Zum 100. Geburtstage von Louis Pasteur

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1. JANUAR I923 KLINISCHE WOCHENSCH Curavo~fabteffen enthalten Acetanilid, Phenacetin, Veronal und Ileroin. D. Mebro-Werk, Dresden-A.1). Greifswalder Farbsfo~misehung enth/~lt t3rillantgriin, Ilof- manns Violett, Malachitgrtin, Methylviolett, Safranin, Magdalrot und Toluidinblau in bestimmten Verhgltnissen. Anwendung in Substanz, L6sung oder Salbe bei Diplobacillenkatarrh der Con- junctiva, geschw/irigen Prozessen usw.e). Jodonascin stellt im ilfissigen Zustand eine L6sung dar, die Natrium-, Jod-, Jodat-, Chlor- und Sulfationen enthglt, also der Preglschen Jodl6sung /~hnlich ist. Im Durchschnitt enthglt es o,o3--o,or freies Jod, wird aber aueh in anderen St~rken her- gestellt Jodonascin gestattet, es in gewollter St/irke in Wasser zu 16sen. D. B. Braun, Melsungenl). Met, thoneur~ : ,,ein Emulsionsprodukt allerfeinster reizlose- Ferre in Verbindung mit Salicyls/~uremethylester", das gegen Neuf ritiden und Neuralgien, Muskelrheumatismus usw. angewandt werden soll. D. E. Tosse & Co., Hamburg 22a). lffilfon: Modifikation der Dakinschen LSsung; i proz. Ilypo- chlorifl6sung mit Zus~tzen von 0,2~o Natriumbicarbonat, 16,8% Chlornatrium und anderen SMzen, Not~oproHn- L6sung eines krystallisierten, chemisch reinen Pflanzeneiweil3es, die bei der parenteralen Reiztherapie sowie bei Magen- und Darmgeschwfiren Anwendung finden soli. D. Che- mische Werke Grenzach, A.-G., Grenzach. i. Baden. ~ar~folaudan enth~lt nur die wirksamen Alkaloide des Opimns unter Ausschaltung aller Ballaststoffe und unwesenthcher Alka- loide in solchen Mengenverh~ltnissen, daB sich eine erh6hte Wir- kung ergibt. D. Tosse & Co., Hamburg 221). loer~~ovo ist ein wasserl6slicher Perubalsamersatz. D. Gebr. Bermes, Chemische Fabrik in Viersen-M.I). RIFT. 2. JAHRGANG. Nr. , 49 PHugon: t™ zur 13ehandlung der Gonorrh6e. D. Deutsche Schutz- und Heilserum-Gesellschaft m. b. Il., Berlin NW 6, Luisenstr. 45. lo0sterisal~ enth/ilt Schutz- und Heilstoffe, welche nach einem neuen Verfahren ,,aus den Bakterien hergestellt sind, die den H~morrhoidalanfall hervorrufen", und soll als Salbe gegen /iul3ere, als Z~pfchen gegen innere ttfimorrhoiden angewandt werden. D. Dr. Kade, Berlin SO 26. l{hoivalum lelMdoErn wird aus l~hus aromatica und Baldriau hergestellt und gegen Enuresis nocturna in den Handel gebracht. D. E. Tosse & Co., Ilamburg 221). l{e]uverl ist ein Organpr/iparat in Tabletten zu o, 5 g. Es ent- spricht etwa 3,5 g frischer Drfisensubstanz. Anwendung zur Ver- jfingung. D. Dr. Laboschin-Hageda-Aktiengesellschaft, Berlin NW 2~~). 8edosfafum liquidura wird aus Viburnum prunifolium, Pis- cidia erythrina nnd Valeriana gewonnen und sol1 bel Dysmenor- rh6e, Metrorrhagie, Pollutionen usw. Anwendung finden. D. E, Tosse & Co., Hamburg 221). ~iliqoEid stellt eine 0,3proz. hochdisperse w~sserige Kiesels/iure- 16sung dar, die zur intraven6sen t~ehandlung der Lungentuberkulose dienen soll. D. C. F. ~30ehringer & S6hne, G. m. b. Il., Mannheim- Waldhof a). Toluba-Ker~e, als Entfettungsmittel angepriesen, enthalten in I00 dragierten Kernen: Extr. fuc. ves. 1,0, Ext. Sarsaparill. 0, 4, Extr. Frangul. 0,2, Extr. Aloes 0,2, Extr. Cascar. Sagr. o,L D. Pharm. Kontor E. Wolf, Hannover. Volpin-Tableffen enthalten Acetylsalicylsiure. D. Wilhehn Seiler, Fabrik pharm. Pr~iparate, Coblenz a. Rh.e). ZUM An dem Lebenswerk Louis PASTEURS, dessen ioo j~hrigen Ge- burtstag jetzt die ganze zivilisierte Welt in Ieierlichem Gedenken begeht, ist vielleicht das erstaunlichste die Vielseitigkeit dieses Mannes, der, von der Chemie ausgehend, so zahlreiche Wissens- gebiete z. T. rein biologischer und medizinischer Art in weifgehend- ster Weise gef6rdert hat. Sein Aul3erer Lebensweg bot eigentlich zu einer derartigen t~et~tigung wenig Anlal3. Geboren ara 27. De- zember I822 in Dep. Jura, wird er mit 26 Jahren zum Prof. der Physik in Dijon, ira folgenden Jahre zum Prof. derChemie inStraB- burg, 1854 in Lille ernannt, um 1857 die Leitung der Ecole Normale in Paris, i863 die Professur ffir Geologie, Physik und Chemie an der Schule der sch6nen t™ 1867 die Chemie-Professur an der Sorbonne, schliel31ich die Direktion des nach ihm benannten In- stituts zu fibernehmen, das er Ms zu seinem Tode (I 895) geleitet