Zulässigkeit von Unterhaltungsmaßnahmen an Infrastruktureinrichtungen und Gewässern in Natura...

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richtlich beanstandet werden kann. 65 Und in der Tat sind nach der neueren Rechtsprechung des EuGH die Verfah- rensvorschriften von UVP-RL und Industrieemissions-RL als Schutznormen anzusehen. Doch fordert weder der Ef- fektivitätsgrundsatz noch das Gebot eines weiten Zugangs zu den Gerichten 66 eine Vorverlagerung des Rechtsschut- zes gegen Verfahrensfehler in die Phase des noch laufen- den Verwaltungsverfahrens. Denn nach dem eindeutigen Wortlaut von Art. 11 Abs. 2 UVP-RL bzw. Art. 25 Abs. 2 Industrieemissions-RL steht es den Mitgliedstaaten frei, in welchem Verfahrensstadium sie den Rechtsschutz eröffnen wollen. Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob es nicht zu- mindest partiell sinnvoll wäre, abweichend von § 44 a VwGO Rechtsschutz gegen Verfahrensfehler auch schon während des laufenden Verwaltungsverfahrens zu eröff- nen. 67 Denn die durch die Richtlinien bzw. das UmwRG eröffnete Möglichkeit der Anfechtung der Sachentschei- dung allein wegen eines Verfahrensfehlers kann die Ver- wirklichung des betreffenden Vorhabens beträchtlich ver- zögern. Vor allem in den Konstellationen, in denen die UVP-Pflichtigkeit streitig ist, sei es in Auslegung gesetz- licher Vorgaben, sei es aufgrund einer Vorprüfung, könnte die Zulassung eines Zwischenstreits die sonst drohende Notwendigkeit einer „Zurückdrehung“ des Verfahrens (siehe oben 2.2.3.) verhindern. 5. Schlussbetrachtung Bei vordergründiger Betrachtung sind die Auswirkungen der Altrip-Entscheidung des EuGH auf den Themen- komplex „Rechtsschutz gegen Fehler in Umweltverwal- tungsverfahren“ überschaubar. Dass § 4 UmwRG bezüg- lich der Nichtberücksichtigung der fehlerhaften UVP zu kurz springt, ist oft genug angemahnt worden, so dass die Bestätigung aus Luxemburg zumindest nicht jeden überrascht. Auch die Korrektur bei der Handhabung der Fehlerkausalität im Rahmen des § 46 VwVfG ist nicht spektakulär. Es ist allerdings davor zu warnen, nochmals die Reich- weite dessen, was das europäische Umweltrecht verlangt, unterschätzen zu wollen. Die Häufigkeit, mit der sich der deutsche Gesetzgeber durch Kommission und EuGH in diesem Bereich mahnen lassen muss, ist durchaus be- merkenswert. Bei näherer Betrachtung hat der EuGH durchaus stringente Vorstellungen, wie ein System des Rechtsschutzes bei Verfahrensfehlern im Umweltrecht auszusehen hat. Dies ernst zu nehmen, ist ein kleiner Schritt für das deutsche Rechtssystem, aber ein großer Schritt für die Integration. Das Problem der Verträglichkeit von Unterhaltungsmaßnahmen an Straßen- und Schienenwegen, Gewässern sowie Hochwasser- schutzanlagen mit Naturschutzbelangen stellt ein aktuelles Thema dar, das in vielerlei Hinsicht ungeklärte Fragen aufwirft. Denn die genannten Unterhaltungsobjekte befinden sich in der Regel in der freien Natur, häufig sogar in Schutzgebieten, wo sie als Lebens- räume für geschützte Tiere und Pflanzen dienen. Daher stehen derartige Maßnahmen nicht selten im Konflikt mit dem Natur- schutz, insbesondere, wenn diese die Erhaltungsziele von Natura 2000-Gebieten beeinträchtigen. Der Beitrag stellt typische Unter- haltungsmaßnahmen vor und analysiert deren rechtliche Zulässig- keit aus Sicht des europäischen Gebietsschutzrechts unter besonde- rer Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH im sog. Papenburg-Urteil vom 14. 1. 2010 (C-226/08). Dabei wird ins- besondere das Verhältnis des Verschlechterungsverbotes zur Ver- träglichkeitsprüfung näher beleuchtet. Dr. jur. Juliane Albrecht und Ref. jur. Moritz Gies, wissenschaftliche Mitarbeiter am Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) in Dresden, Deutschland 1. Einleitung Unterhaltungsmaßnahmen sind in der Regel öffentliche Aufgaben, die im Interesse der Allgemeinheit wahrzuneh- men sind. Nach allgemeiner Definition betreffen diese die Instandhaltung und Instandsetzung von Anlagen. 2 Entspre- chende Maßnahmen können sich zum einen auf innerbe- triebliche Anlagen wie z. B. bestimmte Maschinen einer Betriebsstätte beziehen, betreffen zum anderen aber häu- DOI: 10.1007/s10357-014-2623-6 Zulässigkeit von Unterhaltungsmaßnahmen an Infrastruktureinrichtungen und Gewässern in Natura 2000- Gebieten im Lichte der Rechtsprechung des EuGH Juliane Albrecht und Moritz Gies 1 © Springer-Verlag 2014 NuR (2014) 36: 235–246 235 Albrecht/Gies, Zulässigkeit von Unterhaltungsmaßnahmen an Infrastruktureinrichtungen 123 65) In diese Richtung Berkemann/Halama, Handbuch zum Recht der Bau- und Umweltrichtlinien der EU, 2. Aufl., Bonn 2011, Rdnr. 629; Schlacke in: Gärditz (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsord- nung, Köln 2013, § 1 UmwRG, Rdnr. 37. 66) Zur Unterscheidung dieser Grundsätze Ziekow (Fn. 62), NVwZ 2010, 793, 795 ff. 67) Siehe bereits Ziekow (Fn. 1), NVwZ 2005, 263, 266; zustimmend Alleweldt, Verbandsklage und gerichtliche Kontrolle von Verfah- rensfehlern: Neue Entwicklungen im Umweltrecht, DÖV 2006, 621, 629. 1) Bei dem Aufsatz handelt es sich um die überarbeitete und erwei- terte Version eines Vortrages, den die Erstautorin auf der gemeinsam durch das IÖR und das Bundesamt für Naturschutz (BfN) veran- stalteten Fachtagung „Wiederkehrende Eingriffe und FFH-Verträg- lichkeit“ am 1. 3. 2012 in Dresden gehalten hat. Die Tagungsdo- kumentation (Albrecht/Bernotat/Gies/Schäfer/Strugale/Wachs/Wende (Hrsg.): Wiederkehrende Eingriffe und FFH-Verträglichkeit. Dres- den, Leipzig: Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung und Bundesamt für Naturschutz, 57 S.) ist unter http://www2. ioer.de/download/ioer_de/Tagung_FFH_Unterhaltung.pdf ab- ruf bar (Stand: 28. 1. 2014). 2) Vgl. DIN 31051.

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richtlich beanstandet werden kann. 65 Und in der Tat sind nach der neueren Rechtsprechung des EuGH die Verfah-rensvorschriften von UVP-RL und Industrieemissions-RL als Schutznormen anzusehen. Doch fordert weder der Ef-fektivitätsgrundsatz noch das Gebot eines weiten Zugangs zu den Gerichten 66 eine Vorverlagerung des Rechtsschut-zes gegen Verfahrensfehler in die Phase des noch laufen-den Verwaltungsverfahrens. Denn nach dem eindeutigen Wortlaut von Art. 11 Abs. 2 UVP-RL bzw. Art. 25 Abs. 2 Industrieemissions-RL steht es den Mitgliedstaaten frei, in welchem Verfahrensstadium sie den Rechtsschutz eröffnen wollen.

Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob es nicht zu-mindest partiell sinnvoll wäre, abweichend von § 44 a VwGO Rechtsschutz gegen Verfahrensfehler auch schon während des laufenden Verwaltungsverfahrens zu eröff-nen. 67 Denn die durch die Richtlinien bzw. das UmwRG eröffnete Möglichkeit der Anfechtung der Sachentschei-dung allein wegen eines Verfahrensfehlers kann die Ver-wirklichung des betreffenden Vorhabens beträchtlich ver-zögern. Vor allem in den Konstellationen, in denen die UVP-Pflichtigkeit streitig ist, sei es in Auslegung gesetz-licher Vorgaben, sei es aufgrund einer Vorprüfung, könnte die Zulassung eines Zwischenstreits die sonst drohende Notwendigkeit einer „Zurückdrehung“ des Verfahrens (siehe oben 2.2.3.) verhindern.

5. Schlussbetrachtung

Bei vordergründiger Betrachtung sind die Auswirkungen der Altrip-Entscheidung des EuGH auf den Themen-

komplex „Rechtsschutz gegen Fehler in Umweltverwal-tungsverfahren“ überschaubar. Dass § 4 UmwRG bezüg-lich der Nichtberücksichtigung der fehlerhaften UVP zu kurz springt, ist oft genug angemahnt worden, so dass die Bestätigung aus Luxemburg zumindest nicht jeden überrascht. Auch die Korrektur bei der Handhabung der Fehlerkausalität im Rahmen des § 46 VwVfG ist nicht spektakulär.

Es ist allerdings davor zu warnen, nochmals die Reich-weite dessen, was das europäische Umweltrecht verlangt, unterschätzen zu wollen. Die Häufigkeit, mit der sich der deutsche Gesetzgeber durch Kommission und EuGH in diesem Bereich mahnen lassen muss, ist durchaus be-merkenswert. Bei näherer Betrachtung hat der EuGH durchaus stringente Vorstellungen, wie ein System des Rechtsschutzes bei Verfahrensfehlern im Umweltrecht auszusehen hat. Dies ernst zu nehmen, ist ein kleiner Schritt für das deutsche Rechtssystem, aber ein großer Schritt für die Integration.

Das Problem der Verträglichkeit von Unterhaltungsmaßnahmen an Straßen- und Schienenwegen, Gewässern sowie Hochwasser-schutzanlagen mit Naturschutzbelangen stellt ein aktuelles Thema dar, das in vielerlei Hinsicht ungeklärte Fragen aufwirft. Denn die genannten Unterhaltungsobjekte befinden sich in der Regel in der freien Natur, häufig sogar in Schutzgebieten, wo sie als Lebens-räume für geschützte Tiere und Pflanzen dienen. Daher stehen derartige Maßnahmen nicht selten im Konflikt mit dem Natur-schutz, insbesondere, wenn diese die Erhaltungsziele von Natura 2000-Gebieten beeinträchtigen. Der Beitrag stellt typische Unter-haltungsmaßnahmen vor und analysiert deren rechtliche Zulässig-keit aus Sicht des europäischen Gebietsschutzrechts unter besonde-rer Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH im sog. Papenburg-Urteil vom 14. 1. 2010 (C-226/08). Dabei wird ins-besondere das Verhältnis des Verschlechterungsverbotes zur Ver-träglichkeitsprüfung näher beleuchtet.

Dr. jur. Juliane Albrecht und Ref. jur. Moritz Gies, wissenschaftliche Mitarbeiter am Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) in Dresden, Deutschland

1. Einleitung

Unterhaltungsmaßnahmen sind in der Regel öffentliche Aufgaben, die im Interesse der Allgemeinheit wahrzuneh-men sind. Nach allgemeiner Definition betreffen diese die Instandhaltung und Instandsetzung von Anlagen. 2 Entspre-chende Maßnahmen können sich zum einen auf innerbe-triebliche Anlagen wie z. B. bestimmte Maschinen einer Betriebsstätte beziehen, betreffen zum anderen aber häu-

DOI: 10.1007/s10357-014-2623-6

Zulässigkeit von Unterhaltungsmaßnahmen an Infrastruktureinrichtungen und Gewässern in Natura 2000- Gebieten im Lichte der Rechtsprechung des EuGHJuliane Albrecht und Moritz Gies 1

© Springer-Verlag 2014

NuR (2014) 36: 235–246 235Albrecht/Gies, Zulässigkeit von Unterhaltungsmaßnahmen an Infrastruktureinrichtungen

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65) In diese Richtung Berkemann/Halama, Handbuch zum Recht der Bau- und Umweltrichtlinien der EU, 2. Aufl., Bonn 2011, Rdnr. 629; Schlacke in: Gärditz (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsord-nung, Köln 2013, § 1 UmwRG, Rdnr. 37.

66) Zur Unterscheidung dieser Grundsätze Ziekow (Fn. 62), NVwZ 2010, 793, 795 ff.

67) Siehe bereits Ziekow (Fn. 1), NVwZ 2005, 263, 266; zustimmend Alleweldt, Verbandsklage und gerichtliche Kontrolle von Verfah-rensfehlern: Neue Entwicklungen im Umweltrecht, DÖV 2006, 621, 629.

1) Bei dem Aufsatz handelt es sich um die überarbeitete und erwei-terte Version eines Vortrages, den die Erstautorin auf der gemeinsam durch das IÖR und das Bundesamt für Naturschutz (BfN) veran-stalteten Fachtagung „Wiederkehrende Eingriffe und FFH-Verträg-lichkeit“ am 1. 3. 2012 in Dresden gehalten hat. Die Tagungsdo-kumentation (Albrecht/Bernotat/Gies/Schäfer/Strugale/Wachs/ Wende (Hrsg.): Wiederkehrende Eingriffe und FFH-Verträglichkeit. Dres-den, Leipzig: Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung und Bundesamt für Naturschutz, 57 S.) ist unter http://www2. ioer.de/download/ioer_de/Tagung_FFH_Unterhaltung.pdf ab-rufbar (Stand: 28. 1. 2014).

2) Vgl. DIN 31051.

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fig auch linienförmige Infrastruktureinrichtungen wie z. B. Straßen-, Schienen- und Schifffahrtswege oder Hochwas-serschutzanlagen (z. B. Deiche). Nicht zuletzt beziehen sich Unterhaltungsmaßnahmen aber auch auf die Pflege und Entwicklung von Gewässern (vgl. § 39 Abs. 1 S. 1 WHG).

