Zeichen des Aufstands - #04

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    Zeichen des AZeichen des Aufstandsufstands(A(Ausgabe Nusgabe Nr. 4, 26. Mai 2011)r. 4, 26. Mai 2011)

    Jrg Mller

    Das Bild zeigt die Puerta del Sol in Madrid. Seit nunmehr zwei Wochen

    demonstrieren dort sowie in zahlreichen anderen Stdten des Landes

    Hunderttausende gegen Sozialabbau, Repression und Kapitalismus.

    Sie halten zentrale Pltze besetzt, campieren und weichen auch nicht

    trotz Versammlungsverbot. Die Menschen sind wtend auf die

    Regierung, die nanzielle Krisen auf ihrem Rcken auszutragen

    versucht. Es lsst sich eine Tendenz erkennen, dass Menschen fr ihre

    Bedrfnisse aufstehen und ihre Wut zeigen. Protestwellen haben inden letzten Jahren viele Regionen der Welt erfasst: gypten, Tunesien,

    Frankreich, Griechenland und jetzt Spanien. Auch wenn die Ziele

    unterschiedlich sein mgen, die Menschen nehmen ihre Sache selbst

    in die Hand und solidarisieren sich in Massen.

    Mit dieser Ausgabe wollen wir einen Einblick wagen in Teile der

    Bewegungen der letzten Jahre. Die Vielheiten der Ideen und

    Motivationen sich zu regen sollen oen bleiben. Deshalb wollen wir

    auch Blicke auf Bcher werfen, welche versuchen ins Oene undMgliche zu schauen. Die Auswahl der Rezensionen beschrnkt sich in

    dieser Ausgabe leider auf den europischen Kontinent einen weiteren

    Blick werden wir in kommenden Ausgaben wagen. Den Anfang machen

    zwei Autor_innen, die sich Louisa und Michael nennen. Sie verteidigen

    das Pamphlet Der kommende Aufstand gegen Kritiken, nach denen es

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    http://www.kritisch-lesen.de/2011/05/von-nahenden-aufstanden-und-burgerlichen-kritikenhttp://www.kritisch-lesen.de/2011/05/von-nahenden-aufstanden-und-burgerlichen-kritiken
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    sich um eine antimoderne Hetzschrift handele, und heben hervor,

    der Band leiste Beitrag, Wut und Zorn sagbar zu machen. In der

    Rezension zu Wir sind ein Bild der Zukunft beschftigt Fritz Gde sich

    mit den Revolten in Griechenland und kommt zum Schluss, dass mit

    einem Aufschwung der Bewegung zu rechnen ist, wenn es ihr nach denneuen Erpressungen Griechenlands durch die EU gelingt, sich einer

    breiteren Emprung dagegen anzuschlieen. Um die Prozesse gegen

    die Militante Gruppe (mg) geht es in der Rezension Alles was uns

    fehlt ist die Solidaritt von Thomas Trueten, die die Schwierigkeiten

    von solidarischer Antirepressionsarbeit verdeutlicht. In der letzten

    Schwerpunktbesprechung widmet sich Fritz Gde der ktiven

    Geschichte Schwarzenberg von Stephan Heym, der aus der tatschlich

    sechs Wochen lang nicht besetzten Region 1945 die Rterepublik

    wiederauferstehen lsst. Dieses "Experiment im Vakuum" hlt der

    Rezensent fr eine inspirierende Lektre.

    Zudem gibt es in dieser Ausgabe noch zwei weitere aktuelle

    Besprechungen. Ismail Kpeli unterzieht das Buch Islamfeindlichkeit

    in Deutschland von Achim Bhl einer solidarischen Kritik. Den

    Determinismusvorwurf in der Biographie Marxens von Rolf Hosfeld

    nimmt Dirk Brauner unter die Lupe und entlarvt es als einseitigen

    Versuch, das eine Marxbild zu entwerfen.

    Aus dem Archiv kommen auerdem Fritz Gdes Besprechung zu Bini

    Adamczaks Gestern Morgen hinzu, in der er die wegweisenden Blicke

    der Autorin in vermeintlichen Sackgassen hervorhebt. Und zum

    Schluss bespricht Adi Quarti (Post-) Operaismus von Birkner/Foltin,

    eine Einfhrung in Theorie und Praxis dieser Arbeiterbewegung.

    Es sei noch auf unseren Newsletter hingewiesen. Wer immer

    rechtzeitig ber die neuesten Ausgaben per Mail informiert werdenwill, sollte sich unbedingt mit Email-Adresse bei unserem Newsletter

    anmelden (siehe Spalte rechts).

    Zum Schluss ein Hinweis: Vom 03. bis zum 05. Juni nden in Berlin

    die Linken Buchtage statt. Wir werden uns gemeinsam mit dem

    Antifaschistischen Infoblatt, der edition assemblage und dem US-

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    http://www.kritisch-lesen.de/2011/05/der-aufstand-der-immer-schon-ankamhttp://www.kritisch-lesen.de/2011/05/alles-was-uns-fehlt-ist-die-solidaritat/http://www.kritisch-lesen.de/2011/05/alles-was-uns-fehlt-ist-die-solidaritat/http://www.kritisch-lesen.de/2011/05/1945-%E2%80%93-raterepublik-im-nirgendwo/http://www.kritisch-lesen.de/2011/05/islamfeindlichkeit-in-deutschlandhttp://www.kritisch-lesen.de/2011/05/islamfeindlichkeit-in-deutschlandhttp://www.kritisch-lesen.de/2011/05/das-marxbild/http://www.kritisch-lesen.de/2007/11/gestern-morgen/http://www.kritisch-lesen.de/2007/01/post-operaismus/http://linkebuchtage.de/cms/_rubric/index.php?rubric=Startseitehttp://www.nadir.org/nadir/periodika/aibhttp://www.edition-assemblage.de/http://www.edition-assemblage.de/http://www.nadir.org/nadir/periodika/aibhttp://linkebuchtage.de/cms/_rubric/index.php?rubric=Startseitehttp://www.kritisch-lesen.de/2007/01/post-operaismus/http://www.kritisch-lesen.de/2007/11/gestern-morgen/http://www.kritisch-lesen.de/2011/05/das-marxbild/http://www.kritisch-lesen.de/2011/05/islamfeindlichkeit-in-deutschlandhttp://www.kritisch-lesen.de/2011/05/islamfeindlichkeit-in-deutschlandhttp://www.kritisch-lesen.de/2011/05/1945-%E2%80%93-raterepublik-im-nirgendwo/http://www.kritisch-lesen.de/2011/05/alles-was-uns-fehlt-ist-die-solidaritat/http://www.kritisch-lesen.de/2011/05/alles-was-uns-fehlt-ist-die-solidaritat/http://www.kritisch-lesen.de/2011/05/der-aufstand-der-immer-schon-ankam
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    amerikanischen Verlag PM Press einen Infostand teilen und freuen uns

    auf spannende Diskussionen und Kontakte.

    Viel Spa beim (kritischen) Lesen!

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    VVoon nahenden An nahenden Aufstnden und brgerlichenufstnden und brgerlichenKriKritiktikenen

    Unsichtbares KomiteeDer kommende Aufstand

    Von Louisa und Michael

    Am kleinen Bndchen scheiden sich die Geister: Handelt es sich umreaktionre Hetze oder um ein wegweisendes Werk?

    Selten hat in den letzten Jahren ein Buch aus dem linksradikalen

    Spektrum so viel Aufsehen erregt wie Der kommende Aufstand

    (Linsurrection qui vient). Insbesondere im Herbst 2010 wurde im

    deutschsprachigen Raum unzhliges geschrieben und vehement

    gestritten. Wir wollen an dieser Stelle nicht nur das Werk selbst unter

    die Lupe nehmen, sondern auch die Diskussion in Deutschland. (Wir

    orientieren uns in der Besprechung an der im Internet frei verfgbaren

    und von einem Kollektiv bersetzten Fassung, sind aber durchaus nicht

    der Auassung, dass die bersetzung der Edition Nautilus eine weit

    schlechtere sei).

    KrKreise und Aeise und Auswuswegeege

    Die Autor_innen beschreiben zunchst in sieben Kapiteln (genauer

    Kreisen), wie es derzeit um den immer noch erniedrigten,

    geknechteten, verlassenen und verchtlichen Menschen steht. Angelehnt an die Ideen Agambens, Deleuze, Foucaults, der

    Situationistischen Internationalen, etc. entfalten sie im ersten Teil die

    knittrige Vernetzungen von momentaner Macht und Herrschaft. Die

    Beschreibungen der Gegenwart auf der Mikro- und Makroebene

    zeigen, wie es um die Situation bezogen auf Identitt, Gesellschaft,

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    http://www.kritisch-lesen.de/author/louisa-und-michael/http://www.kritisch-lesen.de/author/louisa-und-michael/
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    Arbeitsverhltnisse, Metropolen, konomische Bedingungen, kologie,

    den Staat und die Zivilisation im Gesamten steht. Die Analysen

    bestechen aufgrund der Mischung aus verdichteter Darstellung und

    stellenweise mitreiend-eindringlicher Beschreibung. Der dster-

    poetische Schreibstil hngt jedoch wie so vieles von denindividuellen Gewohnheiten und Geschmckern ab.

    Im zweiten Teil widmet sich das unsichtbare Komitee, so nennt sich

    das Autor_innenkollektiv, der hug gestellten Frage, wie alles endlich

    anders werden kann. Im Gegensatz zu Stphane Hessel, der auf der

    Ebene des Emprens verharrt, wird ungeschminkt nichts weniger als

    Aufstand gefordert:

    Es gibt keinen Grund, sich darber zu entrsten ().Es ist vergeblich, auf legalem Wege gegen die vollendete

    Implosion des legalen Rahmens zu protestieren.

    Entsprechend muss man sich organisieren. Es gibt keinen

    Grund, sich in diesem oder jenem Brgerkollektiv zu

    engagieren, in dieser oder jener Sackgasse der radikalen

    Linken, in der letzten vereinten Hochstapelei. () Es gibt

    keinen Grund mehr, auf die neusten Nachrichten zu

    reagieren, vielmehr ist jede Information als Operation in

    einem feindlichen Feld von Strategien zu verstehen, die

    zu durchschauen ist, Operationen, die gerade zum Ziel

    haben, bei diesem oder jenem diese oder jene Reaktion

    hervorzurufen; und diese Operation fr die wirkliche

    Information zu halten, welche in den sichtbaren

    Nachrichten verborgen ist. Es gibt keinen Grund mehr

    zu warten auf eine Aufheiterung, die Revolution, die

    atomare Apokalypse oder eine soziale Bewegung. Noch

    zu warten ist Wahnsinn. Die Katastrophe ist nicht, waskommt, sondern was da ist. () Wir gehen aus von einem

    Punkt der extremen Isolation, der extremen Ohnmacht.

    Alles ist aufzubauen im aufstndischen Prozess. Nichts

    scheint unwahrscheinlicher als ein Aufstand, aber nichts

    ist notwendiger. (S. 63f)

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    KKoommmmunen statt Organisatiounen statt Organisationennen

    Die Forderung nach Organisierung hat hier nichts mit dem Ruf nach

    Organisationen zu tun. Denn fr den notwendigen Aufstand erwarten

    die Autor_innen nichts von politischen Organisationen. Diese htten

    in erster Linie den Selbsterhalt im Blick, wirken zentralistisch und

    vereinheitlichend anders als die Kommunen, die sich dierent und

    dezentral vervielfachen sollen:

    In jeder Fabrik, in jeder Strae, in jedem Dorf, in jeder

    Schule. Endlich die Herrschaft der Basiskomitees!

    Kommunen aber, die akzeptieren wrden, zu sein, was sie

    sind, wo sie sind. Und mglicherweise eine Vielfalt von

    Kommunen, welche die Institutionen des Staates ersetzenwrden: die Familie, die Schule, die Gewerkschaft, den

    Sportverein, etc. (S. 68)

    Unter Kommunen werden keinesfalls nur spinnenverseuchte,

    jahrhundertelang verlassene Bauernhfe oder Westberliner Studi-WGs

    gefasst. Der Gedanke der Basiskomitees verweist vielmehr auf

    Rtesysteme oder die Ideen der Pariser Commune.

