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© UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2001 Witz und Humor in Organisationen – Zur Konstruktion einer weiteren Wirklichkeit FRANK E.P. DIEVERNICH „Zwei Hobbyjäger unterhalten sich auf der Pirsch über mo- derne Methoden der Unternehmensführung. Laufende Reor- ganisationsmaßnahmen verleihen nach Ansicht des einen dem Betrieb die schöpferische Unruhe, verhindern eine instruktio- nelle Erstarrung der Zuständigkeiten und sorgen für die not- wendige Anpassung an die Dynamik der Umwelt. Um den notwendigen Beweis für seine These aufzustellen, hebt er sei- ne Schrotflinte und gibt einen Schuß auf einen vor ihnen ste- henden, mit Spatzen voll besetzten Baum ab. Die Spatzen flattern entsetzt auf, einige wenige fallen von Schrotkugeln getroffen auf den Boden. Bereits nach wenigen Minuten je- doch kehrt wieder Ruhe ein, und die Spatzen setzen sich wie- der auf ihren Baum. Da fragt der andere: ‚Was hat sich nun a- ber durch deinen Schuß geändert?‘ ‚Aber bitte‘, sagt der eine, ‚jeder Spatz sitzt nun auf einem anderen Ast und einige sind dabei auf der Strecke geblieben‘.“ 1 „Es gibt sehr viele sehr erfolgreiche Unternehmen. Es gibt auch viele hochbezahlte Führungskräfte. Es kommt darauf an, die beiden nicht miteinander in Verbindung zu bringen.“ 2 I. Wenn jemand die Frage nach Witz und Humor in Organisationen stellt, dann könnte man vermuten, daß derjenige eine mehr oder minder ausführliche Sammlung über Witze, die in Organisationen kursieren, präsentieren möchte. In diesem konkreten Fall: Weit ge- 1 Aus: Anders 1991, S. 89. 2 Augustine 1989, Gesetz Nr.12, S. 83.

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Witz und Humor in Organisationen –Zur Konstruktion

einer weiteren Wirklichkeit

FRANK E.P. DIEVERNICH

„Zwei Hobbyjäger unterhalten sich auf der Pirsch über mo-derne Methoden der Unternehmensführung. Laufende Reor-ganisationsmaßnahmen verleihen nach Ansicht des einen demBetrieb die schöpferische Unruhe, verhindern eine instruktio-nelle Erstarrung der Zuständigkeiten und sorgen für die not-wendige Anpassung an die Dynamik der Umwelt. Um dennotwendigen Beweis für seine These aufzustellen, hebt er sei-ne Schrotflinte und gibt einen Schuß auf einen vor ihnen ste-henden, mit Spatzen voll besetzten Baum ab. Die Spatzenflattern entsetzt auf, einige wenige fallen von Schrotkugelngetroffen auf den Boden. Bereits nach wenigen Minuten je-doch kehrt wieder Ruhe ein, und die Spatzen setzen sich wie-der auf ihren Baum. Da fragt der andere: ‚Was hat sich nun a-ber durch deinen Schuß geändert?‘ ‚Aber bitte‘, sagt der eine,‚jeder Spatz sitzt nun auf einem anderen Ast und einige sinddabei auf der Strecke geblieben‘.“1

„Es gibt sehr viele sehr erfolgreiche Unternehmen. Es gibtauch viele hochbezahlte Führungskräfte. Es kommt darauf an,die beiden nicht miteinander in Verbindung zu bringen.“2

I.

Wenn jemand die Frage nach Witz und Humor in Organisationenstellt, dann könnte man vermuten, daß derjenige eine mehr oderminder ausführliche Sammlung über Witze, die in Organisationenkursieren, präsentieren möchte. In diesem konkreten Fall: Weit ge- 1 Aus: Anders 1991, S. 89.2 Augustine 1989, Gesetz Nr.12, S. 83.

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aus: Frank E.P. Dievernich (Hg.): Kommunikationsausbrüche

fehlt! Mir geht es durch die Bildung der Relation ‚Humor und Orga-nisation‘ viel eher darum, etwas über die Organisation zu erfahren,eine weitere Beobachtung und Beschreibung zu liefern, die deutlichmacht, wie Organisationen funktionieren, nach welchem Prinzip sieablaufen, warum sie sich so zeigen, wie sie sich zeigen. Bei einemsolchen Prozeß halte ich es für eher ratsam, neben die oder in dieNischen der Organisation zu gucken, als mitten in die alltäglichenund für die Organisation gewöhnlichen Felder oder Termini ihrereigenen Selbstbeschreibungen: Organigramme, Produktionsstätten,Mitbestimmung, Rationalität, Absatzzahlen etc. Dann doch eher:Gewalt, Liebe, Sex und in meinem konkreten Fall: Humor. Sollte nunjemand glauben, daß es mir um einen weiteren funktionalistischenVersuch geht, Humor für die Organisation als fruchtbare Quelleeffizienz- und produktivitätssteigernder Maßnahmen zu entlarven,dann erneut: Weit gefehlt! – und dies obwohl es allem Anschein nachder managementorientierten Tradition entsprechen würde.

Die Behandlung des Themas ‚Humor in Organisationen‘ wurdein der Managementliteratur nämlich überwiegend funktionalistischgeführt. So benennt beispielsweise Malone einen Grund für dieAuseinandersetzung mit dem Thema Humor im organisationalenKontext wie folgt: „Dealing with Humor, to create a warm feeling inspecial Situations, which are characterized as problematic: Researchon this topic could possibly convert an undeveloped resource into atool that could enhance our ability to get things done“3. Und weiterstellt der Autor die Frage: „Under what conditions can humor beused most effectively?“4. Daß intelligent eingesetzt, Humor zu einem‚tool‘ der Unternehmensführung werden kann, davon sind beispiels-weise auch Duncan/Feisal überzeugt. So kommen sie zu derSchlußfolgerung, daß „the manager who understands the role ofjoking can use this knowledge to improve employee cooperation andproductivity“5. Der funktionalistische Zugriff auf das Themengebietdes Humors in der Literatur läßt dennoch mehr Fragen offen, als erzu klären suggeriert. So überrascht der unkonsequente Umgang mitdem Thema bezüglich der Formulierung von Ratschlägen, die man

3 Malone 1980, S. 360.4 Malone 1980, S. 360.5 Duncan/Feisal 1989, S. 18.

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an dieser Stelle eigentlich erwarten dürfte, da man nun gerne wissenwürde, wie denn Humor in die Unternehmung einzuführen ist, ge-schweige denn, institutionalisiert werden kann, damit diese nun aucheffektiver und/oder produktiver arbeiten kann. So bleibt der Leserlediglich mit seiner Vermutung alleine, daß der Kanon der Manage-mentfunktionen um eine weitere vergrößert wird: Management heißtnun auch Animation zur Ausgelassenheit, zur Fröhlichkeit, zumLachen. Wie ist aber diese Lücke in der Literatur zu erklären?