hat. Aber im Grunde wa PASOEEUR, worauf schon sein Lebensgang hinweist, eben doch nicht reiner Chemiker, sondern Naturwissen- schafller, flberall bestrebt, den VorgXngen mit allen Hilfsmitteln nachzuspfiren, die ihm seine reine Beobachtungs- und t™ tionsgabe, sein ausgebreitetes Wissen zur Verfflgung stellten, viel- seitig interessiert und doch nie ins Uferlose sich verlierend, nie sich zersplitternd! Derjenige, der sich mehr in PASTEURS Lebenswerk vertieft und insbesondere der geistvollen Analyse folgt, die einer seiner hervorragendsten Schfiler, E. DUCLAUX, unte dem Titel ,,Pasteur, Histoire d'un esprit" von seinem Lebenswerk gegeben hat, wird klar erkennen, dag hier eine Iolgerichtige Entwieklung des Denkens vom rein chemischen zum biologischen, eine allm~h- liche Erweiterung des Aufgaben- und Interessenkreises vorliegt, der sich ein Mann von so eminenter ursprfinglicher Begabung gar nicht entziehen konnte. Ja, jetzt, wo die Ergebnisse der Pasteur- schen Forschung eigentlich schon der Geschichte angeh6ren, ist es beinahe interessanter, den Faden, der diese mannigIaltigen Unter- suchungen miteinander verknfipft, zu suchen, als die Versuche selbst im einzelnen kritisch zu verfolgen. Wie viele -- auBerhalb des engeren I™ der wissenschaft- lichen Chemiker -- denken heure wohl noch daran, daB es der junge, 26 jXhrige PASTEUR gewesen ist, der durch seine Unte suchungen fiber die V~Teins~uren den AnstoB zut Entwicklung der Stereochemie gab ? Schon BElaZELIUS hatte die gleiche chemische ~) Pharm. Zentralh. i922. S. 604/606. *) Zeitschr.fiir angew.Chemie I922, S. 63o. a) Vierteljahresschr. fiir prakt. Pharm. I922, S. 114. Klinische Wochenschrift; 2. Jahrg. xoo. GEBURTSTAGE VON LOUIS PASTEUR. Von MARTIN HAItN, Berlin. Zusammensetzung von V~;eins~uroe und Traubens~ure festgestellt. PASTEUR gelang es nicht nur nachzuweisen, daB die optisch nn- wirksame Traubens/iure aus gleichviel Rechts- und Links-Wein- s~ure be~teht, sondern datl sieh auch die ]Krystallformen der beiden WeinsXuren zueinander wie das Bild zum Spiegelbild verhalten: er schloB daraus, daB die Lagerung der Atome in den Molekiilen, die er als oe asymmetrische ansprach, dieses verschiedene optische und krystallinische Verhalten bedinge und Iegte datait den Grund zu einer Betrachtungsweise, die sich gerade heure als eine so iiber- aus fruchtbare erwiesen hat. Und merkwiirdig genug : dieses schein- bar rein chemisch-physikalische Problem scheint eigentlich den weiteren AnstoB zu seiner ruhmvollen biologischen T~ttigkeit ge- geben zu haben; denn die Spaltung der Traubens~ure in Rechts- und Links-Weins~ure gelang ihm auch durch einen Schimmelpilz, der zun~chst nur die Rechts-Weins~ture assimilierte, die reine Links-WeinsXure aber fibriglieB. Von diesem ersten biologischen Erfolg an hat ihn das Interesse an derartigen Vorg~ngen nicht mehr verlassen; eine Erscheinung, die man fibrigens auch an anderen hervorragenden Chemikern, die einmal ,,aus dem Becher des Lebens" getrunken haben, und gerade in neuester Zeit wieder beobachten kann (z. B. EMIL FISCttER, WlLLSTXOETER, WlELAND). Die Reize der biologischen Chemie, die zeitweise von den ,,reinen" Chemikern vielfach als ,,unrein" und etwas verachtlich betrachtet wurde, fesseln die bedeutenden K6pfe unter den Chemikern meist dauernd, wenn ste erst einmal angefangen haben, sich damit zu beschXftigen und die methodischen Schwierigkeiten, die vielfach gr6Ber als in der reinen Chemie sind, t~berwunden haben. Fiir PASTEUR lag es nahe, sich nunmehr anderen GXrungserscheinungen zuzuwenden. Seine Arbeiten auf diesem Gebiete gliedern sich in zwei Richtungen. Einmal studierte er die verschiedenen Arten von G~rungen und gelangte dabei zut Entdeckung spezi]ischer Giirungserreger (Milchs~iure-, Butter- 8(iure-, Harn8to]]-G~rung), andererseits dienten ihm die Beobach- tungen, die er beim Studium diesoe Prozesse gemacht hatte, als Rfistzeug in seinem langj~hrigen Kampfe, den er mit Mien Mitteln geistiger Sch~rIe und genialer Methodik frit die vitalistische, d.h. die Keimtheor@ und gegen die Urzeugungs, bzw. chemische G~trungstheorie f~hrte. War auch auf diesem Gebiete und nament- 1) Vierteljahresschrift fiir prakt. Pharm. I9~2, S. II7/i~8. 2) Pharm. Zentralh. I922. S. 6o4/6o6. ~) BOG2ENDORFER, Therapie der Gegenwart i9oE2 , S. 404. 4

