schlaumlgen und Anomalien lassen Zweifel an Erklaumlrungskraft des Paradigma entstehen

Revolutionaumlre PhaseBreiter Aufstand gegen herrschendes Paradigma Suchen neuer

Wege Widerstand der Vertreter des alten Paradigmas Neue Paradigmatische PhaseWeder Verifikation noch Falsifikation sondern DimensionssprungWettstreit der Paradigmata wird nicht durch Beweise entschieden

sondern mittels Durchsetzungskraft

VORPARADIGMATISCHE PHASE

ENTSTEHUNG EINES NEUEN PARADIGMAS

bdquoNORMALE WISSENSCHAFTldquo

HAumlUFUNG VON ANOMALIEN

KRISE DER NORMALEN WISSENSCHAFT

WISSENSCHAFTLICHE REVOLUTION

Kuhn ndash Wissenschaftliche Revolutionen

Quelle LauthSareiter Wissenschaftliche Erkenntnis Paderborn 2002 S 123

Probleme von Kuhns Modell

Bei der Beurteilung von Kuhns Theorien ist zu unterscheiden zwischen wissenschaftshistorischen Fakten und wissenschaftstheoretischenSchlussfolgerungen

Das Hauptproblem

bull Der Wandel des wissenschaftlichen Weltbilds ist nach Kuhn nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren Es gibt keinen Erkenntnis-fortschritt nur eine neue Sicht der Dinge

bull Die Wissenschaftstheorie (Poppers Logik der Forschung) muumlsste nach Kuhn durch wissenschaftshistorische und ndashsoziologische Betrachtungen ersetzt werden

bull Kuhns Theorie laumlszligt wichtige Fragen offen (siehe naumlchste Folie)

Offene Fragen

bdquoInsbesondere liefert Kuhn keine plausible oder befriedigende Erklaumlrung fuumlr die Verdraumlngung eines etablierten Paradigmas und den bdquoSiegldquo des neuen Paradigmas uumlber seinen Vorgaumlnger Nach Kuhns Auffassung ist der Konflikt zwischen zwei rivalisierenden Paradigmen bdquoniemals durch Logik und Experiment alleineldquo zu entscheiden Das wuumlrde jedoch bedeuten daszlig der Theorienwandel in der Wissenschaft nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren ist sondern nur durch Rekurs auf wissenschaftshistorische oder -soziologische Phaumlnomene Aber was koumlnnten dann die Ursachen dafuumlr sein daszlig ein einmal etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie vollstaumlndig verdraumlngt und ersetzt werden kann Kuhns Hinweis darauf daszlig die Vertreter des alten Paradigmas im Lauf der Zeit einfach bdquoaussterbenldquo ist sicherlich zu einfach Warum gelingt es den Anhaumlngern des alten Paradigmas nicht neue Anhaumlnger unter dem wissenschaftlichen Nachwuchs zu rekrutieren Warum sollte nicht die Entstehung von neuen Theorien im Lauf der Zeit zu einer Pluralitaumlt von konkurrierenden Paradigmen oder Theorien fuumlhren von denen jede eine gewisse Anzahl von bdquoAnhaumlngernldquo um sich scharen kann Warum sind heute praktisch alle Physiker davon uumlberzeugt daszlig Einsteins Relativitaumlts-theorie eine bessere Beschreibung und Erklaumlrung der physikalischen Phaumlnomene liefert als die Newtonsche MechanikWarum glaubt heute niemand mehr an das geozentrische Weltbild eines Aristoteles oder Kopernikus Warum hat Darwins Evolutionstheorie alle biologischen Theorien die von einer Konstanz der Arten ausgehen erfolgreich verdraumlngen koumlnnen ldquo

(B Lauth J Sareiter Wissenschaftliche Erkenntnis S 135)

Literaturtipp

bull Bernhard Lauth J Sareiter Wissenschaft-liche Erkenntnis Eine ideengeschichtliche Einfuumlhrung in die Wissenschaftstheorie Paderborn Mentis-Verlag 2002

Methodische FolgerungenKuhn versus Popper

bdquoWenn eine wissenschaftliche Theorie einmal den Status eines Paradigmas erlangt hat wird sie nur dann fuumlr unguumlltig erklaumlrt wenn ein anderer Kandidat vorhanden ist der ihren Platz einnehmen kann Kein bisher durch das Studium der wissenschaftlichen Entwicklung aufgedeckter Prozeszlig hat irgendeine Aumlhnlichkeit mit der methodologischen Schablone der Falsifikation durch unmittelbaren Vergleich mit der Naturldquo (90)

bdquoZweifellos ist die der Falsifikation zugesprochene Rolle derjenigen sehr aumlhnlich welche dieser Essay den anomalen Erfahrungen beimiszligt also jenen Erfahrungen die eine Krise hervorrufen und dadurch den Weg fuumlr eine neue Theorie bereiten Trotzdem duumlrfen anomale Erfahrungen nicht mit falsifizierenden gleichgestellt werden Ich glaube sogar daszlig es letztere uumlberhaupt nicht gibtldquo (157)

Eine Gegenposition hat Imre Lakatos vertreten In seinem Essay uumlber die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme zeigt Lakatos dass die von Kuhn diagnostizierten Phaumlnomene auch im Rahmen der falsifikationistischen Methodik erklaumlrbar sind

Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos

Imre Lakatos (1922-1974) kritisierte einmal das Poppersche Falsifizierungspostulat Wissen-schaftler neigen eher dazu ihre Theorien zu verteidigen als sie zu widerlegen

Lakatos hielt aber auch Kuhns Theorie der wissenschaftlichen Revolutionen fuumlr irreal und verstand Wissenschaft als ein Nebeneinander konkurrierender Forschungsprogramme

Ein alternatives Modell deswissenschaftlichen Fortschritts

In bdquoKritik und Erkenntnisfortschrittldquo entwickelt Imre Lakatos ein Alternativmodell des wissenschaftlichen Fortschritts Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen bdquoTheoriekernldquo und bdquoZusatzhypothesenldquo

bull Die meisten wissenschaftlichen Theorien fuumlhren erst in Verbindung mit geeigneten Zusatzhypothesen zu empirisch nachpruumlfbaren Vorhersagen

bull Widerspruumlche zwischen Theorie und Experiment fuumlhren daher nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der Theorie sondern koumlnnen auch durch Korrektur der Zusatzhyothesen aufgeloumlst werden

Ein modifiziertes Modell der empirischen Uumlberpruumlfungvon wissenschaftlichen Theorien

Wissenschaftliche Theorien (bdquoParadigmenldquo)

Zusatzhypothesen

Empirisch nachpruumlfbare Vorhersagen

Vergleich mit Beobachtung Messung

Experiment

Vorlaumlufige Bestaumltigung der Theorie

Revision der Theorie

Revision der Zusatzhypothesen

Wissenschaftliche Revolution

Signifikante Abweichungen (bdquoAnomalienldquo)Keine signifikanten Abweichungen

plus

Quelle Lauth III Teil Wissenschaftlicher Fortschritt und derWandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Erkenntnisfortschritt

Eine neue Theorie Tacute die ein etabliertes Paradigma T verdraumlngen soll muss nach Lakatos zwei Bedingungen erfuumlllen

bull Die neue Theorie muss die Erfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die alte Theorie zu korrekten Vorhersagen fuumlhrt muss Tacute dieselben Vorhersagen machen

bull Die neue Theorie muss die Misserfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die neue Theorie zu abweichenden Vorhersagen fuumlhrt bestaumltigen Beobachtungen und Messungen die abweichenden Vorhersagen

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersicht

VSteenblock Imre Lakatos in JNida-Ruumlmelin (Hrsg) Philosophie der Gegenwartin Einzeldarstellungenhellip 2AuflStuttgart Kroumlner 1999 S 400ff

Auch zu Kuhn Feyerabend usw

Werner Diederich (Hrsg) Theorien der Wissenschafts-geschichte Beitraumlge zur diachronen Wissenschafts- theorie FrankfurtMain Suhrkamp 1974

Literaturtipp

Thanx for your attentionhellip

  • Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes
  • Sir Karl Popper (1902-1994) und die Logik der Forschung
  • Thomas Kuhns Modell der Entwicklung von Wissenschaft(en)
  • Folie 4
  • Folie 5
  • Folie 6
  • Folie 7
  • Folie 8
  • Folie 9
  • Folie 10
  • Folie 11
  • Folie 12
  • Folie 13
  • Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)
  • Folie 16
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)
  • Merkmale von Paradigmen
  • Literaturtipp
  • Folie 20
  • Folie 21
  • Folie 22
  • Folie 23
  • Folie 24
  • Struktur der Wissenschaftlichen Revolution
  • Folie 26
  • Folie 27
  • Folie 28
  • Slide 29
  • Folie 30
  • Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos
  • Folie 32
  • Folie 33
  • Folie 34
  • Slide 35
  • Slide 36
  • Thanx for your attentionhellip
Page 11: Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes ? Zur historischen Genese von (Teil-)Wissenschaft.

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

PHILOSOPHICAL THOUGHT

RENEacute DESCARTES (1596-1650)

Geometry any algebraic formula could be plotted as curve in space

Cartesian Dualism division of reality into ldquothinking substancerdquo amp ldquoextended substancerdquo

Deductive Reasoning starting with general assumptions amp working downward

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

POLITICAL THOUGHT

THOMAS HOBBES (1588-1679)

Negative mechanistic view of human nature

Strong sovereign necessary to control conflicting desires

Hobbersquos Leviathan

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

POLITICAL THOUGHT

JOHN LOCKE (1632-1704)

TABULA RASA humans born with blank slate

Government amp public enter contract

Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)

Geboren CincinnatiOhio USA1948 Master Education amp History of Science in Harvard1949 Doktor der Physik Harvard University1956 University of California Berkeley1961 Professor History of Science Berkeley1979 Professor Philosophie und Wissenschaftsgeschichte MIT

Boston

Wesentlichste Arbeit bdquoThe Structure of Scientific Revolutionldquo 1962 Ca eine Millionen verkaufte Exemplare

Derzeit immer noch wichtigste und einflussreichste Theorie der Wissenschaftsgeschichte wegen der Einfuumlhrung der Begriffe Paradigma und Paradigmenwechsel

Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)

Generell verstehen wir unter einem Paradigma

ein Buumlndel von bull theoretischen Leitsaumltzenbull Fragestellungen bull Methoden zu ihrer Beantwortung

das das Vorgehen der Wissenschaftler in einer je bestimmten historischen Periode der Wissenschaftsentwicklung charakterisiert

Kuhn - Paradigma

Allgemeine Merkmale Beispiel Newtons Mechanik

Jedes Paradigma beinhaltet bestimmte theoretische Annahmen

Einen Bestand an methodischen Regeln

paradigmatische Anwendungen und

bdquoquasi-metaphysischeldquo Uumlberzeugun-gen (S 55)

Newtons drei Axiome und das Gravitationsgesetz

z B bdquoNewtons Prinzipldquo Physikalische Vorgaumlnge sind durch Differentialgleichungen zu beschreiben

Fallbeschleunigung (Galileis Gesetze) und die Planetenbahnen im Sonnensystem (Keplers Gesetze)

Der bdquoabsolute Raumldquo und die bdquoabsolute Zeitldquo

Quelle Lauth III Teil WissenschaftlicherFortschritt und der Wandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)

Nach Kuhn kann man ein Paradigma kennzeichnen 1048708 durch das was beobachtet und uumlberpruumlft wird 1048708 durch die Art der Fragen welche in Bezug auf ein

Thema gestellt werden und die gepruumlft werden sollen

1048708 danach wie diese Fragen gestellt werden sollen

1048708 dadurch wie die Ergebnisse der wissenschaft-lichen Untersuchung interpretiert werden sollen

Thomas Kuhn The Structure of Scientific Revolutions Chicago 1962

Merkmale von Paradigmen

Wissenschaftliche Paradigmen sindgekennzeichnet durch 1048708ein bestimmtes Menschenbild 1048708 eine bestimmte Auffassung vomForschungsgegenstand 1048708 daraus resultierende spezifischemethodische Praumlferenzen 1048708 ein bestimmtes Begriffsvokabular und 1048708 (in manchen Faumlllen) eine Traditionsbildunguumlber Lehrer-Schuumller-Verhaumlltnisse

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersichtbull F Muumlhlhoumllzer Thomas S Kuhn in J Nida-Ruumlmelin

(Hrsg) Philosophie der Gegenwart in Einzeldar-stellungen von Adorno bis vWright 2Aufl Stuttgart Kroumlner 1999 S 383 ff

bull Wolfgang Stegmuumlller Hauptstroumlmungen der Gegen-wartsphilosophie 8 Aufl Stuttgart Kroumlner 1987 Kap III

bull Paul Hoyningen-Huene Die Wissenschafts-philosophie Thomas S Kuhns Rekonstruktion und Grundlagenprobleme Braunschweig Vieweg 1989

Normale Wissenschaftund wissenschaftliche Paradigmen

Die bdquonormale Wissenschaftldquo ist nach Kuhn durch die Bindung an ein Paradigma gekennzeichnet

bdquoDie Physik des Aristoteles der Almagest des Ptolemaumlus Newtons Principia und Opticks Franklins Electricity Lavoisiers Chimie Lyells Geology ndash diese und viele andere Werke dienten indirekt eine Zeitlang dazu fuumlr nachfolgende Generationen von Fachleuten die anerkannten Probleme und Methoden eines Forschungsgebiets zu bestimmen Sie vermochten dies da sie zwei wesentliche Eigenschaften gemeinsam hatten Ihre Leistung war neuartig genug um eine bestaumlndige Gruppe von Anhaumlngern anzuziehen die ihre Wissenschaft bisher auf andere Art betrieben hatten und gleichzeitig war sie noch offen genug um der neuen Gruppe von Fachleuten alle moumlglichen ungeloumlsten Probleme zu stellen Leistungen mit diesen beiden Merkmalen werde ich von nun an als bdquoParadigmataldquo bezeichnen ein Ausdruck der eng mit dem der bdquonormalen Wissenschaftldquo zusammenhaumlngtldquo

Anomalien und die Krise der normalen Wissenschaft

Durch gehaumluftes Auftreten von bdquoAnomalienldquo entsteht eine Krise der normalen Wissenschaft

Definition Anomalien sind bdquoPhaumlnomen[e] auf welche[] das Paradigma den Forscher nicht vorbereitet hatteldquo (70) Die Veraumlnderung des wissenschaftlichen Weltbilds beginnt mit der Einsicht bdquodaszlig die Natur in irgendeiner Weise die von einem Paradigma erzeugten die normale Wissenschaft beherrschenden Erwartungen nicht erfuumlllt hatldquo (66) Mit anderen Worten Anomalien stehen in Widerspruch zu den Vorhersagen der Theorie sind also mit Mitteln des Paradigmas nicht erklaumlrbar

Anomalien als Ausloumlser von Krisen bdquoDa das Auftauchen neuer Theorien eine umfassende Paradigmazerstoumlrung und groumlszligere Verschiebungen in den Problemen und Verfahren der normalen Wissenschaft erfordert geht ihm im allgemeinen eine Periode ausgesprochener fachwissenschaftlicher Unsicherheit voraus Wie zu erwarten wird diese Unsicherheit durch das dauernde Unvermoumlgen erzeugt fuumlr die Raumltsel der normalen Wissenschaft die erwartete Aufloumlsung zu finden Das Versagen der vorhandenen Regeln leitet die Suche nach neuen einldquo(80)

Anomalien versus Falsifikationen

bull Anomalien fuumlhren nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der zugrunde liegenden Theoriebull Anomalien koumlnnen normalerweise im Rahmen des Paradigmas erklaumlrt oder aufgeloumlst werden Anomalien sind bdquonormalldquobull Erst eine Haumlufung von bdquohartnaumlckigenldquo Anomalien fuumlhrt zur Krise der normalen Wissenschaft und damit moumlglicherweise zu einer wissenschaftlichen Revolution

Wie reagieren Wissenschaftler auf das Auftreten von Anomalien bdquoEinen ebenso offenkundigen wie wichtigen Teil der Antwort koumlnnen wir finden indem wie erst einmal festhalten was Wissenschaftler niemals tun wenn sie mit Anomalien konfrontiert werden und seien diese noch so schwerwiegend und lang andauernd Wenn sie auch beginnen moumlgen den Glauben zu verlieren und an Alternativen zu denken so verwerfen sie doch nicht das Paradigma das sie in eine Krise hineingefuumlhrt hat Das heiszligt also sie behandeln die Anomalien nicht als Gegenbeispiele obwohl Anomalien im Vokabular der Wissenschaftstheorie genau das sindldquo (90)

Wissenschaftliche Revolutionen (1)

Definition Wissenschaftliche Revolutionen sind Vorgaumlnge die zu einer mehr oder weniger radikalen Korrektur des wissenschaftlichen Weltbilds fuumlhren

Beispiele

bull die kopernikanische Revolution (Uumlbergang vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild)

bull Darwins Evolutionslehre

bull Einsteins Theorie von Raum und Zeit

bull die Entstehung der Quantenphysik (Indeterminismus und Unschaumlrferelation)

Wissenschaftliche Revolutionen (2)

bull Bei einer wissenschaftlichen Revolution wird ein etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie ersetzt

bull Verschiedene Paradigmen sind nach Kuhn bdquoinkommensurabelldquo dh es gibt keine objektiven Kriterien die eine Entscheidung fuumlr das eine oder andere Paradigma begruumlnden koumlnnten

Begruumlndung Vertreter unterschiedlicher Paradigmen sprechen verschiedene Sprachen gehen von unterschiedlichen theoretischen Annahmen und methodologischen Regeln aus

bdquoWenn Paradigmata in eine Diskussion uumlber die Wahl von Paradigmata eingehen ndash und sie muumlssen es ja - dann ist ihre Rolle notwendigerweise zirkulaumlr Jede Gruppe verwendet ihr eigenes Paradigma zur Verteidigung eben dieses Paradigmasldquo (106) Die zentrale Konsequenz aus dieser Feststellung ist daszlig Konflikte zwischen konkurrierenden Theorien bdquoniemals durch Logik und Experiment allein eindeutig entschieden werdenldquo koumlnnen (107)

Struktur der Wissenschaftlichen Revolution

Vorparadigmatische PhaseNebeneinanderstehende lose definierte miteinander kon-

kurrierende Ansaumltze ohne Dominanz eines einzelnen Paradigmas

Paradigmatische PhaseDurchsetzung eines Ansatzes Ausgrenzung konkurrierender

Ansaumltze herrschendes Paradigma wird Bezugsrahmen fuumlr Forschung eines Fachs normgebend Phase kumulativer normalwissenschaftlicher Forschung

Kritische PhaseErschoumlpfung des dominierenden Paradigmas Haumlufung von Fehl-

schlaumlgen und Anomalien lassen Zweifel an Erklaumlrungskraft des Paradigma entstehen

Revolutionaumlre PhaseBreiter Aufstand gegen herrschendes Paradigma Suchen neuer

Wege Widerstand der Vertreter des alten Paradigmas Neue Paradigmatische PhaseWeder Verifikation noch Falsifikation sondern DimensionssprungWettstreit der Paradigmata wird nicht durch Beweise entschieden

sondern mittels Durchsetzungskraft

VORPARADIGMATISCHE PHASE

ENTSTEHUNG EINES NEUEN PARADIGMAS

bdquoNORMALE WISSENSCHAFTldquo

HAumlUFUNG VON ANOMALIEN

KRISE DER NORMALEN WISSENSCHAFT

WISSENSCHAFTLICHE REVOLUTION

Kuhn ndash Wissenschaftliche Revolutionen

Quelle LauthSareiter Wissenschaftliche Erkenntnis Paderborn 2002 S 123

Probleme von Kuhns Modell

Bei der Beurteilung von Kuhns Theorien ist zu unterscheiden zwischen wissenschaftshistorischen Fakten und wissenschaftstheoretischenSchlussfolgerungen

Das Hauptproblem

bull Der Wandel des wissenschaftlichen Weltbilds ist nach Kuhn nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren Es gibt keinen Erkenntnis-fortschritt nur eine neue Sicht der Dinge

bull Die Wissenschaftstheorie (Poppers Logik der Forschung) muumlsste nach Kuhn durch wissenschaftshistorische und ndashsoziologische Betrachtungen ersetzt werden

bull Kuhns Theorie laumlszligt wichtige Fragen offen (siehe naumlchste Folie)

Offene Fragen

bdquoInsbesondere liefert Kuhn keine plausible oder befriedigende Erklaumlrung fuumlr die Verdraumlngung eines etablierten Paradigmas und den bdquoSiegldquo des neuen Paradigmas uumlber seinen Vorgaumlnger Nach Kuhns Auffassung ist der Konflikt zwischen zwei rivalisierenden Paradigmen bdquoniemals durch Logik und Experiment alleineldquo zu entscheiden Das wuumlrde jedoch bedeuten daszlig der Theorienwandel in der Wissenschaft nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren ist sondern nur durch Rekurs auf wissenschaftshistorische oder -soziologische Phaumlnomene Aber was koumlnnten dann die Ursachen dafuumlr sein daszlig ein einmal etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie vollstaumlndig verdraumlngt und ersetzt werden kann Kuhns Hinweis darauf daszlig die Vertreter des alten Paradigmas im Lauf der Zeit einfach bdquoaussterbenldquo ist sicherlich zu einfach Warum gelingt es den Anhaumlngern des alten Paradigmas nicht neue Anhaumlnger unter dem wissenschaftlichen Nachwuchs zu rekrutieren Warum sollte nicht die Entstehung von neuen Theorien im Lauf der Zeit zu einer Pluralitaumlt von konkurrierenden Paradigmen oder Theorien fuumlhren von denen jede eine gewisse Anzahl von bdquoAnhaumlngernldquo um sich scharen kann Warum sind heute praktisch alle Physiker davon uumlberzeugt daszlig Einsteins Relativitaumlts-theorie eine bessere Beschreibung und Erklaumlrung der physikalischen Phaumlnomene liefert als die Newtonsche MechanikWarum glaubt heute niemand mehr an das geozentrische Weltbild eines Aristoteles oder Kopernikus Warum hat Darwins Evolutionstheorie alle biologischen Theorien die von einer Konstanz der Arten ausgehen erfolgreich verdraumlngen koumlnnen ldquo

(B Lauth J Sareiter Wissenschaftliche Erkenntnis S 135)

Literaturtipp

bull Bernhard Lauth J Sareiter Wissenschaft-liche Erkenntnis Eine ideengeschichtliche Einfuumlhrung in die Wissenschaftstheorie Paderborn Mentis-Verlag 2002

Methodische FolgerungenKuhn versus Popper

bdquoWenn eine wissenschaftliche Theorie einmal den Status eines Paradigmas erlangt hat wird sie nur dann fuumlr unguumlltig erklaumlrt wenn ein anderer Kandidat vorhanden ist der ihren Platz einnehmen kann Kein bisher durch das Studium der wissenschaftlichen Entwicklung aufgedeckter Prozeszlig hat irgendeine Aumlhnlichkeit mit der methodologischen Schablone der Falsifikation durch unmittelbaren Vergleich mit der Naturldquo (90)

bdquoZweifellos ist die der Falsifikation zugesprochene Rolle derjenigen sehr aumlhnlich welche dieser Essay den anomalen Erfahrungen beimiszligt also jenen Erfahrungen die eine Krise hervorrufen und dadurch den Weg fuumlr eine neue Theorie bereiten Trotzdem duumlrfen anomale Erfahrungen nicht mit falsifizierenden gleichgestellt werden Ich glaube sogar daszlig es letztere uumlberhaupt nicht gibtldquo (157)

Eine Gegenposition hat Imre Lakatos vertreten In seinem Essay uumlber die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme zeigt Lakatos dass die von Kuhn diagnostizierten Phaumlnomene auch im Rahmen der falsifikationistischen Methodik erklaumlrbar sind

Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos

Imre Lakatos (1922-1974) kritisierte einmal das Poppersche Falsifizierungspostulat Wissen-schaftler neigen eher dazu ihre Theorien zu verteidigen als sie zu widerlegen

Lakatos hielt aber auch Kuhns Theorie der wissenschaftlichen Revolutionen fuumlr irreal und verstand Wissenschaft als ein Nebeneinander konkurrierender Forschungsprogramme

Ein alternatives Modell deswissenschaftlichen Fortschritts

In bdquoKritik und Erkenntnisfortschrittldquo entwickelt Imre Lakatos ein Alternativmodell des wissenschaftlichen Fortschritts Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen bdquoTheoriekernldquo und bdquoZusatzhypothesenldquo

bull Die meisten wissenschaftlichen Theorien fuumlhren erst in Verbindung mit geeigneten Zusatzhypothesen zu empirisch nachpruumlfbaren Vorhersagen

bull Widerspruumlche zwischen Theorie und Experiment fuumlhren daher nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der Theorie sondern koumlnnen auch durch Korrektur der Zusatzhyothesen aufgeloumlst werden

Ein modifiziertes Modell der empirischen Uumlberpruumlfungvon wissenschaftlichen Theorien

Wissenschaftliche Theorien (bdquoParadigmenldquo)

Zusatzhypothesen

Empirisch nachpruumlfbare Vorhersagen

Vergleich mit Beobachtung Messung

Experiment

Vorlaumlufige Bestaumltigung der Theorie

Revision der Theorie

Revision der Zusatzhypothesen

Wissenschaftliche Revolution

Signifikante Abweichungen (bdquoAnomalienldquo)Keine signifikanten Abweichungen

plus

Quelle Lauth III Teil Wissenschaftlicher Fortschritt und derWandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Erkenntnisfortschritt

Eine neue Theorie Tacute die ein etabliertes Paradigma T verdraumlngen soll muss nach Lakatos zwei Bedingungen erfuumlllen

bull Die neue Theorie muss die Erfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die alte Theorie zu korrekten Vorhersagen fuumlhrt muss Tacute dieselben Vorhersagen machen

bull Die neue Theorie muss die Misserfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die neue Theorie zu abweichenden Vorhersagen fuumlhrt bestaumltigen Beobachtungen und Messungen die abweichenden Vorhersagen

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersicht

VSteenblock Imre Lakatos in JNida-Ruumlmelin (Hrsg) Philosophie der Gegenwartin Einzeldarstellungenhellip 2AuflStuttgart Kroumlner 1999 S 400ff

Auch zu Kuhn Feyerabend usw

Werner Diederich (Hrsg) Theorien der Wissenschafts-geschichte Beitraumlge zur diachronen Wissenschafts- theorie FrankfurtMain Suhrkamp 1974

Literaturtipp

Thanx for your attentionhellip

  • Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes
  • Sir Karl Popper (1902-1994) und die Logik der Forschung
  • Thomas Kuhns Modell der Entwicklung von Wissenschaft(en)
  • Folie 4
  • Folie 5
  • Folie 6
  • Folie 7
  • Folie 8
  • Folie 9
  • Folie 10
  • Folie 11
  • Folie 12
  • Folie 13
  • Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)
  • Folie 16
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)
  • Merkmale von Paradigmen
  • Literaturtipp
  • Folie 20
  • Folie 21
  • Folie 22
  • Folie 23
  • Folie 24
  • Struktur der Wissenschaftlichen Revolution
  • Folie 26
  • Folie 27
  • Folie 28
  • Slide 29
  • Folie 30
  • Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos
  • Folie 32
  • Folie 33
  • Folie 34
  • Slide 35
  • Slide 36
  • Thanx for your attentionhellip
Page 12: Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes ? Zur historischen Genese von (Teil-)Wissenschaft.

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

POLITICAL THOUGHT

THOMAS HOBBES (1588-1679)

Negative mechanistic view of human nature

Strong sovereign necessary to control conflicting desires

Hobbersquos Leviathan

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

POLITICAL THOUGHT

JOHN LOCKE (1632-1704)

TABULA RASA humans born with blank slate

Government amp public enter contract

Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)

Geboren CincinnatiOhio USA1948 Master Education amp History of Science in Harvard1949 Doktor der Physik Harvard University1956 University of California Berkeley1961 Professor History of Science Berkeley1979 Professor Philosophie und Wissenschaftsgeschichte MIT

Boston

Wesentlichste Arbeit bdquoThe Structure of Scientific Revolutionldquo 1962 Ca eine Millionen verkaufte Exemplare

Derzeit immer noch wichtigste und einflussreichste Theorie der Wissenschaftsgeschichte wegen der Einfuumlhrung der Begriffe Paradigma und Paradigmenwechsel

Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)

Generell verstehen wir unter einem Paradigma

ein Buumlndel von bull theoretischen Leitsaumltzenbull Fragestellungen bull Methoden zu ihrer Beantwortung

das das Vorgehen der Wissenschaftler in einer je bestimmten historischen Periode der Wissenschaftsentwicklung charakterisiert

Kuhn - Paradigma

Allgemeine Merkmale Beispiel Newtons Mechanik

Jedes Paradigma beinhaltet bestimmte theoretische Annahmen

Einen Bestand an methodischen Regeln

paradigmatische Anwendungen und

bdquoquasi-metaphysischeldquo Uumlberzeugun-gen (S 55)

Newtons drei Axiome und das Gravitationsgesetz

z B bdquoNewtons Prinzipldquo Physikalische Vorgaumlnge sind durch Differentialgleichungen zu beschreiben

Fallbeschleunigung (Galileis Gesetze) und die Planetenbahnen im Sonnensystem (Keplers Gesetze)

Der bdquoabsolute Raumldquo und die bdquoabsolute Zeitldquo

Quelle Lauth III Teil WissenschaftlicherFortschritt und der Wandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)

Nach Kuhn kann man ein Paradigma kennzeichnen 1048708 durch das was beobachtet und uumlberpruumlft wird 1048708 durch die Art der Fragen welche in Bezug auf ein

Thema gestellt werden und die gepruumlft werden sollen

1048708 danach wie diese Fragen gestellt werden sollen

1048708 dadurch wie die Ergebnisse der wissenschaft-lichen Untersuchung interpretiert werden sollen

Thomas Kuhn The Structure of Scientific Revolutions Chicago 1962

Merkmale von Paradigmen

Wissenschaftliche Paradigmen sindgekennzeichnet durch 1048708ein bestimmtes Menschenbild 1048708 eine bestimmte Auffassung vomForschungsgegenstand 1048708 daraus resultierende spezifischemethodische Praumlferenzen 1048708 ein bestimmtes Begriffsvokabular und 1048708 (in manchen Faumlllen) eine Traditionsbildunguumlber Lehrer-Schuumller-Verhaumlltnisse

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersichtbull F Muumlhlhoumllzer Thomas S Kuhn in J Nida-Ruumlmelin

(Hrsg) Philosophie der Gegenwart in Einzeldar-stellungen von Adorno bis vWright 2Aufl Stuttgart Kroumlner 1999 S 383 ff

bull Wolfgang Stegmuumlller Hauptstroumlmungen der Gegen-wartsphilosophie 8 Aufl Stuttgart Kroumlner 1987 Kap III

bull Paul Hoyningen-Huene Die Wissenschafts-philosophie Thomas S Kuhns Rekonstruktion und Grundlagenprobleme Braunschweig Vieweg 1989

Normale Wissenschaftund wissenschaftliche Paradigmen

Die bdquonormale Wissenschaftldquo ist nach Kuhn durch die Bindung an ein Paradigma gekennzeichnet

bdquoDie Physik des Aristoteles der Almagest des Ptolemaumlus Newtons Principia und Opticks Franklins Electricity Lavoisiers Chimie Lyells Geology ndash diese und viele andere Werke dienten indirekt eine Zeitlang dazu fuumlr nachfolgende Generationen von Fachleuten die anerkannten Probleme und Methoden eines Forschungsgebiets zu bestimmen Sie vermochten dies da sie zwei wesentliche Eigenschaften gemeinsam hatten Ihre Leistung war neuartig genug um eine bestaumlndige Gruppe von Anhaumlngern anzuziehen die ihre Wissenschaft bisher auf andere Art betrieben hatten und gleichzeitig war sie noch offen genug um der neuen Gruppe von Fachleuten alle moumlglichen ungeloumlsten Probleme zu stellen Leistungen mit diesen beiden Merkmalen werde ich von nun an als bdquoParadigmataldquo bezeichnen ein Ausdruck der eng mit dem der bdquonormalen Wissenschaftldquo zusammenhaumlngtldquo

Anomalien und die Krise der normalen Wissenschaft

Durch gehaumluftes Auftreten von bdquoAnomalienldquo entsteht eine Krise der normalen Wissenschaft

Definition Anomalien sind bdquoPhaumlnomen[e] auf welche[] das Paradigma den Forscher nicht vorbereitet hatteldquo (70) Die Veraumlnderung des wissenschaftlichen Weltbilds beginnt mit der Einsicht bdquodaszlig die Natur in irgendeiner Weise die von einem Paradigma erzeugten die normale Wissenschaft beherrschenden Erwartungen nicht erfuumlllt hatldquo (66) Mit anderen Worten Anomalien stehen in Widerspruch zu den Vorhersagen der Theorie sind also mit Mitteln des Paradigmas nicht erklaumlrbar

Anomalien als Ausloumlser von Krisen bdquoDa das Auftauchen neuer Theorien eine umfassende Paradigmazerstoumlrung und groumlszligere Verschiebungen in den Problemen und Verfahren der normalen Wissenschaft erfordert geht ihm im allgemeinen eine Periode ausgesprochener fachwissenschaftlicher Unsicherheit voraus Wie zu erwarten wird diese Unsicherheit durch das dauernde Unvermoumlgen erzeugt fuumlr die Raumltsel der normalen Wissenschaft die erwartete Aufloumlsung zu finden Das Versagen der vorhandenen Regeln leitet die Suche nach neuen einldquo(80)