Es ist zu vermuten, daß die Literatur nicht wirklich sieht, was siebeschreibt, und das darin der auch eher mangelhafte Umgang mitdem Thema zu erklären ist. Ich vermute, daß nicht wirklich der Me-chanismus des Witz und Humors in Organisationen gesehen undverstanden wird. Man kann zwar beschreiben, was Humor in Organi-sationen leistet, man kann beobachten und beschreiben, wie undwann er auftritt; entscheidend wäre aber nach meiner Ansicht, zuklären, was ‚dahinter‘ liegt, also, um was es da eigentlich geht, wennman von Humor spricht.

Ich werde nachfolgend so vorgehen, daß ich erst die Frage stellenmöchte, was Humor sein könnte, nach welchen Prinzipien Witz undHumor entsteht und dann im zweiten Schritt die Frage aufwerfe, wasdiese Erkenntnisse für die Organisation bedeuten könnte. Mein Inte-resse liegt auf den Witzen, die in der Organisation erzählt werdenund die die Organisation zum Thema haben. Die Vermutung ist, daßes sich hier um eine spezifische Kommunikation respektive einenspezifischen Kommunikationsmechanismus, der auf eine bestimmteArt von Beobachtung abstellt, handelt: Beobachtung zweiter Ord-nung. Mit dem Kommunikationsmechanismus des Humors vermagdie Organisation und das Management über sich selbst eine Beo-bachtung abzugeben, die es in der geläufigen (formellen) Kommuni-kation nicht vermag.

Humor ist eine bestimmte, noch genauer zu erläuternde Art derKommunikation. Kurzerhand: Humor ist Kommunikation.

II.

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aus: Frank E.P. Dievernich (Hg.): Kommunikationsausbrüche

Was ist nun der Inhalt und die Form dieser speziellen Kommunikati-on? Eine solche Frage gibt auch Auskunft darüber, welche Witze fürmein Forschungsinteresse relevant sind. Denn: Witz ist nicht gleichWitz. Es geht mir nicht um die vielen ‚Jokes‘, die innerhalb einerOrganisation zu den unterschiedlichsten Gegebenheiten und Themenerzählt werden. Es geht mir vor allem um Witze, die ein Thema derOrganisation in der Organisation behandeln, also Witze über dieOrganisation in der Organisation. Hierbei ist entscheidend, daß mög-liche Referenzpunkte für solche Kommunikationen Elemente derOrganisation darstellen. Was heißt das konkret?

Zum Inhalt: Blondinenwitze – um ein populäres Beispiel zunehmen – werden zwar in Organisationen erzählt, haben aber keinenBezug zur Organisation, außer, daß sie beispielsweise in der Pause ineiner Kantine oder an anderer geeigneter Stelle in der Organisationerzählt werden (wobei nicht klar ist, welche Stelle nicht als geeignetgelten könnte!).

Anders ist es schon, wenn man eine bestimmte Person in der Or-ganisation vor Augen hat, die blond ist und als Anstoßpunkt füreinen Witz fungiert. Aber auch dann fällt dieser Sachverhalt nochnicht unbedingt in meine Kategorie von Witzen, die mich interessie-ren.

Die blonde Frau, die ich eben für meine Ausführungen bemühte,wird erst dann für mich interessant, wenn sie Inhalt oder Anstoß füreinen Witz ist, indem sie als Vertreterin der Organisation in denMittelpunkt der Betrachtung aufgenommen wird. Eine Person ineinem bestimmten Witzkontext taucht erst dann in meinem Rasterauf, wenn sie Träger einer bestimmten organisationalen Funktion istoder besser und abstrakter formuliert, wenn sie als Kommunikationder Organisation von anderen psychischen Systemen (innerhalbdieses Organisationskontextes) als solche wahrgenommen und zurKommunikation des Witzes wird. Es geht mir um Witze, die Kom-munikationen der Organisation als Ausgangspunkt für die alternativeBetrachtung dieser Kommunikation (Witz) haben. Anders ausge-drückt: Es geht mir um die Witze, die als Thema Beobachtungenüber die eigene Organisation aufweisen und diese Themen andersbeobachten und beschreiben als es bislang im organisationalen Kon-text der Fall war.

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Zur Form: Nach meiner Sicht ist die Kommunikation des Hu-mors eine, die gegen die formelle Kommunikation der Organisationläuft oder besser formuliert, die parallel zur formellen Kommunikati-on zu verorten ist. Damit ist Humor immer noch eine organisationaleKommunikation.6 Die Unterscheidung läge bei dem Kriterium ‚for-mell/informell‘. Humor ist eine Kommunikation, die zum Inhalt, dieformelle Kommunikation hat. Sie ist eine Beobachtung der formellenKommunikation, die aber nicht direkt in diese wieder eingespieltwerden kann, so daß diese Beobachtung als parallel laufende Beo-bachtung zu beobachten ist. Es fehlt der direkte Anschluß zur for-mellen Kommunikation. Ob und wie diese beiden Ebenen miteinan-der verbunden sind, wird noch zu klären sein.

Bleibt meines Erachtens noch ein wesentlicher Gesichtspunktunbeleuchtet, der nun erläutert werden soll und den letzten Punktdieser kurzen theoretischen Analyse des Humors verkörpert: DerSinn des Humors. Ich werde diesen analog zur der Frage nach demMechanismus respektive der Funktion des Humors darstellen.

Der Mechanismus des Humors meint hier weniger seinen innerenAufbau und die Logik seiner selbst (z.B. das Sprachspiel), als eineBetrachtung, die das Verhältnis nach Außen, also zu seiner Umwelt,darstellen soll. Es geht um das Zusammenspiel zwischen dem Witzund seiner Umwelt in der er eingebettet ist. Welchen Sinn und Funk-tion erfüllt der Witz in Bezug auf seinen Kontext?

Die Frage muß man stellen, da der Witz sich selbst nie zumThema hat aber stets eine ‚alternative‘ Thematisierung, man könntesagen: Beobachtung und Beschreibung, seiner Umwelt darstellt. DerWitz spielt mit seinem Kontext und setzt diesen in einen neuen (in-ternen) Zusammenhang.7 Er bietet zur formellen Kommunikation

6 Ullian 1976.7 In der Literatur findet man die Unterscheidung zwischen ‚standardisierter Witz‘

(‚canned‘ Joke): „set in a standard context which organises the whole joke withinits verbal form“ (Linstead 1988, S. 127; vgl. auch Douglas 1975) und ‚spontanerWitz‘ (‚spontaneous‘ Joke): „which organises the situational context into jokeform“ (Linstead 1988, S. 127; vgl. auch Douglas 1975). In meinen Ausführungenbefasse ich mich überwiegend mit der genannten zweiten Form des Witzes, indem der Kontext sowie die Situation innerhalb des Kontextes genutzt werden, umzu einer Neuordnung der Situation respektive einer Neubeschreibung der Situati-on zu gelangen. Der Witz ist nichts anderes als eine andere Beschreibung einer

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aus: Frank E.P. Dievernich (Hg.): Kommunikationsausbrüche

eine weitere, so noch nicht dagewesene Kommunikation, indem erInhalte der formellen Kommunikation, man könnte auch sagen, derformellen Beobachtung, neu ordnet. Dies geschieht zum Teil mitvormals kontextfremden Bezugspunkten. Der Witz entsteht ‚zwi-schen‘ der formellen Kommunikation und aus den Mitteln (u.a. alsAnstoßpunkt) der formellen Kommunikation. Der Witz ist als Po-tentialität einer möglichen Organisationsrealität anzusehen. Genaudadurch ist er immer schon vorhanden, zum Teil aber nicht aktuali-siert kommuniziert. Wenn die formelle Organisation die Innenseiteeiner Unterscheidung ausmacht, dann dürfte die Kommunikation desWitzes die andere Seite darstellen.8 Der Witz wird zum Zeitpunktseiner Entstehung als eine Kontingenz einer Situationsbeschreibungder Organisation sichtbar.

