Zolot Introduction

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Zolot. Veit Ritterbecks

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Veit Ritterbecks Photo Book

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Zolot.Veit

Ritterbecks

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Inhalt

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Seite ‹ 06 / 09 ›Und sehr oft blicken wir zurück

Seite ‹ 11 / 24 ›memory.

Seite ‹ 25 / 52 ›inteludes.

Seite ‹ 53 / 68 ›Nippon Boheme

Seite ‹ 69 / 76 ›Schneelandschaften

Seite ‹ 77 / 92 ›Sculptures Contemporaines

Seite ‹ 93 / 100 ›OPEN GOLF PIZZA

Seite ‹ 101 / 110 ›misshecker / Portraits

Seite ‹ 111 / 138 ›Die Hand Gottes.

Seite ‹ 139 / 154 ›Polaroids

Seite ‹ 155 / 186 ›Someday.

Seite ‹ 187 / 202 ›Trace Domestique

Seite ‹ 203 / 220 ›Rückblick.

Seite ‹ 221 / 236 ›Man sieht immer nur das, was man will.

Seite ‹ 239 / 240 ›Danksagung / Impressum

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D i e F o t o g r a f i e e x i s t i e r t . Deshalb können wir uns eine Menge an Fragen über sie stellen. Was ist das Eigen-tümliche einer Fotografie, die zur unendlichen Repro duk-tion befähigt ist, aber immer nur einen wirklichen Moment erfasst und in einem teuflischen Kreislauf stets auch nur auf das Dargestellte verweist ? Die moderne Kritik bedient sich nur zu oft verschiedener Techniken, die völlig unab-hängig von der Fotografie und ihrer Geschichte existieren. Es können die Ästhetik, die Psychoanalyse oder die Soziologie sein, die uns erklären, warum wir Fotografieren und was das für unsere zivili sierte Hülle bedeutet. Aber über den Kern des Ganzen ist dabei noch wenig gesagt. Die Kraft der Fotografie ist ein ganzes Feld, das sich über den Akt der Aufnahme bis hin zur Betrachtung zieht.

Worin unter scheiden sich also die Bilder ? Warum sind sie nicht immer das selbe und warum können sie noch viel mehr, als uns zu sagen: «Schau, das da möchte ich dir zeigen !» ?

Konzentrieren wir uns auf die Erfahrung und die Erinnerung. Bleiben wir bei uns und suchen wir nach einer Hülle, die Platz für die Fotografie in ihrem Zentrum hat. Stellen wir uns die Frage, die sich Roland Barthes stellte: «Wann passiert das Abenteuer ? Wann beseelt mich eine Fotografie und wann beseele ich sie ? »

Wir fahren nach Hause, in den Schoß unserer ersten ei-genen Witze und Gedanken. Die Gespräche und der Blick in die Zeitung machen uns mehr als an jedem anderen Ort

UND

SEHR

OFT

BLICKEN

WIR

ZURÜCK

Stefan Pabst

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bewusst, dass es schier unendlich viele Wege in unserer Vor stellung gibt, die wir haben wählen können (der alte Schulnachbar hat seit letzter Woche mit 1024,375 Punkten das schönste Aquarium im Landkreis zu Hause stehen). Vier oder Fünf alternative Versionen unserer Biografie klin-gen vielleicht sogar spannend und lassen uns träumen. Aber im selben Moment spüren wir auch einen gewissen Stolz, einfach zugegen zu sein und zwar deshalb, weil wir gewisse Momente erinnern, die sich aus dem Wust der Zeit herausschälen und genau deshalb anders sind als die übri-gen. Dieses Erinnern hat eine Fülle, die Orientierung liefert. Wir sind stets auf der Suche nach diesen Momenten und es genügt bereits, wenn Momente ein Potential erkennen lassen, um später als das was sie sind, erinnert zu werden - Momente der Fülle. Und ganz im Sinne eines leidenschaftlichen Verbrechers, wollen wir die Orte, die un-sere Erinnerung ausmachen, immer (oder sei es im akuten Bedürfnis nach Restabilisierung der Identität) wieder sehen, spüren oder reproduzieren. Gut ist, der sie zu konservieren weiß.