    Die Autor_innen gestehen ein, dass es ganz ohne das verhasste Geldzunchst nicht geht. Um die Kommunen am Laufen zu halten, msse

    anfnglich noch Geld angeschat werden Mglichkeiten dafr lieen

    sich mit ein paar Anstrengungen sicher nden (ein paar Vorschlge

    machen die Autor_innen selbst). Doch da der Wohlfahrtsstaat nicht alle

    Zeit bestehen werde, sollte neben dem Erschleichen, Plndern, Klauen

    und Containern der Grad der Selbstorganisation und -versorgung

    gesteigert werden. Das betrit auch den Aufbau von Netzwerken,

    alternativen Verbindungslinien, der Bildung und der Repression. Was

    aber konkret tun, beispielsweise mit der chendeckenden Erfassungvon Daten? Lsungen werden nicht geliefert, wohl aber Anstze:

    Die Pariser Kommune hatte das Problem der

    Datenspeicherung teilweise gelst: Mit dem

    Niederbrennen des Ratshauses zerstrten die Brandstifter

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    die Archive der Zivilverwaltung. Eine Mglichkeit

    elektronische Daten auf immer zu zerstren, muss erst

    noch gefunden werden. (S. 77)

    Der Aufstand, bei dem man bis zum gnstigen Zeitpunkt (S. 76)unsichtbar bleiben sollte, geht allerdings nicht alleinig durch den

    gesellschaftlich-vertrglichen Aufbau von Gegenstrukturen im Sinne

    einer pazistischen Gegenkultur denn [e]s gibt keinen friedlichen

    Aufstand. Waen sind notwendig: Es geht darum, alles daran zu setzen,

    ihre Nutzung berssig zu machen (S. 86). Daran hat sich auch

    beim kommenden Aufstand nichts gendert, wohl aber der Charakter

    der Revolution: Der Dezentralisierung der Macht entspricht in dieser

    Epoche das Ende der revolutionren Zentralitten. (S. 88) So

    verstanden steht Macht nicht bipolar der Ohnmacht entgegen, dieMchtigen nicht den Ohnmchtigen. Mit der Annahme der

    Dezentralisierung der Macht wird Macht auch als Verhltnis in den

    kleinsten gesellschaftlichen Verstelungen verstanden, denn Macht ist

    nicht mehr an einem Punkt der Welt [konzentriert] (ebd.). Wenn also

    Macht nicht (mehr) zentral angreifbar ist, ist Widerstand folgerichtig

    ebenfalls plural zu denken als Rhizome, Assemblagen oder Netze.

    Der brgerliche ADer brgerliche Aufstandufstand

    Das Pamphlet wurde bereits 2007 in Frankreich verentlicht und

    sptestens seit der vorrbergehenden Festnahme vermeintlicher

    Autor_innen ein Jahr spter dort breit diskutiert. Seitdem wurde es

    in zahlreiche Sprachen bersetzt. Im August 2009 erschien es in

    englischer Sprache und veranlasste den rechten FOX-

    Fernsehmoderator Glenn Beck dazu, wutschnaubend von dem

    mglicherweise Bsesten, was er jemals gelesen habe zu sprechen.

    Vor ziemlich genau einem Jahr erreichte die Diskussion um das Buchein breites deutschsprachiges Publikum. (Nicht unerwhnt bleiben

    soll, dass bereits vorher ber das Manifest diskutiert wurde. Es wurde

    beispielsweise bereits im Herbst 2009 in der linken sterreichischen

    Zeitschrift grundrisse klug kritisiert, vgl. fuzi 2009). Als erstes

    Massenmedium besprach DER FREITAG im Mai 2010 die

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    englischsprachige Fassung. Florian Schmid zeigte sich fasziniert vom

    abgemischten Sound aus linkem Theorietext und aufrhrerischem

    Hip Hop. Zur mglichen Durchschlagskraft in der linken Szene in

    Deutschland uerte er sich aus heutiger Sicht in beinahe

    prophetischer Weise skeptisch:

    Die strikte Ablehnung gngiger politischer

    Organisationsformen und die Vorstellung von einer

    dezentralen, spontanen, nicht steuerbaren

    Aufeinanderfolge von Revolten, mgen fr hiesige

    Verhltnisse exotisch wirken, andernorts treen sie

    scheinbar einen Nerv. (Schmid 2010)

    Im Juli erschien die von einem Kollektiv bersetzte erstedeutschsprachige Version an verschiedenen Stellen des Internets, kurz

    darauf folgte die bersetzung bei Nautilus. Den Aufschlag der

    brgerlichen Rezeption im November 2010 machte die Frankfurter

    Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) am 7.11., in der Nils Linkmar das

    Buch als glnzend geschrieben lobte und meinte, es knnte das

    wichtigste linke Theoriebuch unserer Zeit werden (Minkmar 2010).

    Es folgten Rezensionen in allen groen deutschen Tages- und

    Wochenzeitungen, in der hug Lobendes in Bezug auf den

    sprachlichen Stil erwhnt wurde. Keineswegs aber kann von

    Begeisterung oder Huldigung gesprochen werden. In der tageszeitung

    (taz) spottete etwa Aram Linzel am 10.11.2011:

    So bekommt der Leser das gute Gefhl, sich vom

    gewhnlichen Protest-Nichtwhler kulturell zu

    unterscheiden. Mit ihrem Kult der Unmittelbarkeit sind

    diese Publikationen Anleitungen zur Regression in eine

    vielleicht verfhrerische, aber letztlich klaustrophobischePolitidylle. (Linzel 2010)

    In der Frankfurter Rundschau zeichnete Christian Schlter am 19.11.

    eine hug verwendete Dystopie als mgliche Folge eines kommenden

    Aufstands, in dem er fragte: Und wenn alle staatlichen Institutionen

    zerstrt sein werden und bewanete Banden, Kriminelle und Warlords

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    die Straen beherrschen? (Schlter 2010) Tags zuvor war hnlich

    Bengstigendes bei ZEIT ONLINE zu lesen: Und brig bleiben nicht

    Kommunen, sondern Banden. (Randow 2010) Insgesamt lsst sich

    konstatieren, dass sich brgerliche Rezensent_innen beinahe

    berrascht zeigten, wie schn sich linke Schriften lesen lassen knnen,sich aber vor allem frchteten, was in schnen Worten gesagt wurde.

    Damit waren die meisten brgerlichen Kritiker_innen nicht so weit weg

    von Glenn Beck, als es etlichen auf den ersten Blick schien

    VVermeinermeintlich linktlich linker Anstander Anstand

    Diesen Tenor der Kritik deutete in grandioser Weise Johannes

    Thumfart anders. Er meinte, in den Kritiken in den Feuilletons der

    FAS und der SZHuldigendes erkannt zu haben. Um sicher zu gehen,verentlichte er zwei fast identische Rezensionen in der taz und

    drei Tage spter, nachdem alle schon eifrig ber die Besprechung

    diskutierten in der Jungle World. Er befand, dass Minkmar in der FAS

    das Werk feierte und berlas beissen dessen deutlich vorgetragenes

    Bangemachen. Minkmar meinte beispielsweise:

    Nach dem Gewaltmonopol des Staates, nach dem

    Privateigentum und ohne entlichen Nahverkehr blht

    hchstens ein sehr kurzer Sommer der Anarchie. Dieunsichtbaren linken Militanten berschtzen ihre Kraft:

    Eine kollabierende entliche Ordnung wrde nicht von

    Deleuze lesenden Kommunarden verbessert, sondern

    durch eine Maa regiert. Wenn die Zge nicht mehr

    fahren, folgt nichts Besseres. Nach dem kommenden

    Aufstand kommen die schwarzen Gelndewagen.

    (Minkmar 2010)

    Eine Huldigung liest sich anders. Auch die zweite Besprechung, auf die

    Thumfart verweist, liest sich nicht so recht als Verehrung. Zwar lobt

    auch Alex Rhle in der Sddeutschen Zeitung (SZ) den glnzende[n]

    Stil, kritisiert jedoch gleichzeitig die Naivitt und die groteske

    Bezugnahme auf die Banlieu-Proteste (Rhle 2010). Nicht nur diese

    ostentative Beobachtung Thumfarts erscheint skurril, auch die

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    Einschtzung zum Werk selbst. Er glaubt die Handschriften Carl

    Schmitts und Martin Heideggers im kommenden Aufstand entdeckt

    zu haben und bezeichnet das Manifest als rechte antimoderne

    Hetzschrift (Thumfart 2010). Es zeugt von schlichter Ignoranz, den

    fanatischen Staatsbefrworter Carl Schmitt als Bezugspunkt fr dasantistaatliche Manifest in Szene zu setzen. Weder Schmitt noch

    Heidegger blinzeln aus den Seiten hervor. Vielmehr ist es die kritische

    Rezeption von Schmitt und Heidegger. Sollte dies das Werk alleine

    diskreditieren, msste Thumfart in Zukunft auch die Hnde von

    Herbert Marcuse, Jean-Paul Sartre, Hannah Arendt, Walter Benjamin

    und unzhligen anderen lassen. Die Jungle World belie es nicht bei

    dieser inhaltlich uerst dnnen Kritik und lie andere Autor_innen

    zu Wort kommen. Cord Riechelmann etwa kritisierte die Rezensionen

    scharf und bezeichnete den Verfasser als gedankenarm,

    ressentimentgeladen und denunziatorisch (Riechelmann 2010).

    Riechelmann merkt zurecht an, dass es oensichtlich eine verbreitete

    Begrisverwirrung gibt, die sich darin ausdrckt, den Verdacht des

    Antimodernismus mit rechten Strmungen gleichzusetzen.

    Denn antimodern im Sinne von technikfeindlich waren

    der Faschismus und der Nationalsozialismus nie. Von den

    italienischen Futuristen bis zur deutschen V2-Rakete lsstsich eine extreme Aufgeschlossenheit faschistischer

    Bewegungen gegenber der industriellen Moderne

    feststellen, vor allem gegenber der

    Mobilisierungsmoderne. (Riechelmann 2010)

    Dem Autor_innenkollektiv eine ideologische Nhe zur Rechten zu

    unterstellen sei

    nicht nur Quatsch, es ist oensive Besatzer-Ideologie, diemit der Nazikeule auf Sachen einschlgt, die sie nicht

    versteht. Besatzer-Ideologie deshalb, weil deutsches

    Denken die einzig richtige Interpretation deutscher

    Denker auch in anderen, nicht-deutschen Kontexten

    beansprucht. (Riechelmann 2010)

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    Tatschlich ist es aullig, dass jeder kollektivistische Ansatz in

    Deutschland leicht Gefahr luft, mit vlkischer Kulturkritik

    gleichgesetzt zu werden. Das ist nicht nur absurd, sondern auch

    politisch fatal.

    Damit wird zum einen der Anspruch zur Dierenzierung ber Bordgeworfen, zum anderen spielen diese Polemiken allzu oft neoliberalen

    Individualisierungsprozessen in die Hnde. Kollektivismus einzig

    vlkisch denken zu knnen und das Vlkische damit allein als

    Massenbewegung zu analysieren (und in dem Zuge den Stellenwert

    der Individualisierung fr autoritre Formationen zu negieren) ist

    ebenso dichotom verkrzt wie Individualitt dem Kollektivismus

    unterzuordnen. Im kommenden Aufstand ndet sich weder

    vlkischer Kollektivismus noch platte Lobhudeleien des

    Individualismus.

    Altbewhrte und unkAltbewhrte und unkoonkrnkrete Fete Fluchluchtptplne?lne?

    In weniger berhasteten Besprechungen wurden vor allem drei

    Kritikpunkte genannt: Die Autor_innen htten einen Hang zum

    Eskapismus, also der Flucht vor der Welt, wrden lngst Bekanntes

    neu aufwrmen und keine konkreten Vorschlge machen.

    Im kommenden Aufstand geht es nicht um die Kapitulation vor denZustnden. Wir lesen das Werk als Versuch, eine Diskussion um

    Utopien in Gang zu bringen, um gesellschaftliche Visionen, um sich

    nicht lnger um Schlimmeres zu verhindern auf Abwehrkmpfe

    zu beschrnken. Dass manche Rezensent_innen wie jngst Christian

    Sigrist im ARGUMENT dem Werk Jugendwahn (Sigrist 2011)

    vorwarfen, ist symptomatisch fr ein rationalistisches

    Politikverstndnis. Der kommende Aufstand hingegen leistet einen

    Beitrag, Wut und Zorn wieder sagbarzu machen.