Es geht folglich beim Witze Erzählen um das Spiel mit den Kon-tingenzen: Das Ergebnis ist eine weitere – neben der formellenKommunikation – wahrnehmbare Kontingenz der bestehendenspeziellen Situation. Der Witz konstituiert sich durch das Bestehender formellen Beobachtungen und behandelt diese in seiner Entste-hung als Energie, die ihm quasi aus der Umwelt zugefügt wird, umselbst entstehen zu können und dann als alternative und meist absur-de Beschreibung der Welt, neben der formellen Beobachtung imRaum zu stehen. Natürlich ist einem möglichen Einwand vorzugrei-fen: Die Beschreibungen dürfen nicht zu absurd sein, da der Witznoch als Witz zu erkennen sein muß; er darf also nicht als diesprachliche Äußerungen eines Verrückten verstanden werden. InAnlehnung an Brecht kann man davon sprechen, daß der Witz einebekannte Situation verfremden, nicht aber überfremden soll.9 DerWitz bewegt sich folglich auf einem schmalen Grad. Ob ein Witz alsabsurd, originell oder wie auch immer bewertet wird, das entscheidetder jeweilige Beobachter, der wiederum in einer bestimmte Situationverankert ist.

bestimmten Situation. Es ist überwiegend ein spontaner Prozeß der Neuordnungder Situationsbeschreibung.

8 Siehe hierzu das Formkalkül von Spencer Brown (1997), der eine Unterscheidungals zwei Seiten-Form darstellt. Die beobachtete und bezeichnete Seite stellt den‚marked space‘, die unbestimmte, unverfügbare, die ausgeschlossene Seite, den‚unmarked Space‘ dar.

9 Siehe hierzu Brecht 1957.

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Die formelle Beobachtung einer Situation ist die Voraussetzungfür das Entstehen eines Witzes. Mit systemtheoretischen Vokabularkönnte man auch sagen, daß jede formelle Beobachtung zum einendie Voraussetzung für einen Witz ist und zum anderen in jedem Falleine Anschlußmöglichkeit für diesen ‚Joke‘ bietet. Ob ein Witz alserfolgreich gelten kann, entscheidet ein externer Beobachter, indemer lacht.10 Und natürlich zählt auch, ob der Witz weitererzählt wird.Die Autopoiese des ‚System Witz‘ ist nur durch seine weitere Kom-munikation möglich. Der Witz als Kommunikation bietet die Vor-aussetzung für die Schaffung neuer Witze. Es bedarf also nicht aus-schließlich einer formellen Beobachtung. Oft spielen Witze mit denBeschreibungen anderer Witze und man fühlt sich animiert, auf einenWitz und durch einen weiteren Witz einen anderen zu formulierenund gegebenenfalls die gesamte Situation noch ein Stück weiter in dieTiefen der absurden Beschreibungen zu tauchen. Konkret heißt das:Für einen neu entstehenden ‚Joke‘ sind die Beschreibungen der ande-ren Witze ebenfalls Ressourcen ihrer selbst. Aber auch hier ‚krönt‘der Beobachter den Witz ausschließlich mit einem Lachen oder‚straft‘ ihn mit einer geringschätzigen Nichtwahrnehmung in Formeines Stirnerunzelns. Aber auch hier kann das Versagen eines WitzesInhalt eines neuen Witzes sein, der sich durch die peinliche Darbie-tung des Witze-Erzählers offenbart. Theoretisch erhält der Witzfolglich überall seine Anschlußfähigkeit – praktisch wird über diesen‚Nutzen‘ durch den ‚Grad‘ des schallenden Lachens eines Beobach-ters entschieden.

Gewinner aus einer solchen Situation kann es viele geben. Daskann der Lachende sein, der sich freut, das kann aber auch der Wit-ze-Erzähler selbst sein, da dieser für sich ein weiteres Bild der Situa-tion schafft, und dadurch eine neue Einschätzung der Situation er-hält, wie die anderen, die an dieser Situation beteiligt sind, diese Situ-ation beurteilen. Dabei geht es um eine Einschätzung im doppeltenSinne: Es geht um die Bewertung der aktuellen Situation (Witzeer-zählen) und um die Einschätzung der Situation, die in dem Witzkommuniziert wird, also um die Situation, die dort beschrieben wird.Der Witze-Erzähler weiß über die Anschlußfähigkeit seiner Wahr-

10 Siehe explizit zum Lachen in diesem Band den Aufsatz von Stollmann 2001.

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nehmung, also seiner spezifischen Einschätzung der Situation, besserBescheid als zuvor. Lachen die Menschen um ihn herum, so weiß er,daß er mit seiner humoresken, alternativen Beschreibung der Situati-on ‚ins Schwarze getroffen hat‘: die Menschen verstehen ihn, könnendie alternative Situationsbeschreibung teilen. Lachen sie nicht, soweiß er zumindest darüber bescheid, daß die alternative Beschrei-bung der Situation so nicht akzeptiert wird, so nicht gesehen wird.Aber auch hier muß man Vorsicht walten lassen. Er muß nämlichacht geben, daß nicht über ihn gelacht wird; er selbst darf nicht einereigenen falschen Interpretation der Situation unterliegen.

Daß es sich bei dem Mechanismus respektive der Funktion desWitzes um eine alternative Beschreibung der Situation, um ein Spielmit den Situationsbeschreibungen handelt, darauf weist auch MaryDouglas hin, wenn sie sagt: „Jokes are rights. Jokes plays with thesocial structure of society“11. Sie führen dazu, was Heinz vonFoerster mit seinem ethischen Imperativ aufzuzeigen versucht:„Handle stets so, daß die Anzahl der Möglichkeiten wächst“12. Witzescheinen also die Situation und somit den Kontext einer Situation fürweitere und andere Situationsdefinitionen vor- und auszutesten.

