Zahnverletzungen der bleibenden Dentition und deren TherapieZahnverletzungen der bleibenden...
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Zahnverletzungen der bleibenden Dentition und deren TherapieStrukturiertes und vorausschauendes Vorgehen ist das A und O
Ein Be i t rag von Dr. Chr i s toph K aaden, München
Diagnostik und Therapie von Zahnverletzun-gen gehören nicht zu den Routinearbeiten einer zahnärztlichen Praxis. Da es sich hierbei zumeist um Notfälle mit sofortigen Interventionsnotwen- digkeiten handelt, stellen diese besondere Anfor-derungen an das Behandlerteam.
Wie bei jeglicher Art von medizinischem Notfall
ist es daher sinnvoll, sich in regelmäßigen Abstän-
den mit den unterschiedlichen Verletzungsarten
und deren Behandlungsformen auseinanderzuset-
zen und das Wissen hierüber aufzufrischen. Be-
handlungen, die beim Erwachsenen richtig oder
zumindest akzeptabel sind, können bei Kindern
Folgen herbeiführen, die zu einem späteren Zeit-
punkt nicht oder nur noch schwer beherrschbar
sind (Abb. 1).
Vor diesem Hintergrund gilt es, in der zahnärzt-
lichen Traumatologie vorausschauend zu behan-
deln, um zum richtigen Zeitpunkt die korrekten
und notwendigen Entscheidungen treffen zu kön-
nen. Ziel dieses Artikels ist es, einen Überblick der
aktuell gültigen Therapiekonzepte von Zahnverlet-
zungen der zweiten Dentition auf Basis der aktuel-
len S2k-Leitlinie zur Therapie des dentalen Traumas
bleibender Zähne sowie der Richtlinien der Inter-
national Association of Dental Traumatology (IADT)
zu geben. Bezüglich der Behandlung traumatisier-
ter Milchzähne wird auf die Arbeit von Dr. Anna-
Kristina Pelka (BZB 1-2/2013, S. 55 ff.) verwiesen.
DefinitionAls Zahntrauma oder dentales Trauma wird die
akute mechanische Verletzung von Zähnen und
deren benachbarten Strukturen bezeichnet. Nach
der aktuellen WHO-Klassifikation erfolgt hierbei
eine Einteilung in Frakturen und Dislokationsverlet-zungen (Abb. 2). Da die aktuelle Nomenklatur die
verschiedenen Traumata anatomisch treffender
beschreibt, sollten die vormals gebräuchlichen Be-
zeichnungen der „Luxationsverletzungen“ nicht
mehr verwendet werden. Während Zahnfraktu-
ren entsprechend ihrer Lokalisation eingeteilt
werden, erfolgt die Einordnung von Dislokatio-
nen nach Ausmaß und Richtung der traumatisch
bedingten Auslenkung des Zahns aus seiner
ursprünglichen Position.
EpidemiologieDie Prävalenz des dentalen Traumas wird weltweit
mit circa 25 bis 30 Prozent angegeben. Am häu-
figsten kommt es hierbei zur unkomplizierten Kro-
nenfraktur am oberen mittleren Incisivus. Patien-
ten mit Zahnfehlstellungen, vor allem bei deutlich
protrudierten Oberkieferfrontzähnen in Kombina-
tion mit einer Unterkieferrücklage (Angle-Klasse
II/1), sind davon häufiger betroffen. Die durch
Verletzungen der Zähne bedingten Krankheits-
und Folgekosten werden für Deutschland auf etwa
200 bis 550 Millionen Euro pro Jahr geschätzt.
Abb. 1: Zustand nach Avulsion der Zähne 12 bis 21. Alio loco
erfolgten eine Replantation, flexible Schienung und Mini-
Osteosynthese(-Plattenent-fernung) bei Alveolarfortsatz-
fraktur. Sechs Wochen nach dem Unfall zeigten sich aus-
geprägte, infektionsbedingte Wurzelresorptionen sowie
Wurzelperforationen durch die vormals eingebrachten
Mini-Osteosyntheseschrauben.
Abb. 2: Klassifikation des dentalen Traumas
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Diagnostik und DokumentationDiagnostik und Dokumentation von Zahnverlet-
zungen basieren auf einer Anamnese sowie klini-
schen und radiologischen Befundaufnahme. Da bei
Zahnunfällen häufig Versicherungsansprüche ent-
stehen können, ist eine umfassende Dokumentation
unerlässlich. Es empfiehlt sich, die wesentlichen Be-
funde aus Gründen der Sorgfalts- und Dokumenta-
tionspflicht in vorgefertigten Befundblättern (z. B.