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1. JANUAR I923 K L I N I S C H E W O C H E N S C H

Curavo~fabteffen enthalten Acetanilid, Phenacetin, Veronal und Ileroin. D. Mebro-Werk, Dresden-A.1). Greifswalder Farbsfo~misehung enth/~lt t3rillantgriin, Ilof- manns Violett, Malachitgrtin, Methylviolett, Safranin, Magdalrot und Toluidinblau in bestimmten Verhgltnissen. Anwendung in Substanz, L6sung oder Salbe bei Diplobacillenkatarrh der Con- junctiva, geschw/irigen Prozessen usw.e). Jodonascin stellt im ilfissigen Zustand eine L6sung dar, die Natrium-, Jod-, Jodat-, Chlor- und Sulfationen enthglt, also der Preglschen Jodl6sung /~hnlich ist. Im Durchschnitt enthglt es o,o3--o,or freies Jod, wird aber aueh in anderen St~rken her- gestell t Jodonascin gestattet, es in gewollter St/irke in Wasser zu 16sen. D. B. Braun, Melsungenl). Met, thoneur~ : ,,ein Emulsionsprodukt allerfeinster reizlose- Ferre in Verbindung mit Salicyls/~uremethylester", das gegen Neuf ritiden und Neuralgien, Muskelrheumatismus usw. angewandt werden soll. D. E. Tosse & Co., Hamburg 22a). lffilfon: Modifikation der Dakinschen LSsung; i proz. I lypo- chlorifl6sung mit Zus~tzen von 0,2~o Natriumbicarbonat, 16,8% Chlornatrium und anderen SMzen, Not~oproHn- L6sung eines krystallisierten, chemisch reinen Pflanzeneiweil3es, die bei der parenteralen Reiztherapie sowie bei Magen- und Darmgeschwfiren Anwendung finden soli. D. Che- mische Werke Grenzach, A.-G., Grenzach. i. Baden. ~ar~folaudan enth~lt nur die wirksamen Alkaloide des Opimns unter Ausschaltung aller Ballaststoffe und unwesenthcher Alka- loide in solchen Mengenverh~ltnissen, daB sich eine erh6hte Wir- kung ergibt. D. Tosse & Co., Hamburg 221). loer~~ovo ist ein wasserl6slicher Perubalsamersatz. D. Gebr. Bermes, Chemische Fabrik in Viersen-M.I).

