ZFA 01 2011 · Kardiologie des Marien-hospitals Bottrop ... sche Anatomie • Häufige, leicht ......

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© Deutscher Ärzte-Verlag | ZFA | Z Allg Med | 2011; 87 (1) Z FA Zeitschrift für Allgemeinmedizin German Journal of Family Medicine Januar 2011 – Seite 1-48 – 87. Jahrgang www.online-zfa.de 1/2011 Im Fokus Neue Serie: EbM Frage-Antwort- Service für die Praxis Stenting asymptomatischer Patienten: oft empfohlen, aber wenig Nutzen Mammografie-Screening- Information: Fortschritt für die partizipative Entscheidungs- findung NVL Nierenerkrankungen bei Diabetes: pro und contra Mikroalbuminurie-Screening Organ der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM), der Gesellschaft der Hochschullehrer für Allgemeinmedizin (GHA) und der Salzburger Gesellschaft für Allgemeinmedizin (SAGAM) Official Journal of the German College of General Practitioners and Family Physicians, the Society of Professors of Family Medicine and the Salzburg Society of Family Medicine This journal is regularly listed in EMBASE/Excerpta Medica, Scopus and CCMED/MEDPILOT DP AG Postvertriebsstück – Entgelt bezahlt – 4402 – Heft 1/2011 Deutscher Ärzte-Verlag GmbH – Postfach 40 02 65 – 50832 Köln

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© Deutscher Ärzte-Verlag | ZFA | Z Allg Med | 2011; 87 (1)

Z FAZeitschrift für Allgemeinmedizin

German Journal of Family Medicine

Januar 2011 – Seite 1-48 – 87. Jahrgang www.online-zfa.de

1/2011

Im Fokus

Neue Serie: EbM Frage-Antwort-Service für die Praxis

Stenting asymptomatischer Patienten: oft empfohlen, aber wenig Nutzen

Mammografie-Screening- Information: Fortschritt für die partizipative Entscheidungs -findung

NVL Nierenerkrankungen bei Diabetes: pro und contra Mikroalbuminurie-Screening

Organ der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM),der Gesellschaft der Hochschullehrer für Allgemeinmedizin (GHA) und derSalzburger Gesellschaft für Allgemeinmedizin (SAGAM)

Official Journal of the German College of General Practitioners and Family Physicians, the Society of Professors of Family Medicine and the Salzburg Society of Family Medicine

This journal is regularly listed in EMBASE/Excerpta Medica, Scopus and CCMED/MEDPILOT

DP AG Postvertriebsstück – Entgelt bezahlt – 4402 – Heft 1/2011 Deutscher Ärzte-Verlag GmbH – Postfach 40 02 65 – 50832 Köln

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B E S T E L L C O U P O N

Priv.-Doz. Dr. Ludger J. UlbrichtChefarzt der Abteilung fürKardiologie des Marien-hospitals Bottrop

Dr. med. Matthias KunertOberarzt der Abteilung für Kardio-logie des Marienhospitals Bottrop,Leiter der Echokardiographie-Kurse

3. völlig überarb. und erw. Aufl. 2010, 475 S., 190 Abb. in 269 Einzeldarst.,84 Tabellen, DVD, ISBN 978-3-7691-1263-4

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Das Buch stellt den Einsatz der Echokardio-graphie in engem Bezug zur klinischenSymptomatik dar. Ausgehend von den fünfHauptsymptomen Thoraxschmerz, Dyspnoe,Synkope, Fieber und Schock wird das echo-kardiographische differenzialdiagnostischeVorgehen beschrieben. Die zahlreichenVideosequenzen und Befund-beschreibungen auf der beiliegenden DVDergänzen und veranschaulichen den Text.Die Kapitel der Vorauflage wurden komplettüberarbeitet und aktualisiert.

Neu in der 3. Auflage:

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2006, 450 Seiten, 677 Abbildungen in 1.421 Einzeldarst., 27 TabellenISBN 978-3-7691-0451-6

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Organ für Organ in klaren,aufschlussreichen Bildern – für ein kursübergreifendesArbeiten:• Grundlegende sonographi-

sche Anatomie• Häufige, leicht zu erheben-

de Befunde• Seltene, schwerer erkenn-

bare Krankheitsbilder

Prof. Dr. med.Christoph F. DietrichChefarzt InnereMedizin 2 des Caritas-Krankenhauses Bad Mergentheim

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Was ist wirklich gut für unsere Patientinnen und Patienten?

Unser Arbeitsalltag in der Praxis lässt uns oft wenig Zeit, darüber nachzuden-ken, was wirklich gut für unsere Patienten ist. Ent-scheidungen müssen nach wenigen Minuten getroffen werden, und die Kon-sequenzen unserer Ent-scheidungen sind uns so manches Mal nicht bewusst und liegen dann schlimms-tenfalls auch außerhalb un-seres Einflussbereichs. Da fällt mir beispielsweise ein 72-jähriger Patient mit frag-

lichen pektanginösen Beschwerden ein, der sich kürzlich zur Abklärung dieser Beschwerden in meiner Praxis vorstellte. Ich kenne den Patienten schon länger. Er kommt selten in die Pra-xis, meist wegen banaler Symptome eines grippalen Infekts oder wegen Beschwerden im Bewegungsapparat. Obwohl ich eigentlich auch diesmal der Meinung bin, dass die Beschwer-den am ehesten vertebragen bedingt sind, überweise ich ihn – auch auf seinen eigenen Wunsch hin – dann doch „sicherheits-halber“ zum Kardiologen. Ich sah den Patienten erst wieder mit dem Klinik-Entlassungsbericht in der Hand, nach „erfolg-reichem“ Stenting seiner 60%igen RIVA-Stenose, „leitlinienge-recht“ behandelt. Nun verordne ich ihm ein Jahr lang Clopido-grel, um die Stent-Thrombosierung des DES zu verhindern. Die gelegentlichen linksthorakalen Schmerzen bestehen – das wusste ich eigentlich schon vorher – unverändert fort. Zum Glück sind bisher wenigstens keine Komplikationen aufgetre-ten.

Mit der neuen Leitlinie der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC), die genau für solche Fälle das invasive Vor-gehen rechtfertigt und empfiehlt, ohne dass in einer validen Studie ein relevanter Vorteil für die Betroffenen gezeigt werden konnte, setzt sich ein Artikel dieser Ausgabe der ZFA kritisch auseinander und ermahnt uns, die möglichen Konsequenzen einer kardiologischen Abklärung und Intervention im Auge zu behalten. Vielleicht hätte ich dem Patienten deutlicher vor Au-gen führen müssen, welche Konsequenzen aus einer kardiolo-gischen Abklärung linksthorakaler Schmerzen erwachsen kön-nen, und ihn auffordern müssen, dass er sich doch bitte, bevor

er sich für weitere Maßnahmen entscheide, nochmals mit mir beraten möge.

Ganz ähnlich wie bei der koronaren Revaskularisation ist auch der Nutzen des Mammografie-Screenings durchaus um-stritten. Hier sind wir aber schon einen Schritt weiter. Während es in der interventionellen Kardiologie doch eher noch üblich ist, dem Patienten die möglichen Vorzüge der Intervention schmackhaft zu machen, regt sich gegen die einseitige Patien-teninformation bei der Mammografie schon länger Widerstand, der inzwischen Früchte zeigt. In diesem Heft wird die aktualisier-te, vom GBA herausgegebene Informationsbroschüre zum Mam-mografie-Screening analysiert und als deutlicher Fortschritt in der informierten gemeinsamen Entscheidungsfindung von Arzt und Patientin gewürdigt. Ob sich unser oben erwähnter kardio-logischer Patient vielleicht gegen das Stenting entschieden hät-te, wäre er in ähnlicher Weise aufgeklärt worden?

Noch ein dritter Beitrag in diesem Heft befasst sich mit ei-ner kontroversen Diskussion über Sinn und Unsinn einer me-dizinischen Maßnahme, nämlich dem Screening auf Mikro-albuminurie bei Typ 2-Diabetikern. Während verschiedene Fachgesellschaften ein lückenloses Screening aller Typ 2-Dia-betiker fordern, plädiert die DEGAM für ein individualisiertes Screening nur unter bestimmten Voraussetzungen. Hier han-delt es sich zwar nicht um eine invasive oder riskante Maßnah-me, aber doch um eine Screening-Untersuchung ohne eigene therapeutische Konsequenz. Die Patienten werden im Falle ei-nes positiven Ergebnisses durch ein Risiko stigmatisiert, das bei der ohnehin bereits durchgeführten Therapie der Grundkrank-heit nicht eigens behandelt werden kann, ganz abgesehen von den unnötigen Kosten, die hierdurch entstehen.

Allen drei Beispielen ist gemeinsam, dass die Durchfüh-rung der Maßnahmen weniger dem Wohl der Patienten als der Befriedigung von Medizin-Aktivismus dient, der bestenfalls durch nicht durch Studien gesicherte Wunschvorstellungen ärztlicher Potenz und schlimmstenfalls durch monetäre Be-weggründe motiviert ist. So wird es zu einer zunehmend wich-tigeren Aufgabe der Allgemeinmedizin, die Patienten ehrlich zu informieren und vor zu viel Medizin zu schützen. Vielleicht sollte diese Aufgabe in die Fachdefinition der DEGAM auf-genommen werden!

HerzlichstIhrAndreas Sönnichsen

1EDITORIAL / EDITORIAL

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2 INHALTSVERZEICHNIS / TABLE OF CONTENTS

EDITORIAL / EDITORIAL 1................................................................

DANKSAGUNG / ACKNOWLEDGEMENT 3.........................................

EBM-SERVICE / EBM SERVICEEbM-SERVICE: eine neue Serie 4............................................................Brust-Selbstuntersuchung zur Brustkrebs-Früherkennung 6...................Zerebrovaskuläre Ereignisse unter Thrombozytenaggregations hemmung 8................................................Ultraschalltherapie bei Fersensporn 10..................................................HbA1c-Wert: aggressive therapeutische Senkung versus milde 12..........

KOMMENTAR/MEINUNG / COMMENTARY/OPINIONRevaskularisation bei chronisch stabiler koronarer HerzkrankheitMyocardial Revascularization in Chronic Stable Coronary Artery DiseaseNorbert Donner-Banzhoff 15..........................................................................

ORIGINALARBEIT / ORIGINAL PAPERNeues Merkblatt für Mammografie-Screening in Deutschland: Hilfe zur Meinungsbildung der EingeladenenNew Leaflet for Mammography Screening: Help for Opinion Making of Invited PersonsElisabeth Gummersbach, Heinz-Harald Abholz 21................................................

LEITLINIE / GUIDELINENeue Nationale Versorgungsleitlinie (NVL) zu „Nierenerkrankungen bei Diabetes im Erwachsenenalter“ – Was ist wichtig für den Hausarzt?The New National Health Care Guideline „Renal Disease in Diabetes in Adults“ – What is Important for the Family Doctor?Heinz-Harald Abholz 26...............................................................................

AUSBILDUNG / EDUCATIONAusbildungslehrgang für Allgemeinmedizin in Südtirol / ItalienCourse of Studies for Family Practitioners in South Tyrol / ItalyPaul Gufler 31............................................................................................

ORIGINALARBEIT / ORIGINAL PAPEREvaluation der Implementierung von Innovationen am Beispiel von arriba® – eine FokusgruppenstudieEvaluation of the Implementation of Innovations Using the Example of arriba® – a Focus Group StudyHeidemarie Keller, Lena Kramer, Tanja Krones, Meike Müller-Engelmann,

Erika Baum, Norbert Donner-Banzhoff 35..........................................................

LESERBRIEFE / LETTERS TO THE EDITOR 42..................................

BUCHBESPRECHUNGEN / BOOK REVIEWS 47.................................

IMPRESSUM / IMPRINT 48.................................................................

Titelfoto: © psdesign1 / fotolia.de

ZFAZeitschrift für Allgemeinmedizin

Organ der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familien-medizin (DEGAM; www.degam.de) und der

Gesellschaft der Hochschullehrer für Allgemeinmedizin (GHA; www.gha-info.de) sowie der

Salzburger Gesellschaft für Allgemeinmedizin (SAGAM)

Official Journal of the German College of General Practitioners and Family Physicians

The Society of Professors of Family Medicine and the

Salzburg Society of Family Medicine

Herausgeber/Editors M. M. Kochen, Göttingen (federführend) H.-H. Abholz, Düsseldorf S. Rabady, Windigsteig W. Niebling, Freiburg im Breisgau A. Sönnichsen, Salzburg Internationaler Beirat/International Advisory Board J. Beasley, Madison/Wisconsin, USA F. Buntinx, Leuven/Belgien; G.-J. Dinant, Maastricht/NL; M. Egger, Bern/CH E. Garrett, Columbia/Missouri, USA P. Glasziou, Robina/Australien; T. Greenhalgh, London/UK; P. Hjortdahl, Oslo/Norwegen; A. Knottnerus, Maas-tricht/NL; M. Maier, Wien/Österreich; C. del Mar, Robina/Australien; J. de Maeseneer, Gent/Belgien; P. van Royen, Antwerpen/Belgien; B. Starfield, Baltimore/Maryland, USA; F. Sullivan, Dundee/Schottland, UK; P. Tschudi, Basel/CH; C. van Weel, Nijmegen/NL Y. Yaphe, Porto/Portugal Koordination/Coordination J. Bluhme-Rasmussen This journal is regularly listed in EMBASE/Excerpta Medica, Scopus and CCMED/MEDPILOT

Dieselstraße 2, 50859 KölnPostfach/P.O. Box 40 02 54,50832 KölnTelefon/Phone: (0 22 34) 70 11–0www.aerzteverlag.dewww.online-zfa.de

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Danksagung an die Gutachter der ZFA

Die Herausgeber der Zeitschrift für Allgemeinmedizin möchten sich auf diesem Weg bei den folgenden Gutachterinnen und Gut-achtern für ihr ehrenamtliches Engagement und ihre Mithilfe im Jahr 2010 herzlich bedanken.

Attila AltinerErika BaumKlaus BöhmeSilke BrockmannJean-F. ChenotKlaus ConnertChrista DörrGünther EgidiPeter EngeserAntje Erler Thomas FischerMaria FlammIldikó GágyorReinhold Glehr Markus GulichJohannes HauswaldtWolfgang HimmelFelix HolzingerEva Hummers-PradierStefanie JoosHanna Kaduszkiewicz

Vera KalitzkusBeat KnechtleJanka KoschackWolf-Dieter LudwigGabriela MarxAnja RogauschChrista Scheidt-NaveMartin SchererMichael PentzekNorbert SchmackeGuido SchmiemannAntonius SchneiderJochen SchulerAnne Simmenroth-NaydaMartin TräderTil UebelHorst VollmarMichael WendlerStefan WilmAnja Wollny

Workshop: Karriere in der Allgemeinmedizin

Vom 25.–27.02. 2011 findet wieder der Workshop „Karriere in der Allgemeinmedizin“ mit Frau Dipl.

Psych. Joanna Bouchi-Häfner statt, diesmal an der Universität Rostock. Unter Berücksichtigung ihres

bisherigen Werdeganges können die Teilnehmer Möglichkeiten der persönlichen Weiterentwicklung

erarbeiten. Die Teilnahme steht allen Interessierten offen. Der Eigenanteil an den Kosten beträgt

ca.130 € zuzüglich Reise- und Übernachtungskosten. Interessenten melden sich bitte bei

[email protected]

3DANKSAGUNG / ACKNOWLEDGEMENT

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4 EbM-Service / EbM Service

EbM-SERVICE: eine neue Serie

Liebe Leser,

in der ZFA werden zukünftig in jedem zweiten Heft 6 bis 8 Sei-ten evidenzbasierte Antworten zu Fragen aus der Praxis erschei-nen. Es handelt sich hierbei um das Ergebnis von kurzen evi-denzbasierten Literaturrecherchen zur jeweils gestellten Frage, die in Salzburg oder in Südtirol von den beiden EbM-Sercice-Einrichtungen (SAkAM-EbM-Service: http://www.sakam-acamg.bz.it und Rechercheservice Evidenzbasierte Medizin: http://www.actavis.at/de-service-frage_antwort.htm) erarbei-tet wurden. In der ZFA werden als Selektion einige dieser Ant-worten also regelmäßig erscheinen.Es gibt drei Gründe für einen derartigen EBM-Service:1. Einmal wird man als Leser mittels eines relativ kurzen Textes

zu einer Frage, die einen meist auch schon beschäftigt hat, auf den aktuellen Wissensstand gebracht. Dieser Wissens-stand kann bei Fragen aus der Praxis häufig auch beinhalten, dass – nach Literaturrecherche – man zugeben muss, dass es keine wissenschaftliche Antwort zur Frage gibt. Aber selbst diese Botschaft macht uns sicherer in unserem Handeln: Wir können das Eine oder Andere ausprobieren, ohne dabei dem Patienten etwas vorzuenthalten.

2. Es handelt sich um sehr transparente Antworten, nämlich solche, bei denen dem Leser dargestellt wird, wie man zu dem Wissen, was hier präsentiert wird, gekommen ist. Es sind also nicht versteckte Fachautoritäten, die etwas aus ih-rer Sicht beantworten, sondern es sind gewissenhaft arbei-tende Allgemeinmediziner, die über ihre EbM-Antwort deut-lich machen, wie man zu der Antwort und mit welcher Be-gründung man auch zu welcher Interpretation von Studien-ergebnissen gekommen ist.

3. Und mit diesem Verfahren wird noch eins erreicht: Der Leser wird bald – so hoffen wir – Mut gefasst haben, auch derartige Suchen selbst zu unternehmen, weil ein Großteil der dazu verwendeten Hintergrundliteratur frei, also kostenfrei, zu-gänglich ist. Mit unseren Antworten wird er sehen, in wel-cher Form zu suchen möglich ist. Der EBM-Service soll also längerfristig die Grundlage schaffen, dass die jetzigen Leser auch zu Rechercheuren werden.

In den EBM-Antworten ist versucht worden, mit möglichst we-nig technischer Terminologie zu arbeiten, die die Leser von der Lektüre abhalten oder bei ihnen Unverständnis wecken könn-te. Dennoch sind einige technische Termini nicht zu umgehen und können per Web-Adresse auch leicht beim Südtiroler Dienst nachgelesen werden (http://www.sakam-acamg.bz.it/index.php?option=com_content&task=view&id=46&Itemid =9&lang=de).

Es handelt sich hierbei nicht um ein Lehrbuch, sondern um kurze Erklärungen zu Begriffen wie z. B. Signifikanz, Kon-fidenzintervall, randomisierte Studie etc.

Geschichte und Arbeitsweise der beiden Dienste im Hintergrund können nachgelesen werden: Wien Med Wochenschr 2009; 159: 1–4 und ZEFQ 2010; 104: 132–137. doi:10.1016/j.zefq.2009.10.014.

Wie zuverlässig sind unsere Antworten auf Fragen aus der Praxis?

Eine wissenschaftlich fundierte Antwort zu geben, bedarf eines erheblichen Aufwandes: Zahlreiche Studien müssen gelesen sowie in ihrer methodischen und inhaltlichen Solidität geprüft werden, und dann müssen die Studienergebnisse und ihre Be-wertung integriert betrachtet werden. Dies kann ein EbM-Ser-vice nicht leisten! Unsere beiden EbM-Service-Einrichtungen sind pragmatisch in ihrem Ansatz: Wir sagen, nachdem man unsere Antworten gelesen hat, ist man klüger als zum Zeit-punkt der Fragestellung – und häufig sind es die Bearbeiter die-ser Fragestellung auch. Dies reicht uns aus.

Man ist begründet klüger, weil im EbM-Service nach einem bestimmten Schema vorgegangen wird, welches die Vorarbei-ten zur wissenschaftlichen Aufarbeitung eines Themas durch andere Wissenschaftler nutzt. Wir gehen dabei wie folgt vor:• Erst einmal wird versucht die jeweilige Frage zu beantwor-

ten, indem wir die in der Welt als qualifiziert angesehenen Leitlinien (mit entsprechendem Oberthema) prüfen, ob sie die Frage beantworten.

• Danach werden die Literatur aufarbeitenden – und ebenfalls weltweit akzeptierten – Institutionen wie Cochrane oder US-Task Force for Preventive Services etc. durchsucht.

• In den Fällen, in denen diese beiden Arten von Quellen keine befriedigende, d. h. durch Studien abgesicherte Antwort ge-ben, oder in Situationen, in denen diese beiden Quellen vor einigen Jahren ihre Darstellung abgeschlossen haben, wird in der Originalliteratur über „PubMed“ mit den gleichen Stichworten nochmals rückwirkend für die letzten 10 Jahre, gegebenenfalls auch kürzer, gesucht.

Die Anzahl der Quellen, die dann zur Beantwortung der Fragen genutzt werden, liegt in der Regel zwischen 5 und 25. Dies macht deutlich, dass es nicht unendlich viel Arbeit ist, auf diese Quellen zu kommen und sie durchzulesen. Aber für die Bewer-tung der gefundenen Quellen bedarf es einer gewissen Erfah-rung, die man sich jedoch auch selbst aneignen kann. Letzteres gilt insbesondere dann, wenn man einen EbM-Literatur-Suche-Kurs besucht hat.

Dennoch muss man sagen, dass diese Form der Erarbeitung von Antworten eben auch ihre Lücken hat:• nicht ausreichende Bewertung der gefundenen Quellen

durch den EBM-Bearbeiter oder• in den konsultierten Quellen nicht enthaltene, aber wichti-

ge Studien sowie• schlechte oder tendenziöse Aufarbeitung der Literatur in den

gewählten Quellen (hier eher bei den Leitlinien zu erwar-ten).

Dennoch ist eine EbM-Antwort fast immer mehr wert als das, was wir auf unser altes Wissen zurückgreifend sagen können, oder das, was von neuen Päpsten der Medizin verkündet wird. Also nochmals: Man ist nach dem Lesen der Antwort fundiert

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5EbM-Service / EbM Service

DEGAM-Leitlinien frei im Netz

Die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin

(DEGAM) stehen ab sofort frei im Internet zur Verfügung. Die wissenschaftlich fundierten

und vor der Veröffentlichung in Praxen erprobten DEGAM-Leitlinien richten sich nicht nur

an Hausärzte, sondern auch an Patienten und Praxismitarbeiter. Neben der Langversion

gibt es eine Kurzfassung als Kitteltaschenkarte. Mehrere tausend Leitlinien-Sets werden

in Praxen und Universitäten in der täglichen Arbeit mit Patienten eingesetzt.

Alle Module können nun auf der DEGAM-Leitlinien-Homepage (http://leitlinien.degam.de)

oder auf der Homepage der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen

Medizinischen Fachgesellschaften, http://leitlinien.net/) bei Bedarf heruntergeladen

und ausgedruckt werden.

Pressekontakt:

Dr. med. Isabelle Otterbach

DEGAM-Bundesgeschäftsstelle

c/o Institut für Allgemeinmedizin

Johann Wolfgang Goethe-Universität

Theodor-Stern-Kai 7

60590 Frankfurt am Main

Telefon: 069–6500–7245

Fax: 069–6301–6428

E-Mail: [email protected]

Homepage: www.degam.de

besser informiert als zum Zeitpunkt des Stellens der entspre-chenden Frage.

Noch eine abschließende Bemerkung zu den Fragen selbst: Eine derartige Bearbeitung der Fragen ist immer nur möglich, wenn die Fragestellungen relativ eng sind. Aber derartige Fra-gen sind in der Praxis auch am häufigsten. Wir wollen meist nicht wissen, ob und wie man einen Hochdruck zu behandeln hat. Wir wollen aber möglicherweise einmal wissen, welcher Zielwert bei der Behandlung des Hochdrucks bei einem Dia-

betiker nun wirklich evidenzbasiert ist. Zu der ersten Frage gibt es tausende von Arbeiten, die man durcharbeiten müsste. Zur zweiten, der enger gestellten Frage, gibt es weniger als eine Handvoll Leitlinien und drei Originalstudien, die sie beantwor-ten helfen.

Andreas Sönnichsen für Rechercheservice Evidenzbasierte Medizin, Salzburg

Heinz-Harald Abholz für SAkAM-EbM-Service, Bozen

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6 EbM-Service / EbM Service

Brust-Selbstuntersuchung zur Brustkrebs-Früherkennung

FragestellungSenkt die Selbstuntersuchung der weiblichen Brust die Mortalität des Brustkrebses und sollte sie allen Frauen empfohlen werden?

AntwortDie Brust-Selbstuntersuchung der Frau senkt nicht die Morbidität und die Mortalität von Brustkrebs, ver-ursacht hingegen die Zunahme von Brustbiopsien mit gutartigem Be-fund, und kann durch falsch positi-ve und falsch negative Befunde die Gesundheit der Frau gefährden. Die Brust-Selbstuntersuchung sollte nicht mehr routinemäßig empfoh-len werden. Dennoch sollten die Frauen ihre Brust in Aussehen und Konsistenzbeschaffenheit kennen, sodass bei sich entwickelnden Ver-änderungen ein Arzt konsultiert werden kann. Dies entspricht einer Befundwahrnehmung, nicht einer Früherkennung.

Hintergrund

Die Früherkennung von Brustkrebs (Se-kundärprävention) ist neben der Verbes-serung der Therapie die aussichtsreichs-te Möglichkeit, Diagnose und Behand-lung von Brustkrebserkrankungen zu optimieren, die Brustkrebssterblichkeit dadurch zu senken und die gesundheits- und krankheitsbezogene Lebensqualität von Frauen zu verbessern.

Die Überlebensrate von Frauen mit einem Brustkrebs, der beim Screening aufgespürt wird, ist mit 97 % nach 10 Jahren tatsächlich sehr hoch [1]. Es wer-den beim Screening aber auch viele ver-meintlich „maligne“ Brusttumoren mit sehr guter Prognose, fehlender Invasivi-tät und selbstbegrenztem Verlauf „über-diagnostiziert“ und „übertherapiert“ [2]. Ein systematisches Review aus dem Jahre 2006 über das Mammografie-Screening zeigte beispielsweise, dass man 2000 Frauen 10 Jahre lang dem Screening unterziehen muss, damit eine Frau eine Lebensverlängerung erfährt, dabei aber 10 gesunde Frauen als „Brust-krebs-Patientinnen“ überdiagnostiziert und unnötig behandelt werden [3].

Zur Früherkennung eines Brustkreb-ses wird neben der Mammografie bereits seit ca. 1950 die Selbstuntersuchung der Brust empfohlen und der Öffentlichkeit in unterschiedlichen Aufklärungskam-pagnen nahe gebracht. Zu diesem Zweck versuchte man damals wie heute mittels einer großen Zahl bebilderter Laieninformationen unterschiedlicher Herkunft, die Frauen mit einer mög-lichst effektiven Technik vertraut zu ma-chen.

Nicht identisch mit der Brust-Selbst-untersuchung ist das heute zunehmend propagierte „Brustbewusstsein (breast awareness) der Frau“. Darunter versteht man das gelernte Gesundheitsverhalten der Frau, mit dem Aussehen und dem Gefühl der eigenen Brust vertraut zu sein, und bei Symptomen und Verände-rungen der Brust ärztlichen Rat einzuho-len, sodass die Suche nach einer zugrun-

de liegenden Brusterkrankung – Brust-krebs oder gutartige Brusterkrankungen – eingeleitet wird.

Suchbegriffe / Suchfrage (PICO = Population, Intervention, Comparison, Outcome)

Ist bei Frauen (P), die eine Selbstuntersu-chung der Brust durchführen (I), im Ver-gleich zu Frauen, die eine solche nicht durchführen (C), die Morbidität und die Mortalität an Brustkrebs geringer, ohne Zunahme eventueller gesundheitlicher Risiken (O)?

Suchstrategie

Es wurden die internationalen Leitlini-en durchsucht. Verwertbare Aussagen fanden sich bei AWMF (Arbeitsgemein-schaft Wissenschaftlich Medizinischer Fachgesellschaften), SIGN (Scottish In-tercollegiate Guidelines Network), NCG (National Guideline Clearinghouse), CMA Infobase (Canadian Medical Asso-ciation) und USTFPS (United States Task Force Preventive Services). In einer zu-sätzlichen Suche im Cochrane Database of Systematic Reviews konnte ein syste-matisches Review von 2003 mit dem Thema „Regular self-examination or cli-nical examination for early detection of breast cancer“ gefunden werden. Primä-re Datenbanken wurden nicht durch-sucht.

Ergebnisse

• Es gibt Evidenz, dass die Brust-Selbst-untersuchung der Frau selbst bei re-gelmäßiger Anwendung und Training nicht in der Lage ist, die Morbidität und die Mortalität von Brustkrebs zu senken [4, 5, 6, 7, 8, 9].

• Frauen, die die Brust-Selbstunter-suchung durchführen, werden bedeu-

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7EbM-Service / EbM Service

tend häufiger Brustbiopsien unterzo-gen, die entweder einen gutartigen Befund, oder aber ein sehr spätes Sta-dium eines Mammakarzinoms erge-ben, das nicht gut behandelt werden kann [7, 9]. Hintergrund dieser nega-tiven Ergebnisse ist, dass die Palpation nur recht große Veränderungen ertas-ten lässt. Dies unterscheidet sie deut-lich von der Mammografie.

• Falsch positive und falsch negative Befunde bei der Brust-Selbstunter-suchung und die dadurch verursach-ten Folgeuntersuchungen stellen ein Risiko für die Gesundheit der Frau dar [5, 10].

