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Zur Einleitung – die Logik der Vorlesung: Castells: Ökonomie, Kultur und Psychologie der Informationsgesellschaft – eine neue Gesellschaft oder Variante des Kapitalismus? Voss: die Formierung des arbeitenden Subjekts Patzner: Einführung der historisch- kulturphilosophischen Logik für die Formen des Unterrichts (mit Foucault: Souveränitätsgesellschaft – Disziplinargesellschaft – Kontrollgesellschaft) Hier wieder Einstieg der Vorlesung 2: Kritik/Polemik an Begriff „Individuum“ Was heißt „Identität“ – der neue Subjektbegriff? Identitätsbildung im Unterricht der Schule Identität und soziale Klassenlage = Bernstein

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Zur Einleitung – die Logik der Vorlesung:

Castells: Ökonomie, Kultur und Psychologie der Informationsgesellschaft –

eine neue Gesellschaft oder Variante des Kapitalismus?

Voss: die Formierung des arbeitenden Subjekts

Patzner: Einführung der historisch-kulturphilosophischen Logik für die Formen des Unterrichts (mit Foucault: Souveränitätsgesellschaft – Disziplinargesellschaft – Kontrollgesellschaft)

Hier wieder Einstieg der Vorlesung 2:Kritik/Polemik an Begriff „Individuum“

Was heißt „Identität“ – der neue Subjektbegriff?

Identitätsbildung im Unterricht der Schule

Identität und soziale Klassenlage = Bernstein

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Die weiteren Vorlesungen:- Fortsetzung Bernstein

- Bauböck (nur kursorisch)

- Nowotny vs. Neubauer

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Michael Sertl auf der Grundlage von Basil Bernstein:

Kritische Anmerkungen zur „Individualisierung“ des Unterrichts

1. Grundidee der Vorlesung:

Ermächtigung des Subjekts(Empowerment)

Neue Strategie zur Leistungssteigerung

„flexibler Mensch“ (R. Sennett)

Möglicher Weise beides angesprochen: neoliberale Gouvernementalität (M. Foucault; vgl. Patzner Text)

Individualisierung kann sein

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2. Grundidee der Vorlesung: Individualisierung heißt nicht für alle dasselbe; notwendige Differenzierung nach Geschlecht, sozialer Schicht, Migrationshintergrund, … (wird später ausgeführt für „Arbeiterkinder“)

Oder besser:

Individualisierung setzt die Gültigkeit von sozialen Kategorien wie Geschlecht, Ethnizität, soziale Schicht … nicht außer Kraft.

Die Perspektive auf „Individualisierung“ kann den Blick auf „soziale Ungleichheit“ verstellen. Soziale Ungleichheiten sind nicht durch „Individualisierung“ behebbar.

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Eine Provokation zu Beginn:

In – dividuum = A – tom (kleinste Einheit von etwas)

Individuum Gesellschaft

Soziologische Begriffe:

Subjekt System

Die nächste Provokation: Was heißt Sub-jekt?

Der, die, das Unterworfene!

Erst in der Aufklärung, am Beginn der bürgerlichen Gesellschaft dreht sich die Bedeutung um: Aus dem unterworfenen Subjekt wird das tätige Subjekt, das Subjekt, das sich (manchmal) der Gesellschaft widersetzt;

das autonome Subjekt als Ideal!

Wichtiger Kontrapunkt: Strukturalismus (Frankreich nach 1945!)

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Zum Begriff Identität:

Fortsetzung des mit dem Begriff „Sozialisation“ beschriebenen Prozesses (s. 1. Semester)

Identität transportiert mehr Eigenanteile, mehr Beteiligung des Subjekts als Sozialisation; setzt eigentlich primäre und sekundäre Sozialisation voraus; setzt in der sekundären Sozialisation ein – peer group

Es geht um Zugehörigkeit zu einer „Community“:sich identifizieren, identifizierbar sein – ähnlich dem Begriff „Selbst“ bei G.H. Mead: Selbst als Spiegelung dessen, was andere in einer/m sehen

Community: Sub-Kultur, ethnische Zugehörigkeit, Religion, Sport, …

Identität immer selbst gewählt. (?)

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Was transportiert der Begriff Individualisierung?

- scheinbar zunehmender Gewinn des Individuums und- scheinbar naturwüchsige Zunahme aller Formen der

Individualisierung

Wie äußert sich Zunahme?

