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    62 25. November 2010 DIE ZEIT No 48

    Jetzt gibt es auch in Deutschland den Mas-ter of Arts, in Hamburg zum Beispiel oderin Weimar. Dieser Master, den man frherKnstler nannte, ist gleichsam das stheti-sche Gesicht der Bolognareform. Weil diese

    bekanntlich das Wissen praktischer machen will,pflanzen nun auch Kunsthochschulen die Mauer-blmchen von einst in fruchtbarere Bden um undkreuzen die Unkruter mit gewinnversprechendenNutzpflanzen. Dass diese Vernderungen auch dieKunst betreffen, die am Ende dabei entsteht, istnicht verwunderlich. Doch macht ein Master ofArts auch Master-Art?

    Der neue, durchreformierte Knstler entwickeltein Werk nicht in einem entrckten Schutzraum,

    wo nur die knstlerische Autonomie zhlt. Vielmehrnteressiert ihn die theorielastige Grenzregion zwi-chen knstlerischen und wissenschaftlichen Fra-

    gen, wie es an der Hamburger Hochschule frbildende Knste heit. Laut einer hollndischenPublikation arbeitet er in new forms of collaborationand new forms of think tanks und positioniert seinWerk, so die Berliner Universitt der Knste, ineinem gesellschaftlichen Zusammenhang. Wie dieSupermutter Ehe, Kinder, Karriere, Fortbildung,Selbstfindung und Wellness unter einen Hut be-kommt, agiert der Master-Knstler als Joker, derauf jeder Hochzeit tanzen kann: mit Hirnforschern,Investoren, Biologen, Philosophen, Geografen,Theologen, ja mit der gesamten Gesellschaft. Dafrwird von ihm freilich ein hohes Ma an stheti-cher Kommunikationskompetenz verlangt, besagt

    die Studienordnung der Hochschule Luzern.In der Praxis bedeutet sthetische Kommunika-

    tionskompetenz zumeist, das knstlerische Spre-chen ber Kunst der universitren Lingua francaanzupassen. Anstelle von abstrusen Pamphleten wieetwa denjenigen von Jonathan Meese treten kunst-geschichtliche und wissenschaftliche Begriffe, die

    ie [die Studierenden] dazu befhigen, ihre Arbeitzu verorten und inhaltlich zuzuspitzen. Es ist einbisschen wie mit dem Fuballspieler, der unmittel-bar nach dem Spiel ebenjenes kommentieren undanalysieren muss. Es gengt nicht, den Ball ins Torzu bolzen. Es sollte sich schon um ein reflektiertes,epistemologisch verifizierbares Tor handeln.

    Polemisch gesprochen geht es in der Bologna-Kunst zumeist nicht darum, die Theorie knst-erisch zu verwerten, sondern darum, das eigeneWerk mit einem zeitgeistgemen Theorie-Dres-ing bekmmlicher zu machen. Und zwar fr

    mannigfaltige Adressaten. War es vor einiger Zeitangesagt, Kunst und Unternehmen zu verbandelnund dabei, wie es stets emphatisch hie, Grenzenzu berwinden, ist jetzt die Wissenschaft dran.Die Planer der Master-of-Arts-Studiengnge ver-muten zu Recht, dass ohnehin die wenigsten Stu-dierenden als vollberufliche Maler oder Bildhauerressieren werden, und richten sich deshalb an denflexiblen, netzwerkenden, kooperierenden, dia-ogisierenden, integrierenden, diskursivierenden,

    partizipierenden, intervenierenden, synthetisieren-den, kontextualisierenden, transformierenden,

    mediatisierenden, hybridisierenden, neologisieren-den, transdisziplinierenden Knstler zwischen s-thetik und Katheder. Er schliet sein Studiumnicht nur mit einem knstlerischen Werk, sondernmit einer wissenschaftlichen Masterarbeit, viel-eicht sogar mit einem Doktortitel ab und whntich endlich auf Augenhhe mit Ingenieuren, rz-

    ten, Juristen. Nun muss er als vollwertiger Gesamt-

    Nicht schn,aber klugViele Knstler studieren neuerdings nach den Regeln derBologna-Reform. Was bedeutet das fr die Kunst? VON JRG SCHELLER