• Die Brust-Selbstuntersuchung wird zum gegenwärtigen Zeitpunkt von den Leitlinien nicht mehr empfohlen [4–10], und die Brust-Selbstunter-suchung sollte nicht routinemäßig

den Frauen beigebracht werden [5, 7, 9, 11].

• Frauen, die den Wunsch einer Brust-Selbstuntersuchung äußern, sollen über Nutzen und Risiken aufgeklärt werden und dann selber entscheiden, ob sie eine solche durchführen wol-len; wenn ja, sollten sie mit einer möglichst effektiven Technik der Brust-Selbstuntersuchung vertraut ge-macht werden [7, 9].

• Durch qualifizierte Informationen sollen die Frauen angeregt werden, sich mit Aussehen und Gefühl der ei-genen Brust vertraut zu machen („bre-ast awareness“), um Abweichungen selbst festzustellen. Sie sollen jede Ab-weichung vom Normalen ihrem Hausarzt oder ihrem Frauenarzt mel-den [4, 6, 8, 9, 12].

Kommentar

Es hat sich auf Basis großer randomisier-ter Studien gezeigt, dass die lange pro-pagierte Brust-Selbstuntersuchung der Frau nicht nur nicht nützlich, sondern sogar schädlich ist. Frauen, die regel-mäßig nach gelernter Technik die eigene Brust untersuchen, werden fast doppelt so häufig Biopsien unterzogen, die einen histologisch gutartigen oder einen sehr späten bösartigen Befund ergeben. Da-raus lässt sich ableiten, dass zur Früh-erkennung nur die Mammografie zu empfehlen ist. Da aber auch bei dieser Be-funde übersehen werden bzw. schnell wachsende Tumoren zwischen den Scree-ning-Intervallen auftreten können, sollte ein „Brustbewusstsein“ bei den Frauen entstehen, das symptomatisch werdende Veränderungen erkennen lässt.

1. Janzon L, Andersson I. The Malmö mammographic screening trial. In: Mil-ler AB, Chamberlain J, Day NE et al. Cambridge: Cambridge University Press, 1991: 37–44

2. Welch H. Should I be tested for cancer? Maybe not and here’s why. Berkeley: University of California Press, 2004

3. Gøtzsche PC, Nielsen PG. Screening for breast cancer with mammography. Cochrane Database of Systematic Re-views 2006, Issue 4 [DOI: 10.1002/ 14651858.CD001877.pub2.]

4. Albert U-S für die Mitglieder der Pla-nungskommission und Leiter der Ar-beitsgruppen Konzertierte Aktion Brustkrebs-Früherkennung in Deutsch-land. Stufe-3-Leitlinie Brustkrebs-Früh-erkennung in Deutschland. Zuck-schwerdt-Verlag, 2008. http://www.uni-duesseldorf.de/WWW/AWMF/ll/ 077-001l.pdf (aufgerufen 30.05.2010)

5. Costanza SS, Evans III WP, Foster RS et al. American Cancer Society Guidelines for Breast Cancer Screening: Update

2003 CA Cancer J Clin 2003;53;141–169 DOI: 10.3322/canjclin.53.3.141

6. Scottish Intercollegiate Guidelines Net-work. Management of breast cancer in women. A national clinical guideline. 2005. http://www.sign.ac.uk/pdf/sign84. pdf (aufgerufen 30.05.2010)

7. Rosolowich V, Breast Disease Commit-tee of the Society of Obstetricians and Gynaecologists of Canada. Breast self-examination. J Obstet Gynaecol Can 2006 Aug; 28(8): 728–30

8. Cancer Council Australia. Position statement: Early detection of breast cancer. Published May 2004; Updated June 2009. http://www.cancer.org.au, (aufgerufen am 01.06.2010)

9. Kösters JP, Gøtzsche PC. Regular self-examination or clinical examination for early detection of breast cancer. Cochrane Database of Systematic Re-views 2003, Issue 2. Art. No.: CD003373 [DOI:10.1002/14651858.CD003373]

10. Deutsche Krebsgesellschaft e.V. (DKG) und Deutsche Gesellschaft für Gynäko-

logie und Geburtshilfe (DGGG). Inter-disziplinare S3-Leitlinie fur die Diag-nostik, Therapie und Nachsorge des Mammakarzinoms. W. Zuckschwerdt Verlag, 2008. http://www.uni-duesseldorf.de/WWW/AWMF/ll/032-045.pdf (aufgerufen 30.05.2010)

11. U.S. Preventive Services Task Force. Screening for breast cancer: U.S. Pre-ventive Services Task Force recommen-dation statement. Ann Intern Med 2009 Nov 17; 151(10): 716-26, W-236

12. The Early Detection of Breast Cancer Working Group Edmonton. Guideline for The Early Detection of Breast Can-cer. Alberta Medical Association, 2007. http://topalbertadoctors.org/informed_ practice/clinical_practice_guidelines/complete%20set/Breast%20Cancer/breast_cancer_guideline.pdf (aufgeru-fen 30.05.2010)

Quellen

August 2010Simon Kostner für das EBM-Team

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8 EbM-Service / EbM Service

Zerebrovaskuläre Ereignisse unter Thrombozyten -aggregationshemmung

FragestellungEin 75-jähriger, insulinpflichtig dia-betischer Patient mit bekannter Makro- und Mikroangiopathie, aber ohne Vorhofflimmern oder Herz-klappenerkrankungen, hat unter Thrombozytenaggregationshem-mung mit Tiklopidin in den letzten beiden Jahren 2 Minor-Strokes erlit-ten. Sollte dieser Patient oral antikoaguliert werden?

AntwortNein, denn das Schlaganfallrisiko bleibt gleich (weniger ischämische, aber mehr hämorrhagische Schlag-anfälle) und das allgemeine Blu-tungsrisiko (Unfälle, gastrointesti -nale Blutungen, chirurgische Not-eingriffe) würde erhöht: Der Scha-den wäre eindeutig größer als der Nutzen. Überdies kann eine orale Antikoagulationsbehandlung die Lebensqualität schmälern.Zu empfehlen ist allerdings, wieder-holt nach kardioembolischen Ursa-chen (Thromben im Herzen) der zerebralen Ischämien zu suchen. Sollte dabei beim Patienten eine kardiale Erkrankung als Ursache für embolische Ischämien neu da -zukommen, dann wäre eine orale Antikoagulation indiziert.

Hintergrund

Schlaganfälle, das heißt rasch aufgetre-tene neurologische fokale oder globale Ausfälle ohne andere Ursache außer ei-ner vaskulären, sind in 80–85 % der Fälle durch akute Ischämien des Hirngewebes und in 15–20 % der Fälle durch Hirnblu-tungen bedingt. Von ersteren sind ca. 25 % transitorische ischämische Attacken (TIAs), bei denen sich definitionsgemäß die klinischen Ausfallerscheinungen spätestens nach 24 Stunden zurück-gebildet haben [1].

Nach Ausschluss nicht-ischä-mischer Ursachen für die neurologi-schen Störungen (v. a. intrazerebrale Blutungen, aber auch subdurale Häma-tome, Hirntumore, arteriovenöse Mal-formationen oder Aneurysmen) ist zwecks rationeller Sekundärprophylaxe die Suche nach der Ischämie-Ursache unerlässlich. Die Ischämie kann näm-lich embolisch (atriale Thromben bei Vorhofflimmern, offenes Foramen ova-le, angeborene oder erworbene Klappen-fehler, mechanische Kunstklappen, in-traventrikuläre Thromben) oder arterio-

sklerotisch durch Makroangiopathie (Karo-tisstenosen, Dissektion der extrakraniel-len hirnversorgenden Arterien, hoch-gradige intrakranielle Stenosen der hirn-versorgenden Gefäße) oder / und Mikro-

angiopathie (zerebrale Mikroangiopathie bei Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Hypercholesterinämie und Rauchen) bedingt sein.

Suchbegriffe / Suchfrage (PICO = Population, Intervention, Comparison, Outcome)

Kann bei älteren (> 75. Lj.) diabetischen Patienten mit bekannter Makro- und Mikroangiopathie, die unter Thrombo-zytenaggregationshemmung rezidivie-rende TIAs oder Strokes erleiden, aber weder Vorhofflimmern noch Herzklap-penerkrankungen aufweisen (P), die ora-

le Antikoagulation (I) gegenüber der Thrombozytenaggregationshemmung mit Tiklopidin (C) die Lebenserwartung erhöhen, die Rate an zerebrovaskulären Ereignissen senken, und die Lebensqua-lität verbessern (O)?

Suchstrategie

Es wurde eine reine Leitlinien-Recher-che durchgeführt. Treffende Aussagen zur Fragestellung fanden wir in italie-nischen (SNLG, Sistema Nazionale Li-nee Guida), deutschen (DEGAM, Deut-sche Gesellschaft für Allgemeinmedi-zin; AWMF, Arbeitsgemeinschaft Wis-senschaftlich Medizinischer Fachge-sellschaften), schottischen (SIGN, Scottish Intercollegiate Guidelines Network), US-amerikanischen (NCG, National Guideline Clearinghouse; Rockville,USA), kanadischen (CMA In-fobase, Canadian Medical Associati-on), australianischen (NHMRC, Natio-nal Health and Medical Research Council Australia), neuseeländischen (NZGG, New Zealand Guidelines Group) und finnischen (The Finnish Medical Society Duodecim) Leitlinien-Datenbanken.

Ebenfalls durchsucht haben wir die deutschen NVL (Nationale Versorgungs-leitlinien), die britischen NICE (Natio-nal Institute for Health and Clinical Ex-cellence) sowie die US-amerikanischen USTFPS (United States Task Force Pre-ventive Services), ohne aber darin tref-fende Aussagen zu unserer Fragestellung zu finden.

Ergebnisse

• Bei zerebralen Ischämien kardioembo-

lischer Genese ist die Überlegenheit ei-ner oralen Antikoagulation gegen-über einer Thrombozytenaggregati-onshemmung unbestritten (Evi-dence-Level I, Empfehlungsgrad A) [1–7].

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9EbM-Service / EbM Service

• Bei zerebralen Ischämien nicht-kardio-

embolischer Genese kann eine orale Antikoagulation gegenüber einer Thrombozytenaggregationshem-mung das Risiko von ischämischen Reinsulten zwar reduzieren, dieser Vorteil wird aber vollständig durch ei-ne erhöhte Zahl zerebraler Blutungen aufgehoben [2]. Die orale Antikoagu-lation anstelle der Thrombozyten-aggregationshemmung wird in diesen Fällen nicht empfohlen (Evidence-Le-vel I, Empfehlungsgrad A) [1–7].

• Kommt es unter Thrombozytenaggre-gationshemmung zu erneuten ischä-mischen Ereignissen, sollten Patho-physiologie und Rezidivrisiko erneut evaluiert werden. Ergibt sich eine kar-diale Emboliequelle, sollte eine orale Antikoagulation erfolgen [2, 8]. Eini-ge Kliniker beginnen bei rezidivieren-den ischämischen zerebralen Ereig-nissen unter Thrombozytenaggregati-onshemmung eine orale Antikoagula-tion, auch wenn keine kardioembo-lische Ursache nachgewiesen werden kann. Eine gesicherte, evidenzbasierte Datenlage gibt es aber dafür derzeit

nicht (Evidence-Level IV, keine Emp-fehlung) [5, 9].

• Ob eine dilatative Kardiomyopathie und eine stark verminderte Ejektions-fraktion des linken Ventrikels auch als kardiogene Emboliequellen einzustu-fen sind, wird zur Zeit noch unter-sucht [2, 7]; stellt aber bisher keine ab-solute Indikation für orale Antikoagu-lation dar.

• Ob bei Plaques der thorakalen Aorta [1], bei nachgewiesener Dissektion der extrakraniellen hirnversorgenden Arterien [2, 5] oder Crescendo-Abfol-gen von TIAs und schwerer Karotis-stenose in Erwartung der Thrombarte-riektomie [5] eine orale Antikoagulati-on im Vergleich zur Thrombozyten-aggregationshemmung Vorteile bringt, ist zur Zeit ebenfalls noch nicht klar (Evidence-Level IV).

Kommentar

Es gibt eine starke Datenlage und daher die klare Empfehlung, auch bei rezidivie-renden zerebralen Ischämien nicht-kar-

dioembolischer Genese eine Thrombozy-tenaggregationshemmung und keine orale Antikoagulation durchzuführen. Nicht nur wird der kleine Vorteil der Risi-koreduktion von ischämischen Reinsul-ten durch eine erhöhte Zahl von Hirnblu-tungen aufgehoben, sondern das erhöhte Sterberisiko bei eventuellen Unfällen, gastrointestinalen Blutungen oder not-wendigen chirurgischen Noteingriffen lässt sogar den Schaden eindeutig den Nutzen überwiegen. Nicht unbedeutend ist auch die eingeschränkte Lebensquali-tät bei oraler Antikoagulation: ständige Blutabnahmen und Arztbesuche, Angst vor dem erhöhten Blutungsrisiko, Kont-raindikationen und Wechselwirkungen bei verschiedenen anderen Medikamen-ten, Vitamin-K-kontrollierte Diät.

Man sollte aber nicht vergessen, bei rezidivierenden zerebralen Ereignissen die Ischämieursache wiederholt zu un-tersuchen: meist handelt es sich um po-lymorbide Patienten, und bei diesen können Vorhofflimmern, erworbene Klappenfehler oder andere Störungen mit erhöhtem Embolie-Risiko jederzeit neu auftreten.

1. Hensler S, Hoidn S, Jork K. Schlaganfall, DEGAM-Leitlinie Nr. 8, S3-Leitlinie. Stand: 2006, letzte Aktualisierung 02/2010 DEGAM, www.degam-leitlinien.de (abgerufen 28.03.2010)

2. Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie gemeinsam mit der Deutschen Schlaganfallgesellschaft (DSG). Primär- und Sekundärpräventi-on der zerebralen Ischämie. Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie; 4. überarbeitete Auflage 2008, S. 654 ff, Georg Thieme Verlag Stuttgart. http://www.uni-duesseldorf.de/WWW/AWMF/ll/030-075.htm (ab-gerufen 28.03.2010)

3. SNLG (Sistema Nazionale Linee Guida, Istituto Superiore della Sanitá), Consi-glio Sanitario Regionale della Regione Toscana. Diagnosi e cura dell’ictus. Li-nea guida regionale. http://www.snlg-iss.it/cms/files/LG_Toscana_ictus.pdf (abgerufen 28.03.2010)

4. Scottish Intercollegiate Guidelines Net-

work. Management of patients with stroke or TIA: Assessment, investigati-on, immediate management and se-condary prevention. Guideline No. 108, December 2008. http://www.sign.ac.uk/pdf/sign108.pdf (abgerufen 28.03.2010)

5. The Stroke Foundation of New Zealand and the New Zealand Guidelines Group. Life after stroke: New Zealand guideline for management of stroke. Best practice evidence-based guideline. November 2003. http://www.nzgg.org.nz/guidelines/0037/ACF291F.pdf (ab-gerufen 28.03.2010)

6. National Health and Medical Research Council (NHMRC) of Australia. Clini-cal Guidelines for Acute Stroke Ma-nagement. National Stroke Foundation 2007. http://www.nhmrc.gov.au/_files_ nhmrc/file/publications/synopses/cp109.pdf (abgerufen 28.03.2010)

7. American Heart Association / American Stroke Association (AHA/ASA) Writing

Committee for the Prevention of Stroke in Patient With Stroke and Transient Ischemic Attack. Guidelines for preven-tion of stroke in patients with ischemic stroke or transient ischemic attack. Stroke 2008 May; 39(5): 1647-52. Up-date to the AHA/ASA recommendations for the prevention of stroke in patients with stroke and transient ischemic at-tack. Stroke 2006 Feb; 37(2): 577–617 (addendum released 2008 May).

8. Guidelines and Protocols Advisory Committee (Victoria, British Colum-bia, Canada). Stroke and Transient Ischemic Attack – Management and Prevention. April 29, 2009 CMA Info-base: Clinical Practice Guidelines (CPGs) Record Id: 10079; http://www.bcguidelines.ca/gpac/pdf/stroke.pdf (abgerufen 28.03.2010)

9. Rabady S, Rebhandl E, Sönnichsen A. EbM-Guidelines, Evidenzbasierte Me-dizin für Klinik und Praxis. 4. Auflage 2008, Verlagshaus der Ärzte GmbH

Quellen

Simon Kostner für das EBM-Team

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10 EbM-Service / EbM Service

Ultraschalltherapie bei Fersensporn

FragestellungIst die Ultraschalltherapie bei Fersensporn-Schmerzen wirksam?

AntwortEine Therapie mit Ultraschallanwen-dungen ist bei Fersensporn laut bisheriger, sehr dürftiger Evidenz nicht wirksamer als eine Placebo-Therapie – wie zum Beispiel die simulierte Anwendung von Ultra-schall.

Hintergrund

Fersensporn-Schmerzen sind ein sehr verbreitetes Leiden: 10 % der Bevölke-rung erkrankt im Laufe des Lebens da-ran. Fersensporn erklärt 15 % der Fuß-beschwerden, für die professionelle Hil-fe gesucht wird, und Hauptmanifestati-onsalter ist das 40. bis 60. Lebensjahr [1]. Es trifft gleichermaßen sportliche wie körperlich inaktive Personen, be-vorzugt betrifft es aber Personen, die übergewichtig sind, lange Zeit stehend verbringen oder eine Einschränkung der Knöchelbeugung aufweisen [2]. Es werden zahlreiche Behandlungen ange-wandt, deren Wirksamkeit zum Teil gut, zum Teil nur schlecht oder überhaupt nicht belegt ist: Eispackungen, nichtste-roidale Antiphlogistika, Tape-Verbände, Schuheinlagen, Nachtschienen, Deh-nungsübungen, Cortison-Infiltratio-nen, extrakorporale Stoßwellenthera-pie, Gipsbehandlung und chirurgische Eingriffe [2].

Suchbegriffe / Suchfrage (PICO = Population, Intervention, Comparison, Outcome)

Ist bei Patienten mit Fersensporn-beschwerden (P) die Therapie mit Ultra-schallanwendungen (I) im Vergleich zu einer Placebo-Therapie (C) wirksam ge-gen die Schmerzen und die Einschrän-kung der Lebensqualität (O) ?

Suchstrategie

Es wurde in den schottischen (SIGN), den neuseeländischen (NZGG), den englischen (National Institute for He-alth and Clinical Excellence NICE; Ar-thritis Research Campaign ARC), den amerikanischen (Institute for Clinical Systems Integration ICSI; National Gui-deline Clearinghouse NGC), den deut-schen (AWMF) und italienischen

(PNLG) Leitlinien gesucht. Dann wur-den die Datenbanken Clinical Evi-dence, Cochrane Library und Infomed durchsucht. Schließlich wurde auch nach Originalstudien in Embase und in Medline gesucht. Mit der Kombination der freien Begriffe „heel pain ultra-sound therapy“ und ohne Zeitein-schränkung finden sich in Embase 21 Treffer, mit denselben Bedingungen in Medline 27 Treffer.

Ergebnisse

• In den durchgesehenen Leitlinien wurden keinerlei Hinweise auf eine etwaig vorhandene oder fehlende Wirksamkeit einer Ultraschallthera-pie beim Fersensporn gefunden. Nur in der englischen „Practical advice“ der Arthritis Research Campaign (arc) [5] wird auf die Studie von Crawford und Snaith von 1996 [3] hingewiesen, in der die Ultraschall-therapie nicht wirksamer als eine si-mulierte Ultraschalltherapie (= Place-bo) war.

• Auf allein diese Studie [3] weisen auch Clinical Evidence und Cochrane Li-brary hin.

• Diese Studie von Crawford und Snaith aus dem Jahr 1996 [3] bleibt also die einzige placebokontrollierte rando-misierte Studie über die Ultraschall-therapie bei Fersenspornschmerzen, mit einer sehr eingeschränkten Aussa-gekraft infolge der geringen Zahl von nur 19 Probanden. Dennoch findet sich in dieser einzigen Studie ein ne-gatives Ergebnis in Bezug einer Wirk-samkeit.

Allerdings wird in einer randomi -sierten – aber eben nicht placebo -kontrollierten – Studie von 2007 mit 40 Patienten [4] gezeigt, dass die alleinige Ultraschalltherapie und jene mit Phonophorese beide eine signi fikante Verbesserung des Schmerzes im Zeitverlauf erbringen. Allerdings gibt es keinerlei Ver-

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11EbM-Service / EbM Service

gleichsgruppe ohne Behandlung oder mit Placebo, sodass man keine Aussage über die Wirksamkeit der Therapien treffen kann.

Kommentar

Es existiert nur eine einzige, sehr kleine placebokontrollierte Studie von 1996. Dazu liegt eine neuere, randomisierte aber nicht placebokontrollierte Studie zusätzlich vor. Daher ist die Studien-

lage sehr dürftig. Wollte man zum jetzigen Zeitpunkt eine Empfehlung ge-ben, dann müsste man sagen: Wir wis-sen es nicht, ob es hilft. In „verzwei -felten Fällen“ sollte man es versuchen, da es keine Nebenwirkungen – also Schaden – hat.

1. Irving DB, Cook JL, Menz HB. Factors associated with chronic plantar heel pain: a systematic review. J Sci Med Sport. 2006 May; 9(1-2): 11–22; discus-sion 23–4. Epub 2006 Apr 3. Review

2. Cole C, Seto C, Gazewood J. Plantar fas-ciitis: evidence-based review of diagno-sis and therapy. Am Fam Physician. 2005 Dec 1; 72(11): 2237–42. Review

3. Crawford F, Snaith M. How effective is therapeutic ultrasound in the treat-ment of heel pain? Ann Rheum Dis 1996; 55: 265–7

4. Jasiak-Tyrkalska B, Jaworek J, Frańczuk B. Efficacy of two different physiothe-rapeutic procedures in comprehensive therapy of plantar calcaneal spur. Fizjo-ter. Pol. 2007, 7(2): 145–154

5. Ross D. Plantar Fasciitis and Heel Pain. Arthritis Research Campaign (arc). 2004. http://www.arthritisresearchuk.org/files/6522_05032010141954.pdf (abgerufen 02.10.2010)

6. Crawford F, Thomson C. Interventions for treating plantar heel pain (Cochra-ne Review). In: The Cochrane Library, Issue 4, 2006. Chichester, UK: John Wi-ley & Sons, Ltd

7. Crawford F, Thomson C. Interventions for treating plantar heel pain. Cochra-ne Database of Systematic Reviews 2008 Issue 2 The Cochrane Collabora -tion.

DOI: 10.1002/14651858.CD000416

Quellen

Mai 2008, nachbearbeitet Okt. 2010Simon Kostner

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12 EbM-Service / EbM Service

HbA1c-Wert: aggressive therapeutische Senkung versus milde

FragestellungIst eine Normalisierung des HbA1c-Wertes, d. h. eine therapeu-tische Senkung des HbA1c-Wertes auf 6,0–6,5 %, bei Diabetikern Typ II immer sinnvoll und anstrebens-wert, auch wenn dazu eine aggres-sive medikamentöse Therapie not-wendig ist?

AntwortNein. Diabetiker Typ II, die mit Diät und alleiniger Metformin- Therapie „normale“ (< 6,0 %) oder „niedrige“ (< 7,0 %) HbA1c-Werte erreichen können, sollten dabei bleiben. Insulin- Sekretagoga oder Insulin sollten hingegen Diabetiker nur dann erhalten, wenn sie trotz oben-genannter Therapie HbA1c-Werte von > 8,0 % aufweisen, das Ziel-HbA1c soll dann 7,5 % sein. Diabetiker mit Insulin-Sekretagoga oder Insulintherapie und HbA1c- Werten von < 7,0 % haben keine Vorteile bezüglich Schlaganfälle, Erblindungsrate, Häufigkeit des Nierenversagens, Amputations -quote und Lebensqualität, und weisen eine erhöhte Gesamt -mortalität auf.

Hintergrund

Durch Glykierung des Bluthämoglobins entsteht die HbA1-Fraktion, bestehend aus den 3 Unterfraktionen a, b und c. Die c-Fraktion beträgt ziemlich konstant 70 % des gesamten HbA1, beide Parame-ter haben gleiche Aussagekraft. HbA1c markiert als „Blutzuckergedächtnis“ die Blutzuckerstoffwechsellage des Patien-ten in den letzten 8 Wochen. Ein gesun-der Mensch hat einen normalen HbA1c-Wert von 4,0 % bis 6,0 % des Ge-samthämoglobins. Falsch hohe oder falsch niedrige Konzentrationen durch blutzuckerunabhängige Störungen der Patienten spielen im klinischen Alltag kaum eine Rolle.

Diabetische Patienten haben propor-tional zu ihrer durchschnittlichen Blut-zuckererhöhung einen erhöhten HbA1c-Wert. Die Erhöhung des HbA1c- Wertes gilt beim Diabetes mellitus als In-dikator für die Entstehung mikrovaskulä-rer und makrovaskulärer Komplikatio-nen, für Morbidität und Mortalität. Eine Senkung der HbA1c-Werte auf Normal-werte (also < 6,0 %) wurde daher zunächst auch für Diabetiker empfohlen. Bald merkte man aber, dass dies bei Diabeti-kern: a) auch mit aggressiver medikamen-töser Therapie mittels Kombinationen oraler Antidiabetika und / oder Insulin oft nur sehr schwer zu erreichen war; b) diese aggressiven Therapieansätze zu schädli-chen, manchmal sogar gefährlichen Hy-poglykämien führen, sodass immer mehr Zweifel am Nutzen einer „Normalisie-rung“ des HbA1c bei Diabetikern aufkam.

Suchbegriffe / Suchfrage (PICO = Population, Intervention, Comparison, Outcome)

Führt bei Diabetikern Typ II jeglichen Alters (P) die stärkere therapeutische Senkung des HbA1c-Wertes auf fast nor-male Werte von etwa 6,0–6,5 % (I) im Vergleich zu einer schwächeren thera-

peutischen Senkung des HbA1c-Wertes auf Werte von etwa 7,0–7,5 % (C) zu ei-ner Verbesserung der Lebenserwartung, einer Senkung der diabetesassoziierten Komplikationen und einer Verbes-serung der Lebensqualität (O)?

Suchstrategie

Es wurden zunächst die international angesehensten Leitlinien durchsucht. Treffende Aussagen zu unserer Fragestel-lung fanden sich in deutschen (AWMF Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlich Medizinischer Fachgesellschaften), bri-tischen (NICE National Institute for He-alth and Clinical Excellence), schotti-schen (SIGN Scottish Intercollegiate Guidelines Network), US-amerikani-schen (NCG National Guideline Clea-ringhouse), kanadischen (CMA Infobase der Canadian Medical Association), australianischen (NHMRC National He-alth and Medical Research Council Aust-ralia) und neuseeländischen (NZGG New Zealand Guidelines Group) Leit-linien. Keine spezifischen Aussagen zu unserer Fragestellung fanden sich in den Leitlinien des italienischen SNLG (Siste-ma Nazionale Linee Guida, ISS) und der deutschen NVL (Nationale Versorgungs-leitlinien) und DEGAM (Deutsche Ge-sellschaft für Allgemeinmedizin).

Um eventuelle zusätzliche neu pu-blizierte Erkenntnisse berücksichtigen zu können, führten wir außerdem eine Medline-Recherche auf Publikationen der letzten 24 Monate mit den Such-begriffen „Hemoglobin A, Glycosylated [Mesh] AND Diabetes Mellitus [Mesh] AND mortality AND morbidity“ durch und fanden insgesamt 43 Publikatio-nen, davon 4 Reviews.

Ergebnisse

• Nicht wenige Leitlinien empfehlen noch als „generelles“ Therapieziel HbA1c-Werte von „unter 7,0 %“ [1–6]

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oder sogar von „unter 6,5 %“ [7]. Die-se Leitlinien wurden vor 2009 ver-fasst, bevor also Publikationen er-schienen, in denen eine starke HbA1c-Senkung als problematisch angesehen wurde. Dabei differenzie-ren diese Leitlinien zum Teil aber schon jene Bedingungen, bei denen ein höherer HbA1c-Wert (bis 8,0 %) als Therapieziel angemessen sein kann: höheres Alter, kognitive Stö-rungen mit verminderter Fähigkeit, Hypoglykämien wahrzunehmen, Multimorbidität, insbes. kardiovasku-läre Miterkrankungen, kürzere Le-benserwartung [4–7].

• Neuere Leitlinien hingegen berück-sichtigen bereits die letzten Studien-ergebnisse (siehe unten) und geben als „generelles“ Therapieziel einen HbA1- Wert von „unter 8,0 %“ an [8, 9].

• Alle durchgesehenen Leitlinien [1–9] empfehlen eine individuelle Verein-barung eines HbA1c-Zielwertes mit dem Patienten, die seine individuelle Nutzen-Risiko-Situation, seine Ko-morbidität und seine psychosoziale Situation berücksichtigen.

• Die ACCORD-Studie [10] musste 2008 vorzeitig abgebrochen werden, weil die Anzahl der Todesfälle beim Ver-such, das Hämoglobin A1c auf Werte von gesunden Menschen zu senken, im Vergleich zur Standardtherapie deutlich angestiegen war. Mögliche Gründe waren vermehrte Hypoglykä-mien, Gewichtszunahme, Wechsel-wirkungen der Medikamente bei Mehrfachkombinationen oder unbe-kannte Wirkungen neu eingesetzter Medikamente.