R I F T . 2. J A H R G A N G . Nr . , 49

PHugon: t™ zur 13ehandlung der Gonorrh6e. D. Deutsche Schutz- und Heilserum-Gesellschaft m. b. Il., Berlin NW 6, Luisenstr. 45. lo0sterisal~ enth/ilt Schutz- und Heilstoffe, welche nach einem neuen Verfahren ,,aus den Bakterien hergestellt sind, die den H~morrhoidalanfall hervorrufen", und soll als Salbe gegen /iul3ere, als Z~pfchen gegen innere ttfimorrhoiden angewandt werden. D. Dr. Kade, Berlin SO 26. l{hoivalum lelMdoErn wird aus l~hus aromatica und Baldriau hergestellt und gegen Enuresis nocturna in den Handel gebracht. D. E. Tosse & Co., I lamburg 221). l{e]uverl ist ein Organpr/iparat in Tabletten zu o, 5 g. Es ent- spricht etwa 3,5 g frischer Drfisensubstanz. Anwendung zur Ver- jfingung. D. Dr. Laboschin-Hageda-Aktiengesellschaft, Berlin NW 2~~). 8edosfafum liquidura wird aus Viburnum prunifolium, Pis- cidia erythrina nnd Valeriana gewonnen und sol1 bel Dysmenor- rh6e, Metrorrhagie, Pollutionen usw. Anwendung finden. D. E, Tosse & Co., Hamburg 221). ~iliqoEid stellt eine 0,3proz. hochdisperse w~sserige Kiesels/iure- 16sung dar, die zur intraven6sen t~ehandlung der Lungentuberkulose dienen soll. D. C. F. ~30ehringer & S6hne, G. m. b. Il., Mannheim- Waldhof a). Toluba-Ker~e, als Entfet tungsmit tel angepriesen, enthalten in I00 dragierten Kernen: Extr. fuc. ves. 1,0, Ext. Sarsaparill. 0, 4, Extr. Frangul. 0,2, Extr. Aloes 0,2, Extr. Cascar. Sagr. o,L D. Pharm. Kontor E. Wolf, Hannover. Volpin-Tableffen enthalten Acetylsalicylsiure. D. Wilhehn Seiler, Fabrik pharm. Pr~iparate, Coblenz a. Rh.e).

ZUM

An dem Lebenswerk Louis PASTEURS, dessen ioo j~hrigen Ge- burtstag jetzt die ganze zivilisierte Welt in Ieierlichem Gedenken begeht, ist vielleicht das erstaunlichste die Vielseitigkeit dieses Mannes, der, von der Chemie ausgehend, so zahlreiche Wissens- gebiete z. T. rein biologischer und medizinischer Art in weifgehend- ster Weise gef6rdert hat. Sein Aul3erer Lebensweg bot eigentlich zu einer derartigen t~et~tigung wenig Anlal3. Geboren ara 27. De- zember I822 in D¤ Dep. Jura, wird er mit 26 Jahren zum Prof. der Physik in Dijon, ira folgenden Jahre zum Prof. derChemie inStraB- burg, 1854 in Lille ernannt, um 1857 die Leitung der Ecole Normale in Paris, i863 die Professur ffir Geologie, Physik und Chemie an der Schule der sch6nen t™ 1867 die Chemie-Professur an der Sorbonne, schliel31ich die Direktion des nach ihm benannten In- stituts zu fibernehmen, das er Ms zu seinem Tode (I 895) geleitet hat.