Leistungssteigerung Ermächtigung

Kompetenz Bildung

System-Perspektive Subjekt-Perspektive

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Kompetenzen sind

„die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können.“ (F.E. Weinert 2001)

(Wikipedia-Eintrag „Kompetenz“)

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MEIN WILLE GESCHEHESELBSTBESTIMMT UND ERFOLGREICH IM BERUFSLEBEN.Wie sie zum/r RegisseurIn Ihres Lebens werden

Stöberinfo nr 643. polycolleg (© Stefan Vater)

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ICH MACHE WAS ICH WILL UND DAS GUT!Karriere: Nur wer sich selbst kennt, wird sich optimal einbringen können – und überzeugen.

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Bernsteins Pädagogische Theorie

Pädagogik ~ Religion: Reproduktion der Wissensbasis

1. Trennung von heiligem und profanem Wissengültigem und ungültigem Wissen

Prinzip der Grenzziehung

Regeln des Erkennens

2. Hierarchisches Prinzip der Übermittlung und Aneignung

Regeln des Realisierens

Klassifikation (C)

Rahmung (F)

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3. Kontext: System, Raum, Zeit, ….

Regeln generieren die relevanten Bedeutungen, offenbaren Sinn.

Zusammen bilden diese „Regeln“ den Code.

Klassifikation (K) = Trennung (+) oder Vermischung (–) der Kategorien

Rahmung (R) = Regeln der Übermittlung: explizit hierarchisch (+) oder implizit (–), scheinbar nicht-hierarchisch

OCode = –––––––––––––

(+-)K (+-)R

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Code besteht aus Klassifikation und Rahmung; darin „eingebettet“ die Orientation to Meaning. Und die ist ungleich verteilt.

elaborierte Orientierung – dekontextualisierte Sprache, universelle Bedeutungen

restringierte Orientierung – kontextgebundene Sprache, partikuläre Bedeutungen

Klassifikation (K) übermittelt die Diskurs-Grenzen. Wo hört der Diskurs auf? Wo beginnt ein anderer.ruft „Erkennungsregeln“ ab.

Rahmung (R) übermittelt die die Regeln des Diskurses. Was ist eine legitime Praxis oder Botschaft.Ruft „Realisierungsregeln“ ab.

(genauer: s. Grafik)

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Am Schluss HÜ: Bernstein Grundschule (und Bauböck?)

Der Code ist ein stillschweigend angeeignetes regulatives Prinzip, das

- die relevanten Bedeutungen,

- die Form ihrer Realisierung und

- den sie erzeugenden Kontext

selektiert und integriert.

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Beispiel 1: Kinder bekommen 4 Bilder (Jungen beim Fußball Spielen) vorgelegt: „Erzähle die Geschichte!“

1. „Drei Jungen spielen Fußball und ein Junge schießt den Ball und er fliegt durch das Fenster der Ball zertrümmert die Fensterscheibe und die Jungen schauen zu und ein Mann kommt heraus und schimpft mit ihnen weil sie die Scheibe zerbrochen haben also rennen sie fort und dann schaut diese Dame aus ihrem Fenster und sie schimpft hinter den Jungen her.“

2. „Sie spielen Fußball und er schießt ihn und er fliegt rein dort zertrümmert er die Scheibe und sie schauen zu und er kommt raus und schimpft mit ihnen weil sie sie zerbrochen haben deshalb rennen sie weg und dann sieht sie raus und sie schimpft hinter ihnen her.“

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1. Elaborierter Code:„Drei Jungen spielen Fußball und ein Junge schießt den Ball und er fliegt durch das Fenster der Ball zertrümmert die Fensterscheibe und die Jungen schauen zu und ein Mann kommt heraus und schimpft mit ihnen weil sie die Scheibe zerbrochen haben also rennen sie fort und dann schaut diese Dame aus ihrem Fenster und sie schimpft hinter den Jungen her.“

2. Restringierter Code:„Sie spielen Fußball und er schießt ihn und er fliegt rein dort zertrümmert er die Scheibe und sie schauen zu und er kommt raus und schimpft mit ihnen weil sie sie zerbrochen haben deshalb rennen sie weg und dann sieht sie raus und sie schimpft hinter ihnen her.“ (a.a.O., S.284)

Bsp. 2: Lebensmittel sortieren, s. Textsammlung Sertl 2012

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Bsp. 3 Das Tennis-Item (Cooper/Dunne 2000)(Erklärung zum Kontext der Studie: Diane and Mike)

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Ohne zu zögern liefert Diane, das hochbegabte Mittelschichtmädchen folgende Lösung: Rob and KatyRob and AnneRob and GitaDavid and AnnDavid and Katy “ and GitaRashid and Ann “ and Katy “ and Gita.