Sowohl die Unterhaltung von Infrastruktureinrichtun-gen als auch die Gewässerunterhaltung können Konflikte mit dem Naturschutz, insbesondere dem Gebiets- und Ar-tenschutz verursachen. So sind entsprechende Unterhal-tungsmaßnahmen häufig mit der Entfernung von Pflanzen (z. B. Gehölzschnitt) und Beeinträchtigungen der Tierwelt verbunden bzw. können zu einer Verschlechterung von Ha-bitaten führen. Besonders virulent werden entsprechende Unterhaltungsmaßnahmen, wenn sich die zu unterhalten-den Infrastruktureinrichtungen oder Gewässer im Bereich von Natura 2000-Gebieten, d. h. FFH- und Vogelschutz-gebieten, 3 befinden (bzw. im Fall unterhaltungspflichtiger Gewässer selbst Teil solcher Gebiete sind). In diesen Fällen stellt sich die Frage, ob eine Verträglichkeitsprüfung gemäß Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL (für Vogelschutzgebiete i. V. m. Art.  7 FFH-RL) bzw. § 34 BNatSchG durchzuführen ist und welchen Anforderungen diese unterliegt.

Die rechtlichen Anforderungen an Unterhaltungsmaßnah-men erweisen sich – gerade auch im Hinblick auf die Berück-sichtigung von Naturschutzbelangen – in vielfacher Hinsicht als ungeklärt. Nicht selten werden Eingriffe in Natur und Landschaft in der Praxis als „nicht genehmigungspflichtige Unterhaltungsmaßnahmen“ deklariert, in der Annahme sie damit dem strengen Genehmigungsregime der FFH-Richt-linie entziehen zu können. Eine besondere Schwierigkeit besteht aus rechtlicher Sicht darin, dass es sich hierbei um wiederkehrende Maßnahmen handelt. Zur Frage, ob diese nur einmal oder immer wieder neu zu genehmigen sind, hat sich der EuGH in seinem Papenburg-Urteil vom 14. 1. 2010 (C-226/08) im Hinblick auf Ausbaggerungsarbeiten in der Ems geäußert. Dies soll zum Anlass genommen werden, die rechtlichen Voraussetzungen von Unterhaltungsmaßnahmen in Natura 2000-Gebieten unter besonderer Berücksichti-gung der europäischen Rechtsprechung zu beleuchten.

Der Artikel stellt zunächst typische Unterhaltungsmaß-nahmen an verschiedenen Infrastruktureinrichtungen und Gewässern sowie mögliche Beeinträchtigungen von Na-tura 2000-Gebieten dar (2). Anschließend werden die recht-lichen Anforderungen an die Zulässigkeit von derartigen Maßnahmen aus Sicht des europäischen Gebietsschutzes for-muliert  (3). Im Hinblick auf die Pflicht zur Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung steht dabei die Frage im Mit-telpunkt, ob es sich hierbei um ein Projekt (3.1) und wenn ja, um ein einheitliches Projekt oder immer wieder neue Pro-jekte handelt und nach welchen Kriterien dies zu entscheiden ist (3.2). Abschließend wird die Frage behandelt, wie mit sog. Altfällen umzugehen ist, d. h. Unterhaltungsmaßnahmen, die bereits vor der Ausweisung des betreffenden Gebietes als Natura 2000-Gebiet begonnen wurden (3.3). Der Beitrag schließt mit einem kurzen Fazit zu den Konsequenzen der EuGH-Rechtsprechung für die Betroffenen in der Praxis (4).

2. Unterhaltungsmaßnahmen und ihre Auswirkungen auf Pflanzen und Tiere

Sowohl die Art der Unterhaltungsmaßnahmen als auch ihre Auswirkungen auf Natura 2000-Gebiete hängen von den unterhaltungspflichtigen Objekten ab. Insofern ist zwi-schen Unterhaltungsmaßnahmen an Straßen und Schienen-wegen (2.1), Wasserstraßen und sonstigen Gewässern (2.2) sowie Hochwasserschutzanlagen (2.3) zu unterscheiden.

2.1 Unterhaltungsmaßnahmen an Straßen und Schienenwegen

Die Unterhaltung von Straßen- und Schienenwegen umfasst die Erhaltung der Substanz und des Gebrauchswertes der Ver-kehrsflächen (z. B. Straßen- und Bahnkörper) sowie ihrer Ne-

benflächen. Sie dient der Bewahrung oder Wiederherstellung des planungsrechtlich genehmigten Zustands, um die Funkti-onsfähigkeit der Anlage zu erhalten, wiederherzustellen und/oder sie an neue technische Standards anzupassen. Zu unter-scheiden ist zwischen betrieblicher und baulicher Unterhaltung.

Bei Straßen betreffen die Unterhaltungsmaßnahmen zum einen bauliche Anlagen wie die Fahrbahn oder Brücken-bauwerke, zum anderen aber auch Gehölzbestände, intensiv und extensiv gepflegte Rasenflächen und Hochstaudenflu-ren auf den Straßenböschungen, Grünflächen von Neben-anlagen oder Mulden sowie Versickerungs- und Rückhal-teanlagen. 4 Zur betrieblichen Unterhaltung gehören z. B. die Straßenreinigung 5, Gehölzpflege und Mäharbeiten im Intensiv- und Extensivbereich von Grünflächen 6 sowie der Winterdienst 7. Zur Freihaltung der Sichtflächen und des Lichtraumprofils wird ein regelmäßiger Rückschnitt an Gehölzflächen im Straßenrandbereich durchgeführt. 8 Maß-nahmen baulicher Art zielen vor allem auf die Sub stanz-erhaltung, etwa durch die Reparatur von Straßenschäden und Erneuerungsmaßnahmen ab. 9

Im Gebiet einer Straße existieren vielfältige Lebens-räume, die durch Unterhaltungsmaßnahmen beeinträchtigt werden können. Insbesondere kann es durch Maßnahmen der Grünpflege (Mähen, Gehölzrückschnitt, Anwendung von Pflanzenschutzmitteln) zu Beeinträchtigungen von Le-bensräumen, zur Störung oder sogar zur Tötung von Tieren kommen. 10 Durch die Sanierung von Brücken und Durch-lässen können Fledermausquartiere beeinträchtig werden. 11 Zudem verursacht der Winterdienst durch den Salzeintrag teilweise Schäden an Straßenbäumen und Grasnarben. Die Träger der Straßenbaulast sind verpflichtet, bei der Unter-haltung die Belange des Umweltschutzes zu berücksichti-gen (§ 3 Abs. 1 FernStrG).

Neben den Straßen stellen auch die Bahnanlagen Ver-kehrswege dar, die Nutzungsansprüchen unterliegen und instand gehalten und erneuert werden müssen (vgl. § 4 AEG). Bahnanlagen bestehen aus Unterbau (Tragschicht bzw. Damm) sowie Oberbau (Schotter, Gleise, Randweg und Kabelkanal). Weitere Bestandteile sind verschiedene Strom- und Signalleitungen sowie Nebenanlagen. 12 Wie-derkehrende Unterhaltungsmaßnahmen an Schienenwe-gen werden häufig durchgeführt. Im Vordergrund stehen die mechanische Schotterreinigung und der Schotteraus-tausch 13, der Gehölzschnitt zur Freihaltung der Signalsicht, der Randwege und zum Schutz des Lichtraumprofils und

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3) Begriffsdefinition nach § 7 Abs.  1 Nr.  6–8 BNatSchG, Art.  3 Abs. 1 UAbs. 2 Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. 5. 1992, ABl. L 206 vom 22. 7. 1992, S. 7 („FFH-RL“).

4) Wehner-Heil, FFH-Verträglichkeitsprüfung und Artenschutz bei der Unterhaltung von Straßen, in: Albrecht et  al. (Fn.  1), S. 136 ff.

5) Siehe auch Leistungsheft für den Straßenbetriebsdienst auf Bun-desfernstraßen, Leistungsbereich 4: Reinigung, Stand 2004, ins-besondere Leistung 4.13 (3).

6) Siehe auch Leistungsheft für den Straßenbetriebsdienst auf Bun-desfernstraßen, Leistungsbereich 2: Grünpflege, Stand 2004, ins-besondere Abs. 4 der Allgemeinen Anforderungen.

7) Siehe hierzu Leistungsheft für den Straßenbetriebsdienst auf Bun-desfernstraßen, Leistungsbereich 5: Winterdienst, Stand 2004.

8) Siehe auch Leistungsheft für den Straßenbetriebsdienst auf Bundes-fernstraßen, Leistungsbereich 2: Grünpflege, Stand 2004, S. 2.3.

9) Wehner-Heil (Fn. 4), S. 136.10) Siehe z. B. Kasper, Artenschutz bei der Unterhaltung von Stra-

ßenverkehrsflächen – Beispiele und Lösungsansätze, in: Albrecht et al. (Fn. 1), S. 144, 155.

11) Wehner-Heil (Fn. 4), S. 141; Kasper (Fn. 10), S. 158.12) Roll, Unterhaltungsmaßnahmen mit artenschutzrechtlichem

Konfliktpotenzial, in: Albrecht et al. (Fn. 1), S. 103, 105.13) Zu den einzelnen Schritten der Oberbausanierung Laufer, Bei-

spiele der Prüfung von Unterhaltungsmaßnahmen an Schienen-wegen unter besonderer Berücksichtigung von Amphibien und Reptilien, in: Albrecht et al. (Fn. 1), S. 121, 124.

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der spannungsführenden Anlagenteile sowie die chemische Unkrautbekämpfung im Gleisbereich. Hinzu kommen In-standhaltungsmaßnahmen an Brücken, Durchlässen und Tunneln. 14

Die Schienenwege haben im Hinblick auf Habitat- und Nutzungsstruktur im Vergleich zur Umgebung eine hohe Standortkonstanz. 15 Gleisbereich, Schotter, Entwässe-rungsanlagen, Randwege, angrenzende Böschungen und die folgende Vegetation genügen unterschiedlichsten Ha-bitat-Ansprüchen von Pflanzen und Tieren. 16 Für Amphi-bien bieten sie z. B. Winterquartiere und Jagdhabitate, für Reptilien zudem Sonnen- und Eiablageplätze. 17 Die Struk-tur der Anlagen ermöglicht deren Wanderung und Aus-breitung. Bahnanlagen bilden zudem wichtige Rückzugs-räume für Vögel in ausgeräumten Landschaften. 18 Aber auch geschützte Pflanzen wie das Tausendgüldenkraut und die Rauhe Nelke sind hier zu finden. 19

Die genannten Unterhaltungsmaßnahmen sind mit einer Reihe von Beeinträchtigungen für geschützte Tiere und Pflanzen verbunden. Die – je nach Beanspruchung der Stre-cke – alle 12 bis 15 Jahre durchgeführte Schotterreinigung begründet ein erhöhtes Mortalitätsrisiko für Amphibien und Reptilien, wobei hier noch erheblicher Forschungsbe-darf besteht. 20 Untersuchungen an Bahngleisen zeigen für die Zauneidechse ein Gefährdungspotential von 51–60 % und für die Mauereidechse ein Gefährdungspotential von 49–60 %. 21 Der Gehölzrückschnitt führt nicht selten zu ei-ner Beeinträchtigung von Lebensräumen. Durch Instand-haltungsmaßnahmen an Durchlässen und Tunneln können Fledermausquartiere beeinträchtigt werden. 22 Als Folge der chemischen Unkrautbekämpfung kommen negative Aus-wirkungen auf aquatische Organismen, Bodenmikro- und -makroorganismen, Bienen, Vögel und andere terrestrische Wirbeltiere sowie Nichtzielpflanzen in Betracht. 23

2.2 Unterhaltungsmaßnahmen an Wasserstraßen und sonstigen Gewässern

Im Bereich von Unterhaltungsmaßnahmen an Wasserstra-ßen ergeben sich die besonderen Herausforderungen aus der Doppelnatur der schiffbaren Gewässer als Verkehrs-weg und zugleich geschützter Bestandteil der Natur. 24 Aber auch nicht schiffbare Gewässer sind unterhaltungspflichtig. Zu unterscheiden sind die wasserwirtschaftliche und die wasserwegerechtliche Unterhaltung:

Die wasserwirtschaftliche Unterhaltung umfasst vor al-lem die Erhaltung des Gewässerbetts und des Ufers, die Gewährleistung des Wasserabflusses, die Pflege und Ent-wicklung des Gewässers als Lebensraum, die Abführung von Geschiebe, Eis und Sedimenten sowie die Sicherung des natürlichen Wasserrückhalts (vgl. § 39 Abs.  1 S.  2 WHG). 25 Typische wasserwirtschaftliche Unterhaltungs-maßnahmen sind das Mähen oder Beweiden der Ufer, die Entfernung von Röhricht, das Krauten (Beseitigung von Aufwuchs im Gewässerbett), die Gewässerräumung (Ent-fernung von Sedimenten etc.), Gehölzpflege und -umbau im Sinne einer standorttypischen Vegetation, die Beseiti-gung von Schäden am Gewässerbett und die Beseitigung von natürlichen Abflussstörungen, wozu u. a. auch Biber-dämme zählen können. 26

An schiffbaren Gewässern ist zusätzlich zur wasserwirt-schaftlichen Unterhaltung eine wasserwegerechtliche (bzw. verkehrliche) Gewässerunterhaltung durchzuführen, wo-bei speziell für Bundeswasserstraßen die Vorschriften des Bundeswasserstraßengesetzes einschlägig sind (für die sonstigen Gewässer gilt § 39 WHG). Die verkehrliche Un-terhaltung umfasst Maßnahmen zur Gewährleistung des Wasserabflusses und zur Erhaltung der Schiffbarkeit, d. h. die Erhaltung der Fahrrinne und Regulierungsbauwerke sowie die Sicherung der Sohle und der Ufer (vgl. §§ 7, 8 WaStrG, § 39 WHG). 27 Typische Maßnahmen sind sol-che der Geschiebeentnahme, -zugabe und -umlagerung,

der Instandsetzung von Sohl- und Grundschwellen, der Sohlsicherung (Kolkverbau) und der Instandsetzung der Deckwerke. Daneben zählen auch die Beseitigung von na-türlichen Abflussstörungen, die Unterhaltung von wasser-baulichen Anlagen wie z. B. Buhnen, der Gehölzschnitt bzw. Gehölzbeseitigung, das Mähen oder Beweiden von Uferbereichen sowie die Beseitigung von Uferabbrüchen und Ausspülungen zu verkehrlichen Unterhaltungsmaß-nahmen an Gewässern.