Aber im Grunde wa�9 PASOEEUR, worauf schon sein Lebensgang hinweist, eben doch nicht reiner Chemiker, sondern Naturwissen- schafller, flberall bestrebt, den VorgXngen mit allen Hilfsmitteln nachzuspfiren, die ihm seine reine Beobachtungs- und t™ tionsgabe, sein ausgebreitetes Wissen zur Verfflgung stellten, viel- seitig interessiert und doch nie ins Uferlose sich verlierend, nie sich zersplitternd! Derjenige, der sich mehr in PASTEURS Lebenswerk vertieft und insbesondere der geistvollen Analyse folgt, die einer seiner hervorragendsten Schfiler, E. DUCLAUX, unte �9 dem Titel ,,Pasteur, Histoire d 'un esprit" von seinem Lebenswerk gegeben hat, wird klar erkennen, dag hier eine Iolgerichtige Entwieklung des Denkens vom rein chemischen zum biologischen, eine allm~h- liche Erweiterung des Aufgaben- und Interessenkreises vorliegt, der sich ein Mann von so eminenter ursprfinglicher Begabung gar nicht entziehen konnte. Ja, jetzt, wo die Ergebnisse der Pasteur- schen Forschung eigentlich schon der Geschichte angeh6ren, ist es beinahe interessanter, den Faden, der diese mannigIaltigen Unter- suchungen miteinander verknfipft, zu suchen, als die Versuche selbst im einzelnen kritisch zu verfolgen.

Wie viele -- auBerhalb des engeren I™ der wissenschaft- lichen Chemiker -- denken heure wohl noch daran, daB es der junge, 26 jXhrige PASTEUR gewesen ist, der durch seine Unte�9 suchungen fiber die V~Teins~uren den AnstoB zut Entwicklung der Stereochemie gab ? Schon BElaZELIUS hatte die gleiche chemische

~) Pharm. Zentralh. i922. S. 604/606. *) Zeitschr. fiir angew. Chemie I922, S. 63o. a) Vierteljahresschr. fiir prakt. Pharm. I922, S. 114.

Klinische Wochenschrift; 2. Jahrg.

xoo. GEBURTSTAGE VON LOUIS PASTEUR.

V o n MARTIN HAItN, Ber l in .

Zusammensetzung von V~;eins~urœ und Traubens~ure festgestellt. PASTEUR gelang es nicht nur nachzuweisen, daB die optisc h nn- wirksame Traubens/iure aus gleichviel Rechts- und Links-Wein- s~ure be~teht, sondern datl sieh auch die ]Krystallformen der beiden WeinsXuren zueinander wie das Bild zum Spiegelbild verhalten: er schloB daraus, daB die Lagerung der Atome in den Molekiilen, die er als œ asymmetrische ansprach, dieses verschiedene optische und krystallinische Verhalten bedinge und Iegte datait den Grund zu einer Betrachtungsweise, die sich gerade heure als eine so i i be r - aus fruchtbare erwiesen hat. Und merkwiirdig genug : dieses schein- bar rein chemisch-physikalische Problem scheint eigentlich den weiteren AnstoB zu seiner ruhmvollen biologischen T~ttigkeit ge- geben zu haben; denn die Spaltung der Traubens~ure in Rechts- und Links-Weins~ure gelang i h m auch durch einen Schimmelpilz, der zun~chst nur die Rechts-Weins~ture assimilierte, die reine Links-WeinsXure aber fibriglieB.