Meines Erachtens ist dies ein zentraler Punkt der Erklärung, wasder Mechanismus des Witzes sein könnte. Die Funktion des Witzeer-zählens bedient sich einer bestimmten Situation als Spielfeld. DieseSituation ist sozusagen Rahmen und gleichzeitig Quelle, um daraufein weiteres provisorisches Spielfeld zu bauen.13 Ein Spielfeld, wel-ches man ohne weiteres wieder abbauen kann, ein Spielfeld, von demman sich zumeist ohne größeren Schaden zurückziehen kann: Alleswas gesagt wird und gesagt wurde, ist und war sowieso nur ein Witz!Das stimmt und stimmt gleichzeitig nicht; auch hier ist Skepsis ange-sagt.

Es gibt nämlich Situationen, in denen klar ist, wer einen ‚Joke‘ er-zählen darf und wer nicht – und wehe dem, der einen Witz erzähltund nicht dazu bemächtigt ist! Dennoch geht es um die Möglichkeitdes Experimentierens mit und durch eine gegebene Situationsdefini-

11 Douglas 1975; vgl. auch Linstead 1988, S. 127.12 Foerster 1996, S.49.13 Das ist ungefähr auch damit gemeint, wenn Linstead von Humor als einem ‚play‘

framework spricht. Siehe dazu Linstead 1988.

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tion. Es geht darum zu testen, inwiefern eigene Interpretationen,eigene Meinungen in die (formelle) Kommunikation eingeführt wer-den können und dürfen. Scherze bieten die Möglichkeit, bestimmte,noch (für das Umfeld) unbekannte Kommunikationen, Gedanken,Meinungen, Interpretationen auszutesten, zu prüfen, inwiefern eineAnschlußfähigkeit an die bestehende Kommunikation vorliegt. Tur-ner schreibt bspw. über den Witze-Modus, daß es dabei um ein „testthe atmosphere“ geht, in der (noch und eigentlich) unaussprechliche,nicht sprachfähige Botschaften auf ihre Standfestigkeit und Akzep-tierbarkeit hin in einer Situation überprüft werden; sie werden mit-geteilt in einem ‚soften‘ Kontext, dem des ‚Jokes‘.14 Spätestens hiermuß einem ein blinder Fleck ins Auge fallen: Wie kann denn über-haupt zuvor ausgetestet werden, ob Witze erzählt werden dürfen?Emerson versucht dieses Dilemma zu lösen, in dem er sich von dersprachlichen Ebene verabschiedet und damit argumentiert, daß die-ses ‚Testen‘, ob man mit Witzen testen darf, über die Ebene derGesten erfolgt.15 Hier scheinen es aber auch wieder ganz spezielleGesten zu sein. Und natürlich kann man sofort ahnen, daß auch dieOffenbarung gewisser Gesten nicht ganz ungefährlich ist, sofern mankundig ist und diese sofort als Vorboten eines Witzes entlarven kann.Nach meiner Ansicht kann die Gefahr der Mißinterpretation, also diegrundlegende Gefahr der Deplazierung, der man sich und seinemWitz aussetzt, nicht gelöst werden.

Verändern wir nachfolgend den Blickwinkel: Es ist nicht nur so,daß Humor eine neue Beobachtung der Situation als Kommunikationin die Situation einführt, sondern Humor kann als eine Beobachtungverstanden werden, die sich über die bestehende Situationsbeobach-tung erhaben zeigt und als Mechanismus entpuppt, der es den Akteu-ren erleichtert, mit einer Situation umzugehen. Es ist eine Funktiondes Humors, die Plessner wohl dazu veranlaßt hat, diesen als eineForm der Befreiung anzusehen.16 Neben dem Versuch des Humorseine Situation neu zu generieren, liegt also ebenfalls der Versuchzugrunde, mit einer Situation umzugehen, sich aus der Situation mitihren impliziten Anforderungen an die Beteiligten der Situation be- 14 Vgl. Turner 1971; Bradney, 1957.15 Vgl. Emerson 1969.16 Vgl. Plessner 1982.

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züglich, allgemein formuliert, Kommunikation, zu befreien. Diesgeschieht natürlich wiederum durch die Konstruktion einer (weite-ren) Wirklichkeit. In diesem Fall wird nicht ausgetestet, sonderndirekt, eine neue Konstruktion von Wirklichkeit geschaffen, die esermöglicht, mit der vorherrschenden und gängigen Wirklichkeitumzugehen. Critchley faßt dies folgendermaßen zusammen: „In thissense, humour can change the situation in which we find our-selves“17.

Konkret und Übertragen auf Organisationen kann das heißen,daß Witze in Arbeitszusammenhängen erzählt werden, um mit den,sehr allgemein formuliert, unangenehmen Situationen oder Arbeits-bedingungen umzugehen. Bekannt ist ein Beispiel, in dem Polizeibe-amten in England die Anfangsstrophen eines populären Kinderliedessingen, während sie die Überreste eines Selbstmörders einsammeln.Das Lied startet mit folgendem Text: „One finger, one hand, onefoot, one leg ...“. Witze können folglich als ‚Coping Mechanismen‘eingesetzt und verstanden werden.18

Neben den Genannten sind darüber hinaus noch eine Reihe wei-terer Funktionen des Humors zu nennen, auf die ich aber im Rah-men dieses Aufsatzes nicht weiter eingehen werde, der Vollständig-keit halber, sie aber nicht unerwähnt lassen möchte:

� Durch Jokes werden neue Informationen in einen sozialenKontext eingeführt respektive sie erleichtern den Umgangmit den neuen Informationen.

� Jokes werden erzählt, um mit auftretenden Störungen bes-ser umzugehen, um die meist positive Stimmung nicht durchein Fluch oder eine Kritik zu zerstören.19

17 Critchley 1998, S. 8.18 Vgl. Fry 1963.19 Als Beispiel soll hier Bradney zitiert werden, der über eine Situation in einem

Warenhaus berichtet, in der Humor als ‚Stimmungssicherer‘ erfolgreich eingesetztwird: „Is it at this point, then, when an interruption comes from another memberof staff to hinder a sale and waste valuable selling time that one would expect tofind friction in the department. One would expect to find the relationship be-tween the assistants on such occasions tense and off hand, with a tendency toquick temper and harsh language. But what do we find? We find a ‚joking rela-tionship‘. To take an example: a window-dresser, on approaching an assistantduring a busy period to ask her to get out some stock for the windows, said, in a

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� Witze gelten als eine ‚sanfte Form‘ der Kritik.20

� Durch Witze wird eine kreative Stimmung erzeugt.21

� Durch Witze versuchen Akteure im sozialen KontextAnschluß an andere Akteure zu erhalten, einen ‚Draht zubekommen‘.22

� Schließlich erfüllen Jokes den mentalen, wie auch physi-schen Lustgewinn, der u.a. durch das Lachen erzeugt wird.23

In meinen weiteren Ausführungen geht es um diesen Mechanismusder ‚Konstruktion einer (weiteren) Wirklichkeit‘, die dem Witz undHumor inhärent ist, so die zentrale These.

III.