• Die gleichzeitig stattgefundene große ADVANCE-Studie [11] zeigte für die

Therapiegruppe mit „normalisierten“ (< 6,5 %) HbA1c-Werten im Vergleich zur Standardtherapiegruppe (HbA1c 7,0–7,9 %) zwar einen Vorteil bei der Prävention der diabetischen Nephro-pathie, aber keinerlei Vorteil bei kar-diovaskulären Komplikationen und Gesamtmortalität.

• Rezente Meta-Analysen [12] und Re-views [13–15] zeigen, dass die aggres-sive HbA1c-Senkung (< 6,5 %) zwar ei-nige mikrovaskuläre Komplikationen aufhalten und die Rate nicht-tödli-cher Herzinfarkte im Vergleich zu ei-ner Standardtherapie mit HbA1c-Wer-ten von 7,0–8,0% senken kann, aber keinen positiven Einfluss auf die Zahl der Schlaganfälle, die Erblindungs-rate, die Häufigkeit des Nierenver-sagens, die Amputationsquote, die Le-bensqualität und die Gesamtmortali-tät hat.

• Immer mehr Autoren unterstreichen die Notwendigkeit, aggressive und schnelle Blutzuckersenkungen sowie wenig untersuchte Kombinationen von 4 oder mehr antidiabetischen Substanzgruppen zu meiden, da diese die schweren Hypoglykämien ver-ursachen und die Gesamtsterblichkeit erhöhen [16–18].

• Eine kürzlich im Lancet publizierte große retrospektive Kohortenstudie [19] besagt sogar, dass die 10 % Dia-betiker mit dem niedrigsten HbA1c (6,7 %) eine höhere Gesamtsterblich-keit und eine höhere Rate kardiovas-kulärer Ereignisse aufweist als die 10 % Diabetiker mit den höchsten HbA1c-Werten (9,9 % und höher).

• Bei letztgenannter Studie [19] war die Gesamtsterblichkeit jener Diabetiker, die auf Insulin-Sekretagoga oder zuge-

führtes Insulin angewiesen waren, bei jenen am geringsten mit einem HbA1c-Wert von 7,5 %. Diese Gruppe von Patienten sollte daher diesen HbA1c-Wert anstreben.

• Alle Diabetiker sollten aber so lange wie möglich mit Diät und alleiniger Metformin-Therapie – d. h. ohne In-sulinsekretagoga und ohne zugeführ-tes Insulin – behandelt werden. Da unter alleiniger Metformin-Therapie keine Hypoglykämien auftreten, kann man und sollte man auch (anders als unter alleiniger oder kombinierter In-sulin-Sekretagoga- oder Insulinthera-pie) damit den niedrigstmöglichen HbA1c-Wert anstreben [20].

Kommentar

Nach den letzten Erkenntnissen sollten Diabetiker einen HbA1c-Wert von ca. 7,5 % anstreben. Nur Patienten ohne kardiovaskuläre Vorerkrankungen, die nicht zu alt sind und nicht zu Hypogly-kämien neigen, können niedrigere HbA1c-Werte anstreben, und dies auch nur, wenn sie das mit alleiniger Metfor-min-Therapie schaffen, auf jeden Fall aber nicht unter 6,5 %.

Außerdem gibt es bisher allein für Metformin, Glibenclamid und Human-insulin Endpunktstudien mit Nutzen-nachweis an Morbidität und Mortalität. Für Gliclazide gibt es einen Nutzennach-weis nur in Bezug auf die diabetische Nephropathie. Für die anderen Antidia-betika fehlen genauso die Studien mit Endpunktbestimmungen wie für 3er- oder 4er-Kombinationen von Antidia-betika.

13EbM-Service / EbM Service

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© Deutscher Ärzte-Verlag | ZFA | Z Allg Med | 2011; 87 (1)

1. Rabady S, Rebhandl E, Sönnichsen A. EbM-Guidelines, Evidenzbasierte Me-dizin für Klinik und Praxis. Buchform, 4. Auflage 2008, Verlagshaus der Ärzte GmbH

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Quellen

Mai 2010Simon Kostner für das EbM-Team

14 EbM-Service / EbM Service

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Revaskularisation bei chronisch stabiler koronarer HerzkrankheitEine kritische Würdigung der neuen Europäischen Leitlinie

Myocardial Revascularization in Chronic Stable Coronary Artery Disease

A Critical Discussion of a Recent ESC-Guideline

Norbert Donner-Banzhoff1

Zusammenfassung: Perkutane Interventionen (PCI) und die Bypass-OP (AOB-OP) werden häufig bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit (KHK) durchgeführt, um eine Re-vaskularisation des Myokards zu befördern. In diesem Arti-kel werden die Empfehlungen der neuen ESC-Leitlinie zur Revaskularisation dargestellt und aus der Sicht des All-gemeinarztes kritisch diskutiert. Die Evidenzbasis für diese Maßnahmen in Bezug auf die Prognose ist dürftig. Große kontrollierte Studien zur PCI verliefen negativ; Unter-suchungen zur AOB-OP wurden vor der Etablierung prog-nostisch wirksamer Medikamente durchgeführt, sodass ein Vergleich mit einem aktuellen Therapiestandard fehlt. Re-vaskularisierende Maßnahmen zur symptomatischen Be-handlung sind dagegen eher in ihrer Wirksamkeit belegbar. „Optimale konservative Behandlung“ ist deshalb bei stabi-ler KHK das primär indizierte Vorgehen; eine Überweisung zur Revaskularisation kommt nur in Frage, wenn eine die Lebensqualität einschränkende Angina pectoris besteht.

Schlüsselwörter: Koronare Herzkrankheit; perkutane koronare Intervention; aortokoronare Bypass-OP; Myokardiale Revasku-larisation; Leitlinien

Summary: Myocardial revascularization by percutaneous intervention (PCI) or operation (CABG) is frequently per-formed to treat coronary artery disease (CAD). The Euro-pean Society of Cardiology (ESC) has recently issued a guideline on this topic. In this article recommendations re-garding revascularization in chronic stable CAD are dis-cussed from the perspective of the referring primary care physician.The evidence base for coronary interventions to improve the prognosis in stable CAD is poor. Large controlled trials evaluating PCI were negative. Studies showing CABG to be superior to conservative treatment were conducted before effective drugs to improve prognosis were established. Controls were therefore not treated according to current standards. The evidence base for symptomatic treatment is better. Optimal medical treatment is recommended as the prefer-able approach in chronic stable CAD. Referral for revascu-larization is indicated for symptoms affecting the patient’s quality of life.

Keywords (MeSH): Myocardial Ischemia; Angioplasty, Trans-luminal, Percutaneous Coronary; Coronary Artery Bypass; Myocardial Revascularization; Guidelines as Topic

1 Abteilung für Allgemeinmedizin, Präventive und Rehabilitative Medizin, Philipps-Universität MarburgPeer reviewed article eingereicht: 03.11.2010, akzeptiert: 16.12.2010DOI 10.3238/zfa.2011.0015

15KOMMENTAR/MEINUNG / COMMENTARY/OPINION

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Einführung

Arteriosklerotisch eingeschränkter Blut-fluss in den Koronararterien lässt sich mit 2 Methoden wiederherstellen: Bei der perkutanen Intervention (PCI) wer-den Stenosen mit einem Katheter ballon-dilatiert, wobei in der Regel ein Stent zur Stabilisierung des Ergebnisses implan-tiert wird. Bei der aortokoronaren By-pass-Operation (ACB-OP) werden Steno-sen mit Hilfe eines arteriellen oder venö-sen Autoimplantats umgangen. Beide Methoden sind in der Routineversor-gung etabliert, wobei sich vor allem die perkutanen Interventionen in den letz-ten Jahren rasch von der einfachen Bal-londilatation zum medikamentenfrei-setzenden Stent (DES) entwickelt haben.

Bei ihrem diesjährigen Kongress in Stockholm hat die European Society of Cardiology (ESC) eine aktuelle Leitlinie zur Revaskularisation des Myokards ver-öffentlicht [1]. Diese deckt alle Indika-tionen ab, bei denen eine solche Maß-nahme in Frage kommt: das akute Koro-narsyndrom einschließlich besonderer Situationen (Diabetes mellitus, chro-nischen Nierenerkrankungen, Patienten mit Herzklappenfehlern usw.). Von be-sonderem Interesse für die hausärztliche Praxis ist jedoch die chronisch stabile Angina pectoris: Hier besteht einerseits Zeit zum Abwägen verschiedener Vor-

gehensweisen, andererseits löst der Hausarzt mit seiner Überweisung oft ei-ne Kaskade von diagnostischen Maß-nahmen aus, die scheinbar zwangsläufig zur Revaskularisation führen. Da die Entscheidung zwischen den beiden o. g. Maßnahmen (PCI oder ACB-OP) nicht in der hausärztlichen Praxis fällt, werde ich auf diese Frage nicht eingehen, ob-wohl ihr in der gemeinsam von Kardio-logen und Herzchirurgen erstellten Leit-linie natürlich breiter Raum gewidmet ist. Dasselbe gilt für die Entscheidung zwischen konventionellen (bare metal) und beschichteten (drug eluting) Stents. In diesem Artikel geht es also nur um die Entscheidung, ob bei Patienten mit sta-biler KHK eine Revaskularisation (jegli-cher Art) unternommen werden soll oder nicht.

Ich will hier die Empfehlungen der ESC-Leitlinie darstellen, kritisch dis-kutieren und mit der einschlägigen Stu-dienevidenz konfrontieren. Schließlich werde ich Hinweise für die Überweisung und eine patientenorientierte Entschei-dung über das weitere Vorgehen geben.

ESC-Empfehlungen

Die Leitlinie betont, dass eine Revasku-larisation nicht nur der Erleichterung von Symptomen dient. Vielmehr sei bei

bestimmten anatomischen Gegebenhei-ten auch eine prognostische Besserung zu erwarten: bei linker Hauptstamm-Ste-nose, signifikanter Stenose des Ramus interventricularis anterior (RIVA), v. a. in Zusammenhang mit einer Mehr-gefäß-Erkrankung. Vollständig wieder-gegeben sind die Empfehlungen in Ta-belle 1; dabei sind gerade die prognosti-schen Indikationen großzügig mit der höchsten Empfehlungsklasse I belegt.

Die Autoren empfehlen, eine revas-kularisierende Maßnahme nur dann durchzuführen, wenn im Versorgungsge-biet des stenosierten Koronargefäßes eine Ischämie nachzuweisen ist; dies kann z. B. mit einem Stress-ECHO oder Stress-Myokard-Szintigramm geschehen.

Für das Follow-up nach einer Revas-kularisation wird eine regelmäßige Ischämiediagnostik (vorzugsweise Stress-Echo oder -Szintigramm) auch beim asymptomatischen Patienten empfohlen.

ESC-Evidenzbelege

Auf etwa 2 Druckseiten diskutieren die Autoren die Evidenzgrundlage ihrer Empfehlungen zur stabilen Angina pectoris bzw. asymptomatischen KHK. Für den Vergleich von PCI und optima-ler medikamentöser Therapie (OMT)

Tabelle 1 Empfehlungen

der ESC-Leitlinie zur

Revaskularisation bei

stabiler Angina pectoris

oder stummer Ischämie.

Zur Verbesserung der Prognose

Zur Besserung der Symptomatik

Linke Hauptstammstenose (> 50 %)

Proximale Stenose des RIVA > 50 %

Zwei- oder Dreigefäß-KHK mit eingeschränkter linksventrikulärer Funktion

Großes Ischämieareal nachgewiesen (> 10 % des linken Ventrikels)

Stenose in koronarem Restgefäß > 50 %

Eingefäß-KHK ohne proximale RIVA-Stenose und ohne Ischämie > 10 %

Jegliche Stenose > 50 % mit einschränkender Angina oder Äquivalent trotz optimaler medikamentöser Therapie

Dyspnoe / Herzinsufffizienz und > 10 % Ischämie versorgt von > 50 % stenosiertem Gefäß

Keine einschränkenden Symptome bei optimaler medikamentöser Therapie

Empfehlungs- stärke

I

I

I

I

I

III

I

IIa

III

Level of evidence

A

A

B

B

C

A

A

B

C

16

Donner-Banzhoff:Revaskularisation bei chronisch stabiler koronarer HerzkrankheitMyocardial Revascularization in Chronic Stable Coronary Artery Disease

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werden mehrere Metaanalysen und eine große randomisierte kontrollierte Studie (RCT) aufgeführt. Bei letzterer handelt es sich um COURAGE [2], bei der das in-vasive Vorgehen (PCI) der medikamen-tösen Behandlung nicht überlegen war. Die Wirksamkeit der Operation (ACB-OP) im Vergleich zur konservativen Be-handlung war das Thema von 2 Meta-analysen.

Sowohl PCI als auch ACB-OP sind invasive Maßnahmen, die mit hoher Strahlenbelastung bzw. prozeduralen Komplikationen einhergehen. Hier ist deshalb zu verlangen, dass in validen Studien Wirksamkeit und Sicherheit ausreichend dokumentiert sind. Ob die ESC-Leitlinie den entsprechenden For-schungsstand angemessen berücksich-tigt, soll im Folgenden kritisch dis-kutiert werden. Dabei sind die mögli-chen Therapieziele für den einzelnen Patienten im Auge zu behalten: Bes-serung der Prognose (Verhütung von Herzinfarkten und Tod durch KHK) und Besserung von Symptomatik (Angina pectoris oder Äquivalent) und Lebens-qualität.

Studienlage

Therapieziel „Prognose“

Die ESC-Leitlinie konzediert, dass Me-taanalysen zum Vergleich von PCI und OMT überwiegend keine Überlegenheit der Intervention gezeigt haben. Speziell kommentiert und hervorgehoben wird jedoch nicht die neueste und nach Tech-nologien differenzierende Metaanalyse [3], sondern 2 Auswertungen, die eine Überlegenheit der PCI postulieren. Die-se seien deshalb hier kurz betrachtet.

Schömig et al. [4] schlussfolgern aus 17 RCTs zum Vergleich von PCI und me-dikamentöser Behandlung eine Über-legenheit ersterer in Bezug auf die Ge-samtsterblichkeit (OR 0.8; 95%-Kon-fidenzintervall 0.64–0.99). An dieser Auswertung ist allerdings kritisiert wor-den, dass auch Studien mit Patienten nach kürzlich durchgemachtem Myo-kardinfarkt eingeschlossen worden sind, worauf auch die ESC-Leitlinie hinweist. Schömig et al. diskutieren selbst die In-konsistenzen ihrer Analyse und schlagen einen neuerlichen RCT zur Frage vor, ob die PCI tatsächlich die Sterblichkeit auf Dauer positiv beeinflussen kann.

Ebenfalls nur grenzwertig ist der Schätzer für die Mortalität bei einer Me-taanalyse von Jeremias et al. [5], näm-lich ein OR von 0.82 (95%-Konfidenz-intervall 0.68–0.99) für die PCI gegen-über alleiniger medikamentöser Thera-pie. Ein Funnel-Plot wird nicht gezeigt; es fällt jedoch auf, dass die großen Studi-en sämtlich auf der Linie des Null-Effek-tes liegen, der positive Effekt lediglich durch kleine Studien zustande kommt. Diese Verteilung legt einen Publication Bias nahe.

Zitiert, aber nicht weiter erwähnt, wird die aktuellste Übersicht, die als Netzwerk-Metaanalyse die verschiede-nen perkutanen Technologien (PTCA, BMS, DES) berücksichtigt [3]. Diese Aus-wertung findet keine Auswirkungen der neuen Entwicklungen auf die Ver-hütung von Todesfällen und / oder Myo-kardinfarkten.

Aktuell und einschlägig für die hier interessierende Fragestellung ist die COURAGE-Studie [2]. 2287 Patienten mit nachgewiesener KHK und objektivierba-rer Ischämie wurden randomisiert der initialen PCI + OMT oder der OMT allein zugewiesen. Nach 4.6 Jahren Follow-up fand sich kein Unterschied beim primä-ren Zielkriterium „Tod“ bzw. „nicht-töd-lichen Myokardinfarkt“ (19% PCI, 18.5% OMT, HR 1.05, 95%-KI 0.87–1.27). Die überwiegende Mehrheit der Patienten war symptomatisch, knapp 40 % hatten früher bereits einen Herzinfarkt erlitten. Etwa ein Drittel der primär konservativ Behandelten unterzog sich im Laufe der Studie einer Revaskularisationsmaßnah-me, in der PCI-Gruppe war ein Zweitein-griff (PCI oder ACB-OP) immerhin bei gut 20 % erforderlich. Die ESC-Leitlinie ver-sucht, das Ergebnis dieser Studie mit dem Hinweis auf die leichte Ausprägung der KHK bei den Studienteilnehmern zu rela-tivieren. Damit soll wohl suggeriert wer-den, dass bei einem Kollektiv von schwe-rer Erkrankten sich doch einen Benefit der Intervention gezeigt hätte. Allerdings zeigt keine der 11 Subgruppen-Auswer-tungen (u. a. nach Zahl der betroffenen Gefäße, linksventrikulärer Funktion) auch nur angedeutete Effekte auf die Prognose bei den stärker betroffenen Pa-tienten. Ein begleitender Kommentar [6] weist darauf hin, dass das Spektrum der COURAGE-Teilnehmer ziemlich genau den Patienten entspricht, die in den USA eine PCI in der stabilen Situation erhalten (keine Symptome oder stabile Angina).

Als Beleg für die Überlegenheit der Operation (ACB-OP) über die konser-vative Behandlung diskutiert auch die ESC-Leitlinie die klassische Metaanalyse individueller Patientendaten der großen Bypass-Studien [7]. Hier war nach 10 Jahren die Sterblichkeit im OP-Arm mit einem OR von 0.83 (95%-KI 0.7–0.98) signifikant geringer. Diese Auswertung wird von 3 großen RCTs dominiert, die sämtlich um 1980 durchgeführt wur-den. Damals wurden Statine, ASS und Blutdrucksenker gar nicht oder kaum ge-geben, sodass die Relevanz für unsere heutige Situation fragwürdig geworden ist. Darauf weist auch die ESC-Leitlinie hin.

Die bereits erwähnte Metaanalyse von Jeremias et al. [5] kommt zwar zu dem Schluss, dass ACB-OP, wie auch die beiden Revaskularisations-Maßnahmen in kombinierter Auswertung, die Sterb-lichkeit positiv beeinflusse. Die kumula-tive Darstellung der Studienergebnisse (Fig. 2 im Original) zeigt jedoch sehr ein-drucksvoll, dass nur die frühen ACB-OP-Studien einen deutlich positiven Effekt hatten; danach nähert sich der kumula-tive Schätzer immer mehr der Linie ei-nes Null-Effektes.

Zu ergänzen wären 2 aktuelle Studi-en an Diabetikern; lediglich eine von diesen wird – in einem anderen Zu -sammenhang – erwähnt. Für die BARI-2D-Studie [8] wurden 2400 Diabetiker mit koronarer Herzkrankheit rekrutiert, die randomisiert entweder der Revasku-larisation (ob PCI oder ACB-OP wurde vor Randomisierung festgelegt) oder der OMT zugeteilt wurden; die meisten Studienteilnehmer waren symptoma-tisch. Nach im Mittel 5.3 Jahren zeigt sich beim Hauptzielkriterium (Tod jeglicher Ursache) kein Unterschied zwischen den beiden Studienarmen, dasselbe traf für kardiovaskuläre Er -eignisse zu.

Asymptomatische Diabetiker, bei denen bisher keine KHK bekannt war, wurden im Interventionsarm der DIAD-Studie [9] mit Stress-Myokard-Szintigra-fie auf Koronarstenosen untersucht und entsprechend behandelt (Revaskularisa-tion; Medikamente). In der Kontroll-gruppe unterblieb das Screening. Wegen der geringen Zahl an Herzinfarkten und kardialen Todesfällen (Hauptzielkriteri-um) während des fast fünfjährigen Fol-low-up erwies sich die Studie als „under-powered“ für eine definitive Aussage,

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ein Unterschied in kardialen Ereignissen ließ sich nicht herausarbeiten.

Die ESC-Leitlinie behauptet, dass Pa-tienten mit nachweisbarer Ischämie auch dann von einer Revaskularisation profitieren, wenn sie keine Symptome haben. Dazu werden eine Pilot-Studie (ACIP) und eine Auswertung von Routi-nedaten eines Zentrums als Beleg aufge-führt.

In der ACIP-Studie [10] wurden sta-bile Patienten, bei denen eine Revasku-larisation anatomisch möglich und eine Ischämie unter Belastung (körperliche Belastung bzw. pharmakologisch) wie auch im Langzeit-EKG (48 h) nachweis-bar waren, 3 Armen zugeteilt: 1) auf die Angina-Symptomatik zielende medika-mentöse Behandlung, 2) auf Ischämie (Nachweis im Langzeit-EKG) zielende medikamentöse Behandlung oder 3) die Revaskularisation (PCI, ACB-OP). An Medikamenten wurden Atenolol, Kalzi-umantagonisten und Nitrate (in dieser Reihenfolge) eingesetzt. Nach 2 Jahren zeigte sich für prognostisch relevante Kriterien (Tod, Tod bzw. Myokard-infarkt) eine Verbesserung durch die Re-vaskularisation, am stärksten im Ver-gleich zum symptomatisch behandelten Studienarm. Die Autoren weisen selbst-kritisch auf die geringen Ereigniszahlen hin und fordern eine größere Studie zur Replikation ihrer Ergebnisse. Da die Stu-dienpatienten 1991 rekrutiert wurden, konnte damals die Wirkung von Stati-nen nicht ausgenutzt werden. Schließ-lich ist kritisch anzumerken, dass die konservative Therapie primär auf das Atenolol setzte, dessen prognoseverbes-sernde Wirkung inzwischen angezwei-felt wird [11].

Den zweiten Eckpfeiler der Argu-mentation der ESC-Leitlinie bildet eine Auswertung von Routinedaten des Ce-dars-Sinai Medical Center in Los Angeles [12], die auch in einem deutschen Kon-sensus-Statement [13] als Beleg für die Wirksamkeit revaskularisierender Maß-nahmen zitiert wird. Mehr als 10 000 Pa-tienten wurden nach einer Myokard-Szintigrafie unter Belastung für knapp 2 Jahre nachverfolgt. Das dabei dargestell-te Ausmaß myokardialer Ischämie erwies sich als wirksamer Prädiktor für kardiale Todesfälle. War die Ischämie nur gering, ergab sich ein Vorteil für die konservati-ve Behandlung; wenn jedoch mehr als 20 % des Myokards ischämisch waren, sank die Sterblichkeit bei den Revaskula-

risierten deutlich ab. Lediglich 671 Pa-tienten wurden innerhalb von 60 Tagen revaskularisiert, davon 48 % operativ, die übrigen mit PCI. Dieser Anteil weicht deutlich vom Anteil in der derzeitigen Routine ab, wo viel häufiger perkutan re-vaskularisiert wird [14]. Es stellt sich die Frage, wie die Patienten für die Szintigra-fie ausgewählt wurden, denn diese Un-tersuchung war das Einschlusskriterium. Offenbar handelte es sich weder um eine Studie noch ein Register, sondern ledig-lich um die Auswertung von Routine-daten. Zwar versuchen die Autoren, mit Hilfe multivariater Methoden für Con-founder zu adjustieren, sie geben aber die Mängel ihres Designs zu und betonen die Notwendigkeit eines RCT.

Nicht erwähnt wird in der Leitlinie die Auswertung einer internationalen Studie zur Wirksamkeit eines monoklo-nalen Antikörpers (Pexelizumab) im Rahmen akuter Interventionen bei Pa-tienten mit Myokardinfarkt [15]. Dabei zeigte sich eine schlechtere 90-Tages-Prognose bei solchen Patienten, bei de-nen zusätzlich zum Infarktgefäß noch sonstige Stenosen behandelt (Ballondi-latation, Stent) wurden, sog. non-culprit interventions. Diese Studie sollte wegen möglicher Confounder nicht über-bewertet werden; sie unterstützt aber ein zurückhaltendes Vorgehen bei korona-ren Interventionen.

Zusammenfassend muss damit fest-gestellt werden, dass die großen pragma-tischen Studien zur prognostischen Wirksamkeit der PCI negativ verlaufen sind. Kontrollierte Studien zur ACB-OP haben zwar einen Überlebensvorteil der Operation ergeben, aber nur im Ver-gleich zu einer nach heutigen Maßstä-ben völlig unzureichend behandelten Kontrollgruppe. Die vielfach aufgestell-te Behauptung, bei einem strikteren Ischämiekriterium würde sich eine Prog-noseverbesserung ergeben, ist reine Spe-kulation und muss erst in großen Lang-zeitstudien untersucht werden. Damit sollten sich die Überlegungen zum Nut-zen revaskularisierender Maßnahmen auf die symptomatische Linderung kon-zentrieren.

Therapieziel „Symptomatik“

Die Auswirkungen der PCI wurden auch in der oben bereits erwähnten COURA-GE-Studie untersucht. Patienten beider Studienarme verbesserten sich in Bezug

auf Symptomatik und Lebensqualität; der geringfügige Vorteil für die PCI-Gruppe erodierte im weiteren Verlauf der Studie [2, 16].

Systematisch wurden einschlägige Studien (RCTs) von Wijeysundera et al. ausgewertet [17]. Bei der symptomati-schen Erleichterung zeigte sich die PCI der medikamentösen Behandlung über-legen; dieser Effekt hat sich jedoch in den neueren Studien abgeschwächt. Die Autoren vermuten den heute breiteren Einsatz evidenzbasierter Medikation als Ursache dieser Entwicklung.

Schlussfolgerung

Es ist vielleicht kein Zufall, dass die COURAGE-Studie in einem staatlichen Gesundheitssystem initiiert wurde, nämlich der US-amerikanischen Vetera-nenversorgung. Vermutlich bestand in dieser Umgebung eher die Möglichkeit, ein von materiellen Interessen unab-hängiges Studiendesign zu implemen-tieren.

Bei der ESC-Leitlinie dagegen sind offenbar Enthusiasten am Werk gewe-sen; wieweit evidenzfreie Begeisterung, sogenannte okulo-stenotische Reflexe [18] oder finanzielle Interessen hier aus-schlaggebend waren, sei dahingestellt. Zwar haben die Autoren ihre (übrigens zahlreichen) Verbindungen zu Medizin-produkte- und pharmazeutischen Her-stellern angegeben. Ob ihr persönliches Einkommen bzw. das ihrer Abteilungen oder Kliniken von der Zahl der Revasku-larisations-Prozeduren abhängt, wird je-doch nicht thematisiert; bei der über-wiegenden Mehrzahl der Autoren muss jedoch davon ausgegangen werden.

In Bezug auf wissenschaftliche Bele-ge von Empfehlungen findet sich in der ESC-Leitlinie eine in letzter Zeit häufig anzutreffende Argumentationsfigur. Da-bei wird die Bedeutung von Beobach-tungsstudien (z. B. Register) speziell her-vorgehoben und eine Gleichberechti-gung mit randomisierten kontrollierten Studien (RCT) in Bezug auf die Validität suggeriert. Dass Beobachtungsstudien die aktuelle Praxis genauer wiedergäben, ist ein auch in Deutschland oft auf-geführtes Argument. Geringe Repräsen-tativität, zu kurze Laufzeit und häufiges Cross-over (Patient im konservativ be-handelten Studienarm benötigt Revas-kularisation) werden gegen den RCT ins

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Feld geführt. Die Argumente gegen diese Position sind an anderer Stelle ausführ-lich dargestellt [19]. Aus der Sicht eines medizinisch-industriellen Komplexes ist das negative Ergebnis eines großen RCT, nämlich COURAGE, eine Enttäu-schung. Diese führt verständlicherweise zu Versuchen, das trennscharfe Instru-ment des RCT zu relativieren. Wir soll-ten jedoch darauf bestehen, dass Inter-ventionen in großen, pragmatischen RCTs untersucht werden; nur so können wir das Nützliche vom Unnützen, das Schädliche vom Harmlosen trennen.

Hinweise für die Praxis

In der Fach- und allgemeinen Öffent-lichkeit überwiegt in Bezug auf koronare Technologien ein Enthusiasmus, der – wie oben gezeigt – durch einen gründli-chen Blick auf die Studienevidenz einer nüchternen Bewertung weicht. Dies wird von internationalen Kommentato-ren durchaus geteilt [3, 6].

Das Problem der unzureichenden Evidenz hinter einer weitverbreiteten Praxis stellt sich in besonderer Schärfe für den asymptomatischen Patienten mit KHK (einschließlich geringer Symp-tomatik, für die aus der Sicht des Patien-ten ein invasives Vorgehen nicht ge-wünscht wird). Hier würde der einzige Sinn einer Überweisung zum Kardiolo-gen bzw. der Revaskularisation in der Verbesserung der Prognose liegen.

Bei Patienten mit neu diagnostizier-ter KHK sollte zunächst die konservative Behandlung optimiert werden. Dies gilt für Medikamente zur Besserung der Prognose (Statin, ASS, Blutdrucksenker;

nach Myokardinfarkt auch Betablo-cker), aber auch für die symptomatische Behandlung. Dazu kommen Verhaltens-änderungen (Rauchstopp, mehr körper-liche Aktivität) und die Bearbeitung psy-chosozialer Probleme in Zusammen-hang mit der Erkrankung. Patienten sind regelmäßig nach ihrer Belastbarkeit zu fragen. Dabei ist zu bedenken, dass KHK-Patienten oft ihre Aktivitäten ein-schränken, um Angina pectoris-Be-schwerden zu vermeiden; im Zweifels-fall kann ein Belastungstest direkten Aufschluss über die körperliche Belast-barkeit geben.

