Wohnhöfe Auerberg in Bonn - usarch

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Baumeister 4/04 60 61 Uwe Schröder Wohnhöfe Auerberg in Bonn Oswald Mathias Ungers In Uwe Schröders innerem Außenraum, dem Nukleus seiner hausbezogenen Stadt- idee, erreicht der Wohnungsmieter seine Wohnung wie der Eigentümer sein Haus: im Freien, nach dem Umrunden eines Baums, nach dem Durchqueren eines Hofs. Das Pathos von Kreuzgang oder Agora hat an dieser gesellschaftlichen Schnittstelle, zwischen Privatheit, Gemein- schaft und Öffentlichkeit nicht nur Symbol- wert. Reiner Zweck? Keine Kunst? So ein- fach macht es sich ein konzeptionell und historisch versierter Ungers-Schüler, der auch Wolfgang Döring und Laurids Ortner zu seinen Lehrern zählt, nicht. Die in das Haus integrierte Raumidee der Stadt: Platz und Platzwand, quadratisch geordneter Raum und generell angelegte Raumform, ist regelmäßig auch ein Forum der Kunst. Die Aktualisierung der platonischen Welt der Ideen oder auch die ausdrückliche Konkretisierung der Revolutionsarchitektur Boullées führt Ungers zur reinen Kunst. Seinen quadratisch aufgebahrten Museen oder Wohnhäusern ist Vergnügen nicht angemessen. Reine Kunst birgt gebaut ein Risiko, laut Julius Posener gehört auch das Märkische Viertel in diese Kategorie. Uwe Schröder, für seine drei Bonner Woh- nungsbauprojekte, zuletzt die Wohnhöfe Auerberg, mit dem Kritikerpreis 2004 aus- gezeichnet, öffnet dem unschuldigen, neu- tralen Quadrat eine andere Welt. Er bezieht sich auf eine anthropologische Konstante, die schon Adolf Behne und Bruno Taut beschäftigt hat. Es sind ungewohnte Wohnformen, die Uwe Schröder vor allem dann im beschau- lichen Bonn wie selbstverständlich reali- siert, wenn er mehrere Wohnungen zuein- ander in Beziehung setzt. Ihr typologischer Schwerpunkt liegt im Raum vor der Woh- nung. Wo denkt man im Wohnungsbau schon in den Kategorien von Atrium, Agora, Forum, Kreuzgang und Kolonnade? Oder gar von einem „inneren Außenraum” (Schröder), einem in das Hausgefüge ein- bezogenen Mittler zwischen Hauszugang und Wohnungstür? Vor zwei Jahren standen sich der Lehrer und sein Schüler schon einmal gegenüber, mit zwei Texten, die in der Überschrift das jeweilige Gegenteil behaupteten. Uwe Schröder (Jahrgang 1964) titelte „Zweck und Form“, Oswald Mathias Ungers (Jahrgang 1926) in Kenntnis der Gegenmeinung „Form und Zweck“. 1 Der Unterschied liegt in den Prioritäten. Eine analytische Gegenüberstellung von Klaus-Dieter Weiß Strenge Ordnung und Symmetrie vermitteln Vornehmheit, dabei rei- hen sich 40 Miet-Einfami- lienhäuser mit nur 90 Quadratmetern Wohnflä- che in zweimal vier Fün- fergruppen um zwei Höfe. Lageplan M 1:2000. Im Nordwesten sollen in Zukunft zweigeschossige Maisonetten mit 60-Qua- dratmetern Wohnfläche anschließen, die in einem öffentlichen Park eng zu- sammenrücken. Eine Form ist eine Form ist eine Form, lautet der Leitsatz des Meisters. Dagegen behält der Schüler den höheren Zweck, die Gemeinschaft im Blick. Unten: Garten- seite des Hauses Ungers III in Köln (1994–96) von Oswald Mathias Ungers

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Baumeister 4/0460 61

Uwe Schröder

WohnhöfeAuerberg inBonn

Oswald MathiasUngers

In Uwe Schröders innerem Außenraum,dem Nukleus seiner hausbezogenen Stadt-idee, erreicht der Wohnungsmieter seineWohnung wie der Eigentümer sein Haus:im Freien, nach dem Umrunden einesBaums, nach dem Durchqueren einesHofs. Das Pathos von Kreuzgang oderAgora hat an dieser gesellschaftlichenSchnittstelle, zwischen Privatheit, Gemein-schaft und Öffentlichkeit nicht nur Symbol-wert. Reiner Zweck? Keine Kunst? So ein-fach macht es sich ein konzeptionell undhistorisch versierter Ungers-Schüler, derauch Wolfgang Döring und Laurids Ortnerzu seinen Lehrern zählt, nicht. Die in dasHaus integrierte Raumidee der Stadt: Platzund Platzwand, quadratisch geordneterRaum und generell angelegte Raumform,ist regelmäßig auch ein Forum der Kunst.