Wie oben bereits erwähnt, können Witze als informelle Kommuni-kation im Gegensatz zu der formellen Organisationskommunikationangesehen werden. Witze sind eine bestimmte Form der organisatio-nalen Kommunikation. Die Wahrnehmung von Scherzen in Organi-sationen kann als Wiedereinführung eines durch die formelle Kom-

cheeky joking manner, ‚I’ve come to bother my favourite blonde again!‘ and shereplied, jokingly and with only a pretence of grievance, ‚Why do you have to pickon me? What’ve I done?‘ In any other context the sentences spoken might havebeen regarded as impertinent or angry, but because of the tone of voice used andthe understanding between the members concerned, it was a joke. They bothsmiled and the assitant was soon attending to the window-desser’s requirements“.(1957, S. 182).

20 Vgl. Bradney 1957. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß natürlich nichtjeder Humor kritisieren will. Manchmal liegt die Lust und der Charme des Hu-mors schlichtweg im Gestalten und Vorführen eines ästhetischen Sprachspiels,welches zum Ziel hat, in seiner Auflösung durch die Schlußpointe und oder durchdie Neukombination von Elementen, von denen man eigentlich weiß, in welchemKontext sie (normalerweise) anzutreffen sind, zu überraschen.

21 Beispielsweise Allen & Fry sehen Humor als ein kreatives Element an. Siehehierzu Allen/Fry 1976.

22 Vgl. Bradney 1957.23 Zu den unterschiedlichen Effekten des Lachens, welches als ein unmittelbares

Ergebnis des Humors angesehen werden kann, siehe beispielsweise Malone 1980,sowie Moody 1978.

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munikation ausgeschlossenen Themas sein.24 Es handelt sich hier inerster Linie weniger um Themen, als um Beobachtungen, die inForm von Beschreibungen thematisiert werden. Demzufolge geht esum die Wiedereinführung von durch die formelle Kommunikationausgeschlossenen Beschreibungen in den Organisationskontext.Wohl gemerkt, noch geht es nicht um die Wiedereinführung einesneuen Themas in die formelle Kommunikation. Aber durch die Wie-dereinführung einer ausgeschlossenen Beschreibung in die Organisa-tion, quasi als alternative, informelle Kommunikation, ist die Voraus-setzung geschaffen, daß die informelle Kommunikation zum Themader formellen Kommunikation oder der formellen Organisation wird.Der hier besprochene Mechanismus soll zeigen, daß es um die Mög-lichkeit der Konstruktion anderer Realitäten im Gegensatz zu dereinen, die durch die formelle Kommunikation vorgegeben wird, geht.Informelle Kommunikation beobachtet die formelle und umgekehrt.

Witze sind, so soll deutlich werden, soziale Konstruktionen in ei-ner sozial konstruierten Welt. Das hier kein Mißverständnis auf-kommt: Selbstverständlich ist die Ebene der formellen genauso wiedie Ebene der informellen Kommunikation sozial konstruiert. Derentscheidende Unterschied liegt in der Vorstellung über den Reali-tätsgehalt der unterschiedlichen Konstruktionen. Was als real, als‚wirklich‘ anzusehen ist, daß bestimmt die formelle Kommunikation.Hier liegt offensichtliche eine Paradoxie vor. Die formelle Kommu-nikation selbst ist sozial konstruiert und verweist dennoch aus-schließlich auf sich als objektive ‚Tatsache‘. Nur sie ist als ‚wahr‘, alsreale Beschreibung der Welt, als die einzige Wirklichkeit, in unseremFall, der Organisation anzusehen. Sie ist eine Konstruktion, die zwarals solche beobachtet werden kann, aber nicht – oder weit weniger –hinterfragt wird. Sie dient als Bezugspunkt für (fast) alle Kommuni-kationen und konstituiert somit ihren eigenen Realitätsgehalt.25

24 Bei dem Begriff der ‚Wiedereinführung‘ halte ich mich erneut an die mathema-

tisch orientierten theoretischen Ausführungen Spencer-Browns, die u.a. in demBuch ‚Gesetze der Form‘ nachzulesen sind. Bei der Wiedereinführung geht es umdie Beobachtung der Form, also der bezeichneten und der (vormals) unbezeich-neten Seite der Unterscheidung. Siehe hierzu Spencer-Brown 1997.

25 Wenn Unternehmensmitglieder über ihre Organisation sprechen, dann glaubendiese alle zu wissen, über was gesprochen wird. Man hat sich auf Zeichen und einegewisse Sprache geeinigt. Man weiß beispielsweise, was gemeint ist, wenn von

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Anders sieht es auf der Ebene der Witze, der informellen Kom-munikation, aus. Diese, so mein Versuch den Unterschied deutlichwerden zu lassen, sind soziale Konstruktionen zweiter Ordnung. Siesind Konstruktionen der Konstruktionen. Sie nehmen die Beobach-tungen von Realität als Ausgangspunkt für ihre Beobachtungen, siezeigen, was die formellen Beobachtungen nicht aufzeigen können.26

Für sich betrachtet, also in ihrem System der informellen Kommuni-kation, sind sie aber Beobachtungen erster Ordnung, die an sichselbst Anschlußfähigkeit suchen. Nur ein Beobachter, der im Standeist zwischen erster und zweiter Beobachtungsebene zu wechseln,kann sehen, was die Form des Witzes offenbart. Witze sind Kon-struktionen, die auf anderen, den gültigen formellen Kommunikatio-nen aufbauen. Sie stellen die vorhandenen Sichtweisen und Kon-struktionen in ein anderes Licht.27

Anknüpfend an meine eben getätigten Aussagen, stellen Jokesnun eine Dekonstruktion der vorherrschenden Konstruktion (for-melle Kommunikation = Realität) dar und schaffen somit eine weite-re Konstruktion. Nachdem sie, wie bereits geschildert, eine möglicheKontingenz, also ein als möglich geltendes Ausgeschlossene themati-sieren, muß diese Kommunikation aus der Sicht der formellenKommunikation als absurd, als daneben, als witzig, eben als Witz(und sonst gar nichts) beobachtet und beschrieben werden, wobeinatürlich ein Unterschied vorherrscht, zwischen dem, ob etwas als

Hierarchie gesprochen wird. Und man weiß auch, was diese Kommunikation alseinzige Wirklichkeit suggeriert: Respektiere Hierarchie!

26 Der von mir beschriebene Mechanismus der Beobachtung zweiter Ordnung wirdvon Dwyer ähnlich beschrieben, ohne jedoch auf diesen Terminus zurückzugrei-fen. Er drückt sich allgemeiner aus, indem er in seiner Arbeit von ‚Reflektionen‘spricht: „Joking relationships have a content that reflects these relations“ (S.1).Weiter heißt es: „It (the humour; Anm.: F.D.) reflects the social structures inwhich it occurs“ (S.3). (1991). Vgl. auch Douglas 1975.

27 Bezogen auf die Gesellschaft zeigt Critchley, zu was Jokes im Stande sind; er zeigt,was gemeint ist, wenn davon gesprochen wird, Konstruktionen in ein anderesLicht zu stellen: Humour „can have a critical function with respect to society. ...By laughing at power, we expose its contingency, we realise that what appeared tobe fixed and oppressive is in fact just the emperor’s clothes and just the sort ofthing that should be mocked and ridiculed. ... Humour does ... calls on us to facethe folly of the world and change the situation in which we find ourselves. ...Thus, jokes are a play upon form, where what is played with are the acceptedpractices of a given society.“ (1988, S. 8).