Erfassungsformular Frontzahntrauma der DGZMK)
zusammenzufassen. So kann sichergestellt werden,
dass keine relevanten Punkte vergessen werden und
der zurückliegende Unfall auch nach Jahren noch
nachvollziehbar bleibt.
AnamneseDie anamnestische Befragung des Patienten (bei
Kindern auch der Eltern) beginnt mit Fragen zum
Unfallhergang. Von Interesse sind dabei Ort, Zeit-
punkt, Ursache und Ablauf des Unfalls, die Betei-
ligung von Dritten sowie eventuelle Zeugen. Bei
Hinweisen auf eine Gehirnerschütterung muss der
Patient in eine entsprechende Fachklinik über-
wiesen werden.
Intraorale UntersuchungDie intraorale Untersuchung beinhaltet neben
der Abklärung der betroffenen Zähne auch die
Analyse von Nachbarzähnen und Antagonisten.
Ebenso müssen die Untersuchung benachbarter
Strukturen von Hart- und Weichgewebe integra-
ler Bestandteil des Vorgehens sein. Möglicherweise
existierende Weichteilwunden sollten klinisch und
gegebenenfalls radiologisch auf eingedrungene
Fremdkörper oder Zahnfragmente kontrolliert wer-
den, da diese zu diesem Zeitpunkt vergleichsweise
einfach entfernt werden können (Abb. 3). Nicht zu-
letzt sollte auch an die Überprüfung der Okklusion
gedacht werden.
Radiologische UntersuchungDie Erstellung von Röntgenbildern ist in der
Zahntraumatologie unabdingbar. In erster Linie
sollten Zahnfilmaufnahmen der traumatisier-
ten, aber auch der (vermeintlich) unverletzten
Nachbarzähne angefertigt werden. Panorama-
schichtaufnahmen können bei Verdacht auf eine
Kieferfraktur zusätzlich sinnvoll sein. Volumen-
tomografieaufnahmen können je nach Art der
Verletzung ebenfalls von großem Nutzen sein, da
sie eine dreidimensionale Darstellung der dento-
alveolären Strukturen bei geringer Strahlendosis
ermöglichen. Wichtig hierbei zu beachten ist ein
adaptiertes Volumen (= kleines Field of view =
FOV) mit hoher Ortsauflösung. So können Umfang
und Ausmaß ansonsten gegebenenfalls verborge-
ner oder falsch eingeschätzter Verletzungen sicher
identifiziert werden. Dies gilt insbesondere für die
Beurteilung möglicher horizontaler Wurzel- und
Alveolarfortsatzfrakturen (Abb. 4 bis 6).
TherapieFolgende Allgemeingrundsätze sollten in der Akut-
situation beachtet werden:
· minimalinvasives Vorgehen mit gegebenenfalls
notwendiger Reposition/Ruhigstellung und Weich-
teilversorgung
· Vorgehensweise nach chirurgischen Grundsätzen:
· Hartgewebe vor Weichgewebe
· von innen nach außen
· Sofortmaßnahme für avulsierte Zähne: Überfüh-
rung in Zahnrettungsbox (weitere Alternativen in
nachfolgendem Text)
Frakturen von ZahnhartsubstanzDie Frakturen von Zahnhartsubstanzen lassen sich
in Kronen-, Wurzel- beziehungsweise kombinierte
Kronen- und Wurzelfrakturen einteilen. Haupt-
ursache für diese Verletzungsarten sind „spitze“
Krafteinwirkungen aus labialer Richtung, das
heißt, durch Auftreffen relativ kleiner Massen mit
hoher Geschwindigkeit (z. B. Steinwurf).
KronenfrakturenEntsprechend ihrer Ausdehnung wird zwischen
unkomplizierter und komplizierter Kronenfraktur
(= mit Eröffnung des Pulpakavums) unterschie-
den. Unkomplizierte Formen können darüber hi-
naus entweder als reine Schmelzinfrakturen oder
Schmelz-Dentin-Frakturen vorliegen.
Therapie der unkomplizierten KronenfrakturWenn eine definitive Versorgung nicht sofort
möglich ist, sollte bei exponiertem Dentin auch
Abb. 3: Radiologische Darstellung multipler Zahnfragmente und Fremdkörper nach penetrieren-der Verletzung der Unterlippe
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ohne visuelle Eröffnung der Pulpa zu deren Schutz
eine Abdeckung (z. B. mittels Glasionomerzement)
erfolgen. So soll eine bakterielle Infektion über die
sehr weitlumigen Dentintubuli verhindert werden.
Neben einer Kompositrestauration als definitive
Therapie ist auch die Wiederbefestigung des Frag-
ments bei gesicherter Repositionierbarkeit eine sehr
gute Option. Ein gegebenenfalls ausgetrocknetes
Bruchstück kann zur schnelleren Rehydrierung für
kurze Zeit in einen Drucktopf gelegt werden.