Die Aktualisierung der platonischen Weltder Ideen oder auch die ausdrücklicheKonkretisierung der RevolutionsarchitekturBoullées führt Ungers zur reinen Kunst.Seinen quadratisch aufgebahrten Museenoder Wohnhäusern ist Vergnügen nichtangemessen. Reine Kunst birgt gebaut einRisiko, laut Julius Posener gehört auch dasMärkische Viertel in diese Kategorie. UweSchröder, für seine drei Bonner Woh-nungsbauprojekte, zuletzt die WohnhöfeAuerberg, mit dem Kritikerpreis 2004 aus-gezeichnet, öffnet dem unschuldigen, neu-tralen Quadrat eine andere Welt. Er beziehtsich auf eine anthropologische Konstante,die schon Adolf Behne und Bruno Tautbeschäftigt hat.

Es sind ungewohnte Wohnformen, dieUwe Schröder vor allem dann im beschau-lichen Bonn wie selbstverständlich reali-siert, wenn er mehrere Wohnungen zuein-ander in Beziehung setzt. Ihr typologischerSchwerpunkt liegt im Raum vor der Woh-nung. Wo denkt man im Wohnungsbauschon in den Kategorien von Atrium,Agora, Forum, Kreuzgang und Kolonnade?Oder gar von einem „inneren Außenraum”(Schröder), einem in das Hausgefüge ein-bezogenen Mittler zwischen Hauszugangund Wohnungstür?

Vor zwei Jahren standen sich der Lehrerund sein Schüler schon einmal gegenüber,mit zwei Texten, die in der Überschrift dasjeweilige Gegenteil behaupteten. Uwe Schröder (Jahrgang 1964) titelte„Zweck und Form“, Oswald MathiasUngers (Jahrgang 1926) in Kenntnis derGegenmeinung „Form und Zweck“.1

Der Unterschied liegt in den Prioritäten.Eine analytische Gegenüberstellung

von Klaus-Dieter Weiß

Strenge Ordnung undSymmetrie vermittelnVornehmheit, dabei rei-hen sich 40 Miet-Einfami-lienhäuser mit nur 90Quadratmetern Wohnflä-che in zweimal vier Fün-fergruppen um zwei Höfe.

Lageplan M 1:2000. ImNordwesten sollen inZukunft zweigeschossigeMaisonetten mit 60-Qua-dratmetern Wohnflächeanschließen, die in einemöffentlichen Park eng zu-sammenrücken.

Eine Form ist eine Formist eine Form, lautet der Leitsatz des Meisters.Dagegen behält derSchüler den höherenZweck, die Gemeinschaftim Blick. Unten: Garten-seite des Hauses UngersIII in Köln (1994–96) vonOswald Mathias Ungers

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Wenn Ungers der Postmoderne 1998bescheinigt, ihr Voyeurismus habe „dieArchitektur in einen albernen Dekorati-vismus und einen geistigen Tinnefladenverwandelt” 2, möchte man ihn fragen, obdie absolut gesetzte Form dieses Risikonicht grundsätzlich in sich trägt. Im SinneMies van der Rohes: „Wirkliche Form setztwirkliches Leben voraus.” Die Ungers-Monographie 1951–1990 enthält zwar dasKapitel „Das Haus als Abbild der Stadt”,aber gezeigt werden darin lediglich Wett-bewerbe. Im Folgeband 1991–1998 löstsich diese blasse thematische Spur alsOrdnungselement der Monographie voll-ends in die viel zu simple Unterscheidungvon Projekten und Bauten auf. Der richtigeGedanke „Stadt in der Stadt”, „Haus imHaus” bleibt Formalie, er wird in der Praxisnicht räumlich greifbar und damit ver-ständlich. „Architektur, die nur funktioniert,ist trivial”, schreibt Ungers. Das Formalisie-ren als Gegenbotschaft bedarf allerdingseiner Zielsetzung und kommt darum ohneden Zweck nicht aus. Der Ansatz desGestaltungsprozesses liegt für Uwe Schrö-der darin, den Bedürfnissen Raum zugeben, denen Hausbau und Stadtbau ihreExistenz verdanken: der Suche nachSchutz und Gemeinschaft.

