Zur Frage der Kausalität in der Quantentheorie der...

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This work has been digitalized and published in 2013 by Verlag Zeitschrift für Naturforschung in cooperation with the Max Planck Society for the Advancement of Science under a Creative Commons Attribution 4.0 International License. Dieses Werk wurde im Jahr 2013 vom Verlag Zeitschrift für Naturforschung in Zusammenarbeit mit der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V. digitalisiert und unter folgender Lizenz veröffentlicht: Creative Commons Namensnennung 4.0 Lizenz. Zur Frage der Kausalität in der Quantentheorie der Elementarteilchen Von W. HEISENBERG Aus dem Max-Planck-Institut für Physik, Göttingen (Z. Naturforschg. 6 a, 281—284 [1951] ; eingegangen am 12. Mai 1951) Im Anschluß an zwei frühere Arbeiten 2 wird untersucht, inwieweit man die Abweichungen vom kausalen Verhalten, die nach F i e r z 3 im Rahmen der dort geschilderten S-Matrix-Theorie auftreten, auf kleinere Raum-Zeit-Gebiete beschränken kann. Ferner werden Argumente für solches Abweichen vom kausalen Verhalten innerhalb einer allgemeinen Theorie der Elementar- teilchen besprochen. I n Anbetracht der bekannten Singularitäten in den üblichen F eld-Quantentheorien war früher vorgeschla- gen worden l , man solle in der Theorie der Elementar- teilchen von der S-Matrix und nicht von einer Hamilton- Funktion ausgehen, d. h. man solle die Einzelheiten im Verlauf eines Elementarakts als unbeobachtbar an- sehen und nur das asymptotische Verhalten der Wel- len zum Gegenstand der Theorie machen. Damit eine solche Theorie den Erfahrungen gerecht werden kann, muß sie im Grenzfall kleiner Energien und größerer Raum-Zeit-Gebiete in die übliche Quan- tentheorie übergehen. Durch diese Forderung wird der Bereich der zulässigen S-Matrizen weitgehend eingeschränkt. Ein spezieller Formalismus, der die oben genannte Korrespondenzforderung wenigstens teilweise befrie- digt, war in folgender Weise konstruiert worden 2 : Man geht in der Wechselwirkungsdarstellung von einer Wellengleichung höherer Ordnung für die „nackten" Teilchen aus, so daß man zur Wellenfunk- tion xp (x) eine zugeordnete Funktion xp (x) bilden kann, die mit xp (x) durch eine reguläre Vertauschungs- relation verknüpft, aber, als Folge davon, nicht ein- fach zu xp(x) hermitisch konjugiert ist. Die „nackten" Teilchen zerfallen dann in zwei Gruppen, je nach der Transformationseigenschaft des zugehörigen Anteils der Wellenfunktion bei einem Vorzeichenwechsel der neu eingeführten imaginären Einheit „/'". (Im folgen- den werden der Einfachheit halber die beiden Teil- chensorten als „a"- und „^"-Teilchen unterschieden; für die Einzelheiten vgl. 2 .) Die Wechselwirkungsener- gie H wird dann ein nichthermitischer Operator. Aus ihm bildet man zunächst in der üblichen Weise einen nicht unitären Operator T: 1 W. H e i s e n b e r g , Z. Naturforschg. 5a, 251, 367 [1950], 2 W. H e i s e n b e r g , Z. Physik 120, 513, 673 [1943]. T = 2 ( „?" f dXi • • • f dx " p ( H (xi) ' ' H M ' (1) und aus diesem durch die Formel S = T (T* T) 1/2 (2) die unitäre S-Matrix. Die so konstruierte S-Matrix befriedigt die Korre- spondenzforderung für kleine Energien. Solange näm- lich die Gesamtenergie des betrachteten Zustandsvek- tors W so klein ist, daß sie zur Erzeugung eines „ß"-Teilchens (das Teilchen kleinster Ruhmasse sei ein „«"-Teilchen) nicht ausreicht — die noch fehlende Energie sei J E —, so gilt für Zeitintervalle, die groß sind gegen K/AE (3) Tj <P x T__. >P, — i wegen T * = T_ _. folgt : (4) T* Tj </* ~ T* T_j '/' = ' und (5) S 'P « T- >P x T_j '/'. (6) Für große Energien jedoch genügt die nach (2) konstruierte S-Matrix, wie F i e r z 8 bemerkt hat, der Korrespondenzforderung im allgemeinen nicht. Wenn nämlich die Energie zur Erzeugung der „ß"-Teilchen ausreicht, so kann wegen des Operators T* in (2) das „/?"-Teilchen zuerst absorbiert und erst später erzeugt werden, d. h. die Reihenfolge der Ereignisse kann sich gegenüber der normalen umkehren, und die falsche Zeitrechnung erstreckt sich dann, wenn das „/?"-Teil- chen lange Zeit existiert, auch über große Zeitinter- valle. Selbst bei hohen Energien erscheint es sehr 3 M. F i e r z, Über die Bedeutung der Funktion Sf in der Quantentheorie der Wellenfelder, Helv. physica Acta, im Erscheinen; vgl. auch E. S t u e c k e l b e r g u. D. R i - v i e r , Helv. physica Acta 23, 215 [1950].