Zähne mit unkomplizierter Kronenfraktur sollten
im ersten Jahr nach dem Unfall mindestens ein-
mal nachkontrolliert werden. Die Prognose für das
Überleben der Pulpa ist bei adäquater Versorgung
gut und führt in maximal sechs Prozent zu einer
Nekrose. Sollte jedoch auch gleichzeitig eine Dis-
lokation vorgelegen haben, ergibt sich ein deutlich
höheres Risiko einer späteren Nekrose (Abb. 7 und 8).
Therapie der komplizierten KronenfrakturDurch die Eröffnung des Pulpagewebes kommt es
zunächst immer zu einer superfiziellen Pulpitis.
Ohne weitere beziehungsweise mit unzureichender
Therapie wäre nachfolgend eine Pulpanekrose das
Resultat. Das primäre Ziel muss daher die Vital-
erhaltung der Pulpa durch eine möglichst suffi-
ziente Restauration sein. Die partielle Pulpotomie
ist hierbei in der Regel die Therapie der Wahl.
Studien zeigen, dass die Prognose nach einer
partiellen Pulpotomie deutlich besser ist als nach
einer direkten Überkappung (94 bis 96 % versus
72 bis 88 %). Dies gilt sowohl für Zähne mit ab-
geschlossenem als auch nicht abgeschlossenem
Wurzelwachstum. Bei begleitenden Dislokations-
verletzungen muss durch eine kompromittierte
Blutzirkulation von einer reduzierten pulpalen
Heilung ausgegangen werden.
Da die Entzündungsreaktion auch einige Tage nach
Exposition auf die oberflächlichen Pulpaareale be-
schränkt bleibt, sollten nur die oberflächlichen
2 mm der Pulpa mittels diamantierten Instrumenten
abgetragen werden. Nach Blutstillung erfolgt dann
die Überkappung mit einem pulpaverträglichen
und bakteriendichten Material (beispielsweise
Ca(OH)2 oder biokeramischer Zement).
Bei längeren Expositionszeiten sollte die voll-
ständige Pulpotomie einer partiellen Pulpotomie
oder einer Pulpektomie vorgezogen werden. Hierfür
dürfen jedoch keine Symptome einer irreversiblen
Pulpitis vorliegen. Anderenfalls ist eine vollständige
Pulpektomie angezeigt.
Soweit vorhanden, kann das abgebrochene Zahn-
fragment anschließend wieder adhäsiv befestigt
werden. Ansonsten sollte eine adhäsive Komposit-
restauration erfolgen.
WurzelfrakturenMit nur 0,5 bis 7 Prozent aller Zahnverletzungen
kommt eine horizontale Wurzelfraktur relativ sel-
ten vor. Der Altersgipfel liegt hierbei zwischen dem
11. und 20. Lebensjahr. Entgegen weit verbreiteter
Abb. 4: Alio loco angefertigte Einzel-zahnröntgenaufnahme nach
Trauma mit den Diagnosen unkomplizierte Kronenfraktur
des Zahns 21, komplizierte Kronenfraktur des Zahns 11 und laterale Dislokation der
Zähne 12, 11 und 21Abb. 5: Zustand nach alio loco durchgeführter Erstbehandlung mit Reponierung und flexibler Schienung der beschriebenen Zähne
Abb. 6: Ausschnitt des aufgrund der multiplen Befunde angefer-tigten kleinvolumigen DVT. Es zeigen sich multiple knöcherne Frak-turen des Alveolarfortsatzes und der Spina nasales. Diese Befunde beeinflussen die Therapie (u. a. Schienungsart/Dauer) erheblich.
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Meinungen haben wurzelfrakturierte Zähne eine
gute Prognose. Die Erhaltbarkeit wird mit nahezu
80 Prozent angegeben.
Wurzelfrakturen werden entsprechend ihrer Loka-
lisation dem apikalen, mittleren oder zervikalen
Wurzeldrittel zugeordnet, wobei die Frakturlinie
sehr selten rein horizontal verläuft. Ferner gilt es
gegebenenfalls zu unterschieden, ob eine Disloka-
tion des koronalen Fragments vorliegt oder nicht.
Auch eine Avulsion des koronalen Fragments kann
bei dieser Traumaform möglich sein.
Je sulkusnäher die Fraktur verläuft, desto schlech-
ter ist die Prognose einzuschätzen, da es zu einer
Infektion über den Parodontalspalt kommen kann.
Bei günstigem Verlauf besteht die Therapie in der
Regel aus einer vierwöchigen Schienung nach
gegebenenfalls vorausgegangener notwendiger
Repositionierung des koronalen Fragments. Die
tatsächliche Schienungsdauer hängt von dem
Verlauf des Bruchspalts ab und kann bis zu zwölf
Wochen betragen (Abb. 9 und 10).