Von diesem ersten biologischen Erfolg an hat ihn das Interesse an derartigen Vorg~ngen nicht mehr verlassen; eine Erscheinung, die man fibrigens auch an anderen hervorragenden Chemikern, die einmal ,,aus dem Becher des Lebens" getrunken haben, und gerade in neuester Zeit wieder beobachten kann (z. B. EMIL FISCttER, WlLLSTXOETER, WlELAND). Die Reize der biologischen Chemie, die zeitweise von den ,,reinen" Chemikern vielfach als ,,unrein" und etwas verachtlich betrachtet wurde, fesseln die bedeutenden K6pfe unter den Chemikern meist dauernd, wenn ste e r s t einmal angefangen haben, sich damit zu beschXftigen und die methodischen Schwierigkeiten, die vielfach gr6Ber als in der reinen Chemie sind, t~berwunden haben. Fiir PASTEUR lag es nahe, sich nunmehr anderen GXrungserscheinungen zuzuwenden. Seine Arbeiten auf diesem Gebiete gliedern sich in zwei Richtungen. Einmal studierte er die verschiedenen Arten von G~rungen und gelangte dabei zut Entdeckung spezi]ischer Giirungserreger (Milchs~iure-, Butter- 8(iure-, Harn8to]]-G~rung), andererseits dienten ihm die Beobach- tungen, die er beim Studium diesœ Prozesse gemacht hatte, als Rfistzeug in seinem langj~hrigen Kampfe, den er mit Mien Mitteln geistiger Sch~rIe und genialer Methodik frit die vitalistische, d.h. die Keimtheor@ und gegen die Urzeugungs, bzw. chemische G~trungstheorie f~hrte. War auch auf diesem Gebiete und nament-

1) Vierteljahresschrift fiir prakt. Pharm. I9~2, S. II7/i~8. 2) Pharm. Zentralh. I922. S. 6o4/6o6. ~) BOG2ENDORFER, Therapie der Gegenwart i9oE2 , S. 404.

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5o K L I N I S C H E W O C H E N S C H R I F T . 2. J A H R G A N G . N r . t i. JANUAR x923

lich durch deutsche Forscher schon eine groBe Vorarbeit geleistet, so muB man es doch als ein groBes Verdienst PASXEURS bezeich- nen, daB er dureh ebenso einfaehe wie sinnreiche Beweise der I™ zum endgi~ltigen Siege verhalf. Den Einwand, den man gegen die Versuche v o n SCHRODER, von DUSCH u. a. erhoben hatte, daB n~mlich die in ihren Versuchen geglflhte Luft m6g- lieherweise nleht aus Mangel an Keimen, sondern infolge sonstiger Vergnderungen nicht mehr zersetzungsanregend wirke, beseitigte er durch die Anwendung des Schwanenhalskolbens: In seinen Bie- gungen konnten die Luftkeime nur zurflckgehalten, die Luft aber sonst nieht ver~indert werden, uud t rotzdem geniigte der Schwanen- hais, u n gekochte Fltissigkeiten, wie Bouillon, jahrelang steril zu erhalten. Und als auch hiergegen der Einwand erhoben wurde, dag durch das Kochen die Fliissigkeiten eingreiiend ehemisch ver- – wiirden, zeigte er, dal? nicht gekochte, aber keim]rei gewonnene lvlis wie Blut, Traubensaft usw. unter den gleichen Be- dingungen ihre Steriliti~t bewahren k6nnen. Freilich hat ten sehon HOFFMANN und VAN DEg BROLX Versuche mit ~hnlieher Anordnung frit die Sterilerhaltung keimfrei gewonnener Flflssigkeiten be- schrieben, aber bel so entseheidenden und vielfach angefochtenen Beobachtungen ist das Verdienst desjenigeu, der die endgaltige UmwMzung der Ansehauungen durch die Art der Darstellung der Ergebn™ durch die Energie seiner Pers6nlichkeit herbeigeffihrt, h~ufig nicht geringer zu erachten, als dasjenige des œ Ent- deckers,