Nicht zur Gewässerunterhaltung gehören hingegen Maßnahmen des Gewässerausbaus, d. h. solche, die die we-sentliche Umgestaltung eines Gewässers zum Ziel haben, 28 wobei die Unterscheidung im Hinblick auf das 2002 ein-geführte Ziel der Gewässerentwicklung (hierzu sogleich) im Einzelfall schwierig sein kann. 29 Ebenfalls nicht als Un-terhaltungsmaßnahmen zu qualifizieren sind Maßnahmen des Hochwasserschutzes, soweit diese über die Sicherung des normalen Wasserabflusses oder die Erhaltung des Ge-wässerbetts (vgl. § 39 WHG) hinausgehen. 30 Maßnahmen zur Verbesserung der Wassergüte 31 oder die Erfüllung von Verkehrssicherungspflichten 32 zählen ebenfalls nicht zu den Unterhaltungsmaßnahmen.

Die Ziele der Gewässerunterhaltung sind vielschichtig und haben sich im Laufe der Zeit gewandelt. 33 Gemäß § 39 Abs. 1 S. 1 WHG umfasst die Unterhaltung eines Gewäs-

NuR (2014) 36: 235–246 237Albrecht/Gies, Zulässigkeit von Unterhaltungsmaßnahmen an Infrastruktureinrichtungen

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14) Roll (Fn. 12), S. 109.15) Laufer (Fn. 13), S. 20.16) Ausführlich hierzu Gellermann, Artenschutz auf Bahnanlagen,

DVBl. 2005, S.  73 ff.; Roll u. a., Umwelt-Leitfaden zur eisen-bahnrechtlichen Planfeststellung und Plangenehmigung sowie für Magnetschwebebahnen, Teil V, Stand 2010, Anhang V-2.

17) Laufer (Fn. 13), S. 122 f.; Uitvlugt (Red.), Jede halbe Stunde eine Eidechse, in: Rund ums Gleis. Magazin der Strukton Rail, 2009, S. 22 f.

18) Roll (Fn. 12), S. 108.19) Gellermann (Fn. 16), S. 73, 74 f.20) Vgl. Roll (Fn. 12), S. 111 ff., sowie Laufer (Fn. 13), S. 121 ff.21) Laufer (Fn. 13), S. 125 f.22) Roll (Fn. 12), S. 107.23) Roll (Fn. 12), S. 115.24) Hierzu Steege, Verkehrsweg und europäisch geschützte Natur

zugleich – Herausforderungen und Lösungsansätze für die Un-terhaltung von Bundeswasserstraßen, in: Albrecht et al. (Fn. 1), S. 160 ff.

25) Näher hierzu BMVBS, Rahmenkonzept Unterhaltung. Ver-kehrliche und wasserwirtschaftliche Unterhaltung an Bundes-wasserstraßen, 2010, S. 20 ff.

26) Vgl. auch Patt/Jürging/Kraus, Naturnaher Wasserbau. Entwick-lung und Gestaltung von Fließgewässern, 4. Aufl., S. 351, 353 ff.; Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein (Hrsg.), Arten- und Naturschutz bei der Gewässerunterhaltung, S.  17 ff.; Kibele, Der Biber auf dem Vormarsch – Einige Bemerkungen zum Verhältnis von Wasser- und Naturschutzrecht, ZfW 2011, S. 121, 126; Beispiele für die wasserwirtschaftliche und verkehrliche Unterhaltung in BMVBS (Fn. 25), S. 41 ff.

27) Vgl. hierzu BMVBS (Fn. 25), S. 10; AG WSV-Elbeländer, Ein-schätzung wasserbaulicher Maßnahmen in Schutzgebieten der Elbe und Empfehlungen für die Erleichterung der Abstim-mungsverfahren, Teilbericht 4. Zusammenfassung, 2004, S. 9.

28) Vgl. Wasserverbandstag e. V. (Hrsg.), Gewässerunterhaltung in Niedersachsen. Teil  A: Rechtlich-fachlicher Rahmen, 2011, S. 11; BMVBS (Fn. 25), S. 15 f.; Friesecke, WaStrG, 4. Aufl. 1999, § 8 Rdnr. 2.

29) Ausführlich hierzu Reinhardt, Ökologische Gewässerunterhal-tung unter der Wasserrahmenrichtlinie, NVwZ 2008, S. 1048 ff.

30) Heinz/Esser, Maßnahmenplanung nach der Wasserrahmenricht-linie – Schifffahrt und Wasserwirtschaft, ZUR 2009, S.  254, 255; BT-Drs. 16/12275, S. 63.

31) Czychowski/Reinhardt, WHG. Kommentar, 10. Aufl., 2010, § 39 Rdnr. 35; Breuer, Öffentliches und privates Wasserrecht, 3. Aufl. 2004, Rdnr. 917.

32) BMVBS (Fn. 25), S. 16.33) Ausführlich hierzu Reinhardt (Fn. 29), S. 1048 ff.

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sers seine Pflege und – seit dem zur Umsetzung der WRRL dienenden 7. WHG-Änderungsgesetz vom 18. 6. 2002 34 – auch seine Entwicklung. Während die Pflege die Erhal-tung eines bestimmten Gewässerzustandes beschreibt, stre-ben Maßnahmen der Entwicklung eine Hinführung auf einen positiven Zustand bzw. eine Verbesserung an. Ge-wässerpflege und -entwicklung sind an den Zielen der §§ 27 bis 31 WHG, d. h. der Erreichung des guten Zustands der Gewässer i. S. des Art. 4 Wasserrahmenrichtlinie (WRRL), auszurichten (vgl. § 39 Abs. 2 S. 1 WHG). Bei der Unterhal-tung ist der Erhaltung der Leistungs- und Funktionsfähig-keit des Naturhaushalts Rechnung zu tragen (§ 39 Abs. 2 S. 3 WHG).

Die beispielhafte Aufzählung von Unterhaltungsmaß-nahmen in § 39 Abs. 1 S. 2 WHG beschreibt die – vornehm-lich mit der Umsetzung der WRRL verbundenen ökologi-schen – Inhalte näher (z. B. Erhaltung und Förderung der ökologischen Funktionsfähigkeit des Gewässers insbeson-dere als Lebensraum von wild lebenden Tieren und Pflan-zen). Gleichzeitig werden aber auch die Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Wasserabflusses und die Erhaltung der Schiffbarkeit als Ziele hervorgehoben (vgl. § 39 Abs. 1 S. 2 Nrn. 1 und 2 WHG). Zwischen den genannten Zielen kön-nen sich teilweise Überschneidungen 35, teilweise aber auch Konflikte ergeben (z. B. Sicherung des schadlosen Wasser-abflusses versus Schaffung naturnaher Gewässerstrukturen, etwa durch Belassen umgestürzter Bäume) 36.

Auf den Naturhaushalt wirken sich Unterhaltungsmaß-nahmen wie die Geschiebeentnahme, -zugabe und -um-lagerung vor allen Dingen insofern aus, als sie die Gewäs-sersohle als Lebensraum, die Fließgeschwindigkeit und die Sedimentablagerung beeinflussen. Im Uferbereich kann es zur Beeinträchtigung der Gewässerstruktur und zu Le-bensraumverlusten durch Mahd und Gehölzbeseitigung kommen. 37 Eine Gewässerräumung führt häufig zu Beein-trächtigungen oder gar zur Tötung von Pflanzen und Tie-ren. 38 Hiervon betroffen sind auch besonders bzw. streng geschützte Arten wie das Bachneunauge oder Flussneun-auge, sowie die Grüne Mosaikjungfer und die Kleine Fluss-muschel. 39 Das Entfernen von Gehölzen und des Röhrichts kann mit der Beseitigung von Fortpflanzungs- und Ruhe-stätten geschützter Arten oder von Nahrungsflächen (z. B. Totholz) verbunden sein. 40

2.3 Unterhaltungsmaßnahmen an Hochwasserschutzanlagen

Von den Unterhaltungsmaßnahmen an den Gewässern sind die Unterhaltungsmaßnahmen an Hochwasserschutz-einrichtungen zu unterscheiden. Öffentliche Hochwas-serschutzanlagen sind Deiche, Hochwasserschutzmauern, Hochwasserrückhaltebecken und sonstige Anlagen, die dem Schutz der Allgemeinheit vor Hochwasser zu die-nen bestimmt sind. Hierzu gehören auch dem Hochwas-serschutz dienende Nebeneinrichtungen wie Schöpfwerke, Deichsiele und die nicht dem öffentlichen und landwirt-schaftlichem Verkehr gewidmeten Deichunterhaltungs- und Deichverteidigungswege (vgl. § 78 Abs. 1 SächsWG).

Die Unterhaltung einer öffentlichen Hochwasserschutz-anlage umfasst deren Erhaltung bzw. die Wiederherstellung deren ursprünglichen Zustands. Hierzu gehören z. B. die zum Schutz gegen Angriffe des Wassers notwendigen Maß-nahmen, die Beseitigung von Schäden, der Erhalt und die Pflege der Grasnarbe (z. B. durch eine regelmäßige Mahd), die Beseitigung von Bewuchs und die Abwehr von Tie-ren, die den Deich schädigen können (z. B. Wühltiere wie Bisam und Nutria oder Biber 41). 42 Nicht zuletzt wird auch die Beseitigung langjährig stehender Bäume, Sträucher und Wurzelstöcke, die die öffentliche Hochwasserschutz-anlage gefährden oder beeinträchtigen können, als Unter-haltungsmaßnahme angesehen (vgl. § 79 Abs. 3 SächsWG).

Sowohl der Deichkörper als solcher, als auch die beidsei-tigen Schutzstreifen von mehreren Metern (vgl. § 81 Abs. 2

und 3 SächsWG) bieten Lebensräume für zahlreiche Pflan-zen und Tiere. Südwärts ausgerichtete Deichböschungen sind oft wertvolle Trockenstandorte, z. B. von Magerra-sengesellschaften. 43 Die beschriebenen Unterhaltungsmaß-nahmen wie die Entfernung von Bäumen und Sträuchern, aber auch die Mahd können in diese Lebensräume eingrei-fen (z. B. durch das Ausmähen von Wiesenbruten, die Be-seitigung von Nisthöhlen und Winterquartieren für Fle-dermäuse). 44 Weitere Beeinträchtigungen können durch das Verfüllen von Hohlräumen, die Verdichtung von Erd-substrat, das Verfugen von Mauerwerk und die Abwehr von (Wühl-) Tieren entstehen. Nicht selten bringen diese Maß-nahmen auch die Beseitigung von Fortpflanzungs-, Ruhe-stätten und Nahrungshabitaten geschützter Arten (wie z. B. des Bibers) mit sich.

Auen und Deichvorländer außerhalb der Deichschutz-streifen sind nicht Teil der Hochwasserschutzanlagen. Maßnahmen zur Verbesserung des Hochwasserabflusses in diesen Bereichen zählen daher trotz ihrer regelmäßi-gen Wiederkehr nicht zu den Unterhaltungsmaßnahmen, können aber ebenfalls zu Konflikten mit dem europäischen Gebiets- und Artenschutz führen. 45 Ebenso nicht als Un-terhaltungsmaßnahmen einzustufen sind die Erhöhung von Deichen oder die Umwandlung von Verwallungen in normgerechte Deiche, da diese in aller Regel den Hoch-wasserabfluss beeinflussen. 46 Vielmehr handelt es sich hier-bei um Maßnahmen des Gewässerausbaus, die der Plan-

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34) BGBl. I, S. 1914.35) BMVBS (Fn. 25), S. 36 f.36) Wasserverbandstag e. V. (Fn. 28), S. 36 f.37) Vgl. Wasserverbandstag e. V. (Fn. 28), S. 30 f.; Trautner, Artenschutz

und Umwelthaftung bei Pflege- und Unterhaltungsmaßnahmen an Fließgewässern, Naturschutz und Landschaftsplanung 2009, S. 78, 79 f.

38) Vgl. Braukmann/Bendorf, Auswirkungen technischer Unterhal-tungsmaßnahmen auf Fließgewässer des Tieflandes in Bran-denburg, in: Lüderitz/Jüpner/Dittrich (Hrsg.) Magdeburger Wasserwirtschaftliche Hefte: Auswirkungen von Eingriffen in Fließgewässer, Bd. 10, 2010, S. 103 ff. Eine Übersicht der Beein-trächtigungen durch Unterhaltungsmaßnahmen bieten Pardey/Rauers/van de Weyer, Gräben in Nordrhein-Westfalen. Empfeh-lungen zur Unterhaltung aus naturschutzfachlicher Sicht, LÖBF-Mitteilungen 4/04, S. 40, 42 ff.

39) Vgl. Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein (Hrsg.), Arten- und Naturschutz bei der Gewässerunterhaltung, S.  8 ff.; Wasserverbandstag e. V. (Fn.  28), Anhang 2; Krings, Artenschutz in der Gewässerunterhaltung: Der schleswig-holsteinische Weg, in: Albrecht et  al. (Fn. 1), S.  39, 215, 217.

40) Wasserverbandstag e. V. (Fn. 28), S. 35 f.41) Der Biber ist in Anhang IV FFH-Richtlinie aufgeführt und ge-

hört damit sogar zu den streng geschützten Arten; vgl. Kibele (Fn. 26), S. 121, 130.

42) Landesanstalt für Umweltschutz Baden-Württemberg, Flussdeiche. Überwachung und Verteidigung, 2005, S. 13 f.; Ministerium für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt Thüringen, Anleitung für die Verteidigung von Flussdeichen, Stauhaltungsdämmen und kleinen Staudämmen, 2003, S. 6. Die Pflege der Grasnarbe, die Beseitigung von Gehölzen sowie die Abwehr von Wühltieren werden in den DVWK-Merkblättern 226/1993 „Landschafts-ökologische Gesichtspunkte bei Flussdeichen“ und 247/1997 „Bisam, Biber, Nutria, Erkennungsmerkmale und Lebenswei-sen, Gestaltung und Sicherung gefährdeter Ufer, Deiche und Dämme“ ausführlich beschrieben.

43) Landesanstalt für Umweltschutz Baden-Württemberg (Fn. 42), S. 16.44) Zu weiteren Beispielen Seidemann, Unterhaltungsmaßnahmen

beim Hochwasserschutz – Hindernisse und Wege zu einer guten fachlichen Naturschutzpraxis, in: Albrecht et al. (Fn. 1), S. 204 ff.