    Damit steht das Werk nicht alleine da viele andere bereits

    durchgekaute und hoentlich noch folgende Schriften vermochten es,

    Vergessenes in Erinnerung zu rufen. Auch in anderen Hinsichten

    bringt der kommende Aufstand nicht viel Neues zu tage. Vieles

    wurde schon in hnlicher Weise geschrieben. Erinnert sei an dieser

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    Stelle exemplarisch an Hakim Beys Temporre Autonome Zonen, die

    Schriften der Situationistischen Internationale oder um noch weiter

    zurck zu gehen die der Pariser Commune. Aber was ist schon neu?

    Auch Re-Formulierungen knnen hilfreich sein, wenn sie es vermgen,

    Debatten anzustoen und im besten Fall auf Lebensverhltnisseeinzuwirken.

    Es stimmt: Der kommende Aufstand ist keine fertige, wahre und

    konkrete Revolutionsanleitung und das die eigentliche Strke des

    Buches. Es gab gengend, die meinten zu wissen, was wie kommen

    wird und soll. Das meiste davon fhrte ins Elend. Der kommende

    Aufstand hingegen ist ein Vorschlag, wie wir ntigen Aufstnden heute

    nher kommen knnen und wie wir uns heute das Wissen erarbeiten

    knnen, das ntig ist um nicht bei Aufstnden zu verharren, sonderndiesen eine tatschlich systemtransformatorische Komponente zu

    geben. Damit geht das Buch erfrischend weiter als die allermeisten

    insurrektionalistischen Texte, also diesen, die Revolutionstheorien

    durch die Fokussierung von Aufstand ersetzen.

    In Deutschland hat sich die Aufregung um Der kommende Aufstand

    gelegt. Es erschienen in fast allen Medien Rezensionen und

    Diskussionsbeitrge. In Kln fand Mitte Mai ein dreitgiger Workshop

    mit dem Titel Der kommende Aufstand? Krisen und soziale Kmpfe im

    globalen Kapitalismus statt. Grere und kleinere Diskussionsrunden

    nden noch immer in den Kellern, in Kneipen, in Sozialen und

    Autonomen Zentren und an Kchentischen statt. Es wird geredet.

    Immerhin.

    ZZustzlich vustzlich verwerwendete Liendete Literaturteratur

    fuzi 2009: The Invisible Committee: The Coming Insurrection. In:

    Grundrisse 31.

    Linzel, Aram 2010: Revolution mit Melancholie. In: taz.de am 10.11.

    Minkmar, Nils 2010: Seid faul und militant! In: faz.net am 8.11.

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    http://www.grundrisse.net/buchbesprechungen/invisible_committee.htmhttp://www.taz.de/1/debatte/theorie/artikel/1/revolution-mit-melancholie/http://www.faz.net/s/Rub642140C3F55544DE8A27F0BD6A3C808C/Doc~EFE85559287A74BA0BFAFD5B60F3AADE8~ATpl~Ecommon~Scontent.htmlhttp://www.faz.net/s/Rub642140C3F55544DE8A27F0BD6A3C808C/Doc~EFE85559287A74BA0BFAFD5B60F3AADE8~ATpl~Ecommon~Scontent.htmlhttp://www.taz.de/1/debatte/theorie/artikel/1/revolution-mit-melancholie/http://www.grundrisse.net/buchbesprechungen/invisible_committee.htm
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    Randow, Gero von 2010: Freie Zeit zum Angri. In: Zeit Online am

    18.11.

    Riechelmann, Cord 2010: Ein Feuer auf die Erde bringen. In: Jungle

    World vom 9.12.

    Rhle, Alex 2010: Das kommunale Manifest. In: sueddeutsche.de am

    11.11.

    Schlter, Christian 2010: Und was kommt dann? In: fr-online am 19.11.

    Schmid, Florian 2010: Ein linkes Manifest als Bestseller. In: Freitag.de

    am 17.05.

    Sigrist, Christian 2011: Rezension: Unsichtbares Komitee, Derkommende Aufstand. In: Das Argument 290/2011, S. 140-142.

    Thumfart, Johannes 2010: Fast wie Gas. In: taz.de am 22.11. und in

    hnlicher Fassung bei Jungle World am 25.11.

    **

    Wir beziehen uns auf die Online verfgbare Fassung von Der

    kommende Aufstand, die seit Juli 2010 im Netz kursiert.

    Unsichtbares Komitee 2010: Der kommende Aufstand.

    92 Seiten.

    [Link zum Artikel]

    Seite 13 von 50

    http://www.zeit.de/kultur/literatur/2010-11/coupat-aufstandhttp://www.zeit.de/kultur/literatur/2010-11/coupat-aufstandhttp://jungle-world.com/artikel/2010/49/42262.htmlhttp://jungle-world.com/artikel/2010/49/42262.htmlhttp://www.sueddeutsche.de/politik/neue-protestkultur-das-kommunale-manifest-1.1022188http://www.sueddeutsche.de/politik/neue-protestkultur-das-kommunale-manifest-1.1022188http://www.fr-online.de/kultur/debatte/und-was-kommt-dann-/-/1473340/4853666/-/index.htmlhttp://www.freitag.de/kultur/1020-ein-linkes-manifest-als-bestsellerhttp://www.freitag.de/kultur/1020-ein-linkes-manifest-als-bestsellerhttp://www.taz.de/1/debatte/theorie/artikel/1/fast-wie-gas/http://jungle-world.com/artikel/2010/47/42175.htmlhttp://media.de.indymedia.org/media/2010/07//286489.pdfhttp://www.kritisch-lesen.de/?p=2378http://www.kritisch-lesen.de/?p=2378http://media.de.indymedia.org/media/2010/07//286489.pdfhttp://jungle-world.com/artikel/2010/47/42175.htmlhttp://www.taz.de/1/debatte/theorie/artikel/1/fast-wie-gas/http://www.freitag.de/kultur/1020-ein-linkes-manifest-als-bestsellerhttp://www.freitag.de/kultur/1020-ein-linkes-manifest-als-bestsellerhttp://www.fr-online.de/kultur/debatte/und-was-kommt-dann-/-/1473340/4853666/-/index.htmlhttp://www.sueddeutsche.de/politik/neue-protestkultur-das-kommunale-manifest-1.1022188http://www.sueddeutsche.de/politik/neue-protestkultur-das-kommunale-manifest-1.1022188http://jungle-world.com/artikel/2010/49/42262.htmlhttp://jungle-world.com/artikel/2010/49/42262.htmlhttp://www.zeit.de/kultur/literatur/2010-11/coupat-aufstandhttp://www.zeit.de/kultur/literatur/2010-11/coupat-aufstand
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    Der ADer Aufstand, der immer schoufstand, der immer schon ankamn ankam

    AG Schwarz / Tasos Sagris & Void network (Hg)

    Wir sind ein Bild der Zukunft auf der Strae schreiben wirGeschichteTexte aus der griechischen Revolte

    Von Fritz Gde

    Lang vor den Pressionen der EU gegenber Griechenland hatte sich

    ein Aufstand gegen die Regierung entzndet. Ausgelst wurde dieservon der Ttung eines Schlers Dezember 2008 in Exarchia/Athen.

    Die verngstigten Zuschauer bei Anne Will oder bei Plasberg mssen

    alle zu dem Eindruck gekommen sein, erst seit dem wachsenden Druck

    auf Griechenland gbe es Demonstrationen, Hausbesetzungen,

    Anschlge in Athen und anderswo. Unsere Medien lassen mehr nicht

    durch. berraschend deshalb fr viele die Mitteilung, dass der

    Aufstand schon im Dezember 2008 eine erste Intensitt gewonnen

    hatte, lange bevor es dem Staat Hellas an den Kragen gehen sollte.

    Wir sind ein Bild der Zukunft- Auf der Strae schreiben wir

    Geschichte versucht, in vielen Einzelbekenntnissen aber auch ganzen

    Aufstzen, die Entwicklung seit Dezember 2008 zu vergegenwrtigen.

    AAusgangspunktusgangspunkt

    Vorausgeschickt werden muss, dass Griechenland eines der Lnder

    war, die im Widerstand gegen die Nazi-Besetzung am erfolgreichsten

    waren. Sie hatten den Deutschen so zugesetzt, dass die sich 1944/45 zum Abzug entschlossen. Griechen, die unmittelbar nach 1945 in

    einem langen Brgerkrieg sich des englischen Einusses zu erwehren

    suchten. Die ab 1968 ber Jahre hin eine Militrdiktatur zu bekmpfen

    hatten. Wozu die Erinnerung? Um zu erklren, dass in Griechenland

    der Einsatz von krperlicher Gewalt ganz anders gesehen wird als

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    http://www.kritisch-lesen.de/author/fritz-guede/http://www.kritisch-lesen.de/author/fritz-guede/
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    zum Beispiel in Deutschland. Er wird in weiteren Kreisen als bisweilen

    unvermeidlich angesehen, wenn auch nirgends als Selbstzweck

    gebilligt. Die Dokumentation des Buches ber den Kampf der

    Autonomen und Anarchisten in Griechenland enthlt eine

    aufschlussreiche Chronologie der aktuellen Ereignisse.

    6. Dezember 2008: Ein jugendlicher Anarchist Alexandros

    Grigoropoulos, 15 Jahre wird im Lauf einer Auseinandersetzung von

    einem Polizisten erschossen. Das geschah im Stadtteil Exarchia in

    Athen. Einem Ort, der nach verbreiteter Ansicht als autonom

    angesehen werden sollte. Auf keinen Fall Ort eines brutalen

    Polizeieinsatzes. In unbegreiicher Schnelligkeit kommt es im Lauf von

    Stunden zu Plnderungen in Luxusstraen, Universittsbesetzungen

    und Hungerstreiks in den Gefngnissen. Und aufgegrien wird derImpuls in ganz Griechenland von einem Ende zum andern. In

    Deutschland kam es in meiner Lebenszeit ein einziges Mal zu solcher

    bergreifend massenhaften Erregung: nach dem Anschlag Bachmanns

    auf Rudi Dutschke. Kein einziges Mal mehr spter bei all den

    Todesfllen (Erschieungen) die folgten.

    Wenn in allen folgenden Texten von Dezember die Rede ist, dann

    sind immer die brgerkriegshnlichen Konfrontationen 2008 gemeint.

    In allen Berichten spielen Polytechnikum und Unis deshalb einebesondere Rolle, weil oenbar nach dem studentischen Beitrag zum

    Sturz der Putschisten den Unis totaler Schutz vor Polizeieingrien

    zugesagt worden war. Als Anerkennung sozusagen. Es kann also nicht

    wie in sterreich und anderswo eine Uni einfach gerumt werden.

    Wenn doch Versuche in dieser Richtung gemacht werden, dann ist

    das das Signal zu massenhaftem Aufbegehren. Schrecksignal fr jede

    Regierung, die keinen zustzlichen rger mchte. Organisationsform:

    Ausschlieliche Verfgung ber alle Aktionsformen hat die

    Vollversammlung. Pavlos und Irina, zwei Teilnehmer_innen amGesamtverlauf, schreiben:

    Kein Organ konnte Entscheidungen fr die Besetzung

    fllen auer der Vollversammlung. Das war keine

    Studentenversammlung, vielmehr trafen sich dort alle, die

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    an der Besetzung und den Auseinandersetzungen

    teilnahmen. (...) Die unterschiedlichen Fakultten waren

    nicht getrennt. Einige linke Studenten versuchten, die

    Fakultten zu spalten und in der ersten Woche versuchten

    wir, mit ihnen zusammenzuarbeiten, ihnen Raum freigene Aktivitten zu geben, aber sie versuchten weiter,

    die Vollversammlung zu umgehen, und Teile des

    Polytechnikums fr sich allein zu besetzen, um es unter

    der Hand wie einen Kuchen aufzuteilen. Natrlich wurden

    sie hinausgeschmissen." (S. 127)

    Vollversammlung also als einzige Autoritt. Diese aber diktatorisch

    ausgebt. Der Aufruf zu einer neuen Internationalen will die Uni

    verlassen, alle Grenzen berwinden.

    Wenn wir die Banken zerstren, dann weil wir Geld als

    eine der zentralen Ursachen fr unsere traurige Lage

    erkennen; wenn wir Schaufenster zerschlagen, dann nicht,

    weil das Leben teuer ist, sondern weil uns die Ware um

    jeden Preis am Leben hindern will. Wenn wir den Polizei-

    Abschaum angreifen, dann nicht, um unsere toten

    Genossen zu rchen, sondern weil sie immer ein Hindernis

    sein werden zwischen dieser Welt und der Welt, nach der

    es uns verlangt.