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This work has been digitalized and published in 2013 by Verlag Zeitschrift für Naturforschung in cooperation with the Max Planck Society for the Advancement of Science under a Creative Commons Attribution4.0 International License.

Dieses Werk wurde im Jahr 2013 vom Verlag Zeitschrift für Naturforschungin Zusammenarbeit mit der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung derWissenschaften e.V. digitalisiert und unter folgender Lizenz veröffentlicht:Creative Commons Namensnennung 4.0 Lizenz.

Zur Frage der Kausalität in der Quantentheorie der Elementarteilchen

V o n W . H E I S E N B E R G

Aus dem Max-Planck-Institut für Physik, Göttingen (Z. Naturforschg. 6 a, 281—284 [1951] ; eingegangen am 12. Mai 1951)

Im Anschluß an zwei frühere Arbeiten2 wird untersucht, inwieweit man die Abweichungen vom kausalen Verhalten, die nach F i e r z 3 im Rahmen der dort geschilderten S-Matrix-Theorie auftreten, auf kleinere Raum-Zeit-Gebiete beschränken kann. Ferner werden Argumente für solches Abweichen vom kausalen Verhalten innerhalb einer allgemeinen Theorie der Elementar-teilchen besprochen.

In Anbetracht der bekannten Singularitäten in den üblichen F eld-Quantentheorien war früher vorgeschla-

gen worden l, man solle in der Theorie der Elementar-teilchen von der S-Matrix und nicht von einer Hamilton-Funktion ausgehen, d. h. man solle die Einzelheiten im Verlauf eines Elementarakts als unbeobachtbar an-sehen und nur das asymptotische Verhalten der Wel-len zum Gegenstand der Theorie machen.

Damit eine solche Theorie den Erfahrungen gerecht werden kann, muß sie im Grenzfall kleiner Energien und größerer Raum-Zeit-Gebiete in die übliche Quan-tentheorie übergehen. Durch diese Forderung wird der Bereich der zulässigen S-Matrizen weitgehend eingeschränkt.

Ein spezieller Formalismus, der die oben genannte Korrespondenzforderung wenigstens teilweise befrie-digt, war in folgender Weise konstruiert worden2: Man geht in der Wechselwirkungsdarstellung von einer Wellengleichung höherer Ordnung für die „nackten" Teilchen aus, so daß man zur Wellenfunk-tion xp (x) eine zugeordnete Funktion xp (x) bilden kann, die mit xp (x) durch eine reguläre Vertauschungs-relation verknüpft, aber, als Folge davon, nicht ein-fach zu xp(x) hermitisch konjugiert ist. Die „nackten" Teilchen zerfallen dann in zwei Gruppen, je nach der Transformationseigenschaft des zugehörigen Anteils der Wellenfunktion bei einem Vorzeichenwechsel der neu eingeführten imaginären Einheit „/'". (Im folgen-den werden der Einfachheit halber die beiden Teil-chensorten als „a"- und „^"-Teilchen unterschieden; für die Einzelheiten vgl.2.) Die Wechselwirkungsener-gie H wird dann ein nichthermitischer Operator. Aus ihm bildet man zunächst in der üblichen Weise einen nicht unitären Operator T:

1 W. H e i s e n b e r g , Z. Naturforschg. 5a, 251, 367 [1950],

2 W. H e i s e n b e r g , Z. Physik 120, 513, 673 [1943].

T = 2 ( „?" fdXi • • • fdx"p (H (xi) ' ' •H M ' (1)

und aus diesem durch die Formel

S = T (T* T) 1/2

(2)

die unitäre S-Matrix. Die so konstruierte S-Matrix befriedigt die Korre-

spondenzforderung für kleine Energien. Solange näm-lich die Gesamtenergie des betrachteten Zustandsvek-tors W so klein ist, daß sie zur Erzeugung eines „ß"-Teilchens (das Teilchen kleinster Ruhmasse sei ein „«"-Teilchen) nicht ausreicht — die noch fehlende Energie sei J E —, so gilt für Zeitintervalle, die groß sind gegen K/AE

(3) Tj <P x T__. >P,

— i wegen T * = T_ _. folgt : (4)

T* Tj </* ~ T* T_j '/' = '/» und (5)

S 'P « T- >P x T_j '/'. (6)