In nur circa 25 Prozent dieser Traumaform wird
nachfolgend noch eine endodontische Therapie
notwendig. Dies kann dann der Fall werden,
wenn die Dislokation mehr als circa 1 mm be-
trug. Größere Verlagerungen verdoppeln die
Wahrscheinlichkeit einer Nekrose und reduzie-
ren eine Ausheilung signifikant. Je besser die Re-
position erfolgen konnte, desto wahrscheinlicher
ist ein optimales Heilungsergebnis. Im seltenen
Fall einer entstehenden Nekrose sollte die Wurzel-
kanalbehandlung/-füllung ausschließlich bis
zum Bruchspalt erfolgen. Der „Neoapex“ kann
hierbei zum Beispiel mit einem biokeramischen
Material (z. B. MTA) orthograd verschlossen wer-
den (Abb. 11 bis 13).
Der Versuch, das apikale Fragment in die Therapie
zu integrieren, würde zu einem sicheren Misserfolg
führen. Auch eine chirurgische Entfernung des (in
der Regel vital bleibenden) apikalen Fragments
ist nicht angezeigt, da dies die Prognose auch ver-
schlechtern würde.
Kombinierte Kronen- und WurzelfrakturenHierunter versteht man Schmelz-Dentin-Frakturen
unter Beteiligung von Zahnkrone und Wurzel mit
und ohne Pulpaeröffnung. Diese Kombinationen
kommen relativ selten vor. Da die Fragmente in
der Regel subgingival noch durch Parodontal-
fasern gehalten werden, besteht meist nur eine ge-
ringe Dislokation. In 2-D-Röntgenaufnahmen ist
der Frakturverlauf nicht immer in seiner gesam-
ten Ausdehnung sicher darstellbar. Demnach ist
die bessere Beurteilung des Verlaufs erst möglich,
nachdem das koronale Fragment entfernt wurde
(Abb. 14 und 15). Folgende Schritte können gege-
benenfalls zusätzlich indiziert sein:
· chirurgische Freilegung gegebenenfalls subkrestaler
Bruchflächen im Sinne einer Kronenverlängerung
zur Etablierung der biologische Breite
· orthodontische Extrusionstherapie
· chirurgische Extrusionstherapie
Abb. 7: Einzelzahnröntgenaufnahme nach Trauma mit unkompli-zierten Kronenfrakturen an
den Zähnen 11 und 21 sowie zusätzlicher lateraler Dis-
lokation von Zahn 11Abb. 8: Insuffiziente Abdeckung der Dentinwunden mit weiterhin großflächiger Dentinexposition und erhöhter Infektionsgefahr
Abb. 9: Alio loco angefertigte Einzelzahnröntgenaufnahme nach Trauma mit horizontaler Wurzelfraktur
Abb. 10: Die hochauflösende DVT-Aufnahme zeigt den tat- sächlichen Bruchverlauf mit ungünstiger Prognose.
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Ist der Zahn als erhaltbar einzustufen, entspricht
das weitere Prozedere dem der unkomplizierten be-
ziehungsweise komplizierten Kronenfraktur.
Bei sehr weit nach apikal reichenden Kronen-Wur-
zel-Frakturen muss der Zahnerhalt kritisch hinter-
fragt werden. Als therapeutische Möglichkeiten soll-
ten dann insbesondere bei nicht abgeschlossenem
Kieferwachstum unter anderem folgende Möglich-
keiten erwogen werden:
· orthodontischer Lückenschluss
· autogene Transplantation (Milcheckzähne im
frühen Wechselgebiss, Prämolaren im späten
Wechselgebiss)
· Dekoronation
· prothetische Versorgung (z. B. mit einflügeliger
Adhäsivbrücke)
Verletzungen des ZahnhalteapparatsDiese Art der Zahnverletzungen entsteht durch eine
plötzliche Dislokation des Zahns in seiner Alveole
und wird häufig durch ein „stumpfes“ Trauma (z. B.
Sturz zu Boden) verursacht. Die resultierenden
Schäden treten in unterschiedlichem Ausmaß auf
und betreffen primär das Parodont. Je nach Schwere-
grad können aber auch Endodont, Alveolarknochen
und Gingiva involviert sein.
Die durchzuführende Repositionierung und Schie-
nung (siehe Tab. 3) sollen einen möglichst langfristi-
gen Zahnerhalt mit Regeneration der parodontalen
Gewebe sowie einen bestmöglichen Heilungsverlauf
aller beteiligten Gewebe sichern.