Die Verwendung der Anführungszeichen “ zeigt die Sicherheit in der Lösungsstrategie. Diane lässt sich von der realistischen Darstellung der Namenskärtchensäcke, die eigentlich eine Lösung von bloß drei Paaren nahelegt, nicht beirren und zielt sofort auf das mathematische (kombinatorische) Problem, alle möglichen Paarungen zu nennen: „ … because I knew that each boy had a chance of three girls, and each girl had a chance of three boys, so, um, if you write both down you get the same answer.“ (a.a.O., S.60)Es ist evident, dass Diane eine Erkennungs- und Realisierungsregel abruft, die von einer starken Klassifikation und starker Rahmung ausgeht. (+K +R)

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Ganz anders Mike; er „fällt“ sofort auf den realistischen Kontext „herein“ und schreibt eine Lösung mit bloß drei Paaren. Auf dieser Lösung beharrt er auch relativ lange, obwohl ihn der Interviewleiter mit Hinweisen auf die richtige Lösung zu bringen versucht. Er realisiert ganz offensichtlich einen Text, der dem realistischen Kontext entnommen ist. Er erkennt den elaborierten Code bzw. den spezialisierten Kontext nicht. Mike geht auf die schwache Klassifikation und Rahmung der Aufgabenformulierung ein (-K ±R) und rekonstruiert eine vollkommen realistische Szene, in der eine reale Wahl der Paarungen vorgenommen wird. Damit führt er sich zu einer falschen Lösung. In der ersten Fassung seiner Lösung begnügt er sich mit drei Paaren.

Restringierter Code? Beharren auf dem lokalen Kontext ….

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He began by reading under his breath:Mike: Find all the possible ways that the boys and girls can be paired. [pause] There's - is it - I won't, I won’t write it down here, I suppose. Is it because they put their hand, they go, they put their hand in there first, so they pull out Rob, cos they go right to the bottom first. Then second in the girls they go half way down, so they pick out Katy. Then the boys, they go to the top and pick out David. And they go right to the bottom of the other one to pick out Gita, and you should you should end up with Rashid and [pause] Ann. [stops] BC: OK, write those down then.Mike: Shall I just write who they're going to go with?BC: Yep.Mike: Rob and Katy [pause] David and Gita [pause] Rashid and AnnBC: Now, before you go on, look at it again. Find all the possibl,. ways that the boys and girls can be paired. All the possible ways. Do you think you've found all the possible ways that boys and girls can be paired?Mike: There's only one other one. There's only one other way. It's just, just to be lucky who you go with really. That's it just about...BC: There's only one other way, just to be lucky who you go with'Mike: Yea, 'cos they just, they just dip their hand in. They'd prob ably shake the bag around while they put their hand in, and pick out whoever.BC: OK, so do you think there are some other ways?Mike: Only the one I've just said. And that's about it. There's no other possible way unless you took them out - oh, David can go with Gita - and just do that, Rob can go with Ann, and Rashid can go with Katy.

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BC: Alright, if you did that though, how many different pairs do you think you could possibly get? If you, if I said, here, write down all the pairs you think you could get, of boys and girls - all the possible ones - do you think there are more than three? Or just three? Mike: There'd be nine.BC: There'd be nine? Can you write those nine down, on this page here?He writes:

David + AnnRashid + Katy Rob + Gita David + Gita Rashid + Ann Rob + Katy David + Katy Rashid + Gita Rob + Ann

BC: Right, how did you know there'd be nine before you started then?

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Mike: Because there's three boys and three girls, plus you've got to add another three because - you'll be going David and Ann, Rashid and Katy, Rob and Gita. Put Gita to Ann, Ann to Katy, and Katy to Gita. And then you keep doing that, the same method. So they'd be going, um, from there [pause] from there she'd go to there [he draws linking lines between the names on the diagram of the bag containing girls' names]. She'd go to there, then she'd go to there, then she'd go back up to there, and she'd go down to there, and so on. Nine ti. . ., three times.BC: Right, so why do you think, when you first did it, you stopped at three then? What was it about the question, do you think?Mike: Um, it [pause] just said, um, find the possible ways, of the boys and girls, were paired. Just says one pair - um - the way - the way that they're going to be paired, not who they're going to be paired with.