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Symposium „Wer, wenn nicht wir? - Bürgergesellschaftliche Initiativen in der Globalisierung“ Hittisau, Ritter-von-Bergmann-Saal, 30.-31. März 2007 Simona Wolesa (Büro des Österreichischen Städtebundes in Brüssel) KOMMUNEN ALS AKTEURE IN DER EU-POLITIK? Brüssel – brauch ich das? Das kommt darauf an: man sagt, die Europäische Union beeinflusst 80 % der wirtschaftspolitischen Entscheidungen und 50 % der politischen Entscheidungen. Soll man also abseits stehen und mit den Achseln zucken? Soll man mit (konstruktiver) Kritik versuchen mitzuarbeiten, die politischen Entscheidungen und ihre Implementierung beeinflussen? Unstimmigkeit und Kritik gehören doch zum Stimulus der Europäischen Union. Die österreichischen Städte haben sich für das Mitgestalten entschieden. Der natürliche Verbündete für unsere Städte ist oftmals die Europäische Gemeinschaft und nicht immer der Nationalstaat. Die Kommunen sind alleine nicht in der Lage, die zum Teil global bedingten Herausforderungen an eine zukunftsgerichtete und nachhaltige Stadtentwicklungspolitik zu bewältigen. Gemeinsame Strategien der Gemeinden unter Beteiligung anderer öffentlicher und privater Akteure sind daher unerlässlich. Der Österreichische Städtebund ist in Brüssel seit 1994 präsent. Die wichtigste Aufgabe ist es, im Interesse der Städte Einfluss auf die europäische Gesetzgebung zu nehmen. Dabei sind für uns die Kommission / das Europäische Parlament / der Rat und der EuGH von Bedeutung. Wir halten Kontakt mit unserem europäischen Dachverband (RGRE = Rat der Gemeinden und Regionen Europas), und wir sind mit allen nationalen Kommunalverbänden Europas, die in Brüssel anwesend sind vernetzt. Der Erfolg der Einflussnahme hängt immer von den richtigen Kontakten und den richtigen Zeitpunkten ab. Vor Ort zu sein ist wichtig: Hier haben wir unsere Kontaktpersonen, die uns über die Ernsthaftigkeit und Dringlichkeit von Situationen sofort informieren. Schließlich haben fast alle der in Europa behandelten Themenfelder einen Kommunalbezug (etwa die Ausstattung der Strukturfonds, die Wettbewerbsvorgaben bei Ausschreibung kommunaler Leistungen, die Umsetzung der EU- Feinstaub- oder Umgebungslärmrichtlinie oder die europarechtlich begründete Umweltverträglichkeits- prüfung). Ist Lobbying das Ende der Demokratie? Lobbying ist eine Art der Beeinflussung politischer Entscheidungen durch bestimmte Interessenvertreter oder pressure groups. Auf Grund ihrer wirt- schaftlichen und sozialen Verantwortung hat die kommunale Ebene ein besonderes Anrecht, an den

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Symposium „Wer, wenn nicht wir? - Bürgergesellschaftliche Initiativen in der Globalisierung“ Hittisau, Ritter-von-Bergmann-Saal, 30.-31. März 2007 Simona Wolesa (Büro des Österreichischen Städtebundes in Brüssel) KOMMUNEN ALS AKTEURE IN DER EU-POLITIK?

Brüssel – brauch ich das? Das kommt darauf an: man sagt, die Europäische Union beeinflusst 80 % der wirtschaftspolitischen Entscheidungen und 50 % der politischen Entscheidungen. Soll man also abseits stehen und mit den Achseln zucken? Soll man mit (konstruktiver) Kritik versuchen mitzuarbeiten, die politischen Entscheidungen und ihre Implementierung beeinflussen? Unstimmigkeit und Kritik gehören doch zum Stimulus der Europäischen Union. Die österreichischen Städte haben sich für das Mitgestalten entschieden. Der natürliche Verbündete für unsere Städte ist oftmals die Europäische Gemeinschaft und nicht immer der Nationalstaat. Die Kommunen sind alleine nicht in der Lage, die zum Teil global bedingten Herausforderungen an eine zukunftsgerichtete und nachhaltige Stadtentwicklungspolitik zu bewältigen. Gemeinsame Strategien der Gemeinden unter Beteiligung anderer öffentlicher und privater Akteure sind daher unerlässlich.

Der Österreichische Städtebund ist in Brüssel seit 1994 präsent. Die wichtigste Aufgabe ist es, im Interesse der Städte Einfluss auf die europäische Gesetzgebung zu nehmen. Dabei sind für uns die Kommission / das Europäische Parlament / der Rat und der EuGH von Bedeutung. Wir halten Kontakt mit unserem europäischen Dachverband (RGRE = Rat der Gemeinden und Regionen Europas), und wir sind mit allen nationalen Kommunalverbänden Europas, die in Brüssel anwesend sind vernetzt. Der Erfolg der Einflussnahme hängt immer von den richtigen Kontakten und den richtigen Zeitpunkten ab. Vor Ort zu sein ist wichtig: Hier haben wir unsere Kontaktpersonen, die uns über die Ernsthaftigkeit und Dringlichkeit von Situationen sofort informieren. Schließlich haben fast alle der in Europa behandelten Themenfelder einen Kommunalbezug (etwa die Ausstattung der Strukturfonds, die Wettbewerbsvorgaben bei Ausschreibung kommunaler Leistungen, die Umsetzung der EU-Feinstaub- oder Umgebungslärmrichtlinie oder die europarechtlich begründete Umweltverträglichkeits-prüfung). Ist Lobbying das Ende der Demokratie? Lobbying ist eine Art der Beeinflussung politischer Entscheidungen durch bestimmte Interessenvertreter oder pressure groups. Auf Grund ihrer wirt-schaftlichen und sozialen Verantwortung hat die kommunale Ebene ein besonderes Anrecht, an den