Anomalien versus Falsifikationen

bull Anomalien fuumlhren nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der zugrunde liegenden Theoriebull Anomalien koumlnnen normalerweise im Rahmen des Paradigmas erklaumlrt oder aufgeloumlst werden Anomalien sind bdquonormalldquobull Erst eine Haumlufung von bdquohartnaumlckigenldquo Anomalien fuumlhrt zur Krise der normalen Wissenschaft und damit moumlglicherweise zu einer wissenschaftlichen Revolution

Wie reagieren Wissenschaftler auf das Auftreten von Anomalien bdquoEinen ebenso offenkundigen wie wichtigen Teil der Antwort koumlnnen wir finden indem wie erst einmal festhalten was Wissenschaftler niemals tun wenn sie mit Anomalien konfrontiert werden und seien diese noch so schwerwiegend und lang andauernd Wenn sie auch beginnen moumlgen den Glauben zu verlieren und an Alternativen zu denken so verwerfen sie doch nicht das Paradigma das sie in eine Krise hineingefuumlhrt hat Das heiszligt also sie behandeln die Anomalien nicht als Gegenbeispiele obwohl Anomalien im Vokabular der Wissenschaftstheorie genau das sindldquo (90)

Wissenschaftliche Revolutionen (1)

Definition Wissenschaftliche Revolutionen sind Vorgaumlnge die zu einer mehr oder weniger radikalen Korrektur des wissenschaftlichen Weltbilds fuumlhren

Beispiele

bull die kopernikanische Revolution (Uumlbergang vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild)

bull Darwins Evolutionslehre

bull Einsteins Theorie von Raum und Zeit

bull die Entstehung der Quantenphysik (Indeterminismus und Unschaumlrferelation)

Wissenschaftliche Revolutionen (2)

bull Bei einer wissenschaftlichen Revolution wird ein etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie ersetzt

bull Verschiedene Paradigmen sind nach Kuhn bdquoinkommensurabelldquo dh es gibt keine objektiven Kriterien die eine Entscheidung fuumlr das eine oder andere Paradigma begruumlnden koumlnnten

Begruumlndung Vertreter unterschiedlicher Paradigmen sprechen verschiedene Sprachen gehen von unterschiedlichen theoretischen Annahmen und methodologischen Regeln aus

bdquoWenn Paradigmata in eine Diskussion uumlber die Wahl von Paradigmata eingehen ndash und sie muumlssen es ja - dann ist ihre Rolle notwendigerweise zirkulaumlr Jede Gruppe verwendet ihr eigenes Paradigma zur Verteidigung eben dieses Paradigmasldquo (106) Die zentrale Konsequenz aus dieser Feststellung ist daszlig Konflikte zwischen konkurrierenden Theorien bdquoniemals durch Logik und Experiment allein eindeutig entschieden werdenldquo koumlnnen (107)

Struktur der Wissenschaftlichen Revolution

Vorparadigmatische PhaseNebeneinanderstehende lose definierte miteinander kon-

kurrierende Ansaumltze ohne Dominanz eines einzelnen Paradigmas

Paradigmatische PhaseDurchsetzung eines Ansatzes Ausgrenzung konkurrierender

Ansaumltze herrschendes Paradigma wird Bezugsrahmen fuumlr Forschung eines Fachs normgebend Phase kumulativer normalwissenschaftlicher Forschung

Kritische PhaseErschoumlpfung des dominierenden Paradigmas Haumlufung von Fehl-

schlaumlgen und Anomalien lassen Zweifel an Erklaumlrungskraft des Paradigma entstehen

Revolutionaumlre PhaseBreiter Aufstand gegen herrschendes Paradigma Suchen neuer

Wege Widerstand der Vertreter des alten Paradigmas Neue Paradigmatische PhaseWeder Verifikation noch Falsifikation sondern DimensionssprungWettstreit der Paradigmata wird nicht durch Beweise entschieden

sondern mittels Durchsetzungskraft

VORPARADIGMATISCHE PHASE

ENTSTEHUNG EINES NEUEN PARADIGMAS

bdquoNORMALE WISSENSCHAFTldquo

HAumlUFUNG VON ANOMALIEN

KRISE DER NORMALEN WISSENSCHAFT

WISSENSCHAFTLICHE REVOLUTION

Kuhn ndash Wissenschaftliche Revolutionen

Quelle LauthSareiter Wissenschaftliche Erkenntnis Paderborn 2002 S 123

Probleme von Kuhns Modell

Bei der Beurteilung von Kuhns Theorien ist zu unterscheiden zwischen wissenschaftshistorischen Fakten und wissenschaftstheoretischenSchlussfolgerungen

Das Hauptproblem

bull Der Wandel des wissenschaftlichen Weltbilds ist nach Kuhn nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren Es gibt keinen Erkenntnis-fortschritt nur eine neue Sicht der Dinge

bull Die Wissenschaftstheorie (Poppers Logik der Forschung) muumlsste nach Kuhn durch wissenschaftshistorische und ndashsoziologische Betrachtungen ersetzt werden

bull Kuhns Theorie laumlszligt wichtige Fragen offen (siehe naumlchste Folie)

Offene Fragen

bdquoInsbesondere liefert Kuhn keine plausible oder befriedigende Erklaumlrung fuumlr die Verdraumlngung eines etablierten Paradigmas und den bdquoSiegldquo des neuen Paradigmas uumlber seinen Vorgaumlnger Nach Kuhns Auffassung ist der Konflikt zwischen zwei rivalisierenden Paradigmen bdquoniemals durch Logik und Experiment alleineldquo zu entscheiden Das wuumlrde jedoch bedeuten daszlig der Theorienwandel in der Wissenschaft nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren ist sondern nur durch Rekurs auf wissenschaftshistorische oder -soziologische Phaumlnomene Aber was koumlnnten dann die Ursachen dafuumlr sein daszlig ein einmal etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie vollstaumlndig verdraumlngt und ersetzt werden kann Kuhns Hinweis darauf daszlig die Vertreter des alten Paradigmas im Lauf der Zeit einfach bdquoaussterbenldquo ist sicherlich zu einfach Warum gelingt es den Anhaumlngern des alten Paradigmas nicht neue Anhaumlnger unter dem wissenschaftlichen Nachwuchs zu rekrutieren Warum sollte nicht die Entstehung von neuen Theorien im Lauf der Zeit zu einer Pluralitaumlt von konkurrierenden Paradigmen oder Theorien fuumlhren von denen jede eine gewisse Anzahl von bdquoAnhaumlngernldquo um sich scharen kann Warum sind heute praktisch alle Physiker davon uumlberzeugt daszlig Einsteins Relativitaumlts-theorie eine bessere Beschreibung und Erklaumlrung der physikalischen Phaumlnomene liefert als die Newtonsche MechanikWarum glaubt heute niemand mehr an das geozentrische Weltbild eines Aristoteles oder Kopernikus Warum hat Darwins Evolutionstheorie alle biologischen Theorien die von einer Konstanz der Arten ausgehen erfolgreich verdraumlngen koumlnnen ldquo

(B Lauth J Sareiter Wissenschaftliche Erkenntnis S 135)

Literaturtipp

bull Bernhard Lauth J Sareiter Wissenschaft-liche Erkenntnis Eine ideengeschichtliche Einfuumlhrung in die Wissenschaftstheorie Paderborn Mentis-Verlag 2002

Methodische FolgerungenKuhn versus Popper

bdquoWenn eine wissenschaftliche Theorie einmal den Status eines Paradigmas erlangt hat wird sie nur dann fuumlr unguumlltig erklaumlrt wenn ein anderer Kandidat vorhanden ist der ihren Platz einnehmen kann Kein bisher durch das Studium der wissenschaftlichen Entwicklung aufgedeckter Prozeszlig hat irgendeine Aumlhnlichkeit mit der methodologischen Schablone der Falsifikation durch unmittelbaren Vergleich mit der Naturldquo (90)

bdquoZweifellos ist die der Falsifikation zugesprochene Rolle derjenigen sehr aumlhnlich welche dieser Essay den anomalen Erfahrungen beimiszligt also jenen Erfahrungen die eine Krise hervorrufen und dadurch den Weg fuumlr eine neue Theorie bereiten Trotzdem duumlrfen anomale Erfahrungen nicht mit falsifizierenden gleichgestellt werden Ich glaube sogar daszlig es letztere uumlberhaupt nicht gibtldquo (157)

Eine Gegenposition hat Imre Lakatos vertreten In seinem Essay uumlber die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme zeigt Lakatos dass die von Kuhn diagnostizierten Phaumlnomene auch im Rahmen der falsifikationistischen Methodik erklaumlrbar sind

Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos

Imre Lakatos (1922-1974) kritisierte einmal das Poppersche Falsifizierungspostulat Wissen-schaftler neigen eher dazu ihre Theorien zu verteidigen als sie zu widerlegen

Lakatos hielt aber auch Kuhns Theorie der wissenschaftlichen Revolutionen fuumlr irreal und verstand Wissenschaft als ein Nebeneinander konkurrierender Forschungsprogramme

Ein alternatives Modell deswissenschaftlichen Fortschritts

In bdquoKritik und Erkenntnisfortschrittldquo entwickelt Imre Lakatos ein Alternativmodell des wissenschaftlichen Fortschritts Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen bdquoTheoriekernldquo und bdquoZusatzhypothesenldquo

bull Die meisten wissenschaftlichen Theorien fuumlhren erst in Verbindung mit geeigneten Zusatzhypothesen zu empirisch nachpruumlfbaren Vorhersagen

bull Widerspruumlche zwischen Theorie und Experiment fuumlhren daher nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der Theorie sondern koumlnnen auch durch Korrektur der Zusatzhyothesen aufgeloumlst werden

Ein modifiziertes Modell der empirischen Uumlberpruumlfungvon wissenschaftlichen Theorien

Wissenschaftliche Theorien (bdquoParadigmenldquo)

Zusatzhypothesen

Empirisch nachpruumlfbare Vorhersagen

Vergleich mit Beobachtung Messung

Experiment

Vorlaumlufige Bestaumltigung der Theorie

Revision der Theorie

Revision der Zusatzhypothesen

Wissenschaftliche Revolution

Signifikante Abweichungen (bdquoAnomalienldquo)Keine signifikanten Abweichungen

plus

Quelle Lauth III Teil Wissenschaftlicher Fortschritt und derWandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Erkenntnisfortschritt

Eine neue Theorie Tacute die ein etabliertes Paradigma T verdraumlngen soll muss nach Lakatos zwei Bedingungen erfuumlllen

bull Die neue Theorie muss die Erfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die alte Theorie zu korrekten Vorhersagen fuumlhrt muss Tacute dieselben Vorhersagen machen

bull Die neue Theorie muss die Misserfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die neue Theorie zu abweichenden Vorhersagen fuumlhrt bestaumltigen Beobachtungen und Messungen die abweichenden Vorhersagen

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersicht

VSteenblock Imre Lakatos in JNida-Ruumlmelin (Hrsg) Philosophie der Gegenwartin Einzeldarstellungenhellip 2AuflStuttgart Kroumlner 1999 S 400ff

Auch zu Kuhn Feyerabend usw

Werner Diederich (Hrsg) Theorien der Wissenschafts-geschichte Beitraumlge zur diachronen Wissenschafts- theorie FrankfurtMain Suhrkamp 1974

Literaturtipp

Thanx for your attentionhellip

  • Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes
  • Sir Karl Popper (1902-1994) und die Logik der Forschung
  • Thomas Kuhns Modell der Entwicklung von Wissenschaft(en)
  • Folie 4
  • Folie 5
  • Folie 6
  • Folie 7
  • Folie 8
  • Folie 9
  • Folie 10
  • Folie 11
  • Folie 12
  • Folie 13
  • Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)
  • Folie 16
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)
  • Merkmale von Paradigmen
  • Literaturtipp
  • Folie 20
  • Folie 21
  • Folie 22
  • Folie 23
  • Folie 24
  • Struktur der Wissenschaftlichen Revolution
  • Folie 26
  • Folie 27
  • Folie 28
  • Slide 29
  • Folie 30
  • Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos
  • Folie 32
  • Folie 33
  • Folie 34
  • Slide 35
  • Slide 36
  • Thanx for your attentionhellip
Page 13: Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes ? Zur historischen Genese von (Teil-)Wissenschaft.

THE SCIENTIFIC REVOLUTION

POLITICAL THOUGHT

JOHN LOCKE (1632-1704)

TABULA RASA humans born with blank slate

Government amp public enter contract

Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)

Geboren CincinnatiOhio USA1948 Master Education amp History of Science in Harvard1949 Doktor der Physik Harvard University1956 University of California Berkeley1961 Professor History of Science Berkeley1979 Professor Philosophie und Wissenschaftsgeschichte MIT

Boston

Wesentlichste Arbeit bdquoThe Structure of Scientific Revolutionldquo 1962 Ca eine Millionen verkaufte Exemplare

Derzeit immer noch wichtigste und einflussreichste Theorie der Wissenschaftsgeschichte wegen der Einfuumlhrung der Begriffe Paradigma und Paradigmenwechsel

Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)

Generell verstehen wir unter einem Paradigma

ein Buumlndel von bull theoretischen Leitsaumltzenbull Fragestellungen bull Methoden zu ihrer Beantwortung

das das Vorgehen der Wissenschaftler in einer je bestimmten historischen Periode der Wissenschaftsentwicklung charakterisiert

Kuhn - Paradigma

Allgemeine Merkmale Beispiel Newtons Mechanik

Jedes Paradigma beinhaltet bestimmte theoretische Annahmen

Einen Bestand an methodischen Regeln

paradigmatische Anwendungen und

bdquoquasi-metaphysischeldquo Uumlberzeugun-gen (S 55)

Newtons drei Axiome und das Gravitationsgesetz

z B bdquoNewtons Prinzipldquo Physikalische Vorgaumlnge sind durch Differentialgleichungen zu beschreiben

Fallbeschleunigung (Galileis Gesetze) und die Planetenbahnen im Sonnensystem (Keplers Gesetze)

Der bdquoabsolute Raumldquo und die bdquoabsolute Zeitldquo

Quelle Lauth III Teil WissenschaftlicherFortschritt und der Wandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)

Nach Kuhn kann man ein Paradigma kennzeichnen 1048708 durch das was beobachtet und uumlberpruumlft wird 1048708 durch die Art der Fragen welche in Bezug auf ein

Thema gestellt werden und die gepruumlft werden sollen

1048708 danach wie diese Fragen gestellt werden sollen

1048708 dadurch wie die Ergebnisse der wissenschaft-lichen Untersuchung interpretiert werden sollen

Thomas Kuhn The Structure of Scientific Revolutions Chicago 1962

Merkmale von Paradigmen

Wissenschaftliche Paradigmen sindgekennzeichnet durch 1048708ein bestimmtes Menschenbild 1048708 eine bestimmte Auffassung vomForschungsgegenstand 1048708 daraus resultierende spezifischemethodische Praumlferenzen 1048708 ein bestimmtes Begriffsvokabular und 1048708 (in manchen Faumlllen) eine Traditionsbildunguumlber Lehrer-Schuumller-Verhaumlltnisse

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersichtbull F Muumlhlhoumllzer Thomas S Kuhn in J Nida-Ruumlmelin

(Hrsg) Philosophie der Gegenwart in Einzeldar-stellungen von Adorno bis vWright 2Aufl Stuttgart Kroumlner 1999 S 383 ff

bull Wolfgang Stegmuumlller Hauptstroumlmungen der Gegen-wartsphilosophie 8 Aufl Stuttgart Kroumlner 1987 Kap III

bull Paul Hoyningen-Huene Die Wissenschafts-philosophie Thomas S Kuhns Rekonstruktion und Grundlagenprobleme Braunschweig Vieweg 1989

Normale Wissenschaftund wissenschaftliche Paradigmen

Die bdquonormale Wissenschaftldquo ist nach Kuhn durch die Bindung an ein Paradigma gekennzeichnet

bdquoDie Physik des Aristoteles der Almagest des Ptolemaumlus Newtons Principia und Opticks Franklins Electricity Lavoisiers Chimie Lyells Geology ndash diese und viele andere Werke dienten indirekt eine Zeitlang dazu fuumlr nachfolgende Generationen von Fachleuten die anerkannten Probleme und Methoden eines Forschungsgebiets zu bestimmen Sie vermochten dies da sie zwei wesentliche Eigenschaften gemeinsam hatten Ihre Leistung war neuartig genug um eine bestaumlndige Gruppe von Anhaumlngern anzuziehen die ihre Wissenschaft bisher auf andere Art betrieben hatten und gleichzeitig war sie noch offen genug um der neuen Gruppe von Fachleuten alle moumlglichen ungeloumlsten Probleme zu stellen Leistungen mit diesen beiden Merkmalen werde ich von nun an als bdquoParadigmataldquo bezeichnen ein Ausdruck der eng mit dem der bdquonormalen Wissenschaftldquo zusammenhaumlngtldquo

Anomalien und die Krise der normalen Wissenschaft

Durch gehaumluftes Auftreten von bdquoAnomalienldquo entsteht eine Krise der normalen Wissenschaft

Definition Anomalien sind bdquoPhaumlnomen[e] auf welche[] das Paradigma den Forscher nicht vorbereitet hatteldquo (70) Die Veraumlnderung des wissenschaftlichen Weltbilds beginnt mit der Einsicht bdquodaszlig die Natur in irgendeiner Weise die von einem Paradigma erzeugten die normale Wissenschaft beherrschenden Erwartungen nicht erfuumlllt hatldquo (66) Mit anderen Worten Anomalien stehen in Widerspruch zu den Vorhersagen der Theorie sind also mit Mitteln des Paradigmas nicht erklaumlrbar

Anomalien als Ausloumlser von Krisen bdquoDa das Auftauchen neuer Theorien eine umfassende Paradigmazerstoumlrung und groumlszligere Verschiebungen in den Problemen und Verfahren der normalen Wissenschaft erfordert geht ihm im allgemeinen eine Periode ausgesprochener fachwissenschaftlicher Unsicherheit voraus Wie zu erwarten wird diese Unsicherheit durch das dauernde Unvermoumlgen erzeugt fuumlr die Raumltsel der normalen Wissenschaft die erwartete Aufloumlsung zu finden Das Versagen der vorhandenen Regeln leitet die Suche nach neuen einldquo(80)

Anomalien versus Falsifikationen

bull Anomalien fuumlhren nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der zugrunde liegenden Theoriebull Anomalien koumlnnen normalerweise im Rahmen des Paradigmas erklaumlrt oder aufgeloumlst werden Anomalien sind bdquonormalldquobull Erst eine Haumlufung von bdquohartnaumlckigenldquo Anomalien fuumlhrt zur Krise der normalen Wissenschaft und damit moumlglicherweise zu einer wissenschaftlichen Revolution

Wie reagieren Wissenschaftler auf das Auftreten von Anomalien bdquoEinen ebenso offenkundigen wie wichtigen Teil der Antwort koumlnnen wir finden indem wie erst einmal festhalten was Wissenschaftler niemals tun wenn sie mit Anomalien konfrontiert werden und seien diese noch so schwerwiegend und lang andauernd Wenn sie auch beginnen moumlgen den Glauben zu verlieren und an Alternativen zu denken so verwerfen sie doch nicht das Paradigma das sie in eine Krise hineingefuumlhrt hat Das heiszligt also sie behandeln die Anomalien nicht als Gegenbeispiele obwohl Anomalien im Vokabular der Wissenschaftstheorie genau das sindldquo (90)

Wissenschaftliche Revolutionen (1)

Definition Wissenschaftliche Revolutionen sind Vorgaumlnge die zu einer mehr oder weniger radikalen Korrektur des wissenschaftlichen Weltbilds fuumlhren

Beispiele

bull die kopernikanische Revolution (Uumlbergang vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild)

bull Darwins Evolutionslehre

bull Einsteins Theorie von Raum und Zeit

bull die Entstehung der Quantenphysik (Indeterminismus und Unschaumlrferelation)

Wissenschaftliche Revolutionen (2)

bull Bei einer wissenschaftlichen Revolution wird ein etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie ersetzt

bull Verschiedene Paradigmen sind nach Kuhn bdquoinkommensurabelldquo dh es gibt keine objektiven Kriterien die eine Entscheidung fuumlr das eine oder andere Paradigma begruumlnden koumlnnten

Begruumlndung Vertreter unterschiedlicher Paradigmen sprechen verschiedene Sprachen gehen von unterschiedlichen theoretischen Annahmen und methodologischen Regeln aus

bdquoWenn Paradigmata in eine Diskussion uumlber die Wahl von Paradigmata eingehen ndash und sie muumlssen es ja - dann ist ihre Rolle notwendigerweise zirkulaumlr Jede Gruppe verwendet ihr eigenes Paradigma zur Verteidigung eben dieses Paradigmasldquo (106) Die zentrale Konsequenz aus dieser Feststellung ist daszlig Konflikte zwischen konkurrierenden Theorien bdquoniemals durch Logik und Experiment allein eindeutig entschieden werdenldquo koumlnnen (107)

Struktur der Wissenschaftlichen Revolution

Vorparadigmatische PhaseNebeneinanderstehende lose definierte miteinander kon-

kurrierende Ansaumltze ohne Dominanz eines einzelnen Paradigmas

Paradigmatische PhaseDurchsetzung eines Ansatzes Ausgrenzung konkurrierender

Ansaumltze herrschendes Paradigma wird Bezugsrahmen fuumlr Forschung eines Fachs normgebend Phase kumulativer normalwissenschaftlicher Forschung

Kritische PhaseErschoumlpfung des dominierenden Paradigmas Haumlufung von Fehl-

schlaumlgen und Anomalien lassen Zweifel an Erklaumlrungskraft des Paradigma entstehen

Revolutionaumlre PhaseBreiter Aufstand gegen herrschendes Paradigma Suchen neuer

Wege Widerstand der Vertreter des alten Paradigmas Neue Paradigmatische PhaseWeder Verifikation noch Falsifikation sondern DimensionssprungWettstreit der Paradigmata wird nicht durch Beweise entschieden

sondern mittels Durchsetzungskraft

VORPARADIGMATISCHE PHASE

ENTSTEHUNG EINES NEUEN PARADIGMAS

bdquoNORMALE WISSENSCHAFTldquo

HAumlUFUNG VON ANOMALIEN

KRISE DER NORMALEN WISSENSCHAFT

WISSENSCHAFTLICHE REVOLUTION

Kuhn ndash Wissenschaftliche Revolutionen

Quelle LauthSareiter Wissenschaftliche Erkenntnis Paderborn 2002 S 123

Probleme von Kuhns Modell

Bei der Beurteilung von Kuhns Theorien ist zu unterscheiden zwischen wissenschaftshistorischen Fakten und wissenschaftstheoretischenSchlussfolgerungen

Das Hauptproblem

bull Der Wandel des wissenschaftlichen Weltbilds ist nach Kuhn nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren Es gibt keinen Erkenntnis-fortschritt nur eine neue Sicht der Dinge

bull Die Wissenschaftstheorie (Poppers Logik der Forschung) muumlsste nach Kuhn durch wissenschaftshistorische und ndashsoziologische Betrachtungen ersetzt werden

bull Kuhns Theorie laumlszligt wichtige Fragen offen (siehe naumlchste Folie)

Offene Fragen

bdquoInsbesondere liefert Kuhn keine plausible oder befriedigende Erklaumlrung fuumlr die Verdraumlngung eines etablierten Paradigmas und den bdquoSiegldquo des neuen Paradigmas uumlber seinen Vorgaumlnger Nach Kuhns Auffassung ist der Konflikt zwischen zwei rivalisierenden Paradigmen bdquoniemals durch Logik und Experiment alleineldquo zu entscheiden Das wuumlrde jedoch bedeuten daszlig der Theorienwandel in der Wissenschaft nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren ist sondern nur durch Rekurs auf wissenschaftshistorische oder -soziologische Phaumlnomene Aber was koumlnnten dann die Ursachen dafuumlr sein daszlig ein einmal etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie vollstaumlndig verdraumlngt und ersetzt werden kann Kuhns Hinweis darauf daszlig die Vertreter des alten Paradigmas im Lauf der Zeit einfach bdquoaussterbenldquo ist sicherlich zu einfach Warum gelingt es den Anhaumlngern des alten Paradigmas nicht neue Anhaumlnger unter dem wissenschaftlichen Nachwuchs zu rekrutieren Warum sollte nicht die Entstehung von neuen Theorien im Lauf der Zeit zu einer Pluralitaumlt von konkurrierenden Paradigmen oder Theorien fuumlhren von denen jede eine gewisse Anzahl von bdquoAnhaumlngernldquo um sich scharen kann Warum sind heute praktisch alle Physiker davon uumlberzeugt daszlig Einsteins Relativitaumlts-theorie eine bessere Beschreibung und Erklaumlrung der physikalischen Phaumlnomene liefert als die Newtonsche MechanikWarum glaubt heute niemand mehr an das geozentrische Weltbild eines Aristoteles oder Kopernikus Warum hat Darwins Evolutionstheorie alle biologischen Theorien die von einer Konstanz der Arten ausgehen erfolgreich verdraumlngen koumlnnen ldquo

(B Lauth J Sareiter Wissenschaftliche Erkenntnis S 135)

Literaturtipp

bull Bernhard Lauth J Sareiter Wissenschaft-liche Erkenntnis Eine ideengeschichtliche Einfuumlhrung in die Wissenschaftstheorie Paderborn Mentis-Verlag 2002

Methodische FolgerungenKuhn versus Popper

bdquoWenn eine wissenschaftliche Theorie einmal den Status eines Paradigmas erlangt hat wird sie nur dann fuumlr unguumlltig erklaumlrt wenn ein anderer Kandidat vorhanden ist der ihren Platz einnehmen kann Kein bisher durch das Studium der wissenschaftlichen Entwicklung aufgedeckter Prozeszlig hat irgendeine Aumlhnlichkeit mit der methodologischen Schablone der Falsifikation durch unmittelbaren Vergleich mit der Naturldquo (90)

bdquoZweifellos ist die der Falsifikation zugesprochene Rolle derjenigen sehr aumlhnlich welche dieser Essay den anomalen Erfahrungen beimiszligt also jenen Erfahrungen die eine Krise hervorrufen und dadurch den Weg fuumlr eine neue Theorie bereiten Trotzdem duumlrfen anomale Erfahrungen nicht mit falsifizierenden gleichgestellt werden Ich glaube sogar daszlig es letztere uumlberhaupt nicht gibtldquo (157)

Eine Gegenposition hat Imre Lakatos vertreten In seinem Essay uumlber die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme zeigt Lakatos dass die von Kuhn diagnostizierten Phaumlnomene auch im Rahmen der falsifikationistischen Methodik erklaumlrbar sind

Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos

Imre Lakatos (1922-1974) kritisierte einmal das Poppersche Falsifizierungspostulat Wissen-schaftler neigen eher dazu ihre Theorien zu verteidigen als sie zu widerlegen

Lakatos hielt aber auch Kuhns Theorie der wissenschaftlichen Revolutionen fuumlr irreal und verstand Wissenschaft als ein Nebeneinander konkurrierender Forschungsprogramme

Ein alternatives Modell deswissenschaftlichen Fortschritts

In bdquoKritik und Erkenntnisfortschrittldquo entwickelt Imre Lakatos ein Alternativmodell des wissenschaftlichen Fortschritts Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen bdquoTheoriekernldquo und bdquoZusatzhypothesenldquo

bull Die meisten wissenschaftlichen Theorien fuumlhren erst in Verbindung mit geeigneten Zusatzhypothesen zu empirisch nachpruumlfbaren Vorhersagen

bull Widerspruumlche zwischen Theorie und Experiment fuumlhren daher nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der Theorie sondern koumlnnen auch durch Korrektur der Zusatzhyothesen aufgeloumlst werden

Ein modifiziertes Modell der empirischen Uumlberpruumlfungvon wissenschaftlichen Theorien

Wissenschaftliche Theorien (bdquoParadigmenldquo)

Zusatzhypothesen

Empirisch nachpruumlfbare Vorhersagen

Vergleich mit Beobachtung Messung

Experiment

Vorlaumlufige Bestaumltigung der Theorie

Revision der Theorie

Revision der Zusatzhypothesen

Wissenschaftliche Revolution

Signifikante Abweichungen (bdquoAnomalienldquo)Keine signifikanten Abweichungen

plus

Quelle Lauth III Teil Wissenschaftlicher Fortschritt und derWandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Erkenntnisfortschritt

Eine neue Theorie Tacute die ein etabliertes Paradigma T verdraumlngen soll muss nach Lakatos zwei Bedingungen erfuumlllen

bull Die neue Theorie muss die Erfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die alte Theorie zu korrekten Vorhersagen fuumlhrt muss Tacute dieselben Vorhersagen machen

bull Die neue Theorie muss die Misserfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die neue Theorie zu abweichenden Vorhersagen fuumlhrt bestaumltigen Beobachtungen und Messungen die abweichenden Vorhersagen

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersicht

VSteenblock Imre Lakatos in JNida-Ruumlmelin (Hrsg) Philosophie der Gegenwartin Einzeldarstellungenhellip 2AuflStuttgart Kroumlner 1999 S 400ff

Auch zu Kuhn Feyerabend usw

Werner Diederich (Hrsg) Theorien der Wissenschafts-geschichte Beitraumlge zur diachronen Wissenschafts- theorie FrankfurtMain Suhrkamp 1974

Literaturtipp

Thanx for your attentionhellip

  • Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes
  • Sir Karl Popper (1902-1994) und die Logik der Forschung
  • Thomas Kuhns Modell der Entwicklung von Wissenschaft(en)
  • Folie 4
  • Folie 5
  • Folie 6
  • Folie 7
  • Folie 8
  • Folie 9
  • Folie 10
  • Folie 11
  • Folie 12
  • Folie 13
  • Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)
  • Folie 16
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)
  • Merkmale von Paradigmen
  • Literaturtipp
  • Folie 20
  • Folie 21
  • Folie 22
  • Folie 23
  • Folie 24
  • Struktur der Wissenschaftlichen Revolution
  • Folie 26
  • Folie 27
  • Folie 28
  • Slide 29
  • Folie 30
  • Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos
  • Folie 32
  • Folie 33
  • Folie 34
  • Slide 35
  • Slide 36
  • Thanx for your attentionhellip
Page 14: Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes ? Zur historischen Genese von (Teil-)Wissenschaft.

Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)

Geboren CincinnatiOhio USA1948 Master Education amp History of Science in Harvard1949 Doktor der Physik Harvard University1956 University of California Berkeley1961 Professor History of Science Berkeley1979 Professor Philosophie und Wissenschaftsgeschichte MIT

Boston

Wesentlichste Arbeit bdquoThe Structure of Scientific Revolutionldquo 1962 Ca eine Millionen verkaufte Exemplare

Derzeit immer noch wichtigste und einflussreichste Theorie der Wissenschaftsgeschichte wegen der Einfuumlhrung der Begriffe Paradigma und Paradigmenwechsel

Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)

Generell verstehen wir unter einem Paradigma

ein Buumlndel von bull theoretischen Leitsaumltzenbull Fragestellungen bull Methoden zu ihrer Beantwortung

das das Vorgehen der Wissenschaftler in einer je bestimmten historischen Periode der Wissenschaftsentwicklung charakterisiert

Kuhn - Paradigma

Allgemeine Merkmale Beispiel Newtons Mechanik

Jedes Paradigma beinhaltet bestimmte theoretische Annahmen

Einen Bestand an methodischen Regeln

paradigmatische Anwendungen und

bdquoquasi-metaphysischeldquo Uumlberzeugun-gen (S 55)

Newtons drei Axiome und das Gravitationsgesetz

z B bdquoNewtons Prinzipldquo Physikalische Vorgaumlnge sind durch Differentialgleichungen zu beschreiben

Fallbeschleunigung (Galileis Gesetze) und die Planetenbahnen im Sonnensystem (Keplers Gesetze)

Der bdquoabsolute Raumldquo und die bdquoabsolute Zeitldquo

Quelle Lauth III Teil WissenschaftlicherFortschritt und der Wandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)

Nach Kuhn kann man ein Paradigma kennzeichnen 1048708 durch das was beobachtet und uumlberpruumlft wird 1048708 durch die Art der Fragen welche in Bezug auf ein

Thema gestellt werden und die gepruumlft werden sollen

1048708 danach wie diese Fragen gestellt werden sollen

1048708 dadurch wie die Ergebnisse der wissenschaft-lichen Untersuchung interpretiert werden sollen

Thomas Kuhn The Structure of Scientific Revolutions Chicago 1962

Merkmale von Paradigmen

Wissenschaftliche Paradigmen sindgekennzeichnet durch 1048708ein bestimmtes Menschenbild 1048708 eine bestimmte Auffassung vomForschungsgegenstand 1048708 daraus resultierende spezifischemethodische Praumlferenzen 1048708 ein bestimmtes Begriffsvokabular und 1048708 (in manchen Faumlllen) eine Traditionsbildunguumlber Lehrer-Schuumller-Verhaumlltnisse

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersichtbull F Muumlhlhoumllzer Thomas S Kuhn in J Nida-Ruumlmelin

(Hrsg) Philosophie der Gegenwart in Einzeldar-stellungen von Adorno bis vWright 2Aufl Stuttgart Kroumlner 1999 S 383 ff

bull Wolfgang Stegmuumlller Hauptstroumlmungen der Gegen-wartsphilosophie 8 Aufl Stuttgart Kroumlner 1987 Kap III

bull Paul Hoyningen-Huene Die Wissenschafts-philosophie Thomas S Kuhns Rekonstruktion und Grundlagenprobleme Braunschweig Vieweg 1989

Normale Wissenschaftund wissenschaftliche Paradigmen

Die bdquonormale Wissenschaftldquo ist nach Kuhn durch die Bindung an ein Paradigma gekennzeichnet

bdquoDie Physik des Aristoteles der Almagest des Ptolemaumlus Newtons Principia und Opticks Franklins Electricity Lavoisiers Chimie Lyells Geology ndash diese und viele andere Werke dienten indirekt eine Zeitlang dazu fuumlr nachfolgende Generationen von Fachleuten die anerkannten Probleme und Methoden eines Forschungsgebiets zu bestimmen Sie vermochten dies da sie zwei wesentliche Eigenschaften gemeinsam hatten Ihre Leistung war neuartig genug um eine bestaumlndige Gruppe von Anhaumlngern anzuziehen die ihre Wissenschaft bisher auf andere Art betrieben hatten und gleichzeitig war sie noch offen genug um der neuen Gruppe von Fachleuten alle moumlglichen ungeloumlsten Probleme zu stellen Leistungen mit diesen beiden Merkmalen werde ich von nun an als bdquoParadigmataldquo bezeichnen ein Ausdruck der eng mit dem der bdquonormalen Wissenschaftldquo zusammenhaumlngtldquo

Anomalien und die Krise der normalen Wissenschaft

Durch gehaumluftes Auftreten von bdquoAnomalienldquo entsteht eine Krise der normalen Wissenschaft

Definition Anomalien sind bdquoPhaumlnomen[e] auf welche[] das Paradigma den Forscher nicht vorbereitet hatteldquo (70) Die Veraumlnderung des wissenschaftlichen Weltbilds beginnt mit der Einsicht bdquodaszlig die Natur in irgendeiner Weise die von einem Paradigma erzeugten die normale Wissenschaft beherrschenden Erwartungen nicht erfuumlllt hatldquo (66) Mit anderen Worten Anomalien stehen in Widerspruch zu den Vorhersagen der Theorie sind also mit Mitteln des Paradigmas nicht erklaumlrbar

Anomalien als Ausloumlser von Krisen bdquoDa das Auftauchen neuer Theorien eine umfassende Paradigmazerstoumlrung und groumlszligere Verschiebungen in den Problemen und Verfahren der normalen Wissenschaft erfordert geht ihm im allgemeinen eine Periode ausgesprochener fachwissenschaftlicher Unsicherheit voraus Wie zu erwarten wird diese Unsicherheit durch das dauernde Unvermoumlgen erzeugt fuumlr die Raumltsel der normalen Wissenschaft die erwartete Aufloumlsung zu finden Das Versagen der vorhandenen Regeln leitet die Suche nach neuen einldquo(80)

Anomalien versus Falsifikationen

bull Anomalien fuumlhren nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der zugrunde liegenden Theoriebull Anomalien koumlnnen normalerweise im Rahmen des Paradigmas erklaumlrt oder aufgeloumlst werden Anomalien sind bdquonormalldquobull Erst eine Haumlufung von bdquohartnaumlckigenldquo Anomalien fuumlhrt zur Krise der normalen Wissenschaft und damit moumlglicherweise zu einer wissenschaftlichen Revolution

Wie reagieren Wissenschaftler auf das Auftreten von Anomalien bdquoEinen ebenso offenkundigen wie wichtigen Teil der Antwort koumlnnen wir finden indem wie erst einmal festhalten was Wissenschaftler niemals tun wenn sie mit Anomalien konfrontiert werden und seien diese noch so schwerwiegend und lang andauernd Wenn sie auch beginnen moumlgen den Glauben zu verlieren und an Alternativen zu denken so verwerfen sie doch nicht das Paradigma das sie in eine Krise hineingefuumlhrt hat Das heiszligt also sie behandeln die Anomalien nicht als Gegenbeispiele obwohl Anomalien im Vokabular der Wissenschaftstheorie genau das sindldquo (90)

Wissenschaftliche Revolutionen (1)

Definition Wissenschaftliche Revolutionen sind Vorgaumlnge die zu einer mehr oder weniger radikalen Korrektur des wissenschaftlichen Weltbilds fuumlhren

Beispiele

bull die kopernikanische Revolution (Uumlbergang vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild)

bull Darwins Evolutionslehre

bull Einsteins Theorie von Raum und Zeit

bull die Entstehung der Quantenphysik (Indeterminismus und Unschaumlrferelation)

Wissenschaftliche Revolutionen (2)

bull Bei einer wissenschaftlichen Revolution wird ein etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie ersetzt

bull Verschiedene Paradigmen sind nach Kuhn bdquoinkommensurabelldquo dh es gibt keine objektiven Kriterien die eine Entscheidung fuumlr das eine oder andere Paradigma begruumlnden koumlnnten

Begruumlndung Vertreter unterschiedlicher Paradigmen sprechen verschiedene Sprachen gehen von unterschiedlichen theoretischen Annahmen und methodologischen Regeln aus

bdquoWenn Paradigmata in eine Diskussion uumlber die Wahl von Paradigmata eingehen ndash und sie muumlssen es ja - dann ist ihre Rolle notwendigerweise zirkulaumlr Jede Gruppe verwendet ihr eigenes Paradigma zur Verteidigung eben dieses Paradigmasldquo (106) Die zentrale Konsequenz aus dieser Feststellung ist daszlig Konflikte zwischen konkurrierenden Theorien bdquoniemals durch Logik und Experiment allein eindeutig entschieden werdenldquo koumlnnen (107)

Struktur der Wissenschaftlichen Revolution

Vorparadigmatische PhaseNebeneinanderstehende lose definierte miteinander kon-

kurrierende Ansaumltze ohne Dominanz eines einzelnen Paradigmas

Paradigmatische PhaseDurchsetzung eines Ansatzes Ausgrenzung konkurrierender

Ansaumltze herrschendes Paradigma wird Bezugsrahmen fuumlr Forschung eines Fachs normgebend Phase kumulativer normalwissenschaftlicher Forschung

Kritische PhaseErschoumlpfung des dominierenden Paradigmas Haumlufung von Fehl-

schlaumlgen und Anomalien lassen Zweifel an Erklaumlrungskraft des Paradigma entstehen

Revolutionaumlre PhaseBreiter Aufstand gegen herrschendes Paradigma Suchen neuer

Wege Widerstand der Vertreter des alten Paradigmas Neue Paradigmatische PhaseWeder Verifikation noch Falsifikation sondern DimensionssprungWettstreit der Paradigmata wird nicht durch Beweise entschieden

sondern mittels Durchsetzungskraft

VORPARADIGMATISCHE PHASE

ENTSTEHUNG EINES NEUEN PARADIGMAS

bdquoNORMALE WISSENSCHAFTldquo

HAumlUFUNG VON ANOMALIEN

KRISE DER NORMALEN WISSENSCHAFT

WISSENSCHAFTLICHE REVOLUTION

Kuhn ndash Wissenschaftliche Revolutionen

Quelle LauthSareiter Wissenschaftliche Erkenntnis Paderborn 2002 S 123

Probleme von Kuhns Modell

Bei der Beurteilung von Kuhns Theorien ist zu unterscheiden zwischen wissenschaftshistorischen Fakten und wissenschaftstheoretischenSchlussfolgerungen

Das Hauptproblem

bull Der Wandel des wissenschaftlichen Weltbilds ist nach Kuhn nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren Es gibt keinen Erkenntnis-fortschritt nur eine neue Sicht der Dinge

bull Die Wissenschaftstheorie (Poppers Logik der Forschung) muumlsste nach Kuhn durch wissenschaftshistorische und ndashsoziologische Betrachtungen ersetzt werden

bull Kuhns Theorie laumlszligt wichtige Fragen offen (siehe naumlchste Folie)

Offene Fragen

bdquoInsbesondere liefert Kuhn keine plausible oder befriedigende Erklaumlrung fuumlr die Verdraumlngung eines etablierten Paradigmas und den bdquoSiegldquo des neuen Paradigmas uumlber seinen Vorgaumlnger Nach Kuhns Auffassung ist der Konflikt zwischen zwei rivalisierenden Paradigmen bdquoniemals durch Logik und Experiment alleineldquo zu entscheiden Das wuumlrde jedoch bedeuten daszlig der Theorienwandel in der Wissenschaft nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren ist sondern nur durch Rekurs auf wissenschaftshistorische oder -soziologische Phaumlnomene Aber was koumlnnten dann die Ursachen dafuumlr sein daszlig ein einmal etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie vollstaumlndig verdraumlngt und ersetzt werden kann Kuhns Hinweis darauf daszlig die Vertreter des alten Paradigmas im Lauf der Zeit einfach bdquoaussterbenldquo ist sicherlich zu einfach Warum gelingt es den Anhaumlngern des alten Paradigmas nicht neue Anhaumlnger unter dem wissenschaftlichen Nachwuchs zu rekrutieren Warum sollte nicht die Entstehung von neuen Theorien im Lauf der Zeit zu einer Pluralitaumlt von konkurrierenden Paradigmen oder Theorien fuumlhren von denen jede eine gewisse Anzahl von bdquoAnhaumlngernldquo um sich scharen kann Warum sind heute praktisch alle Physiker davon uumlberzeugt daszlig Einsteins Relativitaumlts-theorie eine bessere Beschreibung und Erklaumlrung der physikalischen Phaumlnomene liefert als die Newtonsche MechanikWarum glaubt heute niemand mehr an das geozentrische Weltbild eines Aristoteles oder Kopernikus Warum hat Darwins Evolutionstheorie alle biologischen Theorien die von einer Konstanz der Arten ausgehen erfolgreich verdraumlngen koumlnnen ldquo

(B Lauth J Sareiter Wissenschaftliche Erkenntnis S 135)

Literaturtipp

bull Bernhard Lauth J Sareiter Wissenschaft-liche Erkenntnis Eine ideengeschichtliche Einfuumlhrung in die Wissenschaftstheorie Paderborn Mentis-Verlag 2002

Methodische FolgerungenKuhn versus Popper

bdquoWenn eine wissenschaftliche Theorie einmal den Status eines Paradigmas erlangt hat wird sie nur dann fuumlr unguumlltig erklaumlrt wenn ein anderer Kandidat vorhanden ist der ihren Platz einnehmen kann Kein bisher durch das Studium der wissenschaftlichen Entwicklung aufgedeckter Prozeszlig hat irgendeine Aumlhnlichkeit mit der methodologischen Schablone der Falsifikation durch unmittelbaren Vergleich mit der Naturldquo (90)

bdquoZweifellos ist die der Falsifikation zugesprochene Rolle derjenigen sehr aumlhnlich welche dieser Essay den anomalen Erfahrungen beimiszligt also jenen Erfahrungen die eine Krise hervorrufen und dadurch den Weg fuumlr eine neue Theorie bereiten Trotzdem duumlrfen anomale Erfahrungen nicht mit falsifizierenden gleichgestellt werden Ich glaube sogar daszlig es letztere uumlberhaupt nicht gibtldquo (157)

Eine Gegenposition hat Imre Lakatos vertreten In seinem Essay uumlber die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme zeigt Lakatos dass die von Kuhn diagnostizierten Phaumlnomene auch im Rahmen der falsifikationistischen Methodik erklaumlrbar sind

Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos

Imre Lakatos (1922-1974) kritisierte einmal das Poppersche Falsifizierungspostulat Wissen-schaftler neigen eher dazu ihre Theorien zu verteidigen als sie zu widerlegen

Lakatos hielt aber auch Kuhns Theorie der wissenschaftlichen Revolutionen fuumlr irreal und verstand Wissenschaft als ein Nebeneinander konkurrierender Forschungsprogramme

Ein alternatives Modell deswissenschaftlichen Fortschritts

In bdquoKritik und Erkenntnisfortschrittldquo entwickelt Imre Lakatos ein Alternativmodell des wissenschaftlichen Fortschritts Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen bdquoTheoriekernldquo und bdquoZusatzhypothesenldquo

bull Die meisten wissenschaftlichen Theorien fuumlhren erst in Verbindung mit geeigneten Zusatzhypothesen zu empirisch nachpruumlfbaren Vorhersagen

bull Widerspruumlche zwischen Theorie und Experiment fuumlhren daher nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der Theorie sondern koumlnnen auch durch Korrektur der Zusatzhyothesen aufgeloumlst werden

Ein modifiziertes Modell der empirischen Uumlberpruumlfungvon wissenschaftlichen Theorien

Wissenschaftliche Theorien (bdquoParadigmenldquo)

Zusatzhypothesen

Empirisch nachpruumlfbare Vorhersagen

Vergleich mit Beobachtung Messung

Experiment

Vorlaumlufige Bestaumltigung der Theorie

Revision der Theorie

Revision der Zusatzhypothesen

Wissenschaftliche Revolution

Signifikante Abweichungen (bdquoAnomalienldquo)Keine signifikanten Abweichungen

plus

Quelle Lauth III Teil Wissenschaftlicher Fortschritt und derWandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Erkenntnisfortschritt

Eine neue Theorie Tacute die ein etabliertes Paradigma T verdraumlngen soll muss nach Lakatos zwei Bedingungen erfuumlllen

bull Die neue Theorie muss die Erfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die alte Theorie zu korrekten Vorhersagen fuumlhrt muss Tacute dieselben Vorhersagen machen

bull Die neue Theorie muss die Misserfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die neue Theorie zu abweichenden Vorhersagen fuumlhrt bestaumltigen Beobachtungen und Messungen die abweichenden Vorhersagen

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersicht

VSteenblock Imre Lakatos in JNida-Ruumlmelin (Hrsg) Philosophie der Gegenwartin Einzeldarstellungenhellip 2AuflStuttgart Kroumlner 1999 S 400ff

Auch zu Kuhn Feyerabend usw

Werner Diederich (Hrsg) Theorien der Wissenschafts-geschichte Beitraumlge zur diachronen Wissenschafts- theorie FrankfurtMain Suhrkamp 1974

Literaturtipp

Thanx for your attentionhellip

  • Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes
  • Sir Karl Popper (1902-1994) und die Logik der Forschung
  • Thomas Kuhns Modell der Entwicklung von Wissenschaft(en)
  • Folie 4
  • Folie 5
  • Folie 6
  • Folie 7
  • Folie 8
  • Folie 9
  • Folie 10
  • Folie 11
  • Folie 12
  • Folie 13
  • Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)
  • Folie 16
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)
  • Merkmale von Paradigmen
  • Literaturtipp
  • Folie 20
  • Folie 21
  • Folie 22
  • Folie 23
  • Folie 24
  • Struktur der Wissenschaftlichen Revolution
  • Folie 26
  • Folie 27
  • Folie 28
  • Slide 29
  • Folie 30
  • Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos
  • Folie 32
  • Folie 33
  • Folie 34
  • Slide 35
  • Slide 36
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Page 15: Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes ? Zur historischen Genese von (Teil-)Wissenschaft.

Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)

Generell verstehen wir unter einem Paradigma

ein Buumlndel von bull theoretischen Leitsaumltzenbull Fragestellungen bull Methoden zu ihrer Beantwortung

das das Vorgehen der Wissenschaftler in einer je bestimmten historischen Periode der Wissenschaftsentwicklung charakterisiert

Kuhn - Paradigma

Allgemeine Merkmale Beispiel Newtons Mechanik

Jedes Paradigma beinhaltet bestimmte theoretische Annahmen

Einen Bestand an methodischen Regeln

paradigmatische Anwendungen und

bdquoquasi-metaphysischeldquo Uumlberzeugun-gen (S 55)

Newtons drei Axiome und das Gravitationsgesetz

z B bdquoNewtons Prinzipldquo Physikalische Vorgaumlnge sind durch Differentialgleichungen zu beschreiben

Fallbeschleunigung (Galileis Gesetze) und die Planetenbahnen im Sonnensystem (Keplers Gesetze)

Der bdquoabsolute Raumldquo und die bdquoabsolute Zeitldquo

Quelle Lauth III Teil WissenschaftlicherFortschritt und der Wandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)

Nach Kuhn kann man ein Paradigma kennzeichnen 1048708 durch das was beobachtet und uumlberpruumlft wird 1048708 durch die Art der Fragen welche in Bezug auf ein

Thema gestellt werden und die gepruumlft werden sollen

1048708 danach wie diese Fragen gestellt werden sollen

1048708 dadurch wie die Ergebnisse der wissenschaft-lichen Untersuchung interpretiert werden sollen

Thomas Kuhn The Structure of Scientific Revolutions Chicago 1962

Merkmale von Paradigmen

Wissenschaftliche Paradigmen sindgekennzeichnet durch 1048708ein bestimmtes Menschenbild 1048708 eine bestimmte Auffassung vomForschungsgegenstand 1048708 daraus resultierende spezifischemethodische Praumlferenzen 1048708 ein bestimmtes Begriffsvokabular und 1048708 (in manchen Faumlllen) eine Traditionsbildunguumlber Lehrer-Schuumller-Verhaumlltnisse

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersichtbull F Muumlhlhoumllzer Thomas S Kuhn in J Nida-Ruumlmelin

(Hrsg) Philosophie der Gegenwart in Einzeldar-stellungen von Adorno bis vWright 2Aufl Stuttgart Kroumlner 1999 S 383 ff

bull Wolfgang Stegmuumlller Hauptstroumlmungen der Gegen-wartsphilosophie 8 Aufl Stuttgart Kroumlner 1987 Kap III

bull Paul Hoyningen-Huene Die Wissenschafts-philosophie Thomas S Kuhns Rekonstruktion und Grundlagenprobleme Braunschweig Vieweg 1989

Normale Wissenschaftund wissenschaftliche Paradigmen

Die bdquonormale Wissenschaftldquo ist nach Kuhn durch die Bindung an ein Paradigma gekennzeichnet

bdquoDie Physik des Aristoteles der Almagest des Ptolemaumlus Newtons Principia und Opticks Franklins Electricity Lavoisiers Chimie Lyells Geology ndash diese und viele andere Werke dienten indirekt eine Zeitlang dazu fuumlr nachfolgende Generationen von Fachleuten die anerkannten Probleme und Methoden eines Forschungsgebiets zu bestimmen Sie vermochten dies da sie zwei wesentliche Eigenschaften gemeinsam hatten Ihre Leistung war neuartig genug um eine bestaumlndige Gruppe von Anhaumlngern anzuziehen die ihre Wissenschaft bisher auf andere Art betrieben hatten und gleichzeitig war sie noch offen genug um der neuen Gruppe von Fachleuten alle moumlglichen ungeloumlsten Probleme zu stellen Leistungen mit diesen beiden Merkmalen werde ich von nun an als bdquoParadigmataldquo bezeichnen ein Ausdruck der eng mit dem der bdquonormalen Wissenschaftldquo zusammenhaumlngtldquo

Anomalien und die Krise der normalen Wissenschaft

Durch gehaumluftes Auftreten von bdquoAnomalienldquo entsteht eine Krise der normalen Wissenschaft

Definition Anomalien sind bdquoPhaumlnomen[e] auf welche[] das Paradigma den Forscher nicht vorbereitet hatteldquo (70) Die Veraumlnderung des wissenschaftlichen Weltbilds beginnt mit der Einsicht bdquodaszlig die Natur in irgendeiner Weise die von einem Paradigma erzeugten die normale Wissenschaft beherrschenden Erwartungen nicht erfuumlllt hatldquo (66) Mit anderen Worten Anomalien stehen in Widerspruch zu den Vorhersagen der Theorie sind also mit Mitteln des Paradigmas nicht erklaumlrbar

Anomalien als Ausloumlser von Krisen bdquoDa das Auftauchen neuer Theorien eine umfassende Paradigmazerstoumlrung und groumlszligere Verschiebungen in den Problemen und Verfahren der normalen Wissenschaft erfordert geht ihm im allgemeinen eine Periode ausgesprochener fachwissenschaftlicher Unsicherheit voraus Wie zu erwarten wird diese Unsicherheit durch das dauernde Unvermoumlgen erzeugt fuumlr die Raumltsel der normalen Wissenschaft die erwartete Aufloumlsung zu finden Das Versagen der vorhandenen Regeln leitet die Suche nach neuen einldquo(80)

Anomalien versus Falsifikationen

bull Anomalien fuumlhren nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der zugrunde liegenden Theoriebull Anomalien koumlnnen normalerweise im Rahmen des Paradigmas erklaumlrt oder aufgeloumlst werden Anomalien sind bdquonormalldquobull Erst eine Haumlufung von bdquohartnaumlckigenldquo Anomalien fuumlhrt zur Krise der normalen Wissenschaft und damit moumlglicherweise zu einer wissenschaftlichen Revolution

Wie reagieren Wissenschaftler auf das Auftreten von Anomalien bdquoEinen ebenso offenkundigen wie wichtigen Teil der Antwort koumlnnen wir finden indem wie erst einmal festhalten was Wissenschaftler niemals tun wenn sie mit Anomalien konfrontiert werden und seien diese noch so schwerwiegend und lang andauernd Wenn sie auch beginnen moumlgen den Glauben zu verlieren und an Alternativen zu denken so verwerfen sie doch nicht das Paradigma das sie in eine Krise hineingefuumlhrt hat Das heiszligt also sie behandeln die Anomalien nicht als Gegenbeispiele obwohl Anomalien im Vokabular der Wissenschaftstheorie genau das sindldquo (90)

Wissenschaftliche Revolutionen (1)

Definition Wissenschaftliche Revolutionen sind Vorgaumlnge die zu einer mehr oder weniger radikalen Korrektur des wissenschaftlichen Weltbilds fuumlhren

Beispiele

bull die kopernikanische Revolution (Uumlbergang vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild)

bull Darwins Evolutionslehre

bull Einsteins Theorie von Raum und Zeit

bull die Entstehung der Quantenphysik (Indeterminismus und Unschaumlrferelation)

Wissenschaftliche Revolutionen (2)

bull Bei einer wissenschaftlichen Revolution wird ein etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie ersetzt

bull Verschiedene Paradigmen sind nach Kuhn bdquoinkommensurabelldquo dh es gibt keine objektiven Kriterien die eine Entscheidung fuumlr das eine oder andere Paradigma begruumlnden koumlnnten

Begruumlndung Vertreter unterschiedlicher Paradigmen sprechen verschiedene Sprachen gehen von unterschiedlichen theoretischen Annahmen und methodologischen Regeln aus

bdquoWenn Paradigmata in eine Diskussion uumlber die Wahl von Paradigmata eingehen ndash und sie muumlssen es ja - dann ist ihre Rolle notwendigerweise zirkulaumlr Jede Gruppe verwendet ihr eigenes Paradigma zur Verteidigung eben dieses Paradigmasldquo (106) Die zentrale Konsequenz aus dieser Feststellung ist daszlig Konflikte zwischen konkurrierenden Theorien bdquoniemals durch Logik und Experiment allein eindeutig entschieden werdenldquo koumlnnen (107)

Struktur der Wissenschaftlichen Revolution

Vorparadigmatische PhaseNebeneinanderstehende lose definierte miteinander kon-

kurrierende Ansaumltze ohne Dominanz eines einzelnen Paradigmas

Paradigmatische PhaseDurchsetzung eines Ansatzes Ausgrenzung konkurrierender

Ansaumltze herrschendes Paradigma wird Bezugsrahmen fuumlr Forschung eines Fachs normgebend Phase kumulativer normalwissenschaftlicher Forschung

Kritische PhaseErschoumlpfung des dominierenden Paradigmas Haumlufung von Fehl-

schlaumlgen und Anomalien lassen Zweifel an Erklaumlrungskraft des Paradigma entstehen

Revolutionaumlre PhaseBreiter Aufstand gegen herrschendes Paradigma Suchen neuer

Wege Widerstand der Vertreter des alten Paradigmas Neue Paradigmatische PhaseWeder Verifikation noch Falsifikation sondern DimensionssprungWettstreit der Paradigmata wird nicht durch Beweise entschieden

sondern mittels Durchsetzungskraft

VORPARADIGMATISCHE PHASE

ENTSTEHUNG EINES NEUEN PARADIGMAS

bdquoNORMALE WISSENSCHAFTldquo

HAumlUFUNG VON ANOMALIEN

KRISE DER NORMALEN WISSENSCHAFT

WISSENSCHAFTLICHE REVOLUTION

Kuhn ndash Wissenschaftliche Revolutionen

Quelle LauthSareiter Wissenschaftliche Erkenntnis Paderborn 2002 S 123

Probleme von Kuhns Modell

Bei der Beurteilung von Kuhns Theorien ist zu unterscheiden zwischen wissenschaftshistorischen Fakten und wissenschaftstheoretischenSchlussfolgerungen

Das Hauptproblem

bull Der Wandel des wissenschaftlichen Weltbilds ist nach Kuhn nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren Es gibt keinen Erkenntnis-fortschritt nur eine neue Sicht der Dinge

bull Die Wissenschaftstheorie (Poppers Logik der Forschung) muumlsste nach Kuhn durch wissenschaftshistorische und ndashsoziologische Betrachtungen ersetzt werden

bull Kuhns Theorie laumlszligt wichtige Fragen offen (siehe naumlchste Folie)

Offene Fragen

bdquoInsbesondere liefert Kuhn keine plausible oder befriedigende Erklaumlrung fuumlr die Verdraumlngung eines etablierten Paradigmas und den bdquoSiegldquo des neuen Paradigmas uumlber seinen Vorgaumlnger Nach Kuhns Auffassung ist der Konflikt zwischen zwei rivalisierenden Paradigmen bdquoniemals durch Logik und Experiment alleineldquo zu entscheiden Das wuumlrde jedoch bedeuten daszlig der Theorienwandel in der Wissenschaft nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren ist sondern nur durch Rekurs auf wissenschaftshistorische oder -soziologische Phaumlnomene Aber was koumlnnten dann die Ursachen dafuumlr sein daszlig ein einmal etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie vollstaumlndig verdraumlngt und ersetzt werden kann Kuhns Hinweis darauf daszlig die Vertreter des alten Paradigmas im Lauf der Zeit einfach bdquoaussterbenldquo ist sicherlich zu einfach Warum gelingt es den Anhaumlngern des alten Paradigmas nicht neue Anhaumlnger unter dem wissenschaftlichen Nachwuchs zu rekrutieren Warum sollte nicht die Entstehung von neuen Theorien im Lauf der Zeit zu einer Pluralitaumlt von konkurrierenden Paradigmen oder Theorien fuumlhren von denen jede eine gewisse Anzahl von bdquoAnhaumlngernldquo um sich scharen kann Warum sind heute praktisch alle Physiker davon uumlberzeugt daszlig Einsteins Relativitaumlts-theorie eine bessere Beschreibung und Erklaumlrung der physikalischen Phaumlnomene liefert als die Newtonsche MechanikWarum glaubt heute niemand mehr an das geozentrische Weltbild eines Aristoteles oder Kopernikus Warum hat Darwins Evolutionstheorie alle biologischen Theorien die von einer Konstanz der Arten ausgehen erfolgreich verdraumlngen koumlnnen ldquo

(B Lauth J Sareiter Wissenschaftliche Erkenntnis S 135)

Literaturtipp

bull Bernhard Lauth J Sareiter Wissenschaft-liche Erkenntnis Eine ideengeschichtliche Einfuumlhrung in die Wissenschaftstheorie Paderborn Mentis-Verlag 2002

Methodische FolgerungenKuhn versus Popper

bdquoWenn eine wissenschaftliche Theorie einmal den Status eines Paradigmas erlangt hat wird sie nur dann fuumlr unguumlltig erklaumlrt wenn ein anderer Kandidat vorhanden ist der ihren Platz einnehmen kann Kein bisher durch das Studium der wissenschaftlichen Entwicklung aufgedeckter Prozeszlig hat irgendeine Aumlhnlichkeit mit der methodologischen Schablone der Falsifikation durch unmittelbaren Vergleich mit der Naturldquo (90)

bdquoZweifellos ist die der Falsifikation zugesprochene Rolle derjenigen sehr aumlhnlich welche dieser Essay den anomalen Erfahrungen beimiszligt also jenen Erfahrungen die eine Krise hervorrufen und dadurch den Weg fuumlr eine neue Theorie bereiten Trotzdem duumlrfen anomale Erfahrungen nicht mit falsifizierenden gleichgestellt werden Ich glaube sogar daszlig es letztere uumlberhaupt nicht gibtldquo (157)

Eine Gegenposition hat Imre Lakatos vertreten In seinem Essay uumlber die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme zeigt Lakatos dass die von Kuhn diagnostizierten Phaumlnomene auch im Rahmen der falsifikationistischen Methodik erklaumlrbar sind

Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos

Imre Lakatos (1922-1974) kritisierte einmal das Poppersche Falsifizierungspostulat Wissen-schaftler neigen eher dazu ihre Theorien zu verteidigen als sie zu widerlegen

Lakatos hielt aber auch Kuhns Theorie der wissenschaftlichen Revolutionen fuumlr irreal und verstand Wissenschaft als ein Nebeneinander konkurrierender Forschungsprogramme

Ein alternatives Modell deswissenschaftlichen Fortschritts

In bdquoKritik und Erkenntnisfortschrittldquo entwickelt Imre Lakatos ein Alternativmodell des wissenschaftlichen Fortschritts Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen bdquoTheoriekernldquo und bdquoZusatzhypothesenldquo

bull Die meisten wissenschaftlichen Theorien fuumlhren erst in Verbindung mit geeigneten Zusatzhypothesen zu empirisch nachpruumlfbaren Vorhersagen

bull Widerspruumlche zwischen Theorie und Experiment fuumlhren daher nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der Theorie sondern koumlnnen auch durch Korrektur der Zusatzhyothesen aufgeloumlst werden

Ein modifiziertes Modell der empirischen Uumlberpruumlfungvon wissenschaftlichen Theorien

Wissenschaftliche Theorien (bdquoParadigmenldquo)

Zusatzhypothesen

Empirisch nachpruumlfbare Vorhersagen

Vergleich mit Beobachtung Messung

Experiment

Vorlaumlufige Bestaumltigung der Theorie

Revision der Theorie

Revision der Zusatzhypothesen

Wissenschaftliche Revolution

Signifikante Abweichungen (bdquoAnomalienldquo)Keine signifikanten Abweichungen

plus

Quelle Lauth III Teil Wissenschaftlicher Fortschritt und derWandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Erkenntnisfortschritt

Eine neue Theorie Tacute die ein etabliertes Paradigma T verdraumlngen soll muss nach Lakatos zwei Bedingungen erfuumlllen

bull Die neue Theorie muss die Erfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die alte Theorie zu korrekten Vorhersagen fuumlhrt muss Tacute dieselben Vorhersagen machen

bull Die neue Theorie muss die Misserfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die neue Theorie zu abweichenden Vorhersagen fuumlhrt bestaumltigen Beobachtungen und Messungen die abweichenden Vorhersagen

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersicht

VSteenblock Imre Lakatos in JNida-Ruumlmelin (Hrsg) Philosophie der Gegenwartin Einzeldarstellungenhellip 2AuflStuttgart Kroumlner 1999 S 400ff

Auch zu Kuhn Feyerabend usw

Werner Diederich (Hrsg) Theorien der Wissenschafts-geschichte Beitraumlge zur diachronen Wissenschafts- theorie FrankfurtMain Suhrkamp 1974

Literaturtipp

Thanx for your attentionhellip

  • Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes
  • Sir Karl Popper (1902-1994) und die Logik der Forschung
  • Thomas Kuhns Modell der Entwicklung von Wissenschaft(en)
  • Folie 4
  • Folie 5
  • Folie 6
  • Folie 7
  • Folie 8
  • Folie 9
  • Folie 10
  • Folie 11
  • Folie 12
  • Folie 13
  • Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)
  • Folie 16
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)
  • Merkmale von Paradigmen
  • Literaturtipp
  • Folie 20
  • Folie 21
  • Folie 22
  • Folie 23
  • Folie 24
  • Struktur der Wissenschaftlichen Revolution
  • Folie 26
  • Folie 27
  • Folie 28
  • Slide 29
  • Folie 30
  • Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos
  • Folie 32
  • Folie 33
  • Folie 34
  • Slide 35
  • Slide 36
  • Thanx for your attentionhellip
Page 16: Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes ? Zur historischen Genese von (Teil-)Wissenschaft.