KonkussionBei der Konkussion liegt eine Verletzung des Zahn-
halteapparats ohne Lockerung und Verlagerung
des Zahns vor. In der Regel treten keine Kau- und
Perkussionsempfindlichkeiten auf. Sensibilitätstest
und röntgenologische Untersuchung zeigen keine
Besonderheiten. Das Risiko von Folgeschäden ist
sehr gering.
LockerungZusätzlich zu den Befunden einer Konkussion findet
sich in solchen Fällen ferner eine erhöhte Beweglich-
keit (Grad I bis III) des Zahns. Eine geringe Blutung
aus dem Sulkus ist möglich. Der Sensibilitätstest
kann verzögert oder negativ sein und bis zu drei
Monate Auffälligkeiten zeigen. Nur bei starker
Lockerung ist röntgenologisch eine Erweiterung des
Parodontalspalts sichtbar. Zur Komfortverbesserung
kann eine flexible Schienung erfolgen.
Laterale DislokationZu dieser Traumaform gehören alle nicht in axia-
ler Richtung verlagerten Zähne, wobei zumeist
Abb. 14: Verdacht auf Kronen- Wurzel-Fraktur mit unklarem Ausprägungsgrad
Abb. 15: Zustand nach Entfer-nung des koronalen Fragments mit ungünstigem Bruchverlauf
Abb. 11: Zustand nach Fahrradsturz mit horizontaler Fraktur der Zähne 21 und 11 (inkl. komplizierter Kronenfraktur)
Abb. 13: Fünf Jahre nach Trauma zeigen sich radiologisch keinerlei pathologischen Be- funde an den vormals betroffenen Zähnen.
Abb. 12: Erkennbare radiologische Entzün-dungszeichen im Bruchspalt fünf Monate nach Trauma
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eine Dislokation nach oral anzutreffen ist. Oftmals
besteht eine „Verkeilung“ in dieser Position, was
dann zu einem hohen metallischen Klang bei Per-
kussion führt. Die Dislokation in labio-lingualer
oder mesio-distaler Richtung ist häufig mit einer
Fraktur oder einem Einriss des Alveolarknochens
verbunden. Die Röntgenuntersuchung kann, je
nach Einstellung, eine Erweiterung des Parodon-
talspalts zeigen. Bei einer traumatisch erweiterten
Alveole zeigt sich hingegen eine deutlich erhöhte
Mobilität des Zahns. Eine flexible Schienung von
einer bis vier Wochen wird empfohlen.
IntrusionDie Verletzungsart „Intrusion“ ist durch eine mas-
sive Krafteinwirkung in zentraler Achsenrichtung
des Zahns bedingt, wodurch er in den Alveolar-
knochen hineingetrieben wird. Charakteristisch
sind dabei Infraktionen der Alveolenwand und die
Quetschung des Gefäßnervenstrangs. Die Zahn-
krone kann klinisch nur noch teilweise oder gar
nicht mehr sichtbar sein. Der Parodontalspalt lässt
sich röntgenologisch nicht darstellen. Die meisten
intrudierten Zähne reagieren aufgrund ihrer Eintrei-
bung in die Alveole unempfindlich auf Perkussion.
Der Perkussionsklang ist ähnlich wie bei einem
ankylotischen Zahn hell und metallisch. Tabelle 1
gibt eine Übersicht über das empfohlene Vorgehen
in Abhängigkeit des Intrusionsgrades.
ExtrusionBei der Extrusion wird der Zahn aus seiner Al-
veole herausbewegt. Extrudierte Zähne erschei-
nen länger, weisen abnorme Lockerung auf und
sind häufig mit Okklusionsstörungen verbunden.
Darüber hinaus treten Blutungen aus dem Des-
modont auf. Der Perkussionsklang ist dumpf. Im
Röntgenbild ist der erweiterte Parodontalspalt
deutlich evident. Die Therapieempfehlung sieht
eine langsame, axiale Reponierung und anschlie-
ßende Schienung vor. Als häufigste (Spät-)Folge
gilt die Pulpanekrose.
AvulsionBei einer Avulsion liegt die vollständige Ablösung
des Zahns aus seinem Knochenfach vor. Für die Ab-
wägung der weiteren Therapie und Einschätzung
der Prognose des Zahns ist es von entscheidender
Wichtigkeit zu eruieren, wie lange sich der Zahn in
unphysiologischer (z. B. trockener) Lagerung außer-
halb der Alveole befand. Als entscheidender Zeit-
raum dafür wurden 60 Minuten definiert. Danach
muss von einer Nekrose der desmodontalen Zellen
auf der Wurzeloberfläche ausgegangen werden.