Die G~rungsstudien, die PASTEUR U.a. zur Auffindung des Milchslture- und Butters~uregiirungserregers ffihrten, waren aber auch der Ausgangspunkt nicht nur fiir eine Reihe allgemein wich- figer biologischer Feststellungen, sondern auch seiner welteren ~itiologisehen und therapeutlschen Bestrebungen. Die Butters~ure- g~rung lieferte den ersten Beweis der Existenz von anaeroben Mikro- organismen, die Z~ichtung der ~vVeins~iureg~rungserreger in kii.nst- lichen Ni~hrl6sungen, die neben weinsaurem Ammoniak und Zucker nur anorganisehe Salze enthielten, r~unlte mit der Vorstellung auf, dal3 fiir die G~rung pflanzliche oder tierische Stoffe notwendig seien. Die Feststellung, daB die verschiedenen G~rungen durch be- s t immte Arten von Mikroorganismen bedingt seien, mul3te zu dem SehluB fflhren, dal3 St6runge~ in dem G• durch die Gegenwart andersartiger Pilze verursaeht seien, ein Gedanke, der PASTEUR u n so n~her liegen muBte, als er sich durch seine Unter- suchungen �9 den Lu]tstaub von der Ubiquit~t zahlreieher Keim- arten tiberzeugt hatt› So entstanden seine Studien tiber die ,;Krankheiten des Weines", in denen er die versehiedenen St6rungen der Weinbereitung, wie das , ,Umschlagen" usw. mit dem Auf- treten best immter fremdartiger Mikroorganismen in Beziehung bringen konnte und deKen sich ~hntiche Untersuehungen fiber die Krankheiten der Essigbereitun~ und des Bieres anschlossen.

Nicht alle Einzelresultate, die PASTEUR hierbei erhalten bat, haben sp~ter einer auf verbesse#~er Methodik beruhenden Kritik standgehalten. Und doch haben gerade diese Untersuchungen fiber die G~rungsvorg~nge und ihre SpezifitXt den weittragendsten Ein- fluB auf medizinisches Denken und Handeln gehabt. Fiir LIST~n wurde, wie er selbst dankerfflllt gegeniiber PASTEUR anerkannt hat, hier der Urgrund gelegt fflr seine Forschungen iiber Sepsis und Antisepsis. Aber auch PASTEUn selbst Ieiteten sie hinflber auf das Gebiet der Krankheitserregung und Krankheitsverh�9 Seine erste Bet~tigung betraf eine tierische Krankheit, zu deren Er- Iorschung er sich erst auf das Dr~ngen der beteiligten Industrie entschloB, n~mlich die Pebrine oder Fleckenkrankheit der Seiden- raupen. Die Art, wie PASTEUR diese Aufgabe erledigte, wird fiir alle Zeiteu mustergflltig b!eiben. Nicht nur best~tigte er das Vor- kommen der von CORNALIA i n Gewebe der erkrankten Raupen ge- sehenen K6rperchen (Nosema Bombycis Naegeli), sondern er stellte sie auch in den infizierten Schmetterlingen und deren Eiern Iest und gab in derZellgrainage, d. h. in der Abtrennung und Auswahl der nieht infizierten Eier das Mittel fiir die Verhfitung durch Au~- rechterhaltung einer gesunden Zucht.

Aber trotz dieses Erfolges bat sich PAS~EUa anscheinend als Chemiker nur z6gernd entschlossen, der weiteren Erforschung und