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aus: Frank E.P. Dievernich (Hg.): Kommunikationsausbrüche

absurd oder als witzig beobachtet wird. Die formelle Kommunikati-on kann Witze demzufolge als nichts anderes beobachten.

Dreht man diesen Sachverhalt um, so erscheint aus Sicht derKommunikation in Anlehnung an die Aussagen von Junge die for-melle Kommunikation als Witz, als ‚Angriff‘ auf die Freiheit der(natürlichen!?) Kommunikation. Dies, wenn man formelle Kommu-nikation als genau zu befolgende Anleitung an jede Kommunikationim organisationalen Kontext ansieht, nämlich zu kommunizieren, wiebereits vorgegeben. Eine Organisation kann, nein, muß darauf in der‚verteidigenden‘ Form des Humors reagieren, nämlich als Kommuni-kation, die bewußt andere, nicht vorgegebene Beschreibungen dieserOrganisation liefert. So gesehen ist eigentlich die Organisation mitihrer formellen Kommunikation der Witz,28 während die Witze denHumor des Kommunikationssystems ‚Organisation‘ darstellt.29

Dies auf den konstruktivistischen Formkalkül von Spencer-Brown zu beziehen heißt: Witze sind die Wiedereinführung einerKonstruktion, die bei der Bildung der Konstruktion der formellenKommunikation, also der geltenden Realität, ausgeschlossen wurde.Natürlich darf nicht übersehen werden, daß in der Organisationdurch bestimmte Entscheidungen, also durch vielfältige andere Artender Kommunikation Dinge, Sachverhalte, Kommunikationen ausge-schlossen werden. Die Entscheidung für eine Organisationsstrukturbeispielsweise, verhindert, daß bestimmte Personen miteinanderkommunizieren und versperrt so gewisse Thematisierungen – genau-so, wie andersherum, bestimmte Kommunikationen erst ermöglichtwerden. An dieser Stelle sei lediglich festgehalten, daß es natürlichnoch sehr viel weitere Ausschlußkriterien als den Humor gibt. Auchmuß man Gesagtes auf den Humor selbst beziehen: Was schließteigentlich der Humor in Organisationen aus? Was verhindert er,dadurch, daß es ihn gibt?

Um die Fruchtbarkeit einer erweiterten Beobachtungsperspektivefür die Organisation sicherzustellen, bedarf es meiner Ansicht nacheine Erklärung, wie die Kopplung zwischen formeller und informel-ler Kommunikation herzustellen ist. Wie respektive durch was kön-nen die Bestandteile der informellen Kommunikation zu Bestandtei- 28 Zum ‚Witz der Organisation‘ siehe den Beitrag von Baecker in diesem Band.29 Vgl. zum Gegensatz von Witz und Humor den Artikel von Junge in diesem Band.

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len der formellen Kommunikation werden? Auch andersherum läßtsich diese Frage stellen: Wie können die Beobachtungen der formel-len Kommunikation zu Kommunikationsinhalten der informellenKommunikation werden, so daß Witze produziert werden können?

Beides, formelle und informelle Kommunikation, sind Beobach-tungen, die ernst zu nehmen sind und die gegenseitig auf sich verwei-sen, ohne in Form von direkten Konsequenzen mitzubekommen,daß sie aufeinander verweisen. So beobachtet, können wir sehen, daßbeide Beobachtungsarten der jeweils anderen Beobachtungsart auf-zeigen kann, was sie nicht sieht. Der ‚link‘ erfolgt durch den Beob-achter, der die Wahl hat, bestimmte Kommunikationen des einenSystems (formelle oder informelle Kommunikation) als Kommuni-kationen in das andere System einzusteuern. Wie das jeweilige Kom-munikationssystem aber darauf reagiert, daß bleibt nur der Kommu-nikation vorbehalten.

Soll die kritische Beobachtung der Realität durch den Witz zu ei-ner Veränderung dieser führen, so ist dieser Beobachtungsmecha-nismus entscheidend, da der Witz wiederum darauf angewiesen ist,durch die formelle Kommunikation beobachtet (und verstanden) zuwerden. Nur dadurch ist die Voraussetzung geschaffen, daß die In-halte des Witzes zu Inhalten der formellen Kommunikation werden.Und nur dadurch kann der Inhalt des Witzes aus seiner ‚black box‘,in der er zwangsläufig steckt (es ist ja eine humoreske Kommunikati-on und diese ist erst einmal als solche nicht anschlußfähig gegenüberder formellen Kommunikation), herausgeführt werden.30 Wird er dasnicht, so unterliegt er einem paradoxen Mechanismus, gegen den ereigentlich votiert. Das Paradox würde darin liegen, daß der ‚Joke‘etwas kritisiert, ohne es wirklich verändern zu können (oder zu wol-len?). Man zieht sich durch die humoreske Kommunikation auf dieseKommunikation zurück (was bleibt einem eigentlich anders übrig?)und reproduziert im ersten Schritt durch diese Kommunikation den 30 Wenn wir von ‚black box‘ sprechen, verweisen wir indirekt auf die Ausführungen

Glanvilles (1988), der den Charakter von füreinander abgeschlossener Systeme mitdieser Figur deutlich herausstellt. Jedes System muß aus der Perspektive eines an-deren Systems als ‚black box‘ gelten, da es keine Aussage über die Zustände desjeweils anderen Systems machen kann. Das gilt auch für den Witz im Gegensatzzur formellen Kommunikation. Beides sind voneinander abgeschlossene Kom-munikationssysteme.

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aus: Frank E.P. Dievernich (Hg.): Kommunikationsausbrüche

zu kritisierenden Tatbestand, also die formelle Kommunikation, daman eine Beschreibung mit anderen Mitteln in einem anderen Sys-tem, nämlich der des Witzes, anfertigt, und somit die formelle Kom-munikation erst einmal so beläßt, wie sie ist.

Ein weiteres Beobachtungshindernis könnte man auf der perso-nalen Ebene ausmachen. So ist zu vermuten, daß bestimmte Witzeerst gar nicht überall gehört und beobachtet werden können, da sie inspeziellen ‚homogenen‘ Kreisen erzählt werden, ohne, daß die, diegegebenenfalls Thema des Witzes sind, davon erfahren könnten. Zudenken sind an die Witze, die ausschließlich in der Hierarchie ‚oben‘oder ‚unten‘ erzählt werden; der ‚link‘ zwischen beiden Ebenen fehlt.