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entscheidungsfindenden Prozessen in Brüssel teilzunehmen. Lobbying hat ein negatives Image und wird sogar manchmal als demokratiegefährdend bezeichnet, weil finanziell starke Organisationen und multinationale Unternehmen häufiger davon Gebrauch machen (können) als etwa Kommunen oder BürgerInnen. Solange aber politische Parteien die Interessen der schwächeren Mitglieder unserer Gemeinschaft vertreten, scheint unsere Demokratie gesichert. Die demokratische Kontrolle in der EU funktioniert. Wer sich mehr wünscht, für den gäbe es eine einfache Lösung: etwa durch europäische Volksbegehren oder stärkere Mitsprache der nationalen Parlamente. All diese Elemente finden sich in einem Dokument, das kein Beamter der Europäischen Gemeinschaft durchsetzen kann, sondern nur die BürgerIinnen und die Regierungen der Mitgliedsstaaten: die Europäische Verfassung. Bereits jetzt darf die EU nur dann in das Leben der Bürger eingreifen, wenn eine europaweite Lösung vorteilhafter ist als eine nationale. Subsidiarität nennt man das. Und alle Brüsseler Gesetzesentwürfe benötigen die Zustimmung gewählter Volksvertreter. Globalisierung Die Globalisierung weckt ebensolche Ängste wie die EU-Erweiterung. Zu bedenken ist, dass die Europäische Union auf Kooperation und Solidarität beruht, sie deshalb auch gut in die globalisierte Welt passt – im Gegensatz etwa zum individualistischen amerikanischen System. Das EU-System hat wegen seiner historischen Erfahrungen und kulturellen Vielfalt eine größere Befähigung, die Globalisierung in geordnete Bahnen zu lenken. Hier werden Zusammenhänge leichter verstanden. Europa braucht seine kulturelle Vision, genauso wie es die Wettbewerbsfähigkeit braucht. Gerade dieses Wissen sollte Europa auf wirtschaftlichem Gebiet effizienter und konkurrenzfähiger machen. Prof. Monti (Präsident der Mailänder Wirtschafsuniversität Bocconi; ehemaliger Wettbewerbskommissar) meint sogar, dass „Europa eine globale Mission hat, es die Sperrspitze der Zivilisation bei der Steuerung globaler Prozesse ist“. Europäisierung Die EU gilt weltweit als Vorbild und wird von anderen Staaten mit Interesse beobachtet. Die Union ist die erste politische Gemeinschaft, die auf Frieden beruht. Es ist das ehrgeizigste politische Projekt der Geschichte. Eigentlich könnten wir uns freuen, dass wir Teil dieses Projektes sind. Aber auf Europäischen Gipfeln quält sich Europa (oder wird gequält) mit Grundsatzfragen – die Finanzplanung für die nächsten Jahre, die angemessenen Reaktionen auf die Globalisierung, die ausufernden Sozialsysteme, die „verlorene“ Verfassung, die nicht vorhandene europäische Identität. Den tatsächlichen Ursprung dieser Probleme erklärt kaum jemand. Die Schwierigkeiten, einen Arbeitsplatz zu finden, die Konkurrenz durch Billiglohnländer, die keine eigenen Sozialmodelle haben, dafür diejenigen Europas aus den Angeln heben, die Unsicherheit auf der Straße, die Probleme mit Zuwanderern – all dies sind keine Probleme, die Europa allein geschaffen hat, Europa hat aber Verantwortung an der Lösung dieser Probleme. “Kommunalisierung“ Die gravierenden Auswirkungen der EU-Politik auf die kommunale Ebene stehen nicht im Einklang mit den umgekehrten Möglichkeiten der Städte, eine kommunal- sowie bürgerorientierte Europapolitik zu beeinflussen. Hier ist Europa, das heißt vor allem unsere Regierungen, viel stärker gefordert als bisher, bereits vor der Inkraftsetzung von Richtlinien und Verordnungen eine „Kommunalverträg-lichkeitsprüfung“ durchzuführen. Nur wenn es die Europäische Union dauerhaft erreicht, durch seine

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Politik einen positiven Beitrag für die Kommunen als bürgernächste Ebene in Europa zu leisten, kann auch die Akzeptanz der Menschen für Europa gesteigert werden. Europa ist den Einsatz wert. Auf dem Spiel stehen Europas Einfluss und Wohlergehen im 21. Jahrhundert. Simona Wolesa (Wohleser) – studierte Rechtswissenschaften und Kunstgeschichte; Abschluss mit Promotion. Arbeitet in Brüssel seit 1989. Frühere Tätigkeiten: parlamentarische Assistentin im Europäischen Parlament, in einer Anwaltskanzlei, in deutschen Kommunalbüros, bei Migration Newsheet (monat-liches Informationsbulletin zu Immigrationsfragen, Brüssel), als UN-Wahlbeobachterin, Praktikum in der EU-Kommission etc . Derzeitige Funktion: Leiterin des Büros des Österreichischen Städtebundes in Brüssel. Arbeitsgebiete: besonders kommunalrelevante Themenbereiche wie Vergaberecht, Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, öffentlicher Personennahverkehr, Umweltrecht, Europäische Verfassung, etc. Info: www.staedtebund.eu – siehe „Europa“ Das Projekt „Globalisierung und die Spielräume lokaler Politik“ wird unterstützt von