45) S. hierzu Brahms/Jungmann/Schwarzer, Gehölzrückschnitte zur Verbesserung des Hochwasserabflusses und ihre FFH-Verträg-lichkeit. Vorgehen und Bewertungsmethode in Weichholz-Au-wäldern an der Elbe, Naturschutz und Landschaftsplanung 2009, S. 264 ff.

46) Seidemann (Fn. 44), S. 201, 203.

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feststellung unterliegen und in diesem Rahmen auf ihre Umweltverträglichkeit zu untersuchen sind (§ 67 Abs.  2 S. 3 WHG, vgl. aber auch § 83 Abs. 3 S. 2 SächsWG, der gewisse Vergrößerungen der Aufstandsfläche und Kubatur bei gleichbleibender Linienführung zulässt).

3. Anforderungen des Natura 2000-Gebiets-schutzrechts an Unterhaltungsmaßnahmen

Die oben beschriebenen Unterhaltungsmaßnahmen kön-nen neben artenschutzrechtlichen Problemen 47 insbeson-dere auch Konflikte mit dem Gebietsschutz hervorrufen. Dies gilt umso mehr, als sich nicht wenige der zu unter-haltenden Objekte in Natura 2000-Gebieten befinden und damit dem Schutz der FFH- und Vogelschutzrichtlinie un-terliegen. So grenzen Bahnstrecken und Straßen nicht sel-ten an Natura 2000-Gebiete an bzw. führen durch diese hindurch. 48 Entlang der Flussläufe der großen Ströme in Deutschland gibt es einige hunderte FFH-Gebiete, z. B. sind die Fahrrinnen im stark genutzten Mündungsbereich der Elbe und der Weser als FFH-Gebiete unter Schutz ge-stellt. 49 Aber auch kleinere Gewässer sind oft Teil von Na-tura 2000-Gebieten. So werden z. B. Gräben als Lebens-raum für eine Vielzahl naturraumtypischer und gefährdeter Tier- und Pflanzenarten geschützt. 50 Auch die Gewässer-auen, in denen sich Hochwasserschutzanlagen wie Deiche und Dämme befinden, sind häufig Bestandteil von Natura 2000-Gebieten.

Lassen Unterhaltungsmaßnahmen Konflikte mit den Er-haltungszielen der Natura 2000-Gebiete befürchten, so ist eine Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-Richtlinie (§ 34 ff. BNatSchG) durchzuführen. Vo-raussetzung hierfür ist, dass es sich bei den Unterhal-tungsmaßnahmen um ein „Projekt“ i. S. des Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie handelt (3.1). Dies ist insofern fraglich, als Unterhaltungsmaßnahmen grundsätzlich keine dauer-haften Veränderungen herbeiführen sollen. Die Kriterien des weiten, wirkungsbezogenen Projektbegriffs können gleichwohl im Einzelfall erfüllt sein. Da es sich bei Unter-haltungsmaßnahmen in der Regel um wiederkehrendende Maßnahmen handelt, stellt sich dabei auch die Frage, ob diese nur einmal einer Verträglichkeitsprüfung zu unter-ziehen sind oder deren Verträglichkeit immer wieder neu zu prüfen ist (3.2). Weiterhin ist zu beleuchten, ob sich die Pflicht zur Durchführung einer Verträglichkeitsprü-fung auch auf Unterhaltungspflichten erstreckt, die bereits vor Unterschutzstellung des betreffenden Gebietes begon-nen wurden (3.3). Zu beiden Fragestellungen hat sich der EuGH in seinem Papenburg-Urteil geäußert.

3.1 Unterhaltungsmaßnahmen als Projekt

Eine Verträglichkeitsprüfung ist für Unterhaltungsmaß-nahmen nur dann erforderlich, wenn es sich hierbei um Projekte oder Pläne i. S. des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL bzw. § 34 und § 36 BNatSchG handelt, die nicht als Gebietspfle-gemaßnahmen i. S. von Art. 6 Abs. 1 FFH-RL bzw. § 32 Abs.  3 S.  3 BNatSchG einzustufen sind. Da die meisten Unterhaltungsmaßnahmen derzeit (noch) nicht konzeptio-nell „vorgeplant“ sind, stellt sich in der Praxis vor allem die Frage, ob es sich hierbei um Projekte i. S. von § 34 Abs. 1 BNatSchG handelt.

3.1.1 Projektbegriff

Der Projektbegriff der FFH-Richtlinie ist deutlich an die Legaldefinition des Projektes in Art.  1 Abs.  2 lit.  a der UVP-Richtlinie 51 angelehnt. 52 Demnach sind die Errich-tung baulicher und sonstiger Anlagen und andere Eingriffe in Natur und Landschaft einschließlich des Rohstoffabbaus Projekte. Außerdem werden in den Anhängen I und II (zu Art. 4 Abs. 1, 2 UVP-RL) zahlreiche Einzelbeispiele aufge-listet. Jedenfalls diese Maßnahmen sind damit als Projekte

auch im Sinne der FFH-Richtlinie anerkannt; allerdings können auch solche Tätigkeiten, die von der UVP-Richt-linie nur nach Art, nicht aber nach dem Maß erfasst sind (z. B. aufgrund gewisser Schwellenwerte), Projekte im Sinne der FFH-Richtlinie sein. 53

Der Projektbegriff wird weit und wirkungsbezogen aus-gelegt. 54 Es genügt jede in Natur und Landschaft eingrei-fende Aktivität, die eine Gefährdung des Gebietes in seinen für die Ausweisung maßgeblichen Bestandteilen darstellt. 55 Damit können auch Eingriffe unter den Projektbegriff fal-len, die – wie dies bei Unterhaltungsmaßnahmen häufig der Fall ist – keine dauerhafte Veränderung von Natur und Landschaft herbeiführen. 56

Dies gilt auch dann, wenn die Unterhaltungsmaßnah-men nach nationalem Recht nicht genehmigungspflichtig sind (vgl. § 34 Abs. 6 BNatSchG). Diese gesetzliche Fest-legung ist eine Folge der Verurteilung Deutschlands we-gen ungenügender Richtlinienumsetzung im Jahr 2006. 57 Demnach ist es nicht statthaft, den Projektbegriff von vorn-herein auf genehmigungs- oder anzeigebedürftige Aktivi-täten zu beschränken, wie dies vom deutschen Gesetzgeber ursprünglich vorgesehen war. Eine solche Umsetzung war mit der Erreichung des Zieles der Richtlinie, die erhebli-che Beeinträchtigung von Erhaltungszielen besonders ge-schützter Gebiete in jedem Fall wirksam zu unterbinden, nicht vereinbar. 58

Selbst die den Regeln der guten fachlichen Praxis entspre-chende Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft, die nach dem im Gesetzgebungsverfahren erklärten Willen des Bundesra-tes regelmäßig nicht dem Projektbegriff unterfallen sollte, kann bei europarechtlich gebotener autonomer Auslegung der Richtlinie genehmigungsbedürftig sein. 59 Die Recht-sprechung des EuGH im Vertragsverletzungsverfahren ge-gen Deutschland deutet dabei sogar an, dass auf Kriterien-katalogen basierte Enumerativausnahmen zum Plan- und Projektbegriff generell ungenügend sind, es bedarf stets ei-ner wirkungsbezogenen Bewertung im Einzelfall. 60

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47) Siehe hierzu u. a. Lieber, Das Artenschutzrecht im Vollzug von Planfeststellungsbeschlüssen – Zum Umgang mit neuen oder bisher übersehenen Artenvorkommen, NuR 2012, S. 665–671; Weidemann/Krappel, Artenschutzrecht bei der Planung von Infra-strukturvorhaben, EurUP 2011, S. 2–13; Kibele (Fn. 26), S. 121–134; Storost, Artenschutz in der Planfeststellung, DVBl. 2010, S. 737 –745.

48) Vgl. Roll (Fn. 12), S. 108; Kasper (Fn. 10), S. 155.49) Steege (Fn. 24), S. 28.50) Vgl. Klugkist, Berücksichtigung der Anforderungen europä-

isch geschützter Arten im ökologischen Grabenräumprogramm Bremen (Vortragszusammenfassung), in: Albrecht et al. (Fn. 1), S. 42.

51) Die Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. 6. 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten ABl. L 175 v. 5. 7. 1985, S. 40 („UVP-RL“), ist inzwischen als Richtlinie 2011/92/EU des Europäi-schen Parlaments und des Rates vom 13. 12. 2011, ABl. L 26 vom 28. 1. 2012, S. 1 kodifiziert worden.

52) Epiney/Gammenthaler, Das Rechtsregime der Natura 2000- Schutz-gebiete, 2009, S. 94, m. w. N.

53) Epiney/Gammenthaler (Fn. 52), S. 95.54) Meßerschmidt, Europäisches Umweltrecht, 2011, S. 679.55) J. Schumacher/ A. Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle,

BNatSchG, 2011, § 34 Rdnr. 17.56) J. Schumacher/ A. Schumacher (Fn. 55), § 34 Rdnr. 18.57) EuGH, Urt. v. 10. 1. 2006 – C-98/03 (Kommission/Deutsch-

land), NuR 2006, 166–169, insb. Rdnr.  41 ff.; Epiney/Gam-menthaler (Fn. 52), S. 188; zur Geschichte auch Louis, 20  Jahre FFH-Richtlinie (Teil 1) NuR 2012, S. 385, 390.

58) EuGH, Urt. v. 10. 1. 2006 – C-98/03 (Kommission/Deutsch-land), NuR 2006, S. 166–169, Rdnr. 39 ff.

59) Lütkes/Ewer (Fn. 59), § 34 Rdnr. 4; Meßerschmidt (Fn. 54), S. 679.60) EuGH, Urt. v. 10. 1. 2006 – C-98/03 (Kommission/Deutsch-

land), NuR 2006, S. 166–169, Rdnr. 41; Meßerschmidt (Fn. 54), S. 680.

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Eine Einschränkung erfährt der weite Projektbegriff demnach erst im Rahmen der Vorprüfung nach Art.  6 Abs.  3 FFH-RL, der im Sinne der wirkungsbezogenen Projektbewertung die „Möglichkeit der erheblichen Be-einträchtigung des Gebiets“ als Voraussetzung für die Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung nennt. 61 Das Möglichkeitskriterium ist Ausdruck des Vorsorgegrundsat-zes, im Zweifelsfall ist die Verträglichkeitsprüfung durch-zuführen. 62 Parallel zu Art.  6 Abs.  2 FFH-RL bzw. § 33 Abs. 1 BNatSchG gilt auch hier, dass schon die erhebliche Beeinträchtigung von einzelnen Erhaltungszielen als Be-einträchtigung des Gebietes als solches zu bewerten ist. 63

Insgesamt sind Unterhaltungsmaßnahmen damit bei je-der Durchführung erneut zu prüfen und im konkreten Fall als Projekte zu bewerten, wenn die Möglichkeit ei-ner Beeinträchtigung von Erhaltungszielen nicht mit hin-reichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Da es stets auf die konkrete Situation des Erhaltungszustandes im Zeitpunkt der Entscheidung über die Durchführung des Projektes ankommt, 64 können selbst unveränderte Unter-haltungsmaßnahmen später zu einem der Verträglichkeits-prüfung zu unterziehenden Vorhaben werden, wenn sich die ökologischen Rahmenbedingungen verändert haben. 65

Für eine wiederholte Prüfpflicht spricht des Weiteren, dass auch Unterhaltungsmaßnahmen, die in Natur und Land-schaft eingreifen, ohne hierbei dauerhafte Veränderungen herbeizuführen, 66 Erhaltungsziele eines Natura 2000-Ge-bietes nachteilig beeinträchtigen können: Die nicht-dauer-haften Veränderungen sind von Mal zu Mal in ihrer vor über-gehenden Wirkung neu zu bewerten. Außerdem können Unterhaltungsmaßnahmen auch im Zusammenwirken mit anderen Unterhaltungsmaßnahmen oder sonstigen Einwir-kungen, wie denjenigen, die von der unterhaltenen Infra-struktureinrichtung selbst ausgehen, die Erhaltungsziele be-einträchtigen. 67 Unterhaltungsmaßnahmen sind damit in der Regel auf ihre Projekteigenschaft zu prüfen.

3.1.2 Privilegierung von Gebietspflegemaßnahmen

Eine Einschränkung gilt allerdings für solche Unterhal-tungsmaßnahmen, die als Gebietspflegemaßnahmen i. S. v. Art. 6 Abs. 1 FFH-RL zu qualifizieren sind, da diese Be-einträchtigungen der Erhaltung von anderen Arten und Lebensraumtypen dienen: 68 Nach dieser Vorschrift sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die „nötigen Erhaltungsmaß-nahmen“ für FFH-Gebiete 69 vorzusehen, die den jeweili-gen „ökologischen Erfordernissen“ des einzelnen Gebietes, d. h. der natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und der Arten nach Anhang II, die in diesem Gebiet vorkom-men, genügen müssen. Gebietspflegemaßnahmen, die in-folge der Pflicht aus Art.  6 Abs.  1 FFH-RL vorgesehen sind, können demnach zwar grundsätzlich Projekte darstel-len, sind aber explizit von der Prüfpflicht ausgenommen.