Eine Revaskularisation sollte den Pa-tienten vorbehalten bleiben, die unter konservativer Behandlung weiterhin durch kardiale Beschwerden beeinträch-tigt sind. Die Wahl der Maßnahme (PCI oder ACB-OP) ist von der koronaren Ana-tomie in enger Absprache mit Kardiolo-gen und Herzchirurgen abhängig zu ma-chen. Dabei ist die Operation die „nach-haltigste“ Maßnahme, d. h. die mittlere Zeit, bis zu der eine weitere Revaskularisa-tion erforderlich ist, ist am längsten. Dann folgt der beschichtete Stent, für den allerdings die duale Thrombozyten-aggregationshemmung für 6–12 Monate erforderlich ist. Am ehesten wird ein ko-ronarer Folgeeingriff nach Einsetzen ei-nes konventionellen Metallstents (BMS) erforderlich [3]. Patienten mit einer Ste-nose des linken Hauptstamms wurden in die COURAGE-Studie nicht aufgenom-men; dies ist aus meiner Sicht die einzige Indikation, bei der eine Revaskularisati-on (ACB-OP) auch bei asymptomati-schen Patienten diskutiert werden kann.

Das oben Gesagte gilt analog für die Kontrollen in der Zeit nach einer Revas-

kularisationsmaßnahme. Hier ist die Frage nach den Beschwerden entschei-dend; nur wenn der Patient dadurch be-einträchtigt ist, macht eine weitere Di-agnostik (Belastungstest, danach evtl. Koronarangiografie) Sinn. Vor dem Hin-tergrund der oben referierten Evidenz sind routinemäßige Belastungstests oder gar regelmäßige Koronarangiografien abzulehnen.

Abkürzungen und Erläuterungen

ACB-OP Aortokoronare Bypass-OPACIP Asymptomatic Ischemia Pilot

StudyBMS Konventioneller Metallstent

(bare metal stent)DES Medikamentenfreisetzender

Stent (drug eluting stent)ESC European Society of CardiologyKI KonfidenzintervallOMT Optimale medikamentöse bzw.

konservative TherapieOR Odds RatioPCI Oberbegriff für alle perkutanen koronaren Interventionen, heute meist PTCA und Stent-

ImplantationPTCA Perkutane Ballondilation einer

KoronarstenoseRCT Randomisierte kontrollierte

InterventionsstudieRIVA Ramus interventricularis

anterior

Interessenkonflikte: keine angege-ben

Prof. Dr. med. Norbert Donner- Banzhoff,

M.H.Sc.

Abt. für Allgemeinmedizin,

Präventive und Rehabilitative Medizin

Philipps-Universität Marburg

Karl-von-Frisch-Str. 4, 35043 Marburg

Tel.: 0 64 21 / 286 51 20

Fax: 0 64 21 / 286 51 21

E-Mail: [email protected]

Korrespondenzadresse:

… seit 1993 niedergelassener Allgemeinarzt in einer Marburger

Gemeinschaftspraxis.

1994–95: Academic Fellowship und Visiting Professor an der

University of Toronto (Kanada), Master in Community Health.

1997: Gründung und seitdem Leitung des Studienprogramms

„Klinische Evaluation“ an der Universität Marburg.

2003: Professur für Allgemeinmedizin an der Universität Marburg.

Seit 2007 ist er zudem stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Netzwerks Evi-

denzbasierte Medizin.

Wissenschaftliche Schwerpunkte: Entscheidungsfindung, diagnostische Studien,

Betreuung chronisch Kranker (bes. Koronar-Herzkranke), Weiter- und Fortbildung,

Gesundheitssysteme und Leitlinien.

Prof. Dr. med. Norbert Donner-Banzhoff, M.H.Sc. ist …

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Donner-Banzhoff:Revaskularisation bei chronisch stabiler koronarer HerzkrankheitMyocardial Revascularization in Chronic Stable Coronary Artery Disease

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© Deutscher Ärzte-Verlag | ZFA | Z Allg Med | 2011; 87 (1)

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Literatur

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Neues Merkblatt für Mammografie- Screening in Deutschland: Hilfe zur Meinungsbildung der EingeladenenNew Leaflet for Mammography Screening: Help for Opinion Making of Invited PersonsElisabeth Gummersbach1, Heinz-Harald Abholz1

Hintergrund: Vor 4 Jahren haben wir die damalige Infor-mationsbroschüre zum Mammografie-Screening in Deutschland anhand eines Katalogs für notwendige Infor-mationen als Grundlage für eine informierte Entscheidung analysiert. Dabei wurde festgestellt, dass sie die Mehrzahl dieser Informationen nicht enthielt (nur 5 der 15 von uns geforderten). Wenn überhaupt, wurde Risikoreduktion nur in relativen Zahlen ausgedrückt. Diese Kritik hat dazu ge-führt, dass ein neues Merkblatt entworfen wurde.Methoden: Wir haben das neue Merkblatt bezüglich der gleichen Kriterien analysiert wie die frühere Broschüre. Grundlage war der damals entwickelte Kriterienkatalog zu den wichtigsten Informationen, wie sie für ein informed deci-

sion making notwendig sind. Der Text des Merkblattes wur-de nach Erfüllung dieser Kriterien analysiert. Zudem wurde eine Textanalyse zur Verständlichkeit und Neutralität der In-formationsdarstellung sowie zur Verwendung absoluter vs. relativer Risikoangaben vorgenommen.Ergebnisse: Im neuen Merkblatt sind 11 von 15 unserer Kriterien für die Grundlage zu einer informierten Entschei-dungsfindung erfüllt. Häufiger als in der Erstversion sind nun absolute Zahlen, anstelle der relativen Zahlen zu Risi-koreduktionen und Risiken, genannt.Schlussfolgerungen: Das neue Merkblatt zum Mammo-grafie-Screening in Deutschland ermöglicht es Frauen, eine informierte Entscheidung zu treffen. Ob solche Informatio-nen allerdings das Hauptgewicht bei der Entscheidungsfin-dung haben, bleibt unklar. Es ist damit aber zumindest eine Grundlage zu rationaler Entscheidungsfindung gelegt.

Schlüsselwörter: Mammografie-Screening, Merkblatt, infor-mierte Entscheidung

Background: 4 years ago, we examined the information brochure for mammography screening, which was in use at that time in Germany, based on a list of necessary in-formation for “informed decision making”. We discovered that it did not contain most of the necessary informations (only 5 of 15 we claimed for). If risk reduction was men-tioned at all, it was only presented in relative numbers. Due to the criticism a new leaflet was developed.Methods: We analyzed the new leaflet according to the same criteria as the former brochure. The basis was the catalogue of criteria of information necessary for providing informed decision making which we developed at that time. The text of the leaflet was analyzed for fulfilment of these criteria, and in addition for comprehensibility and neutrality, plus the use of absolute vs. relative risk reduc-tion.Results: In the new leaflet 11 of the 15 required items for “informed decision making” are fulfilled. More often than in the former version there are absolute instead of relative numbers given on risk reduction and risks.Conclusion: The new leaflet for mammography screening in Germany enables women to make an informed decision. It is uncertain, however, if this information plays a major role in decision making at all. At least a basis for rational decision making is laid.

Keywords: Mammography screening, information brochure, informed decision

1 Abteilung für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum DüsseldorfPeer reviewed article eingereicht: 14.07.2010; akzeptiert: 20.10.2010DOI 10.3238/zfa.2011.0021

21ORIGINALARBEIT / ORIGINAL PAPER

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Gummersbach, Abholz:Neues Merkblatt für Mammografie- Screening in Deutschland: Hilfe zur Meinungsbildung der EingeladenenNew Leaflet for Mammography Screening: Help for Opinion Making of Invited Persons

Hintergrund

Die Informationsbroschüre zum Mam-mografie-Screening in Deutschland war vor 4 Jahren bereits Thema einer Analy-se durch uns [1]. Es handelte sich um die einzige offiziell zugelassene Informati-onsbroschüre, und nur diese wurde dem Einladungsschreiben zur Mammografie beigelegt – somit war sie die erste offi-zielle und wichtigste Informationsquel-le für Frauen über das Screening-Pro-gramm. Sie sollte die Frauen, die sich fra-gen, ob sie am Screening teilnehmen sollen, umfassend über den Nutzen, aber auch über die Risiken und Neben-wirkungen des Mammografie-Screening aufklären. Nur dies erlaubt eine infor-mierte Entscheidung.

Wir haben damals in Anlehnung an internationale Autoren [2, 3] eine Liste von Kriterien für informed decision

making zusammengestellt und geprüft, inwieweit diese Kriterien in der Bro-schüre erfüllt wurden. Das Ergebnis fiel dürftig aus: Nur 5 von 15 Kriterien aus unserer Liste wurden in der damaligen Broschüre erfüllt [1]. Zahlenangaben zu sowohl Nutzen als auch Schaden, vielleicht sogar als Absolutzahlen bzw. als Number needed to screen etc., gab es so gut wie keine; und wenn, dann stimmten sie überwiegend nicht mit denen überein, die üblicherweise – auf Basis vorliegender Studien – genannt werden. Kurz gesagt: Wir fanden, dass die Broschüre keine wirkliche Aufklä-rung bot, dass ganz offensichtlich das Interesse, möglichst viele Frauen zur Teilnahme zu gewinnen, dem Interesse an informierter Entscheidungsfindung überwog. Unsere damalige Publikation interessierte überregionale Zeitungen und führte auch zu einer öffentlichen Kritik an der damaligen Broschüre [4].

Unsere Kritik an der deutschen In-formationsbroschüre war nicht neu. Auch und vorwiegend im Ausland ist die Forderung nach einer ausreichenden In-formation der eingeladenen Frauen im-mer wieder begründet worden [5]. Man kann heute – anders als vielleicht vor 30 Jahren – nicht mehr die individuelle Aufklärung derjenigen, die am Pro-gramm teilnehmen, vernachlässigen – dies insbesondere nicht mit der Begrün-dung, dass ansonsten die Teilnahme an einer Public-Health-Maßnahme, dem Screening, zurückginge.

Die Diskussion, die wir mit unserem Artikel initiiert haben, hat nun Erfolg gezeigt und dazu geführt, dass eine Ar-beitsgruppe der Koordinierungsstelle

Mammografie-Screening und des Deut-

schen Krebszentrums im Auftrag der Trä-

ger Kassenärztliche Bundesvereinigung und

Krankenkassen ein neues Merkblatt für die eingeladenen Frauen entworfen und als Ersatz für die alte Broschüre einge-setzt hat [6]. Dies ist bei der Thematik nicht leicht und verlangt neben der Fachkenntnis auch erhebliche didakti-sche Fähigkeiten: Es geht dabei darum, alle wichtigen Informationen zu vermit-teln, nicht zu beschönigen, und Nutzen und Risiken klar darzustellen, ohne je-doch die Frauen abzuschrecken, am Screening-Progamm teilzunehmen.

Das neue Merkblatt für das Mammo-grafie-Screening wird seit Juli 2010 mit dem Einladungsschreiben an Frauen versendet. Es ist damit die erste und wichtigste Informationsquelle für die Frauen. Ziel unserer Untersuchung war es, herauszufinden, ob im neuen Merk-blatt mehr Informationen enthalten sind, die eine informierte Entscheidung ermöglichen als in der vorherigen Bro-schüre. Es gibt zusätzlich eine – ebenfalls neu erarbeitete – ausführliche Informa-tionsbroschüre, die von den Ärzten an interessierte Frauen ausgegeben werden soll, die wir hier nicht gesondert bewer-ten wollen.

Zusätzlich gibt es mehrere ausführliche

Informationsbroschüren, die an interessier-

te Frauen gerichtet sind, die wir hier nicht

berücksichtigt haben, da sie nicht von der

offiziellen Koordinierungsstelle für Mam-

mografie-Screening verfasst sind [7].

Methoden

Um das neue Merkblatt für das Mammo-grafie-Screening in Deutschland mit der vorherigen Broschüre vergleichen zu können, haben wir es nach dem gleichen Informationskriterienkatalog geprüft wie die vorherige Broschüre vor 4 Jahren. Un-ser Katalog umfasst Kriterien, die 2005 von Jörgensen und Goetzsche [2] sowie Thornton [3] als Voraussetzung dafür de-finiert wurden, um informed decision zu ermöglichen, und die von diesen Auto-ren auch bei der Analyse der Informati-onsbroschüren in Skandinavien, Eng-land und anderen englisch-sprechenden Ländern zugrunde gelegt wurden.

Besonders wichtig erschien uns wie-derum, ob die Informationen mit Zah-len – insbesondere Absolutzahlen, nicht Relativzahlen – veranschaulicht werden und ob diese mit den uns aus der Litera-tur bekannten übereinstimmen.

Aufbau des Merkblattes

Die Leserin wird persönlich angespro-chen, dabei ist der Text in einem sachli-chen Ton gehalten. Ein Großteil des Tex-tes nimmt die Erläuterung von Hinter-gründen für das Screening-Programm und dessen praktische Durchführung ein, ein Teil befasst sich mit Gründen für die Teilnahme sowie auch mit Nachtei-len des Screening.

Das Merkblatt ist in mehrere Kapi-tel gegliedert. Im Kapitel „Worum geht es?“ wird der Sinn des Screening erklärt und die Zielgruppe definiert. Bemer-kenswert ist, dass hier bereits ein Um-denken – im Vergleich zur früheren Broschüre – deutlich wird: Ganz offen-sichtlich will man zu einer informier-ten Entscheidung beitragen: „Sie sollen

sich mithilfe des Merkblatts selbst eine

Meinung bilden, ob Sie die Einladung an-

nehmen möchten.“ Im Abschnitt „Was ist Brustkrebs?“ wird Basiswissen zu der Erkrankung vermittelt, und auch er-klärt, was es mit dem häufigen Befund DICS auf sich hat. In den Abschnitten „Wie läuft das Screening ab?“ und „Wie geht es nach einem auffälligen Befund weiter?“ wird neben der Schilderung des unkomplizierten Ablaufs auch er-läutert, was im Falle eines pathologi-schen Befundes geschieht. Im Kapitel „Welche Vor- und Nachteile gibt es?“ wird auf Nutzen und Risiken eingegan-gen – es ist daher besonders relevant für unsere Fragestellung.

In dem Abschnitt „Was hat Sie kon-kret zu erwarten?“ stellen die Autoren anhand eines Rechenbeispiels dann auch die Relationen in Zahlen dar.

Ergebnisse

Tabelle 1 stellt die auch in der Erstana-lyse [1] verwendeten Kriterien dar, die für eine informierte Entscheidung der Frauen als Basis erforderlich sind und inwiefern sie in dem neuen Merkblatt für Mammografie-Screening erfüllt werden.

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Gummersbach, Abholz:Neues Merkblatt für Mammografie- Screening in Deutschland: Hilfe zur Meinungsbildung der EingeladenenNew Leaflet for Mammography Screening: Help for Opinion Making of Invited Persons

In dem neuen Merkblatt für Mam-mografie-Screening wurden 11 von 15 unserer Kriterien erfüllt. Das ist ein er-heblicher Fortschritt gegenüber der frü-heren Version, in der nur 5 Kriterien Er-wähnung fanden. Dabei sind zudem in vielen Fällen zur Verdeutlichung von Nutzen und Schaden ausschließlich ab-solute Zahlen genannt, die im Wesentli-chen mit den international Nachzule-senden übereinstimmen.

Dennoch bleiben 4 wichtige Krite-rien auch in der neuen Broschüre uner-

wähnt: Wir fanden keine klare Angabe zur absoluten und relativen Risiko -reduktion, an Mammakarzinom zu ver-sterben. Gleiches gilt auch in Bezug auf die fehlende Angabe zur Senkung der Gesamtmortalität durch das Scree-ning.

Die Höhe der Strahlenbelastung – im Vergleich zur durch andere Ursachen hervorgerufenen – und ihre Auswirkung auf die Inzidenz des Mammakarzinoms wird nicht erwähnt. Fernerhin gibt es auch keinen Hinweis auf den Nutzen –

oder eben den fehlenden Nutzen – der Selbstuntersuchung der Brust.

Bespiele in Auszügen

Als Ziel des Screening wird die frühe Er-kennung und Möglichkeit der frühen Behandlung formuliert: „Ziel der Unter-suchung ist es, Brustkrebs möglichst früh zu entdecken, um ihn noch erfolg-reich behandeln zu können. Eine Ent-stehung von Brustkrebs kann dadurch jedoch nicht verhindert werden.“

Die Häufigkeit eines pathologischen Ergebnisses beim Screening wird mit 1 von 6 angegeben, das bedeutet: „Ins-gesamt kann bei etwa 5 von 6 auffälligen Befunden Entwarnung gegeben wer-den.“

Auf das Problem der Überdiagnostik wird besonders hingewiesen: „Ein häufi-ger Tumortyp ist das sogenannte Dukta-le Carcinoma in situ (DCIS), das in der Mammografie besonders gut entdeckt wird, das sich jedoch nur in etwa 1 von 3 Fällen zu einem gefährlichen Tumor weiter entwickelt. Da sich nicht vorher-sagen lässt, welcher sich weiter ent-wickelt, werden alle DCIS behandelt.“

Und später im Text werden Nach-teile des Screening wie folgt geschil-dert:• „Wenn ein auffälliger Befund, der sich

später als unbegründet herausstellt, beunruhigt, insbesondere wenn Ge-webe entnommen wird, das sich nachträglich als gutartig heraus-stellt.“

• „Wenn ein bösartiger Tumor gefun-den und behandelt wird, der nicht mehr heilbar ist und sich dadurch die Leidenszeit, aber nicht die Lebenszeit verlängert.“

• „Wenn ein Tumor gefunden und be-handelt wird, der niemals Probleme bereitet hätte.“

Die entscheidenden Zahlen, die not-wendig sind, um Nutzen und Risiken einschätzen zu können, werden durch ein Rechenbeispiel verdeutlicht. Hier kann man nachvollziehen, wie viele Frauen wieder einbestellt werden, wie viele falsch positive Befunde es gibt und wie viele Überdiagnosen und Intervall-karzinome vorkommen. Dem wird ge-genübergestellt, wie viele Frauen durch das Screening davor bewahrt werden, an Brustkrebs zu sterben:

Tabelle 1 Kriterien für eine informierte Entscheidung sowie deren Erfüllung im neuen Merk-

blatt für Mammografie-Screening.

Kriterium

1. Häufigkeit eines pathologischen Ergebnisses beim Screening

2. Nutzen des Mammografie Screenings

3. Senkung der Mortalität durch Mammakarzinom

4. Absolute / relative Risikoreduktion

5. Senkung der Gesamtmortalität

6. Sensitivität des Screenings

7. Spezifität bzw. positive prädiktive Wertigkeit

8. Wie viele Frauen müssen gescreent werden, damit eine Frau nicht an Krebs stirbt? (NNS)

9. Empfehlung zur zusätzlichen Selbst- oder Fremduntersuchung der Brust

10. Überdiagnostik (Es werden mehr Frühkarzinome – Duktales Carcinoma in situ – entdeckt, die mehrheitlich nie klinisch relevant geworden wären)

11. Häufigkeit falsch positiver Befunde

12. Häufigere Operationen und Bestrahlungen in der Gruppe derjenigen gescreenten Frauen, die keinen Nutzen von der Untersuchung haben, und dadurch häufigeres Auftreten hierdurch bedingter Nebenwirkungen

13. Möglichkeit, dass im Zeitraum zwischen 2 Mammografien ein Tumor entdeckt wird (30–60 % Intervall-Karzinome)

14. Möglichkeit, dass sich durch eine frühere Diagnose die Zeitdauer der Erkrankung verlängert bei für die Mehrheit der Betroffenen gleich bleibendem Sterbezeitpunkt

15. Strahlenbelastung

Für die mit * gekennzeichneten Punkte sind absolute Zahlen genannt.

**Die Selbstuntersuchung der Brust bringt keinen Nutzen – eher einen Anstieg falsch positiver Befunde – und ist nach Studienlage nicht zu empfehlen [19].

Erfüllt im Merkblatt

ja*

ja

ja*

nein

nein

ja

ja

ja*

nein**

ja*

ja*

ja

ja

ja

nein

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Gummersbach, Abholz:Neues Merkblatt für Mammografie- Screening in Deutschland: Hilfe zur Meinungsbildung der EingeladenenNew Leaflet for Mammography Screening: Help for Opinion Making of Invited Persons

• Von 200 Frauen, die 20 Jahre lang je-des zweite Jahr am Mammografie-Screening-Programm teilnehmen, er-halten 140 Frauen in 20 Jahren keinen verdächtigen Befund. 60 Frauen be-kommen einen Befund, dem nach-gegangen werden sollte.

• Von diesen 60 Frauen erhalten 40 bei der ergänzenden Untersuchung Ent-warnung, 20 Frauen wird eine Gewe-beentnahme empfohlen.

• Von diesen 20 Frauen stellt sich bei 10 Frauen der Verdacht als unbegründet heraus. 10 Frauen erhalten die Diag-nose Brustkrebs im Screening. Von den übrigen 190 Frauen erhalten 3 Frauen in den 20 Jahren zwischen 2 Screening-Runden ebenfalls die Diag-nose Brustkrebs.

• Von diesen insgesamt 13 Frauen mit der Diagnose Brustkrebs sterben 3 Frauen an Brustkrebs, 10 Frauen ster-ben nicht an Brustkrebs.

• Von diesen 10 Frauen hätte 1 Frau oh-ne Mammografie zu Lebzeiten nichts von ihrem Brustkrebs erfahren, 8 Frauen wären auch ohne Teilnahme am Mammografie-Screening-Pro-gramm erfolgreich behandelt worden – ein Teil davon jedoch mit einer be-lastenderen Therapie. 1 von 200 Frau-en wird dank ihrer regelmäßigen Teil-nahme vor dem Tod durch Brustkrebs bewahrt.

Rechnerisch stimmen die Zahlen weit-gehend mit denen internationaler Stu-dien überein [8, 9, 10, 11].

Wir gehen nach Literaturstand da-von aus, dass 2–3 Frauen weniger an Brustkrebs sterben, wenn 1000 Frauen 10 Jahre lang alle 2 Jahre am Screening teilnehmen; das sind 2–3 Frauen in 10.000 Frauenjahren.

Im obigen Beispiel sieht das so aus: 200 Frauen gehen 20 Jahre lang zum Screening, dies entspricht 4000 Frauen-jahren. Im Merkblatt steht, dass 1 Frau davon von einem Krebstod an Mamma-karzinom bewahrt wird. Bezogen auf die von uns gewählte Bezugsgröße von 10.000 Frauenjahren sind dies dann ebenfalls 2–3 Frauen.

Diskussion

Das neue Merkblatt zum Mammografie-Screening bietet umfassendes, sachli-ches Aufklärungsmaterial, in dem fast

alle unsere Kriterien für eine „informier-te Entscheidung“ erfüllt sind. Frauen, die sich informieren wollen, bevor sie sich entscheiden, ob sie am Screening teilnehmen, finden hier ausreichende Informationen. Sie werden gleich am Anfang des Merkblattes dazu aufgefor-dert, sich eine eigene Meinung zu bil-den. Dies ist wirklich innovativ. In der früheren Informationsbroschüre wurde für das Programm, das auf eine hohe Teilnehmerzahl angewiesen ist, um überhaupt einen positiven Effekt auf Be-völkerungsebene zu erzielen, eher Wer-bung gemacht, indem man versuchte, Frauen in Bild und Text auf der emotio-nalen Ebene anzusprechen und durch verzerrte Darstellung von Häufigkeiten zur Teilnahme zu motivieren. Das ist nicht nur in der deutschen Broschüre der Fall gewesen, sondern in allen Infor-mationsbroschüren auch aus anderen Ländern, die uns bekannt sind [12].

In dem Merkblatt wird als Ziel für das Screening die Früherkennung von Brustkrebs mit der daraus folgenden Möglichkeit früherer Behandlung ge-nannt. Der Nutzen, den die Gesellschaft dadurch hat, indem die Mortalität an Brustkrebs in der Bevölkerung gesenkt wird, wird in dem Merkblatt nicht ge-nannt, obwohl nach internationaler Sicht eigentlich nur dieser Nutzen das Programm rechtfertigt. Die Leserin er-fährt zwar, dass Früherkennung sinnvoll ist, um frühzeitig behandeln zu können, was den Eindruck hohen individuellen Nutzens weckt. Dass dies nur für ganz wenige Frauen zutrifft, kann man später allerdings aus dem Text ableiten. Mit an-deren Worten: Die Unterschiedlichkeit eines individuellen und eines Public-He-alth-Nutzens wird nicht thematisiert. Zugegeben werden muss, dass dies in ei-ner dazu völlig unvorbereiteten deut-schen Bevölkerung auch einer Überfor-derung einer solchen Broschüre gleich-kommt. Dies muss eher Aufgabe der Zu-kunft und der Gesundheitspolitik gene-rell werden – so wie wir es schon aus den angelsächsisch geprägten Versorgungs-systemen kennen.

Das häufigere Aufspüren eines Duk-talen Carcinoma in situ (DICS) im Scree-ning wird von vielen Autoren als ent-scheidender Kritikpunkt am Screening angesehen – führt es doch zu ggf. „über-flüssigen“ Operationen und Bestrahlun-gen [13]. In dem neuen Merkblatt wird beschrieben und auch erklärt, dass es auf

jeden Fall, wenn es einmal entdeckt wurde, genauso behandelt wird, wie ein manifestes Karzinom. Dies klingt eher beruhigend als problematisch. Weiter unten wird dann noch einmal im Kapi-tel „Nachteile des Screening“ die Mög-lichkeit erwähnt, dass ein Tumor gefun-den wird, der niemals Probleme bereitet hätte. Es ist die Frage, ob die Leserinnen die Problematik erkennen, die hinter diesen beiden Textstellen liegt, und dass es bedeuten kann, dass eine nicht gerin-ge Anzahl von Frauen zu Brustkrebs-patientinnen wird – mit allen Kon-sequenzen, die dies für sie persönlich nach sich zieht –, obwohl diese mehr-heitlich nie von einem solchen betrof-fen wären! Denn – und das steht auch im Merkblatt – das Duktales Carcinoma in situ wird nur in einem Drittel der Fälle zum Karzinom, und hinzukommend, ein nennenswerter Teil der Frauen selbst mit früh erkanntem Karzinom würde nie von diesem tangiert, weil sie zuvor an anderen Todesursachen versterben [13, 14]. Zahlen zum Nutzen des Scree-ning, zu falsch positiven Befunden, Überdiagnosen und Intervallkarzino-men werden in einem Rechenbeispiel dargestellt. Dies ist nachvollziehbar, aber man muss sich schon bemühen und nachrechnen, um es zu verstehen. Andererseits: Die Zahlen und Zusam-menhänge sind komplex und kompli-ziert. Eine Grafik hätte hier vielleicht ge-holfen, die Dinge verständlicher zu ma-chen.

4 der Kriterien, die wir als essenziell für eine informierte Entscheidungsfin-dung ansehen, werden in der Broschüre nicht erfüllt. So ist die absolute Risikore-duktion (2–3 Frauen sterben weniger an Brustkrebs, wenn 1000 Frauen 10 Jahre lang am Screening teilnehmen [15, 16]) eine wichtige Information, die im Merk-blatt nicht explizit genannt wird – statt-dessen ist von 1 von 200 in 20 Jahren die Rede. Zwar stimmen die Zahlen, wenn man nachrechnet, überein, aber man fragt sich, warum hier nicht die übliche Ausdrucksform (2–3 von 1000) verwen-det wurde. Es könnte zu Verwirrung bei den Frauen führen, die anderswo die üb-licherweise verwendeten Zahlen lesen. Vielleicht soll hier doch der Anschein ei-nes höheren Nutzens erweckt werden.

Auch dass das Screening wahr-scheinlich keine Auswirkung auf die Ge-samtmortalität hat, sollte erwähnt wer-den [17]. Die Höhe der Strahlenbelas-

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Gummersbach, Abholz:Neues Merkblatt für Mammografie- Screening in Deutschland: Hilfe zur Meinungsbildung der EingeladenenNew Leaflet for Mammography Screening: Help for Opinion Making of Invited Persons

tung interessiert viele Frauen, daher wä-re es wünschenswert, wenn man lesen könnte, dass sie sehr gering ist, nicht aber dass auf 2000 Frauen, die durch Screening vom Tod durch Brustkrebs be-wahrt werden, ein Brustkrebs durch Screening verursacht wird [18].

Eine Sonderstellung nimmt die Selbstuntersuchung der Brust als Früh-erkennungsmaßnahme ein, da zu ihr nicht geraten werden kann – sie führt nämlich zu einer Häufung von falsch po-sitiven Befunden und zu Befunden, die so weit entwickelt sind, dass sie nicht „besser“ therapiert werden können [19]. Genau dies jedoch sollte auch gesagt wer-den, da immer wieder für die Selbstunter-

suchung geworben wird. Es bleibt ja auch völlig offen, was man als Frau tun soll: Von Selbstuntersuchung wird abgeraten, dabei soll man aber den eigenen Körper auf Veränderungen beobachten. In die-sem Dilemma wäre eine unterstützende Beratung wünschenswert.

Unter dem Strich jedoch setzt das neue Merkblatt zum Mammografie-Screening in Deutschland einen Meilen-stein für die Patientenaufklärung bei Screening-Untersuchungen. Risiken und Nachteile des Screenings werden genannt und nachvollziehbar mit Zah-len belegt. Durch die schlichte Auf-machung und den Verzicht auf Bebilde-rung wird eine Beeinflussung der Lese-

rinnen auf der emotionalen Ebene ver-mieden. Das Merkblatt soll die Frauen ja nicht von der Teilnahme abhalten – so gewinnt man beim Lesen doch den Ein-druck, dass die Vorteile überwiegen.