Versammlungsort

Ungers weist den Zweck, selbst an densymbolischen Fixpunkten Eingang undHerd, so weit von sich, dass Jünger undAndersgläubige leicht zu trennen sind. Sei-nem Schüler gelingt insofern ein bedeutsa-mer Brückenschlag. Schröder arbeitetevon 1988 bis 1990 während seines Studi-ums an der TH Aachen im Büro Ungers, alsdort späte Varianten der Marburg-Häuserund des Salzburger Wohnprojekts Forel-lenweg bearbeitet wurden, und war von1991 bis 1992, ebenfalls vor dem Diplom,Gasthörer bei Ungers. Im anschließendenAufbaustudium an der Düsseldorfer Kunst-akademie wurde er Meisterschüler vonLaurids Ortner. Die Seelenverwandtschaftzu Ungers bleibt unverkennbar. Dennochzeigen sich elementare Unterschiede.Haus Ungers III in Köln (siehe Seite 60) ver-steckt in seiner vierteiligen Fenstertüren-Symmetrie und in begehbaren Funktions-Doppelwänden nicht nur den Eingang, dieKüche und die Treppe, es unterscheidetanders als das von Schröder 1996 gleich-zeitig realisierte Haus Blömer-Feldmann inBonn (Bild oben) auch nicht zwischenErschließungs- und Gartenseite. „Eine kli-nisch reine Figur, eiskalte Geometrie, dieverzweifelte Suche einer spirituellen Ein-heit der Dinge”, die schon den spätmittel-alterlichen Philosophen und TheologenNikolaus von Kues (1401–1464) antrieb, so Francesco Dal Co. In seiner ersten Villa,Haus Clement in Bonn, baute Schröderden Typus des zentralen Atriums zumersten Mal, was beim Wohnungsbau zumAuslöser einer intensiven Beschäftigungmit dem „Außenwohnraum” bei BrunoTaut führte.

Innerer Außenraum

Ungers zufolge ist der Zweck der Architek-tur die Architektur. Oder, so sein Schluss-satz vor zwei Jahren: „Form ist Form alsForm, und alles andere ist alles andere.”Bei Schröder verbindet sich die Formalitätmit konkreter, komplexer Funktion. Soschlicht – und perfekt im Detail – die for-malen Mittel eingesetzt sind, so poetischist deren räumliche Botschaft. Das Wohnensteht im Vordergrund einer raumbezoge-nen und erst dann idealen Form. Form, dienicht auf Selbstherrlichkeit zielt, sondernauf den Zweck. Die edlen Lärchenholz-Fas-saden mit ihren beweglichen Elementensind von den Bewohnern schnell durchein-andergebracht und bleiben es. Kleinlich-keiten der Fassade, die die Peinlichkeitendes Hausens dahinter schon in die Öffent-lichkeit tragen, bevor sie begangen sind,werden durch Kontinuität und Permanenz,aber ohne Monotonie vereitelt.

Stadt in der Stadt

Gewöhnlich ist Wohnungsbau am Zweckorientiert, aber nicht am höheren Zweck.Leider auch nicht am zweckdienlichenTypus, sondern an aufgeschminkter, grell-bunter Vielfalt. Ungers konterkariert in sei-ner Architektur zu Recht die niederenZwecke, verliert dabei aber auch denhöheren Zweck aus dem Blick, der imGemeinschaftsmodell der Stadt als höchs-ter Kunstaufgabe (Gottfried Semper) liegt.Dieser Aufgabe ist zum Beispiel nichtdadurch Rechnung getragen, dass derBewohner mit Hilfe von zwei symmetrischangelegten Haustüren links- und rechts-herum in ein Treppenhaus einsteigen kann,wie bei der Wohnbebauung am BerlinerLützowplatz (1983). Ähnliches gilt für dasjüngere Beispiel der Köthener Straße inBerlin (1987), das zwar acht dreigeschossi-ge Einzelhäuser mit aufgesetzten Wohnun-gen zusammenschließt, diesen aber kei-nerlei Autonomie einräumt. Die Außenab-messungen des Berliner Blocks weichenmit 40 Metern nicht allzu dramatisch vonden 47 Metern der Bonner Wohnhöfe ab.