    Wir wissen, dass es fr uns an der Zeit ist strategisch zu

    denken. In diesen imperialen Zeiten wissen wir, dass es

    eine Bedingung fr einen siegreichen Aufstand ist, dass

    er sich mindestens auf europischer Ebene ausdehnt. Wir

    haben in den vergangenen Jahren vieles gesehen, von dem

    wir lernen konnten: die weltweiten Gegengipfel, Revoltender Schler in Frankreich, die Bewegung gegen den TAV-

    Schnellzug in Frankreich, die Kommune von Oaxaca, die

    Riots von Montreal, die oensive Verteidigung des

    besetzten Undomshuset in Kopenhagen, die Riots gegen

    den Parteitag der US-Republikaner und so weiter." (S. 167)

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    Das stammt vom Januar 2009. Inzwischen haben wir Mai 2011. Der

    unabweisbare Einwand: Was davon hat sich inzwischen erfllt?

    Antwort: Nichts. Die hochfahrenden Wnsche sind inzwischen

    zerfallen. Welche Folgerungen hat die Bewegung daraus gezogen?

    FFolgerungen.olgerungen.

    7.Mrz 2009:

    In Exarchia rissen 4000 Menschen die Bauzune eines

    leerstehenden Gelndes ab, auf dem ein Parkhaus

    errichtet werden sollte. Sie brachen den Asphalt mit

    Presslufthmmern auf, panzten Bume und erneten

    einen freien Park, fnfzig Meter von dem Ort entfernt, an

    dem Alexis ermordet wurde." (S. 263)

    Ein gelungener Versuch der Anarchisten, durch aufbauende

    Gewaltanwendung allen Bewohnern von Exarchia einen dauerhaften

    Versammlungsort zu verschaen: Ein Besucher rief: Weit Du, was

    das Beste an der ganzen Sache ist? All die alten Leute zu sehen,

    die den Park anschauen und glcklich sind. Nein, unterbrach ein

    griechischer Anarchist, das Beste daran ist, dass das der Stadt neun

    Millionen gekostet hat. (S. 270) Ein Beweis dafr, dass auch gelernteAnarchisten Schwierigkeiten haben, sich vom Geldwert als Ma des

    Gelingens loszureien. Der Erfolg kann und darf nur, wie der erste

    Besucher richtig meinte, am realen Genuss gemessen werden, an den

    erweiterten Lebensmglichkeiten.

    Zunchst hie es also Rckzug auf das vertraute Viertel Exarchia. In

    der kollektiven Auehnung gegen die Plne des Brgermeisters. Um

    ber den Kreis der schon Gewonnenen hinauszukommen. Aber auch

    das war nur ein kleiner Schritt. Warum greift die Bewegung trotz allemnicht weiter um sich? Alkis (S. 283), berprft die Techniken der

    Gegenseite, die der Eingrenzer. Auer dem direkten gewaltmigen

    Zuschlagen des Staates durch Polizei, Gericht und Knast ndet er

    als gefhrlicheren Feind die Behandlung seiner Bewegung durch die

    Medien. Wie er feststellt und was sich auf fast alle europischen

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    Lnder bertragen liee wirken die Medien durch Spaltung. Den

    mal als liebenswert erklrten Schlern werden die satanischen Studis

    gegenbergestellt, die sie verfhren. Oder auch mal umgekehrt: Den

    bildungshungrigen Studis treten die verworfenen Verfhrer aus der

    Anarcho-Szene gegenber. Man kennt das.Der Doppelangri des Zerschlagens und des medialen Spaltens wirkt

    bis heute, in Griechenland wie anderswo. Ein Aufsatz Spezialisierte

    Guerrilla, zerstreute Guerilla (S. 301) fragt sehr konkret nach, wie

    immer kompliziertere Aktionen, auch zum Beispiel Bankberflle, auf

    die Menge derer wirken mssen, die rein technisch, oder auch

    altersbedingt so etwas nie nachmachen knnten. Wird damit die

    Menge nicht notwendig genau in den Stand bloen Gaens, des

    Zuschauertums zurckgetrieben, den doch die aktionsbetonenden

    Anarchistinnen und Anarchisten gerade bekmpft hatten? Entsteht aus

    jeder gelungenen Tat damit nicht neu das Spektakel, wie Debord es

    nannte, das auf das Sofa vor dem Fernseher zurckjagt, von dem

    der anarchistische Weckruf hochreien wollte? In dieser Lage pldiert

    der Aufsatz fr diuse Guerilla, womit, das wird nicht vllig klar,

    einfachere Aktionen gemeint sein mssen, an denen sich aber auch

    ungelernte Krfte beteiligen knnen.

    WWeltlageeltlage

    Am merkwrdigsten berhrt bei Durchsicht der immerhin 360 Seiten,

    wie selten konkret von der sich verschrfenden Finanzlage

    Griechenlands die Rede ist. Die Feuerzellen, eine Gruppe

    spezialisierter Guerilla nach der obigen Einteilung, erwhnen einmal

    die Krise. Nimmt sie aber als reinen fake. Getue der Oberen, um den

    anderen den Grtel enger zu schnallen. Das ist sie natrlich fr die

    PASOK-Regierung auch. Was bei der Argumentation der Feuerzellen

    allerdings vllig bersehen wird: Papandreou sprt ganz real denWrgegri von IWF und EU am Hals. Er ist unterdrckter

    Unterdrcker. Was ihn natrlich in keinem Sinn entschuldigen kann.

    All seine Zwangsmanahmen, Rentenkrzung, Lohnsenkung,

    Umsatzsteuer-Erhhung wirken noch ganz anders als die schon immer

    vorhandene Ausbeutung und Unterdrckung. Als existenzbedrohende

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    Verschrfung fr viele (Zu den Feuerzellen und ihre mgliche

    Verantwortung an den Brandbriefen 2010 siehe Artikel bei trueten.de).

    Abstrakt sieht Alkis (S. 286f) in einem zusammenfassenden Aufsatz

    am deutlichsten das Problem. Er fragt sich, wie der Kontaktaufrechterhalten und vertieft werden kann mit Leuten, mit denen die

    Aktivisten in den Dezemberkmpfen zusammengekommen sind und

    zusammen gekmpft haben. Normalerweise ist zu erwarten, dass in

    Zeiten relativer Ruhe alle wieder sich in ihre Einzelwelten eingraben.

    Alkis meint:

    Der wichtigste Weg, uns mit ihnen persnlich zu treen

    (...) sind die selbstorganisierten Versammlungen. (...) Die

    Beziehungen, die sich zwischen Anarchisten,Antiautoritren und anderen Mitgliedern der Gesellschaft

    entwickelt haben, erzeugen einen Wirbelwind und das

    Ergebnis ist unvorhersehbar. Auf jeden Fall ist es etwas

    Positives, da wir es nicht zulassen, dass sich Normalitt

    und Entfremdung wieder einstellen." (S. 286)

    Oberchlich liee sich das vergleichen mit dem Verhltnis zwischen

    Parteimitgliedern und Sympathisanten nach den Lehren der

    verschiedenen kommunistischen Parteien. Nur, dass bei Alkis undanderen hier eine Lcke klat. Was nmlich sollte sich mitteilen im

    Kontakt zwischen dem gelernten Anarcho und seinen Bekannten? Bei

    den Kommunisten ist das die Lehre vom notwendigen Zerfall der

    Herrschaftseinrichtungen in der vorangeschrittenen Krise und von

    Eingrien zu ihrer Zerschlagung. Von dieser Art Lehre ist im ganzen

    Buch nichts zu nden. Und doch msste dieser Weg einer

    theoretischen Selbstbegrndung gegangen werden. So dass jeder

    einzelne Erkennende und Erkannt-Habende im Zweifelsfall wei, waser zu tun hat. Wo er eingreifen kann. Ohne erst auf eine

    Massenbewegung warten zu mssen, die ihn dann im Wirbel mitreit.

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    http://www.trueten.de/permalink/Athen-Wer-sind-die-Feuerzellen-Sind-ihnen-die-Brandbriefe-zuzutrauen.htmlhttp://www.trueten.de/permalink/Athen-Wer-sind-die-Feuerzellen-Sind-ihnen-die-Brandbriefe-zuzutrauen.html
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    UUnnvvoorhersehbarkrhersehbarkeieitt

    Die autonome und anarchistische Bewegung Griechenlands

    verschmht es oenbar mehr als die Bewegung des kommenden

    Aufstands, wortlos einzuschreiten bei ihren Aktionen. Werden auch

    aus unvermeidlichen Grnden selten Nachnamen genannt, wird doch

    strker als dort vorgesehen der Versuch gemacht, das Dunkel des

    Inkognito zu verlassen. Tatschlich macht die griechische Bewegung

    aus einem Dezit einen Triumph. Aus der Unvorhersehbarkeit ihrer

    Reaktionen. Ist das fr die Selbstausrichtung auf lange Zeit auch eine

    Gefahr, so bleibt es doch berechtigte Drohung gegenber den Blut-

    Abzapfern der europischen Banken. Ein Professor Sinn, der den

    Griechen vor kurzem ber alle Fernsehkanle ihre alte Drachme

    wieder aufbrummen wollte samt zugehriger Gropleite, hat immernoch die paar Aktiv-Elektronen im Hirn, die ihm klarmachen, dass

    die Rckkehr Griechenlands zur Drachme vor allem seine Lieblinge

    die Banken Europas am schwersten schdigen wrde. Er setzt,

    oen eingestanden in einer seiner Verlautbarungen, trotzdem auf die

    Drohung. Dann knnten die aufsssigen Griechen nmlich mit ihrer

    eigenen Regierung machen, was sie wollten. Deutschland wre aus

    dem Schneider. Metzgerisch deutlich ausgesprochen: Sinn und seine

    Horden haben Hllenangst vor dem, was sie nur ahnen knnen.

    Unberechenbarkeit der autonomen und anarchistischen Gruppen.

    Denen wrde er die griechische Regierung gern zum Fra hinwerfen,

    wenn nur er und sein liebes Deutschland davon nichts abbekmen.

    Das Richtige, ja Beneidenswerte einer Bewegung wie in Griechenland:

    sie bestrkt die oenbar verbreitete Vorsicht um den gelindesten

    Ausdruck zu whlen gegenber allen staatlichen Veranstaltungen.

    Es scheint tatschlich eine Bewegung entstanden zu sein, die, ohne

    Wehleidigkeit, aber auch ohne Hysterie die Wunden, ja Verlusteeinsteckt, die sie erleidet, die aber auch austeilt, wo sie die Mglichkeit

    dazu sieht. Oenbar hat der griechische Staat im Lauf der Zeit zu

    viele Mitkmpfende zu Terroristen ernannt, als dass die Benennung

    noch so abschrecken knnte wie bei uns in Deutschland. Mit einem

    Wort: Es haben sich dort Leute in gewissem Sinn selbst erschaen,

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    die nie vergessen, dass sie im Krieg stehen. Einem Krieg, freilich, der

    ihrer Ansicht nach nie aufhren wird. Whrend dagegen die Anhnger

    von Marx mit viel Erkenntnis, aber wenig Honung, trotz allem der

    Aussicht auf eine klassenlose Gesellschaft nachhngen. In welcher

    dann der Krieg ein Ende fr immer gefunden htte.

    AG Schwarz / Tasos Sagris & Void network (Hg) 2010: Wir sind ein Bild

    der Zukunft auf der Strae schreiben wir Geschichte. Texte aus der

    griechischen Revolte. Laika Verlag, Hamburg.

    ISBN: 978-3-942281-82-9. 366 Seiten. 24.90 Euro.

    [Link zum Artikel]

    Seite 21 von 50

    http://www.kritisch-lesen.de/?p=2385http://www.kritisch-lesen.de/?p=2385
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    Alles was uns fAlles was uns fehlt ist die Solidariehlt ist die Solidaritttt

    Bndnis fr die Einstellung der 129(a)-Verfahren

    Das zarte Pflnzchen der Solidaritt gegossen

    Von Thomas Trueten

    Ein Buch zu den Verfahren und dem Prozess wegen Mitgliedschaft in

    der militanten gruppe (mg).

    Am 31. Juli 2007 wurden in einer spektakulren Aktion Axel, Florian

    und Oliver bei Brandenburg an der Havel und Andrej Holm in Berlin

    wegen angeblicher Mitgliedschaft in der militanten gruppe (mg)

    verhaftet.