Art. 6 Abs. 1 FFH-RL geht davon aus, dass die positiv zur Pflege des Gebietes vorgesehenen Maßnahmen nicht schäd-lich für die Erhaltungsziele sind und sich eine Verträglich-keitsprüfung erübrigt. Vor dem Hintergrund dieser Zweck-setzung ist die Ausnahme eng auszulegen, insbesondere sind „Gebietsmanagementmaßnahmen“ im weiteren Sinne, z. B. solche touristischer Art, auszuscheiden. Nur die ökologische Bewirtschaftung und Entwicklungsplanung für das Schutz-gebiet nach Art. 6 Abs. 1 FFH-RL kommt in Betracht. 70

In der Regel werden Unterhaltungsmaßnahmen an In-fra strukturobjekten wie Straßen- und Schienenwegen keine Erhaltungsmaßnahmen in diesem Sinne sein, da sie nicht der Pflege und Entwicklung des Natura 2000-Ge-biets, sondern der Aufrechterhaltung der Verkehrsfunktion der Anlagen dienen. 71 Etwas anderes gilt jedoch für Un-terhaltungsmaßnahmen an Gewässern oder Deichen, die selbst Teile von Natura 2000-Gebieten sind. Hier sollten Konflikte mit den Zielen der FFH-Richtlinie soweit mög-lich schon im Rahmen der Gebietsmanagementplanung bewältigt werden. 72

Insbesondere in der Gewässerpflege kann es vorkommen, dass sich Gewässerunterhaltungs- und Erhaltungsmaßnah-men im Sinne der FFH-Richtlinie gegenseitig ergänzen, miteinander überschneiden oder gar in einem „Misch-plan“ 73 gänzlich zusammenfallen. In diesen Fällen wird eine Verträglichkeitsprüfung bezüglich den der Gebiets-erhaltung dienenden Planteile regelmäßig nicht durchzu-führen sein, weil dann schon im Rahmen der Vorprüfung nachteilige Auswirkungen ausgeschlossen werden können, soweit die Gewässerunterhaltung kein über die Gebiets-pflege hinausgehendes Handeln vorsieht. 74 Um dies zu be-urteilen, bedarf es geeigneter Managementpläne, Bestands-daten und klarer Erhaltungs- und Entwicklungsziele. 75

Für Natura 2000-Gebiete, die von Hafenaktivitäten oder sonstigen industriellen Tätigkeiten betroffen sind, wird da-her die Aufstellung sog. integrierter Bewirtschaftungspläne empfohlen. 76 In einem solchen Fall kann die Kompensa-tion der Auswirkungen einer Unterhaltungsmaßnahme durch gebietsmanagementmäßige Gegenmaßnahmen be-reits dazu führen, dass eine wesentliche Beeinträchtigung des Gebietes ausgeschlossen werden kann und keine Ver-träglichkeitsprüfung durchgeführt werden muss. Ein Bei-spiel ist der Integrierte Bewirtschaftungsplan für das Elb-ästuar, der die auf Grund der bestehenden Hafennutzung notwendigen Unterhaltungsbaggerungen mit den Belan-gen von Natura 2000 in Einklang bringen soll. 77

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61) Gellermann, Natura 2000: Europäisches Habitatschutzrecht und seine Durchführung in der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., 2001, S. 79; Lütkes/Ewer (Fn. 59), § 34 Rdnr. 6 ff., 13.

62) Gellermann (Fn. 61), S. 78; Epiney/Gammenthaler (Fn. 52), S. 100, 105.

63) BVerwG, Urt. v. 17. 1. 2007 – 9  A 20/05 („Westumfahrung Halle“), NuR 2007, 336–358, Rdnr. 40 f.; J. Schumacher/ A. Schu-macher (Fn. 55), § 34 Rdnr. 56.

64) Meßerschmidt (Fn. 54), S. 680 f.65) Vgl. J. Schumacher/ A. Schumacher (Fn.  55), § 34 Rdnr.  56 f., zu

Änderungen nach Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung: „Vor neuen Erkenntnissen dürfen die Augen nicht verschlossen werden“ ( BVerwG, Urt. v. 12. 3. 2008 – 9 A 3.06, NuR 2008, 633, Rdnr. 89.)

66) J. Schumacher/ A. Schumacher (Fn. 55), § 34 Rdnr. 18.67) Vgl. Gellermann (Fn. 61), S. 81.68) Gellermann (Fn. 61), S. 77.69) Für Vorgelschutzgebiete gilt Art. 4 Abs. 1, 2 der Vogelschutz-

richtlinie 2009/147/EG vom 30. 11. 2009. Da hierbei für die Gebietspflege jedoch letztlich inhaltlich ähnliche Anforderun-gen Anwendung finden wie auf Grundlage des Art.  6 Abs.  1 FFH-RL (Gellermann (Fn. 61), S. 69), werden FFH- und Vogel-schutzgebiete auch insoweit unter dem Oberbegriff des Natura 2000-Gebietes gleichbehandelt, wobei neben den Schutzmaß-nahmen nach Art. 6 Abs. 1 FFH-RL die ggf. nach Art. 4 Abs. 1, 2 der Vogelschutzrichtlinie vorzusehenden Maßnahmen stets mit-zulesen sind (vgl. dazu auch Gellermann (Fn. 61), S. 60 f.).

70) Epiney/Gammenthaler (Fn. 52), S. 93; J. Schumacher/ A. Schumacher (Fn. 55), § 34 Rdnr. 20.

71) Bernotat, Planungsmethodische Aspekte der FFH-Verträglich-keitsprüfung von Unterhaltungsmaßnahmen, in: Albrecht et al. (Fn. 1), S. 75, 78.

72) Epiney/Gammenthaler (Fn. 52), S. 93 f.; Gellermann (Fn. 61), S. 77 f.73) Gellermann (Fn. 61), S. 78.74) Gellermann, Natura 2000 (Fn. 61), S. 78; Europäische Kommission,

Natura 2000-Gebietsmanagement – Die Vorgaben des Artikels 6 der Habitat-Richtlinie 92/43/EWG, 2000, S. 35 f.

75) Bernotat (Fn. 71), S. 75, 78.76) Europäische Kommission, Leitfaden für die Umsetzung der Na-

turschutzvorschriften der EU in Mündungs- und Küstengebie-ten unter besonderer Berücksichtigung von Hafenentwicklungs- und Baggermaßnahmen, 2011, S. 25 f.

77) Arbeitsgruppe Elbästuar, Integrierter Bewirtschaftungsplan Elbäs-tuar, 2011 (aufgestellt von den Ländern Hamburg, Schleswig-Hol-stein und Niedersachsen, der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord und der Hamburg Port Authority); hierzu Mierwald, Berück-sichtigung der Belange von Natura 2000 bei Unterhaltungsmaß-nahmen in Wasserstraßen, in: Albrecht et al. (Fn. 1), S. 170 ff.

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3.2 Unterhaltungsmaßnahmen als einheitliche Projekte

Da grundsätzlich prüfungspflichtige Unterhaltungsmaß-nahmen in der Regel in bestimmten zeitlichen Abstän-den wiederholt werden, stellt sich weiterhin die Frage, ob eine sich fortsetzende oder sich wiederholende Aktivität ein einheitliches, gleichbleibendes Projekt oder die Anei-nanderreihung mehrerer einzelner, gleichartiger Projekte bedeutet – eine Fragestellung, die schon im sog. Herzmu-schelfischereiurteil des EuGH anklang. 78 Danach können Vorhaben, die zwar seit langem regelmäßig wiederkeh-rend betrieben werden, aber nach nationalem Recht stets neu geprüft und genehmigt werden müssen, jedenfalls kein einheitliches Projekt darstellen. 79 Während demnach Projekt und Genehmigungserfordernis keineswegs gleich-zusetzen sind, ist andererseits jede genehmigungsbedürf-tige Maßnahme grundsätzlich auch als einzelnes Projekt zu werten.

Fraglich ist, was in den Fällen gilt, in denen das inner-staatliche Recht keine wiederholende Kontrollgenehmi-gung für Dauermaßnahmen vorsieht. In seinem sog. Pa-penburg-Urteil vom 14. 1. 2010 80 hat sich der EuGH im Hinblick auf planfestgestellte Unterhaltungsmaßnahmen an einem Fluss zu dieser Frage differenzierend geäußert: Demnach ist zwar grundsätzlich jeder einzelne Eingriff auch ohne innerstaatliches Genehmigungserfordernis als Projekt anzusehen und damit wiederholt eine Verträglich-keitsprüfung durchzuführen. Allerdings kann unter der Voraussetzung, dass wiederkehrend anfallende Unterhal-tungsmaßnahmen „aufgrund der Art oder der Umstände ihrer Ausführung“ als einheitliche Maßnahmen betrach-tet werden können, diese Unterhaltungsmaßnahme aus-nahmsweise „als ein einziges Projekt im Sinne von Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie angesehen“ und damit als ein-heitliches Projekt behandelt werden.

Es stellt sich die Frage, was aus dieser Aussage im Hin-blick auf die Einstufung von sich wiederholenden Unter-haltungsmaßnahmen als einheitliche Projekte abgeleitet werden kann. Unterhaltungsmaßnahmen werden schon nach ihrer Definition typischerweise wiederholt und oft sogar regelmäßig durchgeführt werden, manchmal aber auch nur je nach Bedarf. Zugleich sind sie meist gewis-sermaßen Bestandteil oder wenigstens Begleiterscheinung einer dauerhaft wirkenden Grundmaßnahme und zeich-nen sich durch eine gewisse Stetigkeit und Gleichförmig-keit aus.

Im Hinblick auf (bauliche) Anlagen und deren Betrieb gilt, dass dauerhaft ununterbrochen ausgeführte Projekte – wie z. B. der Betrieb einer Hochspannungsleitung oder laufende Industrieanlagen und Gewerbebetriebe – keiner Neuprüfung unterfallen. 81 Unvorhergesehene Instandset-zungsarbeiten, beispielsweise nach einem Unwetter- oder Hochwasserereignis, oder nur vorübergehend betriebene Anlagen sowie fliegende Bauten sind dagegen in der Re-gel Einzelprojekte. Fraglich ist, was für den dazwischen-liegenden Bereich solcher Nutzungen gilt, die zwar stets latent angelegt sind, aber nur in bestimmten Abrufphasen ihre Wirkung entfalten (wie z. B. der saisonale Betrieb ei-nes Campingplatzes oder die Bewirtschaftung eines Hoch-wasserrückhaltebeckens). 82 Diese Fallkonstellationen könn-ten sowohl stets neu aufgenommene, aber auch einheitlich fortgeführte Projekte darstellen, je nachdem, wie man die Bedeutung der zwischenzeitlichen Ruhephasen bewertet. 83

Entscheidend für die Abgrenzung einer einheitlichen von der wiederholten Maßnahme sollen dem EuGH zu-folge „Art und Umstände der Ausführung“ sein – und eben gerade nicht die gleichbleibenden Wirkungen der Maßnah-men, wie es der wirkungsbezogene Projektbegriff erwar-ten ließe. Die genannten Kriterien werden allerdings in dem Urteil selbst nicht näher konkretisiert. 84 Es liegt aber aufgrund der vom EuGH für das Beispiel der Flussausbag-gerung gewählten Formulierung („wenn sie den Zweck

haben, eine bestimmte Tiefe der Fahrrinne durch regelmä-ßige und hierzu erforderliche Ausbaggerungen beizubehalten“) nahe, jedenfalls bei Unterhaltungsmaßnahmen wie folgt abzugrenzen:

Dient die Unterhaltungsmaßnahme ausschließlich dem Erhalt oder der Wiederherstellung des bisherigen Zustan-des, verlässt sie also nicht den Rahmen einer turnusmäßi-gen oder überhaupt regelmäßigen Bewirtschaftungsweise, so liegt ein Projekt vor, das seiner Art nach (also durch die Kontinuität der mit den Maßnahmen verfolgten Ziele sowie durch regelmäßige Wiederkehr des Unterhaltungs-bedarfs) und den Umständen seiner Ausführung nach (im Wesentlichen gleichbleibende Maßnahmen, zeitlich plan-mäßige Durchführung) als einheitliche Fortführung des ursprünglichen Vorhabens betrachtet werden kann, wie dies bei den oben genannten Beispielen des unveränderten saisonalen Betriebs eines Campingplatzes oder der regel-mäßigen Wartung und bedarfsabhängigen Nutzung eines Rückhaltebeckens der Fall ist.

Für die Einstufung als einheitliches Projekt spricht bei Unterhaltungsmaßnahmen insbesondere der gleichblei-bende Umfang an Maßnahmen, wenn Auswirkungen des Vorhabens bereits bei der Genehmigung abschätzbar sind, die eingesetzten Unterhaltungsmethoden und -techniken sich nicht verändern und ein bestimmter Ausführungs-rhythmus erkennbar bzw. festgelegt ist (s. hierzu die Ab-grenzungskriterien in Tabelle 1).

Wenn allerdings eine über Art und Maß der bisherigen Nutzung hinausgehende Veränderung erfolgen soll (z. B. Vertiefung der Flussausbaggerung, um mehr Tiefgang der überführten Schiffe zu erlauben), so liegt der Art nach ein neuartiges Maßnahmenziel vor, das den Rahmen der Re-gelmäßigkeit verlässt. Dabei sind die Umstände der Aus-führung gegenüber bisherigen Ausführungen verändert, indem weitergehende oder ganz neuartige Maßnahmen getroffen werden.

Dasselbe wird auch dann gelten, wenn zum Erreichen von gleichbleibenden Zielen ganz neue Arten von Maß-nahmen eingeführt werden, die mit den bisherigen Maß-nahmen in ihren Auswirkungen auf ein Natura 2000-Ge-biet nicht mehr vergleichbar sind. Als Beispiel kann der Übergang von Mäharbeiten per Handgerät zu fahrzeug-gestützten, ferngesteuerten oder gar vollautomatisierten Mähgerätschaften dienen.

Die Bewertung, ob ein einheitliches Projekt vorliegt, kann dabei nur im Wege einer Gesamtbetrachtung des je-weiligen Einzelfalls erfolgen. Die genannten Abgrenzungs-kriterien stellen insofern lediglich Indizien dar. Auch hängt die Verwendung der Kriterien vom jeweiligen Vorhaben-bereich ab. Letztlich kommt es darauf an, ob sich die Frage nach der Möglichkeit einer Beeinträchtigung von Erhal-tungszielen durch die Ausführung einer konkreten Un-terhaltungsmaßnahme neu stellt, oder ob diese Frage mit Blick auf die absehbaren, im wesentlichen unveränderli-chen Unterhaltungsmaßnahmen schon bei Projektgeneh-migung abschließend beantwortet werden konnte. 85

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78) Vgl. EuGH, Urt. v. 7. 9. 2004 – C-127/02 („Herzmuschelfische-rei“), NuR 2004, S. 788–791, Rdnr. 28.

79) EuGH, Urt. v. 7. 9. 2004 – C-127/02 („Herzmuschelfischerei“), NuR 2004, S. 788–791, Rdnr. 21 ff.

80) EuGH, Urt. v. 14. 1. 2010 – C-226/08 („Papenburg“), NuR 2010, S. 114–116.

81) Würtenberger, Schutzgebietsausweisungen vs. Rechtssicherheit und Vertrauensschutz – Anmerkungen zu dem Papenburg-Ur-teil des EuGH vom 14. 1. 2010, NuR 2010, S. 316, 318.