Ob sich tatsächlich die Zahl der Teil-nehmerinnen – wie ja immer befürchtet – durch ein solches Merkblatt reduzieren wird, kann mit Spannung erwartet wer-den. Denn das Ergebnis könnte bahn-brechend auch für andere Länder sein: Nach unseren Recherchen bietet bislang kein anderes Land in Europa diese Aus-führlichkeit in der Aufklärung zum Mammografie-Screening und diese Of-fenheit in der vermittelten Beratung ver-bindlich für eine ganze Nation an [12].

Dr. med. Elisabeth Gummersbach

Abteilung für Allgemeinmedizin

Heinrich-Heine-Universität

Moorenstraße 5

40225 Düsseldorf

E-Mail: [email protected]

duesseldorf.de

Korrespondenzadresse:

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Literatur

… Fachärztin für Allgemeinmedizin und Arbeitsmedizin, nieder-

gelassene Hausärztin seit 1991 in Duisburg, wissenschaftliche

Mitarbeiterin und Lehrärztin der Abteilung für Allgemeinmedi-

zin der Universität Düsseldorf

Dr. med. Elisabeth Gummersbach …

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Neue Nationale Versorgungsleitlinie (NVL) zu „Nierenerkrankungen bei Diabetes im Erwachsenenalter“ – Was ist wichtig für den Hausarzt?The New National Health Care Guideline „Renal Disease in Diabetes in Adults“ – What is Important for the Family Doctor?Heinz-Harald Abholz1

Zusammenfassung: Es wird ein Überblick zur neuen Na-tionalen Versorgungsleitlinie (NVL) „Nierenerkrankungen bei Diabetes im Erwachsenenalter“ in Bezug auf die für Hausärzte besonders wichtigen Aspekte gegeben. Dabei ist ausführlicher der Punkt „Mikroalbuminurie-Screening“ dar-gestellt, da hier die DEGAM eine andere Position einge-nommen hat als die anderen Fachgesellschaften.

Schlüsselwörter: Diabetes, Leitlinie, Nierenerkrankung

Summary: This short overview focuses on topics of the national medical care guideline “renal diseases in adult dia-betes mellitus” relevant for family medicine. The chapter “Screening for microalbuminuria” is given in more detail, because during the production of this guideline the Ger-man College of General Practitioners and Family Physicians (DEGAM) has had a different position from the other Medi-cal Societies involved.

Keywords: diabetes, guideline, renal disease

1 Abt. für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum DüsseldorfPeer reviewed article eingereicht: 21.09.2010, akzeptiert: 20.10.2010DOI 10.3238/zfa.2011.0026

Nach knapp drei Jahren Arbeit ist die ge-nannte Leitlinie Anfang September fer-tiggestellt worden und kann im Netz ab-gerufen werden: http://www.versorgungsleitlinien.de/themen/diabetes2/ dm2_nephro/pdf/nvl_t2dnephro_ lang.pdf

Neben den Nierenerkrankungen bei Diabetes mellitus ist in dieser Teil-Leitli-nie auch für das Sammelwerk NVL Dia-betes (Nationale Versorgungsleitlinie Diabetes) das Thema der Behandlung des Hochdruckes insgesamt abgehan-delt.

Die DEGAM hat diese NVL zusam-men mit den entsprechenden anderen Gesellschaften und unter Schirmherr-schaft des ÄZQ (Ärztliches Zentrum für Qualität) erarbeitet.

Im Folgenden sollen nur die für den Hausarzt wichtigsten Kernaussagen der Leitlinie wiedergegeben werden. Wei-tere Details und der gesamte Teil, der

sich auf die Betreuung des nieren-erkrankten Patienten mit Diabetes durch Spezialisten bezieht, werden hier nicht dargestellt.

Nierenerkrankungen bei Diabetes mellitus

Bei Patienten mit einem Diabetes melli-tus kann nicht nur die bekannte diabeti-sche Nephropathie auftreten, sondern auch gehäuft – 20 bis 40 % aller Nieren-erkrankungen bei Patienten mit Dia-betes – andere Nierenerkrankungen wie z. B. infektiöse oder durch den häufig parallel bestehenden Hochdruck ent-standene Nierenerkrankungen. Daher wird in der Leitlinie empfohlen, jährlich eine Kontrolle von Urin sowie der rech-nerischen Kreatininclearance vorzuneh-men und ggf. zur Abklärung beim Neph-rologen vorzustellen.

Albuminurie

Eine Mikroalbuminurie findet sich bei einem nennenswerten Teil der Bevölke-rung und ist – durch Studien nachgewie-sen – auch Risikofaktor für kardiovasku-läre Morbidität und Mortalität. Offen bleibt dabei, ob hier der Begriff des Risi-kofaktors eine ursächliche Beziehung beschreibt, z. B. eine Intimaschädigung an Gefäßen und Glomerula. Risikofak-toren können aber auch nur mit ver-schiedenen Krankheiten assoziierte, da-bei nicht ursächliche Größen sein; dann zeigen sie nur die höhere Auftretens-wahrscheinlichkeit bestimmter Krank-heiten an.

Diabetiker haben gehäuft eine Mi-kroalbuminurie: Die wenigen Studien, die es hierfür gibt und die durchgehend alle selektive Kollektive untersucht ha-ben, sprechen von 20 bis 30 % Mikro-albuminurientwicklung im Laufe des

26 LEITLINIE / GUIDELINE

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Lebens eines Diabetikers. Aber auch hier gilt: Die Mikroalbuminurie ist mögli-cherweise eher Indikator für ein kardi-vaskuläres Risiko oder für eine entste-hende bzw. schon bestehende Nieren-erkrankung im Sinne der diabetischen Nephropathie, als selbst schädigend. Be-kannt ist nur, dass größere Eiweißaus-scheidungen in der Tat die Niere zu schädigen in der Lage sind.

Die Mikroalbuminurie selbst ist nicht zu behandeln, sondern es können nur alle Risikofaktoren, die therapeu-tisch beeinflussbar sind, behandelt wer-den. Daher resultiert aus dem Befund einer Mikroalbuminurie beim Diabeti-ker – falls nicht eine andere als die dia-betisch verursachte Nierenerkrankung vorliegt –, dass Hochdruck, Blutzucker, Cholesterin möglichst optimal einge-stellt sein sollen und Raucher zum Auf-geben des Rauchens gebracht werden sollen. Aber umgekehrt gilt dann auch: Patienten mit einem Diabetes mellitus, die in Bezug auf diese Risikofaktoren

gut „kontrolliert“ sind – bzw. solche, die eine bessere Kontrolle ablehnen – können über die Kenntnis einer Mikro-albuminurie nicht besser oder schlech-ter als ohne diese Kenntnis behandelt werden.

In Bezug auf die Bedeutung der Mi-kroalbuminurie ist festzuhalten, dass die Mehrzahl derjenigen, die eine klinisch relevante Niereninsuffizienz entwickeln oder kardiovaskulär begründet verster-ben, nicht zuvor eine Mikro- oder Ma-kroalbuminurie überhaupt hatten: Über 90 Prozent kommen in derartige renale Finalstadien bzw. versterben ohne vor-her eine Albuminurie aufgewiesen zu haben (s. Abb. 1 und 2 in der NVL).

Mikroalbuminurie-Screening

Dennoch ist in der Leitlinie jetzt nach-zulesen, dass ein einjähriges Screening auf Mikroalbuminurie durchgeführt werden soll. Die DEGAM hat ein Sonder-

votum gegen ein generelles Screening abgegeben und begründet, in welchen Fällen darauf verzichtet werden kann bzw. nicht verzichtet werden sollte.

Hintergrund dieses Votums ist im Wesentlichen das Argument der man-gelnden therapeutischen Konsequenz in der Mehrzahl der Fälle, bei denen sich dann eine Mikroalbuminurie darstellen würde. Mit anderen Worten: Der DE-GAM geht es um eine individualisierte Nutzung des Mikroalbumintestes und nicht um ein Screening, bei dem zudem dann noch ein Test zum Einsatz kommt, der wenig prädiktiv ist (siehe oben unter „Albuminurie“).

Zudem würde ein Screening erhebli-che ethische Probleme implizieren, da man vielen Patienten nur mitteilen kann, dass sie Risikoträger seien, ihnen aber oft keine Therapie anbieten kann, da die beeinflussbaren Risikofaktoren entweder schon gut eingestellt sind oder nicht bestehen bzw. der Patient nicht mehr an Therapie zulassen will.

„Das Screening auf Albuminurie bei Menschen mit Diabetes wird im Hin-blick auf die verfügbare Evidenzlage kritisch diskutiert. Folgende Aspekte fassen die wichtigsten Diskussions-punkte zusammen:• Die Studienlage zeigt, dass Anti-

hypertensiva die Albuminurie sen-ken sowie die Progression von einer Mikroalbuminurie zu einer Makro-albuminurie und zur Niereninsuffi-zienz verlangsamen [9]. Dennoch gibt es keine schlüssigen Belege da-für, dass eine Bestimmung der Albu-minausscheidung bzw. die erfolgrei-che Behandlung der Mikroalbumi-nurie-Outcomeparameter wie Ab-nahme der eGFR, Mortalität oder die Anzahl von niereninsuffizienten Pa-tienten im Stadium 5 beeinflussen [9; 77].

• Die therapeutischen Konsequenzen des Nachweises einer Mikroalbuminu-rie sind gering. Die Therapie bzw. The-

rapieintensivierung aufgrund einer Albuminurie zielt auf die Risikofak-toren für das Entstehen einer Albumi-nurie, die auch Risikofaktoren für dia-betische und kardiovaskuläre Folge-erkrankungen sind, ab. Im Vorder-grund steht also eine adäquate Kon-trolle des Stoffwechsels und des Blut-hochdrucks. Diese Maßnahme sollte jedoch ohnehin bei allen Menschen mit Diabetes angestrebt werden.

Dennoch beschloss die Leitlinien-Gruppe, aus folgendem Grund das Screening auf Albuminurie bei Men-schen mit Diabetes zu empfehlen.

Die Kontrolle des Stoffwechsels und des Bluthochdrucks ist in der Regelver-sorgung oft mangelhaft. Das Vorliegen einer Albuminurie kann in diesen Fäl-len als Risikohinweis verstanden wer-den, einen Patienten sowohl in Bezug auf eine ideale Kontrolle des Diabetes als auch bezüglich der hierzu assoziier-ten weiteren Erkrankungen wie ins-

besondere Bluthochdruck zu überprü-fen und ggf. Therapien zu intensivieren.

Diese Empfehlung stimmt mit den Empfehlungen anderer nationaler und internationaler Leitlinien überein [9; 10; 39; 78]. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familien-medizin (DEGAM) hingegen hat sich nur für eine individuell zu prüfende Al-buminurie-Bestimmung für bestimmte Risikogruppen von Patienten entschie-den. Dies sind – zusammengefasst – Pa-tienten, die einen schlecht kontrollier-ten Blutzucker bzw. Hochdruck haben, ggf. für letzteres noch keinen ACE-Hemmer (bzw. AT1-Rezeptorantagonis-ten) erhalten und die zugleich zu einer Therapieverbesserung bereit sind, wüssten sie von dem Vorhandensein des zusätzlichen Risikofaktors „Albu-minurie“. Im Anhang 9 findet sich das Sondervotum der Deutschen Gesell-schaft für Allgemeinmedizin und Fami-lienmedizin (DEGAM).“

Die Kontroverse bezüglich des Screenings zu Albuminurie (Originaltext der NVL)

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Abholz:Neue Nationale Versorgungsleitlinie (NVL) zu „Nierenerkrankungen bei Diabetes im Erwachsenenalter“The New National Health Care Guideline „Renal Disease in Diabetes in Adults“

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1. Die DEGAM lehnt ein generelles Screening aller Diabetiker auf Mikro-albuminurie ab.

2. Die DEGAM sieht nur die Berechti-gung für ein individuell zu prüfendes Risiko-Populations-Screening.

Dabei ist die Risikopopulation da-durch definiert, dass es sich hier um Pa-tienten mit Diabetes handelt, diea) entweder einen nicht ausreichend

kontrollierten Diabetes mellitus ha-ben und / oder

b) weitere kardiovaskuläre oder renale Risikofaktoren aufweisen, die allein oder ebenso wie der Diabetes schlecht kontrolliert sind.

Begründung:Begründet wird die Position dadurch, dass bei einem generellen Screening al-ler Diabetiker erhebliche ethische Pro-blemsituationen auftreten und zudem die Kosten für ein Screening unnötig gesteigert würden.

Hintergrund ist, dass es ethisch nur vertretbar ist, ein Screening durch-zuführen, wenn sich im Fall positiver Befunde eine therapeutische Kon-sequenz anbietet [384; 385].

Für ein generelles Screening sind aber nur folgende Konstellationen in Bezug auf eine therapeutische Konsequenz vorstellbar:1) Der Patient hat neben einem gut ein-

gestellten Diabetes mellitus a) keine weiteren kardiovaskulären

Risikofaktoren bzw. b) sind diese optimal kontrolliert. In diesem Falle würde das Wissen

über eine Albuminausscheidung kei-nerlei therapeutische Konsequenz haben, da die Mikroalbuminurie nicht anders behandelt würde, als es ohnehin schon geschieht. Damit aber ist ein Screening ethisch proble-matisch, weil der Patient aufgrund eines Screenings mit dem Wissen über einen Risikofaktor allein gelas-sen wird, dieser aber nicht über zu-sätzliche therapeutische Angebote zu beeinflussen ist.

Auch entfällt das Argument, Men-schen hätten einen Anspruch zu wis-sen, wie ihre Prognose ist, denn sie könnten sich mit diesem Wissen nicht besser in ihrem weiteren Leben

orientieren. Ohne Mikroalbuminu-rie ist das Risiko eines zumeist kar-diovaskulären Todes oder einer kli-nisch relevanten Niereninsuffizienz nach Adler et al [34] 1,5% pro Jahr. Mit Mikroalbuminurie liegt es zwar bei 3,3%. Diese Differenz und die niedrige prädiktive Wertigkeit von 1,8 % sind nicht tauglich, ein Leben unterschiedlich planen zu lassen. Nur etwa einer von 50 Betroffenen hätte damit ein anderes Schicksal vor sich. Diese Aussage gilt selbst bei ei-ner ohnehin sehr spekulativen Hochrechnung auf ein Jahrzehnt.

2) Die oder eine der unter 1. genannten Bedingungen sind nicht gegeben: Der Diabetes oder weitere kardiovas-kuläre Risikofaktoren sind nicht op-timal kontrolliert.

In diesem Fall stünde bei Kenntnis eines weiteren Risikofaktors, näm-lich der Albuminausscheidung, ein weiterer Risikoindikator für ins-besondere kardiovaskuläre Morbidi-tät und Mortalität als auch renale Morbidität zur Verfügung.

Dabei ist die Annahme, dass bei zu-sätzlicher Kenntnis eines weiteren Risikofaktors – also Albuminurie – bei zugleich bekannten, aber nicht ausreichend kontrollierten anderen Risikofaktoren die Entscheidung auf Seiten des Patienten und/oder Arztes in Bezug auf die „Therapiestrenge“ wirklich anders als ohne eine solche Kenntnis ausfallen würde.

Dies aber genau sollte vor Durchfüh-rung eines Screenings immer mit dem Patienten geprüft werden. Denn bei solcher Konstellation muss man festhalten, dass sich Patient und Arzt – aus unterschiedlichen Gründen - schon immer auf eine unzureichen-de Kontrolle der Risikofaktoren – ein-schließlich ggf. des Diabetes – einge-lassen und damit ein erhöhtes kar-diovaskuläres Risiko in Kauf genom-men haben. So bleibt also vor einem Albuminurie-Screening in diesem Fall zu fragen, ob eine solche Ent-scheidung revidiert werden würde, käme ein Risikofaktor – die Albumin-ausscheidung – hinzu.

Im Fall, dass das Hinzutreten ei-nes zusätzlichen Risikofaktors

die Entscheidungslage ver-ändern würde, sieht die DE-GAM eine Berechtigung für ein Screening (Risiko-Populations-Screening).

Eine unklare Studien-Situation ist für die Konstellation 3. gegeben:

3) Bei Vorliegen einer ausreichend kon-trollierten Hypertension wurden bis-lang weder ACE-Hemmer noch AT1-Antagonist verwendet. In die-sem Fall wird - bei allerdings schwa-cher bzw. widersprüchlich gesehener Evidenz [9; 10; 386] - in der Regel ein Wechsel zu einer der beiden Substan-zen empfohlen, wenn es Hinweise auf das Vorliegen einer möglichen Nierenerkrankung gibt – und sei es nur eine Mikroalbuminurie.

Es gibt aber klare Belege [77; 155; 387; 388] dafür, dass in Bezug auf die relevanten klinische Endpunkte (Niereninsuffizienz, Geschwindig-keit der GFR-Reduktion) kein Vorteil von ACE-Hemmern und AT1-Anta-gonisten vor anderen Antihyperten-siva – möglicherweise mit Ausnahme der wahrscheinlich unterlegenen Calciumantagonisten besteht. Dies wird auch nie anders in den Doku-menten gesehen, die eine Empfeh-lung für ACE-Hemmer/AT1-Blocker aussprechen. [9; 10; 386; 387]

In einem solchen Fall könnte also der Arzt eine Bestimmung der Albu-minausscheidung zur Entschei-dungshilfe verwenden, wenn auch – wie in den Quellen und Systemati-schen Analysen festgehalten – die Evidenz, dies zu tun, schwach und gar widersprüchlich ist. Hierbei muss es sich also um eine Entscheidung des Arztes und des Patienten han-deln, die nicht vorgeschrieben wer-den kann.

Weitere Gründe gegen ein generelles Screening

Noch zusätzliche Überlegungen lassen die DEGAM von der Empfehlung eines generellen Screenings abhalten:A) Für die Frage der renalen Risiko-Ein-

schätzung ist der Faktor Albuminurie nicht überzeugend: Nach der ein-zigen hierzu vorliegenden größeren

Anhang 9: Position der DEGAM zum Albuminurie-Screening bei Menschen mit Diabetes (Originaltext der NVL; Zahlen in Klammern: Literaturhinweise in der LL)

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Studie bei Typ-II-Diabetikern [34] kommt die Mehrzahl derjenigen, die eine klinisch relevante Niereninsuf-fizienz entwickeln, ohne Albuminu-rie in diesen Zustand. Anders aus-gedrückt: Die erdrückende Mehrzahl (1000 der 1098) der pro Jahr in die klinisch relevante Niereninsuffizienz kommenden Diabetiker wies bei ein-jährigen Albuminurie-Screening we-der Mikro- noch Makroalbuminurie vorher auf. Diese Einschätzung gilt selbst wenn man – ebenfalls aus den Befunden von Adler et al [34] - weiß, dass eine Mikroalbuminurie im Screening das Risiko, in eine Niere-ninsuffizienz zu kommen, um den Faktor 3 erhöht.

B) Auch ist die prädiktive Bedeutung der Mikroalbuminurie für einen – meist ja kardiovaskulär verursachten – Tod nicht in allen Studien so hoch, wie behauptet. Nach den Zahlen von Adler et al [34] wird das Risiko zwar um den Faktor 2 bei Vorliegen der Mikroalbuminurie, um den Faktor 3 bei Makroalbuminurie erhöht, je-doch sind die anderen, bekannten Risikofaktoren (Blutdruck, Choleste-rin, Raucherstatus etc.), die sich ja in-teraktiv zueinander verhalten und wahrscheinlich auch miteinander korreliert sind, weitaus stärker [389-393]. Nach dem Risikorechner der Mayo- Klinik gar erhält die Albu-minausscheidung nur einen von ins-gesamt 69 möglichen Risikopunk-ten; wie immer sind das Alter, das Geschlecht, eben aber auch die „klas-sischen Risikofaktoren“ weitaus ge-wichtiger. [394]

C) Auf einer ganz anderen Ebene liegt ein weiteres Argument der DEGAM gegen die Einführung eines generel-len Screenings bei Diabetiker: Es lie-gen bisher keinerlei Untersuchun-gen über den Nutzen – oder auch den fehlenden Nutzen – eines Screenings anhand kardiovaskulärer oder rena-ler Morbidität und Mortalität vor. Dies wird auch von keiner der selbst ein Screening empfehlenden Texte oder Leitlinien behauptet! Vor Ein-führung eines generellen Screenings aber sollte ein Nutzennachweis an klinischen Endpunkt(en), nicht nur

an Surrogaten, vorhanden sein [385]. Diese Bedenken gelten um so mehr, als auch andere Voraussetzun-gen für ein Screening fehlen, vorran-gig die fehlenden therapeutischen Konsequenzen für nennenswerte Teile der zu untersuchenden Popula-tion.

D) Auch ist die Konzeptionalität, also die eigentliche Bedeutung der Albu-minausscheidung, unklar: Eine Al-buminausscheidung ist nach Studi-enlage sowohl für Diabetiker, Hyper-toniker, kardiovaskulär Erkrankte als auch für Menschen ohne diese bei-den Erkrankungen ein Risikofaktor für kardiovaskuläre und renale Krankheiten.[193; 395-397]

Es bleibt also völlig unklar, warum ein generelles Screening bei Diabeti-kern eingeführt werden soll und nicht eines in der Gesamtbevölke-rung oder zumindest bei allen Pa-tienten mit Hochdruck, koronarer Herzerkrankung etc. Eine erklärende Argumentation – außer der histori-schen Begründung – gibt es nicht! Und wollte man eine solche erwei-terte Screening-Untersuchung, dann würden dieselben zentralen Einwän-de der DEGAM wie gegen das Scree-ning bei Diabetikern gelten.

Mit zur Frage der Konzeptionalität der Albuminausscheidung gehört auch, dass die Rolle des Albumins im Urin nicht annähernd und quantifi-zierend für Subpopulationen geklärt ist. Das bekannte Problem von Risi-kofaktoren – sind sie, und wenn zu welchem Anteil, Indikator oder Agens des Schadens (z. B. am Endot-hel) – ist damit nicht handhabbar ge-löst.

E) Schließlich ist auch das sogenannte Mengengerüst von im Screening auf-tretenden Fällen, deren reale Abklä-rungsgeschichte und deren realer Outcome nach Abklärung bisher völ-lig unklar. Dies aber wird vor Beginn eines Screenings gefordert, um mög-lichen Nutzen – selbst an Surrogat-parametern – und Aufwand zueinan-der ins Verhältnis bringen zu kön-nen. Dies ist notwendig, um darüber eine Einschätzung der Machbarkeit für eine Gesellschaft und der Zumut-

barkeit für die Versorgten abschätzen zu können. [34; 385]

F) Auch ist bisher nicht entschieden, wie man mit einem Risikofaktor „Al-buminausscheidung“ umgeht, der ganz offensichtlich [193; 393; 396; 398; 399] gradlinig zu kardiovasku-lärem, wahrscheinlich auch renalem Risiko assoziiert ist. Wo ist der Grenzwert in einem solchen Fall an-zusetzen, und mit welcher Begrün-dung ist er zu ziehen? [399]. Beides ließe sich im schlechtesten Fall durch Verlaufsstudien, im besten durch Screening-Studien mit rando-misiertem Aufbau entscheiden; bei-de liegen nicht vor.

G) Als eine Spezifizierung zu F) – aber auch darüber als Argument hinaus-gehend – gehört, dass selbst die Be-stimmungsmodalitäten (Urin-Ge-winnung morgens, vor oder nach erster Blasenentleerung, Spontanu-rin etc.), die Bestimmungsmethode der Albuminmenge im Urin (qualita-tiv oder semiqualitativ) sowie deren Bezugsgröße (Goldstandard) nicht in einem Screening–Setting erprobt sind und dass daher dieser ungeklär-te Rahmen nicht zur Definition der Gruppe der im Screening „Auffäl-ligen“ begründet taugen kann. Da-mit aber ist weder etwas über die Sen-sitivität noch die Spezifität des vor-geschlagenen Screenings bekannt – wobei bei einem Risikofaktor wie dem Albumin im Urin allerdings auch schon die Frage besteht, was hier der Goldstandard, an dem ge-messen werden soll, überhaupt sein soll. Diese Situation allein ist übli-cherweise ein Ausschlussgrund für die Einführung eines Screenings – insbes. dann, wenn schon weitere, wie in diesem Fall, Gründe dagegen vorliegen.

Insgesamt ist allein schon mit diesem Katalog zusätzlicher Pro-blempunkte – also noch ohne Be-rücksichtigung der zentralen Begrün-dung der DEGAM – ein Ausschluss zur Zulassung eines Screenings gegeben, legt man die berechtig-ten – und international üblichen – Maßstäbe an, die heute auch die des GBA sind.

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Kreatinin und errechnete Kreatininclearance

Sowohl für die Einschätzung einer vor-liegenden Nierenerkrankung als auch für die Betreuung des Patienten mit Dia-betes generell, ist das Wissen um die Kreatininclearance von Bedeutung. Ein Teil der oralen Medikamente, die für die Diabetesbehandlung indiziert sein mö-gen, kann ab einem Niereninsuffizienz-grad mit einer Clearance von < 60 ml / Min nicht mehr gegeben wer-den bzw. verlangt eine Dosisanpassung. Bei einer Clearance von < 30 ml / Min sind fast alle oralen Substanzen kontra-indiziert.

Zudem findet sich in der Leitlinie die Darstellung, dass beim Menschen unter 65 Jahren mit einer Kreatininclea-rance unter 60 ml / Min in der Regel ein Nephrologe zur Beurteilung der Ursäch-lichkeit hinzugezogen werden soll. Bei älteren Patienten – also 65 Jahre und äl-ter – wird hier eine Kreatininclearance von 45 ml / Min als Indikationsgrenze zur Vorstellung beim Nephrologen an-gesehen. Wesentlichster Hintergrund ist dabei eher die nicht-diabetische Neph-ropathie, bei der zum Teil ja spezifische therapeutische Konsequenzen gezogen werden können.

Zielkorridore für HbA1c

Für die Empfehlungen der Leitlinie gibt es drei unterschiedliche Konstellationen in Bezug auf einen Zielwert von HbA1c:• In der Primärprävention, was in die-

sem Fall bedeutet, dass keine kardio-vaskulären Erkrankungen oder Folge-erkrankungen des Diabetes vorliegen, wird ein Zielkorridor zwischen 6,5 bis 7,5 % empfohlen; es sei denn, es ge-schieht um den Preis gehäufter Hypo-glykämien.

• Liegen jedoch kardiovaskuläre Er-krankungen vor, so sollte der HbA1c zwischen 7,0 und 7,5 % liegen.

• Liegt eine diabetische Nephropathie vor und gibt es aber keinerlei Hinweise auf kardiovaskuläre Erkrankungen (was sehr selten so sein dürfte), dann sollte er unter 7,0 % liegen, weil nach einer Studie damit die Progression, gemessen an Kreatininanstieg und Zunahme der Albuminurie, verlangsamt wird.

Zielwert für Hochdruck

Für die Behandlung des Hochdruckes bei Patienten mit einem Diabetes melli-tus gibt es ebenfalls zwei Kernaussagen:• Generell soll dafür gesorgt werden,

dass der Blutdruck unter systolisch 140 mmHg gehalten wird und diasto-lisch bei etwa 80 mmHg liegen sollte. Man sieht, dass die jüngste Studienla-ge hier die Empfehlung in Bezug auf die Zielwerte geändert hat.

• Bei Patienten mit einer Niereninsuffi-zienz sollte der Blutdruck auf keinen Fall unter 120 mmHg systolisch ge-senkt werden.

Hochdruckmedikamente

Es wird betont, dass die Blutdrucksen-kung das Wichtigste darstellt. Dennoch gibt es nach Studienlage eine Rangfolge, die empfohlen wird: ACE-Hemmer und – falls UAW – als Ersatz AT1-Blocker an erster Stelle. Dann bei Kombinations-notwendigkeit entweder zusätzlich Cal-ciumantagonisten oder ein Diuretikum. Beta-Blocker dann bei weiterer Kom-binationsnotwendigkeit.

Der kombinierte Einsatz von AT1-Blocker plus ACE-Hemmer soll nur dem Spezialisten für einige Sonderfälle vorbehalten bleiben; die Studienlage spricht nicht für einen breiten Einsatz.

Liegt kein Hochdruck, aber eine Nephropathie vor, so gibt es aus der Stu-dienlage heraus keinen Hinweis, dass dennoch z. B. ACE-Hemmer eingesetzt werden sollen.

Zielwert für Hyperlipidämie

Die Studienlage zum klinischen Nutzen der Behandlung einer Hyperlipidämie in Bezug auf die Verbesserung bzw. Verhin-derung einer diabetischen Nephropatie ist sehr unzureichend. Daher wird nur in Form eines Statements, nicht einer Emp-fehlung, gesagt, dass ein LDL-Choleste-rin unter 100 mg% empfohlen wird.

Liegt erst einmal eine Niereninsuffi-zienz vor, so scheint nach Studienlage eine Cholesterinsenkung dann nicht mehr nennenswerte Auswirkungen auf den Verlauf der Nierenerkrankung zu haben.

Entscheidet man sich zu einer Sen-kung des LDL-Cholesterins, dann sollten Statine verwendet werden. Dabei werden zwei Optionen angeboten, über deren Be-rechtigung nach Literatur nicht endgültig zu entscheiden ist: Titration auf den emp-fohlenen Zielwert oder feste Dosis ohne weitere Beachtung des Wertes selbst. Ab einer Clearance von < 50 ml / Min muss eine Dosisanpassung der Statine Lovasta-tin, Simvastatin und Rosuvastatin erfol-gen. Atorvastatin, Fluvastatin und Prava-statin müssen nicht angepasst werden.