Kuhn - Paradigma

Allgemeine Merkmale Beispiel Newtons Mechanik

Jedes Paradigma beinhaltet bestimmte theoretische Annahmen

Einen Bestand an methodischen Regeln

paradigmatische Anwendungen und

bdquoquasi-metaphysischeldquo Uumlberzeugun-gen (S 55)

Newtons drei Axiome und das Gravitationsgesetz

z B bdquoNewtons Prinzipldquo Physikalische Vorgaumlnge sind durch Differentialgleichungen zu beschreiben

Fallbeschleunigung (Galileis Gesetze) und die Planetenbahnen im Sonnensystem (Keplers Gesetze)

Der bdquoabsolute Raumldquo und die bdquoabsolute Zeitldquo

Quelle Lauth III Teil WissenschaftlicherFortschritt und der Wandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)

Nach Kuhn kann man ein Paradigma kennzeichnen 1048708 durch das was beobachtet und uumlberpruumlft wird 1048708 durch die Art der Fragen welche in Bezug auf ein

Thema gestellt werden und die gepruumlft werden sollen

1048708 danach wie diese Fragen gestellt werden sollen

1048708 dadurch wie die Ergebnisse der wissenschaft-lichen Untersuchung interpretiert werden sollen

Thomas Kuhn The Structure of Scientific Revolutions Chicago 1962

Merkmale von Paradigmen

Wissenschaftliche Paradigmen sindgekennzeichnet durch 1048708ein bestimmtes Menschenbild 1048708 eine bestimmte Auffassung vomForschungsgegenstand 1048708 daraus resultierende spezifischemethodische Praumlferenzen 1048708 ein bestimmtes Begriffsvokabular und 1048708 (in manchen Faumlllen) eine Traditionsbildunguumlber Lehrer-Schuumller-Verhaumlltnisse

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersichtbull F Muumlhlhoumllzer Thomas S Kuhn in J Nida-Ruumlmelin

(Hrsg) Philosophie der Gegenwart in Einzeldar-stellungen von Adorno bis vWright 2Aufl Stuttgart Kroumlner 1999 S 383 ff

bull Wolfgang Stegmuumlller Hauptstroumlmungen der Gegen-wartsphilosophie 8 Aufl Stuttgart Kroumlner 1987 Kap III

bull Paul Hoyningen-Huene Die Wissenschafts-philosophie Thomas S Kuhns Rekonstruktion und Grundlagenprobleme Braunschweig Vieweg 1989

Normale Wissenschaftund wissenschaftliche Paradigmen

Die bdquonormale Wissenschaftldquo ist nach Kuhn durch die Bindung an ein Paradigma gekennzeichnet

bdquoDie Physik des Aristoteles der Almagest des Ptolemaumlus Newtons Principia und Opticks Franklins Electricity Lavoisiers Chimie Lyells Geology ndash diese und viele andere Werke dienten indirekt eine Zeitlang dazu fuumlr nachfolgende Generationen von Fachleuten die anerkannten Probleme und Methoden eines Forschungsgebiets zu bestimmen Sie vermochten dies da sie zwei wesentliche Eigenschaften gemeinsam hatten Ihre Leistung war neuartig genug um eine bestaumlndige Gruppe von Anhaumlngern anzuziehen die ihre Wissenschaft bisher auf andere Art betrieben hatten und gleichzeitig war sie noch offen genug um der neuen Gruppe von Fachleuten alle moumlglichen ungeloumlsten Probleme zu stellen Leistungen mit diesen beiden Merkmalen werde ich von nun an als bdquoParadigmataldquo bezeichnen ein Ausdruck der eng mit dem der bdquonormalen Wissenschaftldquo zusammenhaumlngtldquo

Anomalien und die Krise der normalen Wissenschaft

Durch gehaumluftes Auftreten von bdquoAnomalienldquo entsteht eine Krise der normalen Wissenschaft

Definition Anomalien sind bdquoPhaumlnomen[e] auf welche[] das Paradigma den Forscher nicht vorbereitet hatteldquo (70) Die Veraumlnderung des wissenschaftlichen Weltbilds beginnt mit der Einsicht bdquodaszlig die Natur in irgendeiner Weise die von einem Paradigma erzeugten die normale Wissenschaft beherrschenden Erwartungen nicht erfuumlllt hatldquo (66) Mit anderen Worten Anomalien stehen in Widerspruch zu den Vorhersagen der Theorie sind also mit Mitteln des Paradigmas nicht erklaumlrbar

Anomalien als Ausloumlser von Krisen bdquoDa das Auftauchen neuer Theorien eine umfassende Paradigmazerstoumlrung und groumlszligere Verschiebungen in den Problemen und Verfahren der normalen Wissenschaft erfordert geht ihm im allgemeinen eine Periode ausgesprochener fachwissenschaftlicher Unsicherheit voraus Wie zu erwarten wird diese Unsicherheit durch das dauernde Unvermoumlgen erzeugt fuumlr die Raumltsel der normalen Wissenschaft die erwartete Aufloumlsung zu finden Das Versagen der vorhandenen Regeln leitet die Suche nach neuen einldquo(80)

Anomalien versus Falsifikationen

bull Anomalien fuumlhren nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der zugrunde liegenden Theoriebull Anomalien koumlnnen normalerweise im Rahmen des Paradigmas erklaumlrt oder aufgeloumlst werden Anomalien sind bdquonormalldquobull Erst eine Haumlufung von bdquohartnaumlckigenldquo Anomalien fuumlhrt zur Krise der normalen Wissenschaft und damit moumlglicherweise zu einer wissenschaftlichen Revolution

Wie reagieren Wissenschaftler auf das Auftreten von Anomalien bdquoEinen ebenso offenkundigen wie wichtigen Teil der Antwort koumlnnen wir finden indem wie erst einmal festhalten was Wissenschaftler niemals tun wenn sie mit Anomalien konfrontiert werden und seien diese noch so schwerwiegend und lang andauernd Wenn sie auch beginnen moumlgen den Glauben zu verlieren und an Alternativen zu denken so verwerfen sie doch nicht das Paradigma das sie in eine Krise hineingefuumlhrt hat Das heiszligt also sie behandeln die Anomalien nicht als Gegenbeispiele obwohl Anomalien im Vokabular der Wissenschaftstheorie genau das sindldquo (90)

Wissenschaftliche Revolutionen (1)

Definition Wissenschaftliche Revolutionen sind Vorgaumlnge die zu einer mehr oder weniger radikalen Korrektur des wissenschaftlichen Weltbilds fuumlhren

Beispiele

bull die kopernikanische Revolution (Uumlbergang vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild)

bull Darwins Evolutionslehre

bull Einsteins Theorie von Raum und Zeit

bull die Entstehung der Quantenphysik (Indeterminismus und Unschaumlrferelation)

Wissenschaftliche Revolutionen (2)

bull Bei einer wissenschaftlichen Revolution wird ein etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie ersetzt

bull Verschiedene Paradigmen sind nach Kuhn bdquoinkommensurabelldquo dh es gibt keine objektiven Kriterien die eine Entscheidung fuumlr das eine oder andere Paradigma begruumlnden koumlnnten

Begruumlndung Vertreter unterschiedlicher Paradigmen sprechen verschiedene Sprachen gehen von unterschiedlichen theoretischen Annahmen und methodologischen Regeln aus

bdquoWenn Paradigmata in eine Diskussion uumlber die Wahl von Paradigmata eingehen ndash und sie muumlssen es ja - dann ist ihre Rolle notwendigerweise zirkulaumlr Jede Gruppe verwendet ihr eigenes Paradigma zur Verteidigung eben dieses Paradigmasldquo (106) Die zentrale Konsequenz aus dieser Feststellung ist daszlig Konflikte zwischen konkurrierenden Theorien bdquoniemals durch Logik und Experiment allein eindeutig entschieden werdenldquo koumlnnen (107)

Struktur der Wissenschaftlichen Revolution

Vorparadigmatische PhaseNebeneinanderstehende lose definierte miteinander kon-

kurrierende Ansaumltze ohne Dominanz eines einzelnen Paradigmas

Paradigmatische PhaseDurchsetzung eines Ansatzes Ausgrenzung konkurrierender

Ansaumltze herrschendes Paradigma wird Bezugsrahmen fuumlr Forschung eines Fachs normgebend Phase kumulativer normalwissenschaftlicher Forschung

Kritische PhaseErschoumlpfung des dominierenden Paradigmas Haumlufung von Fehl-

schlaumlgen und Anomalien lassen Zweifel an Erklaumlrungskraft des Paradigma entstehen

Revolutionaumlre PhaseBreiter Aufstand gegen herrschendes Paradigma Suchen neuer

Wege Widerstand der Vertreter des alten Paradigmas Neue Paradigmatische PhaseWeder Verifikation noch Falsifikation sondern DimensionssprungWettstreit der Paradigmata wird nicht durch Beweise entschieden

sondern mittels Durchsetzungskraft

VORPARADIGMATISCHE PHASE

ENTSTEHUNG EINES NEUEN PARADIGMAS

bdquoNORMALE WISSENSCHAFTldquo

HAumlUFUNG VON ANOMALIEN

KRISE DER NORMALEN WISSENSCHAFT

WISSENSCHAFTLICHE REVOLUTION

Kuhn ndash Wissenschaftliche Revolutionen

Quelle LauthSareiter Wissenschaftliche Erkenntnis Paderborn 2002 S 123

Probleme von Kuhns Modell

Bei der Beurteilung von Kuhns Theorien ist zu unterscheiden zwischen wissenschaftshistorischen Fakten und wissenschaftstheoretischenSchlussfolgerungen

Das Hauptproblem

bull Der Wandel des wissenschaftlichen Weltbilds ist nach Kuhn nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren Es gibt keinen Erkenntnis-fortschritt nur eine neue Sicht der Dinge

bull Die Wissenschaftstheorie (Poppers Logik der Forschung) muumlsste nach Kuhn durch wissenschaftshistorische und ndashsoziologische Betrachtungen ersetzt werden

bull Kuhns Theorie laumlszligt wichtige Fragen offen (siehe naumlchste Folie)

Offene Fragen

bdquoInsbesondere liefert Kuhn keine plausible oder befriedigende Erklaumlrung fuumlr die Verdraumlngung eines etablierten Paradigmas und den bdquoSiegldquo des neuen Paradigmas uumlber seinen Vorgaumlnger Nach Kuhns Auffassung ist der Konflikt zwischen zwei rivalisierenden Paradigmen bdquoniemals durch Logik und Experiment alleineldquo zu entscheiden Das wuumlrde jedoch bedeuten daszlig der Theorienwandel in der Wissenschaft nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren ist sondern nur durch Rekurs auf wissenschaftshistorische oder -soziologische Phaumlnomene Aber was koumlnnten dann die Ursachen dafuumlr sein daszlig ein einmal etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie vollstaumlndig verdraumlngt und ersetzt werden kann Kuhns Hinweis darauf daszlig die Vertreter des alten Paradigmas im Lauf der Zeit einfach bdquoaussterbenldquo ist sicherlich zu einfach Warum gelingt es den Anhaumlngern des alten Paradigmas nicht neue Anhaumlnger unter dem wissenschaftlichen Nachwuchs zu rekrutieren Warum sollte nicht die Entstehung von neuen Theorien im Lauf der Zeit zu einer Pluralitaumlt von konkurrierenden Paradigmen oder Theorien fuumlhren von denen jede eine gewisse Anzahl von bdquoAnhaumlngernldquo um sich scharen kann Warum sind heute praktisch alle Physiker davon uumlberzeugt daszlig Einsteins Relativitaumlts-theorie eine bessere Beschreibung und Erklaumlrung der physikalischen Phaumlnomene liefert als die Newtonsche MechanikWarum glaubt heute niemand mehr an das geozentrische Weltbild eines Aristoteles oder Kopernikus Warum hat Darwins Evolutionstheorie alle biologischen Theorien die von einer Konstanz der Arten ausgehen erfolgreich verdraumlngen koumlnnen ldquo

(B Lauth J Sareiter Wissenschaftliche Erkenntnis S 135)

Literaturtipp

bull Bernhard Lauth J Sareiter Wissenschaft-liche Erkenntnis Eine ideengeschichtliche Einfuumlhrung in die Wissenschaftstheorie Paderborn Mentis-Verlag 2002

Methodische FolgerungenKuhn versus Popper

bdquoWenn eine wissenschaftliche Theorie einmal den Status eines Paradigmas erlangt hat wird sie nur dann fuumlr unguumlltig erklaumlrt wenn ein anderer Kandidat vorhanden ist der ihren Platz einnehmen kann Kein bisher durch das Studium der wissenschaftlichen Entwicklung aufgedeckter Prozeszlig hat irgendeine Aumlhnlichkeit mit der methodologischen Schablone der Falsifikation durch unmittelbaren Vergleich mit der Naturldquo (90)

bdquoZweifellos ist die der Falsifikation zugesprochene Rolle derjenigen sehr aumlhnlich welche dieser Essay den anomalen Erfahrungen beimiszligt also jenen Erfahrungen die eine Krise hervorrufen und dadurch den Weg fuumlr eine neue Theorie bereiten Trotzdem duumlrfen anomale Erfahrungen nicht mit falsifizierenden gleichgestellt werden Ich glaube sogar daszlig es letztere uumlberhaupt nicht gibtldquo (157)

Eine Gegenposition hat Imre Lakatos vertreten In seinem Essay uumlber die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme zeigt Lakatos dass die von Kuhn diagnostizierten Phaumlnomene auch im Rahmen der falsifikationistischen Methodik erklaumlrbar sind

Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos

Imre Lakatos (1922-1974) kritisierte einmal das Poppersche Falsifizierungspostulat Wissen-schaftler neigen eher dazu ihre Theorien zu verteidigen als sie zu widerlegen

Lakatos hielt aber auch Kuhns Theorie der wissenschaftlichen Revolutionen fuumlr irreal und verstand Wissenschaft als ein Nebeneinander konkurrierender Forschungsprogramme

Ein alternatives Modell deswissenschaftlichen Fortschritts

In bdquoKritik und Erkenntnisfortschrittldquo entwickelt Imre Lakatos ein Alternativmodell des wissenschaftlichen Fortschritts Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen bdquoTheoriekernldquo und bdquoZusatzhypothesenldquo

bull Die meisten wissenschaftlichen Theorien fuumlhren erst in Verbindung mit geeigneten Zusatzhypothesen zu empirisch nachpruumlfbaren Vorhersagen

bull Widerspruumlche zwischen Theorie und Experiment fuumlhren daher nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der Theorie sondern koumlnnen auch durch Korrektur der Zusatzhyothesen aufgeloumlst werden

Ein modifiziertes Modell der empirischen Uumlberpruumlfungvon wissenschaftlichen Theorien

Wissenschaftliche Theorien (bdquoParadigmenldquo)

Zusatzhypothesen

Empirisch nachpruumlfbare Vorhersagen

Vergleich mit Beobachtung Messung

Experiment

Vorlaumlufige Bestaumltigung der Theorie

Revision der Theorie

Revision der Zusatzhypothesen

Wissenschaftliche Revolution

Signifikante Abweichungen (bdquoAnomalienldquo)Keine signifikanten Abweichungen

plus

Quelle Lauth III Teil Wissenschaftlicher Fortschritt und derWandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Erkenntnisfortschritt

Eine neue Theorie Tacute die ein etabliertes Paradigma T verdraumlngen soll muss nach Lakatos zwei Bedingungen erfuumlllen

bull Die neue Theorie muss die Erfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die alte Theorie zu korrekten Vorhersagen fuumlhrt muss Tacute dieselben Vorhersagen machen

bull Die neue Theorie muss die Misserfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die neue Theorie zu abweichenden Vorhersagen fuumlhrt bestaumltigen Beobachtungen und Messungen die abweichenden Vorhersagen

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersicht

VSteenblock Imre Lakatos in JNida-Ruumlmelin (Hrsg) Philosophie der Gegenwartin Einzeldarstellungenhellip 2AuflStuttgart Kroumlner 1999 S 400ff

Auch zu Kuhn Feyerabend usw

Werner Diederich (Hrsg) Theorien der Wissenschafts-geschichte Beitraumlge zur diachronen Wissenschafts- theorie FrankfurtMain Suhrkamp 1974

Literaturtipp

Thanx for your attentionhellip

  • Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes
  • Sir Karl Popper (1902-1994) und die Logik der Forschung
  • Thomas Kuhns Modell der Entwicklung von Wissenschaft(en)
  • Folie 4
  • Folie 5
  • Folie 6
  • Folie 7
  • Folie 8
  • Folie 9
  • Folie 10
  • Folie 11
  • Folie 12
  • Folie 13
  • Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)
  • Folie 16
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)
  • Merkmale von Paradigmen
  • Literaturtipp
  • Folie 20
  • Folie 21
  • Folie 22
  • Folie 23
  • Folie 24
  • Struktur der Wissenschaftlichen Revolution
  • Folie 26
  • Folie 27
  • Folie 28
  • Slide 29
  • Folie 30
  • Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos
  • Folie 32
  • Folie 33
  • Folie 34
  • Slide 35
  • Slide 36
  • Thanx for your attentionhellip
Page 17: Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes ? Zur historischen Genese von (Teil-)Wissenschaft.

Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)

Nach Kuhn kann man ein Paradigma kennzeichnen 1048708 durch das was beobachtet und uumlberpruumlft wird 1048708 durch die Art der Fragen welche in Bezug auf ein

Thema gestellt werden und die gepruumlft werden sollen

1048708 danach wie diese Fragen gestellt werden sollen

1048708 dadurch wie die Ergebnisse der wissenschaft-lichen Untersuchung interpretiert werden sollen

Thomas Kuhn The Structure of Scientific Revolutions Chicago 1962

Merkmale von Paradigmen

Wissenschaftliche Paradigmen sindgekennzeichnet durch 1048708ein bestimmtes Menschenbild 1048708 eine bestimmte Auffassung vomForschungsgegenstand 1048708 daraus resultierende spezifischemethodische Praumlferenzen 1048708 ein bestimmtes Begriffsvokabular und 1048708 (in manchen Faumlllen) eine Traditionsbildunguumlber Lehrer-Schuumller-Verhaumlltnisse

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersichtbull F Muumlhlhoumllzer Thomas S Kuhn in J Nida-Ruumlmelin

(Hrsg) Philosophie der Gegenwart in Einzeldar-stellungen von Adorno bis vWright 2Aufl Stuttgart Kroumlner 1999 S 383 ff

bull Wolfgang Stegmuumlller Hauptstroumlmungen der Gegen-wartsphilosophie 8 Aufl Stuttgart Kroumlner 1987 Kap III

bull Paul Hoyningen-Huene Die Wissenschafts-philosophie Thomas S Kuhns Rekonstruktion und Grundlagenprobleme Braunschweig Vieweg 1989

Normale Wissenschaftund wissenschaftliche Paradigmen

Die bdquonormale Wissenschaftldquo ist nach Kuhn durch die Bindung an ein Paradigma gekennzeichnet

bdquoDie Physik des Aristoteles der Almagest des Ptolemaumlus Newtons Principia und Opticks Franklins Electricity Lavoisiers Chimie Lyells Geology ndash diese und viele andere Werke dienten indirekt eine Zeitlang dazu fuumlr nachfolgende Generationen von Fachleuten die anerkannten Probleme und Methoden eines Forschungsgebiets zu bestimmen Sie vermochten dies da sie zwei wesentliche Eigenschaften gemeinsam hatten Ihre Leistung war neuartig genug um eine bestaumlndige Gruppe von Anhaumlngern anzuziehen die ihre Wissenschaft bisher auf andere Art betrieben hatten und gleichzeitig war sie noch offen genug um der neuen Gruppe von Fachleuten alle moumlglichen ungeloumlsten Probleme zu stellen Leistungen mit diesen beiden Merkmalen werde ich von nun an als bdquoParadigmataldquo bezeichnen ein Ausdruck der eng mit dem der bdquonormalen Wissenschaftldquo zusammenhaumlngtldquo

Anomalien und die Krise der normalen Wissenschaft

Durch gehaumluftes Auftreten von bdquoAnomalienldquo entsteht eine Krise der normalen Wissenschaft

Definition Anomalien sind bdquoPhaumlnomen[e] auf welche[] das Paradigma den Forscher nicht vorbereitet hatteldquo (70) Die Veraumlnderung des wissenschaftlichen Weltbilds beginnt mit der Einsicht bdquodaszlig die Natur in irgendeiner Weise die von einem Paradigma erzeugten die normale Wissenschaft beherrschenden Erwartungen nicht erfuumlllt hatldquo (66) Mit anderen Worten Anomalien stehen in Widerspruch zu den Vorhersagen der Theorie sind also mit Mitteln des Paradigmas nicht erklaumlrbar

Anomalien als Ausloumlser von Krisen bdquoDa das Auftauchen neuer Theorien eine umfassende Paradigmazerstoumlrung und groumlszligere Verschiebungen in den Problemen und Verfahren der normalen Wissenschaft erfordert geht ihm im allgemeinen eine Periode ausgesprochener fachwissenschaftlicher Unsicherheit voraus Wie zu erwarten wird diese Unsicherheit durch das dauernde Unvermoumlgen erzeugt fuumlr die Raumltsel der normalen Wissenschaft die erwartete Aufloumlsung zu finden Das Versagen der vorhandenen Regeln leitet die Suche nach neuen einldquo(80)

Anomalien versus Falsifikationen

bull Anomalien fuumlhren nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der zugrunde liegenden Theoriebull Anomalien koumlnnen normalerweise im Rahmen des Paradigmas erklaumlrt oder aufgeloumlst werden Anomalien sind bdquonormalldquobull Erst eine Haumlufung von bdquohartnaumlckigenldquo Anomalien fuumlhrt zur Krise der normalen Wissenschaft und damit moumlglicherweise zu einer wissenschaftlichen Revolution

Wie reagieren Wissenschaftler auf das Auftreten von Anomalien bdquoEinen ebenso offenkundigen wie wichtigen Teil der Antwort koumlnnen wir finden indem wie erst einmal festhalten was Wissenschaftler niemals tun wenn sie mit Anomalien konfrontiert werden und seien diese noch so schwerwiegend und lang andauernd Wenn sie auch beginnen moumlgen den Glauben zu verlieren und an Alternativen zu denken so verwerfen sie doch nicht das Paradigma das sie in eine Krise hineingefuumlhrt hat Das heiszligt also sie behandeln die Anomalien nicht als Gegenbeispiele obwohl Anomalien im Vokabular der Wissenschaftstheorie genau das sindldquo (90)

Wissenschaftliche Revolutionen (1)

Definition Wissenschaftliche Revolutionen sind Vorgaumlnge die zu einer mehr oder weniger radikalen Korrektur des wissenschaftlichen Weltbilds fuumlhren

Beispiele

bull die kopernikanische Revolution (Uumlbergang vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild)

bull Darwins Evolutionslehre

bull Einsteins Theorie von Raum und Zeit

bull die Entstehung der Quantenphysik (Indeterminismus und Unschaumlrferelation)

Wissenschaftliche Revolutionen (2)

bull Bei einer wissenschaftlichen Revolution wird ein etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie ersetzt

bull Verschiedene Paradigmen sind nach Kuhn bdquoinkommensurabelldquo dh es gibt keine objektiven Kriterien die eine Entscheidung fuumlr das eine oder andere Paradigma begruumlnden koumlnnten

Begruumlndung Vertreter unterschiedlicher Paradigmen sprechen verschiedene Sprachen gehen von unterschiedlichen theoretischen Annahmen und methodologischen Regeln aus

bdquoWenn Paradigmata in eine Diskussion uumlber die Wahl von Paradigmata eingehen ndash und sie muumlssen es ja - dann ist ihre Rolle notwendigerweise zirkulaumlr Jede Gruppe verwendet ihr eigenes Paradigma zur Verteidigung eben dieses Paradigmasldquo (106) Die zentrale Konsequenz aus dieser Feststellung ist daszlig Konflikte zwischen konkurrierenden Theorien bdquoniemals durch Logik und Experiment allein eindeutig entschieden werdenldquo koumlnnen (107)

Struktur der Wissenschaftlichen Revolution

Vorparadigmatische PhaseNebeneinanderstehende lose definierte miteinander kon-

kurrierende Ansaumltze ohne Dominanz eines einzelnen Paradigmas

Paradigmatische PhaseDurchsetzung eines Ansatzes Ausgrenzung konkurrierender

Ansaumltze herrschendes Paradigma wird Bezugsrahmen fuumlr Forschung eines Fachs normgebend Phase kumulativer normalwissenschaftlicher Forschung

Kritische PhaseErschoumlpfung des dominierenden Paradigmas Haumlufung von Fehl-

schlaumlgen und Anomalien lassen Zweifel an Erklaumlrungskraft des Paradigma entstehen

Revolutionaumlre PhaseBreiter Aufstand gegen herrschendes Paradigma Suchen neuer

Wege Widerstand der Vertreter des alten Paradigmas Neue Paradigmatische PhaseWeder Verifikation noch Falsifikation sondern DimensionssprungWettstreit der Paradigmata wird nicht durch Beweise entschieden

sondern mittels Durchsetzungskraft

VORPARADIGMATISCHE PHASE

ENTSTEHUNG EINES NEUEN PARADIGMAS

bdquoNORMALE WISSENSCHAFTldquo

HAumlUFUNG VON ANOMALIEN

KRISE DER NORMALEN WISSENSCHAFT

WISSENSCHAFTLICHE REVOLUTION

Kuhn ndash Wissenschaftliche Revolutionen

Quelle LauthSareiter Wissenschaftliche Erkenntnis Paderborn 2002 S 123

Probleme von Kuhns Modell

Bei der Beurteilung von Kuhns Theorien ist zu unterscheiden zwischen wissenschaftshistorischen Fakten und wissenschaftstheoretischenSchlussfolgerungen

Das Hauptproblem

bull Der Wandel des wissenschaftlichen Weltbilds ist nach Kuhn nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren Es gibt keinen Erkenntnis-fortschritt nur eine neue Sicht der Dinge

bull Die Wissenschaftstheorie (Poppers Logik der Forschung) muumlsste nach Kuhn durch wissenschaftshistorische und ndashsoziologische Betrachtungen ersetzt werden

bull Kuhns Theorie laumlszligt wichtige Fragen offen (siehe naumlchste Folie)

Offene Fragen

bdquoInsbesondere liefert Kuhn keine plausible oder befriedigende Erklaumlrung fuumlr die Verdraumlngung eines etablierten Paradigmas und den bdquoSiegldquo des neuen Paradigmas uumlber seinen Vorgaumlnger Nach Kuhns Auffassung ist der Konflikt zwischen zwei rivalisierenden Paradigmen bdquoniemals durch Logik und Experiment alleineldquo zu entscheiden Das wuumlrde jedoch bedeuten daszlig der Theorienwandel in der Wissenschaft nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren ist sondern nur durch Rekurs auf wissenschaftshistorische oder -soziologische Phaumlnomene Aber was koumlnnten dann die Ursachen dafuumlr sein daszlig ein einmal etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie vollstaumlndig verdraumlngt und ersetzt werden kann Kuhns Hinweis darauf daszlig die Vertreter des alten Paradigmas im Lauf der Zeit einfach bdquoaussterbenldquo ist sicherlich zu einfach Warum gelingt es den Anhaumlngern des alten Paradigmas nicht neue Anhaumlnger unter dem wissenschaftlichen Nachwuchs zu rekrutieren Warum sollte nicht die Entstehung von neuen Theorien im Lauf der Zeit zu einer Pluralitaumlt von konkurrierenden Paradigmen oder Theorien fuumlhren von denen jede eine gewisse Anzahl von bdquoAnhaumlngernldquo um sich scharen kann Warum sind heute praktisch alle Physiker davon uumlberzeugt daszlig Einsteins Relativitaumlts-theorie eine bessere Beschreibung und Erklaumlrung der physikalischen Phaumlnomene liefert als die Newtonsche MechanikWarum glaubt heute niemand mehr an das geozentrische Weltbild eines Aristoteles oder Kopernikus Warum hat Darwins Evolutionstheorie alle biologischen Theorien die von einer Konstanz der Arten ausgehen erfolgreich verdraumlngen koumlnnen ldquo

(B Lauth J Sareiter Wissenschaftliche Erkenntnis S 135)

Literaturtipp

bull Bernhard Lauth J Sareiter Wissenschaft-liche Erkenntnis Eine ideengeschichtliche Einfuumlhrung in die Wissenschaftstheorie Paderborn Mentis-Verlag 2002

Methodische FolgerungenKuhn versus Popper

bdquoWenn eine wissenschaftliche Theorie einmal den Status eines Paradigmas erlangt hat wird sie nur dann fuumlr unguumlltig erklaumlrt wenn ein anderer Kandidat vorhanden ist der ihren Platz einnehmen kann Kein bisher durch das Studium der wissenschaftlichen Entwicklung aufgedeckter Prozeszlig hat irgendeine Aumlhnlichkeit mit der methodologischen Schablone der Falsifikation durch unmittelbaren Vergleich mit der Naturldquo (90)

bdquoZweifellos ist die der Falsifikation zugesprochene Rolle derjenigen sehr aumlhnlich welche dieser Essay den anomalen Erfahrungen beimiszligt also jenen Erfahrungen die eine Krise hervorrufen und dadurch den Weg fuumlr eine neue Theorie bereiten Trotzdem duumlrfen anomale Erfahrungen nicht mit falsifizierenden gleichgestellt werden Ich glaube sogar daszlig es letztere uumlberhaupt nicht gibtldquo (157)

Eine Gegenposition hat Imre Lakatos vertreten In seinem Essay uumlber die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme zeigt Lakatos dass die von Kuhn diagnostizierten Phaumlnomene auch im Rahmen der falsifikationistischen Methodik erklaumlrbar sind

Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos

Imre Lakatos (1922-1974) kritisierte einmal das Poppersche Falsifizierungspostulat Wissen-schaftler neigen eher dazu ihre Theorien zu verteidigen als sie zu widerlegen

Lakatos hielt aber auch Kuhns Theorie der wissenschaftlichen Revolutionen fuumlr irreal und verstand Wissenschaft als ein Nebeneinander konkurrierender Forschungsprogramme

Ein alternatives Modell deswissenschaftlichen Fortschritts

In bdquoKritik und Erkenntnisfortschrittldquo entwickelt Imre Lakatos ein Alternativmodell des wissenschaftlichen Fortschritts Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen bdquoTheoriekernldquo und bdquoZusatzhypothesenldquo

bull Die meisten wissenschaftlichen Theorien fuumlhren erst in Verbindung mit geeigneten Zusatzhypothesen zu empirisch nachpruumlfbaren Vorhersagen

bull Widerspruumlche zwischen Theorie und Experiment fuumlhren daher nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der Theorie sondern koumlnnen auch durch Korrektur der Zusatzhyothesen aufgeloumlst werden

Ein modifiziertes Modell der empirischen Uumlberpruumlfungvon wissenschaftlichen Theorien

Wissenschaftliche Theorien (bdquoParadigmenldquo)

Zusatzhypothesen

Empirisch nachpruumlfbare Vorhersagen

Vergleich mit Beobachtung Messung

Experiment

Vorlaumlufige Bestaumltigung der Theorie

Revision der Theorie

Revision der Zusatzhypothesen

Wissenschaftliche Revolution

Signifikante Abweichungen (bdquoAnomalienldquo)Keine signifikanten Abweichungen

plus

Quelle Lauth III Teil Wissenschaftlicher Fortschritt und derWandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Erkenntnisfortschritt

Eine neue Theorie Tacute die ein etabliertes Paradigma T verdraumlngen soll muss nach Lakatos zwei Bedingungen erfuumlllen

bull Die neue Theorie muss die Erfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die alte Theorie zu korrekten Vorhersagen fuumlhrt muss Tacute dieselben Vorhersagen machen

bull Die neue Theorie muss die Misserfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die neue Theorie zu abweichenden Vorhersagen fuumlhrt bestaumltigen Beobachtungen und Messungen die abweichenden Vorhersagen

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersicht

VSteenblock Imre Lakatos in JNida-Ruumlmelin (Hrsg) Philosophie der Gegenwartin Einzeldarstellungenhellip 2AuflStuttgart Kroumlner 1999 S 400ff

Auch zu Kuhn Feyerabend usw

Werner Diederich (Hrsg) Theorien der Wissenschafts-geschichte Beitraumlge zur diachronen Wissenschafts- theorie FrankfurtMain Suhrkamp 1974

Literaturtipp

Thanx for your attentionhellip

  • Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes
  • Sir Karl Popper (1902-1994) und die Logik der Forschung
  • Thomas Kuhns Modell der Entwicklung von Wissenschaft(en)
  • Folie 4
  • Folie 5
  • Folie 6
  • Folie 7
  • Folie 8
  • Folie 9
  • Folie 10
  • Folie 11
  • Folie 12
  • Folie 13
  • Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)
  • Folie 16
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)
  • Merkmale von Paradigmen
  • Literaturtipp
  • Folie 20
  • Folie 21
  • Folie 22
  • Folie 23
  • Folie 24
  • Struktur der Wissenschaftlichen Revolution
  • Folie 26
  • Folie 27
  • Folie 28
  • Slide 29
  • Folie 30
  • Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos
  • Folie 32
  • Folie 33
  • Folie 34
  • Slide 35
  • Slide 36
  • Thanx for your attentionhellip
Page 18: Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes ? Zur historischen Genese von (Teil-)Wissenschaft.