Dieser Umstand entscheidet daher maßgeblich
über das weitere Prozedere. Folgende Sofortmaß-
nahmen sollten beachtet werden:
· Vermeidung einer weiteren Austrocknung/Schä-
digung der Wurzelhaut
· physiologische Lagerung in einer Zahnrettungsbox
(Alternativen: H-Milch, isotone Kochsalzlösung,
Frischhaltefolie, Ringerlösung)
· Spülung und „Reinigung“ der Wurzeloberfläche
mit physiologischer Kochsalzlösung (siehe Tab. 2)
· drucklose Replantation
· Tetanusschutz abklären
Die Indikation zu einer systemischen antibiotischen
Therapie sollte zurückhaltend gestellt werden und
kann gegebenenfalls bei umfangreichen Begleit-
verletzungen indiziert sein.
Nach Abschluss der Akutmaßnahmen entscheiden
zwei Einflussfaktoren über das weitere Prozedere
(Tab. 2):
1. Liegt ein abgeschlossenes oder nicht abgeschlos-
senes Wurzelwachstum vor?
2. War die extraorale unphysiologische Lagerung
des Zahns länger als 60 Minuten?
Hervorzuheben bleibt, dass avulsierte Zähne mit
abgeschlossenem Wurzelwachstum nach Replan-
tation immer eine endodontische Behandlung be-
nötigen. Da eine Revaskularisierung nie möglich
ist, würde eine abwartende Haltung die Prognose
(ggf. drastisch) verschlechtern.
geringgradige Intrusion (< 3 mm) bei offenem Apex
mittelgradige Intrusion(3 – 6 mm)
starke Intrusion (> 6 mm)
begleitende Fraktur des Alveolarfortsatzes
spontane Reeruption in den nächsten drei Wochen abwarten; danach gege- benenfalls wie mittlere Intrusion
chirurgische oder kieferorthopädische Reposition
sofortige chirurgische oder kieferorthopädische Reposition
sofortige Reposition von Fragment und Zahn; rigide Schienung bis zu sechs Wochen
Tab. 1: Empfohlenes Vorgehen in Abhängigkeit des Intrusionsgrades
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SchienungIm Anschluss an eine Repositionierung beziehungs-
weise Replantation findet zur Lagestabilisierung des
Zahns und als Aspirationsschutz eine Schienung
statt. Eine Empfehlung zur Schienungsdauer kann
Tabelle 3 entnommen werden.
Für die flexible Schienung empfiehlt sich ein Tita-
nium Trauma Splint (TTS), der mithilfe der Säure-
Ätz-Technik jeweils punktförmig pro Zahn fixiert
wird. Neben dem reponierten Zahn sollte jeweils
zusätzlich ein benachbarter Zahn rechts und links
miteinbezogen werden. Um die spätere Entfernung
der Schienung nicht unnötig zu komplizieren, sollte
ein weißes oder wenig zahnfarbenes Komposit ge-
wählt werden. Zur Entfernung empfehlen sich rotie-
rende Hartmetallinstrumente aus der Kieferortho-
pädie (z. B. H23RA, Komet Dental).
Es gilt zu beachten, dass die physiologische Beweg-
lichkeit des Zahns nicht durch eine rigide Schienung
einschränkt wird. Außerdem darf keine Zwangs-
position herbeigeführt werden. Die Schiene muss
parodontienfreundlich sein und eine suffiziente
Mundhygiene ermöglichen (Abb. 16).
Nachsorge und (Spät-)FolgenDie Bedeutung regelmäßiger Nachkontrollen er-
schließt sich aus den möglichen Spätfolgen, die
auch bei adäquater initialer Therapie nicht sicher
vermieden werden können. Art und Schweregrad
möglicher Komplikationen sind eng mit dem Aus-
maß der pulpalen Schädigung, dem Umfang der
parodontalen Verletzung sowie der einsetzenden
Infektion des Wurzelkanalsystems verknüpft.
Die (Spät-)Folgen nach dentalem Trauma können
zum Teil erst Monate oder Jahre nach dem Ereignis
auftreten. Grundsätzlich bleibt oberster Grundsatz
zur Prävention von Spätfolgen, dass die notwen-
digen Therapieschritte zum richtigen Zeitpunkt
Wurzelwachstum abgeschlossen
Wurzelwachstum nicht abgeschlossen
extraorale unphysiologische Lagerung < 60 Minuten
· flexible Schienung für sieben bis zehn Tage
· Beginn der endodontischen Therapie vor Schienenentfernung –> keine Revaskularisierung möglich!
· medikamentöse Einlage (Ca(OH2)) für mindestens eine Woche
· flexible Schienung für sieben bis zehn Tage
· primär keine Wurzelkanal- behandlung –> Revaskularisierung in circa 50 Prozent der Fälle möglich!