    Bereits im Jahr zuvor begann das Bundeskriminalamt (BKA) mit

    Ermittlungen und der Beschattung gegen die vier und weitere in den

    Augen des BKA Verdchtige. Seit 2001 liefen verschiedeneErmittlungsverfahren gegen mehr als ein Dutzend Verdchtige, die

    jedoch mangels Tatverdacht in den Jahren ab 2008 eingestellt wurden.

    Zu Verurteilungen kam es lediglich gegen Axel, Florian und Oliver,

    wobei der ursprngliche Vorwurf wegen Mitgliedschaft in einer

    terroristischen Vereinigung nach 129a nicht aufrecht erhalten werden

    konnte. Laut Urteil des Bundesverfassungsgerichtes Ende 2007 ist die

    mg lediglich eine kriminelle Vereinigung, da sie nicht geeignet sei, den

    Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefhrden.

    Das schmale Bndchen Das zarte Pnzchen der Solidaritt gegossen:

    Zu den Verfahren und dem Prozess wegen Mitgliedschaft in der

    militanten gruppe (mg), das vom Einstellungsbndnis jetzt vorgelegt

    wird, versteht sich nicht als umfassende Auswertung der

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    http://www.kritisch-lesen.de/author/thomas-trueten/http://www.kritisch-lesen.de/author/thomas-trueten/
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    Solidarittsarbeit, wohl aber als Handreichung fr alle, die sich mit

    Antirepression auseinandersetzen, die von Repression betroen sind

    oder sein knnten.

    VVerbundenheierbundenheittKann es eigentlich distanzierende Solidaritt geben? Unweigerlich

    stellt sich diese Frage. Auch in der Arbeit des Bndnisses gestaltete

    sich die Antwort darauf sehr kompliziert, je nach politischem

    Hintergrund der Akteure. Die defensive aber grundlegende

    Forderung nach Einstellung der Verfahren und Abschaung des 129a

    bot zwar eine erste gemeinsame inhaltliche Basis, darber

    hinausgehende Fragen wie die nach der Legitimitt der Zerstrung

    von Kriegsmaterial blieb einige Zeit umstritten. Die Erkenntnis desZusammenhangs zwischen Aggression nach auen und Repression

    nach innen musste sich erst erstritten werden.

    Solidarittsarbeit ndet naturgem mit erheblichem Gegenwind

    statt, vor allem auch mit medialem. Whrend es im Fall von Andrej

    Holm relativ schnell gelang, eine auch internationale Solidaritt zu

    entwickeln schlielich stand er fr kritische Wissenschaft

    versuchten Medien entlang der Linie Stellung zu praktischem

    Antimilitarismus diese von den Verfahren gegen Axel, Florian undOliver zu spalten, um diese zu isolieren.

    Damit wurde das Konstrukt der Bundesanwaltschaft von Andrej Holm

    als intellektuellem Kopfder mg und Axel, Florian und Oliver als den

    ausfhrenden Brandsatzlegern bedient. Whrend das Medienecho

    hinsichtlich Andrej half, den ganzen Fall bekannt zu machen, verschob

    sich der Schwerpunkt der Wahrnehmung bis zum Prozessbeginn auf

    Axel, Florian und Oliver.

    Entscheidend ist die eigene entlichkeits- und Pressearbeit, aber

    auch die Bedienung des entlichen Interesses der Medien, so die

    Bilanz der Autoren. Denn mit der zunehmenden Dauer des Prozesses

    nahm nicht nur das Interesse der Medien ab. Insbesondere die

    brgerlichen Medien blendeten auch gerne den politischen Kontext

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    aus oder reduzierten die Skandalisierung wie bei Andrej Holm auf

    dessen berwachung durch das BKA.

    GGrabenkmpfrabenkmpfee

    Auch fr eine Reihe Linkerwar es oenbar nur schwer zu verdauen,dass sich der 129a . gegen alle richtet, die sich nicht mit dem

    Kapitalismus, mit Ausbeutung und Unterdrckung abnden wollen und

    nach Wegen suchen, das herrschende System zu berwinden.

    Der Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung ist

    allerdings schnell zusammengezimmert. Der Logik der

    Ermittlungsbehrden sind kaum Grenzen gesetzt. Als mg verdchtig

    gilt bereits, wer einen gut sortierten Bcherschrank hat mit Werken

    von Marx, Lenin, Luxemburg, Liebknecht, Karl-Heinz Roth, Joachim

    Hirsch, Wolf Wetzel, Sebastian Haunss oder Gerhard Hanloser und

    Zeitschriften wie wildcat oder iz3w liest. Auch diejenigen, die keine

    derartige Literatur besitzen machen sich verdchtig: Die gelten dann

    eben als besonders konspirativ.

    Die Solidarittsgruppe arbeitet heraus, dass alles darauf hinauslief,

    einen politischen Prozess zu fhren, statt einer Unschuldskampagne,

    die darauf abzielt, nur die Verhaftung, einige Ermittlungsmethodenund -hintergrnde zu skandalisieren. Auch wenn der Preis fr die

    zunehmende antimilitaristische Schwerpunktsetzung und die auf Axel,

    Florian und Oliver das Wegbleiben vieler Befrworter einer

    brgerlichen breiten entlichkeit war. Problematisch stellte sich an

    der Frage der Mitarbeit der Beschuldigten im Einstellungsbndnis

    heraus, dass die 129/a/b schnell auch diejenigen, die sich solidarisch

    zeigen, Kontakt zu ihnen haben oder politisch Position beziehen, zur

    kriminalisierten Vereinigung hinzugerechnet oder auch als Zeugen

    geladen werden knnen.

    Praktische SolidariPraktische Solidaritt Knastarbeitt Knastarbeitt

    Sehr konkret beschftigt sich die Solidarittsgruppe mit dem Thema

    Knastarbeit und den Konsequenzen der Haft fr die Betroenen und

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    net damit auch den Blick fr die Situation vieler nicht nur

    politischer Gefangener. Sobald Axel, Florian und Oliver ihre Haft

    antreten mssen haben sie als nicht Vorbestrafte gute Chancen auf

    oenen Strafvollzug oder als Freignger tagsber den Knast zu

    verlassen. Dazu mssten sie sich jedoch den Entscheidungen derStrafvollzugskommission unterwerfen, was unter anderem bedeutet,

    sich auf die Erforschung der Persnlichkeit und Lebensverhltnisse,

    insbesondere das Verhltnis des Gefangenen zu seiner Tat bezglich

    einer Schuldeinsicht, einzulassen. Eine Kooperation ist Voraussetzung

    fr den oenen Vollzug, eine vorzeitige Entlassung, mit politischen

    Folgen: Es ist kein kmpferisches Verhltnis mehr.

    KKeine Pldoeine Pldoyyers, aber ein Uers, aber ein Urteilrteil

    Die Anwlte der Beschuldigten legten in einem Beweisantrag dar,

    dass die Wahrscheinlichkeit gro ist, dass das BKA und BAW gegen

    mutmaliche radikal- Redakteure bewusst unter einem falschen Label

    ein 129a Verfahren eingeleitet hatten, um so den ganzen

    Verfolgungsapparat einsetzen zu knnen. Das Urteil in dem

    politischen Prozess stand schon vor den Pldoyers und trotz einer

    teilweise schwachen Indizienlage fest. Die Vorwrfe, die drei wren

    Mitglieder der mg wurden zum Teil mit durchsichtigen

    Spitzelinformationen die nicht bewiesen werden konnten und

    mussten und anderen fadenscheinigen Beweisen belegt. Besonders

    bekannt wurde in dem Zusammenhang, dass sich das BKA an der

    Militanzdebatte in der Interim mit zwei Textbeitrgen beteiligte, um

    die mg zu einer Stellungnahme zu provozieren. Der dazu vernommene

    BKA Zeuge stritt dies erst ab und log damit. Was das Gericht nicht

    daran hinderte, seine sonstigen Angaben fr glaubwrdig zu halten.

    Gerichtsfeste Belege gab es lediglich fr die versuchte Brandstiftung.Deshalb agierten die Anwlte politisch und verzichteten auf Pldoyers.

    In den politischen Beweisantrgen kamen sie zuvor zu dem Schluss:

    Widerstand gegen vlkerrechtswidrige Kriege ist legitim; frei nach

    dem Motto: Was in Deutschland brennt, kann in Afghanistan keinen

    Schaden mehr anrichten.

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    Das Einstellungsbndnis arbeitet als Motiv heraus, dass die

    Ermittlungsbehrden bewusst den Versuch unternahmen, ber den

    mg Prozess an mutmaliche radikal- Autoren heranzukommen. Der

    ursprnglich als Grundlage des Ermittlungsverfahrens angegebene

    Kontakt zwischen Andrej Holm und Florian reichte im Urteil geradenoch als Beleg fr konspiratives Verhalten.

    Eine ErfEine Erfolgsstoolgsstoryry

    Die Solidarittsgruppe unterstreicht in ihrem Resmee, dass ihre

    Arbeit trotz teilweise gravierender Schwchen erfolgreich war und

    macht das daran fest, dass sich das Bndnis trotz seiner Heterogenitt

    nicht hat spalten lassen. Die Repression hat vielmehr auch Leute

    zusammengebracht, die sonst nie zusammengekommen wren und sodie Organisiertheit vorangetrieben. Das ist nicht immer so, denn es

    gibt zahlreiche andere politische Prozesse, die nicht derartig

    prominent sind wie das mg Verfahren.

    Jedem daran Beteiligten sei das Buch zu empfehlen.

    VVeranstaltungen zum Beranstaltungen zum Buchuch

    Veranstaltung in Berlin: Linke Buchtage

    Samstag 4.6., 12h, Blauer Salon, Mehringhof, Gneisenaustrae 2a

    Veranstaltung in Mnster

    Freitag 17.6., abends, Ladenlokal ohne Namen, Nieberdingstrae 8

    Anlsslich der Buchverentlichung "Das zarte Pnzchen der

    Solidaritt gegossen" ldt das Einstellungsbndnis zu Veranstaltungen

    ein. Mitglieder des Soli-Bndnisses unterhalten sich ber Solidaritt,

    Antirepressionsarbeit, Streitkultur, Antimilitarismus, Knast u.a.m.

    Bndnis fr die Einstellung der 129(a)-Verfahren 2011: Das zarte

    Pnzchen der Solidaritt gegossen. Edition Assemblage, Mnster.

    ISBN: 978-3-942885-00-3. 86 Seiten. 4.80 Euro.

    [Link zum Artikel]

    Seite 26 von 50

    http://www.kritisch-lesen.de/?p=2388http://www.kritisch-lesen.de/?p=2388
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    1945 Rter1945 Rterepubepublik im Nlik im Nirgendirgendwwoo

    Stefan Heym

    Schwarzenberg

    Von Fritz Gde

    Heym entwickelt am historischen Beispiel des zeitweise unbesetzten

    Landkreises Schwarzenberg zwischen Amerikanern und Russen das

    Laborexperiment eines Rte-Deutschlands, erwachsen aus eigener

    Kraft.

    Schon gegen Ende der Zeit, die der DDR auf Erden gegeben war,

    stt Heym auf Berichte des eigenstndigen Wiederaufbaus im sechs

    Wochen lang nicht besetzten Landkreis Schwarzenberg. Er, aus den

    USA freiwillig zurckgekehrt, hatte seit seiner Ankunft 1953 immer

    wieder seine Streitigkeiten mit der Obrigkeit gehabt. SeineDarstellung der Ereignisse 1953 "Fnf Tage im Juni" war parteiamtlich

    gergt worden. Spter gab es immer wieder Zeiten der geduldeten

    Publikationen, aber immer wieder auch solche der Querelen. Angeblich

    wegen nanzieller Verfehlungen korrekter oder inkorrekter

    Abfhrung westlicher Honorare, man kennt das! immer wieder

    Verbote. Nie allerdings Knast! Auch keine bekannt gewordenen

    Versuche der Abschiebung in den Westen. Seine Lebensumstnde

    belebten die Phantasie des Romanautors, als er begann, sich eine

    Regierung auszumalen, die sich anders htte entwickeln sollen als diebeiden Deutschlands, die Heym ausgiebig durchgeschmeckt hatte und

    stark versucht war, beide auszuspeien aus seinem Munde, wie es in der

    Bibel heit.