Merkmale von Paradigmen

Wissenschaftliche Paradigmen sindgekennzeichnet durch 1048708ein bestimmtes Menschenbild 1048708 eine bestimmte Auffassung vomForschungsgegenstand 1048708 daraus resultierende spezifischemethodische Praumlferenzen 1048708 ein bestimmtes Begriffsvokabular und 1048708 (in manchen Faumlllen) eine Traditionsbildunguumlber Lehrer-Schuumller-Verhaumlltnisse

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersichtbull F Muumlhlhoumllzer Thomas S Kuhn in J Nida-Ruumlmelin

(Hrsg) Philosophie der Gegenwart in Einzeldar-stellungen von Adorno bis vWright 2Aufl Stuttgart Kroumlner 1999 S 383 ff

bull Wolfgang Stegmuumlller Hauptstroumlmungen der Gegen-wartsphilosophie 8 Aufl Stuttgart Kroumlner 1987 Kap III

bull Paul Hoyningen-Huene Die Wissenschafts-philosophie Thomas S Kuhns Rekonstruktion und Grundlagenprobleme Braunschweig Vieweg 1989

Normale Wissenschaftund wissenschaftliche Paradigmen

Die bdquonormale Wissenschaftldquo ist nach Kuhn durch die Bindung an ein Paradigma gekennzeichnet

bdquoDie Physik des Aristoteles der Almagest des Ptolemaumlus Newtons Principia und Opticks Franklins Electricity Lavoisiers Chimie Lyells Geology ndash diese und viele andere Werke dienten indirekt eine Zeitlang dazu fuumlr nachfolgende Generationen von Fachleuten die anerkannten Probleme und Methoden eines Forschungsgebiets zu bestimmen Sie vermochten dies da sie zwei wesentliche Eigenschaften gemeinsam hatten Ihre Leistung war neuartig genug um eine bestaumlndige Gruppe von Anhaumlngern anzuziehen die ihre Wissenschaft bisher auf andere Art betrieben hatten und gleichzeitig war sie noch offen genug um der neuen Gruppe von Fachleuten alle moumlglichen ungeloumlsten Probleme zu stellen Leistungen mit diesen beiden Merkmalen werde ich von nun an als bdquoParadigmataldquo bezeichnen ein Ausdruck der eng mit dem der bdquonormalen Wissenschaftldquo zusammenhaumlngtldquo

Anomalien und die Krise der normalen Wissenschaft

Durch gehaumluftes Auftreten von bdquoAnomalienldquo entsteht eine Krise der normalen Wissenschaft

Definition Anomalien sind bdquoPhaumlnomen[e] auf welche[] das Paradigma den Forscher nicht vorbereitet hatteldquo (70) Die Veraumlnderung des wissenschaftlichen Weltbilds beginnt mit der Einsicht bdquodaszlig die Natur in irgendeiner Weise die von einem Paradigma erzeugten die normale Wissenschaft beherrschenden Erwartungen nicht erfuumlllt hatldquo (66) Mit anderen Worten Anomalien stehen in Widerspruch zu den Vorhersagen der Theorie sind also mit Mitteln des Paradigmas nicht erklaumlrbar

Anomalien als Ausloumlser von Krisen bdquoDa das Auftauchen neuer Theorien eine umfassende Paradigmazerstoumlrung und groumlszligere Verschiebungen in den Problemen und Verfahren der normalen Wissenschaft erfordert geht ihm im allgemeinen eine Periode ausgesprochener fachwissenschaftlicher Unsicherheit voraus Wie zu erwarten wird diese Unsicherheit durch das dauernde Unvermoumlgen erzeugt fuumlr die Raumltsel der normalen Wissenschaft die erwartete Aufloumlsung zu finden Das Versagen der vorhandenen Regeln leitet die Suche nach neuen einldquo(80)

Anomalien versus Falsifikationen

bull Anomalien fuumlhren nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der zugrunde liegenden Theoriebull Anomalien koumlnnen normalerweise im Rahmen des Paradigmas erklaumlrt oder aufgeloumlst werden Anomalien sind bdquonormalldquobull Erst eine Haumlufung von bdquohartnaumlckigenldquo Anomalien fuumlhrt zur Krise der normalen Wissenschaft und damit moumlglicherweise zu einer wissenschaftlichen Revolution

Wie reagieren Wissenschaftler auf das Auftreten von Anomalien bdquoEinen ebenso offenkundigen wie wichtigen Teil der Antwort koumlnnen wir finden indem wie erst einmal festhalten was Wissenschaftler niemals tun wenn sie mit Anomalien konfrontiert werden und seien diese noch so schwerwiegend und lang andauernd Wenn sie auch beginnen moumlgen den Glauben zu verlieren und an Alternativen zu denken so verwerfen sie doch nicht das Paradigma das sie in eine Krise hineingefuumlhrt hat Das heiszligt also sie behandeln die Anomalien nicht als Gegenbeispiele obwohl Anomalien im Vokabular der Wissenschaftstheorie genau das sindldquo (90)

Wissenschaftliche Revolutionen (1)

Definition Wissenschaftliche Revolutionen sind Vorgaumlnge die zu einer mehr oder weniger radikalen Korrektur des wissenschaftlichen Weltbilds fuumlhren

Beispiele

bull die kopernikanische Revolution (Uumlbergang vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild)

bull Darwins Evolutionslehre

bull Einsteins Theorie von Raum und Zeit

bull die Entstehung der Quantenphysik (Indeterminismus und Unschaumlrferelation)

Wissenschaftliche Revolutionen (2)

bull Bei einer wissenschaftlichen Revolution wird ein etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie ersetzt

bull Verschiedene Paradigmen sind nach Kuhn bdquoinkommensurabelldquo dh es gibt keine objektiven Kriterien die eine Entscheidung fuumlr das eine oder andere Paradigma begruumlnden koumlnnten

Begruumlndung Vertreter unterschiedlicher Paradigmen sprechen verschiedene Sprachen gehen von unterschiedlichen theoretischen Annahmen und methodologischen Regeln aus

bdquoWenn Paradigmata in eine Diskussion uumlber die Wahl von Paradigmata eingehen ndash und sie muumlssen es ja - dann ist ihre Rolle notwendigerweise zirkulaumlr Jede Gruppe verwendet ihr eigenes Paradigma zur Verteidigung eben dieses Paradigmasldquo (106) Die zentrale Konsequenz aus dieser Feststellung ist daszlig Konflikte zwischen konkurrierenden Theorien bdquoniemals durch Logik und Experiment allein eindeutig entschieden werdenldquo koumlnnen (107)

Struktur der Wissenschaftlichen Revolution

Vorparadigmatische PhaseNebeneinanderstehende lose definierte miteinander kon-

kurrierende Ansaumltze ohne Dominanz eines einzelnen Paradigmas

Paradigmatische PhaseDurchsetzung eines Ansatzes Ausgrenzung konkurrierender

Ansaumltze herrschendes Paradigma wird Bezugsrahmen fuumlr Forschung eines Fachs normgebend Phase kumulativer normalwissenschaftlicher Forschung

Kritische PhaseErschoumlpfung des dominierenden Paradigmas Haumlufung von Fehl-

schlaumlgen und Anomalien lassen Zweifel an Erklaumlrungskraft des Paradigma entstehen

Revolutionaumlre PhaseBreiter Aufstand gegen herrschendes Paradigma Suchen neuer

Wege Widerstand der Vertreter des alten Paradigmas Neue Paradigmatische PhaseWeder Verifikation noch Falsifikation sondern DimensionssprungWettstreit der Paradigmata wird nicht durch Beweise entschieden

sondern mittels Durchsetzungskraft

VORPARADIGMATISCHE PHASE

ENTSTEHUNG EINES NEUEN PARADIGMAS

bdquoNORMALE WISSENSCHAFTldquo

HAumlUFUNG VON ANOMALIEN

KRISE DER NORMALEN WISSENSCHAFT

WISSENSCHAFTLICHE REVOLUTION

Kuhn ndash Wissenschaftliche Revolutionen

Quelle LauthSareiter Wissenschaftliche Erkenntnis Paderborn 2002 S 123

Probleme von Kuhns Modell

Bei der Beurteilung von Kuhns Theorien ist zu unterscheiden zwischen wissenschaftshistorischen Fakten und wissenschaftstheoretischenSchlussfolgerungen

Das Hauptproblem

bull Der Wandel des wissenschaftlichen Weltbilds ist nach Kuhn nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren Es gibt keinen Erkenntnis-fortschritt nur eine neue Sicht der Dinge

bull Die Wissenschaftstheorie (Poppers Logik der Forschung) muumlsste nach Kuhn durch wissenschaftshistorische und ndashsoziologische Betrachtungen ersetzt werden

bull Kuhns Theorie laumlszligt wichtige Fragen offen (siehe naumlchste Folie)

Offene Fragen

bdquoInsbesondere liefert Kuhn keine plausible oder befriedigende Erklaumlrung fuumlr die Verdraumlngung eines etablierten Paradigmas und den bdquoSiegldquo des neuen Paradigmas uumlber seinen Vorgaumlnger Nach Kuhns Auffassung ist der Konflikt zwischen zwei rivalisierenden Paradigmen bdquoniemals durch Logik und Experiment alleineldquo zu entscheiden Das wuumlrde jedoch bedeuten daszlig der Theorienwandel in der Wissenschaft nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren ist sondern nur durch Rekurs auf wissenschaftshistorische oder -soziologische Phaumlnomene Aber was koumlnnten dann die Ursachen dafuumlr sein daszlig ein einmal etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie vollstaumlndig verdraumlngt und ersetzt werden kann Kuhns Hinweis darauf daszlig die Vertreter des alten Paradigmas im Lauf der Zeit einfach bdquoaussterbenldquo ist sicherlich zu einfach Warum gelingt es den Anhaumlngern des alten Paradigmas nicht neue Anhaumlnger unter dem wissenschaftlichen Nachwuchs zu rekrutieren Warum sollte nicht die Entstehung von neuen Theorien im Lauf der Zeit zu einer Pluralitaumlt von konkurrierenden Paradigmen oder Theorien fuumlhren von denen jede eine gewisse Anzahl von bdquoAnhaumlngernldquo um sich scharen kann Warum sind heute praktisch alle Physiker davon uumlberzeugt daszlig Einsteins Relativitaumlts-theorie eine bessere Beschreibung und Erklaumlrung der physikalischen Phaumlnomene liefert als die Newtonsche MechanikWarum glaubt heute niemand mehr an das geozentrische Weltbild eines Aristoteles oder Kopernikus Warum hat Darwins Evolutionstheorie alle biologischen Theorien die von einer Konstanz der Arten ausgehen erfolgreich verdraumlngen koumlnnen ldquo

(B Lauth J Sareiter Wissenschaftliche Erkenntnis S 135)

Literaturtipp

bull Bernhard Lauth J Sareiter Wissenschaft-liche Erkenntnis Eine ideengeschichtliche Einfuumlhrung in die Wissenschaftstheorie Paderborn Mentis-Verlag 2002

Methodische FolgerungenKuhn versus Popper

bdquoWenn eine wissenschaftliche Theorie einmal den Status eines Paradigmas erlangt hat wird sie nur dann fuumlr unguumlltig erklaumlrt wenn ein anderer Kandidat vorhanden ist der ihren Platz einnehmen kann Kein bisher durch das Studium der wissenschaftlichen Entwicklung aufgedeckter Prozeszlig hat irgendeine Aumlhnlichkeit mit der methodologischen Schablone der Falsifikation durch unmittelbaren Vergleich mit der Naturldquo (90)

bdquoZweifellos ist die der Falsifikation zugesprochene Rolle derjenigen sehr aumlhnlich welche dieser Essay den anomalen Erfahrungen beimiszligt also jenen Erfahrungen die eine Krise hervorrufen und dadurch den Weg fuumlr eine neue Theorie bereiten Trotzdem duumlrfen anomale Erfahrungen nicht mit falsifizierenden gleichgestellt werden Ich glaube sogar daszlig es letztere uumlberhaupt nicht gibtldquo (157)

Eine Gegenposition hat Imre Lakatos vertreten In seinem Essay uumlber die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme zeigt Lakatos dass die von Kuhn diagnostizierten Phaumlnomene auch im Rahmen der falsifikationistischen Methodik erklaumlrbar sind

Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos

Imre Lakatos (1922-1974) kritisierte einmal das Poppersche Falsifizierungspostulat Wissen-schaftler neigen eher dazu ihre Theorien zu verteidigen als sie zu widerlegen

Lakatos hielt aber auch Kuhns Theorie der wissenschaftlichen Revolutionen fuumlr irreal und verstand Wissenschaft als ein Nebeneinander konkurrierender Forschungsprogramme

Ein alternatives Modell deswissenschaftlichen Fortschritts

In bdquoKritik und Erkenntnisfortschrittldquo entwickelt Imre Lakatos ein Alternativmodell des wissenschaftlichen Fortschritts Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen bdquoTheoriekernldquo und bdquoZusatzhypothesenldquo

bull Die meisten wissenschaftlichen Theorien fuumlhren erst in Verbindung mit geeigneten Zusatzhypothesen zu empirisch nachpruumlfbaren Vorhersagen

bull Widerspruumlche zwischen Theorie und Experiment fuumlhren daher nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der Theorie sondern koumlnnen auch durch Korrektur der Zusatzhyothesen aufgeloumlst werden

Ein modifiziertes Modell der empirischen Uumlberpruumlfungvon wissenschaftlichen Theorien

Wissenschaftliche Theorien (bdquoParadigmenldquo)

Zusatzhypothesen

Empirisch nachpruumlfbare Vorhersagen

Vergleich mit Beobachtung Messung

Experiment

Vorlaumlufige Bestaumltigung der Theorie

Revision der Theorie

Revision der Zusatzhypothesen

Wissenschaftliche Revolution

Signifikante Abweichungen (bdquoAnomalienldquo)Keine signifikanten Abweichungen

plus

Quelle Lauth III Teil Wissenschaftlicher Fortschritt und derWandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Erkenntnisfortschritt

Eine neue Theorie Tacute die ein etabliertes Paradigma T verdraumlngen soll muss nach Lakatos zwei Bedingungen erfuumlllen

bull Die neue Theorie muss die Erfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die alte Theorie zu korrekten Vorhersagen fuumlhrt muss Tacute dieselben Vorhersagen machen

bull Die neue Theorie muss die Misserfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die neue Theorie zu abweichenden Vorhersagen fuumlhrt bestaumltigen Beobachtungen und Messungen die abweichenden Vorhersagen

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersicht

VSteenblock Imre Lakatos in JNida-Ruumlmelin (Hrsg) Philosophie der Gegenwartin Einzeldarstellungenhellip 2AuflStuttgart Kroumlner 1999 S 400ff

Auch zu Kuhn Feyerabend usw

Werner Diederich (Hrsg) Theorien der Wissenschafts-geschichte Beitraumlge zur diachronen Wissenschafts- theorie FrankfurtMain Suhrkamp 1974

Literaturtipp

Thanx for your attentionhellip

  • Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes
  • Sir Karl Popper (1902-1994) und die Logik der Forschung
  • Thomas Kuhns Modell der Entwicklung von Wissenschaft(en)
  • Folie 4
  • Folie 5
  • Folie 6
  • Folie 7
  • Folie 8
  • Folie 9
  • Folie 10
  • Folie 11
  • Folie 12
  • Folie 13
  • Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)
  • Folie 16
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)
  • Merkmale von Paradigmen
  • Literaturtipp
  • Folie 20
  • Folie 21
  • Folie 22
  • Folie 23
  • Folie 24
  • Struktur der Wissenschaftlichen Revolution
  • Folie 26
  • Folie 27
  • Folie 28
  • Slide 29
  • Folie 30
  • Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos
  • Folie 32
  • Folie 33
  • Folie 34
  • Slide 35
  • Slide 36
  • Thanx for your attentionhellip
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Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersichtbull F Muumlhlhoumllzer Thomas S Kuhn in J Nida-Ruumlmelin

(Hrsg) Philosophie der Gegenwart in Einzeldar-stellungen von Adorno bis vWright 2Aufl Stuttgart Kroumlner 1999 S 383 ff

bull Wolfgang Stegmuumlller Hauptstroumlmungen der Gegen-wartsphilosophie 8 Aufl Stuttgart Kroumlner 1987 Kap III

bull Paul Hoyningen-Huene Die Wissenschafts-philosophie Thomas S Kuhns Rekonstruktion und Grundlagenprobleme Braunschweig Vieweg 1989

Normale Wissenschaftund wissenschaftliche Paradigmen

Die bdquonormale Wissenschaftldquo ist nach Kuhn durch die Bindung an ein Paradigma gekennzeichnet

bdquoDie Physik des Aristoteles der Almagest des Ptolemaumlus Newtons Principia und Opticks Franklins Electricity Lavoisiers Chimie Lyells Geology ndash diese und viele andere Werke dienten indirekt eine Zeitlang dazu fuumlr nachfolgende Generationen von Fachleuten die anerkannten Probleme und Methoden eines Forschungsgebiets zu bestimmen Sie vermochten dies da sie zwei wesentliche Eigenschaften gemeinsam hatten Ihre Leistung war neuartig genug um eine bestaumlndige Gruppe von Anhaumlngern anzuziehen die ihre Wissenschaft bisher auf andere Art betrieben hatten und gleichzeitig war sie noch offen genug um der neuen Gruppe von Fachleuten alle moumlglichen ungeloumlsten Probleme zu stellen Leistungen mit diesen beiden Merkmalen werde ich von nun an als bdquoParadigmataldquo bezeichnen ein Ausdruck der eng mit dem der bdquonormalen Wissenschaftldquo zusammenhaumlngtldquo

Anomalien und die Krise der normalen Wissenschaft

Durch gehaumluftes Auftreten von bdquoAnomalienldquo entsteht eine Krise der normalen Wissenschaft

Definition Anomalien sind bdquoPhaumlnomen[e] auf welche[] das Paradigma den Forscher nicht vorbereitet hatteldquo (70) Die Veraumlnderung des wissenschaftlichen Weltbilds beginnt mit der Einsicht bdquodaszlig die Natur in irgendeiner Weise die von einem Paradigma erzeugten die normale Wissenschaft beherrschenden Erwartungen nicht erfuumlllt hatldquo (66) Mit anderen Worten Anomalien stehen in Widerspruch zu den Vorhersagen der Theorie sind also mit Mitteln des Paradigmas nicht erklaumlrbar

Anomalien als Ausloumlser von Krisen bdquoDa das Auftauchen neuer Theorien eine umfassende Paradigmazerstoumlrung und groumlszligere Verschiebungen in den Problemen und Verfahren der normalen Wissenschaft erfordert geht ihm im allgemeinen eine Periode ausgesprochener fachwissenschaftlicher Unsicherheit voraus Wie zu erwarten wird diese Unsicherheit durch das dauernde Unvermoumlgen erzeugt fuumlr die Raumltsel der normalen Wissenschaft die erwartete Aufloumlsung zu finden Das Versagen der vorhandenen Regeln leitet die Suche nach neuen einldquo(80)

Anomalien versus Falsifikationen

bull Anomalien fuumlhren nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der zugrunde liegenden Theoriebull Anomalien koumlnnen normalerweise im Rahmen des Paradigmas erklaumlrt oder aufgeloumlst werden Anomalien sind bdquonormalldquobull Erst eine Haumlufung von bdquohartnaumlckigenldquo Anomalien fuumlhrt zur Krise der normalen Wissenschaft und damit moumlglicherweise zu einer wissenschaftlichen Revolution

Wie reagieren Wissenschaftler auf das Auftreten von Anomalien bdquoEinen ebenso offenkundigen wie wichtigen Teil der Antwort koumlnnen wir finden indem wie erst einmal festhalten was Wissenschaftler niemals tun wenn sie mit Anomalien konfrontiert werden und seien diese noch so schwerwiegend und lang andauernd Wenn sie auch beginnen moumlgen den Glauben zu verlieren und an Alternativen zu denken so verwerfen sie doch nicht das Paradigma das sie in eine Krise hineingefuumlhrt hat Das heiszligt also sie behandeln die Anomalien nicht als Gegenbeispiele obwohl Anomalien im Vokabular der Wissenschaftstheorie genau das sindldquo (90)

Wissenschaftliche Revolutionen (1)

Definition Wissenschaftliche Revolutionen sind Vorgaumlnge die zu einer mehr oder weniger radikalen Korrektur des wissenschaftlichen Weltbilds fuumlhren

Beispiele

bull die kopernikanische Revolution (Uumlbergang vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild)

bull Darwins Evolutionslehre

bull Einsteins Theorie von Raum und Zeit

bull die Entstehung der Quantenphysik (Indeterminismus und Unschaumlrferelation)

Wissenschaftliche Revolutionen (2)

bull Bei einer wissenschaftlichen Revolution wird ein etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie ersetzt

bull Verschiedene Paradigmen sind nach Kuhn bdquoinkommensurabelldquo dh es gibt keine objektiven Kriterien die eine Entscheidung fuumlr das eine oder andere Paradigma begruumlnden koumlnnten

Begruumlndung Vertreter unterschiedlicher Paradigmen sprechen verschiedene Sprachen gehen von unterschiedlichen theoretischen Annahmen und methodologischen Regeln aus

bdquoWenn Paradigmata in eine Diskussion uumlber die Wahl von Paradigmata eingehen ndash und sie muumlssen es ja - dann ist ihre Rolle notwendigerweise zirkulaumlr Jede Gruppe verwendet ihr eigenes Paradigma zur Verteidigung eben dieses Paradigmasldquo (106) Die zentrale Konsequenz aus dieser Feststellung ist daszlig Konflikte zwischen konkurrierenden Theorien bdquoniemals durch Logik und Experiment allein eindeutig entschieden werdenldquo koumlnnen (107)

Struktur der Wissenschaftlichen Revolution

Vorparadigmatische PhaseNebeneinanderstehende lose definierte miteinander kon-

kurrierende Ansaumltze ohne Dominanz eines einzelnen Paradigmas

Paradigmatische PhaseDurchsetzung eines Ansatzes Ausgrenzung konkurrierender

Ansaumltze herrschendes Paradigma wird Bezugsrahmen fuumlr Forschung eines Fachs normgebend Phase kumulativer normalwissenschaftlicher Forschung

Kritische PhaseErschoumlpfung des dominierenden Paradigmas Haumlufung von Fehl-

schlaumlgen und Anomalien lassen Zweifel an Erklaumlrungskraft des Paradigma entstehen

Revolutionaumlre PhaseBreiter Aufstand gegen herrschendes Paradigma Suchen neuer

Wege Widerstand der Vertreter des alten Paradigmas Neue Paradigmatische PhaseWeder Verifikation noch Falsifikation sondern DimensionssprungWettstreit der Paradigmata wird nicht durch Beweise entschieden

sondern mittels Durchsetzungskraft

VORPARADIGMATISCHE PHASE

ENTSTEHUNG EINES NEUEN PARADIGMAS

bdquoNORMALE WISSENSCHAFTldquo

HAumlUFUNG VON ANOMALIEN

KRISE DER NORMALEN WISSENSCHAFT

WISSENSCHAFTLICHE REVOLUTION

Kuhn ndash Wissenschaftliche Revolutionen

Quelle LauthSareiter Wissenschaftliche Erkenntnis Paderborn 2002 S 123

Probleme von Kuhns Modell

Bei der Beurteilung von Kuhns Theorien ist zu unterscheiden zwischen wissenschaftshistorischen Fakten und wissenschaftstheoretischenSchlussfolgerungen

Das Hauptproblem

bull Der Wandel des wissenschaftlichen Weltbilds ist nach Kuhn nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren Es gibt keinen Erkenntnis-fortschritt nur eine neue Sicht der Dinge

bull Die Wissenschaftstheorie (Poppers Logik der Forschung) muumlsste nach Kuhn durch wissenschaftshistorische und ndashsoziologische Betrachtungen ersetzt werden

bull Kuhns Theorie laumlszligt wichtige Fragen offen (siehe naumlchste Folie)

Offene Fragen

bdquoInsbesondere liefert Kuhn keine plausible oder befriedigende Erklaumlrung fuumlr die Verdraumlngung eines etablierten Paradigmas und den bdquoSiegldquo des neuen Paradigmas uumlber seinen Vorgaumlnger Nach Kuhns Auffassung ist der Konflikt zwischen zwei rivalisierenden Paradigmen bdquoniemals durch Logik und Experiment alleineldquo zu entscheiden Das wuumlrde jedoch bedeuten daszlig der Theorienwandel in der Wissenschaft nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren ist sondern nur durch Rekurs auf wissenschaftshistorische oder -soziologische Phaumlnomene Aber was koumlnnten dann die Ursachen dafuumlr sein daszlig ein einmal etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie vollstaumlndig verdraumlngt und ersetzt werden kann Kuhns Hinweis darauf daszlig die Vertreter des alten Paradigmas im Lauf der Zeit einfach bdquoaussterbenldquo ist sicherlich zu einfach Warum gelingt es den Anhaumlngern des alten Paradigmas nicht neue Anhaumlnger unter dem wissenschaftlichen Nachwuchs zu rekrutieren Warum sollte nicht die Entstehung von neuen Theorien im Lauf der Zeit zu einer Pluralitaumlt von konkurrierenden Paradigmen oder Theorien fuumlhren von denen jede eine gewisse Anzahl von bdquoAnhaumlngernldquo um sich scharen kann Warum sind heute praktisch alle Physiker davon uumlberzeugt daszlig Einsteins Relativitaumlts-theorie eine bessere Beschreibung und Erklaumlrung der physikalischen Phaumlnomene liefert als die Newtonsche MechanikWarum glaubt heute niemand mehr an das geozentrische Weltbild eines Aristoteles oder Kopernikus Warum hat Darwins Evolutionstheorie alle biologischen Theorien die von einer Konstanz der Arten ausgehen erfolgreich verdraumlngen koumlnnen ldquo

(B Lauth J Sareiter Wissenschaftliche Erkenntnis S 135)

Literaturtipp

bull Bernhard Lauth J Sareiter Wissenschaft-liche Erkenntnis Eine ideengeschichtliche Einfuumlhrung in die Wissenschaftstheorie Paderborn Mentis-Verlag 2002

Methodische FolgerungenKuhn versus Popper

bdquoWenn eine wissenschaftliche Theorie einmal den Status eines Paradigmas erlangt hat wird sie nur dann fuumlr unguumlltig erklaumlrt wenn ein anderer Kandidat vorhanden ist der ihren Platz einnehmen kann Kein bisher durch das Studium der wissenschaftlichen Entwicklung aufgedeckter Prozeszlig hat irgendeine Aumlhnlichkeit mit der methodologischen Schablone der Falsifikation durch unmittelbaren Vergleich mit der Naturldquo (90)

bdquoZweifellos ist die der Falsifikation zugesprochene Rolle derjenigen sehr aumlhnlich welche dieser Essay den anomalen Erfahrungen beimiszligt also jenen Erfahrungen die eine Krise hervorrufen und dadurch den Weg fuumlr eine neue Theorie bereiten Trotzdem duumlrfen anomale Erfahrungen nicht mit falsifizierenden gleichgestellt werden Ich glaube sogar daszlig es letztere uumlberhaupt nicht gibtldquo (157)

Eine Gegenposition hat Imre Lakatos vertreten In seinem Essay uumlber die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme zeigt Lakatos dass die von Kuhn diagnostizierten Phaumlnomene auch im Rahmen der falsifikationistischen Methodik erklaumlrbar sind

Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos

Imre Lakatos (1922-1974) kritisierte einmal das Poppersche Falsifizierungspostulat Wissen-schaftler neigen eher dazu ihre Theorien zu verteidigen als sie zu widerlegen

Lakatos hielt aber auch Kuhns Theorie der wissenschaftlichen Revolutionen fuumlr irreal und verstand Wissenschaft als ein Nebeneinander konkurrierender Forschungsprogramme

Ein alternatives Modell deswissenschaftlichen Fortschritts

In bdquoKritik und Erkenntnisfortschrittldquo entwickelt Imre Lakatos ein Alternativmodell des wissenschaftlichen Fortschritts Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen bdquoTheoriekernldquo und bdquoZusatzhypothesenldquo

bull Die meisten wissenschaftlichen Theorien fuumlhren erst in Verbindung mit geeigneten Zusatzhypothesen zu empirisch nachpruumlfbaren Vorhersagen

bull Widerspruumlche zwischen Theorie und Experiment fuumlhren daher nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der Theorie sondern koumlnnen auch durch Korrektur der Zusatzhyothesen aufgeloumlst werden

Ein modifiziertes Modell der empirischen Uumlberpruumlfungvon wissenschaftlichen Theorien

Wissenschaftliche Theorien (bdquoParadigmenldquo)

Zusatzhypothesen

Empirisch nachpruumlfbare Vorhersagen

Vergleich mit Beobachtung Messung

Experiment

Vorlaumlufige Bestaumltigung der Theorie

Revision der Theorie

Revision der Zusatzhypothesen

Wissenschaftliche Revolution

Signifikante Abweichungen (bdquoAnomalienldquo)Keine signifikanten Abweichungen

plus

Quelle Lauth III Teil Wissenschaftlicher Fortschritt und derWandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Erkenntnisfortschritt

Eine neue Theorie Tacute die ein etabliertes Paradigma T verdraumlngen soll muss nach Lakatos zwei Bedingungen erfuumlllen

bull Die neue Theorie muss die Erfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die alte Theorie zu korrekten Vorhersagen fuumlhrt muss Tacute dieselben Vorhersagen machen

bull Die neue Theorie muss die Misserfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die neue Theorie zu abweichenden Vorhersagen fuumlhrt bestaumltigen Beobachtungen und Messungen die abweichenden Vorhersagen

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersicht

VSteenblock Imre Lakatos in JNida-Ruumlmelin (Hrsg) Philosophie der Gegenwartin Einzeldarstellungenhellip 2AuflStuttgart Kroumlner 1999 S 400ff

Auch zu Kuhn Feyerabend usw

Werner Diederich (Hrsg) Theorien der Wissenschafts-geschichte Beitraumlge zur diachronen Wissenschafts- theorie FrankfurtMain Suhrkamp 1974

Literaturtipp

Thanx for your attentionhellip

  • Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes
  • Sir Karl Popper (1902-1994) und die Logik der Forschung
  • Thomas Kuhns Modell der Entwicklung von Wissenschaft(en)
  • Folie 4
  • Folie 5
  • Folie 6
  • Folie 7
  • Folie 8
  • Folie 9
  • Folie 10
  • Folie 11
  • Folie 12
  • Folie 13
  • Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)
  • Folie 16
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)
  • Merkmale von Paradigmen
  • Literaturtipp
  • Folie 20
  • Folie 21
  • Folie 22
  • Folie 23
  • Folie 24
  • Struktur der Wissenschaftlichen Revolution
  • Folie 26
  • Folie 27
  • Folie 28
  • Slide 29
  • Folie 30
  • Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos
  • Folie 32
  • Folie 33
  • Folie 34
  • Slide 35
  • Slide 36
  • Thanx for your attentionhellip
Page 20: Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes ? Zur historischen Genese von (Teil-)Wissenschaft.