Individuelle Therapieziel- Vereinbarung

Auch in dieser Leitlinie gilt, dass die Therapieziele nach aufklärendem Ge-spräch mit dem Patienten zwischen Arzt und Patient selbst festgelegt werden sol-len und hierbei auch Abweichungen von den angegebenen Zielwerten in Be-zug auf HbA1c, Blutdruck und Choleste-rin resultieren können.

Pruritus und Restless Leg Syndrom

Es werden einige Hinweise – meist nicht gut durch Studien gesichert – zu Thera-piemöglichkeiten gegeben.

Nierenersatztherapie

Sowohl der Zeitraum vor als auch der nach Nierenersatztherapie ist in der Leitlinie detailliert abgehandelt.

Interessenkonflikte: keine angege-ben.

... Facharzt für Allgemeinmedizin und Facharzt für Innere

Medizin. Langjährig in Klinik und Allgemeinpraxis tätig.

Seit 1998 Leiter der Abteilung für Allgemeinmedizin der Uni -

versität Düsseldorf.

Prof. Dr. med. H.-H. Abholz ist ...

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Abholz:Neue Nationale Versorgungsleitlinie (NVL) zu „Nierenerkrankungen bei Diabetes im Erwachsenenalter“The New National Health Care Guideline „Renal Disease in Diabetes in Adults“

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Ausbildungslehrgang für Allgemeinmedizin in Südtirol / ItalienErfahrungen eines Kursteilnehmers nach der dreijährigen Ausbildung zum Allgemeinmediziner

Course of Studies for Family Practitioners in South Tyrol / Italy

A Field Report of a Course Participant after a 3-Year Training in Family Practice

Paul Gufler1

Hintergrund: Durch die Neugestaltung des Lehrgangs für Allgemeinmedizin in Südtirol versucht man, den bestehen-den Ausbildungsstandard qualitativ zu verbessern und ihn auf das Niveau anderer europäischer Länder anzuheben.Ziel: Ziel dieses Erfahrungsberichts ist, dem interessierten Leser Wissenswertes über den Ausbildungskurs in Südtirol zu vermitteln, Besonderheiten des didaktischen Aufbaus im Vergleich zu anderen Lehrmodellen anzuführen und in ei-ner kritischen Auseinandersetzung eine subjektive Wertung vorzunehmen.Methodik: Es handelt sich bei diesem Artikel um einen Er-fahrungsbericht, der sich in 3 Abschnitte mit einer kurzen Einführung zum Thema, der Ausführung zum metho-dischen Aufbau der Ausbildung und einer abschließenden kritischen Betrachtung aufteilt.

Schlüsselwörter: Ausbildungslehrgang für Allgemeinmedizin in Südtirol, Methodischer Aufbau und Kursprogramm, Lehrpraxis für Allgemeinmedizin, Tutor

Background: The new structure of vocational training in family medicine in South Tyrol (Italy) is planned to improve the quality standard of education and to streamline it to the level of other European countries.Aim: To inform interested readers about this new course, its didactic specificities compared to other educational models and make a critical but subjective assessment.Methods: This is an experience report, which is structured in 3 parts (short introduction, educational methods and final critical considerations).

Keywords: vocational training course, family medicine, South Tyrol, course program, teaching practice, tutor

Peer reviewed article eingereicht: 20.05.2010, akzeptiert: 27.07.2010DOI 10.3238/zfa.2011.0031

31AUSBILDUNG / EDUCATION

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Hintergrund

Die Neugestaltung des Lehrgangs für Allgemeinmedizin in Südtirol entstand aus dem Bedürfnis, den Ausbildungs-standard auf das hohe Niveau wie in an-deren europäischen Ländern zu heben, den Universitätsabsolventen die Mög-lichkeit zu geben, die Allgemeinmedizin näher kennenzulernen und nicht zu-letzt den Teilnehmern ein fundiertes Wissen in diesem Fach zu vermitteln.

Es muss in diesem Zusammenhang auch erwähnt werden, dass derzeit ein Großteil der Südtiroler Medizinstuden-ten an österreichischen und italie-nischen Universitäten studiert. In bei-den Ländern haben die Auszubildenden dabei zwar die Möglichkeit, ein breites Spektrum der einzelnen medizinischen Fachgebiete kennenzulernen, nur in Wien und Salzburg erkannte man aber bisher die Notwendigkeit, einen Lehr-stuhl für Allgemeinmedizin zu imple-mentieren. Für die Mehrzahl meiner Studienkollegen und -kolleginnen be-schränkte sich demnach das vorhande-ne Wissen bezüglich der Allgemeinme-dizin auf Volontariate, persönliche Kon-takte zu Hausärzten oder auf spezielle Fachliteratur.

Ich selbst empfand nach einer lan-gen theoretischen Ausbildung das Be-dürfnis, mich in der medizinischen Pra-xis weiterzubilden und mir eine mög-lichst große Anzahl klinischer Fertigkei-ten anzueignen. Dazu kam auch die prä-gende Zeit bei einem erfahrenen Prakti-ker, der in mir das Interesse für die All-gemeinmedizin weckte und aufzeigte, wie wichtig in diesem Beruf das vertrau-ensvolle Verhältnis zum Patienten und deren kontinuierliche Betreuung ist. Gleichzeitig faszinierte mich auch die Tatsache, ohne aufwendige apparative Diagnostik eine qualitativ hochwertige Medizin zu betreiben.

Unter solchen Voraussetzungen be-gann ich im Juli 2004 nach erfolgrei-chem Bestehen einer Aufnahmeprüfung mit 14 weiteren Kolleginnen und Kolle-gen einen dreijährigen Ausbildungslehr-gang. Dabei befand sich unser Kurs mit 12 weiblichen und 3 männlichen Teil-nehmern im allgemeinen Trend der Zeit, demzufolge der Arztberuf wohl eine „ro-sa“ Zukunft haben wird.

Auch das Verhältnis der Anzahl von deutsch- und italienischsprachigen Aus-zubildenden mit 11 : 4 spiegelte recht gut

den Bevölkerungsanteil der 2 Sprach-gruppen in der autonomen Provinz Bo-zen wieder. Diese Tatsache und als Folge dessen, die bestehende Notwendigkeit, den Kurs zweisprachig auszurichten, ha-be ich aber keinesfalls als Nachteil emp-funden, sondern ich erkannte darin viel-mehr die Möglichkeit, medizinische Fachausdrücke in der jeweils anderen Sprache zu erlernen, den oftmals kultu-rell verschieden geprägten Ansatz bei der Betreuung der Patienten zu entdecken und ein Schulmodell in der Praxis zu tes-ten, das zwar politisch umstritten, aber vom pädagogischen Standpunkt aus si-cherlich zukunftsweisend ist.

Methodischer Aufbau mit Kursprogramm der Ausbildung

Die Sonderausbildung in Allgemeinme-dizin gliedert sich in 2 Module: einen praktischen Abschnitt, der in den Klini-ken bzw. bei niedergelassenen Ärzten absolviert werden muss und einen theo-retischen Teil mit Seminaren, deren In-halte vor allem aus Themen der All-gemeinmedizin bestehen.

Die Kursteilnehmer müssen am An-fang für 3 Wochen und gegen Ende des Kurses für 6 Monate in Lehrpraxen ak-kreditierter Allgemeinmediziner hospi-tieren. Die restliche Zeit des dreijährigen Kurses erfolgt schlussendlich als Turnus-dienst in den verschiedenen Fachabtei-lungen der Landeskrankenhäuser.

Die Dauer der einzelnen Abschnitte unterschied sich je nach Bedeutung und statistischer Häufigkeit bestimmter Krankheitsbilder in der Allgemeinmedi-zin und betrug 1 Jahr für Innere Medi-zin, 3 Monate für Chirurgie und Pädia-trie, 2 Monate für Dermatologie und Or-thopädie, 1 Monat für HNO und Psy-chiatrie und 2 Wochen für Gynäkologie, Augenheilkunde und Urologie.

Für weitere 6 Wochen konnte sich jeder Teilnehmer ein Wahlfach aus-suchen und dadurch vor allem Diszipli-nen abdecken, die entweder im Studien-plan nicht vorgesehen oder im persönli-chen Interesse lagen.

Um eine bessere Betreuung der Kurs-teilnehmer innerhalb der Krankenhäu-ser zu erreichen, beauftragte man Fach-ärzte der jeweiligen Abteilungen, die als Ansprechpartner und Tutoren dienen sollten.

Für organisatorische Angelegenhei-ten sowie die Koordinierung und die Aussprachen innerhalb der Gruppe wa-ren hingegen der Direktor des Ausbil-dungslehrgangs, Dr. Giuliano Piccoliori, das Sekretariat mit Dr. Maria Vittoria Habicher und Dr. Dietmar Lobis verant-wortlich.

Das Ziel des dreijährigen Kurses soll-te eine bestmögliche praktische und theoretische Ausbildung auf dem Gebiet der Allgemeinmedizin gewährleisten und den Teilnehmern die Fähigkeit ver-mitteln, die häufigsten medizinischen Dringlichkeiten direkt und autonom zu lösen. Zusätzlich sollten sich die Aus-zubildenden während dieser Zeit einen Einblick in Diagnose, Prognose und The-rapie der am häufigsten in der prakti-schen Tätigkeit des Hausarztes vorkom-menden Erkrankungen verschaffen.

Der theoretische Unterricht mit halb- bzw. ganztägigen Seminaren unterteilte sich in die Vermittlung der Untersuchungstechniken und Differenzialdiagnosen verschiedenster Krankheitsbilder, das Kennenlernen einiger Besonderheiten der Allgemein-medizin, wie z. B. der ärztlichen Ent-scheidungsfindung, die ethische Pro-blemlösung, die Betreuung chronisch Kranker, die Gesundheitsförderung und Saluto genese und die Arzt-Patienten- Kommunikation.

In einem Methodenblock sollten schließlich die Kursteilnehmer lernen, neue Erkenntnisse innerhalb der Medi-zin auf der Basis methodischer Grund-kenntnisse besser zu beurteilen und die-se auf deren medizinische Evidenz zu hinterfragen.

Als Referenten beauftragte man Ärzte für Allgemeinmedizin, Klinikärz-te und Professor Heinz-Harald Abholz vom Universitätsklinikum Düsseldorf als wissenschaftlichen Leiter des Aus-bildungslehrgangs.

Persönliche Erfahrungen und kritische Bemerkungen zum Kurs

Nach zweieinhalb Jahren praktischer Er-fahrung, die ich durch Vertretungen und der Eröffnung einer eigenen Arzt-praxis gewonnen habe, erlaube ich mir, abschließend eine subjektive Wertung des Ausbildungslehrgangs vorzuneh-men.

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Gufler:Ausbildungslehrgang für Allgemeinmedizin in Südtirol / ItalienCourse of Studies for Family practitioners in South Tyrol / Italy

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Vorausgeschickt sei, dass mittlerwei-le ein weiterer Kurs begonnen hat und das erwähnte Lehrprogramm in einigen Punkten bereits ergänzt oder abgeändert wurde.

Grundsätzlich konnte ich mir in den 3 Jahren der Ausbildung eine umfang-reiche klinische Erfahrung aneignen, die mir sowohl die Unterschiede und Grenzen der medizinischen Versorgung im Krankenhaus als auch jene in der Hausarztpraxis aufgezeigt hat.

Besonders ausfüllend waren in die-sen 3 Lehrjahren vor allem Tätigkeiten, bei denen man persönlich Verantwor-tung übernehmen und selbstständig ar-beiten durfte. Dies war in einigen Fä-chern durch die begrenzte Zeit leider nicht immer möglich. Mit genügend In-teresse und der nötigen Eigeninitiative konnte man aber auch dabei viel Neues dazulernen. Im ungünstigen Fall be-stand für uns Teilnehmer dennoch die Gefahr, zum Statisten reduziert oder als Aushilfe für lästige Stationsarbeit ver-wendet zu werden.

Die Bedeutung der Tutoren scheint mir hingegen etwas begrenzt zu sein. Wobei im Idealfall, bei gegenseitiger Sympathie, genügend Zeit für Bespre-chungen und mit gemeinsamem Fleiß viel erreicht werden kann.

Besonders lehrreich empfand ich die Ausbildungszeit in den Lehrpraxen für Allgemeinmedizin. Es bestand dabei die Möglichkeit, sich selbst seinen Tutor auszusuchen, sodass von vorneherein eine günstige Voraussetzung für eine gu-te Zusammenarbeit bestand. So konnte man als Auszubildender auf der einen Seite viel von der jahrelangen Erfahrung eines Hausarztes profitieren, Einblicke in die Organisation eines Ambulatori-ums bekommen, eigenverantwortlich Patienten behandeln und, wenn nötig,

auf den Rat seines Tutors zurückgreifen. Der Lehrende auf der anderen Seite wird die gemeinsame Zeit sicherlich als Ar-beitsentlastung empfunden und viel-leicht auch die Gelegenheit ergriffen ha-ben, eine andere Sichtweise auf fest-gefahrene Arzt-Patienten-Beziehungen zu erlangen.

Was die Ausbildungszeit innerhalb der Krankenhäuser betrifft, war sie vor allem dann lehrreich, wenn die Voraus-setzungen, persönliches Interesse am je-weiligen Fach zu zeigen, Eigeninitiative zu ergreifen und aufgeschlossen gegen-über unterschiedlichen medizinischen Behandlungskonzepten bzw. Diagnose-techniken zu sein, stimmten.

Die Tatsache, dass wir uns für even-tuelle Schadensfälle selbst versichern mussten und laut bestehender Gesetzes-lage keine Möglichkeiten bestanden, ak-tive Dienste innerhalb der Krankenhäu-ser abzuleisten, erschwerte eine bessere Integration in den klinischen Alltag und schmälerte sicherlich auch den Lern-erfolg.

Ein großer Vorteil ist hingegen die verschiedenen Kontakte mit Klinikärz-ten, die ich im Laufe der Ausbildung knüpfen konnte. Die Zusammenarbeit durch eine gegenseitige Vertrauensbasis bzw. Bekanntschaft verbessert sich näm-lich beträchtlich und bedeutet beson-ders für uns Jungärzte außerhalb der Krankenhäuser eine große Erleichterung im beruflichen Alltag.

Als sinnvolle Ergänzung zum prakti-schen Teil der Ausbildung habe ich die monatliche Zusammenkunft unserer Kursgruppe bei Seminaren gesehen. Es gab einem die Gelegenheit, Erfahrungen auszutauschen und das erworbene prak-tische Wissen mit theoretischen Grund-lagen zu ergänzen. Dabei fand ich be-sonders jene Inhalte spannend und

lehrreich, die während meiner univer-sitären Ausbildung oftmals zu kurz ge-kommen waren, wie z. B. Vorträge über Psychosomatik oder Palliativmedizin.

Vermisst habe ich hingegen die Möglichkeit, mich während der Ausbil-dung näher mit der Komplementärme-dizin auseinanderzusetzen.

In weiteren Referaten behandelten Klinikärzte fachspezifische Themen über häufige Krankheitsbilder, die hauptsächlich in der Allgemeinmedi-zin von Interesse sind. Der Erfolg dieser Seminare hing wesentlich vom unmit-telbaren Inhalt, dem eigenen Fleiß zur Mitarbeit und vor allem von der unter-schiedlichen Begabung zum mündli-chen Vortrag des jeweiligen Referenten ab. In vielen Fällen wurde dabei speziel-les und detailliertes Fachwissen gelehrt, das zwar interessant und lehrreich war, aber leider auch oft eine gezielte Ausbil-dung für Allgemeinmedizin vermissen ließ. Als Versuch, diesem Tatbestand entgegenzusteuern, empfand ich die Anwesenheitspflicht eines Moderators, der das jeweilige Thema aus der Sicht des Hausarztes schildern sollte. Dies ge-lang in einigen Fällen, oftmals fehlte aber die Synthese oder das Aufzeigen der Unterschiede zwischen Klinikalltag und der Arbeit eines Allgemeinmedizi-ners.

Was den zeitlichen Ablauf der Semi-nare mit halb- bzw. ganztägigen Refera-ten betrifft, finde ich, dass weniger oft mehr bedeuten kann. Vor allem auf-grund der Tatsache, dass der Fantasie und Ausdauer des Vortragenden Gren-zen gesetzt sind und die Zuhörer trotz Zuhilfenahme von Gruppenarbeit und Rollenspielen nach einer gewissen Zeit Ermüdungserscheinungen aufweisen.

Als Absolvent dieser Ausbildung bin ich froh, in ausreichender Weise auf das spätere Berufsleben als Allgemeinmedi-ziner vorbereitet worden zu sein.

Neben dem gut strukturierten didak-tischen Aufbau des Kurses und einem wissenschaftlich fundiertem Grund-gerüst waren es aber schlussendlich die menschlichen Begegnungen mit mei-nen Lehrmeistern und den zahlreichen Patienten, die mich persönlich reifen ließen, tief geprägt und in mir die not-wendige Leidenschaft zum Beruf ge-weckt haben.

... geboren am 12.08.1970 in Meran

Schulausbildung in Brixen

Medizinstudium an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck

Turnusdienst im Krankenhaus Brixen und Staatsprüfung an der

Universität Bologna

Volontariat bei Dr. Karl Lintner, Arzt für Allgemeinmedizin in

Waidbruck

Absolvent des Ausbildungslehrgangs für Allgemeinmedizin 2004–2007 in Südtirol

Seit 2008 Gemeinschaftspraxis mit Dr. Karl Lintner in Klausen und Waidbruck

Dr. med. Paul Gufler ...

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Gufler:Ausbildungslehrgang für Allgemeinmedizin in Südtirol / ItalienCourse of Studies for Family practitioners in South Tyrol / Italy

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Dr. med. Paul Gufler

Langrain 36/A

39043 Klausen Prov. (BZ), Südtirol / Italien

E-Mail: [email protected]

Tel: 0039/0472846071, 0039/3357278995

Korrespondenzadresse: Literatur

Beim vorliegenden Artikel handelt es sich um den Erfahrungsbericht eines Kursteilnehmers. Bei Angaben über den methodischen Aufbau hat sich der Au-tor auf das Kursprogramm gestützt, des-sen Konzeption und Ausarbeitung in der Zuständigkeit der Organisatoren des Lehrganges lag. Diesbezüglich wird auf folgende Adresse verwiesen:

SAKAM (Südtiroler Akademie für All-gemeinmedizin) Wangergasse 1839100 Bozen Prov. (BZ)Tel./Fax: 0039/0471982788E-Mail: [email protected]: www.sakam-acamg.bz.it

Interessenkonflikte: keine angege-ben.

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Evaluation der Implementierung von Innovationen am Beispiel von arriba® – eine FokusgruppenstudieEvaluation of the Implementation of Innovations Using the Example of arriba® – a Focus Group StudyHeidemarie Keller1, Lena Kramer1, Tanja Krones2, Meike Müller-Engelmann1, Erika Baum1, Norbert Donner-Banzhoff1

Einführung: Beispiel für eine seit Jahren weiterentwickelte Innovation ist arriba®, eine konsultationsbezogene Ent-scheidungshilfe für die kardiovaskuläre Risikoberatung in der Hausarztpraxis. Die vorliegende Fokusgruppenstudie diente der Gewinnung von Erkenntnissen zum Implemen-tierungsprozess in hausärztlichen Praxen am Beispiel der komplexen Entscheidungshilfe arriba®.Methode: In einer Wirksamkeitsstudie (Phase III) mit 44 Prüfärzten, die 550 Interventionspatienten rekrutierten, wurde arriba® als komplexe Intervention unter Studien-bedingungen implementiert. 12 PrüfärztInnen der Wirk-samkeitsstudie wurden im Anschluss zu 2 Fokusgruppen eingeladen. Um die größtmögliche Varianz an Aussagen zu gewinnen, zielte die Rekrutierung darauf ab, das ganze Spektrum unterschiedlicher Meinungen und Einstellungen zu arriba® bzw. zu Innovationen allgemein zu erfassen. Die Gruppendiskussionen wurden audio-aufgezeichnet transkri-biert und in Anlehnung an die qualitative Inhaltsanalyse ausgewertet.Ergebnisse: Die identifizierten Bedingungsfaktoren der Implementierung lassen sich unterteilen in subjektive und übergeordnete Gesichtspunkte. Subjektive Faktoren waren Einstellung (Innovationsbereitschaft, Motivation, Akzep-tanz) und Bewertung (Komplexität, Aufwand, Praktikabili-tät). Übergeordnete Aspekte betrafen das berufliche Um-feld (Praxisteam, Kollegen, Patient) sowie das bestehende Gesundheitssystem (Kultur, gesetzlicher Rahmen, Budget).Schlussfolgerungen: Auf der Basis der hier identifizierten Bedingungsfaktoren des Implementierungsprozesses von arriba® entwickelten wir eine Checkliste als modellbasierte Vorgehensweise, die als Leitfaden bei der Entwicklung und Implementierung von Interventionen im medizinischen Kontext dienen kann.

Schlüsselwörter: Medizinische Grundversorgung, qualitative Forschung, Implementierung von Innovationen, Allgemeinmedizin

Background: There is an emerging evidence base on the effectiveness of implementation strategies to close the knowledge-practice gap. The aim of this focus group study was to identify key factors as indicators for a successful im-plementation of arriba®, a decision aid in cardiovascular prevention.Methods: A qualitative approach using focus groups com-prising 12 family practitioners from the intervention group (n=44) of a randomized controlled trial on disseminating a transactional decision aid for cardiovascular prevention. The sampling strategy was stratified and purposive. The sessions were audio-taped, transcribed and analysed ac-cording to the principles of the qualitative content analysis.Results: The identified key factors can be separated into subjective and higher ranking aspects. Subjective factors were attitude (readiness for innovations, motivation, ac-ceptance) and assessment (complexity, effort, practicabil-ity). Higher ranking aspects affected the occupational area (team, colleagues, patients) as well as the relevant health system (culture, statutory framework, budget).Conclusion: Based on these identified key factors of the implementation process of arriba® a generic model-based check list was developed, which can serve as a guide for the implementation of innovations in the medical en-counter.

Keywords (MeSH): primary health care, qualitative research, diffusion of innovations, evaluation, family practice

1 Abteilung für Allgemeinmedizin, Präventive und Rehabilitative Medizin, Universität Marburg2 Klinische Ethik, Universitätsspital Zürich/Universität ZürichPeer reviewed article eingereicht: 20.07.2010, akzeptiert: 03.11.2010 DOI 10.3238/zfa.2011.0035

35ORIGINALARBEIT / ORIGINAL PAPER

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Hintergrund

Ein evidenzbasiertes Vorgehen in der Medizin bedeutet die Behandlung von Patienten unter der Berücksichtigung der derzeit am besten verfügbaren Evi-denz, bezogen auf den individuellen Be-handlungsfall [1, 2]. Eine hohe Qualität der Patientenversorgung lässt sich aller-dings nur erreichen, wenn Forschungs-ergebnisse und medizinische Innovatio-nen auf breiter Ebene in der ärztlichen Praxis umgesetzt werden [3].

Beispiel für eine seit Jahren weiter-entwickelte Innovation ist arriba®, eine konsultationsbezogene Entscheidungs-hilfe für die Herzkreislaufrisikoberatung in der Hausarztpraxis. arriba® ist eine hausärztliche Beratungsstrategie zur pa-tientenzentrierten und risikoadäquaten Verordnung in der kardiovaskulären Prävention. Das Gesamtkonzept verbin-det die evidenzbasierte Berechnung und patientengerechte Darstellung des indi-viduellen absoluten 10-Jahres-Risikos für schwere kardiovaskuläre Ereignisse (Herzinfarkt und Schlaganfall). Es wer-den aber auch wissenschaftliche Er-kenntnisse über Risikokommunikation, Gesprächsführung und partizipative Entscheidungsfindung (shared decision making) einbezogen. Hinweise zur pra-xisangepassten Gesprächsführung hel-fen, Patienten tatsächlich zu informier-ten Partnern werden zu lassen; Beispiele und Praxishilfen erleichtern die Anwen-dung.

Die Implementierung von arriba® wurde anhand des Leitfadens des briti-schen Medical Research Council (MRC)

für komplexe Interventionen konzipiert (Abb. 1) [4].

Die Entwicklung des Beratungstools arriba® hatte bereits 2001 begonnen. Zu epidemiologischem Hintergrund, Bera-tungstechniken, partizipativer Entschei-dungsfindung, Umsetzungsmodulen und Akzeptanz der Zielgruppe wurden Pilotstudien unternommen. So wurde zunächst eine Vorstudie zur Akzeptanz und Umsetzbarkeit in der hausärzt-lichen Praxis durchgeführt [5]. Hausärz-te, die an Weiterbildungsveranstaltun-gen zu arriba® teilgenommen hatten, wurden strukturiert nach ihren Erfah-rungen mit der Methode befragt, nach der Akzeptanz durch die Patienten, dem Zeitaufwand, den Konsequenzen (z. B. Verschreibung / Nicht-Verschreibung) und dem Nutzen der Umsetzungshilfen (Materialien). Dies mündete in einer Pi-lotstudie zur Evaluation der Materialien für die geplante Hauptstudie [6]. In ihrer Zielsetzung entsprach diese einer Phase I/II-Studie zur Entwicklung und Erpro-bung „komplexer Interventionen“ (vgl. Abb. 1).

Die Wirksamkeit dieser Innovation unter Studienbedingungen nachzuwei-sen, war das Ziel einer randomisierten, kontrollierten Studie (Phase III) mit ins-gesamt 44 Prüfärzten, die 550 Interven-tionspatienten rekrutierten sowie 47 Kontrollärzten, die ihrerseits 582 Patien-ten in die Studie einbrachten [7].

Die vorliegende Fokusgruppenstu-die diente schließlich als eine Phase IV-Studie der Gewinnung von Erkenntnis-sen zum Innovationsprozess in haus-ärztlichen Praxen. Zentrales Anliegen

war die Identifizierung relevanter Bedin-gungsfaktoren für eine nachhaltige Im-plementierung von arriba® in die Praxis mittels eines qualitativen Studien-designs nach Studienteilnahme.

Methoden

Zur Beantwortung der genannten For-schungsfrage wurden nach Ende der Hauptstudie 2 Fokusgruppen mit an der Phase-III-Studie beteiligten Prüfärzten durchgeführt und die gewonnenen Da-ten qualitativ ausgewertet.

Fokusgruppen werden in der Aus-wertungsphase großer quantitativer Studien genutzt, um die Interpretation der Daten zu unterstützen und Bezie-hungszusammenhänge zu klären [8]. Um die größtmögliche Varianz an Aus-sagen zu gewinnen und den Auswahlbi-as gering zu halten, zielte die Rekrutie-rung deshalb darauf ab, das ganze Spek-trum unterschiedlicher Meinungen und Einstellungen zum Forschungsgegen-stand zu erfassen. Die Teilnehmer soll-ten sich hinsichtlich ihres Engagements für die Studie, ihrer Einstellung zum ar-riba®-Instrument sowie ihrer Haltung zu Innovationen möglichst stark unter-scheiden (maximum variation). Ent-sprechend wurden Kollegen gezielt und schrittweise ausgewählt (purposive sample) [9, 10]. Dazu wurde der Motiva-tionsgrad (Skeptiker – geringe Motivati-on, Interessierter – mittlere Motivation, Enthusiast – hohe Motivation) aller teil-nehmenden Interventionsärzte anhand festgelegter Kriterien in einem Evaluati-onsbogen direkt im Anschluss an die Fortbildungsveranstaltungen im Rah-men der Phase-III-Studie ermittelt. Be-züglich der Anzahl oder Größe der Fo-kusgruppe streuen die Empfehlungen in Abhängigkeit von den zeitlichen Vorga-ben für Gruppendiskussionen relativ breit und bewegen sich in der Regel zwi-schen 4 und 8 Teilnehmern, da ansons-ten eine professionelle Moderation kaum mehr gewährleistet werden kann. Entsprechend wurden 12 Hausärzte zu den beiden Fokusgruppen (je 6 Teilneh-mer) eingeladen. Der zeitliche Rahmen wurde jeweils auf 2 1/2 Stunden fest-gelegt. Die Moderation der Fokusgrup-pen wurde von 2 Diskussionsleitern übernommen, die nicht aus dem arri-ba®-Studienteam stammten. Neben ei-nem als QZ-Moderator erfahrenen

Abbildung 1 Evaluation komplexer Intervention – Stadienmodell entsprechend dem Leitfaden

des britischen Medical Research Council (MRC). Campbell et al. 2000.

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Keller et al.:Evaluation der Implementierung von Innovationen am Beispiel von arriba® – eine FokusgruppenstudieEvaluation of the Implementation of Innovations Using the Example of arriba® – a Focus Group Study

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Hausarzt wurden die Treffen von einer Gesundheitswissenschaftlerin mit Er-fahrungen in Gruppendiskussionen und qualitativen Forschungsmethoden moderiert.

Die Gruppendiskussionen, die sich an einem zuvor erstellten Interviewleit-faden orientierten, wurden audio-auf-gezeichnet und im Anschluss transkri-biert. Es folgte die inhaltliche Analyse der Textsegmente zu den einzelnen Ka-tegorien. Der Kodierleitfaden wurde im gesamten Auswertungsprozess wieder-holt überprüft, ergänzt bzw. zusammen-gefasst [11]. Die Daten wurden unab-hängig voneinander von 2 Wissen-schaftlerinnen mit Hilfe von MaxQDA, einem computergestützten Programm

für qualitative Interviews [12], aus-gewertet und lehnte sich in der Bearbei-tung an den Vorgaben der qualitativen Inhaltsanalyse an [13, 14].