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    http://www.kritisch-lesen.de/author/fritz-guede/http://www.kritisch-lesen.de/author/fritz-guede/
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    Schwarzenberg steht literarisch weit zurck hinter mehr

    durchgearbeiteten Werken wie Knig Davids Bericht oder auch Collin.

    Als trainierter Romancier arbeitet der Autor mehrere

    Liebesgeschichten ein, die ausgesprochen leer verlaufen. Ohne

    nachvollziehbaren Ausgang in einer vorstellbaren Welt. Wichtig bleibtder kurze Roman aber als Denkexperiment.

    SchSchwarzenberg - Leerraum zwischen den Zowarzenberg - Leerraum zwischen den Zonennen

    Es muss wirklich aus irgendwelchen Berechnungsfehlern der

    einmarschierenden Gromchte ein paar Wochen lang das Vakuum

    Schwarzenberg gegeben haben, zwischen den festgelegten

    Zonengrenzen der USA und der UDSSR. Vermutlich hatten beide

    Seiten Angst, durch unberechtigten und unerwarteten Vorsto dieGegenseite vorzeitig zu verrgern. Heym erndet sich einen alten KP-

    Genossen Kadlitz als Erzhler der Vorgnge. Dazwischen tritt er immer

    wieder in eigener Person als allwissender Erzhler auf.

    Wie es wohl berall mehr oder weniger geschehen ist, treen sich

    Einwohner im Rathaus und berprfen die Lage. Man erwartet, wie

    das im Schwarzwald in Wolfach schon im April 1945 geschah, die

    jeweilige Besatzung und erwartet, durch lange Kriegsjahre trainiert,

    deren Anweisungen. So habe ich es als Kind miterlebt.

    In Schwarzenberg fehlen die Besatzer zur allgemeinen

    berraschung. Die berlebenden des Krieges treen sich wieder im

    alten Arbeiterheim, das der SS die letzten Jahre als Hauptquartier

    gedient hatte. Es muss etwas geschehen. Also beschliet die zur

    Diskussion versammelte Gruppe aus Arbeitern ehemals KPD, SPD,

    parteilos bunt gemischt, den Nazibrgermeister abzusetzen, wegen

    geringer Kraft aber den Landrat, kein Parteimitglied der NSDAP, im

    Amt zu lassen. Der beginnt die vertrauensvollen Revoluzzer sofort zu

    betrgen und schickt Flehbriefe an die amerikanische Besatzung in

    den Nachbarkreisen, ihn und das Gebiet sofort zu besetzen. Wegen

    Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung.

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    Erste SchriErste Schritte zur Selbstvtte zur Selbstverwaltungerwaltung

    Die mit Verwaltung vllig unvertrauten Leute im Rathaus kmmern

    sich um Sicherstellung von Lebensmitteln, Trmmerbeseitigung,

    Zuteilung von Verwaltungsarbeiten. Und schaen es. In diese Gruppe

    tritt Wolfram ein, halbverhungert, aus dem Nazi-Gefngnis in Dresden

    beim groen Brand entkommen. Er, Halbjude, ndet sich in seiner

    Vaterstadt wieder. Die Eltern waren gedemtigt worden, der Vater in

    der Schubkarre von seiner eigenen Frau durch die Stadt geschoben.

    1938. Darauf bald verstorben. Seine Frau kurz danach. Wolfram, die

    Hauptperson, hat in frhen Nazizeiten ber utopische Entwrfe eine

    Dissertation geschrieben, die von seinem Prof, einem SS-Mann, als

    staatsfeindlich zurckgewiesen wurde. Er selbst kam spter wegen des

    Universaldelikts Hochverrat ins Gefngnis. Dort entwickelte er seineberlegungen weiter. Sie enden im Entwurf einer Staatseinrichtung,

    welche einer Rterepublik so nahe wie mglich kommt. Unter seinem

    Einuss gewhnen sich die Mitglieder des ersten Rates an, von ihrem

    Gemeinwesen als einer "Republik Schwarzenberg" zu sprechen, von

    der sie im Lauf der Wochen annehmen, sie knnte als

    Experimentierfeld fr ein freies Gesamtdeutschland bestehen bleiben.

    Auf Seite 136 wird die Entstehung eines Verfassungsentwurfs

    ausfhrlich geschildert. "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus" So

    fngt das noch ganz traditionell an. Dann fallen Wolfram freilich die

    begeisterten Massen bei Hitlerdurchfahrten ein: Waren die nicht auch

    Volk? Also ein vorsichtiger Zusatz: Das Volk ist der Gesetzgeber,

    vertreten durch seine in freier, allgemeiner und geheimer Wahl

    gewhlten Deputierten. Es kann aber auch durch Volksbegehren und

    Volksentscheid Gesetze direkt beschlieen und vorhandene abndern"

    (S. 139). Das reicht als Abwehr einer Diktatur immer noch nicht.

    Die Brger der Republik sind vor dem Gesetz gleich.Es gibt keine Privilegien, weder was die Nutzung von

    entlichen Gtern noch von staatlicher Macht betrit.

    (...)Die im entlichen Dienst stehenden Brger begreifen

    sich als Diener des Volkes, nicht als dessen Oberherrn, und

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    ihre Entschdigung bertrit in keinem Falle die Lhne

    der in der Produktion stehenden Arbeiter" (S. 139).

    Als spter ein kleiner Finanzverwalter auftaucht, und den Herren die

    streng abgestuften Gehlter auszahlen will, die die jeweiligen Amtsinhaber im Dritten Reich bekommen htten, halten sich

    berraschenderweise alle an die neue Regel. Keine Abstufung!

    Und weiter, ganz nach dem, was der Verfasser oder zumindest Heym

    von der Commune Paris 1871 noch im Kopf hatte: jederzeitige Abwahl

    eines jeden Deputierten. Kollektive Arbeit, im Sinn der Abweisung

    der Teilung der Gewalten. Die beratende Gruppe ist jeweils auch die

    ausfhrende. Vertretungsbefugt nach auen sind jeweils die mit einer

    bestimmten Arbeit beauftragten Genossen. Es gibt also keinenstndigen Regierungschef. Und fr deutsche Ohren das Hrteste: Das

    stehende Heer ist abgeschat. Im Notfall werden Arbeitermilizen

    zusammengerufen, die fr die Zeit ihres Notdienstes vom Arbeitgeber

    freizustellen sind.

    Enteignet werden Banken und die Groindustrie. In allen Betrieben

    werden Betriebsrte gewhlt und mit allen Vollmachten ausgestattet.

    Sie regeln Arbeitsverhltnisse und Lhne, sowie die Beziehung zu

    anderen Produktions-Sttten.

    Die meisten Gedanken macht sich der Verfassungsgeber ber

    Meinungsfreiheit. Kann diese vollkommen gewhrt werden, wenn doch

    im Marxismus? alles Wahre schon gesichert ist. Muss dann jede

    Abweichung davon nicht gleich als Strung bekmpft werden?

    Trotzdem wird, und das ist fr das Roman-Ende wichtig, trotzig

    uerungsfreiheit in jeder Hinsicht in die ausgedachte Verfassung

    eingeschrieben.

    Anklage vAnklage voor allem gegen die russische Besatzungr allem gegen die russische Besatzung

    Am Ende des Romans wird, eben wegen gefhrlicher entlich

    geuerter Meinung, die Hauptgur von einem russischen

    Befehlshaber festgenommen. Und, wie mehr zu erraten als zu erfahren

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    ist, nach Russland verfrachtet. Und verbringt dort Jahre in einem

    Lager. Von wo er weihaarig zurckkommt, eine Professorenstelle

    erhlt und alles, was er einst vertrat, wieder als Utopie erklrt, nun

    aber in dem Ton abschtzigen Wegfegens, wie er in West und Ost

    blich geworden ist.

    Die Figur knnte sich leicht an die des Philosophieprofessors Wolfgang

    Harich anlehnen. Der erhielt wegen angeblich hochverrterischer

    Westkontakte acht Jahre Knast. Und ging gebrochen und reuig aus

    ihnen hervor.

    Der Roman spielt zwischen den Lagern der USA und der UDSSR.

    Heym, der selbst als amerikanischer Ozier in Deutschland einzog,

    hat vielleicht in dem mittelmig interessierten amerikanischen jungen Leutnant nachtrglich ein Selbstportrt geschaen. Die

    Amerikaner ziehen sich zwar nach Korrektur der Besatzungszonen

    ohne Kampf aus Thringen und Sachsen zurck und berlassen

    Schwarzenberg dem schon damals verdchtigten Feind UDSSR.

    Greifen aber nirgends feindlich in Schwarzenberg ein.

    Als wirklich heimtckisch werden aber Teile der russischen

    Besatzungsarmee geschildert. Einen verdchtigen hochgesinnten

    Major lassen sie im Kampf gegen eine letzte Nazihorde bewusst insMesser laufen. Erhard Reinsiepe kommt ebenfalls sehr frh aus

    Dresden, nimmt an allen Beratungen teil, jeweils mit "hhnischem

    Lcheln" wie es heit, wenn von der "Republik Schwarzenberg" die

    Rede ist. Schlielich beteiligt er sich nicht nur als Denunziant, sondern

    auch handgreiich an der Festnahme Wolframs. Sein Vergehen: Er hat

    sich in der letzten Sitzung des Rats dafr eingesetzt, einen uersten

    Versuch zu machen, ber einen Vertrag zwischen den

    Besatzungsmchten die Republik doch noch zu retten. Ganz am Endestellt sich heraus, dass Reinsiepe am Verstummen durch Schock der

    Begleiterin Wolframs unmittelbare Schuld trgt. Diese begleitete

    Wolfram stumm durch den ganzen Roman. Reinsiepe hatte sie unter

    einem brennenden Balken erkannt in der Brandnacht Dresdens im

    Februar 1945. Aber hatte sich mit Rettungsarbeiten keine Sekunde

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    aufhalten "drfen". Denn er hatte einen Auftrag. Er, als einzelner,

    wusste, was sich unter den Bergen um Schwarzenberg verbarg. Uran.

    Eben dort wurde spter die Wismuth-AG gegrndet. Darum also...

    Am Anfang des Romans wird fter von der Macht gesprochen, die

    jetzt auf der Strae liege. Am Ende stellt sich heraus: sie lag niedort, sondern immer in den Hnden der einmarschierenden Roten

    Armee. Genau genommen: der machtbewussten Fhrung im Sinne

    Stalins. Diese Schlussenthllung wirkt ausgesprochen schwach. Weil

    die ungeheuren Anstrengungen der verschiedenen Vlker Russlands

    darber in Vergessenheit geraten, nicht nur sich selbst, sondern

    wirklich auch die Menschheit vom Faschismus zu befreien.

    Wie gesagt: es handelt sich bei "Schwarzenberg" nicht um ein

    durchgearbeitetes Kunstwerk. Trotzdem empehlt sichKenntnisnahme. Wenn wir nach den Wegen fragen, die nach Marx

    eingeschlagen wurden, um die Tendenz handelnd zu erfllen und zu

    vollenden, die er erkannt hatte, dann sollte dieses kleine Stck

    Montage aus Erinnerung und Phantasie nicht ganz vergessen bleiben.

    Diese Rezension beruht auf folgender vergriener Auage:

    Stefan Heym 1984: Schwarzenberg. Bertelsmann Verlag, Mnchen.

    ISBN: 3-570-00140-7. 309 Seiten. 34,00 DM.

    Derzeit kann aber diese Auage erworben werden:

    Stefan Heym 2004: Schwarzenberg. btb Verlag, Mnchen.

    ISBN: 978-3-442-73361-3. 272 Seiten. 8.00 Euro.

    [Link zum Artikel]

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    http://www.kritisch-lesen.de/?p=2403http://www.kritisch-lesen.de/?p=2403
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    IIslamfslamfeindlichkeindlichkeieit in Deut in Deutschlandtschland

    Achim Bhl

    Islamfeindlichkeit in DeutschlandUrsprnge | Akteure | Stereotype

    Von Ismail Kpeli

    Achim Bhl zeichnet in diesem Buch historische Islamfeindlichkeit bis

    hin zu modernen Ressentiments nach.

    Die Existenz einer Feindschaft gegenber Muslimen in Deutschland

    wird, sptestens seit der Sarrazin-Debatte immer weniger in Frage

    gestellt. Dieser Befund wird durch empirische Untersuchungen (etwa

    des Instituts fr interdisziplinre Konikt- und Gewaltforschung in

    Bielefeld) besttigt, in denen die Akzeptanz antimuslimischer

    Ressentiments durch breite Bevlkerungsschichten in Deutschland

    und Europa nachgewiesen wurde.