Normale Wissenschaftund wissenschaftliche Paradigmen

Die bdquonormale Wissenschaftldquo ist nach Kuhn durch die Bindung an ein Paradigma gekennzeichnet

bdquoDie Physik des Aristoteles der Almagest des Ptolemaumlus Newtons Principia und Opticks Franklins Electricity Lavoisiers Chimie Lyells Geology ndash diese und viele andere Werke dienten indirekt eine Zeitlang dazu fuumlr nachfolgende Generationen von Fachleuten die anerkannten Probleme und Methoden eines Forschungsgebiets zu bestimmen Sie vermochten dies da sie zwei wesentliche Eigenschaften gemeinsam hatten Ihre Leistung war neuartig genug um eine bestaumlndige Gruppe von Anhaumlngern anzuziehen die ihre Wissenschaft bisher auf andere Art betrieben hatten und gleichzeitig war sie noch offen genug um der neuen Gruppe von Fachleuten alle moumlglichen ungeloumlsten Probleme zu stellen Leistungen mit diesen beiden Merkmalen werde ich von nun an als bdquoParadigmataldquo bezeichnen ein Ausdruck der eng mit dem der bdquonormalen Wissenschaftldquo zusammenhaumlngtldquo

Anomalien und die Krise der normalen Wissenschaft

Durch gehaumluftes Auftreten von bdquoAnomalienldquo entsteht eine Krise der normalen Wissenschaft

Definition Anomalien sind bdquoPhaumlnomen[e] auf welche[] das Paradigma den Forscher nicht vorbereitet hatteldquo (70) Die Veraumlnderung des wissenschaftlichen Weltbilds beginnt mit der Einsicht bdquodaszlig die Natur in irgendeiner Weise die von einem Paradigma erzeugten die normale Wissenschaft beherrschenden Erwartungen nicht erfuumlllt hatldquo (66) Mit anderen Worten Anomalien stehen in Widerspruch zu den Vorhersagen der Theorie sind also mit Mitteln des Paradigmas nicht erklaumlrbar

Anomalien als Ausloumlser von Krisen bdquoDa das Auftauchen neuer Theorien eine umfassende Paradigmazerstoumlrung und groumlszligere Verschiebungen in den Problemen und Verfahren der normalen Wissenschaft erfordert geht ihm im allgemeinen eine Periode ausgesprochener fachwissenschaftlicher Unsicherheit voraus Wie zu erwarten wird diese Unsicherheit durch das dauernde Unvermoumlgen erzeugt fuumlr die Raumltsel der normalen Wissenschaft die erwartete Aufloumlsung zu finden Das Versagen der vorhandenen Regeln leitet die Suche nach neuen einldquo(80)

Anomalien versus Falsifikationen

bull Anomalien fuumlhren nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der zugrunde liegenden Theoriebull Anomalien koumlnnen normalerweise im Rahmen des Paradigmas erklaumlrt oder aufgeloumlst werden Anomalien sind bdquonormalldquobull Erst eine Haumlufung von bdquohartnaumlckigenldquo Anomalien fuumlhrt zur Krise der normalen Wissenschaft und damit moumlglicherweise zu einer wissenschaftlichen Revolution

Wie reagieren Wissenschaftler auf das Auftreten von Anomalien bdquoEinen ebenso offenkundigen wie wichtigen Teil der Antwort koumlnnen wir finden indem wie erst einmal festhalten was Wissenschaftler niemals tun wenn sie mit Anomalien konfrontiert werden und seien diese noch so schwerwiegend und lang andauernd Wenn sie auch beginnen moumlgen den Glauben zu verlieren und an Alternativen zu denken so verwerfen sie doch nicht das Paradigma das sie in eine Krise hineingefuumlhrt hat Das heiszligt also sie behandeln die Anomalien nicht als Gegenbeispiele obwohl Anomalien im Vokabular der Wissenschaftstheorie genau das sindldquo (90)

Wissenschaftliche Revolutionen (1)

Definition Wissenschaftliche Revolutionen sind Vorgaumlnge die zu einer mehr oder weniger radikalen Korrektur des wissenschaftlichen Weltbilds fuumlhren

Beispiele

bull die kopernikanische Revolution (Uumlbergang vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild)

bull Darwins Evolutionslehre

bull Einsteins Theorie von Raum und Zeit

bull die Entstehung der Quantenphysik (Indeterminismus und Unschaumlrferelation)

Wissenschaftliche Revolutionen (2)

bull Bei einer wissenschaftlichen Revolution wird ein etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie ersetzt

bull Verschiedene Paradigmen sind nach Kuhn bdquoinkommensurabelldquo dh es gibt keine objektiven Kriterien die eine Entscheidung fuumlr das eine oder andere Paradigma begruumlnden koumlnnten

Begruumlndung Vertreter unterschiedlicher Paradigmen sprechen verschiedene Sprachen gehen von unterschiedlichen theoretischen Annahmen und methodologischen Regeln aus

bdquoWenn Paradigmata in eine Diskussion uumlber die Wahl von Paradigmata eingehen ndash und sie muumlssen es ja - dann ist ihre Rolle notwendigerweise zirkulaumlr Jede Gruppe verwendet ihr eigenes Paradigma zur Verteidigung eben dieses Paradigmasldquo (106) Die zentrale Konsequenz aus dieser Feststellung ist daszlig Konflikte zwischen konkurrierenden Theorien bdquoniemals durch Logik und Experiment allein eindeutig entschieden werdenldquo koumlnnen (107)

Struktur der Wissenschaftlichen Revolution

Vorparadigmatische PhaseNebeneinanderstehende lose definierte miteinander kon-

kurrierende Ansaumltze ohne Dominanz eines einzelnen Paradigmas

Paradigmatische PhaseDurchsetzung eines Ansatzes Ausgrenzung konkurrierender

Ansaumltze herrschendes Paradigma wird Bezugsrahmen fuumlr Forschung eines Fachs normgebend Phase kumulativer normalwissenschaftlicher Forschung

Kritische PhaseErschoumlpfung des dominierenden Paradigmas Haumlufung von Fehl-

schlaumlgen und Anomalien lassen Zweifel an Erklaumlrungskraft des Paradigma entstehen

Revolutionaumlre PhaseBreiter Aufstand gegen herrschendes Paradigma Suchen neuer

Wege Widerstand der Vertreter des alten Paradigmas Neue Paradigmatische PhaseWeder Verifikation noch Falsifikation sondern DimensionssprungWettstreit der Paradigmata wird nicht durch Beweise entschieden

sondern mittels Durchsetzungskraft

VORPARADIGMATISCHE PHASE

ENTSTEHUNG EINES NEUEN PARADIGMAS

bdquoNORMALE WISSENSCHAFTldquo

HAumlUFUNG VON ANOMALIEN

KRISE DER NORMALEN WISSENSCHAFT

WISSENSCHAFTLICHE REVOLUTION

Kuhn ndash Wissenschaftliche Revolutionen

Quelle LauthSareiter Wissenschaftliche Erkenntnis Paderborn 2002 S 123

Probleme von Kuhns Modell

Bei der Beurteilung von Kuhns Theorien ist zu unterscheiden zwischen wissenschaftshistorischen Fakten und wissenschaftstheoretischenSchlussfolgerungen

Das Hauptproblem

bull Der Wandel des wissenschaftlichen Weltbilds ist nach Kuhn nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren Es gibt keinen Erkenntnis-fortschritt nur eine neue Sicht der Dinge

bull Die Wissenschaftstheorie (Poppers Logik der Forschung) muumlsste nach Kuhn durch wissenschaftshistorische und ndashsoziologische Betrachtungen ersetzt werden

bull Kuhns Theorie laumlszligt wichtige Fragen offen (siehe naumlchste Folie)

Offene Fragen

bdquoInsbesondere liefert Kuhn keine plausible oder befriedigende Erklaumlrung fuumlr die Verdraumlngung eines etablierten Paradigmas und den bdquoSiegldquo des neuen Paradigmas uumlber seinen Vorgaumlnger Nach Kuhns Auffassung ist der Konflikt zwischen zwei rivalisierenden Paradigmen bdquoniemals durch Logik und Experiment alleineldquo zu entscheiden Das wuumlrde jedoch bedeuten daszlig der Theorienwandel in der Wissenschaft nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren ist sondern nur durch Rekurs auf wissenschaftshistorische oder -soziologische Phaumlnomene Aber was koumlnnten dann die Ursachen dafuumlr sein daszlig ein einmal etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie vollstaumlndig verdraumlngt und ersetzt werden kann Kuhns Hinweis darauf daszlig die Vertreter des alten Paradigmas im Lauf der Zeit einfach bdquoaussterbenldquo ist sicherlich zu einfach Warum gelingt es den Anhaumlngern des alten Paradigmas nicht neue Anhaumlnger unter dem wissenschaftlichen Nachwuchs zu rekrutieren Warum sollte nicht die Entstehung von neuen Theorien im Lauf der Zeit zu einer Pluralitaumlt von konkurrierenden Paradigmen oder Theorien fuumlhren von denen jede eine gewisse Anzahl von bdquoAnhaumlngernldquo um sich scharen kann Warum sind heute praktisch alle Physiker davon uumlberzeugt daszlig Einsteins Relativitaumlts-theorie eine bessere Beschreibung und Erklaumlrung der physikalischen Phaumlnomene liefert als die Newtonsche MechanikWarum glaubt heute niemand mehr an das geozentrische Weltbild eines Aristoteles oder Kopernikus Warum hat Darwins Evolutionstheorie alle biologischen Theorien die von einer Konstanz der Arten ausgehen erfolgreich verdraumlngen koumlnnen ldquo

(B Lauth J Sareiter Wissenschaftliche Erkenntnis S 135)

Literaturtipp

bull Bernhard Lauth J Sareiter Wissenschaft-liche Erkenntnis Eine ideengeschichtliche Einfuumlhrung in die Wissenschaftstheorie Paderborn Mentis-Verlag 2002

Methodische FolgerungenKuhn versus Popper

bdquoWenn eine wissenschaftliche Theorie einmal den Status eines Paradigmas erlangt hat wird sie nur dann fuumlr unguumlltig erklaumlrt wenn ein anderer Kandidat vorhanden ist der ihren Platz einnehmen kann Kein bisher durch das Studium der wissenschaftlichen Entwicklung aufgedeckter Prozeszlig hat irgendeine Aumlhnlichkeit mit der methodologischen Schablone der Falsifikation durch unmittelbaren Vergleich mit der Naturldquo (90)

bdquoZweifellos ist die der Falsifikation zugesprochene Rolle derjenigen sehr aumlhnlich welche dieser Essay den anomalen Erfahrungen beimiszligt also jenen Erfahrungen die eine Krise hervorrufen und dadurch den Weg fuumlr eine neue Theorie bereiten Trotzdem duumlrfen anomale Erfahrungen nicht mit falsifizierenden gleichgestellt werden Ich glaube sogar daszlig es letztere uumlberhaupt nicht gibtldquo (157)

Eine Gegenposition hat Imre Lakatos vertreten In seinem Essay uumlber die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme zeigt Lakatos dass die von Kuhn diagnostizierten Phaumlnomene auch im Rahmen der falsifikationistischen Methodik erklaumlrbar sind

Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos

Imre Lakatos (1922-1974) kritisierte einmal das Poppersche Falsifizierungspostulat Wissen-schaftler neigen eher dazu ihre Theorien zu verteidigen als sie zu widerlegen

Lakatos hielt aber auch Kuhns Theorie der wissenschaftlichen Revolutionen fuumlr irreal und verstand Wissenschaft als ein Nebeneinander konkurrierender Forschungsprogramme

Ein alternatives Modell deswissenschaftlichen Fortschritts

In bdquoKritik und Erkenntnisfortschrittldquo entwickelt Imre Lakatos ein Alternativmodell des wissenschaftlichen Fortschritts Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen bdquoTheoriekernldquo und bdquoZusatzhypothesenldquo

bull Die meisten wissenschaftlichen Theorien fuumlhren erst in Verbindung mit geeigneten Zusatzhypothesen zu empirisch nachpruumlfbaren Vorhersagen

bull Widerspruumlche zwischen Theorie und Experiment fuumlhren daher nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der Theorie sondern koumlnnen auch durch Korrektur der Zusatzhyothesen aufgeloumlst werden

Ein modifiziertes Modell der empirischen Uumlberpruumlfungvon wissenschaftlichen Theorien

Wissenschaftliche Theorien (bdquoParadigmenldquo)

Zusatzhypothesen

Empirisch nachpruumlfbare Vorhersagen

Vergleich mit Beobachtung Messung

Experiment

Vorlaumlufige Bestaumltigung der Theorie

Revision der Theorie

Revision der Zusatzhypothesen

Wissenschaftliche Revolution

Signifikante Abweichungen (bdquoAnomalienldquo)Keine signifikanten Abweichungen

plus

Quelle Lauth III Teil Wissenschaftlicher Fortschritt und derWandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Erkenntnisfortschritt

Eine neue Theorie Tacute die ein etabliertes Paradigma T verdraumlngen soll muss nach Lakatos zwei Bedingungen erfuumlllen

bull Die neue Theorie muss die Erfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die alte Theorie zu korrekten Vorhersagen fuumlhrt muss Tacute dieselben Vorhersagen machen

bull Die neue Theorie muss die Misserfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die neue Theorie zu abweichenden Vorhersagen fuumlhrt bestaumltigen Beobachtungen und Messungen die abweichenden Vorhersagen

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersicht

VSteenblock Imre Lakatos in JNida-Ruumlmelin (Hrsg) Philosophie der Gegenwartin Einzeldarstellungenhellip 2AuflStuttgart Kroumlner 1999 S 400ff

Auch zu Kuhn Feyerabend usw

Werner Diederich (Hrsg) Theorien der Wissenschafts-geschichte Beitraumlge zur diachronen Wissenschafts- theorie FrankfurtMain Suhrkamp 1974

Literaturtipp

Thanx for your attentionhellip

  • Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes
  • Sir Karl Popper (1902-1994) und die Logik der Forschung
  • Thomas Kuhns Modell der Entwicklung von Wissenschaft(en)
  • Folie 4
  • Folie 5
  • Folie 6
  • Folie 7
  • Folie 8
  • Folie 9
  • Folie 10
  • Folie 11
  • Folie 12
  • Folie 13
  • Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)
  • Folie 16
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)
  • Merkmale von Paradigmen
  • Literaturtipp
  • Folie 20
  • Folie 21
  • Folie 22
  • Folie 23
  • Folie 24
  • Struktur der Wissenschaftlichen Revolution
  • Folie 26
  • Folie 27
  • Folie 28
  • Slide 29
  • Folie 30
  • Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos
  • Folie 32
  • Folie 33
  • Folie 34
  • Slide 35
  • Slide 36
  • Thanx for your attentionhellip
Page 21: Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes ? Zur historischen Genese von (Teil-)Wissenschaft.

Anomalien und die Krise der normalen Wissenschaft

Durch gehaumluftes Auftreten von bdquoAnomalienldquo entsteht eine Krise der normalen Wissenschaft

Definition Anomalien sind bdquoPhaumlnomen[e] auf welche[] das Paradigma den Forscher nicht vorbereitet hatteldquo (70) Die Veraumlnderung des wissenschaftlichen Weltbilds beginnt mit der Einsicht bdquodaszlig die Natur in irgendeiner Weise die von einem Paradigma erzeugten die normale Wissenschaft beherrschenden Erwartungen nicht erfuumlllt hatldquo (66) Mit anderen Worten Anomalien stehen in Widerspruch zu den Vorhersagen der Theorie sind also mit Mitteln des Paradigmas nicht erklaumlrbar

Anomalien als Ausloumlser von Krisen bdquoDa das Auftauchen neuer Theorien eine umfassende Paradigmazerstoumlrung und groumlszligere Verschiebungen in den Problemen und Verfahren der normalen Wissenschaft erfordert geht ihm im allgemeinen eine Periode ausgesprochener fachwissenschaftlicher Unsicherheit voraus Wie zu erwarten wird diese Unsicherheit durch das dauernde Unvermoumlgen erzeugt fuumlr die Raumltsel der normalen Wissenschaft die erwartete Aufloumlsung zu finden Das Versagen der vorhandenen Regeln leitet die Suche nach neuen einldquo(80)

Anomalien versus Falsifikationen

bull Anomalien fuumlhren nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der zugrunde liegenden Theoriebull Anomalien koumlnnen normalerweise im Rahmen des Paradigmas erklaumlrt oder aufgeloumlst werden Anomalien sind bdquonormalldquobull Erst eine Haumlufung von bdquohartnaumlckigenldquo Anomalien fuumlhrt zur Krise der normalen Wissenschaft und damit moumlglicherweise zu einer wissenschaftlichen Revolution

Wie reagieren Wissenschaftler auf das Auftreten von Anomalien bdquoEinen ebenso offenkundigen wie wichtigen Teil der Antwort koumlnnen wir finden indem wie erst einmal festhalten was Wissenschaftler niemals tun wenn sie mit Anomalien konfrontiert werden und seien diese noch so schwerwiegend und lang andauernd Wenn sie auch beginnen moumlgen den Glauben zu verlieren und an Alternativen zu denken so verwerfen sie doch nicht das Paradigma das sie in eine Krise hineingefuumlhrt hat Das heiszligt also sie behandeln die Anomalien nicht als Gegenbeispiele obwohl Anomalien im Vokabular der Wissenschaftstheorie genau das sindldquo (90)

Wissenschaftliche Revolutionen (1)

Definition Wissenschaftliche Revolutionen sind Vorgaumlnge die zu einer mehr oder weniger radikalen Korrektur des wissenschaftlichen Weltbilds fuumlhren

Beispiele

bull die kopernikanische Revolution (Uumlbergang vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild)

bull Darwins Evolutionslehre

bull Einsteins Theorie von Raum und Zeit

bull die Entstehung der Quantenphysik (Indeterminismus und Unschaumlrferelation)

Wissenschaftliche Revolutionen (2)

bull Bei einer wissenschaftlichen Revolution wird ein etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie ersetzt

bull Verschiedene Paradigmen sind nach Kuhn bdquoinkommensurabelldquo dh es gibt keine objektiven Kriterien die eine Entscheidung fuumlr das eine oder andere Paradigma begruumlnden koumlnnten

Begruumlndung Vertreter unterschiedlicher Paradigmen sprechen verschiedene Sprachen gehen von unterschiedlichen theoretischen Annahmen und methodologischen Regeln aus

bdquoWenn Paradigmata in eine Diskussion uumlber die Wahl von Paradigmata eingehen ndash und sie muumlssen es ja - dann ist ihre Rolle notwendigerweise zirkulaumlr Jede Gruppe verwendet ihr eigenes Paradigma zur Verteidigung eben dieses Paradigmasldquo (106) Die zentrale Konsequenz aus dieser Feststellung ist daszlig Konflikte zwischen konkurrierenden Theorien bdquoniemals durch Logik und Experiment allein eindeutig entschieden werdenldquo koumlnnen (107)

Struktur der Wissenschaftlichen Revolution

Vorparadigmatische PhaseNebeneinanderstehende lose definierte miteinander kon-

kurrierende Ansaumltze ohne Dominanz eines einzelnen Paradigmas

Paradigmatische PhaseDurchsetzung eines Ansatzes Ausgrenzung konkurrierender

Ansaumltze herrschendes Paradigma wird Bezugsrahmen fuumlr Forschung eines Fachs normgebend Phase kumulativer normalwissenschaftlicher Forschung

Kritische PhaseErschoumlpfung des dominierenden Paradigmas Haumlufung von Fehl-

schlaumlgen und Anomalien lassen Zweifel an Erklaumlrungskraft des Paradigma entstehen

Revolutionaumlre PhaseBreiter Aufstand gegen herrschendes Paradigma Suchen neuer

Wege Widerstand der Vertreter des alten Paradigmas Neue Paradigmatische PhaseWeder Verifikation noch Falsifikation sondern DimensionssprungWettstreit der Paradigmata wird nicht durch Beweise entschieden

sondern mittels Durchsetzungskraft

VORPARADIGMATISCHE PHASE

ENTSTEHUNG EINES NEUEN PARADIGMAS

bdquoNORMALE WISSENSCHAFTldquo

HAumlUFUNG VON ANOMALIEN

KRISE DER NORMALEN WISSENSCHAFT

WISSENSCHAFTLICHE REVOLUTION

Kuhn ndash Wissenschaftliche Revolutionen

Quelle LauthSareiter Wissenschaftliche Erkenntnis Paderborn 2002 S 123

Probleme von Kuhns Modell

Bei der Beurteilung von Kuhns Theorien ist zu unterscheiden zwischen wissenschaftshistorischen Fakten und wissenschaftstheoretischenSchlussfolgerungen

Das Hauptproblem

bull Der Wandel des wissenschaftlichen Weltbilds ist nach Kuhn nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren Es gibt keinen Erkenntnis-fortschritt nur eine neue Sicht der Dinge

bull Die Wissenschaftstheorie (Poppers Logik der Forschung) muumlsste nach Kuhn durch wissenschaftshistorische und ndashsoziologische Betrachtungen ersetzt werden

bull Kuhns Theorie laumlszligt wichtige Fragen offen (siehe naumlchste Folie)

Offene Fragen

bdquoInsbesondere liefert Kuhn keine plausible oder befriedigende Erklaumlrung fuumlr die Verdraumlngung eines etablierten Paradigmas und den bdquoSiegldquo des neuen Paradigmas uumlber seinen Vorgaumlnger Nach Kuhns Auffassung ist der Konflikt zwischen zwei rivalisierenden Paradigmen bdquoniemals durch Logik und Experiment alleineldquo zu entscheiden Das wuumlrde jedoch bedeuten daszlig der Theorienwandel in der Wissenschaft nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren ist sondern nur durch Rekurs auf wissenschaftshistorische oder -soziologische Phaumlnomene Aber was koumlnnten dann die Ursachen dafuumlr sein daszlig ein einmal etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie vollstaumlndig verdraumlngt und ersetzt werden kann Kuhns Hinweis darauf daszlig die Vertreter des alten Paradigmas im Lauf der Zeit einfach bdquoaussterbenldquo ist sicherlich zu einfach Warum gelingt es den Anhaumlngern des alten Paradigmas nicht neue Anhaumlnger unter dem wissenschaftlichen Nachwuchs zu rekrutieren Warum sollte nicht die Entstehung von neuen Theorien im Lauf der Zeit zu einer Pluralitaumlt von konkurrierenden Paradigmen oder Theorien fuumlhren von denen jede eine gewisse Anzahl von bdquoAnhaumlngernldquo um sich scharen kann Warum sind heute praktisch alle Physiker davon uumlberzeugt daszlig Einsteins Relativitaumlts-theorie eine bessere Beschreibung und Erklaumlrung der physikalischen Phaumlnomene liefert als die Newtonsche MechanikWarum glaubt heute niemand mehr an das geozentrische Weltbild eines Aristoteles oder Kopernikus Warum hat Darwins Evolutionstheorie alle biologischen Theorien die von einer Konstanz der Arten ausgehen erfolgreich verdraumlngen koumlnnen ldquo

(B Lauth J Sareiter Wissenschaftliche Erkenntnis S 135)

Literaturtipp

bull Bernhard Lauth J Sareiter Wissenschaft-liche Erkenntnis Eine ideengeschichtliche Einfuumlhrung in die Wissenschaftstheorie Paderborn Mentis-Verlag 2002

Methodische FolgerungenKuhn versus Popper

bdquoWenn eine wissenschaftliche Theorie einmal den Status eines Paradigmas erlangt hat wird sie nur dann fuumlr unguumlltig erklaumlrt wenn ein anderer Kandidat vorhanden ist der ihren Platz einnehmen kann Kein bisher durch das Studium der wissenschaftlichen Entwicklung aufgedeckter Prozeszlig hat irgendeine Aumlhnlichkeit mit der methodologischen Schablone der Falsifikation durch unmittelbaren Vergleich mit der Naturldquo (90)

bdquoZweifellos ist die der Falsifikation zugesprochene Rolle derjenigen sehr aumlhnlich welche dieser Essay den anomalen Erfahrungen beimiszligt also jenen Erfahrungen die eine Krise hervorrufen und dadurch den Weg fuumlr eine neue Theorie bereiten Trotzdem duumlrfen anomale Erfahrungen nicht mit falsifizierenden gleichgestellt werden Ich glaube sogar daszlig es letztere uumlberhaupt nicht gibtldquo (157)

Eine Gegenposition hat Imre Lakatos vertreten In seinem Essay uumlber die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme zeigt Lakatos dass die von Kuhn diagnostizierten Phaumlnomene auch im Rahmen der falsifikationistischen Methodik erklaumlrbar sind

Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos

Imre Lakatos (1922-1974) kritisierte einmal das Poppersche Falsifizierungspostulat Wissen-schaftler neigen eher dazu ihre Theorien zu verteidigen als sie zu widerlegen

Lakatos hielt aber auch Kuhns Theorie der wissenschaftlichen Revolutionen fuumlr irreal und verstand Wissenschaft als ein Nebeneinander konkurrierender Forschungsprogramme

Ein alternatives Modell deswissenschaftlichen Fortschritts

In bdquoKritik und Erkenntnisfortschrittldquo entwickelt Imre Lakatos ein Alternativmodell des wissenschaftlichen Fortschritts Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen bdquoTheoriekernldquo und bdquoZusatzhypothesenldquo

bull Die meisten wissenschaftlichen Theorien fuumlhren erst in Verbindung mit geeigneten Zusatzhypothesen zu empirisch nachpruumlfbaren Vorhersagen

bull Widerspruumlche zwischen Theorie und Experiment fuumlhren daher nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der Theorie sondern koumlnnen auch durch Korrektur der Zusatzhyothesen aufgeloumlst werden

Ein modifiziertes Modell der empirischen Uumlberpruumlfungvon wissenschaftlichen Theorien

Wissenschaftliche Theorien (bdquoParadigmenldquo)

Zusatzhypothesen

Empirisch nachpruumlfbare Vorhersagen

Vergleich mit Beobachtung Messung

Experiment

Vorlaumlufige Bestaumltigung der Theorie

Revision der Theorie

Revision der Zusatzhypothesen

Wissenschaftliche Revolution

Signifikante Abweichungen (bdquoAnomalienldquo)Keine signifikanten Abweichungen

plus

Quelle Lauth III Teil Wissenschaftlicher Fortschritt und derWandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Erkenntnisfortschritt

Eine neue Theorie Tacute die ein etabliertes Paradigma T verdraumlngen soll muss nach Lakatos zwei Bedingungen erfuumlllen

bull Die neue Theorie muss die Erfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die alte Theorie zu korrekten Vorhersagen fuumlhrt muss Tacute dieselben Vorhersagen machen

bull Die neue Theorie muss die Misserfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die neue Theorie zu abweichenden Vorhersagen fuumlhrt bestaumltigen Beobachtungen und Messungen die abweichenden Vorhersagen

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersicht

VSteenblock Imre Lakatos in JNida-Ruumlmelin (Hrsg) Philosophie der Gegenwartin Einzeldarstellungenhellip 2AuflStuttgart Kroumlner 1999 S 400ff

Auch zu Kuhn Feyerabend usw

Werner Diederich (Hrsg) Theorien der Wissenschafts-geschichte Beitraumlge zur diachronen Wissenschafts- theorie FrankfurtMain Suhrkamp 1974

Literaturtipp

Thanx for your attentionhellip

  • Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes
  • Sir Karl Popper (1902-1994) und die Logik der Forschung
  • Thomas Kuhns Modell der Entwicklung von Wissenschaft(en)
  • Folie 4
  • Folie 5
  • Folie 6
  • Folie 7
  • Folie 8
  • Folie 9
  • Folie 10
  • Folie 11
  • Folie 12
  • Folie 13
  • Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)
  • Folie 16
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)
  • Merkmale von Paradigmen
  • Literaturtipp
  • Folie 20
  • Folie 21
  • Folie 22
  • Folie 23
  • Folie 24
  • Struktur der Wissenschaftlichen Revolution
  • Folie 26
  • Folie 27
  • Folie 28
  • Slide 29
  • Folie 30
  • Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos
  • Folie 32
  • Folie 33
  • Folie 34
  • Slide 35
  • Slide 36
  • Thanx for your attentionhellip
Page 22: Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes ? Zur historischen Genese von (Teil-)Wissenschaft.

Anomalien versus Falsifikationen

bull Anomalien fuumlhren nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der zugrunde liegenden Theoriebull Anomalien koumlnnen normalerweise im Rahmen des Paradigmas erklaumlrt oder aufgeloumlst werden Anomalien sind bdquonormalldquobull Erst eine Haumlufung von bdquohartnaumlckigenldquo Anomalien fuumlhrt zur Krise der normalen Wissenschaft und damit moumlglicherweise zu einer wissenschaftlichen Revolution

Wie reagieren Wissenschaftler auf das Auftreten von Anomalien bdquoEinen ebenso offenkundigen wie wichtigen Teil der Antwort koumlnnen wir finden indem wie erst einmal festhalten was Wissenschaftler niemals tun wenn sie mit Anomalien konfrontiert werden und seien diese noch so schwerwiegend und lang andauernd Wenn sie auch beginnen moumlgen den Glauben zu verlieren und an Alternativen zu denken so verwerfen sie doch nicht das Paradigma das sie in eine Krise hineingefuumlhrt hat Das heiszligt also sie behandeln die Anomalien nicht als Gegenbeispiele obwohl Anomalien im Vokabular der Wissenschaftstheorie genau das sindldquo (90)

Wissenschaftliche Revolutionen (1)

Definition Wissenschaftliche Revolutionen sind Vorgaumlnge die zu einer mehr oder weniger radikalen Korrektur des wissenschaftlichen Weltbilds fuumlhren

Beispiele

bull die kopernikanische Revolution (Uumlbergang vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild)

bull Darwins Evolutionslehre

bull Einsteins Theorie von Raum und Zeit

bull die Entstehung der Quantenphysik (Indeterminismus und Unschaumlrferelation)

Wissenschaftliche Revolutionen (2)

bull Bei einer wissenschaftlichen Revolution wird ein etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie ersetzt

bull Verschiedene Paradigmen sind nach Kuhn bdquoinkommensurabelldquo dh es gibt keine objektiven Kriterien die eine Entscheidung fuumlr das eine oder andere Paradigma begruumlnden koumlnnten

Begruumlndung Vertreter unterschiedlicher Paradigmen sprechen verschiedene Sprachen gehen von unterschiedlichen theoretischen Annahmen und methodologischen Regeln aus

bdquoWenn Paradigmata in eine Diskussion uumlber die Wahl von Paradigmata eingehen ndash und sie muumlssen es ja - dann ist ihre Rolle notwendigerweise zirkulaumlr Jede Gruppe verwendet ihr eigenes Paradigma zur Verteidigung eben dieses Paradigmasldquo (106) Die zentrale Konsequenz aus dieser Feststellung ist daszlig Konflikte zwischen konkurrierenden Theorien bdquoniemals durch Logik und Experiment allein eindeutig entschieden werdenldquo koumlnnen (107)

Struktur der Wissenschaftlichen Revolution

Vorparadigmatische PhaseNebeneinanderstehende lose definierte miteinander kon-

kurrierende Ansaumltze ohne Dominanz eines einzelnen Paradigmas

Paradigmatische PhaseDurchsetzung eines Ansatzes Ausgrenzung konkurrierender

Ansaumltze herrschendes Paradigma wird Bezugsrahmen fuumlr Forschung eines Fachs normgebend Phase kumulativer normalwissenschaftlicher Forschung

Kritische PhaseErschoumlpfung des dominierenden Paradigmas Haumlufung von Fehl-

schlaumlgen und Anomalien lassen Zweifel an Erklaumlrungskraft des Paradigma entstehen

Revolutionaumlre PhaseBreiter Aufstand gegen herrschendes Paradigma Suchen neuer

Wege Widerstand der Vertreter des alten Paradigmas Neue Paradigmatische PhaseWeder Verifikation noch Falsifikation sondern DimensionssprungWettstreit der Paradigmata wird nicht durch Beweise entschieden

sondern mittels Durchsetzungskraft

VORPARADIGMATISCHE PHASE

ENTSTEHUNG EINES NEUEN PARADIGMAS

bdquoNORMALE WISSENSCHAFTldquo

HAumlUFUNG VON ANOMALIEN

KRISE DER NORMALEN WISSENSCHAFT

WISSENSCHAFTLICHE REVOLUTION

Kuhn ndash Wissenschaftliche Revolutionen

Quelle LauthSareiter Wissenschaftliche Erkenntnis Paderborn 2002 S 123

Probleme von Kuhns Modell

Bei der Beurteilung von Kuhns Theorien ist zu unterscheiden zwischen wissenschaftshistorischen Fakten und wissenschaftstheoretischenSchlussfolgerungen

Das Hauptproblem

bull Der Wandel des wissenschaftlichen Weltbilds ist nach Kuhn nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren Es gibt keinen Erkenntnis-fortschritt nur eine neue Sicht der Dinge

bull Die Wissenschaftstheorie (Poppers Logik der Forschung) muumlsste nach Kuhn durch wissenschaftshistorische und ndashsoziologische Betrachtungen ersetzt werden

bull Kuhns Theorie laumlszligt wichtige Fragen offen (siehe naumlchste Folie)

Offene Fragen

bdquoInsbesondere liefert Kuhn keine plausible oder befriedigende Erklaumlrung fuumlr die Verdraumlngung eines etablierten Paradigmas und den bdquoSiegldquo des neuen Paradigmas uumlber seinen Vorgaumlnger Nach Kuhns Auffassung ist der Konflikt zwischen zwei rivalisierenden Paradigmen bdquoniemals durch Logik und Experiment alleineldquo zu entscheiden Das wuumlrde jedoch bedeuten daszlig der Theorienwandel in der Wissenschaft nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren ist sondern nur durch Rekurs auf wissenschaftshistorische oder -soziologische Phaumlnomene Aber was koumlnnten dann die Ursachen dafuumlr sein daszlig ein einmal etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie vollstaumlndig verdraumlngt und ersetzt werden kann Kuhns Hinweis darauf daszlig die Vertreter des alten Paradigmas im Lauf der Zeit einfach bdquoaussterbenldquo ist sicherlich zu einfach Warum gelingt es den Anhaumlngern des alten Paradigmas nicht neue Anhaumlnger unter dem wissenschaftlichen Nachwuchs zu rekrutieren Warum sollte nicht die Entstehung von neuen Theorien im Lauf der Zeit zu einer Pluralitaumlt von konkurrierenden Paradigmen oder Theorien fuumlhren von denen jede eine gewisse Anzahl von bdquoAnhaumlngernldquo um sich scharen kann Warum sind heute praktisch alle Physiker davon uumlberzeugt daszlig Einsteins Relativitaumlts-theorie eine bessere Beschreibung und Erklaumlrung der physikalischen Phaumlnomene liefert als die Newtonsche MechanikWarum glaubt heute niemand mehr an das geozentrische Weltbild eines Aristoteles oder Kopernikus Warum hat Darwins Evolutionstheorie alle biologischen Theorien die von einer Konstanz der Arten ausgehen erfolgreich verdraumlngen koumlnnen ldquo

(B Lauth J Sareiter Wissenschaftliche Erkenntnis S 135)

Literaturtipp

bull Bernhard Lauth J Sareiter Wissenschaft-liche Erkenntnis Eine ideengeschichtliche Einfuumlhrung in die Wissenschaftstheorie Paderborn Mentis-Verlag 2002

Methodische FolgerungenKuhn versus Popper

bdquoWenn eine wissenschaftliche Theorie einmal den Status eines Paradigmas erlangt hat wird sie nur dann fuumlr unguumlltig erklaumlrt wenn ein anderer Kandidat vorhanden ist der ihren Platz einnehmen kann Kein bisher durch das Studium der wissenschaftlichen Entwicklung aufgedeckter Prozeszlig hat irgendeine Aumlhnlichkeit mit der methodologischen Schablone der Falsifikation durch unmittelbaren Vergleich mit der Naturldquo (90)

bdquoZweifellos ist die der Falsifikation zugesprochene Rolle derjenigen sehr aumlhnlich welche dieser Essay den anomalen Erfahrungen beimiszligt also jenen Erfahrungen die eine Krise hervorrufen und dadurch den Weg fuumlr eine neue Theorie bereiten Trotzdem duumlrfen anomale Erfahrungen nicht mit falsifizierenden gleichgestellt werden Ich glaube sogar daszlig es letztere uumlberhaupt nicht gibtldquo (157)

Eine Gegenposition hat Imre Lakatos vertreten In seinem Essay uumlber die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme zeigt Lakatos dass die von Kuhn diagnostizierten Phaumlnomene auch im Rahmen der falsifikationistischen Methodik erklaumlrbar sind

Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos

Imre Lakatos (1922-1974) kritisierte einmal das Poppersche Falsifizierungspostulat Wissen-schaftler neigen eher dazu ihre Theorien zu verteidigen als sie zu widerlegen

Lakatos hielt aber auch Kuhns Theorie der wissenschaftlichen Revolutionen fuumlr irreal und verstand Wissenschaft als ein Nebeneinander konkurrierender Forschungsprogramme

Ein alternatives Modell deswissenschaftlichen Fortschritts

In bdquoKritik und Erkenntnisfortschrittldquo entwickelt Imre Lakatos ein Alternativmodell des wissenschaftlichen Fortschritts Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen bdquoTheoriekernldquo und bdquoZusatzhypothesenldquo

bull Die meisten wissenschaftlichen Theorien fuumlhren erst in Verbindung mit geeigneten Zusatzhypothesen zu empirisch nachpruumlfbaren Vorhersagen

bull Widerspruumlche zwischen Theorie und Experiment fuumlhren daher nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der Theorie sondern koumlnnen auch durch Korrektur der Zusatzhyothesen aufgeloumlst werden

Ein modifiziertes Modell der empirischen Uumlberpruumlfungvon wissenschaftlichen Theorien

Wissenschaftliche Theorien (bdquoParadigmenldquo)

Zusatzhypothesen

Empirisch nachpruumlfbare Vorhersagen

Vergleich mit Beobachtung Messung

Experiment

Vorlaumlufige Bestaumltigung der Theorie

Revision der Theorie

Revision der Zusatzhypothesen

Wissenschaftliche Revolution

Signifikante Abweichungen (bdquoAnomalienldquo)Keine signifikanten Abweichungen

plus

Quelle Lauth III Teil Wissenschaftlicher Fortschritt und derWandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Erkenntnisfortschritt

Eine neue Theorie Tacute die ein etabliertes Paradigma T verdraumlngen soll muss nach Lakatos zwei Bedingungen erfuumlllen

bull Die neue Theorie muss die Erfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die alte Theorie zu korrekten Vorhersagen fuumlhrt muss Tacute dieselben Vorhersagen machen

bull Die neue Theorie muss die Misserfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die neue Theorie zu abweichenden Vorhersagen fuumlhrt bestaumltigen Beobachtungen und Messungen die abweichenden Vorhersagen

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersicht

VSteenblock Imre Lakatos in JNida-Ruumlmelin (Hrsg) Philosophie der Gegenwartin Einzeldarstellungenhellip 2AuflStuttgart Kroumlner 1999 S 400ff

Auch zu Kuhn Feyerabend usw

Werner Diederich (Hrsg) Theorien der Wissenschafts-geschichte Beitraumlge zur diachronen Wissenschafts- theorie FrankfurtMain Suhrkamp 1974

Literaturtipp

Thanx for your attentionhellip

  • Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes
  • Sir Karl Popper (1902-1994) und die Logik der Forschung
  • Thomas Kuhns Modell der Entwicklung von Wissenschaft(en)
  • Folie 4
  • Folie 5
  • Folie 6
  • Folie 7
  • Folie 8
  • Folie 9
  • Folie 10
  • Folie 11
  • Folie 12
  • Folie 13
  • Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)
  • Folie 16
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)
  • Merkmale von Paradigmen
  • Literaturtipp
  • Folie 20
  • Folie 21
  • Folie 22
  • Folie 23
  • Folie 24
  • Struktur der Wissenschaftlichen Revolution
  • Folie 26
  • Folie 27
  • Folie 28
  • Slide 29
  • Folie 30
  • Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos
  • Folie 32
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  • Folie 34
  • Slide 35
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Page 23: Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes ? Zur historischen Genese von (Teil-)Wissenschaft.