Ergebnisse

Stichprobe

Von den 12 eingeladenen Ärzten nah-men insgesamt 9 an den beiden Fokus-gruppen teil. 3 Ärzte mussten ihre Teil-nahme aufgrund von Terminüber-schneidungen kurzfristig absagen. Rele-vante soziodemografische Daten der Teilnehmer sind in Tabelle 1 zusammen-gefasst.

Vom arriba®-„Enthusiasten“ (E), der mittlerweile alle seine Patienten mit die-ser Strategie berät und für weitere Kolle-gen eine arriba®-Schulung plant, bis zum „patriarchalischen Skeptiker“ (S), der Neuerungen generell kritisch gegen-übersteht und das Konzept kardiovasku-lärer Risikokalkulation ablehnt, waren in der Diskussionsrunde alle Einstel-lungsnuancen / -tendenzen vertreten.

Bedingungsfaktoren der Implementierung

Wie in Tabelle 2 abgebildet, konnten re-levante Schlüsselkategorien extrahiert werden, die im Folgenden durch einzel-ne Originalzitate veranschaulicht wer-den.

Die identifizierten Bedingungsfak-toren lassen sich unterteilen in subjekti-ve und übergeordnete Kriterien.

Subjektive Kriterien umfassen die Schlüsselkategorien „Persönliche Einstel-lung zu Innovationen“ und „Individuelle Bewertung der Entscheidungshilfe“.

Die „Persönliche Einstellung zu In-novationen“ lässt sich in die Aspekte ge-nerelle Innovationsbereitschaft, allgemei-ne Motivation und Akzeptanz der Ent-scheidungshilfe untergliedern.

So bot arriba® einigen der Teilneh-mer die Möglichkeit, ihre Beratungs-gespräche zu verbessern und zu struktu-rieren. Der Anwendungsbezug für den Praktiker war somit klar gegeben, wie folgende Zitate verdeutlichen:

„[...] erst mal find‘ ich es gut, bei dieser

schwierigen Entscheidung was präventiv ei-

gentlich sinnvoll ist, überhaupt Kriterien an

die Hand zu kriegen und diese Kriterien

auch relativ einfach dem Patienten mittei-

len zu können.“

Komponenten der Schlüsselkatego-rie „Individuelle Bewertung der Ent-scheidungshilfe“ waren Komplexität der Entscheidungshilfe, zusätzlicher Auf-wand durch die Innovation und Prakti-kabilität im Praxisalltag.

Die Eignung von arriba® als Ent-scheidungshilfe im Praxisalltag wurde kontrovers diskutiert. Während einige Diskussionsteilnehmer arriba® als struk-turelle und argumentative Bereicherung für die Routineberatung empfanden, sa-hen andere die Anwendbarkeit einge-schränkt.

„Das war, ist mir auch ein paar Mal so

gegangen, dass man sagt, Mensch, dem

muss ich was [Medikamente] geben, aber

Tabelle 1 Soziodemografische Daten der teilnehmenden Ärzte und Ärztinnen.

Tabelle 2 Klassifikation der Bedingungsfaktoren für die Implementierung von arriba®.

Geschlecht (n)

Alter (MW; Spanne)

Praxislage (n)

Niederlassungszeit (MW; Spanne)

Motivation (n)

männlich

weiblich

Jahre

Stadt

Land

Jahre

gering / Skeptiker (S)

mittel / Interessierter (I)

hoch / Enthusiast (E)

5

4

47 (32–63)

4

5

18 (11–25)

2

5

2

Kriterien

Subjektive Kriterien

Übergeordnete Kriterien

Schlüsselkategorie

Persönliche Einstellung zu Innovationen

Individuelle Bewertung der Entscheidungshilfe

Berufliches Umfeld

Geltendes Gesundheitssystem

Komponenten

Generelle Innovations -bereitschaftAllgemeine Motivation Akzeptanz der Innovation

Komplexität der EntscheidungshilfeZusätzlicher Aufwand Praktikabilität im Praxisalltag

Kontakt zum PraxisteamAustausch mit KollegenFürsorgepflicht gegenüber dem Patienten

gesellschaftspolitische Kulturgesetzlicher Rahmen vorhandenes Budget

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Keller et al.:Evaluation der Implementierung von Innovationen am Beispiel von arriba® – eine FokusgruppenstudieEvaluation of the Implementation of Innovations Using the Example of arriba® – a Focus Group Study

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im Grunde nachher, wenn ich das mal

schnell für mich durchgespielt hab, hab ich

gesehen, eigentlich liegt der unter diesen kri-

tischen Punkten [...] Und braucht nichts,

ja? Das war für mich ganz toll.“

„Nun gut, das hatte ich auch und grad

bei Älteren. Zum Beispiel ´ne fitte Dame,

Mitte achtzig, aber immer erhöhtes Choles-

terin. Und jedes Mal hatten wir die Diskus-

sion, machen wir was, machen wir nichts?

Und dann hab ich gesagt, gut ARRIBA und

es kam heraus, sie hat sowieso ein unter-

durchschnittliches Risiko und da konnte ich

ihr anhand der, des Bogens dokumentieren,

dass keine weiteren Maßnahmen sinnvoll

sind und nicht notwendig sind. Und das

war von daher auch für uns beide dann

ganz befriedigend.“

Die Entscheidungshilfe lag zum Zeitpunkt der Intervention lediglich im Papierformat vor, welche eigenständige Risikoberechnungen „im Kopf“ verlang-te. Dies wurde von einigen Anwendern als zu aufwendig und umständlich kriti-siert.

„Äh, mir war das zu viel Aufwand, ja,

es war extrem, ja, fand ich. Also es war

schwierig diesen Bogen schon zu bearbeiten,

wenn man den mal zwei Wochen nicht ge-

sehen hat dann muss man wirklich über-

legen, wie geht das eigentlich genau mit den

Prozenten und wie ziehe ich das ab? Ja.“

Zu den übergeordneten Kriterien gehört das „Berufliche Umfeld“ des Hausarztes, das geprägt ist durch den Kontakt und die Zusammenarbeit mit dem Praxisteam, den Austausch mit Kol-

legen sowie die Betreuung ihrer Patien-

ten. Im Falle der fachlich medizinischen Übereinstimmung mit relevanten Be-zugsgruppen, wie den Kollegen im zu-gehörigen Qualitätszirkel, war die Im-plementierung in die Praxisroutine be-günstigt.

„[...] zusammengefasst denke ich, für

mich persönlich und für die Kollegen war’s

positiv, einfach um ‘ne … um eine, in An-

führungszeichen, objektive Einschätzung

des Patienten zu bekommen, was relativ,

sich gut und schnell umsetzen lässt, [...]“

„Ja, ich bin niedergelassen seit … sech-

zehn Jahren in ‘ner Gemeinschaftspraxis

mit drei weiteren Kollegen. [...] und ja, wir

fanden das halt, die Beteiligung an diesem

Projekt, ganz interessant, weil es teilweise

so die Arbeit, die wir vorher gemacht haben,

auch ein bisschen ergänzt.“

„Und hab auch so bei den anderen Kol-

legen, mit denen ich mich so treffe da in un-

serem Hausarztzirkel und so, die haben das

Alle nicht gemacht. Und ich merke, grad

heute Nachmittag merk ich das, es ist ein-

fach was Anderes. Die Einführungskurse

waren schon gut, als wir da in einer Gruppe

saßen und gesprochen haben und jetzt auch

wieder. Einfach so neue Ideen, also dass

auch die Behandler denke ich, noch mal

dann wieder so ‘nen Motivationsschub

brauchen.“

Einige Hausärzte sahen die Anwend-barkeit von arriba® auf bestimmte Pa-tientengruppen beschränkt.

„Und dann gibt’s ja Patienten, die ein-

fach, von meinem Empfinden her, dafür

auch nicht geeignet sind, mit denen man

das nicht diskutieren kann, wo aber schon

die Entscheidung im Raum steht […] Offen-

bach Innenstadt, das ist ja, ist ja schon ‘nen

Klassiker für sich und dann haben Sie je-

manden vor sich sitzen, so ‘nen Marokka-

ner, der kaum Deutsch spricht. Jetzt reden

Sie mal mit dem. Das ist ganz schwierig, al-

so dem kann ich nicht mit arriba kommen,

das läuft nicht.“

Die fehlende Nachhaltigkeit der Im-plementierung über den Studienzeit-raum hinaus wurde von den Studienteil-nehmern teilweise kritisiert.

„Jetzt, nach ‘nem halben Jahr, kommt

‘ne Riesenernüchterung […] kein Mensch

[Arzt und Patient] erinnert sich mehr an

dieses Interview von damals, dieses Ge-

spräch, also so war mein Gefühl.“

Auf der übergeordneten Ebene des „Geltenden Gesundheitssystems“ spie-len die gesellschaftspolitische Kultur, der gesetzliche Rahmen und das dem einzel-nen Hausarzt zur Verfügung stehende Budget (Zeit; finanzielles Volumen) eine Rolle.

Eine erfolgreiche Implementierung erklärt sich nicht zuletzt durch die zeitli-chen und inhaltlichen parallel stattfin-denden Veränderungen im Gesund-heitssystem, in dem der Präventions-gedanke in den Vordergrund rückte. Während dies von einigen Fokusgrup-penteilnehmern bestätigt wurde, sahen andere diese Entwicklung bei der aktuel-len gesundheitspolitischen Lage als der-zeit nicht realisierbar.

„Die Herzkreislaufängste haben und da

ist es doch gut, wenn man denen auch zei-

gen kann, ihr Risiko ist jetzt wirklich ganz

gering und sie machen das Richtige, ... Und

damit kann man sicher auch Kosten verrin-

gern“.

„... wenn es rein als Präventionsmaß-

nahme gilt, ist es nicht Aufgabe der Kasse,

[dies] zu bezahlen“

Neuerungen im Gesundheitssystem können für den einzelnen Hausarzt al-lerdings auch mit Mehraufwand im Pra-xisalltag wie z. B. Veränderungen im Ab-rechnungssystem, in der Dokumentati-on und Logistik verbunden sein, was ei-ne nachhaltige Implementierung der In-novation beeinträchtigen kann.

„Ja, und ich sag mal, man ist sowieso

momentan in so ´ner Situation wo man

nicht Lust hat viel auszufüllen, wirklich

nicht, weil man ja ständig am ausfüllen

ist.“

Daneben erfordert der Einbezug neuer bzw. anderer medizinischer (La-bor-)werte die Bereitschaft auf Seiten des Arztes, diese zukünftig zu erheben und zu berücksichtigen.

„Bei mir scheitert das da dran, dass ich

das öfter mache, weil ich so routinemäßig

das HDL gar nicht mitbestimme [...] Da je-

der Laborwert, der mich noch was kostet,

und man weiß sowieso [...] nicht, ob man

jemals irgendwas an Wert zurückbekommt,

ja? [...] Da bin ich auch etwas geizig mit

den Laborwerten.“

Diskussion

Bedingungsfaktoren für die Implementierung von arriba®

Die Fokusgruppenteilnehmer nennen bei Befragung sowohl subjektive als auch übergeordnete Kriterien als rele-vante Gesichtspunkte für die Annahme oder Ablehnung der Innovation arriba® (vgl. Tab. 2).

Die gefundenen Ergebnisse lassen sich im Kontext mit Arbeiten anderer Autoren diskutieren. So werden als mög-liche Quellen von Hindernissen für Ver-änderungsprozesse die Ebenen der Ak-teure, der Organisation und des Inhalts der Innovation, die sich alle gegenseitig beeinflussen, genannt [15]. Rogers un-terscheidet auf der Ebene der Akteure Fä-higkeits- und Willensbarrieren [16]. Grol und Grimshaw betonen den Zu-sammenhang zwischen einer erfolgrei-chen Implementierung und routine-mäßiger Anwendung auf der einen Seite und strategischen Maßnahmen, die den Fokus auf Team- und Institutionsebene legen sollten, auf der anderen Seite [17]. In Anlehnung an die Diffusionstheorie wird eine routinemäßige Anwendung nur erreicht, wenn eine Innovation adoptionsrelevante Eigenschaften auf-

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Keller et al.:Evaluation der Implementierung von Innovationen am Beispiel von arriba® – eine FokusgruppenstudieEvaluation of the Implementation of Innovations Using the Example of arriba® – a Focus Group Study

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weist [16]. Dabei werden verschiedene Stufen des Adoptionsprozesses unter-schieden: Knowledge (von einer Inno-vation erfahren), Persuasion (von einer Innovation im positiven oder negativen Sinn überzeugt werden), Decision (sich für oder gegen eine Innovation ent-scheiden), Implementation (die Innova-tion implementieren) und Confirmati-on (die Innovationsentscheidung bestä-tigen und weiter nutzen oder rückgän-gig machen).

Die Implementierung wird nur ge-lingen, wenn die Innovation einen Vor-teil gegenüber den bisher verfügbaren Ressourcen aufweist und die aktuelle Evidenzlage unterstützt, wobei der Im-plementierungsprozess auch eine sozia-le Komponente aufweist, die von kolle-gialen Interaktionen geprägt wird [18].

Mit arriba® steht nun eine auf ihre Wirksamkeit evaluierte hausärztliche Beratungsstrategie zur Verfügung. Die erfolgreiche Implementierung von arri-ba® war nicht zuletzt begründet durch die konsequente und systematische Vor-gehensweise im Prozessverlauf. Wich-tigstes Prinzip dieser Untersuchungen ist gewesen, das Feedback von Hausärz-ten und Patienten systematisch zu nut-zen. Keine andere Entscheidungshilfe im deutschsprachigen Raum kann einen solchen Stand wissenschaftlicher Eva-luation aufweisen.

Modellbasierte Vorgehensweise bei der Implementierung von Innovationen

Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse unserer Studie möchten wir Entwicklern von Innovationen eine Checkliste (s. Abb. 2) an die Hand geben, die relevante Einflussfaktoren für die eigene Imple-mentierungsstrategie aufzeigen kann.

Dem Prozess der Implementierung folgend, stellen wir unserem Modell die 3 Prozessschritte „Analyse“, „Interventi-on“ und „Evaluation“ voran. Diese drei Schritte werden in jeder Phase der Im-plementierung (Phase I–IV, vgl. Abb. 1) durchlaufen. Orientierend an dem Leit-faden des britischen Medical Research Council (MRC) für komplexe Interven-tionen ist die nachhaltige Implementie-rung abhängig von der Berücksichti-gung verschiedener Determinanten auf den 3 Ebenen des Gesundheitssystems,

der Mikroebene (Individualakteure), der Mesoebene (Organisationen und Insti-tutionen) und Makroebene (staatliche Akteure). Diese stehen in enger Wech-selbeziehung untereinander und unter-liegen einem stetigen Veränderungspro-zess.

Grundsätzlich wird der gesamte Prozess der Implementierung geleitet von Wollen als kognitive Dimension von Verhalten und Können als prakti-sche Dimension von Verhalten. Ob Ärz-te ihr Verhalten im Versorgungsalltag ändern wollen, hängt ab von kogniti-ven Dissonanzen (ein Nebeneinander von nichtvereinbaren Wahrnehmun-gen, Gedanken, Gefühlen), von subjek-tiven Normen (Erwartungshaltung, den Vorstellungen anderer entspre-chend zu handeln), von Erwartungen des Patienten an das ärztliche Handeln, von Anschlussfähigkeit, Evidenzbasie-rung und Plausibilität. Umsetzungs-zuversicht und -motivation werden hier maßgeblich von der Ausprägung der genannten Unterkategorien be-stimmt.

Ob Ärzte ihr Verhalten im Versor-gungsalltag ändern können, ist abhän-gig von Komplexität, Erlernbarkeit und Testbarkeit der Innovation, von der Ein-passung der Innovation in den Praxisall-tag, vom direkten Feedback und den Kosten der Innovation. Grundlagen die-ser Dimension sind fachliches Wissen und individuelle Kompetenz des Arztes sowie Rahmenbedingungen des Ge-sundheitssystems.

Im Zentrum der Implementierungs-forschung stehen Zieldefinition, Interven-

tion und Zielgrößen. Für die Zieldefiniti-on überlegt man zunächst, was man ver-ändern bzw. erreichen will. Dies umfasst strukturelle Voraussetzungen, Überzeu-gungen, Kompetenzen und Verhalten im Alltagskontext. Es folgt die Interven-tion, die sich aus prädisponierenden Maßnahmen, Erinnerungshilfen und Feedback zusammensetzt. Die aus Ziel-definition und Intervention resultieren-den Veränderungen werden anhand von professionellem Verhalten, Patien-tenzufriedenheit und Patienten-Outco-me als Zielgrößen gemessen. Obwohl die Ziel- und Beobachtungseinheit in der Regel Bestandteil der Mikroebene ist, dürfen die übergeordneten Ebenen des Gesundheitssystems im Hinblick auf ei-ne erfolgreiche Implementierung nicht vernachlässigt werden.

Das Modell ist somit als dynamisch im Sinne eines Kreislaufs von Interventi-on, Evaluation und Modifikation als Ausgangspunkt einer weiteren Analyse zu sehen und lässt sich dementspre-chend an unterschiedliche Gesund-heitssysteme und verschiedene medizi-nische Fragestellungen adaptieren.

Stärken und Schwächen der Studie

Das in der Implementierungsforschung oft verwendete Fokusgruppendesign diente der Erfassung eines breiten Mei-nungsspektrums hinsichtlich einer zu

Abbildung 2 Implementierung: eine modellbasierte Checkliste

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Keller et al.:Evaluation der Implementierung von Innovationen am Beispiel von arriba® – eine FokusgruppenstudieEvaluation of the Implementation of Innovations Using the Example of arriba® – a Focus Group Study

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evaluierenden Maßnahme, wobei kein Anspruch auf Repräsentativität erhoben wird. Da die Klassifikation von die Im-plementierung beeinflussenden Fak-toren im Mittelpunkt der vorliegenden Studie lag [19], kann die gewählte quali-tative Forschungsmethode für die unter-suchte Forschungsfrage dennoch als am besten geeignet angesehen werden. Mögliche kognitive Verzerrungen müs-sen hinsichtlich der Rekrutierungs-methode (Auswahlbias) bzw. der Befra-gungsmethode (situative soziale Er-wünschtheit) diskutiert werden. Bei der vorliegenden Studie stand die Ergiebig-keit der einzelnen Aussagen im Vorder-grund, die Repräsentativität eher im Hintergrund. Mögliche Verzerrungen durch das Phänomen der sozialen Er-wünschtheit können im Rahmen der vorliegenden Studie aufgrund ihres Dis-kussionscharakters nicht vollständig ausgeschlossen werden.

Schlussfolgerungen

Eine nachhaltige Implementierung von Innovationen erfordert eine explizite Festlegung von Strategien und Maßnah-men auf verschiedenen Ebenen des Ge-sundheitswesens (edukativ, finanziell, organisatorisch und regulatorisch). Erst dann ist eine Modifikation von Einstel-lungen und Bewertungen und damit ein routinemäßiger Einsatz in der Praxis denkbar. arriba® wurde hinsichtlich der oben angeführten Forderungen an die Implementierung in die Praxisroutine evaluiert und angepasst.

So wurde u. a. die häufig diskutierte Komplexität der Papierversion von arri-ba® hinsichtlich des zeitlichen und in-haltlichen Aufwands aufgegriffen und führte zu E-arriba®, einer computer-gestützten elektronischen Weiterent-wicklung von arriba®. Dadurch steht je-dem Hausarzt nun ein einfaches Instru-

ment zur Ermittlung des individuellen kardiovaskulären Risikos sowie zur Prä-ventionsberatung seiner Patienten zur Verfügung.

Die gewonnenen Erkenntnisse zur Klassifikation von Bedingungsfaktoren sowie das daraus resultierende Modell zur Verbreitung von Neuerungen im medizinischen Kontext können als Hil-festellung für die Entwicklung und er-folgreiche Umsetzung künftiger Ent-scheidungshilfen in den ärztlichen All-tag dienen.

Danksagung

Wir danken allen beteiligten Hausärzten für Ihre Kooperationsbereitschaft und die ausführlichen Diskussionen sowie unseren Studienkoordinatorinnen Ilona Schwink, Beate Czypionka, Ute Dietrich und Ursula Siegmund.

Interessenkonflikte: keine angege-benEthikvotum: Das Studienprotokoll wurde von der Ethikkommission der Philipps-Universität Marburg geprüft und genehmigt.Förderung: Die Studie wurde gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Förderkennzei-chen: 01GK0401. Clinical trial registra-tion number ISRCT71348772, unter www.controlled-trials.com.

Dr. phil. Heidemarie Keller

Dipl.-Psych. Lena Kramer

Abteilung für Allgemeinmedizin,

Präventive und Rehabilitative Medizin

Universität Marburg

Karl-von-Frisch-Straße 4, 35043 Marburg

E-Mail: [email protected];

[email protected]

Korrespondenzadresse:

... Biologin und Sportwissenschaftlerin

1994–1996 Postdoctoral Fellow McMaster University Hamilton,

Kanada

1996–1999 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für

Sportmedizin Justus-Liebig-Universität Gießen

1999–2003 Leiterin Therapien, Alpine Kinderklinik Davos, Schweiz

Seit 2004 Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung

Allgemeinmedizin, Präventive und Rehabilitative Medizin der Philipps-Universität

Marburg

Forschungsschwerpunkte: Arzt-Patienten-Beziehung, partizipative Entscheidungs -

findung in der Hausarztpraxis

Dr. phil. Heidemarie Keller …

… Diplompsychologin und seit 2009 Wissenschaftliche Mit-

arbeiterin in der Abteilung Allgemeinmedizin, Präventive und

Rehabilitative Medizin der Philipps-Universität Marburg

Forschungsschwerpunkt: Verhaltensänderung von Hausärzten

Lena Kramer …

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13. Mayring P. Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. Weinheim und Basel: Beltz, 1983

14. Flick U. Qualitative Sozialforschung – Eine Einführung. Reinbek: Rowohlt, 2002

15. Bormann I. Nachhaltigkeitsaudit als Innovationsstrategie. In: Rieß W, Apel H (Hrsg) Bildung für eine nachhaltige Entwicklung. Aktuelle Forschungs-ansätze und -felder. Bielefeld: Verlag für Sozialwissenschaften, 2006: 115–129

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Literatur

Ständig aktualisierte Veranstaltungstermine von den „Tagen der Allgemeinmedizin“ finden Sie unter www.tag-der-allgemeinmedizin.de.

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Keller et al.:Evaluation der Implementierung von Innovationen am Beispiel von arriba® – eine FokusgruppenstudieEvaluation of the Implementation of Innovations Using the Example of arriba® – a Focus Group Study

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Rüter G. Phönix aus der Blase, ZfA 2010; 86: 395–399

Leserbrief von Dr. med. Stefan Bilger

In der Ausgabe 10 / 2010 der ZFA er-schien ein Beitrag von Gernot Rüter, in dem eine philosophische Grundierung der Hausarztmedizin als Lebenskunst-medizin vorgeschlagen wurde. Der Au-tor stellt dies bewusst in einen Gegen-satz zu den vorherrschenden Fragestel-lungen allgemeinmedizinischer For-schung, die er als „zu eng gefasst“ kriti-siert. Er möchte die einseitige Orientie-rung dieser Forschung auf Fragen der „evidence based medicine“ um eine her-meneutische Herangehensweise ergän-zen, die das einzelne Individuum stärker in den Mittelpunkt stellt als empirische Wahrheiten, die mit Methoden der kli-nischen Forschung und statistischer Wahrscheinlichkeitsberechnungen ge-wonnen wurden.Ich finde es grundsätzlich problema-tisch, das Fach Allgemeinmedizin durch eine philosophische Unterlegung (oder Überhöhung) von anderen Bereichen der Medizin abzugrenzen. Die Tatsache allein, dass die Allgemeinmedizin einen besonderen Schwerpunkt auf der Ver-sorgung chronisch Kranker hat und der „chronische Arzt“ in der individuellen Lebensgeschichte des Patienten eine be-sondere Rolle spielt, kann meines Erach-tens keine besondere Ethik begründen. Alle patientennahen Fächer haben die Pflicht, ihre Patienten ordentlich zu ver-sorgen, und dazu gehören eine ange-messene ärztliche Haltung und ein be-stimmtes Maß an kommunikativer und sozialer Kompetenz. Das gilt auch für den Chirurgen, den Anästhesisten und den Radiologen. Vielleicht liegen die Schwerpunkte dieser Anforderungen je-weils an anderer Stelle. Um einen Herz-katheter zu schieben, braucht es mehr manuelles Geschick als kommunikative Fähigkeiten und Empathie. Spätestens aber da, wo es um Vermittlung der not-

wendigen Informationen an den Patien-ten geht und um Reflexion der eigenen Tätigkeit, ist eine auch dem Patienten gegenüber adäquate, ethisch begründe-te Grundhaltung notwendig. Ich finde, wir sollten auch die Kollegen der ande-ren Fächer nicht aus dieser Verantwor-tung entlassen.Rüter weist selbst darauf hin, dass ärztli-ches Handeln mit unterschiedlichen ethischen Konzepten begründet werden kann. Gerade dies sollte Grund genug sein, sich nicht auf eine bestimmte Ethik festzulegen. Ärztliches Handeln ist schon immer idealisiert und ideologisch verbrämt worden – vom Ethos des Hel-fens, der christlichen Nächstenliebe, bis zu den neueren Strömungen der „Ganz-heitlichkeit“, des „gesunden Lebens“. Wenn diese Art der Sinngebung verabso-lutiert, gar zum Lebenssinn pervertiert wird, entsteht eine totalitäre Ideologie, ein „Gesundheitswahn“. Zweifellos spielen persönliche Werte und Überzeu-gungen auf Arzt- wie auf Patientenseite in der therapeutischen Beziehung eine wichtige Rolle. Das ärztliche Ethos ver-pflichtet uns aber, alle Patienten unab-hängig von Religion oder Weltanschau-ung unterschiedslos zu behandeln. Es kann nicht Aufgabe des Arztes sein, an die Stelle des Seelsorgers zu treten und Glaubenswahrheiten zu verkünden. Im Gegenteil: Skepsis ist in diesem Zusam-menhang eine notwendige Grundhal-tung, die leider im Studium wie im ärzt-lichen Alltag zu wenig gelehrt und kulti-viert wird.Für mich ist Philosophie nicht „all-gemeine Lebenswissenschaft“ mit dem Ziel der Sinngebung, sondern kritische Theorie, die implizite Annahmen und ideologische Elemente reflektiert und hinterfragt. Philosophie hat zwar die Frage nach dem Sinn zum Gegenstand. Die Antworten können aber immer nur individuell als persönliche Glaubens-überzeugungen formuliert werden. Eine

solche persönliche Überzeugung kann niemals theoretische Grundlage eines Fachs sein. Es ist im Rahmen eines Leser-briefs nicht möglich, die von Rüter an-geführten Philosophien substanziell zu beurteilen. Auffällig erscheint mir je-doch, dass sie ein konservatives, um nicht zu sagen restauratives Weltbild vertreten. Krank machende Lebens-umstände und die meiner Überzeugung nach wesentliche Frage, warum manche Patienten für diese „Ästhetik der Exis-tenz“ so wenig empfänglich sind – also die soziale Dimension von Krankheit – kommen in dem Beitrag nicht vor.Mir persönlich würde es genügen, wenn die Hausärzte einfach ihre Arbeit gut machen, ihre Rolle als erster Ansprech-partner für die Patienten ernst nehmen, die nötige Zeit und die notwendigen Ressourcen für die Betreuung chronisch Kranker haben, mit den Patienten an -gemessen kommunizieren, auch ihre psychischen (und materiellen) Proble-me wahr- und ernstnehmen und ihren Mitmenschen mit Respekt gegenüber-treten.Wenn wir darüber einen Konsens inner-halb und außerhalb des Fachs erzielen könnten, wäre schon viel gewonnen. Die wissenschaftliche, an den Hoch-schulen forschende Allgemeinmedizin soll uns dabei unterstützen und hat selbstverständlich auch die Aufgabe zu klären, welche Leitlinien und Orientie-rungen im Bereich der Primärversor-gung brauchbar und wichtig und wel-che dem Tätigkeitsbereich nicht ange-messen sind.