Verhfitung menschlieher und tierischer Krankheiten n~herzutreten. Den Ausgangspunkt bildete fiir ihn, wie ffir ROBERT KOCH, der Milzbrand, bel dem die Beobachtungen DAVAINES u. a. iiber die Infektiosit~t des st~bchenhaltigen Blutes berei~s vorlagen. Sicher- lich hat ROBERT Koc~ hier durch die Klarlegung des ganzen Ent- wieklungsganges und seine verbesserte Methodik die iiberzeugen- deren Beweise frit die ~tio]ogie und Pathogenese des Milzb�9 geliefert. Aber bald genug hat PASTEUR diesen Vorsprung wieder eingeholt: W~hrend KOCH und seine Schfiler auf dem Gebiete der ~tlologie, dank der Benutzung der festeu N~hrb6den namentlich, die gl~nzendsten Erfolge errangen, wandte sich PASTEUR einem Zweige der medizinischen Wissenschaft zu, der eigentlich seit J~NNER kaum eine F6rderung erfahren hatte, n~mlich der lmmuni- tiits]orschung. Die Beobachtung, daB die Impfung mit H�9 cholerabacillen, die dureh die ktinstliche Zflchtung abgeschw~tcht waren, Immunit~t verleiht, gab PASTEU~ und seinen Sehiile�9 die Forschungsrichtung. Es folgten die Arbeiten tiber die Milzbrand- schutzi~n~p]ung, bei der die Absehw~chung durch Ziichtung bel h6herer Temperatur erfolgte und deren Ergebnisse vielleicht in Deutschland nicht immer ganz richtig eiugesch~tzt worden sind. Bel der hnpfung gegen den Schweinerotlaul dagegen verwandte PASTEUR zur Abschw~chung der Virulenz ein anderes, eigentlich schon durch JENNERS Vaccination bekanntes Prinzip, n~mlich die Ubertragung des Infektionserregers auf eine andere Tierart, das t™ Die hier erzielten Erfolge wurden wieder der Ausgangs- punkt seiner letzten, praktisch erIolgreiehsten Forschungen fiber die Hundswut, bei denen er, t rotzdem es ihm nicht gelang, den Er- reger zu Iinden, in unermfidlicher Versuchsarbeit den Nachweis lieferte, dag es I. gelingt, ein Virus von groBe�9 Wirkungskonstanz durch andauernde subdurale Ubertragung von einem Kaninchen auf das andere zu erhalten und 2., daB das so gewonnene Virus fixe durch Austrod~nung von verschiedener Dauer beliebig abge- gesehw~iiht werden kann. Erst 1885, nachdem er auf diese Weise einen Impfstoff gewonnen hatte, mit dem er imstande war , nicht nur Hun” zu immunisieren, sondern auch bereits infizierte durch frflhzeitige Behandlung zu hei[en, entschloB er sich zut Anwendung des Verfahrens am gebissenen Mensehen. Die gl~inzenden E�9 die er hiermit errungen hat, bilden die Kr6nung des Pasteurschen Lebenswerkes. Sie fiihrten nicht nur Tausende von Gebissenen aus aller Herren L~nder naeh Paris in das neugegrflndete, von den her- vorragendsten Mitarbeitern unterstii tzte und mit Mien wissenschaft- lichen Forschungsmitteln ausger�9 Institut Pasteur, sie gab auch Veranlassung zur Grtindung zahlreicher gleichartiger Inst i tute i n Auslande, die ebenso wie das Pariser Ins t i tu t Tausende der I-Iei~ lung zuftihrten, und ebenso dureh ihre wissenschaftliche Arbeit in weiterem Umfange befruchtend wirkten.

Angesichts der groBen Wirkung, die PASTEUt~S Forschungen auf die Entwicklung der Biologie im atlgemeinen, auf das Studium der &tiologie, der Prophylaxe und Therapie der InIektionskrankheiten im besonderen geiibt haben, dtirfen auch wir deutschen Mediziner uns heure ehrfurchtsvoll an seinem Grabe neigen, ohne fiirchten zu miissen, daB diese Geste falsch gedeutet wird. PASTEUR selbst ha t uns ein Beispiel gegeben, w i e man in wissenschaftlicher Arbeit seinen Patriotismus praktisch und besser bet~tigen kann, wie in der ,,Schf~tzenfestbegeisterung", als er nach dem Kriege I87O/�9 seine Forschungen fiber ,,die Kran~heiten des Bieres" in der ausge- sprochenen Absicht aufnahm, die franz6sische Brauereiindustrie dadureh zu sttitzen und Frankreich von der deutschen unabhlingig zu machen. Er h~tte also sicher den deutschen Gelehrten (CoNI~STEII% NEUBERG und LUDECKE) seine Bewunderung nicht versagen k6nnen, die im Weltkriege durch sorgf~ltige biologisch-chemische Studien da- hin gelangten, die Hefe zur Produktion des uns mangelnden Glyeeriy gewissermaBen zu zwingen. Und PASTEUR hat auch durch einen Ausspruch, den uns sein Schaler DUCLAUX aus einem Toast in Mailand flberliefert ha t (Ann. Past. 1895), nicht nur uns, sondern vor allem seinen eigenen Landsleuten den Standpunkt vorgezeich- net, den er in so schwierigen Lagen, wie es die jetzige ist, �9 den richtigen hielt und dem auch wir in wtirdiger Haltung ruhig folgen wollen. La science n'a pas de patrie, qnais les savants en ont une/