82) Würtenberger (Fn. 81), S. 316, 318.83) Würtenberger (Fn. 81), S. 316, 318.84) EuGH, Urt. v. 14. 1. 2010 – C-226/08 („Papenburg“), NuR

2010, S. 114–116, Rdnr. 47, 51.85) Würtenberger (Fn. 81), S. 316, 318; Frenz, FFH-relevante Projekte

im Spiegel aktueller Judikatur, NVwZ 2011, S. 275, 277.

Page 8: Zulässigkeit von Unterhaltungsmaßnahmen an Infrastruktureinrichtungen und Gewässern in Natura 2000-Gebieten im Lichte der Rechtsprechung des EuGH

Bei Paket-Prüfungen, d. h. einer einheitlichen Geneh-migung in Zukunft regelmäßig durchzuführender Unter-haltungsmaßnahmen, erscheint es ggf. angezeigt, die Ge-nehmigung von vornherein zu befristen oder anderweitig zu beschränken, um die dauerhafte Einhaltung der ge-bietsschutzrechtlichen Vorschriften zu gewährleisten (vgl. § 34 Abs. 6 S. 2 BNatSchG). Zur unionsrechtskonformen Anwendung könnte sich insbesondere der Widerrufsvor-behalt nach dem Modell des § 49 Abs. 2 S. 1 VwVfG oder sogar eine nachträgliche Befristung als schonende Über-gangslösung anbieten. 86 Zudem besteht auch die Möglich-keit, in den Bescheid einen Hinweis auf eine erforderli-che Neuprüfung bei veränderten Rahmenbedingungen aufzunehmen.

Sog. nachholende Unterhaltungsmaßnahmen, d. h. die Wiederaufnahme von früheren Unterhaltungsmaßnah-men (z. B. nach einem Hochwasserereignis), die für län-gere Zeit unterbrochen waren, dürften zumeist ein neues Projekt darstellen. Denn in der Zwischenzeit können sich Lebensraum- und Artenausstattung des Gebietes im Ge-gensatz zur früheren Situation erheblich verändert haben, sodass eine Verträglichkeitsprüfung erst nachträglich erfor-derlich erscheint. Dies ist insbesondere auch bei neu auf-tretenden Summationseffekten mit anderen Plänen und Projekten der Fall. 87 Art und Ausmaß der nachholenden Unterhaltungsmaßnahmen waren in diesem Fall ursprüng-lich nicht abzusehen gewesen. Diese Frage wird aber letzt-lich nur an Hand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu entscheiden sein.

3.3 Nachträgliche Pflicht zur Durchführung der Verträglichkeits-prüfung bei vor Gebietsausweisung erteilten Dauergenehmigungen

Eine weitere Kernaussage betrifft das Verhältnis nachträg-licher Gebietsausweisungen und Unterschutzstellungs-maßnahmen zu bereits in der Vergangenheit noch ohne Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung genehmigten Projekten. Sofern derartige bereits laufende Maßnahmen neue Projekte i. S. des Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie dar-stellen, sind sie nach der Rechtsprechung des EuGH im Pa-penburg-Urteil grundsätzlich der Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen und müssen damit neu zugelassen werden, selbst wenn bereits ein bestandskräftiger Planfeststellungs-beschluss existiert. 88 D. h., es handelt sich hierbei nicht um ein einheitliches Projekt, sondern um mehrere einzelne Projekte.

Der EuGH verweist insoweit auf die Bestimmtheit und Vorhersehbarkeit der aufgrund der FFH-Richtlinie zu tref-fenden Schutzmaßnahmen hin. 89 Ganz auf der Linie seiner bisherigen Rechtsprechung, namentlich zur Vogelschutz-richtlinie, 90 stärkt er damit den Grundsatz des Vorranges

europäischer Richtlinienzielbestimmungen gegenüber einzelstaatlichen Einschränkungen, insbesondere solchen des Bestands- und Vertrauensschutzes. 91 Deren Beachtung würde die Ziele der FFH-Richtlinie in Frage stellen, so dass der Schutz von Flora, Fauna und Habitaten nicht voll verwirklicht werden kann. 92

Nicht eindeutig geklärt ist hingegen die rechtliche Be-handlung von wiederkehrenden Unterhaltungsmaßnah-men, die bereits vor der Unterschutzstellung des betroffenen Natura 2000-Gebietes begonnen und genehmigt wurden, aber als einheitliches Projekt zu qualifizieren sind. Auch hierzu hat sich der EuGH im Papenburg-Urteil geäußert: „In diesem Fall unterläge ein solches Projekt, wenn es vor Ablauf der Umsetzungsfrist der Habitatrichtlinie genehmigt wurde, nicht den Vorgaben über eine Ex-ante-Prüfung auf seine Auswirkungen auf das betreffende Gebiet“. 93

Die vorgenannte Aussage des EuGH wird durch seine nachfolgenden Ausführungen aber sogleich wieder rela-tiviert. Denn „gleichwohl“, so der EuGH weiter, „fiele, wenn das betreffende Gebiet gemäß Art. 4 Abs. 2 Unter-abs. 3 FFH-Richtlinie in der von der Kommission festge-legten Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung aufgeführt wäre, die Ausführung eines solchen Projekts in den Bereich des Art. 6 Abs. 2 FFH-Richtlinie“. 94 Mit ande-ren Worten: in diesem Fall gilt das allgemeine Verschlech-

Albrecht/Gies, Zulässigkeit von Unterhaltungsmaßnahmen an Infrastruktureinrichtungen

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86) Gärditz, Kein Bestandsschutz für rechtmäßig genehmigte Vor-haben im europäischen Naturschutzrecht? – Zu EuGH, Urt. v. 14. 1. 2010 – C-226/08 (Stadt Papenburg/Deutschland), DVBl. 2010, S. 247, 249 f.

87) Gellermann (Fn. 61), S. 81.88) EuGH, Urt. v. 14. 1. 2010 – C-226/08 („Papenburg“), NuR

2010, S. 114–116, Rdnr. 37 ff.; Stüer, Anmerkung zu EuGH, Ur-teil vom 14. 1. 2010 – C-226/08 – Bestandskraft von Zulassungs-entscheidungen wird durch FFH-Regime durchbrochen, DVBl. 2010, S. 245.

89) EuGH, Urt. v. 14. 1. 2010 – C-226/08 („Papenburg“), NuR 2010, S. 114–116, Rdnr. 42 ff.

90) So Würtenberger (Fn.  81), S.  316, 318, Fn.  27: Santoña, Lappel Bank; diese Entscheidungen betrafen allerdings die Auswahl von Vogelschutzgebieten allein nach naturschutzfachlichen Krite-rien; s. a. Gärditz (Fn. 86), S. 247.

91) Würtenberger (Fn. 81), S. 316, 318.92) Vgl. zum Vorrang von Richtlinienzielen gegenüber innerstaat-

lichem Vertrauensschutz EuGH, Urt. v. 20. 3. 1997 – C-24/95 („Alcan“), Slg. 1997-I-1591, NJW 1998, S. 47–50.

93) EuGH, Urt. v. 14. 1. 2010 – C-226/08 („Papenburg“), NuR 2010, S. 114–116, Rdnr. 48, unter Verweis auf das Urteil vom 23. 3. 2006 – C-209/04 (Kommission/Österreich), NuR 2006, S. 429–431, Rdnr. 53 bis 62.

94) EuGH, Urt. v. 14. 1. 2010 – C-226/08 („Papenburg“), NuR 2010, S. 114–116, Rdnr. 49.

Tab. 1 Einordnung von Unterhaltungsmaßnahmen als einheitliches Projekt oder mehrere Projekte

Unterhaltungsmaßnahmen als einheitliches Projekt Unterhaltungsmaßnahmen als mehrere Projekte

Abgrenzungs-kriterien

– Umfang und Intensität bleiben stets gleich– Vorhaben wird von Natur aus unterbrochen (z. B. jah-

reszeitlich bedingt) oder muss regelmäßig wieder von Neuem durchgeführt werden

– Auswirkungen des Vorhabens waren bei Genehmigung bereits abschätzbar

– Gleichbleibende Unterhaltungsmethode/Technik– Gleichbleibender Ausführungsrhythmus– Ort der Unterhaltungsmaßnahme bleibt gleich

– Umfang und Intensität verändern sich– Unterbrechung beruht auf Entscheidung des Vorhaben-

trägers  – Auswirkungen des Vorhabens waren bei Genehmigung

noch nicht abschätzbar– Änderungen der Unterhaltungsmethode/Technik– Unterschiedlicher Ausführungsrhythmus– Ort der Unterhaltungsmaßnahme ändert sich

Beispiele – Regelmäßige Baggerungen zur Erhaltung der Fahrrinne– Regelmäßige Baumpflegemaßnahmen– Instandhaltung der Fahrbahn

– Baggerungsarbeiten mit ausbauähnlichem Charakter– Rodung mehrerer Jahrzehnte alter Gehölze– Instandsetzung eines Brückenbauwerks

Rechtsfolge – Es ist nur eine Verträglichkeitsprüfung für ein einheit-liches Unterhaltungskonzept erforderlich

– Die Unterhaltungsmaßnahme ist als eigenständiges Projekt einer Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen

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terungsverbot. „Vor Festlegung dieser Liste durch die Kommission dürfe ein solches Gebiet, soweit es bereits in einer der Kommission übermittelten nationalen Liste auf-geführt wäre, gemäß Art. 4 Abs. 1 FFH-Richtlinie zumin-dest keinen Eingriffen ausgesetzt werden, die seine ökolo-gischen Merkmale ernsthaft beeinträchtigen könnten.“ 95 Es wird somit klargestellt, dass der vorwirkende Gebietsschutz unangetastet bleibt.

Fraglich ist aber, welcher Bewertungsmaßstab bei der nachträglichen Prüfung des Verschlechterungsverbotes anzuwenden ist, wenn eine vorherige Verträglichkeits-prüfung einschließlich der möglichen Abweichungsent-scheidung gar nicht stattgefunden hat; insoweit fehlt es an einer durch die Genehmigung fixierten Belastungs-schwelle. 96 Insbesondere stellt sich die Frage, wie die vor der Gebietsausweisung bestehenden Belastungen und die erst später entstehenden, aber schon ursprünglich ange-legten nachteiligen Wirkungen einheitlicher Maßnah-men sich voneinander abgrenzen lassen. Die Unterschiede in den Voraussetzungen sowie die sich hieraus ergeben-den Rechtsfolgen werden im Folgenden betrachtet. Da-bei wird insbesondere geprüft, unter welchen Vorausset-zungen eine durch das Urteil des EuGH möglicherweise implizierte Ex-post-Verträglichkeitsprüfung vorzuneh-men ist.

3.3.1 Verschlechterungsverbot und Vorbelastungen

Das Verschlechterungsverbot des Art.  6 Abs.  2 FFH-RL dient dazu, das wesentliche Ziel der Erhaltung und des Schutzes der Qualität der Umwelt einschließlich des Schut-zes der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen im Gesamtzusammenhang eines kohä-renten Netzwerkes abzusichern. 97 Als allgemeine Auffang-schutzpflicht verlangt es die Vermeidung von Verschlechte-rungen und Störungen, die sich im Hinblick auf die Ziele der Richtlinie erheblich auswirken könnten. 98 Zweck des Verschlechterungsverbotes ist es demnach, Rückschritte bei der Richtlinienumsetzung dauerhaft zu verhindern, nicht aber, aktive Maßnahmen zur Verbesserung durchzu-führen; hierfür ist das Managementgebot aus Art. 6 Abs. 1 FFH-RL heranzuziehen. 99

Die Richtlinienumsetzung wird von den Mitgliedstaaten vor allen Dingen durch die effektive Unterschutzstellung der zuvor ausgewählten Gebiete erreicht, womit das Ver-schlechterungsverbot frühestens ab der Aufnahme in die Gebietsliste nach Art. 4 Abs. 2 FFH-RL Anwendung fin-det, so ausdrücklich Art. 4 Abs. 5 FFH-RL. Damit wird der mindestens zu bewahrende Erhaltungszustand im Sinne des zu sichernden Status quo fixiert. 100 Hierzu gehören auch die bereits ausgeübten Nutzungen, soweit diese nicht geeignet sind, den Charakter des Schutzgebietes über die gegebene Vorbelastung hinaus zu beeinträchtigen; jede weiterge-hende, erhebliche Belastung unterfällt dem Verschlechte-rungsverbot. 101 So gilt ab Gebietsausweisung beispielsweise für Schadstoff-Depositionsgrenzwerte je Lebensraumtyp – die sogenannten „Critical Loads“ – eine strikte Kumu-lation, welche zum endgültigen Ausschöpfen der im Im-missionsschutzrecht anerkannten Bagatellschwellen führen kann, da die Critical Loads auf das Gebiet und nicht auf die jeweilige Anlage bezogen werden. 102 Die andauernden Wirkungen bereits bestehender Vorbelastungen stellen da-her nach der erfolgten Gebietsauswahl bzw. -ausweisung keine neuen Pläne und Projekte dar und sind damit grund-sätzlich auch nicht Gegenstand des Verschlechterungs- und Störungsverbotes. 103

3.3.2 Verträglichkeitsprüfung und Verschlechterungsverbot

Die erst nach der Gebietsausweisung durchgeführten Maß-nahmen im Schutzgebietsbereich können dagegen Projekte darstellen und sind damit grundsätzlich einer Verträglich-keitsprüfung zu unterziehen, wenn sich eine Verschlech-

terung von Erhaltungszielen der für die Ausweisung maßgeblichen Gebietsbestandteile nicht mit Sicherheit aus-schließen lässt. Im Rahmen der diesbezüglichen Vorprü-fung nach Art. 6 Abs. 3 S. 1 FFH-RL, § 34 Abs. 1 S. 1, 2. Hs. BNatSchG wird zunächst nur beurteilt, ob diese Be-sorgnis gegeben und somit die eigentliche Verträglichkeits-prüfung durchzuführen ist. 104