Trägt man dennoch den Wunsch nach Veränderung in sich undbetrachtet man die Kommunikation des Humors als eine Kritisieren-de, so ist es unabdingbar, daß der Witz wiederum durch die formelleKommunikation beobachtet und in dieser ‚Sprache‘ zum Themawird. Wie und wann die Chancen gut stehen, daß die Inhalte desHumors zu Inhalten der formellen Kommunikation werden, wirdhier nicht ausgeführt; es sei lediglich die Anmerkung erlaubt, daß diesu.a. eine Frage der Machtverteilung in den Kommunikationsbezie-hungen ist.31 Des weiteren ist es eine Frage, inwiefern die Organisati- 31 Auf der Ebene des Individuums ist entscheidend, daß man als Witzeerzähler

akzeptiert wird. Der Witzeerzähler muß im Machtgefüge der Organisation an ei-ner Stelle vorkommen, die ihm gestattet, einen Witz erfolgreich zu plazieren. Hierliegt ein möglicher, weiterer paradoxer Stolperstein: Mit dem Witz will der Erzäh-ler die oder eine bestehende Situation in der Organisation kritisieren und meistensist diese Kritik in Form eines Witzes gebunden an einer Kritik der Hierarchie.Von dieser muß er aber indirekt die Zuschreibung erhalten, daß er ein Witz plazi-eren darf. Die Situation ist aber auch anders denkbar, verschlechtert aber dieChance, daß diese Kritik auch von der formellen Kommunikation vernommenwird: Der Witzeerzähler befindet sich ausschließlich in einem informellen Netzmit Gleichgesinnten, die keine andere Sprache als die der humoresken haben. Sieverfügen folglich über keine Macht in institutioneller Form, die sie von der Hie-rarchie zugewiesen bekommen haben, um sich mit der Organisation auseinander-zusetzen. Dort hin wird aber aus Sicht der formellen Kommunikation wenig hin-geschaut; die Kritik verpufft, bevor sie gehört und ernst genommen wird. Aberauch in diesem beschriebenen Gefüge gibt es Hierarchien, wer etwas sagen darf,wem man eher glaubt, und bei wem man die Ohren besser auf ‚Durchzug‘ stellt.Es bleibt dabei: Die Chance, daß ein Witz erzählt und gehört wird, ist eine Frageder Macht. Vgl. hierzu beispielsweise Bradney 1957. Spezieller äußert sich daschon Dwyer, der eine mathematische Lösung entwickelt hat (hier bezieht er sichauf Triad Theory von Caplow 1959), um zu klären, wann ein Witz als erfolgreichbezüglich eines initiierten Wandels zu gelten hat. Auch bei ihm steht im Mittel-

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on sich in einer Situation befindet, in der sie dringend auf alternativeBeschreibungen angewiesen ist um beispielsweise in einer turbulen-ten Umwelt überlebensfähig zu bleiben, also, inwiefern sie beispiels-weise in Probleme ihrer eigenen Reproduktion verstrickt ist. Humorist folglich eine bestimmte Form von (alternativer) Beobachtung, dieder Organisation zur Verfügung steht. Durch diese Beobachtungkann die Organisation Dinge über sich erfahren, die sie sonst nichtsehen würde. Dieser Punkt ist entscheidend. Natürlich darf nichtübersehen werden, daß es noch weitere Möglichkeiten gibt, sichselbst zu beobachten; hierauf werde ich aber im Rahmen dieses Auf-satzes nicht eingehen können.

IV.

An dieser Stelle kommen wir zur letzen Beobachtung von Humor inOrganisationen. Humor fördert und nutzt Ambiguität, so meineVermutung. So schreibt beispielsweise Linstead: „Humour may beused to create ambiguity or to promote closure“.32 Obwohl hiererwähnt, so erscheint mir doch die Aussage von Linstead zu einseitiggetroffen, da nicht gesehen wird, daß Humor Doppeldeutigkeit aufder anderen Seite erst ermöglicht und somit schafft. Humor kreiertund spielt mit dieser Zweideutigkeit, mit der Unsicherheit, die unteranderem alleine schon in der Sprache, also im aufgebauten Sprach-spiel, verankert ist. Das findet schon bei einzelnen Wörtern statt, diebeispielsweise durch ihren Klang verwechselt werden können. Soschreibt beispielsweise Schultz: „Phonological ambiguity occurswhen a given sound sequence can receive more than one interpreta-tion. This often results from a confusion about the boundaries be-tween words“.33 Diese, von Schultz angesprochenen Grenzen, beste-hen eben nicht nur zwischen den Wörtern, die unterschiedlich gehört

punkt der Betrachtungen die Frage nach der Macht. Es geht ihm darum aufzuzei-gen, welche Allianzen unterschiedlicher Akteure sich bilden müssen, um einenWandel, angestoßen durch einen Witz, erfolgreich zu initiieren. Vgl. hierzu Dwyer1991, aber auch Mulkay 1988 oder Winick 1976.

32 Linstead 1985.33 Schultz 1976, S. 13.

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und interpretiert werden können, sie bestehen auch bezüglich ganzerSätze, ganzer Verhaltensweisen, ganzer Situationen.

Darauf aufbauend, sozusagen eine Beobachtungsebene höher,findet dann ein Spiel mit den Kontexten statt, das wiederum zu un-terschiedlichen Ergebnissen in der Betrachtung einer Sache führenkann. So bekommen Wörter, Sätze, ja ganze Redewendungen einenvöllig anderen Sinn, wenn man sie in verschiedene Kontexte stelltund oft reicht nur ein Andeuten, daß ein Wechsel des Kontextesansteht. Sofort hat der Zuhörer ein anderes Bild vor Augen, welchesteilweise so absurd ist, daß der Lacher nicht verhindert werden kann.Ein Spiel mit den Kontexten ist ein Spiel mit der Zwei- oder Mehr-deutigkeit der Unterscheidung, die einem Wort, einem Satz odereiner ganzen Situation zugrunde liegt. Es ist ein Mechanismus, derauf die Kontingenz verschiedener Referenzpunkte verweist, die nun,während diesem Spiel, einer von allen geteilten und geläufigen Unter-scheidung ‚untergeschoben‘ wird, sozusagen als mitlaufende Erinne-rung an die Kontingenz jeder Unterscheidung. Durch diese Erinne-rung an Kontingenz wird es möglich zu sehen, daß die Organisationsich auch anders verhalten könnte, als sie es tut. Auch andere Bilderder Organisation können beobachtet, kommuniziert und letztendlichgeglaubt und gelebt werden. Die Wahrnehmung dieser Ambiguitätermöglicht es, mit den unterschiedlichen Situationsdefinitionen undihren Beschreibungen kontingent zu verfahren.Natürlich hat jedes Spiel seinen Preis, dieses hier selbstredend auch.Die Grenze zwischen Sicherheit und Unsicherheit wird sichtbar. Esist nicht mehr eindeutig, welche die von allen geteilte Realität inZukunft sein wird. Es wurde kommuniziert und es wurde gelacht.Und genau dadurch wird die nachfolgende Kommunikation verän-dert. Es wurde gelacht, es wurde ein Anschluß gefunden und es istnicht klar, inwiefern die formelle Kommunikation die humoreskeKommunikation beobachtet und sich gegebenenfalls verändert hat.Dies, da sie unter Umständen nun über eine andere Selbstwahrneh-mung verfügt, als es vor dieser humoresken Kommunikation der Fallwar.