Wissenschaftliche Revolutionen (1)

Definition Wissenschaftliche Revolutionen sind Vorgaumlnge die zu einer mehr oder weniger radikalen Korrektur des wissenschaftlichen Weltbilds fuumlhren

Beispiele

bull die kopernikanische Revolution (Uumlbergang vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild)

bull Darwins Evolutionslehre

bull Einsteins Theorie von Raum und Zeit

bull die Entstehung der Quantenphysik (Indeterminismus und Unschaumlrferelation)

Wissenschaftliche Revolutionen (2)

bull Bei einer wissenschaftlichen Revolution wird ein etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie ersetzt

bull Verschiedene Paradigmen sind nach Kuhn bdquoinkommensurabelldquo dh es gibt keine objektiven Kriterien die eine Entscheidung fuumlr das eine oder andere Paradigma begruumlnden koumlnnten

Begruumlndung Vertreter unterschiedlicher Paradigmen sprechen verschiedene Sprachen gehen von unterschiedlichen theoretischen Annahmen und methodologischen Regeln aus

bdquoWenn Paradigmata in eine Diskussion uumlber die Wahl von Paradigmata eingehen ndash und sie muumlssen es ja - dann ist ihre Rolle notwendigerweise zirkulaumlr Jede Gruppe verwendet ihr eigenes Paradigma zur Verteidigung eben dieses Paradigmasldquo (106) Die zentrale Konsequenz aus dieser Feststellung ist daszlig Konflikte zwischen konkurrierenden Theorien bdquoniemals durch Logik und Experiment allein eindeutig entschieden werdenldquo koumlnnen (107)

Struktur der Wissenschaftlichen Revolution

Vorparadigmatische PhaseNebeneinanderstehende lose definierte miteinander kon-

kurrierende Ansaumltze ohne Dominanz eines einzelnen Paradigmas

Paradigmatische PhaseDurchsetzung eines Ansatzes Ausgrenzung konkurrierender

Ansaumltze herrschendes Paradigma wird Bezugsrahmen fuumlr Forschung eines Fachs normgebend Phase kumulativer normalwissenschaftlicher Forschung

Kritische PhaseErschoumlpfung des dominierenden Paradigmas Haumlufung von Fehl-

schlaumlgen und Anomalien lassen Zweifel an Erklaumlrungskraft des Paradigma entstehen

Revolutionaumlre PhaseBreiter Aufstand gegen herrschendes Paradigma Suchen neuer

Wege Widerstand der Vertreter des alten Paradigmas Neue Paradigmatische PhaseWeder Verifikation noch Falsifikation sondern DimensionssprungWettstreit der Paradigmata wird nicht durch Beweise entschieden

sondern mittels Durchsetzungskraft

VORPARADIGMATISCHE PHASE

ENTSTEHUNG EINES NEUEN PARADIGMAS

bdquoNORMALE WISSENSCHAFTldquo

HAumlUFUNG VON ANOMALIEN

KRISE DER NORMALEN WISSENSCHAFT

WISSENSCHAFTLICHE REVOLUTION

Kuhn ndash Wissenschaftliche Revolutionen

Quelle LauthSareiter Wissenschaftliche Erkenntnis Paderborn 2002 S 123

Probleme von Kuhns Modell

Bei der Beurteilung von Kuhns Theorien ist zu unterscheiden zwischen wissenschaftshistorischen Fakten und wissenschaftstheoretischenSchlussfolgerungen

Das Hauptproblem

bull Der Wandel des wissenschaftlichen Weltbilds ist nach Kuhn nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren Es gibt keinen Erkenntnis-fortschritt nur eine neue Sicht der Dinge

bull Die Wissenschaftstheorie (Poppers Logik der Forschung) muumlsste nach Kuhn durch wissenschaftshistorische und ndashsoziologische Betrachtungen ersetzt werden

bull Kuhns Theorie laumlszligt wichtige Fragen offen (siehe naumlchste Folie)

Offene Fragen

bdquoInsbesondere liefert Kuhn keine plausible oder befriedigende Erklaumlrung fuumlr die Verdraumlngung eines etablierten Paradigmas und den bdquoSiegldquo des neuen Paradigmas uumlber seinen Vorgaumlnger Nach Kuhns Auffassung ist der Konflikt zwischen zwei rivalisierenden Paradigmen bdquoniemals durch Logik und Experiment alleineldquo zu entscheiden Das wuumlrde jedoch bedeuten daszlig der Theorienwandel in der Wissenschaft nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren ist sondern nur durch Rekurs auf wissenschaftshistorische oder -soziologische Phaumlnomene Aber was koumlnnten dann die Ursachen dafuumlr sein daszlig ein einmal etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie vollstaumlndig verdraumlngt und ersetzt werden kann Kuhns Hinweis darauf daszlig die Vertreter des alten Paradigmas im Lauf der Zeit einfach bdquoaussterbenldquo ist sicherlich zu einfach Warum gelingt es den Anhaumlngern des alten Paradigmas nicht neue Anhaumlnger unter dem wissenschaftlichen Nachwuchs zu rekrutieren Warum sollte nicht die Entstehung von neuen Theorien im Lauf der Zeit zu einer Pluralitaumlt von konkurrierenden Paradigmen oder Theorien fuumlhren von denen jede eine gewisse Anzahl von bdquoAnhaumlngernldquo um sich scharen kann Warum sind heute praktisch alle Physiker davon uumlberzeugt daszlig Einsteins Relativitaumlts-theorie eine bessere Beschreibung und Erklaumlrung der physikalischen Phaumlnomene liefert als die Newtonsche MechanikWarum glaubt heute niemand mehr an das geozentrische Weltbild eines Aristoteles oder Kopernikus Warum hat Darwins Evolutionstheorie alle biologischen Theorien die von einer Konstanz der Arten ausgehen erfolgreich verdraumlngen koumlnnen ldquo

(B Lauth J Sareiter Wissenschaftliche Erkenntnis S 135)

Literaturtipp

bull Bernhard Lauth J Sareiter Wissenschaft-liche Erkenntnis Eine ideengeschichtliche Einfuumlhrung in die Wissenschaftstheorie Paderborn Mentis-Verlag 2002

Methodische FolgerungenKuhn versus Popper

bdquoWenn eine wissenschaftliche Theorie einmal den Status eines Paradigmas erlangt hat wird sie nur dann fuumlr unguumlltig erklaumlrt wenn ein anderer Kandidat vorhanden ist der ihren Platz einnehmen kann Kein bisher durch das Studium der wissenschaftlichen Entwicklung aufgedeckter Prozeszlig hat irgendeine Aumlhnlichkeit mit der methodologischen Schablone der Falsifikation durch unmittelbaren Vergleich mit der Naturldquo (90)

bdquoZweifellos ist die der Falsifikation zugesprochene Rolle derjenigen sehr aumlhnlich welche dieser Essay den anomalen Erfahrungen beimiszligt also jenen Erfahrungen die eine Krise hervorrufen und dadurch den Weg fuumlr eine neue Theorie bereiten Trotzdem duumlrfen anomale Erfahrungen nicht mit falsifizierenden gleichgestellt werden Ich glaube sogar daszlig es letztere uumlberhaupt nicht gibtldquo (157)

Eine Gegenposition hat Imre Lakatos vertreten In seinem Essay uumlber die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme zeigt Lakatos dass die von Kuhn diagnostizierten Phaumlnomene auch im Rahmen der falsifikationistischen Methodik erklaumlrbar sind

Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos

Imre Lakatos (1922-1974) kritisierte einmal das Poppersche Falsifizierungspostulat Wissen-schaftler neigen eher dazu ihre Theorien zu verteidigen als sie zu widerlegen

Lakatos hielt aber auch Kuhns Theorie der wissenschaftlichen Revolutionen fuumlr irreal und verstand Wissenschaft als ein Nebeneinander konkurrierender Forschungsprogramme

Ein alternatives Modell deswissenschaftlichen Fortschritts

In bdquoKritik und Erkenntnisfortschrittldquo entwickelt Imre Lakatos ein Alternativmodell des wissenschaftlichen Fortschritts Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen bdquoTheoriekernldquo und bdquoZusatzhypothesenldquo

bull Die meisten wissenschaftlichen Theorien fuumlhren erst in Verbindung mit geeigneten Zusatzhypothesen zu empirisch nachpruumlfbaren Vorhersagen

bull Widerspruumlche zwischen Theorie und Experiment fuumlhren daher nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der Theorie sondern koumlnnen auch durch Korrektur der Zusatzhyothesen aufgeloumlst werden

Ein modifiziertes Modell der empirischen Uumlberpruumlfungvon wissenschaftlichen Theorien

Wissenschaftliche Theorien (bdquoParadigmenldquo)

Zusatzhypothesen

Empirisch nachpruumlfbare Vorhersagen

Vergleich mit Beobachtung Messung

Experiment

Vorlaumlufige Bestaumltigung der Theorie

Revision der Theorie

Revision der Zusatzhypothesen

Wissenschaftliche Revolution

Signifikante Abweichungen (bdquoAnomalienldquo)Keine signifikanten Abweichungen

plus

Quelle Lauth III Teil Wissenschaftlicher Fortschritt und derWandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Erkenntnisfortschritt

Eine neue Theorie Tacute die ein etabliertes Paradigma T verdraumlngen soll muss nach Lakatos zwei Bedingungen erfuumlllen

bull Die neue Theorie muss die Erfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die alte Theorie zu korrekten Vorhersagen fuumlhrt muss Tacute dieselben Vorhersagen machen

bull Die neue Theorie muss die Misserfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die neue Theorie zu abweichenden Vorhersagen fuumlhrt bestaumltigen Beobachtungen und Messungen die abweichenden Vorhersagen

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersicht

VSteenblock Imre Lakatos in JNida-Ruumlmelin (Hrsg) Philosophie der Gegenwartin Einzeldarstellungenhellip 2AuflStuttgart Kroumlner 1999 S 400ff

Auch zu Kuhn Feyerabend usw

Werner Diederich (Hrsg) Theorien der Wissenschafts-geschichte Beitraumlge zur diachronen Wissenschafts- theorie FrankfurtMain Suhrkamp 1974

Literaturtipp

Thanx for your attentionhellip

  • Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes
  • Sir Karl Popper (1902-1994) und die Logik der Forschung
  • Thomas Kuhns Modell der Entwicklung von Wissenschaft(en)
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  • Folie 5
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  • Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)
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  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)
  • Merkmale von Paradigmen
  • Literaturtipp
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  • Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos
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Wissenschaftliche Revolutionen (2)

bull Bei einer wissenschaftlichen Revolution wird ein etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie ersetzt

bull Verschiedene Paradigmen sind nach Kuhn bdquoinkommensurabelldquo dh es gibt keine objektiven Kriterien die eine Entscheidung fuumlr das eine oder andere Paradigma begruumlnden koumlnnten

Begruumlndung Vertreter unterschiedlicher Paradigmen sprechen verschiedene Sprachen gehen von unterschiedlichen theoretischen Annahmen und methodologischen Regeln aus

bdquoWenn Paradigmata in eine Diskussion uumlber die Wahl von Paradigmata eingehen ndash und sie muumlssen es ja - dann ist ihre Rolle notwendigerweise zirkulaumlr Jede Gruppe verwendet ihr eigenes Paradigma zur Verteidigung eben dieses Paradigmasldquo (106) Die zentrale Konsequenz aus dieser Feststellung ist daszlig Konflikte zwischen konkurrierenden Theorien bdquoniemals durch Logik und Experiment allein eindeutig entschieden werdenldquo koumlnnen (107)

Struktur der Wissenschaftlichen Revolution

Vorparadigmatische PhaseNebeneinanderstehende lose definierte miteinander kon-

kurrierende Ansaumltze ohne Dominanz eines einzelnen Paradigmas

Paradigmatische PhaseDurchsetzung eines Ansatzes Ausgrenzung konkurrierender

Ansaumltze herrschendes Paradigma wird Bezugsrahmen fuumlr Forschung eines Fachs normgebend Phase kumulativer normalwissenschaftlicher Forschung

Kritische PhaseErschoumlpfung des dominierenden Paradigmas Haumlufung von Fehl-

schlaumlgen und Anomalien lassen Zweifel an Erklaumlrungskraft des Paradigma entstehen

Revolutionaumlre PhaseBreiter Aufstand gegen herrschendes Paradigma Suchen neuer

Wege Widerstand der Vertreter des alten Paradigmas Neue Paradigmatische PhaseWeder Verifikation noch Falsifikation sondern DimensionssprungWettstreit der Paradigmata wird nicht durch Beweise entschieden

sondern mittels Durchsetzungskraft

VORPARADIGMATISCHE PHASE

ENTSTEHUNG EINES NEUEN PARADIGMAS

bdquoNORMALE WISSENSCHAFTldquo

HAumlUFUNG VON ANOMALIEN

KRISE DER NORMALEN WISSENSCHAFT

WISSENSCHAFTLICHE REVOLUTION

Kuhn ndash Wissenschaftliche Revolutionen

Quelle LauthSareiter Wissenschaftliche Erkenntnis Paderborn 2002 S 123

Probleme von Kuhns Modell

Bei der Beurteilung von Kuhns Theorien ist zu unterscheiden zwischen wissenschaftshistorischen Fakten und wissenschaftstheoretischenSchlussfolgerungen

Das Hauptproblem

bull Der Wandel des wissenschaftlichen Weltbilds ist nach Kuhn nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren Es gibt keinen Erkenntnis-fortschritt nur eine neue Sicht der Dinge

bull Die Wissenschaftstheorie (Poppers Logik der Forschung) muumlsste nach Kuhn durch wissenschaftshistorische und ndashsoziologische Betrachtungen ersetzt werden

bull Kuhns Theorie laumlszligt wichtige Fragen offen (siehe naumlchste Folie)

Offene Fragen

bdquoInsbesondere liefert Kuhn keine plausible oder befriedigende Erklaumlrung fuumlr die Verdraumlngung eines etablierten Paradigmas und den bdquoSiegldquo des neuen Paradigmas uumlber seinen Vorgaumlnger Nach Kuhns Auffassung ist der Konflikt zwischen zwei rivalisierenden Paradigmen bdquoniemals durch Logik und Experiment alleineldquo zu entscheiden Das wuumlrde jedoch bedeuten daszlig der Theorienwandel in der Wissenschaft nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren ist sondern nur durch Rekurs auf wissenschaftshistorische oder -soziologische Phaumlnomene Aber was koumlnnten dann die Ursachen dafuumlr sein daszlig ein einmal etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie vollstaumlndig verdraumlngt und ersetzt werden kann Kuhns Hinweis darauf daszlig die Vertreter des alten Paradigmas im Lauf der Zeit einfach bdquoaussterbenldquo ist sicherlich zu einfach Warum gelingt es den Anhaumlngern des alten Paradigmas nicht neue Anhaumlnger unter dem wissenschaftlichen Nachwuchs zu rekrutieren Warum sollte nicht die Entstehung von neuen Theorien im Lauf der Zeit zu einer Pluralitaumlt von konkurrierenden Paradigmen oder Theorien fuumlhren von denen jede eine gewisse Anzahl von bdquoAnhaumlngernldquo um sich scharen kann Warum sind heute praktisch alle Physiker davon uumlberzeugt daszlig Einsteins Relativitaumlts-theorie eine bessere Beschreibung und Erklaumlrung der physikalischen Phaumlnomene liefert als die Newtonsche MechanikWarum glaubt heute niemand mehr an das geozentrische Weltbild eines Aristoteles oder Kopernikus Warum hat Darwins Evolutionstheorie alle biologischen Theorien die von einer Konstanz der Arten ausgehen erfolgreich verdraumlngen koumlnnen ldquo

(B Lauth J Sareiter Wissenschaftliche Erkenntnis S 135)

Literaturtipp

bull Bernhard Lauth J Sareiter Wissenschaft-liche Erkenntnis Eine ideengeschichtliche Einfuumlhrung in die Wissenschaftstheorie Paderborn Mentis-Verlag 2002

Methodische FolgerungenKuhn versus Popper

bdquoWenn eine wissenschaftliche Theorie einmal den Status eines Paradigmas erlangt hat wird sie nur dann fuumlr unguumlltig erklaumlrt wenn ein anderer Kandidat vorhanden ist der ihren Platz einnehmen kann Kein bisher durch das Studium der wissenschaftlichen Entwicklung aufgedeckter Prozeszlig hat irgendeine Aumlhnlichkeit mit der methodologischen Schablone der Falsifikation durch unmittelbaren Vergleich mit der Naturldquo (90)

bdquoZweifellos ist die der Falsifikation zugesprochene Rolle derjenigen sehr aumlhnlich welche dieser Essay den anomalen Erfahrungen beimiszligt also jenen Erfahrungen die eine Krise hervorrufen und dadurch den Weg fuumlr eine neue Theorie bereiten Trotzdem duumlrfen anomale Erfahrungen nicht mit falsifizierenden gleichgestellt werden Ich glaube sogar daszlig es letztere uumlberhaupt nicht gibtldquo (157)

Eine Gegenposition hat Imre Lakatos vertreten In seinem Essay uumlber die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme zeigt Lakatos dass die von Kuhn diagnostizierten Phaumlnomene auch im Rahmen der falsifikationistischen Methodik erklaumlrbar sind

Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos

Imre Lakatos (1922-1974) kritisierte einmal das Poppersche Falsifizierungspostulat Wissen-schaftler neigen eher dazu ihre Theorien zu verteidigen als sie zu widerlegen

Lakatos hielt aber auch Kuhns Theorie der wissenschaftlichen Revolutionen fuumlr irreal und verstand Wissenschaft als ein Nebeneinander konkurrierender Forschungsprogramme

Ein alternatives Modell deswissenschaftlichen Fortschritts

In bdquoKritik und Erkenntnisfortschrittldquo entwickelt Imre Lakatos ein Alternativmodell des wissenschaftlichen Fortschritts Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen bdquoTheoriekernldquo und bdquoZusatzhypothesenldquo

bull Die meisten wissenschaftlichen Theorien fuumlhren erst in Verbindung mit geeigneten Zusatzhypothesen zu empirisch nachpruumlfbaren Vorhersagen

bull Widerspruumlche zwischen Theorie und Experiment fuumlhren daher nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der Theorie sondern koumlnnen auch durch Korrektur der Zusatzhyothesen aufgeloumlst werden

Ein modifiziertes Modell der empirischen Uumlberpruumlfungvon wissenschaftlichen Theorien

Wissenschaftliche Theorien (bdquoParadigmenldquo)

Zusatzhypothesen

Empirisch nachpruumlfbare Vorhersagen

Vergleich mit Beobachtung Messung

Experiment

Vorlaumlufige Bestaumltigung der Theorie

Revision der Theorie

Revision der Zusatzhypothesen

Wissenschaftliche Revolution

Signifikante Abweichungen (bdquoAnomalienldquo)Keine signifikanten Abweichungen

plus

Quelle Lauth III Teil Wissenschaftlicher Fortschritt und derWandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Erkenntnisfortschritt

Eine neue Theorie Tacute die ein etabliertes Paradigma T verdraumlngen soll muss nach Lakatos zwei Bedingungen erfuumlllen

bull Die neue Theorie muss die Erfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die alte Theorie zu korrekten Vorhersagen fuumlhrt muss Tacute dieselben Vorhersagen machen

bull Die neue Theorie muss die Misserfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die neue Theorie zu abweichenden Vorhersagen fuumlhrt bestaumltigen Beobachtungen und Messungen die abweichenden Vorhersagen

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersicht

VSteenblock Imre Lakatos in JNida-Ruumlmelin (Hrsg) Philosophie der Gegenwartin Einzeldarstellungenhellip 2AuflStuttgart Kroumlner 1999 S 400ff

Auch zu Kuhn Feyerabend usw

Werner Diederich (Hrsg) Theorien der Wissenschafts-geschichte Beitraumlge zur diachronen Wissenschafts- theorie FrankfurtMain Suhrkamp 1974

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  • Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes
  • Sir Karl Popper (1902-1994) und die Logik der Forschung
  • Thomas Kuhns Modell der Entwicklung von Wissenschaft(en)
  • Folie 4
  • Folie 5
  • Folie 6
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  • Folie 8
  • Folie 9
  • Folie 10
  • Folie 11
  • Folie 12
  • Folie 13
  • Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)
  • Folie 16
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)
  • Merkmale von Paradigmen
  • Literaturtipp
  • Folie 20
  • Folie 21
  • Folie 22
  • Folie 23
  • Folie 24
  • Struktur der Wissenschaftlichen Revolution
  • Folie 26
  • Folie 27
  • Folie 28
  • Slide 29
  • Folie 30
  • Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos
  • Folie 32
  • Folie 33
  • Folie 34
  • Slide 35
  • Slide 36
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Page 25: Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes ? Zur historischen Genese von (Teil-)Wissenschaft.

Struktur der Wissenschaftlichen Revolution

Vorparadigmatische PhaseNebeneinanderstehende lose definierte miteinander kon-

kurrierende Ansaumltze ohne Dominanz eines einzelnen Paradigmas

Paradigmatische PhaseDurchsetzung eines Ansatzes Ausgrenzung konkurrierender

Ansaumltze herrschendes Paradigma wird Bezugsrahmen fuumlr Forschung eines Fachs normgebend Phase kumulativer normalwissenschaftlicher Forschung

Kritische PhaseErschoumlpfung des dominierenden Paradigmas Haumlufung von Fehl-

schlaumlgen und Anomalien lassen Zweifel an Erklaumlrungskraft des Paradigma entstehen

Revolutionaumlre PhaseBreiter Aufstand gegen herrschendes Paradigma Suchen neuer

Wege Widerstand der Vertreter des alten Paradigmas Neue Paradigmatische PhaseWeder Verifikation noch Falsifikation sondern DimensionssprungWettstreit der Paradigmata wird nicht durch Beweise entschieden

sondern mittels Durchsetzungskraft

VORPARADIGMATISCHE PHASE

ENTSTEHUNG EINES NEUEN PARADIGMAS

bdquoNORMALE WISSENSCHAFTldquo

HAumlUFUNG VON ANOMALIEN

KRISE DER NORMALEN WISSENSCHAFT

WISSENSCHAFTLICHE REVOLUTION

Kuhn ndash Wissenschaftliche Revolutionen

Quelle LauthSareiter Wissenschaftliche Erkenntnis Paderborn 2002 S 123

Probleme von Kuhns Modell

Bei der Beurteilung von Kuhns Theorien ist zu unterscheiden zwischen wissenschaftshistorischen Fakten und wissenschaftstheoretischenSchlussfolgerungen

Das Hauptproblem

bull Der Wandel des wissenschaftlichen Weltbilds ist nach Kuhn nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren Es gibt keinen Erkenntnis-fortschritt nur eine neue Sicht der Dinge

bull Die Wissenschaftstheorie (Poppers Logik der Forschung) muumlsste nach Kuhn durch wissenschaftshistorische und ndashsoziologische Betrachtungen ersetzt werden

bull Kuhns Theorie laumlszligt wichtige Fragen offen (siehe naumlchste Folie)

Offene Fragen

bdquoInsbesondere liefert Kuhn keine plausible oder befriedigende Erklaumlrung fuumlr die Verdraumlngung eines etablierten Paradigmas und den bdquoSiegldquo des neuen Paradigmas uumlber seinen Vorgaumlnger Nach Kuhns Auffassung ist der Konflikt zwischen zwei rivalisierenden Paradigmen bdquoniemals durch Logik und Experiment alleineldquo zu entscheiden Das wuumlrde jedoch bedeuten daszlig der Theorienwandel in der Wissenschaft nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren ist sondern nur durch Rekurs auf wissenschaftshistorische oder -soziologische Phaumlnomene Aber was koumlnnten dann die Ursachen dafuumlr sein daszlig ein einmal etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie vollstaumlndig verdraumlngt und ersetzt werden kann Kuhns Hinweis darauf daszlig die Vertreter des alten Paradigmas im Lauf der Zeit einfach bdquoaussterbenldquo ist sicherlich zu einfach Warum gelingt es den Anhaumlngern des alten Paradigmas nicht neue Anhaumlnger unter dem wissenschaftlichen Nachwuchs zu rekrutieren Warum sollte nicht die Entstehung von neuen Theorien im Lauf der Zeit zu einer Pluralitaumlt von konkurrierenden Paradigmen oder Theorien fuumlhren von denen jede eine gewisse Anzahl von bdquoAnhaumlngernldquo um sich scharen kann Warum sind heute praktisch alle Physiker davon uumlberzeugt daszlig Einsteins Relativitaumlts-theorie eine bessere Beschreibung und Erklaumlrung der physikalischen Phaumlnomene liefert als die Newtonsche MechanikWarum glaubt heute niemand mehr an das geozentrische Weltbild eines Aristoteles oder Kopernikus Warum hat Darwins Evolutionstheorie alle biologischen Theorien die von einer Konstanz der Arten ausgehen erfolgreich verdraumlngen koumlnnen ldquo

(B Lauth J Sareiter Wissenschaftliche Erkenntnis S 135)

Literaturtipp

bull Bernhard Lauth J Sareiter Wissenschaft-liche Erkenntnis Eine ideengeschichtliche Einfuumlhrung in die Wissenschaftstheorie Paderborn Mentis-Verlag 2002

Methodische FolgerungenKuhn versus Popper

bdquoWenn eine wissenschaftliche Theorie einmal den Status eines Paradigmas erlangt hat wird sie nur dann fuumlr unguumlltig erklaumlrt wenn ein anderer Kandidat vorhanden ist der ihren Platz einnehmen kann Kein bisher durch das Studium der wissenschaftlichen Entwicklung aufgedeckter Prozeszlig hat irgendeine Aumlhnlichkeit mit der methodologischen Schablone der Falsifikation durch unmittelbaren Vergleich mit der Naturldquo (90)

bdquoZweifellos ist die der Falsifikation zugesprochene Rolle derjenigen sehr aumlhnlich welche dieser Essay den anomalen Erfahrungen beimiszligt also jenen Erfahrungen die eine Krise hervorrufen und dadurch den Weg fuumlr eine neue Theorie bereiten Trotzdem duumlrfen anomale Erfahrungen nicht mit falsifizierenden gleichgestellt werden Ich glaube sogar daszlig es letztere uumlberhaupt nicht gibtldquo (157)

Eine Gegenposition hat Imre Lakatos vertreten In seinem Essay uumlber die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme zeigt Lakatos dass die von Kuhn diagnostizierten Phaumlnomene auch im Rahmen der falsifikationistischen Methodik erklaumlrbar sind

Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos

Imre Lakatos (1922-1974) kritisierte einmal das Poppersche Falsifizierungspostulat Wissen-schaftler neigen eher dazu ihre Theorien zu verteidigen als sie zu widerlegen

Lakatos hielt aber auch Kuhns Theorie der wissenschaftlichen Revolutionen fuumlr irreal und verstand Wissenschaft als ein Nebeneinander konkurrierender Forschungsprogramme

Ein alternatives Modell deswissenschaftlichen Fortschritts

In bdquoKritik und Erkenntnisfortschrittldquo entwickelt Imre Lakatos ein Alternativmodell des wissenschaftlichen Fortschritts Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen bdquoTheoriekernldquo und bdquoZusatzhypothesenldquo

bull Die meisten wissenschaftlichen Theorien fuumlhren erst in Verbindung mit geeigneten Zusatzhypothesen zu empirisch nachpruumlfbaren Vorhersagen

bull Widerspruumlche zwischen Theorie und Experiment fuumlhren daher nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der Theorie sondern koumlnnen auch durch Korrektur der Zusatzhyothesen aufgeloumlst werden

Ein modifiziertes Modell der empirischen Uumlberpruumlfungvon wissenschaftlichen Theorien

Wissenschaftliche Theorien (bdquoParadigmenldquo)

Zusatzhypothesen

Empirisch nachpruumlfbare Vorhersagen

Vergleich mit Beobachtung Messung

Experiment

Vorlaumlufige Bestaumltigung der Theorie

Revision der Theorie

Revision der Zusatzhypothesen

Wissenschaftliche Revolution

Signifikante Abweichungen (bdquoAnomalienldquo)Keine signifikanten Abweichungen

plus

Quelle Lauth III Teil Wissenschaftlicher Fortschritt und derWandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Erkenntnisfortschritt

Eine neue Theorie Tacute die ein etabliertes Paradigma T verdraumlngen soll muss nach Lakatos zwei Bedingungen erfuumlllen

bull Die neue Theorie muss die Erfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die alte Theorie zu korrekten Vorhersagen fuumlhrt muss Tacute dieselben Vorhersagen machen

bull Die neue Theorie muss die Misserfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die neue Theorie zu abweichenden Vorhersagen fuumlhrt bestaumltigen Beobachtungen und Messungen die abweichenden Vorhersagen

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersicht

VSteenblock Imre Lakatos in JNida-Ruumlmelin (Hrsg) Philosophie der Gegenwartin Einzeldarstellungenhellip 2AuflStuttgart Kroumlner 1999 S 400ff

Auch zu Kuhn Feyerabend usw

Werner Diederich (Hrsg) Theorien der Wissenschafts-geschichte Beitraumlge zur diachronen Wissenschafts- theorie FrankfurtMain Suhrkamp 1974

Literaturtipp

Thanx for your attentionhellip

  • Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes
  • Sir Karl Popper (1902-1994) und die Logik der Forschung
  • Thomas Kuhns Modell der Entwicklung von Wissenschaft(en)
  • Folie 4
  • Folie 5
  • Folie 6
  • Folie 7
  • Folie 8
  • Folie 9
  • Folie 10
  • Folie 11
  • Folie 12
  • Folie 13
  • Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)
  • Folie 16
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)
  • Merkmale von Paradigmen
  • Literaturtipp
  • Folie 20
  • Folie 21
  • Folie 22
  • Folie 23
  • Folie 24
  • Struktur der Wissenschaftlichen Revolution
  • Folie 26
  • Folie 27
  • Folie 28
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  • Folie 30
  • Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos
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VORPARADIGMATISCHE PHASE