Im Rahmen der eigentlichen Verträglichkeitsprüfung werden sodann das Vorhaben beschrieben, seine Wirkfak-toren ermittelt, die Gebietsbestandteile und Erhaltungsziele beschrieben, die Beeinträchtigung durch die Auswirkun-gen des Projektes abgeschätzt und somit die Erheblich-keit der vorhabenbedingten Beeinträchtigungen bezogen auf die für die Erhaltungsziele maßgeblichen Bestandteile bewertet. 105 Dabei sind die Bemühungen zur zukünftigen Verbesserung des Erhaltungszustandes (Schadensbegren-zungsmaßnahmen) einzubeziehen. 106 Außerdem müssen Summationseffekte mehrerer, sich jeweils nicht erheblich auf das Gebiet auswirkender Pläne und Projekte (also bei-spielsweise unabhängig voneinander durchzuführender Unterhaltungsmaßnahmen) ausdrücklich berücksichtigt werden, Art. 6 Abs. 3 S. 1 FFH-RL, § 34 Abs. 1 S. 1, 2. Hs. BNatSchG. 107

Es gilt damit das Prioritätsprinzip: Früher begonnene Projekte sind als Vorbelastung gegenüber später hinzu-tretenden Vorhaben anzurechnen und erschweren deren Zulassung. 108 Für neue Projekte gelten diese Maßgaben auch dann, wenn das Vorhaben sich auf bereits vor der Gebietsausweisung bestehende Anlagen und Einrichtun-gen beziehen, wie es bei Unterhaltungsmaßnahmen häu-fig der Fall ist. Zum Verschlechterungsverbot verhält sich die Verträglichkeitsprüfung als punktuelles, förmliches Kontrollverfahren mit Präventionswirkung. 109 Das Ver-schlechterungsverbot stellt demgegenüber den permanent wirkenden materiellen Schutzstandard dar, der neben prä-ventiven Maßnahmen auch repressives Einschreiten erfor-derlich machen kann. 110 Eine gleichzeitige Anwendung von Art. 6 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 3 FFH-RL ist daher nicht sinnvoll. 111

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95) EuGH, Urt. v. 14. 1. 2010 – C-226/08 („Papenburg“), NuR 2010, S. 114–116, Rdnr. 49, unter Verweis auf das Urteil des EuGH vom 14. 9. 2006 – C-244/05 (Bund Naturschutz in Bay-ern u. a./Freistaat Bayern), NuR 2006, S. 763–764, Rdnr. 44 und 47.

96) Würtenberger (Fn. 81), S. 316, 319.97) Epiney/Gammenthaler (Fn. 52), S. 83.98) Vgl. die Aussagen der Urteile des EuGH, Urt. v. 7. 9. 2004 –

C-127/02 („Herzmuschelfischerei“), NuR 2004, S.  788–791, Rdnr. 37 u. 38, sowie Urt. v. 13. 1. 2005 – C-117/03 (Dragaggi u. a./Italien), NuR 2005, S. 242–243, Rdnr. 25.

99) Gellermann, (Fn. 61), S. 73.100) Gellermann (Fn. 61), S. 72.101) Gärditz (Fn. 86), S. 247, 248.102) Friedrich/Heesen, Die FFH-Vorprüfung zur Beurteilung stoffli-

cher Einwirkungen im immissionsschutzrechtlichen Genehmi-gungsverfahren, UPR 2013, S. 415 ff.

103) Gellermann (Fn. 61), S. 72 f.; Erbguth/Schubert, Zur Vereinbarkeit bestehender öffentlicher Anlagen in (potenziellen) FFH-Gebie-ten mit europäischem Habitatschutzrecht, DVBl. 2006, S. 591, 596.

104) Lütkes/Ewer (Fn. 59), § 34 Rdnr. 13.105) J. Schumacher/ A. Schumacher (Fn. 55), § 34 Rdnr. 36 ff.106) Epiney/Gammenthaler (Fn. 52), S. 108; Lütkes/Ewer (Fn. 59), § 34

Rdnr. 33 ff.107) J. Schumacher/ A. Schumacher (Fn. 55), § 34 Rdnr. 70 ff.108) J. Schumacher/ A. Schumacher (Fn. 55), § 34 Rdnr. 70 ff., 74.109) Gellermann (Fn. 61), S. 84.110) Epiney/Gammenthaler (Fn. 52), S. 25; vgl. auch EuGH, Urt. v.

13. 12. 2007 – C-418/04 (Kommission/Irland), NuR 2008, S. 101–115, Rdnr. 208.

111) EuGH, Urt. v. 7. 9. 2004 – C-127/02 („Herzmuschelfischerei“), NuR 2004, S. 788–791, Rdnr. 34–36, 38.

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3.3.3 Vorbelastung und einheitliche Maßnahmen

Durch das Konstrukt der einheitlichen Maßnahme könn-ten jedoch die Folgewirkungen bestehender Vorbelastun-gen teilweise von einer späteren Verträglichkeitsprüfung entkoppelt worden sein: Wiederkehrende Maßnahmen, die aus einer Vorbelastung resultieren, sind ausnahmsweise keine neuen, potentiell Erhaltungsziele gefährdende Pro-jekte, wenn sie sich nach Art und Maß im Sinne der oben angeführten Kriterien als einheitliche Maßnahme qualifi-zieren lassen. Sie werden damit trotz grundsätzlicher An-wendbarkeit des Projektbegriffes zu den Auswirkungen ei-ner gleichbleibend fortwirkenden Vorbelastung gerechnet, womit das Verschlechterungsverbot und – bei erstmaligem Beginn vor der Ausweisung des Schutzgebietes – auch die Verträglichkeitsprüfung keine Anwendung finden.

Dafür spricht, dass die Kriterien für die Einheitlichkeit einer Maßnahme sämtlich darauf abstellen, dass diese sich gegenüber der ursprünglichen Durchführungsweise nicht wesentlich verändert hat. Die Kriterien knüpfen damit an den Genehmigungsinhalt an, anstatt auf die Auswirkun-gen abzustellen. 112 Es spricht somit zunächst eine Vermu-tung dafür, dass sich diese Maßnahmen nicht stärker als ursprünglich auf die Erhaltungsziele auswirken. Durch die Bewertungskriterien der einheitlichen Maßnahme kann je-doch nicht gewährleistet werden, dass nachteilige Auswir-kungen derselben später dennoch entstehen, beispielsweise wenn die ökologischen Rahmenbedingungen oder die an-derweitigen Nutzungen sich verändern. 113

Die einheitliche Maßnahme ist also keine Vorbelastung im eigentlichen Sinne, da sich ihre Auswirkungen zeitlich auch nach der Gebietsausweisung immer wieder neu aktu-alisieren. Dennoch werden diese Maßnahmen solange mit dem Bestand der gegebenen Vorbelastungen gleichgestellt, wie es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass sie sich gegen-über dem Ausgangszustand in verstärkter Weise nachtei-lig auswirken. Für einheitliche Maßnahmen gibt es damit keine initiale Verträglichkeitsprüfung bei dem ersten und weiteren Durchführungsfällen nach der Gebietsauswei-sung („Ex-ante-Verträglichkeitsprüfung“), 114 jedenfalls so-weit kein Anlass zu der Annahme besteht, dass Erhaltungs-ziele konkret gefährdet werden.

3.3.4 Verschlechterungsverbot und einheitliche Maßnahmen

Da für einheitliche Maßnahmen gleichwohl – auch ohne eigens für diese durchgeführte Ex-ante-Verträglichkeits-prüfung – das Verschlechterungsverbot gelten soll, stellt sich die Frage nach dessen Inhalt. Denn wenn einheitliche Maßnahmen prinzipiell gegen das Verschlechterungsverbot verstoßen können, muss dieser Verstoß sich von der blo-ßen Überschreitung der Kriterien für die Einheitlichkeit der Maßnahme unterscheiden lassen. Andernfalls läge un-mittelbar ein neues, grundsätzlich prüfungspflichtiges Pro-jekt vor, schon aufgrund der bloßen Möglichkeit (und nicht erst der konkreten Gefahr) einer Beeinträchtigung von Er-haltungszielen.

Es gibt demnach offenbar eine Differenz zwischen dem Projektbegriff und dem Begriff der einheitlichen Maß-nahme, wie die unterschiedlichen Rechtsfolgen von Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL für erstere sowie Art. 6 Abs. 1 und 2 FFH-RL für letztere zeigen. 115 Da die einheitliche Maß-nahme einerseits Ausdruck bestehender Vorbelastungen und kein neues, die Möglichkeit einer Verschlechterung mit sich bringendes Projekt sein soll, andererseits aber bei einer tatsächlich auftretenden Verschlechterung der Er-haltungsziele unzulässig werden kann, gibt es offenbar ei-nen Zwischenbereich, in dem die einheitliche Maßnahme im Rahmen einer (hypothetischen) Vorprüfung zwar die Erhaltungsziele beeinträchtigen könnte, aber gleichwohl nicht einer präventiven Verträglichkeitsprüfung ex ante zu unterziehen ist.

Für einheitliche Maßnahmen bedingt demnach die gege-bene Möglichkeit der Beeinträchtigung von Erhaltungszie-len nicht unmittelbar die Durchführung einer Verträglich-keitsprüfung, wie es bei einem eigenständigen Projekt der Fall ist, sondern erst die tatsächliche Beeinträchtigung von Erhaltungszielen führt zur direkten Anwendung des abso-luten Verschlechterungsverbotes. 116 Zugleich liegt in der tatsächlichen Verschlechterung aber immer auch die Ge-wissheit, nicht nur die Besorgnis über die Beeinträchtigung von Erhaltungszielen. Eine Vorprüfung erübrigt sich somit, der Verschlechterungsfall führt direkt zur Bejahung der Projekteigenschaft und löst mittelbar eine Ex-post-Verträg-lichkeitsprüfung im Sinne einer „nachholenden Genehmi-gung“ aus, das heißt die nicht mehr präventive, sondern nunmehr reaktive Prüfung der Verschlechterung ein-schließlich der üblichen Möglichkeiten der Abweichungs-entscheidung und entsprechender Kompensationsmaßnah-men. 117 Eine vollwertige, auch verfahrensrechtlich nach Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL, § 34 Abs. 1, 2 BNatSchG zu be-urteilende Verträglichkeitsprüfung kann hierin allerdings schon wegen des Wortlautes von § 34 Abs. 1 S. 1, 1. Hs. BNatSchG („vor ihrer Zulassung“) nicht liegen. Vielmehr ist § 33 Abs. 1 S. 2 BNatSchG anzuwenden.

Dieses Ergebnis ist in zweierlei Hinsicht zu hinterfra-gen: Zum einen bedeutet es eine Abweichung vom Vor-sorgegrundsatz, wonach bereits Risiken zu minimieren und nicht erst Gefahren abzuwehren sind, 118 und stellt in-soweit eine Einschränkung der hohen Anforderungen des Herzmuschelfischerei-Urteils dar, 119 insbesondere im Hin-blick auf den Aspekt des vorsorglichen Prüfverfahrens. 120 Zum anderen zieht diese Rechtsprechung aber auch für den Genehmigungsinhaber einer einheitlichen Maß-nahme ein erhebliches Maß an Rechtsunsicherheit nach sich: Anstelle einer einmaligen Verträglichkeitsprüfung mit Abweichungsentscheidung tritt das dynamisch wir-kende Verschlechterungsverbot. 121

Dieser Wertungswiderspruch lässt sich nur auflösen, wenn die verfahrensrechtliche Funktion der Verträglich-keitsprüfung hervorgehoben wird, die trotz der möglichen Abweichungsentscheidung nichts an der Geltung des Ver-schlechterungsverbotes ändert. Schon im Herzmuschelfi-scherei-Urteil wurde festgestellt, dass ein positiv und feh-lerfrei auf seine Verträglichkeit geprüftes, unverändert

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112) Insoweit trefflich Frenz (Fn. 85), S. 275, 277, der allerdings die innerstaatliche Genehmigungsbedürftigkeit und Projekteigen-schaft zusammenhängend bewertet.

113) Vgl. J. Schumacher/ A. Schumacher (Fn. 55), § 34 Rdnr. 56 f., zu Änderungen nach Durchführung einer Verträglichkeitsprü-fung unter Verweis auf BVerwG, Urt. v. 12. 3. 2008 – 9 A 3.06, NuR 2008, S. 633, Rdnr. 89.

114) EuGH, Urt. v. 14. 1. 2010 – C-226/08 („Papenburg“), NuR 2010, S. 114–116, Rdnr. 47 f.

115) Stüer (Fn.  88), S.  245, 245 f.: „alte Zulassungsentscheidungen [unterliegen] nicht unmittelbar und in vollem Umfang den Anforderungen der Verträglichkeits- und Abweichungsprü-fung nach Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL. Sind die Zulassungen aber Grundlage für Projektteile, die erst nach Inkrafttreten der FFH-RL ausgeführt werden, entwickeln sich über Art. 6 Abs. 1 und 2 FFH-RL ebenfalls Schutzpflichten“.

116) EuGH, Urt. v. 14. 1. 2010 – C-226/08 („Papenburg“), NuR 2010, S.  114, 116, Rdnr.  48 f.; Gärditz (Fn.  86), S.  247, 249; Stüer (Fn. 88), S. 245, 246.

117) Gärditz (Fn. 86), S. 247, 249.118) Kloepfer, Umweltrecht, 3.  Aufl. 2004, § 3 Rdnr.  8; Ramsauer,

Allgemeines Umweltverwaltungsrecht, in: Koch, Umweltrecht, 3. Aufl. 2007, § 3 Rdnr. 23.

119) EuGH, Urt. v. 7. 9. 2004 – C-127/02 („Herzmuschelfischerei“), NuR 2004, S. 788–791, Rdnr. 43–45.

120) EuGH, Urt. v. 7. 9. 2004 – C-127/02 („Herzmuschelfischerei“), NuR 2004, S. 788–791, Rdnr. 34.

121) Würtenberger (Fn. 81), S. 316, 320; Gärditz (Fn. 86), S. 247, 249 f.; Stüer (Fn. 88), S. 245, 246 f.

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laufendes Projekt später zu Verschlechterungen führen kann. 122 Kombiniert man diese Aussage mit denen der Pa-penburg-Entscheidung, dann kommt einer einheitlichen Maßnahme lediglich die (widerlegliche) Vermutung zu-gute, sie begründe keine Gefährdung der Erhaltungsziele, solange sich Art und Ausmaß der Einwirkungen nicht von denen der vorhandenen Vorbelastungen unterschieden.