Vor allem dem halböffent-lichen Raum schenkt derArchitekt besondere Auf-merksamkeit: Mit eigenerHaustür fühlt sich derMieter hier wie ein Haus-besitzer.

Noch fehlt dem jungenStadtteil Auerberg einhomogenes und zusam-menhängendes Gefüge,so bemühen sich die bei-den Wohnhöfe um einGefühl der Geborgenheitund geben sich introver-tiert.

Oben die Gartenseite desHauses Blömer-Feldmannin Bonn von Uwe Schröder. Es entstand1996, zeitgleich mit demHaus Ungers III (Seite 60).

Nach Meinung des Archi-tekten führt das Prinzipder Reihung nur selten zuaußenräumlicher Quali-tät, daher ist diese Sied-lung nach dem Vorbildder Vierkanthöfe ange-legt. In ihrer Mitte wach-sen vier mal vier Lindenaus dem blaugrauen Ba-saltsplittbelag.

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Wohnhöfe Auerberg in Bonn Raumform

In Schröders Wohnhöfen bespielen dieBewohner ein Instrument, das funktionalvieles zulässt, formal aber – auf deutlichhöherem Niveau als im Wohnungsbauüblich – Grenzen zieht. Versteckt werdennur die Heizkörper in den fixen Endfeldernder Fassade. Nebenräume und Treppe kon-zentrieren sich minimiert im Zentrum des„Hauses”, allein die Wasseranschlüssegehören nicht zum festen technischenRepertoire jedes teilbaren Individualrau-mes. Der Besucher klingelt unmittelbar vorKüche und Essraum beziehungsweiseWohndiele und Eingangshalle. Oder auchvor dem einzigen Wohnraum, wenn sich,wie in dem vielfältigen Nutzungskanonauch geschehen, Wohngemeinschaftendrei große Zimmer von jeweils knapp 20Quadratmetern und eine ebenso großeWohnküche teilen. Die zugrunde gelegteDenkstruktur des Quadrats wird nur in denAußenräumen sichtbar, am stärksten imzentralen Hofraum mit seinem künstlichenNaturdach. Wie die Bewohner diesenRaum nutzen, bleibt abzuwarten. Ihre posi-tive Grundhaltung überrascht nicht, ausWohnungsmietern sind de facto Hausbe-wohner geworden, was baurechtlich indieser Dichte gar nicht möglich gewesenwäre. Vielleicht werden die Bewohnerihren gedeckten Frühstückstisch mituntertatsächlich vor ihr Haus stellen. DieHaustür ist zweiflügelig angelegt. Der linkeTürgriff rahmt die Hausnummer und dasSchloss, der rechte den Namen derBewohner und die Klingel. Vor allem öffnetsich die Haustür, eigentlich die Wohnungs-tür, aber 1,70 Meter weit im Lichten. Damitwird die Haustür wie die Schiebeläden zueinem Element der Gemeinschaft, zu einerForm, die dem Menschen Raum gibt.

Bauherr: EHF Wohnungsbau GmbH & Co. KG, BonnArchitekten: Uwe Schröder, Bonnwww.usarch.deMitarbeiter: Stefan Dahlmann, Till Robin Kurz, Stefanie SchmandStatik: Hans Ertl, Ingenieurbüro für Tragwerksplanung, BonnPlanungsbeginn: 1998Fertigstellung: 7/2003Standort: Prager Straße 20-98, Bonn

Fotos: Peter Oszvald, Bonn

1Der Architekt 12/2001,S.15ff. / S.23

2Oswald Mathias Ungers:Aphorismen zur Architektur, in: ders.:Architektur 1991–1998,Stuttgart 1998, S. 15

Ob für Familien, Wohnge-meinschaften oder sons-tige Gruppierungen – dieRäume haben alle gleicheGröße und gleichen Zu-schnitt, so können siegerecht verteilt werden.Der zum Hof orientierteRaum im EG dient als Ein-gangshalle, Küche undWohnraum.

Grundrisse Erdgeschoss M 1:1000

Grundrisse M 1:200ObergeschossErdgeschoss

Das Ordnungssystem dik-tiert nicht nur Raumbil-dung und Bauform, son-dern beeinflusst selbstkleinste Form- und Raum-teile.

1 Gruppierung2 Konstruktion3 Ordnung4 Raumbildung5 Kernraum und

Anräume6 Spiegelung

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