· engmaschiges Recall zur Erkennung möglicher pathologischer Befunde
extraorale unphysiologische Lagerung > 60 Minuten
· Entfernung des parodontalen Ligaments vor Replantation
· flexible Schienung bis zu vier Wochen
· Beginn der endodontischen Thera-pie nach sieben bis zehn Tagen
· Wurzelkanalbehandlung mit bioresorbierbaren Materialien
· Entfernung des parodontalen Ligaments vor Replantation
· flexible Schienung bis zu vier Wochen
· Beginn der endodontischen Thera-pie nach sieben bis zehn Tagen
· Wurzelkanalbehandlung mit bioresorbierbaren Materialien
Traumaart Dauer Art
Konkussion ein bis drei Wochen (bei Bedarf) flexibel
Lockerung ein bis drei Wochen (bei Bedarf) flexibel
laterale Dislokation ein bis vier Wochen flexibel
Extrusion ein bis drei Wochen flexibel
Intrusion ein bis drei Wochen (nach chirurgischer Reponierung)
flexibel
Avulsion sieben bis zehn Tage flexibel
horizontale Wurzelfraktur vier bis zwölf Wochen (je nach Frakturverlauf) flexibel
(begleitende) Alveolarfortsatzfraktur bis zu sechs Wochen rigide
Tab. 2: Empfohlenes Vorgehen nach Avulsion in Abhängigkeit entscheidender Parameter
Tab. 3: Empfohlene Schienungsdauer in Abhängigkeit der Traumaart
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eingeleitet und sachgemäß durchgeführt werden
müssen. Insbesondere eine rechtzeitige endodon-
tische Intervention soll hierbei die Infektion des
Wurzelkanalsystems mit nachfolgender apikaler
Parodontitis verhindern.
Apikale ParodontitisDie Pulpa kann durch das Trauma so geschädigt
worden sein, dass diese eintretenden Mikroorga-
nismen nicht mehr entscheidend entgegentreten
kann. Bei ausbleibender Therapie kommt es all-
mählich zur vollständigen mikrobiellen Infektion
des Wurzelkanalsystems und Pulpanekrose. Da
zunächst nicht zwingend klinische Symptome
vorliegen müssen, wird die Diagnose zumeist (als
Zufallsbefund) radiologisch gestellt. Eine apikale
Parodontitis gehört zu den häufigsten Spätfolgen
nach Trauma (Abb. 17 bis 19).
Infektionsbedingte Wurzelresorptionen Mit einsetzender bakterieller Infektion des Endo-
donts und gegebenenfalls existierender Schädigung
des Wurzelzements sind infektionsbedingte Resorp-
tionen die Folge. Röntgenologisch finden sich trans-
luzente Zonen unterschiedlicher Größe entlang
einer unregelmäßigen Wurzelaußenkontur. Als
Hauptreiz gilt die Infektion des Wurzelkanalsystems
durch Mikroorganismen. Deren Toxine gelangen
über weitlumige Dentintubuli in das entzündlich
veränderte Gewebe und initiieren beziehungsweise
unterhalten die resorptiven Prozesse. Demnach sind
infektionsbedingte Wurzelresorptionen häufig Folge
einer zu spät eingeleiteten endodontischen Thera-
pie und weitgehend vermeidbar. Das sehr schnelle
Fortschreiten dieser Resorptionsform kann insbe-
sondere bei Kindern eine vollständige Zerstörung
der Wurzel innerhalb von Wochen und Monaten
verursachen (Abb. 20).
ErsatzresorptionenErsatzresorptionen sind Wurzelresorptionen mit
gleichzeitiger „reparativer“ Knochenneubildung
nach ausgedehnten Nekrosen des parodontalen
Ligaments. Sind mehr als 20 Prozent des Wurzel-
zements betroffen, ist davon auszugehen, dass die
Zahnwurzel allmählich von Dentinoklasten resor-
biert wird. Da die resorbierten Bereiche gleichzei-
tig durch Knochen ersetzt werden, kommt es zu
einer Ankylose. Klinisch sind solche Zähne an der
fehlenden Beweglichkeit zu erkennen. Die axiale
Perkussion resultiert in einem hellen, metallähn-
lichen Klang. Röntgenologisch erkennt man die
ankylotischen Bezirke am Fehlen des Desmodon-
talspalts und an einem unregelmäßigen Erschei-
nungsbild der Wurzelaußenkontur.
Die mittlere Fünf-Jahres-Überlebensrate für re-
plantierte Zähne nach unphysiologischer Lagerung
über 60 Minuten liegt bei circa 50 Prozent. Deshalb
sollte in Fällen mit entsprechend zu erwartender
Ersatzresorption eine Wurzelkanalbehandlung
mit bioresorbierbaren Materialien wie Kalzium-
hydroxid durchgeführt werden. Damit kann das
Risiko für einen Verbleib von Wurzelfüllresten im
Knochen beziehungsweise eine mögliche Fremd-
körperreaktion verringert werden.