Letztlich erübrigt sich durch die Anwendung der Krite-rien für einheitliche Maßnahmen zwar die Vorprüfung (und damit auch die Durchführung einer Ex-ante-Verträglich-keitsprüfung), nicht aber die Beachtung der zugrunde lie-genden Schutzstandards. Es kann somit bis zum Beweis des Gegenteils davon ausgegangen werden, dass die unverän-derte Fortführung einheitlicher Maßnahmen nicht zur Be-einträchtigung der Erhaltungsziele führt. Das Gegenteil ist aber jedenfalls dann als erwiesen anzusehen, wenn eine Ver-schlechterung konkret einzutreten droht, die im regulären Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL abzuwen-den ist. Aus diesem Befund der tatsächlichen Beeinträchti-gung des Erhaltungszustandes folgt jedoch nicht zwingend das absolute Verbot der Beeinträchtigung als Rechtsfolge. Vielmehr ist an dieser Stelle faktisch eine Ex-post-Verträg-lichkeitsprüfung im Sinne einer nachholenden Genehmi-gung vorzunehmen, um Wertungswidersprüche gegenüber neuen Projekten zu vermeiden. So werden bereits geneh-migte Vorhaben den potentiellen Einschränkungen, aber auch den Abweichungsmöglichkeiten einer Verträglichkeits-prüfung nicht von vornherein und auf Dauer entzogen. 123

3.3.5 Zusammenfassung

Das nach dem EuGH „für einheitliche Maßnahmen gleich-wohl geltende Verschlechterungsverbot“ bezieht sich aus-schließlich auf die formell-rechtliche Seite der Verträg-lichkeitsprüfung, während das durch dieses Verfahren abgesicherte materiell-rechtliche Verschlechterungsver-bot nicht angetastet wird. Die wichtigste Konsequenz des Urteils für die Praxis ist, dass die Initiative für eine Ge-nehmigung andauernder Unterhaltungsmaßnahmen vom Vorhabenträger auf die Schutzgebietsverwaltung übergeht. Dieser kommt nunmehr auf Grundlage des Verschlech-terungsverbotes eine Interventionspflicht zu, sobald die gleichbleibend durchgeführten Unterhaltungsmaßnahmen zur konkreten Gefährdung oder tatsächlichen Beeinträch-tigung des Erhaltungszustandes führen.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass es im Hin-blick auf die Frage der Verpflichtung zur Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung bei Unterhaltungsmaßnah-men zunächst darauf ankommt, ob die Maßnahme vor oder nach Unterschutzstellung des Gebietes begonnen wurde. Weiterhin ist danach zu differenzieren, ob es sich bei den Unterhaltungsmaßnahmen um ein einheitliches Projekt oder um mehrere Projekte handelt (zu den verschiedenen Fallkonstellationen und deren Rechtsfolge siehe Tabelle 2):

Werden vor Unterschutzstellung des Gebietes begonnene Unterhaltungsmaßnahmen als ein einheitliches Projekt be-wertet, so ist das EuGH-Urteil nach überwiegender Mei-

nung dahingehend zu interpretieren, dass keine Verträg-lichkeitsprüfung notwendig ist; es gilt aber das allgemeine Verschlechterungsverbot (vgl. § 33 Abs.  1 BNatSchG). Können wiederkehrende Unterhaltungsmaßnahmen hin-gegen nicht als einheitliches Projekt zusammengefasst wer-den, so gilt für jede Unterhaltungsmaßnahme ab dem Zeit-punkt der Unterschutzstellung (bzw. ab der Gebietsauswahl für prioritäre Habitate und Arten, Art. 4 Abs. 5 FFH-RL) eine gesonderte Pflicht zur Verträglichkeitsprüfung.

Für nach Unterschutzstellung bzw. Auswahl des Gebietes be-gonnene wiederkehrende Unterhaltungsmaßnahmen ist in jedem Fall eine Verträglichkeitsprüfung durchzuführen. Hier ist nach den oben genannten Kriterien allerdings da-nach zu unterscheiden, ob eine Prüfung einmalig zu Be-ginn der Maßnahme genügt (einheitliches Projekt!) oder immer wieder neu zu erfolgen hat.

4. Fazit

Im Ergebnis werden Unterhaltungsmaßnahmen in und an FFH- und Vogelschutzgebieten nicht selten als Projekte ei-ner Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen sein. Aufgrund ihrer gleichförmig wiederkehrenden Durchführungsweise dürften sie dabei oftmals die Kriterien des EuGH für eine einheitliche Maßnahme erfüllen, so dass nur eine einma-lige, initiale Verträglichkeitsprüfung durchzuführen ist. Im Übrigen gilt das Verschlechterungsverbot. Bei bereits vor Gebietsausweisung aufgenommenen Unterhaltungsaktivi-täten, die einheitliche Maßnahmen darstellen, entfällt die initiale Verträglichkeitsprüfung nach Gebietsausweisung.

Es bleibt die Frage, ob sich die Unterwerfung einheitli-cher Maßnahmen, die vor der Gebietsauswahl begonnen worden sind, ausschließlich unter das Verschlechterungs-verbot aus Sicht des Vorhabenträgers wie auch des effek-tiven europäischen Naturschutzes tatsächlich als Vorteil darstellt. Bei der einmaligen Durchführung einer Verträg-lichkeitsprüfung einschließlich einer möglichen Abwei-chungsentscheidung wird erheblich mehr Rechtsklarheit geschaffen, als dies im Fall der „schwebenden Wirksam-keit“ unter dem Vorbehalt einer nur unwesentlichen Ver-änderung durch das Verschlechterungsverbot der Fall ist. 124 Eine nachholende Verträglichkeitsprüfung kann diese Rechtsunsicherheit immerhin mit Wirkung ex nunc besei-tigen, wobei sich jedoch Folgeprobleme hinsichtlich der nachträglichen Einschränkung bestandskräftiger Geneh-migungen anschließen. 125

NuR (2014) 36: 235–246 245Albrecht/Gies, Zulässigkeit von Unterhaltungsmaßnahmen an Infrastruktureinrichtungen

123

122) EuGH, Urt. v. 7. 9. 2004 – C-127/02, („Herzmuschelfischerei“), NuR 2004, S. 788–791, Rdnr. 36 f.

123) Gärditz (Fn.  86), S.  247, 249; EuGH, Urt. v. 14. 1. 2010 – C-226/08 („Papenburg“), NuR 2010, S. 114–116, Rdnr. 42.

124) Würtenberger (Fn. 81), S. 316, 320; ähnlich Stüer (Fn. 88), S. 245, 246 f.

125) Gärditz (Fn. 86), S. 247, 249 f.; Glaser, Mitgliedstaatliche Zu-stimmungsabsicht zu Gebietsschutz nach FFH-Richtlinie gegen Willen klagender Stadt, EuZW 2010, S. 222, 227.

Tab. 2 Pflicht zur Prüfung der Verträglichkeit von Unterhaltungsmaßnahmen mit Natura 2000-Erhaltungszielen

Einheitliches Projekt Mehrere Projekte

Wiederkehrende Unterhaltungs-maßnahme vor Unterschutz-stellung des Gebietes begonnen

– Vorhaben nicht verträglichkeits-prüfungs-pflichtig, aber: Verschlechterungsverbot kann i. E. zur nachholenden Verträglichkeits-prüfung führen

– Ab Unterschutzstellung des Gebietes unterliegt jede Unterhaltungsmaßnahme einer gesonderten Verträglich keitsprüfung

Wiederkehrende Unterhaltungs-maßnahme nach Unterschutz-stellung des Gebietes begonnen

– Einmalige Verträglichkeitsprüfung ist Pflicht vor Beginn der Maßnahme;

– Prüfung ggf. im Rahmen des Infrastruktur-vorhabens

– Danach Verschlechterungsverbot

– Jede Unterhaltungsmaßnahme unterliegt einer gesonder ten Verträglichkeitsprüfung

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Der Europäische Rat ist in der europäischen Klimaschutzpolitik das zentrale Lenkungsorgan der Europäischen Union (EU). Für diese gab er konkrete Ziele zur Senkung ihrer Treibhausgasemissi-onen (THG-Emissionen) vor. Während das 2020-Ziel durch eu-ropäisches Sekundärrecht umgesetzt wurde, steht die rechtsverbind-liche Umsetzung für das 2050-Ziel bislang noch aus. Der folgende Beitrag widmet sich der bis dato nicht beantworteten Frage, welche Rechtsnatur den Zielen selbst zukommt und welche Bindungskraft sie entfalten. In diesem Zusammenhang werden neben dem ver-handlungspolitischen Kontext der Ziele auch ihre Rezeption durch die anderen europäischen Organe in den Blick genommen.

1. Einleitung

Der Europäische Rat 1 – der vom Rat der EU 2 und dem Eu-roparat 3 zu unterscheiden ist – formulierte für die EU kon-krete Ziele zur Senkung ihrer THG-Emissionen bis 2020 und 2050. Diese THG-Emissionsminderungsziele werden von den Mitgliedstaaten als verbindliche Vorgaben begrif-fen und sind teilweise auch bereits in europäische Rechts-akte gemündet. Der prägende Einfluss des Europäischen Rates auf die EU ist nicht nur in der europäischen Kli-maschutzpolitik deutlich sichtbar, sondern auch in anderen Unionspolitiken: So fasst der Europäische Rat als politi-scher „Verfassungsarchitekt“ 4 und oberstes Lenkungsorgan

Dr. iur. Uta Stäsche, wissenschaftliche Referentin im Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität (IKEM); Dozentin an der Hochschule für Wirtschaft und Verwaltung (HWR), Berlin, Deutschland

der EU politische Grundsatz- und Leitentscheidungen ins-besondere in der Finanz-, Agrar- und Strukturpolitik, der Wirtschafts- und Währungspolitik, den europäischen Beitrittsverhandlungen und den Vertragsrevisionskonfe-renzen. 5 Für die konstitutionellen Entscheidungen wurde das zuletzt im Entscheidungsprozess über den Lissabonner Vertrag 6 offenbar, für den Wirtschafts- und Währungsbe-reich kommt dies aktuell im Umgang mit der europäischen Währungskrise 7 zum Ausdruck.

Der folgende Beitrag widmet sich dem Wirken des Eu-ropäischen Rates in der europäischen Klimaschutzpolitik. Zunächst werden in einem Grundlagenteil das Wesen des Europäischen Rates (2.1) und der verhandlungspolitische

Insgesamt ist die Rechtsprechung des EuGH im Papen-burg-Urteil daher als Bestätigung des Herzmuschelfischerei-Urteils anzusehen. Bei einer einheitlichen Genehmigung für viele Jahre sind nur die nach ihren Auswirkungen gleichblei-benden Projekte erfasst, was sich bei einheitlicher Ausfüh-rung widerleglich vermuten lässt. Jede später aufkommende, auch durch rein natürliche Entwicklungen entstehende tat-sächliche Verschlechterung 126 kann die Verträglichkeitsprü-fung nachträglich auslösen. Eine Aufweichung des materi-ell-rechtlichen Schutzstandards liegt hierin nicht.

Problematisch erscheint dagegen die verfahrensrechtli-che Abweichung vom Vorsorgegrundsatz, wonach die bloße Möglichkeit der Beeinträchtigung von Erhaltungszielen im Falle einheitlicher Maßnahmen nicht zur präventiven Ver-träglichkeitsprüfung führt. Den so eröffneten Vollzugsdefizi-ten bei der Überwachung und Durchsetzung des Verschlech-terungsverbotes wird insbesondere unter den sich infolge des Klimawandels verändernden ökologischen Bedingungen nicht in allen Fällen ausreichend begegnet werden können. 127

Nicht zuletzt aus diesem Grund ist es daher zu erwä-gen, möglichst auch für einheitliche Maßnahmen (wie

für neue, genehmigungsfreie Projekte) jedenfalls einma-lig nach der Gebietsausweisung im Interesse der Rechtssi-cherheit eine Ex-ante-Verträglichkeitsprüfung einschließ-lich möglicher Abweichungs- und Kompensationsent-scheidungen im Wege des Anzeigeverfahrens nach § 34 Abs.  6 BNatSchG herbeizuführen, anstatt die Interven-tion der Behörde nach § 33 Abs. 1 BNatSchG abzuwarten. Dabei sind insbesondere mögliche Folgen des Vorranges des Europarechts für die innerstaatlichen Bestandskraft-wirkungen zu bedenken. Ein solches Vorgehen dürfte so-wohl im Interesse des Vorhabenträgers als auch des dauer-haften und planvollen Schutzes des europäischen Natur-erbes liegen.

Europäischer Klimaschutz und Europäischer Rat – Rechtsnatur und Entwicklung der Treibhausgasminderungsziele auf europäischer Ebene Uta Stäsche

© Springer-Verlag 2014

Stäsche, Europäischer Klimaschutz und Europäischer Rat

123

246 NuR (2014) 36: 246–253

1) Dazu unter 2.1.2) Der Rat der EU ist neben dem Europäischen Parlament das Ge-

setzgebungsorgan der EU, s. Art.  16 Abs.  1 S.  1 EUV i. V. m. Art. 293 ff. AEUV. Er besteht aus je einem Vertreter der Mitglied-staaten auf Ministerebene (sog. Ministerrat), vgl. Art. 16 Abs. 2 EUV.

3) Der Europarat mit Sitz in Straßburg ist eine von der EU unabhän-gige internationale Organisation, die den Menschenrechtsschutz weiterentwickelt und den Rechtsschutz des Einzelnen über den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sichert.

4) Wessels, integration 1997, 117, 130. 5) Dazu Stäsche, Die Entscheidungsproduktivität des Europäischen

Rates. Rechtliche und empirische Untersuchung vom Europä-ischen Währungssystem bis zum Vertrag von Lissabon, Berlin 2011.

6) ABl. 2008 Nr. C 115/47.7) Vgl. Kunstein/Wessels, integration 2011, 308 ff.

126) EuGH, Urt. v. 20. 10. 2005 – C-6/04 („Gibraltar“), NuR 2006, S. 494–498, Rdnr. 34.

127) Gies/Albrecht/Sienkiewicz, Legal Aspects of Climate Change Ad-aptation, in: Rannow/Neubert (Hrsg.), Managing Protected Areas in Central and Eastern Europe Under Climate Change, 2014, S. 135–158.