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CHINA, PEKING WEN HUI & LIVING DANCE STUDIO Red die Zeit der Kulturrevolution. Auf diese Weise soll die Wandlung des «Roten Frauenbataillons» von einer ideologisch aufgeladenen Ikone der Kulturrevolution zu einem Objekt der Popkultur in der Post-Mao-Zeit untersucht werden. The- matisiert werden aber auch die Aneig- nungsversuche feministischer Akteurin- nen, die in dem Theaterstück ein Beispiel weiblicher Selbstermächtigung sehen. DAS REVOLUTIONÄRE MODELLTHEATER 革命样板戏 Der Begriff des Revolutionären Modell- theaters bezieht sich auf die acht Thea- terstücke, die anlässlich des 25. Jahres- tags von Maos Reden über Literatur und Kunst in Yanan im Mai und Juni 1967 in Peking aufgeführt wurden. Die Reden definierten die Kulturpolitik als das zentrale Instrument zur Erziehung des proletarischen Subjekts. Die Modell- theaterstücke umfassen die fünf Peking- Opern «Die Legende von der Roten Laterne», «Shajiabang», «Die listige Einnahme des Tigerbergs», «Am Hafen» und «Angriff auf das weisse Tiger- regiment», die beiden Ballette «Das Mädchen mit den weissen Haaren» und «Das rote Frauenbataillon» sowie die revolutionäre Symphonie «Shajiabang». Diese acht Modelltheaterstücke standen unter dem direkten Einfluss der herrschenden maoistischen Ideologie und Rhetorik. Ihre Umsetzung wurde von D ie Choreografin, Tänzerin und Dokumentar- filmerin Wen Hui war mit ihrem Living Dance Studio 2004 die erste freie Gruppe aus China am Theater Spektakel. Bereits damals zeichneten sich ihre Arbeiten durch einen künstlerisch überzeugenden Umgang mit dokumentari- schem Material aus. Nun ist sie zurück mit einem grandio- sen Essay zum Zusammen- hang von Körper und Erinne- rung. Ausgangspunkt ist das legendäre Ballettstück «The Red Detachment of Women» (Das rote Frauenbataillon), eine Propagandaproduktion aus der Zeit der chinesischen Kulturrevolution. «Red» ist die neuste Arbeit der Choreo- grafin und Tänzerin Wen Hui und des Living Dance Studios aus Peking. Es handelt sich um eine dokumentarische Performance, die vom Ballett «Das rote Frauenbataillon» ausgeht, das im Sep- tember 1964 in Peking uraufgeführt wurde. «Das rote Frauenbataillon» ist eines der acht revolutionären Modell- theaterstücke, die in der Zeit der Kultur- revolution (19661976) den kulturellen Kanon Chinas ausmachten. Es erzählt die Geschichte des Bauernmädchens Wu Qionghua, das aus seiner Versklavung entflieht und sich dem Roten Frauen- bataillon anschliesst, um die nationalis- tische Armee zu bekämpfen. Das Ballett wurde damals sehr geschätzt, weil es re- volutionäre Ideologie und künstlerische Meisterschaft verband und diese Ver- bindung in einer einmaligen Mischung aus westlicher Balletttechnik und klas- sischen chinesischen Volkstänzen zum Ausdruck brachte. In ihrem Tanzstück «Red» nimmt Wen Hui das Motiv der heroischen, pis- tolenschwingenden Ballerina genauer unter die Lupe. Sie hat dafür zusammen mit ihrem Team eine Reihe dokumenta- rischer Materialien genauer untersucht: Texte und Fotografien des originalen Modelltheaterstücks, biografische und persönliche Geschichten der einstigen Darstellerinnen sowie neue Interviews mit ihnen. Im Mittelpunkt stehen die Auffassungen und die Erinnerungen der verschiedenen Generationen angehören- den Tänzerinnen und Interviewten an Nord | DO 17. bis SA 19. August | CHF 43.— Dokumentarische Performance Dauer | 60 Min. Sprache | Chinesisch, mit deutschen und englischen Übertiteln, Ton induk- tionsverstärkt Publikumsgespräch | FR 18. August, nach der Vorstellung

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CHINA, PEKING

WEN HUI & LIVING DANCE STUDIORed

die Zeit der Kulturrevolution. Auf diese Weise soll die Wandlung des «Roten Frauenbataillons» von einer ideologisch aufgeladenen Ikone der Kulturrevolution zu einem Objekt der Popkultur in der Post-Mao-Zeit untersucht werden. The-matisiert werden aber auch die Aneig-nungsversuche feministischer Akteurin-nen, die in dem Theaterstück ein Beispiel weiblicher Selbstermächtigung sehen.

DAS REVOLUTIONÄRE MODELLTHEATER 革命样板戏Der Begriff des Revolutionären Modell-theaters bezieht sich auf die acht Thea-terstücke, die anlässlich des 25. Jahres-tags von Maos Reden über Literatur und Kunst in Yanan im Mai und Juni 1967 in Peking aufgeführt wurden. Die Reden definierten die Kulturpolitik als das zentrale Instrument zur Erziehung des proletarischen Subjekts. Die Modell-theaterstücke umfassen die fünf Peking- Opern «Die Legende von der Roten Laterne», «Shajiabang», «Die listige Einnahme des Tigerbergs», «Am Hafen» und «Angriff auf das weisse Tiger-regiment», die beiden Ballette «Das Mädchen mit den weissen Haaren» und «Das rote Frauenbataillon» sowie die revolutionäre Symphonie «Shajiabang».