    FEUILLETON

    gesellschaftsbeglcker, Kompetenzsteigerungsgarantund Distinktionsbeschaffer ernst genommen wer-den. Fragt man ihn angesichts seiner Arbeitenzweifelnd Und das ist Kunst!?, so zckt er ein-fach seine Master- oder Doktorbeglaubigung, unddie Diskussion wre beendet.

    Das ideale Revier dieses embedded artistist nichtdas Museum, sondern der sogenannte Artistic Re-search: Kunst als Forschung oder sthetische

    Wissenschaft, ein Studiengang, der unter anderemin Skandinavien und England seit Lngerem etab-liert ist. Ein Prototyp fr den Masterknstler alsQuasiforscher ist beispielsweise Volkhard Strzbe-cher. In den USA ausgebildet, prsentiert der instndigem Dialog mit Mathematikern, Biologen

    und Informatikern stehende Laborsthet Selbst-organisierende Malerei (Bilder von Naturprozessen,die selbststndig Muster ausbilden) in sogenanntenScience Art Shows. Auch der Starknstler OlafurEliasson geht in diese Richtung: Sein Studio fungiertals Labor, er betreibt ein Institut fr Raumexperi-mente, diskutiert ber Bedeutsames wie researchon light. Die Kunstprofessorin Ursula Bertram en-gagiert sich in der originell nach Warhol benanntenFactory der Technischen Universitt Dortmund, ei-nem Zentrum fr den Transfer knstlerischenDenkens in auerknstlerische Felder, das Inno-

    vationsfhigkeit im Sinne der creativeeconomy verheit, auch Fachfrem-den credit points fr Supplement-Seminare anbietet und das Ganze alstriple win game fr Studierende aus-weist, die, berraschung, Kreativittals Zukunftspotenzial verstehen.

    Die Philosophin Anke Haarmannschlielich versteht unter Kunstfor-schung Kunst, die inhaltliche Fragenformuliert oder gesellschaftliche Pro-bleme bearbeitet und dabei die eigene

    Arbeit als knstlerisch produktiveForschung begreift, indem sie je nachFragestellung mit verschiedenen Me-dien arbeitet. Das hat die Kunst auf

    ihre eigene Weise natrlich immer schon getan, wiesie immer auch schon Einflsse aus Literatur, Reli-gion, Politik oder Naturwissenschaft verarbeitet hat,von den Nazarenern ber die Konstruktivisten bishin zur Net-Art, von Giorgio Vasari bis hin zu Jo-seph Beuys. Heute aber tut sie es unter offizisen

    Auspizien, geleitet von Mentoren, versehen mit ei-nem verheiungsvollen Label.

    Bologna und Kunstforschung sind zwar nichtmonokausal miteinander verbunden, doch beideeint das Bestreben, Kunst und Wissenschaft wiederauf den Boden der konomischen Tatsachen zustellen. Fakt ist, dass knstlerische Forschung erstim Kontext von Bologna politische Bedeutung er-langt, bemerkte der Publizist und Kurator DirckMllmann schon 2008 klarsichtig.

    In ihren Master- und Doktorarbeiten stellen dieStudierenden unter Beweis, dass Kunst mehr ist alssubjektive Sinnsuche. Nur dann ist das gut ver-marktbare Siegel Forschung angebracht: For-

    schung ist systematisch, methodisch konsistent, er-gebnisorientiert, quantifizierbar. Zielte man nichtauf diesen wissenschaftlichen Forschungsbegriff,knnte man die alte Kunst einfach die alte Kunstsein lassen. Immerhin war sie seit je Forschung ei-genen Rechts Kritik, Erkenntnis, Auseinanderset-zung mit soziopolitischen, formalen oder wahrneh-mungspsychologischen Problemen. Auch Julian