ENTSTEHUNG EINES NEUEN PARADIGMAS

bdquoNORMALE WISSENSCHAFTldquo

HAumlUFUNG VON ANOMALIEN

KRISE DER NORMALEN WISSENSCHAFT

WISSENSCHAFTLICHE REVOLUTION

Kuhn ndash Wissenschaftliche Revolutionen

Quelle LauthSareiter Wissenschaftliche Erkenntnis Paderborn 2002 S 123

Probleme von Kuhns Modell

Bei der Beurteilung von Kuhns Theorien ist zu unterscheiden zwischen wissenschaftshistorischen Fakten und wissenschaftstheoretischenSchlussfolgerungen

Das Hauptproblem

bull Der Wandel des wissenschaftlichen Weltbilds ist nach Kuhn nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren Es gibt keinen Erkenntnis-fortschritt nur eine neue Sicht der Dinge

bull Die Wissenschaftstheorie (Poppers Logik der Forschung) muumlsste nach Kuhn durch wissenschaftshistorische und ndashsoziologische Betrachtungen ersetzt werden

bull Kuhns Theorie laumlszligt wichtige Fragen offen (siehe naumlchste Folie)

Offene Fragen

bdquoInsbesondere liefert Kuhn keine plausible oder befriedigende Erklaumlrung fuumlr die Verdraumlngung eines etablierten Paradigmas und den bdquoSiegldquo des neuen Paradigmas uumlber seinen Vorgaumlnger Nach Kuhns Auffassung ist der Konflikt zwischen zwei rivalisierenden Paradigmen bdquoniemals durch Logik und Experiment alleineldquo zu entscheiden Das wuumlrde jedoch bedeuten daszlig der Theorienwandel in der Wissenschaft nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren ist sondern nur durch Rekurs auf wissenschaftshistorische oder -soziologische Phaumlnomene Aber was koumlnnten dann die Ursachen dafuumlr sein daszlig ein einmal etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie vollstaumlndig verdraumlngt und ersetzt werden kann Kuhns Hinweis darauf daszlig die Vertreter des alten Paradigmas im Lauf der Zeit einfach bdquoaussterbenldquo ist sicherlich zu einfach Warum gelingt es den Anhaumlngern des alten Paradigmas nicht neue Anhaumlnger unter dem wissenschaftlichen Nachwuchs zu rekrutieren Warum sollte nicht die Entstehung von neuen Theorien im Lauf der Zeit zu einer Pluralitaumlt von konkurrierenden Paradigmen oder Theorien fuumlhren von denen jede eine gewisse Anzahl von bdquoAnhaumlngernldquo um sich scharen kann Warum sind heute praktisch alle Physiker davon uumlberzeugt daszlig Einsteins Relativitaumlts-theorie eine bessere Beschreibung und Erklaumlrung der physikalischen Phaumlnomene liefert als die Newtonsche MechanikWarum glaubt heute niemand mehr an das geozentrische Weltbild eines Aristoteles oder Kopernikus Warum hat Darwins Evolutionstheorie alle biologischen Theorien die von einer Konstanz der Arten ausgehen erfolgreich verdraumlngen koumlnnen ldquo

(B Lauth J Sareiter Wissenschaftliche Erkenntnis S 135)

Literaturtipp

bull Bernhard Lauth J Sareiter Wissenschaft-liche Erkenntnis Eine ideengeschichtliche Einfuumlhrung in die Wissenschaftstheorie Paderborn Mentis-Verlag 2002

Methodische FolgerungenKuhn versus Popper

bdquoWenn eine wissenschaftliche Theorie einmal den Status eines Paradigmas erlangt hat wird sie nur dann fuumlr unguumlltig erklaumlrt wenn ein anderer Kandidat vorhanden ist der ihren Platz einnehmen kann Kein bisher durch das Studium der wissenschaftlichen Entwicklung aufgedeckter Prozeszlig hat irgendeine Aumlhnlichkeit mit der methodologischen Schablone der Falsifikation durch unmittelbaren Vergleich mit der Naturldquo (90)

bdquoZweifellos ist die der Falsifikation zugesprochene Rolle derjenigen sehr aumlhnlich welche dieser Essay den anomalen Erfahrungen beimiszligt also jenen Erfahrungen die eine Krise hervorrufen und dadurch den Weg fuumlr eine neue Theorie bereiten Trotzdem duumlrfen anomale Erfahrungen nicht mit falsifizierenden gleichgestellt werden Ich glaube sogar daszlig es letztere uumlberhaupt nicht gibtldquo (157)

Eine Gegenposition hat Imre Lakatos vertreten In seinem Essay uumlber die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme zeigt Lakatos dass die von Kuhn diagnostizierten Phaumlnomene auch im Rahmen der falsifikationistischen Methodik erklaumlrbar sind

Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos

Imre Lakatos (1922-1974) kritisierte einmal das Poppersche Falsifizierungspostulat Wissen-schaftler neigen eher dazu ihre Theorien zu verteidigen als sie zu widerlegen

Lakatos hielt aber auch Kuhns Theorie der wissenschaftlichen Revolutionen fuumlr irreal und verstand Wissenschaft als ein Nebeneinander konkurrierender Forschungsprogramme

Ein alternatives Modell deswissenschaftlichen Fortschritts

In bdquoKritik und Erkenntnisfortschrittldquo entwickelt Imre Lakatos ein Alternativmodell des wissenschaftlichen Fortschritts Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen bdquoTheoriekernldquo und bdquoZusatzhypothesenldquo

bull Die meisten wissenschaftlichen Theorien fuumlhren erst in Verbindung mit geeigneten Zusatzhypothesen zu empirisch nachpruumlfbaren Vorhersagen

bull Widerspruumlche zwischen Theorie und Experiment fuumlhren daher nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der Theorie sondern koumlnnen auch durch Korrektur der Zusatzhyothesen aufgeloumlst werden

Ein modifiziertes Modell der empirischen Uumlberpruumlfungvon wissenschaftlichen Theorien

Wissenschaftliche Theorien (bdquoParadigmenldquo)

Zusatzhypothesen

Empirisch nachpruumlfbare Vorhersagen

Vergleich mit Beobachtung Messung

Experiment

Vorlaumlufige Bestaumltigung der Theorie

Revision der Theorie

Revision der Zusatzhypothesen

Wissenschaftliche Revolution

Signifikante Abweichungen (bdquoAnomalienldquo)Keine signifikanten Abweichungen

plus

Quelle Lauth III Teil Wissenschaftlicher Fortschritt und derWandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Erkenntnisfortschritt

Eine neue Theorie Tacute die ein etabliertes Paradigma T verdraumlngen soll muss nach Lakatos zwei Bedingungen erfuumlllen

bull Die neue Theorie muss die Erfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die alte Theorie zu korrekten Vorhersagen fuumlhrt muss Tacute dieselben Vorhersagen machen

bull Die neue Theorie muss die Misserfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die neue Theorie zu abweichenden Vorhersagen fuumlhrt bestaumltigen Beobachtungen und Messungen die abweichenden Vorhersagen

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersicht

VSteenblock Imre Lakatos in JNida-Ruumlmelin (Hrsg) Philosophie der Gegenwartin Einzeldarstellungenhellip 2AuflStuttgart Kroumlner 1999 S 400ff

Auch zu Kuhn Feyerabend usw

Werner Diederich (Hrsg) Theorien der Wissenschafts-geschichte Beitraumlge zur diachronen Wissenschafts- theorie FrankfurtMain Suhrkamp 1974

Literaturtipp

Thanx for your attentionhellip

  • Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes
  • Sir Karl Popper (1902-1994) und die Logik der Forschung
  • Thomas Kuhns Modell der Entwicklung von Wissenschaft(en)
  • Folie 4
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  • Folie 6
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  • Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)
  • Folie 16
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)
  • Merkmale von Paradigmen
  • Literaturtipp
  • Folie 20
  • Folie 21
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  • Struktur der Wissenschaftlichen Revolution
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  • Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos
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Probleme von Kuhns Modell

Bei der Beurteilung von Kuhns Theorien ist zu unterscheiden zwischen wissenschaftshistorischen Fakten und wissenschaftstheoretischenSchlussfolgerungen

Das Hauptproblem

bull Der Wandel des wissenschaftlichen Weltbilds ist nach Kuhn nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren Es gibt keinen Erkenntnis-fortschritt nur eine neue Sicht der Dinge

bull Die Wissenschaftstheorie (Poppers Logik der Forschung) muumlsste nach Kuhn durch wissenschaftshistorische und ndashsoziologische Betrachtungen ersetzt werden

bull Kuhns Theorie laumlszligt wichtige Fragen offen (siehe naumlchste Folie)

Offene Fragen

bdquoInsbesondere liefert Kuhn keine plausible oder befriedigende Erklaumlrung fuumlr die Verdraumlngung eines etablierten Paradigmas und den bdquoSiegldquo des neuen Paradigmas uumlber seinen Vorgaumlnger Nach Kuhns Auffassung ist der Konflikt zwischen zwei rivalisierenden Paradigmen bdquoniemals durch Logik und Experiment alleineldquo zu entscheiden Das wuumlrde jedoch bedeuten daszlig der Theorienwandel in der Wissenschaft nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren ist sondern nur durch Rekurs auf wissenschaftshistorische oder -soziologische Phaumlnomene Aber was koumlnnten dann die Ursachen dafuumlr sein daszlig ein einmal etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie vollstaumlndig verdraumlngt und ersetzt werden kann Kuhns Hinweis darauf daszlig die Vertreter des alten Paradigmas im Lauf der Zeit einfach bdquoaussterbenldquo ist sicherlich zu einfach Warum gelingt es den Anhaumlngern des alten Paradigmas nicht neue Anhaumlnger unter dem wissenschaftlichen Nachwuchs zu rekrutieren Warum sollte nicht die Entstehung von neuen Theorien im Lauf der Zeit zu einer Pluralitaumlt von konkurrierenden Paradigmen oder Theorien fuumlhren von denen jede eine gewisse Anzahl von bdquoAnhaumlngernldquo um sich scharen kann Warum sind heute praktisch alle Physiker davon uumlberzeugt daszlig Einsteins Relativitaumlts-theorie eine bessere Beschreibung und Erklaumlrung der physikalischen Phaumlnomene liefert als die Newtonsche MechanikWarum glaubt heute niemand mehr an das geozentrische Weltbild eines Aristoteles oder Kopernikus Warum hat Darwins Evolutionstheorie alle biologischen Theorien die von einer Konstanz der Arten ausgehen erfolgreich verdraumlngen koumlnnen ldquo

(B Lauth J Sareiter Wissenschaftliche Erkenntnis S 135)

Literaturtipp

bull Bernhard Lauth J Sareiter Wissenschaft-liche Erkenntnis Eine ideengeschichtliche Einfuumlhrung in die Wissenschaftstheorie Paderborn Mentis-Verlag 2002

Methodische FolgerungenKuhn versus Popper

bdquoWenn eine wissenschaftliche Theorie einmal den Status eines Paradigmas erlangt hat wird sie nur dann fuumlr unguumlltig erklaumlrt wenn ein anderer Kandidat vorhanden ist der ihren Platz einnehmen kann Kein bisher durch das Studium der wissenschaftlichen Entwicklung aufgedeckter Prozeszlig hat irgendeine Aumlhnlichkeit mit der methodologischen Schablone der Falsifikation durch unmittelbaren Vergleich mit der Naturldquo (90)

bdquoZweifellos ist die der Falsifikation zugesprochene Rolle derjenigen sehr aumlhnlich welche dieser Essay den anomalen Erfahrungen beimiszligt also jenen Erfahrungen die eine Krise hervorrufen und dadurch den Weg fuumlr eine neue Theorie bereiten Trotzdem duumlrfen anomale Erfahrungen nicht mit falsifizierenden gleichgestellt werden Ich glaube sogar daszlig es letztere uumlberhaupt nicht gibtldquo (157)

Eine Gegenposition hat Imre Lakatos vertreten In seinem Essay uumlber die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme zeigt Lakatos dass die von Kuhn diagnostizierten Phaumlnomene auch im Rahmen der falsifikationistischen Methodik erklaumlrbar sind

Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos

Imre Lakatos (1922-1974) kritisierte einmal das Poppersche Falsifizierungspostulat Wissen-schaftler neigen eher dazu ihre Theorien zu verteidigen als sie zu widerlegen

Lakatos hielt aber auch Kuhns Theorie der wissenschaftlichen Revolutionen fuumlr irreal und verstand Wissenschaft als ein Nebeneinander konkurrierender Forschungsprogramme

Ein alternatives Modell deswissenschaftlichen Fortschritts

In bdquoKritik und Erkenntnisfortschrittldquo entwickelt Imre Lakatos ein Alternativmodell des wissenschaftlichen Fortschritts Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen bdquoTheoriekernldquo und bdquoZusatzhypothesenldquo

bull Die meisten wissenschaftlichen Theorien fuumlhren erst in Verbindung mit geeigneten Zusatzhypothesen zu empirisch nachpruumlfbaren Vorhersagen

bull Widerspruumlche zwischen Theorie und Experiment fuumlhren daher nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der Theorie sondern koumlnnen auch durch Korrektur der Zusatzhyothesen aufgeloumlst werden

Ein modifiziertes Modell der empirischen Uumlberpruumlfungvon wissenschaftlichen Theorien

Wissenschaftliche Theorien (bdquoParadigmenldquo)

Zusatzhypothesen

Empirisch nachpruumlfbare Vorhersagen

Vergleich mit Beobachtung Messung

Experiment

Vorlaumlufige Bestaumltigung der Theorie

Revision der Theorie

Revision der Zusatzhypothesen

Wissenschaftliche Revolution

Signifikante Abweichungen (bdquoAnomalienldquo)Keine signifikanten Abweichungen

plus

Quelle Lauth III Teil Wissenschaftlicher Fortschritt und derWandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Erkenntnisfortschritt

Eine neue Theorie Tacute die ein etabliertes Paradigma T verdraumlngen soll muss nach Lakatos zwei Bedingungen erfuumlllen

bull Die neue Theorie muss die Erfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die alte Theorie zu korrekten Vorhersagen fuumlhrt muss Tacute dieselben Vorhersagen machen

bull Die neue Theorie muss die Misserfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die neue Theorie zu abweichenden Vorhersagen fuumlhrt bestaumltigen Beobachtungen und Messungen die abweichenden Vorhersagen

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersicht

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Auch zu Kuhn Feyerabend usw

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Offene Fragen

bdquoInsbesondere liefert Kuhn keine plausible oder befriedigende Erklaumlrung fuumlr die Verdraumlngung eines etablierten Paradigmas und den bdquoSiegldquo des neuen Paradigmas uumlber seinen Vorgaumlnger Nach Kuhns Auffassung ist der Konflikt zwischen zwei rivalisierenden Paradigmen bdquoniemals durch Logik und Experiment alleineldquo zu entscheiden Das wuumlrde jedoch bedeuten daszlig der Theorienwandel in der Wissenschaft nicht durch rationale Gruumlnde zu erklaumlren ist sondern nur durch Rekurs auf wissenschaftshistorische oder -soziologische Phaumlnomene Aber was koumlnnten dann die Ursachen dafuumlr sein daszlig ein einmal etabliertes Paradigma durch eine neue Theorie vollstaumlndig verdraumlngt und ersetzt werden kann Kuhns Hinweis darauf daszlig die Vertreter des alten Paradigmas im Lauf der Zeit einfach bdquoaussterbenldquo ist sicherlich zu einfach Warum gelingt es den Anhaumlngern des alten Paradigmas nicht neue Anhaumlnger unter dem wissenschaftlichen Nachwuchs zu rekrutieren Warum sollte nicht die Entstehung von neuen Theorien im Lauf der Zeit zu einer Pluralitaumlt von konkurrierenden Paradigmen oder Theorien fuumlhren von denen jede eine gewisse Anzahl von bdquoAnhaumlngernldquo um sich scharen kann Warum sind heute praktisch alle Physiker davon uumlberzeugt daszlig Einsteins Relativitaumlts-theorie eine bessere Beschreibung und Erklaumlrung der physikalischen Phaumlnomene liefert als die Newtonsche MechanikWarum glaubt heute niemand mehr an das geozentrische Weltbild eines Aristoteles oder Kopernikus Warum hat Darwins Evolutionstheorie alle biologischen Theorien die von einer Konstanz der Arten ausgehen erfolgreich verdraumlngen koumlnnen ldquo

(B Lauth J Sareiter Wissenschaftliche Erkenntnis S 135)

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bull Bernhard Lauth J Sareiter Wissenschaft-liche Erkenntnis Eine ideengeschichtliche Einfuumlhrung in die Wissenschaftstheorie Paderborn Mentis-Verlag 2002

Methodische FolgerungenKuhn versus Popper

bdquoWenn eine wissenschaftliche Theorie einmal den Status eines Paradigmas erlangt hat wird sie nur dann fuumlr unguumlltig erklaumlrt wenn ein anderer Kandidat vorhanden ist der ihren Platz einnehmen kann Kein bisher durch das Studium der wissenschaftlichen Entwicklung aufgedeckter Prozeszlig hat irgendeine Aumlhnlichkeit mit der methodologischen Schablone der Falsifikation durch unmittelbaren Vergleich mit der Naturldquo (90)

bdquoZweifellos ist die der Falsifikation zugesprochene Rolle derjenigen sehr aumlhnlich welche dieser Essay den anomalen Erfahrungen beimiszligt also jenen Erfahrungen die eine Krise hervorrufen und dadurch den Weg fuumlr eine neue Theorie bereiten Trotzdem duumlrfen anomale Erfahrungen nicht mit falsifizierenden gleichgestellt werden Ich glaube sogar daszlig es letztere uumlberhaupt nicht gibtldquo (157)

Eine Gegenposition hat Imre Lakatos vertreten In seinem Essay uumlber die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme zeigt Lakatos dass die von Kuhn diagnostizierten Phaumlnomene auch im Rahmen der falsifikationistischen Methodik erklaumlrbar sind

Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos

Imre Lakatos (1922-1974) kritisierte einmal das Poppersche Falsifizierungspostulat Wissen-schaftler neigen eher dazu ihre Theorien zu verteidigen als sie zu widerlegen

Lakatos hielt aber auch Kuhns Theorie der wissenschaftlichen Revolutionen fuumlr irreal und verstand Wissenschaft als ein Nebeneinander konkurrierender Forschungsprogramme

Ein alternatives Modell deswissenschaftlichen Fortschritts

In bdquoKritik und Erkenntnisfortschrittldquo entwickelt Imre Lakatos ein Alternativmodell des wissenschaftlichen Fortschritts Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen bdquoTheoriekernldquo und bdquoZusatzhypothesenldquo

bull Die meisten wissenschaftlichen Theorien fuumlhren erst in Verbindung mit geeigneten Zusatzhypothesen zu empirisch nachpruumlfbaren Vorhersagen

bull Widerspruumlche zwischen Theorie und Experiment fuumlhren daher nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der Theorie sondern koumlnnen auch durch Korrektur der Zusatzhyothesen aufgeloumlst werden

Ein modifiziertes Modell der empirischen Uumlberpruumlfungvon wissenschaftlichen Theorien

Wissenschaftliche Theorien (bdquoParadigmenldquo)

Zusatzhypothesen

Empirisch nachpruumlfbare Vorhersagen

Vergleich mit Beobachtung Messung

Experiment

Vorlaumlufige Bestaumltigung der Theorie

Revision der Theorie

Revision der Zusatzhypothesen

Wissenschaftliche Revolution

Signifikante Abweichungen (bdquoAnomalienldquo)Keine signifikanten Abweichungen

plus

Quelle Lauth III Teil Wissenschaftlicher Fortschritt und derWandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Erkenntnisfortschritt

Eine neue Theorie Tacute die ein etabliertes Paradigma T verdraumlngen soll muss nach Lakatos zwei Bedingungen erfuumlllen

bull Die neue Theorie muss die Erfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die alte Theorie zu korrekten Vorhersagen fuumlhrt muss Tacute dieselben Vorhersagen machen

bull Die neue Theorie muss die Misserfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die neue Theorie zu abweichenden Vorhersagen fuumlhrt bestaumltigen Beobachtungen und Messungen die abweichenden Vorhersagen

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VSteenblock Imre Lakatos in JNida-Ruumlmelin (Hrsg) Philosophie der Gegenwartin Einzeldarstellungenhellip 2AuflStuttgart Kroumlner 1999 S 400ff

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bull Bernhard Lauth J Sareiter Wissenschaft-liche Erkenntnis Eine ideengeschichtliche Einfuumlhrung in die Wissenschaftstheorie Paderborn Mentis-Verlag 2002

Methodische FolgerungenKuhn versus Popper

bdquoWenn eine wissenschaftliche Theorie einmal den Status eines Paradigmas erlangt hat wird sie nur dann fuumlr unguumlltig erklaumlrt wenn ein anderer Kandidat vorhanden ist der ihren Platz einnehmen kann Kein bisher durch das Studium der wissenschaftlichen Entwicklung aufgedeckter Prozeszlig hat irgendeine Aumlhnlichkeit mit der methodologischen Schablone der Falsifikation durch unmittelbaren Vergleich mit der Naturldquo (90)

bdquoZweifellos ist die der Falsifikation zugesprochene Rolle derjenigen sehr aumlhnlich welche dieser Essay den anomalen Erfahrungen beimiszligt also jenen Erfahrungen die eine Krise hervorrufen und dadurch den Weg fuumlr eine neue Theorie bereiten Trotzdem duumlrfen anomale Erfahrungen nicht mit falsifizierenden gleichgestellt werden Ich glaube sogar daszlig es letztere uumlberhaupt nicht gibtldquo (157)

Eine Gegenposition hat Imre Lakatos vertreten In seinem Essay uumlber die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme zeigt Lakatos dass die von Kuhn diagnostizierten Phaumlnomene auch im Rahmen der falsifikationistischen Methodik erklaumlrbar sind

Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos

Imre Lakatos (1922-1974) kritisierte einmal das Poppersche Falsifizierungspostulat Wissen-schaftler neigen eher dazu ihre Theorien zu verteidigen als sie zu widerlegen

Lakatos hielt aber auch Kuhns Theorie der wissenschaftlichen Revolutionen fuumlr irreal und verstand Wissenschaft als ein Nebeneinander konkurrierender Forschungsprogramme

Ein alternatives Modell deswissenschaftlichen Fortschritts

In bdquoKritik und Erkenntnisfortschrittldquo entwickelt Imre Lakatos ein Alternativmodell des wissenschaftlichen Fortschritts Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen bdquoTheoriekernldquo und bdquoZusatzhypothesenldquo

bull Die meisten wissenschaftlichen Theorien fuumlhren erst in Verbindung mit geeigneten Zusatzhypothesen zu empirisch nachpruumlfbaren Vorhersagen

bull Widerspruumlche zwischen Theorie und Experiment fuumlhren daher nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der Theorie sondern koumlnnen auch durch Korrektur der Zusatzhyothesen aufgeloumlst werden

Ein modifiziertes Modell der empirischen Uumlberpruumlfungvon wissenschaftlichen Theorien

Wissenschaftliche Theorien (bdquoParadigmenldquo)

Zusatzhypothesen

Empirisch nachpruumlfbare Vorhersagen

Vergleich mit Beobachtung Messung

Experiment

Vorlaumlufige Bestaumltigung der Theorie

Revision der Theorie

Revision der Zusatzhypothesen

Wissenschaftliche Revolution

Signifikante Abweichungen (bdquoAnomalienldquo)Keine signifikanten Abweichungen

plus

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Erkenntnisfortschritt

Eine neue Theorie Tacute die ein etabliertes Paradigma T verdraumlngen soll muss nach Lakatos zwei Bedingungen erfuumlllen

bull Die neue Theorie muss die Erfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die alte Theorie zu korrekten Vorhersagen fuumlhrt muss Tacute dieselben Vorhersagen machen

bull Die neue Theorie muss die Misserfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die neue Theorie zu abweichenden Vorhersagen fuumlhrt bestaumltigen Beobachtungen und Messungen die abweichenden Vorhersagen

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Methodische FolgerungenKuhn versus Popper

bdquoWenn eine wissenschaftliche Theorie einmal den Status eines Paradigmas erlangt hat wird sie nur dann fuumlr unguumlltig erklaumlrt wenn ein anderer Kandidat vorhanden ist der ihren Platz einnehmen kann Kein bisher durch das Studium der wissenschaftlichen Entwicklung aufgedeckter Prozeszlig hat irgendeine Aumlhnlichkeit mit der methodologischen Schablone der Falsifikation durch unmittelbaren Vergleich mit der Naturldquo (90)

bdquoZweifellos ist die der Falsifikation zugesprochene Rolle derjenigen sehr aumlhnlich welche dieser Essay den anomalen Erfahrungen beimiszligt also jenen Erfahrungen die eine Krise hervorrufen und dadurch den Weg fuumlr eine neue Theorie bereiten Trotzdem duumlrfen anomale Erfahrungen nicht mit falsifizierenden gleichgestellt werden Ich glaube sogar daszlig es letztere uumlberhaupt nicht gibtldquo (157)

Eine Gegenposition hat Imre Lakatos vertreten In seinem Essay uumlber die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme zeigt Lakatos dass die von Kuhn diagnostizierten Phaumlnomene auch im Rahmen der falsifikationistischen Methodik erklaumlrbar sind

Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos

Imre Lakatos (1922-1974) kritisierte einmal das Poppersche Falsifizierungspostulat Wissen-schaftler neigen eher dazu ihre Theorien zu verteidigen als sie zu widerlegen

Lakatos hielt aber auch Kuhns Theorie der wissenschaftlichen Revolutionen fuumlr irreal und verstand Wissenschaft als ein Nebeneinander konkurrierender Forschungsprogramme

Ein alternatives Modell deswissenschaftlichen Fortschritts

In bdquoKritik und Erkenntnisfortschrittldquo entwickelt Imre Lakatos ein Alternativmodell des wissenschaftlichen Fortschritts Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen bdquoTheoriekernldquo und bdquoZusatzhypothesenldquo

bull Die meisten wissenschaftlichen Theorien fuumlhren erst in Verbindung mit geeigneten Zusatzhypothesen zu empirisch nachpruumlfbaren Vorhersagen

bull Widerspruumlche zwischen Theorie und Experiment fuumlhren daher nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der Theorie sondern koumlnnen auch durch Korrektur der Zusatzhyothesen aufgeloumlst werden

Ein modifiziertes Modell der empirischen Uumlberpruumlfungvon wissenschaftlichen Theorien

Wissenschaftliche Theorien (bdquoParadigmenldquo)

Zusatzhypothesen

Empirisch nachpruumlfbare Vorhersagen

Vergleich mit Beobachtung Messung

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plus

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Eine neue Theorie Tacute die ein etabliertes Paradigma T verdraumlngen soll muss nach Lakatos zwei Bedingungen erfuumlllen

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bull Die neue Theorie muss die Misserfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die neue Theorie zu abweichenden Vorhersagen fuumlhrt bestaumltigen Beobachtungen und Messungen die abweichenden Vorhersagen

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Zur ersten Uumlbersicht

VSteenblock Imre Lakatos in JNida-Ruumlmelin (Hrsg) Philosophie der Gegenwartin Einzeldarstellungenhellip 2AuflStuttgart Kroumlner 1999 S 400ff

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  • Folie 34
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Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos

Imre Lakatos (1922-1974) kritisierte einmal das Poppersche Falsifizierungspostulat Wissen-schaftler neigen eher dazu ihre Theorien zu verteidigen als sie zu widerlegen

Lakatos hielt aber auch Kuhns Theorie der wissenschaftlichen Revolutionen fuumlr irreal und verstand Wissenschaft als ein Nebeneinander konkurrierender Forschungsprogramme

Ein alternatives Modell deswissenschaftlichen Fortschritts

In bdquoKritik und Erkenntnisfortschrittldquo entwickelt Imre Lakatos ein Alternativmodell des wissenschaftlichen Fortschritts Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen bdquoTheoriekernldquo und bdquoZusatzhypothesenldquo

bull Die meisten wissenschaftlichen Theorien fuumlhren erst in Verbindung mit geeigneten Zusatzhypothesen zu empirisch nachpruumlfbaren Vorhersagen

bull Widerspruumlche zwischen Theorie und Experiment fuumlhren daher nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der Theorie sondern koumlnnen auch durch Korrektur der Zusatzhyothesen aufgeloumlst werden

Ein modifiziertes Modell der empirischen Uumlberpruumlfungvon wissenschaftlichen Theorien

Wissenschaftliche Theorien (bdquoParadigmenldquo)

Zusatzhypothesen

Empirisch nachpruumlfbare Vorhersagen

Vergleich mit Beobachtung Messung

Experiment

Vorlaumlufige Bestaumltigung der Theorie

Revision der Theorie

Revision der Zusatzhypothesen

Wissenschaftliche Revolution

Signifikante Abweichungen (bdquoAnomalienldquo)Keine signifikanten Abweichungen

plus

Quelle Lauth III Teil Wissenschaftlicher Fortschritt und derWandel des wissenschaftlichen WeltbildshttpwwwphilosophielmudemitarbeiterlauthTeil3pdf

Erkenntnisfortschritt

Eine neue Theorie Tacute die ein etabliertes Paradigma T verdraumlngen soll muss nach Lakatos zwei Bedingungen erfuumlllen

bull Die neue Theorie muss die Erfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die alte Theorie zu korrekten Vorhersagen fuumlhrt muss Tacute dieselben Vorhersagen machen

bull Die neue Theorie muss die Misserfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die neue Theorie zu abweichenden Vorhersagen fuumlhrt bestaumltigen Beobachtungen und Messungen die abweichenden Vorhersagen

Literaturtipp

Zur ersten Uumlbersicht

VSteenblock Imre Lakatos in JNida-Ruumlmelin (Hrsg) Philosophie der Gegenwartin Einzeldarstellungenhellip 2AuflStuttgart Kroumlner 1999 S 400ff

Auch zu Kuhn Feyerabend usw

Werner Diederich (Hrsg) Theorien der Wissenschafts-geschichte Beitraumlge zur diachronen Wissenschafts- theorie FrankfurtMain Suhrkamp 1974

Literaturtipp

Thanx for your attentionhellip

  • Wissenschaftliche Revolutionen oder Anything Goes
  • Sir Karl Popper (1902-1994) und die Logik der Forschung
  • Thomas Kuhns Modell der Entwicklung von Wissenschaft(en)
  • Folie 4
  • Folie 5
  • Folie 6
  • Folie 7
  • Folie 8
  • Folie 9
  • Folie 10
  • Folie 11
  • Folie 12
  • Folie 13
  • Biographisches Thomas Kuhn (1922 ndash 1996)
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)
  • Folie 16
  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (II)
  • Merkmale von Paradigmen
  • Literaturtipp
  • Folie 20
  • Folie 21
  • Folie 22
  • Folie 23
  • Folie 24
  • Struktur der Wissenschaftlichen Revolution
  • Folie 26
  • Folie 27
  • Folie 28
  • Slide 29
  • Folie 30
  • Kritik am Popperlsquoschen und am Kuhnlsquoschen Modell Imre Lakatos
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Ein alternatives Modell deswissenschaftlichen Fortschritts

In bdquoKritik und Erkenntnisfortschrittldquo entwickelt Imre Lakatos ein Alternativmodell des wissenschaftlichen Fortschritts Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen bdquoTheoriekernldquo und bdquoZusatzhypothesenldquo

bull Die meisten wissenschaftlichen Theorien fuumlhren erst in Verbindung mit geeigneten Zusatzhypothesen zu empirisch nachpruumlfbaren Vorhersagen

bull Widerspruumlche zwischen Theorie und Experiment fuumlhren daher nicht zwangslaumlufig zur Verwerfung der Theorie sondern koumlnnen auch durch Korrektur der Zusatzhyothesen aufgeloumlst werden

Ein modifiziertes Modell der empirischen Uumlberpruumlfungvon wissenschaftlichen Theorien

Wissenschaftliche Theorien (bdquoParadigmenldquo)

Zusatzhypothesen

Empirisch nachpruumlfbare Vorhersagen

Vergleich mit Beobachtung Messung

Experiment

Vorlaumlufige Bestaumltigung der Theorie

Revision der Theorie

Revision der Zusatzhypothesen

Wissenschaftliche Revolution

Signifikante Abweichungen (bdquoAnomalienldquo)Keine signifikanten Abweichungen

plus

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Erkenntnisfortschritt

Eine neue Theorie Tacute die ein etabliertes Paradigma T verdraumlngen soll muss nach Lakatos zwei Bedingungen erfuumlllen

bull Die neue Theorie muss die Erfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die alte Theorie zu korrekten Vorhersagen fuumlhrt muss Tacute dieselben Vorhersagen machen

bull Die neue Theorie muss die Misserfolge des alten Paradigmas erklaumlren dh Dort wo die neue Theorie zu abweichenden Vorhersagen fuumlhrt bestaumltigen Beobachtungen und Messungen die abweichenden Vorhersagen

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Auch zu Kuhn Feyerabend usw

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  • Was verstehen wir unter einem bdquoParadigmaldquo (I)
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Ein modifiziertes Modell der empirischen Uumlberpruumlfungvon wissenschaftlichen Theorien

Wissenschaftliche Theorien (bdquoParadigmenldquo)

Zusatzhypothesen

Empirisch nachpruumlfbare Vorhersagen

Vergleich mit Beobachtung Messung

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Vorlaumlufige Bestaumltigung der Theorie

Revision der Theorie

Revision der Zusatzhypothesen

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Erkenntnisfortschritt

Eine neue Theorie Tacute die ein etabliertes Paradigma T verdraumlngen soll muss nach Lakatos zwei Bedingungen erfuumlllen

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