    Allerdings bleiben viele andere Aspekte nach wie vor umstritten. So

    ist die Frage nach der richtigen Begriswahl in der deutschsprachigen

    Literatur noch ein Streitpunkt. Je nach Autor, Erkenntnisinteresse und

    politischer Ausrichtung wird etwa von Islamophobie, Islamfeindschaft

    oder antimuslimischem Rassismus gesprochen, um einige der Begrie

    zu nennen (Dagegen hat sich in der englischsprachigen Debatte

    Islamophobia gegenber anderen Begrien eindeutig durchgesetzt).

    Aber auch die gesellschaftliche Relevanz dieser Feindschaft und dieVergleichbarkeit zum Antisemitismus werden kontrovers debattiert.

    Achim Bhl, ein Teilnehmer dieser Debatten, hat jetzt seine politische

    Positionierung in einem Buch verentlicht. Das Buch selbst fllt in

    zwei Teile. Die erste Hlfte beschftigt sich mit der historischen

    Islamfeindlichkeit und dem Islam selbst. Hier werden auf etwa 120

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    http://www.kritisch-lesen.de/author/ismail-kupeli/http://www.kritisch-lesen.de/author/ismail-kupeli/
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    Seiten viele Themen angerissen: Die Kreuzzge, die Trkengefahrim

    Mittelalter, Martin Luthers Antisemitismus und Islamfeindschaft, die

    Reconquista in Spanien, der Orientalismus, Karl May, Max Weber und

    die deutsch-trkischen Beziehungen. Es schliet sich ein krzeres

    Kapitel an, in dem betont wird, inwiefern Islam ein Teil dereuropischen Kultur und eine dem Christentum und Judentum

    verwandte Religion ist mit der Absicht, die Konstruktion des Islams

    als anders und fremd zu durchbrechen.

    In dieser ersten Hlfte sind neben einigen interessanten

    berlegungen, wie etwa ber die Bedeutung der Reconquista fr

    weitere Entwicklungen von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit,

    leider viele Mngel festzustellen. Erstens ist die Auswahl der Quellen

    und Literatur sehr fragwrdig. Die umfassende wissenschaftlicheLiteratur wird zu selten bercksichtigt, es wird berwiegend aus

    beliebigen Internetseiten geschpft. Zweitens ist die Wahl,

    Verknpfung und Gewichtung der Aspekte, die in den Kapiteln ber

    die historische Islamfeindlichkeit behandelt werden, nicht

    nachvollziehbar. Sprunghaft werden einzelne Diskurse und Debatten

    zu den jeweiligen Jahrhunderten erwhnt, ohne dass ein roter Faden

    und Verbindungslinien sichtbar werden. Ob und wie Akteure aus

    diesen Debatten sich aufeinander bezogen haben, wird nicht nherausgefhrt. So bleibt die Begrndung fr die These, dass hier eine

    tausend Jahre alte Islamfeindlichkeit festzustellen sei, eher drftig.

    Wesentlich anregender und interessanter ist die zweite Hlfte, die

    sich um die moderne Islamfeindlichkeit dreht. Zwar ist auch dieser

    Teil eher eine politische Positionierung als eine wissenschaftliche

    Untersuchung und auch hier ist die Auswahl und Qualitt der

    verwendeten Quellen und Literatur stellenweise fragwrdig. Des

    Weiteren werden Begrie wie Antimohammedanismus kreiert, diesich weder in der wissenschaftlichen noch in der entlichen Debatte

    wiedernden lassen. Hier wre es sinnvoller gewesen, den

    wissenschaftlichen Forschungsstand fr die entliche Debatte zu

    bersetzen also eine Vereinfachung und Entdierenzierung der

    wissenschaftlichen Debatte zu leisten. Stattdessen werden weitere

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    Themen angeschnitten, die dann vielfach unzureichend diskutiert

    werden. So werden auf gerade Mal einer Seite der islamische

    Antisemitismus und der islamfeindliche Antisemitismusvorwurf

    angerissen. Eine solche Vorgehensweise fhrt eher zu Verwirrungen

    als zur Klrung kontroverser Themen.

    Aber immerhin: Der Autor konzentriert sich mehrheitlich auf die

    Islamdebatte in Deutschland und leistet hier eine fundierte Kritik an

    antimuslimischen Ressentiments. Bhl schiet dabei manchmal ber

    das Ziel hinaus, wenn er etwa die entwicklungspolitische Gruppe

    Aktion 3. Welt Saarals rassistisch bezeichnet und ihr eine ideologische

    Nhe zu Samuel Huntington und dem historischen

    Sendungsbewutsein des imperialistischen Kolonialismus (S. 253)

    unterstellt. Abgesehen von solchen Merkwrdigkeiten ndet sich vielfach eine engagierte politische Positionierung gegen

    Islamfeindlichkeit. Die Akteure und Positionierungen in der

    Islamdebatte werden aufgeschlsselt, als islamfeindlich eingestufte

    Inhalte verrissen. Die deutliche Benennung und die bersichtliche

    Darstellung geht zwar auf Kosten einer ausdierenzierten

    wissenschaftlichen Analyse, ist aber fr die politische Debatte

    durchaus vorteilhaft.

    Insgesamt scheint es fast so, als wrde sich die Islamdebatte in diesem

    Buch widerspiegeln. So nden sich hier ebenfalls drftig belegte

    Behauptungen und falsche Verknpfungen neben berzeugenden

    Analysen und nachvollziehbarer Kritik. Die methodischen und

    inhaltlichen Mngel in der ersten Hlfte und manche allzu polemische

    Formulierung in der zweiten Hlfte des Buches bieten oene Flanken

    fr Verrisse, wie sie in der FAZ (4. April 2011) zu lesen waren

    und knnen auch von wohlwollenden Lesern kaum bersehen werden.

    Eine Konzentration auf die Debatten in Deutschland wre die richtigeEntscheidung gewesen, die leider versumt wurde.

    **

    Eine krzere Fassung dieser Buchrezension erscheint in der iz3w (Nr.

    325, Juli/August 2011)

    Seite 35 von 50

    http://www.faz.net/s/RubA330E54C3C12410780B68403A11F948B/Doc~E6EF0C6C4A9964D7E81AD1116791E887D~ATpl~Ecommon~Scontent.htmlhttps://www.iz3w.org/https://www.iz3w.org/http://www.faz.net/s/RubA330E54C3C12410780B68403A11F948B/Doc~E6EF0C6C4A9964D7E81AD1116791E887D~ATpl~Ecommon~Scontent.html
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    Achim Bhl 2010: Islamfeindlichkeit in Deutschland. Ursprnge |

    Akteure | Stereotype. VSA-Verlag, Hamburg.

    ISBN: 978-3-89965-444-8. 320 Seiten. 22.80 Euro.

    [Link zum Artikel]

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    http://www.kritisch-lesen.de/?p=2396http://www.kritisch-lesen.de/?p=2396
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    Das MarxbDas Marxbild?ild?

    Rolf Hosfeld

    Die Geister, die er riefEine neue Karl-Marx-Biografie

    Von Dirk Brauner

    Ein Autor, eine Biographie, eine Person, ein Bild.

    Rolf Hosfeld erhielt 2010 fr diese Biographie den Literaturpreis der

    Friedrich-Ebert-Stiftung. Auch wenn dieses Jahr bei rororo eine neue

    Biographie Hosfelds zu Marx erschien, soll hier auf sein preisgekrntes

    Werk geschaut werden, da es umfangreicher als das Neuere ist und

    sich deshalb ein besseres Bild machen lsst, wie der Autor das Thema

    darlegt.

    Die Schwierigkeit einer Biographie bei einem Theoretiker wie Marxist wohl, dass neben den biographischen und zeitgeschichtlichen

    Geschehnissen, aus denen sich der Werdegang erzhlen liee, die

    Gedanken eine ausgesprochen bedeutende Rolle spielen. Hosfeld

    zeichnet nun in dieser Biographie die Entwicklung der Gedanken nach,

    um die er, wie um einen roten Faden, die anderen Geschehnisse und

    Verhltnisse ordnet. Das eine bedingt natrlich das andere und Hosfeld

    schat es die verschiedenen Strnge im Wechselspiel zu einem

    essayistisch geschriebenen Ganzen zu verbinden. Dazu gliedert er das

    Buch in die Abschnitte Ideen, Taten, Entdeckungen und Folgen

    und lsst auf 222 Seiten mit 670 Zitaten Marx und auch andere, recht

    oft zu Wort kommen. Hosfeld bleibt im Hintergrund und erklrt im

    lehrreichen Ton. Dabei, und das ist erst mal eine gute Idee, versucht er

    unaufgeregt zwischen den Zitaten zu moderieren und damit zu einem

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    http://www.kritisch-lesen.de/author/dirk-brauner/http://www.kritisch-lesen.de/author/dirk-brauner/
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    berblick zu gelangen. Bemerkenswert wird es dann, wenn Hosfeld

    sich doch in den Vordergrund wagt:

    Marx wollte seitdem immer, sein knftiges Leben lang

    durch die umgekehrte Geschichtstheologie der elftenThese ber Feuerbach verzaubert, eine auf den Kopf

    gestellte Welt durch Einebnung von Komplexitten

    verndern, anstatt sie nur zu interpretieren und damit

    vielleicht in Grenzen beherrschbar zu machen. Mit einer

    richtigen Interpretation der Widersprche des

    Kapitalismus wre allerdings schon viel gewonnen. Jede

    vernnftige Politik staatlicher (und globaler) Regulierung

    ist schlielich darauf angewiesen, ob und wie weit man

    das, was reguliert werden soll, richtig interpretiert hat.(S. 192)

    Der Vorwurf der Reduktion der Komplexitt zeigt wie Hosfeld sich

    wertend uert. Dass solch ein Vorwurf auch fr diese Biographie

    gelten kann, weil sich Hosfeld des Mittels der Vereinfachung selbst

    bedient, scheint ihm nicht in den Sinn gekommen zu sein. Eine

    umfassende Zusammenfassung kann es natrlich nicht sein. Muss es

    auch nicht. Um dieses komplexe Thema auch nur irgendwie fr eine

    solche Biographie handsam zu machen, muss Hosfeld vereinfachen. Es

    wirkt deshalb aber umso widersprchlicher, wenn auf dem Buchrcken

    steht: In dieser Biographie erfahren Sie alles ber den gescheiterten

    Revolutionr und sein ebenso umstrittenes wie grundlegendes Werk.

    Sicher ist das nur Reklame, aber sicher ist dieses Buch auch das

    - Reklame mit Marx. Hier wird Marx werbewirksam zwischen die

    Buchdeckel gefaltet. Hosfeld lsst die theoretischen Debatten, wie zu

    jener Frage, ob es einen konzeptionellen Bruch zwischen dem altenund dem neuen Marx gibt, schlicht beiseite. Eine solche dierenzierte

    Darstellung lsst er nicht zu, sondern legt uns nur seine Perspektive

    nahe. Er diagnostiziert bei Marx zum Beispiel, dass dessen

    materialistische Eschatologie eine fatale Tendenz sei, die schon in

    den Frhschriften angelegt sei. (S. 222) Auch kommt Hosfeld nicht

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    umhin wesentliche Merkmale ausmachen zu wollen, wie, dass Marx

    prinzipiell antinomisch denken wrde. (S. 50) Dabei legt Hosfeld auch

    Widersprche und Ungereimtheiten dar, nur ordnet er sie den

    wesentlichen Merkmalen, also vermeintlichen charakteristischen

    Zgen, unter, um zu einer (seiner) Marxidentitt zu kommen. Deshalbbleibt es insgesamt nur bei einem runden Bild, anstatt Bildern.

    Auf der Frankfurter Buchmesse 2009 lie Hosfeld verlauten, dass Marx

    als ein Wissenschaftler seiner Zeit ein geschlossenes Gesellschaftsbild

    trug, was ihn glauben lie, dass die Ablufe vorherbestimmt seien.

    Nun, Hosfelds geschlossenes Marxbild sollte niemanden glauben

    lassen, dass es ein solches allgemeines Bild gibt.