Abb. 16: Zustand nach Frontzahnavulsion mit insuffizienter Schienung
Abb. 17: Zustand nach Avulsion und Replantation von Zahn 11 (2014)
Abb. 18: Zustand zwei Jahre nach Trauma ohne weitere Therapie (2016)
Abb. 19: DVT-Aufnahme zwei Jahre nach Trauma mit erkennbarer ausgeprägter apikaler Osteolyse
Wissenschaft und Fortbildung | BZB Juni 18 | 67
Bei jungen Patienten führen ankylotische Areale
zur Infraposition des Zahns. Sollte diese mehr als
1 mm betragen, kann eine Dekoronation in Be-
tracht gezogen werden, um ein Kollabieren des
Alveolarkamms zu verhindern (Abb. 21).
Derzeit sind die therapeutischen Möglichkeiten bei
vorliegenden Ersatzresorptionen sehr beschränkt.
Ein möglicher Ansatz zur Verzögerung oder Ver-
meidung besteht darin, alternative Medikamente
im Wurzelkanalsystem einzusetzen. Im Zuge der
Erstbehandlung wird versucht, mit der Applikation
von Antibiotika-Kortikosteroid-Pasten (z. B. Leder-
mix), die via Dentintubuli in Richtung Parodont
diffundieren, auch vom Wurzelkanal aus Einfluss
auf den Resorptionsprozess zu nehmen. Klinische
Untersuchungen, die den tatsächlichen Nutzen
hiervon sicher belegen, sind bisher allerdings rar.
SchlussfolgerungenDie Behandlung von Zahntraumata erfordert ein
strukturiertes Vorgehen:
· Anamnese,
· extraorale/intraorale Untersuchung,
· Röntgendiagnostik,
· Diagnosestellung und
· Therapie.
Die Befunde und Diagnose sollten durch eine
vielseitige und umfassende Untersuchungs-
methodik verifiziert werden. Insbesondere in der
zahnärztlichen Traumatologie gilt es, voraus-
schauend zu behandeln, um ungewünschte Folgen
durch inadäquate Erstbehandlungen zu vermei-
den. Regelmäßige Nachkontrollen zur Erkennung
von gegebenenfalls auftretenden Spätfolgen sind
unerlässlich.
Korrespondenzadresse:Dr. Christoph Kaaden
Praxis für Endodontologie & dentale TraumatologieBriennerstraße 5, 80333 München
[email protected], www.endokaaden.de
Literatur beim Verfasser
Abb. 20: Ausgeprägte infektionsbedingte Resorptionen bei insuffizientem
TraumamanagementAbb. 21: Deutlich erkennbare Infraposition bei Ankylose des vormals avulsierten Zahns 21 nach unphysiologischer Lagerung
Zum vierten Mal schreibt die Deutsche Gesellschaft für
Ästhetische Zahnmedizin (DGÄZ) ihren mit 3.000 Euro
dotierten Claude-Rufenacht-Promotions-Preis aus. Aus-
gezeichnet wird die beste wissenschaftliche Promotions-
arbeit auf dem Gebiet der Ästhetischen Zahnmedizin.
Der Preis wird seit 2014 jährlich vom Vorstand der Ge-
sellschaft verliehen. Der Namensgeber der Auszeich-
nung, Dr. mult. Claude Rufenacht, ist ein Pionier der
Ästhetischen Zahnmedizin. Verliehen wird der Preis im
Rahmen der Jahrestagung Interna der DGÄZ.
Einsendeschluss ist der 31. August 2018. Die Arbeiten
müssen anonym und mit einem Kennwort versehen in
fünf Exemplaren in deutscher oder englischer Sprache
bei der Geschäftsstelle der DGÄZ eingereicht werden.
In einem mit dem Kennwort versehenen verschlosse-
nen Umschlag werden Name und Adresse des Autors
angegeben. Dieser Umschlag ist der eingereichten
Arbeit beizufügen. Allen Exemplaren der Arbeit muss
zusätzlich eine mit dem Kennwort versehene Zusam-
menfassung von maximal zwei Seiten beigelegt sein,
in der die wissenschaftliche Bedeutung für die Ästheti-
sche Zahnmedizin klar hervorgehoben wird.
Weitere Informationen zur Bewerbung sind auf der Web-
site der Gesellschaft verfügbar:
www.dgaez.de
Redaktion
DGÄZ schreibt Rufenacht-Promotions-Preis 2018 aus
| BZB Juni 18 | Wissenschaft und Fortbildung68