Angenommen wir werden düster wie ein österreich-ischer Schreiber und veranschlagen drei Antriebe, denen das Leben seine Fortsetzung verdankt: Feigheit, Eitelkeit, Neugier. Es ist nicht zu leugnen, dass sich in jeder be-wussten Gabelung unseres Lebens diese Faktoren auffinden lassen (lassen wir einfach offen, ob es die einzigen sind). Und was passiert, wenn wir noch düsterer werden und dem Neid eine Rolle beimessen ? Hatte es der junge Nachbars-

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junge, mit dem man noch in der 2. Klasse harmlose Späßchen getrieben hat, nicht unendlich einfacher, da nicht er seine Zukunft machen musste, sondern die Familie, die Tradition oder was auch immer für ein Konstrukt, dies für ihn erledigte oder zumindest großzügig vorbereitete ? Ein Schritt hat sich wie eine Perle nach der anderen auf einem durchsichtigen Faden an den Schritt davor geschmiegt (dass diese Kette nicht frei von Kummer und Rückschlägen geprägt ist, hat natürlich niemand zu bestreiten).

Doch passen wir auf, einen Fehler nicht zu machen. Zu leicht vereinfachen wir unseren Blick auf zwei Möglich-keiten. Auf der einen Seite steht ein (unser) Lebensentwurf, der geprägt ist von Zweifeln und Wagnissen, dessen Wert sich nie im Moment, sondern immer nur rückblickend erfassen lässt. Und auf der anderen Seite steht ein Leben mit dem Luxus einer Schablone, deren Wege schon einge-fahren und somit auch mit einer gewissen Sicherheit ausgestattet sind. Und nun passiert der Fehler. Auf einmal sprechen wir vom Schablonenleben, es sei ein Leben, wie es früher einmal für alle gewesen sein muss. Ein Leben, dass noch vor wenigen Jahrzehnten, die Qual einer unend-lichen Optionalität nicht kannte.

Es ist wahr. Es gab eine Zeit, in der es außer Frage stand, gemäß seiner Familie sich ausbilden zu lassen und auch vielleicht einen Glauben zu praktizieren. Der Hintergrund-rahmen für dieses Leben war geprägt durch eine Abwesen-heit von Optionen. Und nun hat sich der Rahmen geändert. Die Gründe sollen hier keine Rolle spielen. Ent scheidend ist, dass der neue Rahmen für alle von uns existiert und sich entsprechend auch auf unser aller Erfahrungen und Empfindungen auswirkt. Übernimmt heute ein junger Mensch den Betrieb der Eltern, tut er es mit einem Wissen und einer Empfindung, die anders ist als noch vor 60 Jahren. Das Gespenst der Optionalität ist auch in seinem Kopf zu Hause und prägt jede Erfahrung. Derjenige, der einen Lebenslauf hinterlässt, der auf dem Papier ein abso-

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lutes Analogon zu einem Lebenslauf vor einigen Jahrzehnt-en darstellt, führte niemals ein Leben seiner Vorfahren. Und das hängt nicht mit einer technologischen Entwicklung zusammen. Jedes Individuum ist sich der Optionalität seines Weges bewusst und ob sich daraus nun eine Schablone oder ein Flipper-Automat ergibt, ist dann schon weniger wichtig.

Der Blick auf Gemeinsamkeiten unseres Erfahrungs- und Empfindungskomplexes lässt die Spannungen unter-schie licher Umsetzungen vielleicht ein wenig verdampfen und macht Platz für ein gemeinsames Erleben. Wir alle teilen dieselbe Wunde.

Der Blick zurück ist für alle gleich. Glücklich ist, wer die Momente der Fülle, die einen Weg bestätigen oder auf-lösen, erinnert und vor sich sieht. Gleichfalls sind es Momente einer absoluten Abwesenheit der Fülle, wodurch sich die Bedeutung aber ebenso manifestiert. Und scheinbar belanglos wirken die Momente der mittleren Position (hier scheinen die Anwesenheit und die gleichzeitige Abwe-senheit der Fülle im Gleichgewicht), doch auch hier ist der identische Abstand zu Momenten, die sich radikal vom Rest unterscheiden, ein Grund zum Aufmerken.

In der Theorie ist die Kontingenz eines jeden Fotos unhin-tergehbar. Jedes Bild ist einmalig und damit der ganzen Zufälligkeit ausgeliefert. Nur im Betrachten erhält diese Kontingenz eine wunderschöne Schwester. Die Kraft des Affekts füllt uns und bleibt dabei untrennbar mit uns und unserer Geschichte verbunden.

In einer Geschichte lassen sich die Orte, die uns in ei nem homogenen Raum eine Orientierung geben, andeuten. Zwischen dem Erleben und dem Wort jedoch, steht das Bild. Widmen wir uns den Arbeiten von Veit Ritterbecks, die das aufscheinen lassen, wovon hier die Rede war - Fülle.