Diese acht Modelltheaterstücke standen unter dem direkten Einfluss der herrschenden maoistischen Ideologie und Rhetorik. Ihre Umsetzung wurde von

Die Choreografin, Tänzerin und Dokumentar­filmerin Wen Hui war mit ihrem

Living Dance Studio 2004 die erste freie Gruppe aus China am Theater Spektakel. Bereits damals zeichneten sich ihre Arbeiten durch einen künstlerisch überzeugenden Umgang mit dokumentari­schem Material aus. Nun ist sie zurück mit einem grandio­sen Essay zum Zusammen­hang von Körper und Erinne­rung. Ausgangspunkt ist das legendäre Ballettstück «The Red Detachment of Women» (Das rote Frauenbataillon), eine Propagandaproduktion aus der Zeit der chinesischen Kulturrevolution.

«Red» ist die neuste Arbeit der Choreo-grafin und Tänzerin Wen Hui und des Living Dance Studios aus Peking. Es handelt sich um eine dokumentarische Performance, die vom Ballett «Das rote Frauenbataillon» ausgeht, das im Sep-tember 1964 in Peking uraufgeführt wurde. «Das rote Frauenbataillon» ist eines der acht revolutionären Modell-theaterstücke, die in der Zeit der Kultur-revolution (1966–1976) den kulturellen Kanon Chinas ausmachten. Es erzählt die Geschichte des Bauernmädchens Wu Qionghua, das aus seiner Versklavung entflieht und sich dem Roten Frauen-bataillon anschliesst, um die nationalis-tische Armee zu bekämpfen. Das Ballett wurde damals sehr geschätzt, weil es re-volutionäre Ideologie und künstlerische Meisterschaft verband und diese Ver-bindung in einer einmaligen Mischung aus westlicher Balletttechnik und klas-sischen chinesischen Volkstänzen zum Ausdruck brachte.

In ihrem Tanzstück «Red» nimmt Wen Hui das Motiv der heroischen, pis-tolenschwingenden Ballerina genauer unter die Lupe. Sie hat dafür zusammen mit ihrem Team eine Reihe dokumenta-rischer Materialien genauer untersucht: Texte und Fotografien des originalen Modelltheaterstücks, biografische und persönliche Geschichten der einstigen Darstellerinnen sowie neue Interviews mit ihnen. Im Mittelpunkt stehen die Auffassungen und die Erinnerungen der verschiedenen Generationen angehören-den Tänzerinnen und Interviewten an

Nord | DO 17. bis SA 19. August | CHF 43.—Dokumentarische PerformanceDauer | 60 Min.Sprache | Chinesisch, mit deutschen und englischen Übertiteln, Ton induk-tionsverstärktPublikumsgespräch | FR 18. August, nach der Vorstellung

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BESETZUNG

Choreografie Wen Hui Text Zhuang Jiayun Dramaturgie Kai Tuchmann Mit Jiang Fan, Li Xinmin, Liu Zhuying, Wen HuLichtdesign Edwin van SteenbergenVideo Zou Xueping Bühnenbild Zhou Jie Interviews Wen Hui, Zhuang Jiayun, Zou Xueping Musik Wen Lvyuan Übersetzung Kai Tuchmann, Zhuang Jiayun Übertitelung Kai Tuchmann Produktion Living Dance Studio Koproduktion Goethe-Institut Peking Unterstützung Power Station of Art Schanghai, Purple Star Culture & Com-munication Co. Ltd., Fontier Center Premiere Power Station of Art, Shanghai Contemporary Art Museum, Dezember 2015 Foto Richy Wong

Kooperation Veranstaltet in Zusammen-arbeit mit dem Kunstfest Weimar.

Maos Ehefrau Jiang Qing kontrolliert, die selber in den 1920er und 1930er Jah-ren als Schauspielerin in Theater und Film gearbeitet hat. Die acht Theater-stücke versuchten die traditionelle chi-nesische Oper formal und inhaltlich zu modernisieren. Gleichzeitig wollten sie die westliche Balletttechnik revolutionie-ren. Neben ihren zeitgenössischen revo-lutionären Themen zeichneten sich die Modelltheaterstücke vor allem dadurch aus, dass die Darstellenden Umgangs-sprache redeten, Alltagskostüme trugen und in einem relativ realistischen Setting agierten. Auf diese Weise sollte dem Publikum die Prinzipien des Klassen-kampfes vermittelt werden.

Durch den grossen Einfluss von Jiang Qing wurden die Modelltheaterstücke sehr populär. Amateur- und Profitheater-gruppen führten sie auf den Bühnen des ganzen Landes auf, sie wurden verfilmt und für das Radio vertont. Über den künstlerischen Wert der Modelltheater-stücke lässt sich diskutieren, doch ihre politische und soziale Signifikanz ist unbestritten. Während der Kulturrevo-lution wurden auch andere Opern und Sprechtheaterstücke aufgeführt, doch kein Werk erreichte die Popularität der acht revolutionären Modelltheaterstücke.