So gesehen erscheint Humor in der Figur des Clowns Pirrot, beidem man nicht weiß, auf welche der beiden Seiten man zuerst hin-schauen und vor allem, welche der beiden Seiten man glauben schen-

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ken soll (die einfachste Lösung wäre beiden – wie aber soll man dannnoch kommunizieren, geschweige denn Handeln?).34 Das Feld allerweiteren Operationen ist nicht mehr zu kontrollieren, da nicht klarist, wie sich beide Seiten der Kommunikation (informelle und for-melle) entscheiden werden, zu kommunizieren. Das einzige was klarist, ist, daß kommuniziert wird, aber um welchen Inhalt es dann geht,daß bleibt erst einmal unklar. Es ist nicht abzuschätzen, wann und obdie informelle Kommunikation von der formellen Kommunikationbeobachtet wird und ob gegebenenfalls aus Spaß Ernst wird.

V.

Kommen wir zum Schluß. Ich habe aufzuzeigen versucht, daß Hu-mor eine spezifische Art von Kommunikation ist, die die formellenBeobachtungen und Beschreibungen der Organisation beobachtetund diese in ein anderes Licht, durch Produktion einer neuen Beo-bachtung und Beschreibung, stellt. Dieses neue Bild wird wieder indie Organisation eingeführt. Humor suggeriert im ersten Momentseiner Beobachtung, daß es sich um ein Spiel handelt, eben um einenWitz, der nicht als ‚ernst‘ aufzufassen ist. Dadurch verschließt dieinformelle Kommunikation sich gegenüber dem Zugriff der formel-len Kommunikation. Auf der anderen Seite – und das ist situations-abhängig – öffnet sie sich, da die formelle Kommunikation die in-formelle Kommunikation als ‚softe Kritik‘ beobachten kann. Sie kanndies, da die Kritik in Form eines Witzes ‚weich‘ eingepackt ist. Nebender formellen Sprache wird durch die informelle Sprache des Hu-mors der Organisation ein weiterer Beobachtungs- und Beschrei-bungsmechanismus an die Hand gegeben. Humor in Organisationenstellt folglich eine Grauzone dar. Bei Bedarf können alle Organisati- 34 Vgl. Ullian 1976.

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onsmitglieder, manchmal aber auch nur einige von ihnen, in dieseZone greifen, ohne direkten Sanktionsbefürchtungen ausgeliefert zusein – manchmal mißlingt aber auch dies. Der Blick in diese Grauzo-ne eröffnet dem Beobachter ein weiteres Bild von der Organisation.Man kann vermuten, daß dieses zum Teil realistischer ist, als dieBeschreibungen der formellen Kommunikation.35

Humor ist das, was schon Freud bemerkte: etwas, mit dem manaußerhalb von sich selbst, sich selbst betrachten kann.36 Nach Freudwirkt dieser Mechanismus befreiend und erhebend. Vor allem, weil eres vermag, der Organisation für einen kurzen Moment die Kontin-genz ihrer selbst zu offenbaren. Erhebend, weil für einen kurzenMoment ein blinder Fleck ausgeleuchtet wird. Der Humor befreit,weil er das mitliefert, was selbst der formelle Beobachter, wenn über-haupt, wohl nur ahnt, aber nicht zu denken vermag: Ist es um dieOrganisation wirklich schon so schlecht bestellt, wie die Inhalte derWitze es suggerieren?

Habe ich am Anfang davon gesprochen, daß es zu billig er-scheint, Ratschläge zu geben, die da lauten könnten: „Erzählt mehrWitze“, so möchte ich die von mir geübte Kritik an der funktionalis-tischen Managementliteratur ernst nehmen, und denen nachkommen,die dennoch immer noch einen (funktionalistischen) Ratschlag er-warten, und nicht mit dem Weg als Ziel zufrieden sind: Er lautetet:„Erzählt nicht mehr Witze, sondern, hört mehr auf Witze, nehmt sieernst“.37

35 Das hat damit zu tun, daß die formelle Kommunikation sich selbst, wenn über-

haupt, nur schwer beobachten kann. Die formelle Kommunikation kann nicht se-hen, was sie nicht sieht.

36 Vgl. Freud 1927.37 Vielleicht kommt aber auch dieser Ratschlag schon zu spät, da meine Beobach-

tungen der Praxis und meine Gespräche die ich mit Personen unterschiedlicherOrganisationen geführt habe, mir deutlich gemacht haben, daß es nicht so einfachist, Witze in Organisationen aufzuspüren, die sich selbst zum Thema habe. Witzeüber die Organisation oder über das Management, so sagte man mir, werden nichtgemacht, da „man Stolz ist, für das Unternehmen zu arbeiten“. Nimmt man dieseErgebnisse der Empirie ernst, so könnte man mit einer, vorsichtig formulierten,pessimistischen Einschätzung der Situation schließen. Sie könnte lauten: Organi-sationen vergessen und verlernen einen möglichen Mechanismus ihrer (Selbst-)Beobachtung. Sollte dem so sein, so würde die Organisation einen wichtigen Beo-bachtungsmodus verlieren, der sie vor sich selbst warnen kann.

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Nur so verhindert die Organisation, daß sie das gleiche Schicksalwie der Adler in dem nachfolgendem Gedicht teilt. Die Federn indem Gedicht sind ein Abbild der vielfältigen humoresken Beschrei-bungen, die in einer Organisation über die Organisation selbst erzähltwerden und mit der sie sich zu unterschiedlichen Anlässen gerneschmückt. Dies geschieht nicht selten mit dem Verweis, daß diese‚witzigen Geschichten‘ ein Teil ihrer Identität darstellen; man istStolz darauf, das ist Organisationskultur – und wer über eine solcheKultur verfügt, dem muß es gut gehen. Leider übersieht man dabeiall zu gerne, daß eine Kultur gleichsam auf Verfügbares, wie Unver-fügbares verweist.38 Dafür ist die Kultur selbst aber blind, da sie indem Ablauf ihres Programmes immer nur auf das Verfügbare zeigt.Die Witze einer Organisation sind folglich nicht das Zeichen, daß sieüber eine lustige Kultur verfügt, in der es ‚Spaß macht, zu arbeiten‘.Sie stellen ganz im Gegenteil die andere, die nicht beachtete Seite derformellen Kommunikation dar: Sie sind ein möglicher Einwand, diedie Kommunikation gegen sich und die Kultur erheben kann, umden eigenen blinden Fleck zu erhellen.„Ein Adler stürzt auf einen Hasen nieder.Da dringt des Jägers Pfeil ihm in das Herz.Im Tode sieht er noch des Pfeils Gefieder,Erkennt die eigenen Federn sofort wieder:‚Was einst mich schmückte,bringt mir Tod und Schmerz!‘“39

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38 Siehe zu dieser Unterscheidung Baecker 2000.39 Frei nach Äsop.

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