Dr. med. Stefan Bilger

Facharzt für Allgemeinmedizin

Handschuhsheimer Landstr. 11

69221 Dossenheim

Korrespondenzadresse

42 LESERBRIEFE / LETTERS TO THE EDITOR

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Antwort von Dr. med. Gernot Rüter

In diesem Leserbrief sind eine Menge Äußerungen enthalten, die klar ma-chen, wie notwendig eine philosophi-sche Grundierung ärztlicher Tätigkeit ist: Was ist eine „angemessene ärztliche Haltung“, was ist ein „bestimmtes Maß an kommunikativer und sozialer Kom-petenz“, was ist eine „notwendige adä-quate, ethische begründete Grundhal-tung“, was ist denn „seine Arbeit gut tun“?Wenn man von „Phönix aus der Blase“ glaubt, eine Linie ziehen zu sollen zu ei-ner „Sinngebung, die zum Lebenssinn pervertiert wird“ oder zu einer „totalitä-ren Ideologie“, einem „konservativen oder restaurativen Weltbild“ oder zur „Verkündigung von Glaubenswahrhei-ten“, dann muss man sich auch gefallen lassen, dass ich die obigen Aussagen als nicht hinterfragte Worthülsen bezeichne.Ich schlage die maßgeblich von Michel Foucault und Wilhelm Schmid wieder-entdeckte Lebenskunstphilosophie als eine Grundierung für die hausärztliche Tätigkeit vor. Gerade diese Philosophie ist eine radikale Freiheitsphilosophie. Je-der Mensch ist darin frei, sein Leben nach eigenen Maßstäben zu formen. So auch der Patient und auch der Arzt. Der einzige ethische Prüfstein für diese Selbstformung ist die Frage, würde ich, müsste es sich immer und immer wie-derholen, mein Leben genauso wieder leben wollen (hypothetischer Itera-tiv, Nietzsche). Da ist eben gerade nichts von Bevormundung, auch nicht

von einer evidenzbasierten, da ist gerade nichts von einer besserwisserischen Dogmatik, schon gar nicht von einer to-talitären, da ist nichts von „Glaubens-wahrheiten“. Ein denkbarer Konflikt be-steht in einer möglichen Kollision des Lebenskunstentwurfes des Patienten mit dem des Arztes. Gerade weil die Le-benskunstphilosophie diese Konflikte, diesen Diskurs zulässt, ja fordert, wird die zugrunde liegende Ethik als agona-le Ethik bezeichnet.Nirgends habe ich behauptet, dass die anderen medizinischen Fachdisziplinen nicht einer philosophischen Grundie-rung bedürften. Eine Philosophie der Le-benskunst bietet sich aber für die Haus-arztmedizin besonders deswegen an, weil hausärztliche Tätigkeit in besonde-rem Maße mit den Lebenskunstbemü-hungen der Patienten befasst ist. Dazu tragen die enge persönliche Beziehung und deren lange zeitliche Dimension bei. Ärztliche Hilfe zur Lebenskunst ist genau da gefragt, wo der Patient wegen Handicaps in seinen Bemühungen scheitert oder ein Scheitern befürchtet wird und da, wo ein Scheitern oder des-sen Befürchtung zu Kranksein führt. Sol-che Situationen stellen den tagtäglichen Inhalt hausärztlicher Medizin dar. Da geht es um die diätetische Lebensgestal-tung (Diät im Wortsinn als Tagesgestal-tung, lat. dies), da geht es um Familien-medizin und Familienkonflikte, um Ar-beitsplatzkonflikte, um die Selbstfor-mung des Körpers durch Bewegung, um die Gestaltung des sozialen Umfeldes Beruf, um Lebensformung im Kreativen und die spirituelle Auseinandersetzung

mit dem eigenen Nichtsein. Alles, was Bilger in seinem letzten Absatz nennt, lässt sich mit dem Lebenskunstkonzept fassen.Dass die professionelle Psychotherapie schon vor 10 Jahren das Lebenskunst-konzept aufgriff [1], bestätigt mich eben-so in meiner Ansicht wie neuere Ideen eines „säkularen Umbruches der Medi-zin“ als einer Lebenswissenschaft [2].

Dr. med. Gernot Rüter

Facharzt für Allgemeinmedizin, Chirothe-

rapie, Palliativmedizin

Akadem. Lehrpraxis der Univ. Tübingen

Blumenstr. 11 / Postfach 30

71726 / 71724 Benningen

Tel.: 07144 / 14233

Fax: 07144 / 4649

E-Mail: [email protected]

Korrespondenzadresse:

1. Brühlmann T. Selbstentfaltungsethik in der Psychotherapie. Schweizer Ar-chiv für Neurologie und Psychiatrie 151, 5/2000, 218–221

2. Labisch A. Die säkularen Umbrüche der Lebens- und Wissenschaftswel-ten und die Medizin – Ärztliches Handeln im 21. Jahrhundert. In: Neues aus Wissenschaft und Lehre, Jahrbuch der Heinrich-Heine-Uni-versität Düsseldorf 2008/2009, 161–170. düsseldorf university press, Düsseldorf 2010

Literatur:

43LESERBRIEFE / LETTERS TO THE EDITOR

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Hua TD et al. Orale Antikoagulation in der Hausarztpraxis. Z Allg Med 2010; 86: 382–389

Leserbrief von Dr. med. Silke Brockmann

Danke für die Darstellung der Interakti-onsproblematik von oralen Antikoagu-lantien.

Ergänzend möchte ich darauf hin-weisen, dass die erwähnten pflanzlichen Arzneimittel, bei denen mit einer Sen-kung des Wirkspiegels von Antikoagu-lantien zu rechnen ist (z. B. Johannis-krautextrakt) bzw. diese nicht aus-zuschliessen sind (z.B. Gingko- oder Ginsengextrakt) nicht nur per Selbst-medikation erhältlich sind, sondern auch ärztlich verordnet werden, da sie teilweise rezeptpflichtig sind.

In den Fachinformationen von Prä-paraten mit Phenprocoumon werden sowohl in Deutschland (Präparat Marcu-mar, Stand der Information April 2010, http://www.rote-liste.de/) als auch in der Schweiz (Präparat Marcoumar, Stand der Information September 2008, www.kompendium.ch) Ärztinnen und Ärzte auf diesen Sachverhalt aufmerksam ge-macht:

„Bei Behandlung mit Hypericum-Extrakten wurde über Wirkungsvermin-derung und Reduktion der Plasma-Kon-zentration von oralen Antikoagulantien berichtet. Dies ist möglicherweise die Folge induzierter Wirkungen auf meta-bolisierende CP450-abhängige Enzyme. Bei oral antikoagulierten Patienten und Patientinnen ist, besonders zu Beginn und nach dem Absetzen einer Johannis-

kraut-Behandlung, engmaschig der Quickwert zu kontrollieren.“

Auch in den neueren Fachinforma-tionen von Johanniskrautextrakten wird sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz auf dieses Problem aufmerk-sam gemacht. In der Rubrik Interaktio-nen heißt es z. B. in der Schweiz:

„Interaktionsdaten weisen einerseits auf eine Induktion des Cytochrom P450-Systems durch Johanniskraut-Ex-trakte (besonders CYP3A4), andererseits auf eine Induktion von Transportprotei-nen (P-Glycoprotein z. B. bei Digoxin) hin. Dies kann zu einer Abnahme der Plasmakonzentrationen und zu einer Abschwächung der therapeutischen Wirkung einer Reihe von komedizierten Arzneimitteln sowie – vor allem bei Sub-stanzen mit einer geringen therapeuti-schen Breite – zu potenziell schwerwie-genden Konsequenzen führen.

Plasmaspiegel und / oder Wirkung interagierender Arzneimittel – insbeson-dere solcher mit geringer therapeuti-scher Breite – sollten deshalb zu Beginn und am Ende einer Therapie sowie bei einer Dosisänderung des Johanniskraut-Präparates engmaschig kontrolliert und deren Dosierungen angepasst werden.

Umgekehrt kann es beim plötzli-chen Absetzen von Johanniskraut-Prä-paraten zu einem Anstieg der Plasma-konzentration komedizierter Arzneimit-tel mit evtl. toxischen Wirkungen kom-men. [...] Solche Wechselwirkungen be-treffen insbesondere folgende Arznei-

mittel bzw. Arzneimittelgruppen: [...] Antikoagulanzien vom Cumarintyp (z. B. Acenocoumarol, Phenprocoumon, Warfarin). Bei gleichzeitiger Einnahme von oralen Antikoagulanzien vom Cu-marintyp sollte die Serumkonzentration dieser Substanz regelmässig kontrolliert werden.“

[Präparat Solevita ® forte, Stand der Information Dezember 2009, www.kompendium.ch]

Oder: „Patienten, die orale Anti-koagulantien einnehmen, dürfen nicht mit Johanniskraut behandelt werden, da es deren gerinnungshemmende Wir-kung beeinträchtigt (Risiko von Throm-boembolien).“ (Präparat Remotiv®, Stand der Information Februar 2009, www.kompendium.ch)

Es ist wünschenswert, dass bei der (haus-)ärztlichen Medikamentenanam-nese nicht nur die selbstgekauften Prä-parate sondern auch die andernorts (z.B. durch Gynäkologen, Urologen, Neuro-logen, Psychiater usw.) verordneten Prä-parate erfasst werden.

Antwort von Dr. med. Thanh Duc Hua

Vielen Dank für Ihre Rückmeldung zu unserem Fortbildungsartikel.

Wir bedanken uns für Ihre Hinwei-se. Unser Fortbildungsartikel ist ein nar-rativer Review. Wir weisen in unserem Artikel bereits auf die Interaktion zwi-schen Phenprocoumon und Johannis-

kraut-, Ginseng- und Ginko-Extrakt hin. Bei der Tabelle mit den Medikamenten, die die Wirkung von Phenprocoumon verstärken bzw. abschwächen handelt es sich nur um eine Übersichtstabelle. Da-bei haben wir uns, nicht nur auf die „selbstgekauften Präparate“ beschränkt, sondern auch auf Präparate, die in der Neurologie, Psychiatrie, etc. verwendet werden.

Dr. med. Silke Brockmann

Swissmedic,

Schweizerisches Heilmittelinstitut

Clinical Reviewerin Bereich Zulassung

Hallerstrasse 7, CH-3000 Bern 9

Internet: http://www.swissmedic.ch/

E-Mail: [email protected]

Korrespondenzadresse

Dr. med. Thanh Duc Hua

Abtleilung Allgemeinmedizin

Universitätsmedizin Göttingen

Humboldt-Allee 38, 37073 Göttingen

E-Mail:

[email protected]

Korrespondenzadresse:

44 LESERBRIEFE / LETTERS TO THE EDITOR

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Leserbrief von Harald Kamps, Hausarzt in Berlin

Nachdenkliche Fragen nach dem DEGAM-Kongress in DresdenJedes Wort ist ein Gedanke – ein medizi-nischer Kongress ist ein spannender Jahrmarkt für Worte – geschriebene und vorgetragene. Ich habe mich am Kon-gress-Samstag eine halbe Stunde in die Perspektive eines Patienten versetzt und bin an den Posterständen vorbeigegan-gen – sozusagen als Hausarztpatient. Be-reits da fragte ich mich, ob ich auf dem Wege zum HNO-Arzt ein Facharzt-patient wäre. Beim nächsten Poster wur-den Adipositaspatienten angesprochen, wenige Meter weiter Bluthochdruck-patienten, daneben Diabetes mellitus 2-Patienten. Kann sich ein übergewich-tiger Mensch mit Diabetes und hohem Blutdruck dann aussuchen, welche Identität er hauptsächlich im Leben hat? Ist es für Menschen mit chro-nischen Schmerzen ein Vorteil Fibromy-algiepatient zu sein oder verhindert die-ses Etikett weiteres Nachdenken über die Lebensgeschichte des kranken Men-schen? Ein Fibromyalgiepatient ist ein

anderer Dialogpartner als ein Mensch, der an Fibromyalgie leidet. Jedes Wort ist ein Gedanke.

Am Morgen dieses Tages hatte uns Henrik van Den Bussche „späte Gedan-ken eines Abgängers“ zugerufen. Er hat-te uns ermahnt, eine personen- und kei-ne krankheitsbezogene Allgemeinmedi-zin zu betreiben. In einer personenori-entierten Allgemeinmedizin sitzen aber keine Diabetiker im Wartezimmer, auch keine Adipositaspatienten, sondern Menschen mit sehr persönlichen Le-bensstrategien, wie sie – mit unserer Hil-fe – mit chronischen Erkrankungen oder Problemen umgehen. Diagnosen ver-schleiern das Wesen der Allgemeinmedi-zin, ganz besonders wenn sie der Syste-matik der fachärztlichen Medizin ent-stammen. Ich halte es für ein Versäum-nis der deutschen Allgemeinmedizin, sich jahrzehntelang mit der fachfrem-den Sprache der ICD-Diagnosen zufrie-dengegeben zu haben. Hausärzte in Län-dern mit einer stärkeren hausärztlichen Orientierung kodieren die Beratungs-anlässe und Behandlungsverläufe mit Hilfe der International Classification in Primary Health Care (ICPC). Ein Drittel

der ICPC-Diagnosen sind Symptom-diagnosen – sie beziehen sich auf das, was Patienten erleben und befürchten. Sie beziehen sich auf die Sprache und Gedanken der Patienten. Ich denke, wir sollten vorsichtig sein, die Menschen, die uns in der Hausarztpraxis aufsuchen, vorschnell auf eine Diagnose zu reduzie-ren. Es ist enttäuschend, dass dies so häufig, vielleicht auch gedankenlos, passiert. Werden nicht die meisten Diag-nosen, die wir heute selbstsicher stellen, in 100 Jahren von unseren Kollegen mil-de belächelt? Ist es nicht höchste Zeit auch für die DEGAM, eine personenori-entierte Allgemeinmedizin zu ent-wickeln?

Harald Kamps

Harald Kamps

Möllendorffstr. 45

10367 Berlin

E-Mail: [email protected]

Korrespondenzadresse:

Sprache formt das Denken – eine Antwort auf den Leser-brief von Harald Kamps von Eva Hummers-Pradier

Harald Kamps setzt sich kritisch mit der Posterpräsentation auf dem letzten DE-GAM-Kongress auseinander und gibt Denkanstöße, für die ich ihm danken möchte.

So beklagt er die krankheitsbezoge-nen Titel bzw. Denkansätze vieler Poster, die Menschen auf ihre Diagnosen redu-zieren, anstatt persönlichen Geschich-ten in ihrer Komplexität Raum zu geben. Ich stimme ihm darin zu, dass diese Denkweise von der Sprache der (ur-sprünglich auf einer Todesursachensta-tistik beruhenden) ICD-Codes geprägt

ist. Wie unbefriedigend, aber auch weit-reichend dies ist, stellt H. Kamps dar – die krankheits- statt personenbezogene Sprache und Denkweise formt auch un-sere Forschungsansätze und Publikatio-nen und unser Selbstverständnis. Ich würde ihm und uns wünschen, dass das Umdenken zum Personenbezug gelingt – auch in einem Umfeld, in dem bisher ICD-Verschlüsselungen verpflichtend sind und Forschungsförderung oft dezi-diert krankheitsbezogen erfolgt, wie zu-letzt in den Ausschreibungen Deutscher Zentren für z. B. Lungen-, Infektions- oder translationale Krebsforschung. Vielleicht kann es gelingen, zumindest in unserem eigenen Umfeld durch Den-ken die Sprache zu ändern – unsere Pa-tienten werden das vermutlich schät-

zen. Für unser Selbstverständnis (vertre-ten wir nun eine Art Summe aller „Fä-cher“, oder nur das, was übrig bleibt, wenn man alle Spezialansätze abge-zogen hat?) wäre es wohl auch förder-lich.

Eva Hummers-Pradier

Prof. Dr. med Eva Hummers-Pradier

Fachärztin für Allgemeinmedizin

Carl-Neuberg-Straße 1

30625 Hannover

E-Mail:

[email protected]

Korrespondenzadresse

46 LESERBRIEFE / LETTERS TO THE EDITOR

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Tropenmedizin in Klinik und Praxis

Mit dem Werk „Tropenmedizin in Klinik und Praxis“ legen die Herausgeber Tho-mas Löscher (Abteilung für Infektions- und Tropenmedizin, Klinikum der LMU München) und Gerd-Dieter Burchard (Sektion Tropenmedizin am Univer-sitätsklinikum Hamburg-Eppendorf) die lang erwartete 4. Auflage des von Werner Lang begründeten Standardwerks der Tropenmedizin vor. 10 Jahre nach Er-scheinen der 3. Auflage wurde der Inhalt komplett überarbeitet und umfassend erweitert. Neben dem als vollständig be-zeichenbaren aktuellen tropenmedizini-schen Teil beinhaltet die aktuelle Auf-lage einen um die Kapitel Höhen- und Tauchmedizin erweiterten reise- und ar-beitsmedizinischen Teil. Neu hinzuge-fügt wurde ein Teil zur Migrationsmedi-zin. Insgesamt trugen 84 Autoren aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Kambodscha mit ihrer Expertise zur aktuellen Auflage bei.

In der allgemeinmedizinischen Pra-xis gewinnt durch die stetig zunehmen-de Mobilität in unserer globalisierten Gesellschaft, aber auch durch den Kli-mawandel, neben der Reise- und Tro-penmedizin auch die Migrationsmedi-zin mehr und mehr an Bedeutung. Aus diesem Grund sieht sich der niedergelas-sene Allgemeinmediziner heute immer häufiger mit Fragen zur Reise- und Geo-medizin im Rahmen der reisemedizi-nischen Gesundheitsberatung konfron-tiert. Ebenfalls nimmt die Zahl der Mig-ranten, die sich mit vormals eher selte-nen Krankheitsbildern in der hausärztli-chen Sprechstunde vorstellen, stetig zu. Auch der arbeitsmedizinisch tätige Arzt muss sich immer öfter mit reisemedizi-nischen Fragen zu bevorstehenden oder bereits absolvierten Dienstreisen aus-einandersetzen. Gerade zu diesen Fra-gen fand sich bislang kaum hilfreiche Fachliteratur. „Tropenmedizin in Klinik und Praxis“ ist in seiner aktualisierten Auflage das deutschsprachige Standard-werk für den vorgenannten Personen-kreis. Doch auch der klinisch tätige Tro-penmediziner wird an diesem Buch nicht vorbei kommen, da es in seiner Detailliertheit und Aktualität im deutschsprachigen Raum wohl alterna-tivlos ist.

Die übersichtliche Gliederung in 12 Teile erlaubt gezieltes Nachschlagen. So

bietet der Teil Differenzialdiagnostik in der Tropen- und Reisemedizin das Handwerkszeug für ein gezieltes „work-up“ von Leitsymptomen wie z. B. Fieber, Diarrhö oder importierten Dermatosen. Entsprechende Bilder, Tabellen und Flussdiagramme sind eine hilfreiche Un-terstützung bei der praktischen Durch-führung. Ein Teil zur „Medizin in den Tropen“ beinhaltet tropenmedizinisch relevante Aspekte aus den klinischen Fachgebieten. Eine Übersicht der wich-tigsten Erkrankungen und Besonderhei-ten des jeweiligen Fachgebietes wird durch nützliche Tipps für die Praxis (et-wa: „Wie erkennt man ein Masernexant-hem bei dunkelhäutigen Kindern?“ oder „Welche Narkosegeräte finden sich in Entwicklungslän-dern?“) ergänzt. Hervor-zuheben sind die auch wegen ihrer Bebilderung sehr hilfreichen Kapitel zur tropischen Onkolo-gie sowie zur Venerolo-gie und Dermatologie und zur tropischen Oph-thalmologie. Auch ein Kapitel zur transkultu-rellen Psychiatrie ist zu finden. Vier Teile widmen sich – nach Erregergruppen ge-ordnet – in der gebotenen Ausführlich-keit der tropenspezifischen Infektiolo-gie. Ein weiterer Teil widmet sich den nicht infektiösen Tropenkrankheiten. Auch hier überzeugt ein ausgewogenes Verhältnis von Detailinformationen und praxisrelevanten Angaben. Der Be-reich „Reisemedizin und Arbeitsmedi-zin“ schließlich bietet in acht Kapiteln eine vollständige Zusammenfassung al-ler reisemedizinischen Teilaspekte in-klusive der reisemedizinischen Beratung besonderer Personengruppen, aktuellen Impfempfehlungen sowie Empfehlun-gen zur Reiseapotheke und zur Vorsorge- und Reiserückkehreruntersuchung. Ein weiteres Kapitel schließlich widmet sich der Arbeitsmedizin in den Tropen. Schlussendlich findet sich noch ein mi-grationsmedizinischer Teil, in dem nicht nur auf spezifische Erkrankungen sondern auch auf kulturelle und rechtli-che Besonderheiten bei Migranten ein-gegangen wird. Ein eigener Teil be-schreibt alle wichtigen diagnostischen

Methoden in der Tropenmedizin und gibt einen Überblick über die relevanten Medikamente und ihre beachtenswer-ten Besonderheiten.

Das Buch kommt im bewährten Thieme-Layout reich bebildert und mit vielen hilfreichen Tabellen und Grafi-ken daher. Die ansprechende Illustra -tion und die gut lesbare Schilderung der Sachverhalte macht Lust auf‘s Weiter -lesen.

Jedes Buch enthält eine PIN für eine persönliche Online-Lizenz die den Zu-griff auf Zusatzmaterial wie Fotos, Filme und ein geografisch-medizinisches Län-derverzeichnis ermöglicht. Zum Zeit-

punkt der Rezension war der Zugriff je-doch leider noch nicht möglich.

Fazit: „Tropenmedizin in Klinik und Praxis“ ist das deutschsprachige Stan-dardwerk zur Reise- und Tropenmedizin schlechthin. Es gehört nicht nur auf jede infektiologische und tropenmedizi-nische Station sondern auch in jede Hausarztpraxis, in der reisemedizinische Gesundheitsberatungen durchgeführt oder Migranten – nicht nur aus den Tro-pen – behandelt werden. Für den in den Tropen tätigen Arzt ist es ein Muss!

Lutz Mittler

Dr. med. Lutz Mittler

Pfarrhausstr. 22

78183 Hüfingen

Tel.: 07651 / 92070

Fax: 01803 / 551889173

E-Mail: [email protected]

Korrespondenzadresse:

T. Löscher / G.-D. Burchard (Hrsg.):

Tropenmedizin in Klinik und Praxis – mit Reise- und Migrationsmedizin.

Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart, New York, 4. komplett überarbeitete und erweiterte Auflage 2010, 1117 Seiten, 547 Abbildungen und 287 Tabellen. Online-Lizenz für Zugriff auf ZusatzmaterialISBN 978-3-13-785804-1Preis: € 199,95Erhältlich unter www.aerzteverlag.de

47BUCHBESPRECHUNG / BOOK REVIEW

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Organschaft / AffiliationDeutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM; www.degam.de)DEGAM-Bundesgeschäftsstelle c/o Institut für Allgemeinmedizin Haus 10 C/1. Stock, Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität, 60590 Frankfurt; Gesellschaft der Hochschullehrer für Allgemeinmedizin (GHA; www.gha-info.de); Salzburger Gesellschaft für Allgemeinmedizin (SAGAM; www.oegam.at/c1/page.asp?id=35)Official Journal of the German College of General Practitioners and Family Physicians, the Society of Professors of Family Medicine and the Salzburg Society of Family Medicine

Herausgeber / EditorsProf. Dr. med. Heinz-Harald Abholz Facharzt für Allgemeinmedizin Abt. Allgemeinmedizin Heinrich-Heine-UniversitätMoorenstraße 5 40225 Düsseldorf Tel.: +49 211 811–7771 Fax: +49 211 811–8755 E-Mail: [email protected] http://www.uniklinik-duesseldorf.de/ allgemeinmedizin

Prof. Dr. med. Michael M. Kochen, MPH, FRCGP Facharzt für Allgemeinmedizin Abt. Allgemeinmedizin Georg-August-Universität Humboldtallee 38 37073 Göttingen Tel.: +49 551 3922638 oder 3922647 Fax: +49 551 399530 E-Mail: [email protected] http://www.allgemeinmedizin. med.uni-goettingen.de

Prof. Dr. med. Wilhelm Niebling Facharzt für Allgemeinmedizin Lehrbereich Allgemeinmedizin Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Schwarzwaldstraße 69 79822 Titisee-Neustadt Tel.: +49 7651 9207–0 Fax: +49 7651 9207–20 E-Mail: [email protected] http://www.ukl.uni-freiburg.de/med/lehre/lehrbereich/niebling.htm

Dr. Susanne Rabady Ärztin für Allgemeinmedizin Landstr. 2 A-3841 Windigsteig Tel.: +43 2849 2407 Fax: +43 2849 2404E-Mail: [email protected]

Prof. Dr. med. Andreas SönnichsenFacharzt für AllgemeinmedizinInstitut für Allgemein-, Familien- und Präventivmedizin Paracelsus Medizinische PrivatuniversitätStrubergasse 21A-5020 SalzburgTel.: +43 662 4420021261 Fax: +43 662 4420021209E-Mail: [email protected]://www.pmu.ac.at/de/134.htm

Internationaler Beirat / International Advisory BoardJ. Beasley, Madison/Wisconsin, USAF. Buntinx, Leuven/BelgienG.-J. Dinant, Maastricht/NLM. Egger, Bern/CH E. Garrett, Columbia/Missouri, USAP. Glasziou, Robina/AustralienT. Greenhalgh, London/UKP. Hjortdahl, Oslo/NorwegenA. Knottnerus, Maastricht/NLM. Maier, Wien/ÖsterreichC. del Mar, Robina/AustralienJ. de Maeseneer, Gent/BelgienP. van Royen, Antwerpen/BelgienB. Starfield, Baltimore/Maryland, USAF. Sullivan, Dundee/Schottland, UKP. Tschudi, Basel/CHC. van Weel, Nijmegen/NLY. Yaphe, Porto/Portugal

Verlag / PublisherDeutscher Ärzte-Verlag GmbHDieselstr. 2, 50859 KölnPostfach 40 02 65, 50832 KölnTel.: +49 2234 7011–0, Fax: +49 2234 7011–255 od. –515.www.aerzteverlag.dewww.online-zfa.de

Geschäftsführung / Management of the CompanyJürgen Führer, Dieter Weber, Norbert Froitzheim

Koordination / CoordinationJürgen Bluhme-RasmussenTel.: +49 2234 7011–512Fax: +49 2234 7011–6512E-Mail: [email protected]

ProduktmanagementMarie-Luise BertramTel.: +49 2234 7011–389Fax: +49 2234 7011–6389E-Mail: [email protected]

Vertrieb und Abonnement / Distribution and SubscriptionTel. +49 2234 7011–467, E-Mail: [email protected]

Erscheinungsweise /FrequencyDie Zeitschrift erscheint 11 x jährlichJahresbezugspreis Inland: 114,00 €Ermäßigter Preis für Studenten jährlich: 84,00 €Jahresbezugspreis Ausland: 141,60 €Ermäßigter Preis für Studenten jährlich Ausland: 111,60 €Einzelheftpreis: 9,50 €Preise inkl. Porto und 7 % MwSt.Die Kündigungsfrist beträgt 6 Wochen zum Ende des Kalenderjahres. Gerichtsstand Köln. Für Mitglieder der DEGAM ist der Bezug im Mit-gliedsbeitrag enthalten.

Leiterin Anzeigenmanagement und verantwortlich für den Anzeigenteil / Advertising CoordinatorMarga Pinsdorf, Tel.: +49 2234 7011–243, E-Mail: [email protected]

Verlagsrepräsentanten / Publishers’ RepresentativesVerkaufsgebiete Nord/OstGötz KneiselerUhlandstraße 161, 10719 BerlinTelefon: +49 30 88682873Telefax: +49 30 88682874Mobil: +49 172 3103383E-Mail: [email protected] WestEric Le GallKönigsberger Str.11, 51469 Bergisch GladbachTelefon: +49 2202 9649510Telefax: +49 2202 9649509Mobil: +49 172 2575333E-Mail: [email protected] SüdPeter OcklenburgIm Buchengrün 4, 79183 WaldkirchTelefon: +49 7681 4740074Telefax: +49 7681 4740377Mobil: +49 178 8749013E-Mail: [email protected]

Herstellung / Production DepartmentDeutscher Ärzte-Verlag GmbH, Köln, Vitus Graf, Tel.: +49 2234 7011–270, E-Mail: [email protected], Alexander Krauth, Tel.: +49 2234 7011–278, E-Mail: [email protected]

Datenübermittlung Anzeigen / Data Transfer AdvertisementPetra Möller, Tel.: +49 2234 7011–268, E-Mail: [email protected]

Layout / LayoutSybille Rommerskirchen

Druckerei / PrinteryFarbo print+media GmbH, Köln

Konten / AccountDeutsche Apotheker- und Ärztebank, Köln, Kto. 010 1107410 (BLZ 370 606 15), Postbank Köln 192 50–506 (BLZ 370 100 50)

Zurzeit gilt Anzeigenpreisliste Nr. 3, gültig ab 1. 1. 2011

Druckauflage: 4200 Ex.

Der Verlag ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft LA-MED Kommunikationsforschung im Gesundheitswesen e.V.

87. Jahrgang

ISSN 1433-6251

Urheber- und Verlagsrecht / Copyright and Right of PublicationDie Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen ein-zelnen Beiträge und Abbildungen sind urheber-rechtlich geschützt. Mit Annahme des Manu-skriptes gehen das Recht der Veröffentlichung sowie die Rechte zur Übersetzung, zur Vergabe von Nachdruckrechten, zur elektronischen Spei-cherung in Datenbanken, zur Herstellung von Sonderdrucken, Fotokopien und Mikrokopien an den Verlag über. Jede Verwertung außerhalb der durch das Urheberrechtsgesetz festgelegten Grenzen ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.

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Z FAZeitschrift für Allgemeinmedizin

German Journal of Family Medicine

Januar 2011 – Seite 1–48 – 87. Jahrgang www.online-zfa.de

48 IMPRESSUM / IMPRINT

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Dr. med. Susanne RabadyNiedergelasseneAllgemeinmedizinerin inWindigstein, Vizepräsi-dentin der Österreichi-schen Gesellschaft fürAllgemeinmedizin(ÖGAM)

Prof. Dr. med.Andreas SönnichsenHausärztlich tätiger Facharzt fürInnere Medizin und Facharzt fürAllgemeinmedizin in MünchenVorstand des Instituts fürAllgemein-, Familien- undPräventivmedizin an der„Paracelsus MedizinischePrivatuniversität“ in Salzburg

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