    Klein von der Society of Artistic Research meint,dass kein kategorialer Unterschied zwischen Kunstund Forschung bestnde abgesehen davon, mss-te man hinzufgen, dass Erkenntnisse in Kunst-werken ohne Zwischenschaltung von Begriffen ver-krpert sind, wie Dagmar Reichert in der Neuen

    Zrcher Zeitungschrieb.Doch gerade die verstrkte und verstrkt nor-

    mierte Zwischenschaltung von Begriffen scheinttypisch zu sein fr die ra der forschenden Master-

    Art. Haftet ihrer von universitrem Ernst erfllten,bildungspolitisch korrekten, zugleich berhitztenRhetorik nicht etwas Beflissenes und Bemhtes an?Es fehlen Witz, Chuzpe, Nonchalance. Folgt mandem Psychologen Ernst Pppel, soll der in die For-

    schung eingebundene Knstler die Routine kon-ventioneller Methoden gewinnbringend aufbrechen,sozusagen als kreativer Strfaktor. Wie aber vermager dies, wenn sich die Kunst rhetorisch und habituelldem Brain Gain oder der Internationalen Kon-textualisierung anverschult? Im sterreichischenProgramm zur Entwicklung und Erschlieung derKnste heit es, Konzerte, Auffhrungen, Ausstel-lungen seien nur als Demonstrator eines proof-of-concepts frderungswrdig. Das verleitet zur dis-kursiven berformung knstlerischer Praxis undletztlich zur Befllung alter Schluche mit neuem

    Wein. Bald folgt der Metal-Musiker mit dem Masterof Death, der seine Musik als partizipative Nekrolo-gie monografisch reflektiert, CDs als intermedialeproof-of-concepts deklariert und staatliche Stipen-dien fr die Einrichtung eines Lrmlabors (ehedemProberaum) akquiriert.

    Der Verdacht lsst sich nicht ausrumen, dieNeucodierung der Kunst zu Master-Kunst undKunstforschung diene vor allem dazu, eindrucks-volle Begriffe als Wnschelruten einzusetzen unddamit neue Finanzierungsquellen aufzuspren:Multi-, Inter- und Transdisziplinaritt bedeutet

    Multi-, Inter- und Transfinanzierung, neue Frder-tpfe, neue Stipendien, neue Mzene. Die Attributeder Kunst Unkonventionalitt, Offenheit, Frei-heit, Risikofreude werden im vernderten termi-nologischen Design zum As im Job- und Finanzie-rungspoker. Die Prognose sei gewagt: Von nun anwerden noch mehr Knstler mit noch hherenQualifikationen auf noch vielfltigere Weise insPrekariat einsteigen.

    Darber hinaus dienen Bologna und Kunst-forschung sicherlich auch zur Verbrmung des al-ten Minderwertigkeitskomplexes der Knste. Ingewisser Hinsicht erinnert die heutige Situation aneinen Prozess, der bereits in der Renaissance statt-fand. Als in Florenz die erste Kunstakademie ge-grndet wurde, versuchte sie sich vom mittelalter-lichen Kunsthandwerk durch strenge theoretischeund wissenschaftliche Exerzitien abzugrenzen undauf diese Weise zu den sogenannten freien Kns-ten aufzuschlieen. Die Studierenden erhieltenunter anderem Unterricht in euklidischer Geo-metrie, nach deren Gesetzen nun der Bildraumkonstruiert wurde. Diese interdisziplinre Bildungsollte den Knstlern, die nun auch fleiig theo-

    retische Traktate verfassten, Zugang zu hherenGesellschaftsschichten verschaffen. Willkommenin der Renaissance der Renaissance!

    Jrg Scheller ist wissenschaftlicher Mitarbeiter amSchweizerischen Institut fr Kunstwissenschaft.Jngst ist von ihm erschienen: No Sports! Zursthetik des Bodybuildings im Franz Steiner Verlag