    Wer es als ein gutgeschriebenes Sachbuch lesen will, sollte denhosfeldschen Stempel im Blick behalten. Wer sich aber mit den

    Theorien beschftigen will, kann es sein lassen, weil dieses Buch durch

    seine gewisse Einseitigkeit einem oenen Umgang im Wege steht.

    Rolf Hosfeld 2009: Die Geister, die er rief. Eine neue Karl-Marx-

    Biograe. Piper Verlag, Mnchen.

    ISBN: 9783492052214. 270 Seiten. 19.95 Euro.

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    Gestern MGestern Moorgenrgen

    Bini Adamczak

    Gestern Morgenber die Einsamkeit kommunistischer Gespenster und die Rekonstruktionder Zukunft

    Von Fritz Gde

    Es ist Bini Adamczak gelungen, Material, das bisher von denAntikommunisten aller Art aufgeboten wurde, um und umzudrehen,

    um in ihm nicht Zeugnisse des Siegs der Revolution zu erblicken, wohl

    aber ihrer Unbesiegbarkeit selbst in Verbrechen und Untergang.

    Neunzig Jahre Oktoberrevolution. Siebzig Jahre Moskauer Prozesse.

    Die These Bini Adamczaks in ihrem neuen Buch: Wir knnen nicht

    erinnernd die Oktoberrevolution 1917 aufgreifen, ohne zuvor auf ihre

    virtuelle Aufhebung, ja Vernichtung 1937 zu stoen.

    Sie verrammelt zunchst alle Scheinausgnge. Es kann nicht neu

    angefangen werden im Rckgang auf Marx. Keinerlei Neujahrsschnee

    der guten Vorstze, mit der Zusatzbemerkung: Danach htte es nur

    Verfehlungen gegeben, die aber dieses Mal garantiert alle vermieden

    wrden. Die Theorie von Marx selbst bleibt nicht unberhrt von den

    Taten und Untaten derer, die sich auf ihn beriefen.

    Unzulssig, unzugnglich aber auch die heute beliebteste Lsung:

    1917 war selbst der grte Fehler. Vergessen wir Oktober 1917 undFebruar gleich mit! Es htte mit dem Zaren so unblutig weitergehen

    knnen!

    Unzulssige Ausrede, nicht nur, weil das Zarenregime zu Recht wegen

    Unfhigkeit abtreten musste. Unzulssig und unmglich, gerade weil

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    die Opfer der Prozesse 1937 - und alle vorher und nachher - einen

    unabweisbaren Anspruch erheben: ihren selbst durch Qual, Sibirien,

    Haft und Tod nicht zum Schweigen zu bringenden Wunsch - aus den

    erstickten Schlnden - noch zu vernehmen. Die Erkenntnis, dass das

    Begehren der Erniedrigten und Getteten erstickt wurde aus demInnern der Bewegung selbst, der sie anhingen, darf nicht zum

    Vergessen, muss gerade zum Ernstnehmen fhren. Nur um der

    Honungslosen willen ist uns die Honung gegeben sagt Benjamin

    in der Wahlverwandtschaften-Arbeit. Bini Adamczak spitzt das

    sinngem weiter zu: Honungslosigkeit enthlt einen Appell an alle,

    die noch Honung zu haben beanspruchen.

    Welche Zeugen ruft Admczak auf, um die schwache Stimme der

    Zusammengebrochenen fr uns hrbar zu machen?

    - Buber-Neumann, Frau des Kommunisten Neumann, die von der

    Sowjetregierung in die sibirischen Lager geschickt worden war,

    whrend der Pakt-Zeit mit vielen anderen deutschen und

    sterreichischen Kommunistinnen und Kommunisten an Deutschland

    ausgeliefert wurde und dort im KZ Ravensbrck bis zur Befreiung zu

    berleben hatte.

    - Weiberg-Cybulski, stereichischer Kmpfer im Revolteversuch 1934,einer der schrfsten Analytiker der mglichen Absichten, die das nach

    auen kontraproduktiv erscheinende Vernichtungswerk Stalins htte

    haben knnen. Genauester Zeuge einer besonderen Art indirekter

    Folter: des Conveyer. Des stunden- und tagelangen Dauerverhrs

    durch wechselnde Beamte. Der lngste bekannt gewordene Fall

    umfasst neunzig Stunden - ohne Unterbrechung fr den Verhrten.

    Weissberg-Cybulski erlag immer neu - und leistete zur Verzweiung

    der Verhrenden immer neu seinen Widerruf.

    - Herangezogen wird auch Sperbers Riesen-Roman Wie eine Trne im

    Ozean, in den zahllose echte Schicksale verarbeitet wurden.

    Ein ganz furchtbares Beispiel hat Bini Adamczak wieder ausgegraben,

    von Reinhard Mller herausgegeben in einem Rowohltbndchen: "Die

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    Suberung. Stenogramm einer geschlossenen Parteisitzung."

    Schriftsteller, die sich ins Exil gerettet hatten, zermartern sich das

    Hirn, was sie und andere sich an Verbrechen htten zuschulden

    kommen lassen knnen. Wer hat in Prag wen gekannt, der sich spter

    als Trotzkist herausstellte? Oder ging es gar nicht darum?

    Hier sogar im Selbstverhr - ohne einen drngenden Parteibeamten.

    Das Perde der Verhrtechnik bestand darin - und hier wurde sie

    verinnerlicht -, dass dem Beschuldigten kein konkreter Tatvorwurf

    gemacht wurde. Er selbst hatte sich abzuqulen: Wo lag mein

    Verbrechen? Da vor den unerfllbaren Forderungen der Theorie ein

    jeder die deutlichste Erkenntnis des Versagens hatte (hatte in

    Deutschland nicht die Konterrevolution in ihrer schndlichsten Form

    gesiegt?), fand der Bergmann des eigenen Inneren immer allzu vielUnrat. Den er dann unterwrg prsentierte.

    Lukacs selbst beteiligt sich als externer. Er hatte das Glck, Mitglied

    des ungarischen Schriftstellervereins zu sein, nicht des deutschen.

    Auch er verfllt dem bohrenden Dreh, in einer bloen Depression, die

    jeden befallen kann, die potentielle Grundlage einer Plattform zu

    erblicken, die - wenn oen deklariert - auf alle Flle zur Feindschaft

    gegenber der Partei htte fhren mssen. Das nur Empfundene, nicht

    einmal Gedachte, wird bei dieser Art der Gewissenserforschung mit

    der Notwendigkeit einer Handlung gleichgesetzt. Gerade die

    Entartung des brgerlichen Rechts, Gesinnungen zu bestrafen, den

    Habitus zu entlarven, nicht die einzelne greifbare Tat, wird zum

    Normalfall dieser sozialistischen Justiz und Selbstjustiz. (Kleine

    Ehrenrettung fr Lukacs: als die hrtesten Zeiten vorbei waren, und

    er hatte selbst Verbannung und Haft berlebt, beschrieb er in einer

    Besprechung von Solschenizyns "Ein Tag aus dem Leben des Ivan

    Dennisowitsch" przise das Gesamtsystem dieser Zeit, in eine Nuss-Schale gepackt, in den einzigen Tag eines einzigen Hftlings. In diesem

    kleinen Werk zeigt er die eigene Fesselung vor, das Zappeln in Netz

    und Seil in unerbittlicher Versenkung ins Detail.)

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    Wie war die Selbstunterwerfung, Selbstvernichtung gerade derjenigen

    mglich, die doch angetreten waren, sich keine Erniedrigung mehr

    gefallen zu lassen? Wie war es mglich, was damals das meiste Grauen

    erweckte, dass solche, die den Hllen zaristischer Knste

    standgehalten hatten und nazistischer Folter, nun - wie Bucharin imSchlusswort wrtlich sagte - in die Knie gingen.

    Bini Adamczak erinnert daran, dass es im System der Dialektik keine

    feststehenden Wahrheiten von auen mehr gibt, auf die man sich so

    berufen knnte wie ein ktiver Galilei, der darauf setzen konnte, dass

    - Widerruf hin oder her - die Tatsachen ber tausend Beobachtungen

    der Wissenschaftler trotz allem ans Licht dringen wrden und ihn auf

    jeden Fall noch nach dem Tod rehablitlieren wrden. An die Stelle

    der feststehenden Wahrheit tritt unsere Gottheit, die Geschichte(Ingeborg Bachmann). Die hat, wie das Wasser, keine Balken. Nichts,

    an das man sich klammern knnte. Der Lauf der Geschichte ist

    vernderlich. Und es knnte dann scheinen nach dem Satz: Die

    Weltgeschichte ist das Weltgericht - dass derjenige, der verloren hat,

    immer auch mit Recht verlor.

    Woran ermesse ich, dass ich verlor? Die Kommune 1871 wurde

    schlielich auch besiegt - und blieb doch Vorbild noch fr Lenin 1917

    im Kreml.

    Nach der Dialektik, verstanden als Seekrankheit auf festem Land

    (Kafka) habe ich als einzigen Bezugspunkt die Massen. Ihre Meinung.

    Und da auch die schwer zu greifen ist, die Meinung ihrer Bildnerin

    und Formerin: der Partei. Das Problem hatte Sartre schon in seinem

    Stck Schmutzige Hnde aufgegrien. Und sein Hugo zerschlgt

    den Knoten in existenzialistischer Auehnung. In den Gesprchen aus

    Sperbers Roman weist Bini Adamczak nach, dass das alles imklglichsten Zusammensinken enden musste, wenn es vom Theater ins

    alltgliche Parteileben im Untergrund in Nazideutschland geriet.

    Um ein Beispiel aus neuester Zeit zu nennen, ganz ohne Terror und

    Zwang, in den Formen grter Hichkeit vorgetragen. Als Bettelheim

    seine Zweifel und seine Kritik vortrug gegenber den absurden

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    Beschuldigungen, die die Konterrevolution unter Hua Kuo Feng gegen

    die ehemalige Frau Maos und die Vier erhob, antwortete ihm ein

    Anglo-Chinese aus dem chinesischen Staatsdienst in feinster Form:

    Die Beschuldigungen htten schon deshalb Hand und Fu, weil die

    Massen in China sie aufs Wort glaubten - und weil die selben Massenniemals eine Person aus den Vier so verehren wrde wie Mao Tse

    Tung: Eine Beweisform, die genau den Inszenierungen folgt, die die

    Moskauer Prozessebestimmten In den ausgesuchtesten Formen wurde

    ein Beweisgeecht vorgetragen, das ausschlielich aus Gestndnissen

    aufgebaut war. Kein einziges Original-Schriftstck. Kein materielles

    Indiz. Keins der gestandenen Attentate, so viele geplant sein sollten,

    hat je geklappt. Noch auer in Gedanken stattgefunden. Trotzdem

    hat der Prozess gegen Radek und andere selbst einen Mann wie

    Feuchtwanger berzeugt. Wie viel mehr diejenigen, die rechts und

    links von sich in Parteiversammlungen den Urteilen applaudierten -

    und falls doch noch von Zweifeln befallen, sich vom Klatschen rechts

    und links betuben und berzeugen lieen.

    Wie wre aus der Gefangenschaft im Zirkel von Versuch - Erfolg -

    Einzelposition - Massenstimmung herauszukommen?

    Eine ewige Wahrheit auerhalb knnen wir nicht einfach wieder

    statuieren, nachdem die Dialektik die Welt einmal ins Wirbeln und

    Schwanken gebracht hat. (Solschneizyn weist im Archipel Gulag oft

    auf die Christen hin, die seit den Mrtyrerprozessen im alten Rom

    in smtlichen Systemen standhaft blieben, weil sie auf einen

    unabhngigen Richter auerhalb zurckgreifen konnten - gegenber

    dem machtwoll klglichen irdischen. Bewundersnwert, nur knnen wir

    uns Bchners kommode Religion nicht schnell auf Rezept

    verschreiben, wenn wir sie als Seelensttze ntig htten.)

    Die Lsung liegt vielleicht in der letzten Frage, die in den Kapiteln V

    und VI gestellt wird. Htten, fragt Adamczak, nicht die Revolutionre

    angesichts der zu erwartenden Gruel der Konterrevolution, die immer

    mitgedacht und erwartet werden muss, htten diese nicht einfach

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    gleich aufgeben sollen? Wie es die Allende-Regierung 1973 nach

    Ansicht der Verfasserin getan hat.

    Vom Standpunkt der Leidensvermeidung stellt sich Weglosigkeit her

    (griechisch: Aporie). Eine Situation, in der nicht mehr richtiggehandelt werden kann. Rev