Für große Energien jedoch genügt die nach (2) konstruierte S-Matrix, wie F i e r z 8 bemerkt hat, der Korrespondenzforderung im allgemeinen nicht. Wenn nämlich die Energie zur Erzeugung der „ß"-Teilchen ausreicht, so kann wegen des Operators T* in (2) das „/?"-Teilchen zuerst absorbiert und erst später erzeugt werden, d. h. die Reihenfolge der Ereignisse kann sich gegenüber der normalen umkehren, und die falsche Zeitrechnung erstreckt sich dann, wenn das „/?"-Teil-chen lange Zeit existiert, auch über große Zeitinter-valle. Selbst bei hohen Energien erscheint es sehr

3 M. F i e r z, Über die Bedeutung der Funktion Sf in der Quantentheorie der Wellenfelder, Helv. physica Acta, im Erscheinen; vgl. auch E. S t u e c k e l b e r g u. D. R i -v i e r , Helv. physica Acta 23, 215 [1950].

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zweifelhaft, ob solche Abweichungen von der nor-malen Zeitrechnung in großen Bereichen tatsächlich vorkommen.

Ganz allgemein machen es die Untersuchungen von S t ü c k e l b e r g und R i v i e r und F i e r z 3 sehr wahrscheinlich, daß jedes Abgehen vom Hamilton-Formalismus in Richtung auf eine Erweiterung zum S-Matrixformalismus Umkehrungen der zeitlichen Reihenfolge, zum mindesten in kleinen Raum-Zeit-Gebieten, zur Folge hat. Andererseits dürften die wesentlichen Singularitäten im Hamilton-Formalismus ja gerade aus der Forderung entstehen, daß die nor-male zeitliche Reihenfolge selbst in beliebig kleinen Raum-Zeit-Gebieten aufrechterhalten werden solle. Diese Überlegung zeigt aber auch, daß es für die Vermeidung der Singularitäten genügen sollte, in kleinen, aber endlichen Raum-Zeit-Bereichen Abwei-chungen von der normalen „kausalen" Zeitfolge zuzu-lassen.

Die folgenden Rechnungen sollen nachweisen, daß man tatsächlich Beispiele konstruieren kann, in denen ein Formalismus mit den Gin. (1) und (2) zu Ab-weichungen von der richtigen Zeitordnung nur in „kleinen" Bereichen (mit gewissen, später noch zu besprechenden Einschränkungen) führt. Zu diesem Zweck sollen die Ansätze von Teil I unverändert über-nommen, aber noch die zusätzliche Annahme ein-geführt werden, daß schon das leichteste „/^"-Teilchen eine Ruhmasse besitzt, die größer ist als die dreifache Ruhmasse der leichtesten „«"-Teilchen, daß also nach dem dortigen Wechselwirkungsansatz die „^"-Teil-chen spontan in drei „a"-Teilchen zerfallen können. Dann ist die Zeit, in der die „/»"-Teilchen existieren können, und damit auch die Zeit, in der Vorgänge in der falschen Reihenfolge geschehen können, auf die Lebensdauer der ,,/f'-Teilchen beschränkt. Dies wird wiederum zur Folge haben, daß für Zeiten, die lang sind, verglichen mit dieser Lebensdauer, T j W ^ a T—j W ÄS S f gilt, daß also in größeren Zeiträumen der Formalismus in den der üblichen Quantentheorie übergeht.

Um dies zu zeigen, soll eine Rechnung skizziert werden, die sich eng an die bekannte Arbeit von W e i ß k o p f und W i g n e r 4 über die Strahlungs-breite der Spektrallinien anschließt. Es soll angenom-men werden, das zur Zeit t = 0 ein Stoß zweier „a"-Teilchen stattfindet, der im Endeffekt zur Erzeu-gung zweier weiterer „a"-Teilchen führt, wobei im Zwischenzustand zwei „a"-Teilchen, oder auch ein

i V. W e i ß k o p f u. E. W i g n e r , Z. Physik 63, 54 [1930],

„a"- und ein „/^"-Teilchen vorhanden sein können; im Endzustand gibt es vier „a"-Teilchen. Die Amplitude des Zwischenzustandes sei [in Anlehnung an W e i ß -k ö p f und W i g n e r , Gl. (14), a und b] mit ÖA- , die des Endzustandes mit bo bezeichnet, die Wechselwir-kungsenergie heiße, wieder in Anlehnung an jene Arbeit, iv. Die zugehörigen Energien seien EA und E,,. Dann gilt für Zeiten außerhalb des eigentlichen Stoß-moments, d. h. für t 0 (unter kleinen Abänderungen gegenüber W e i ß k o p f und W i g n e r 4 ) :

da i h ~df= Ek°k+ XWk,QbQ> Q

1 K 'dt = E'-> ho + Xwf,kak-

( 7 )

Wenn die Matrix Wk,g hermitisch ist, so können die Gin. (7) nach jener Arbeit für t > 0 durch den Ansatz

ak = cke

E K T - R K T - I E E T

Zft n

wokCk ~ Ek — E — t nr, k "

(ais — b$ = 0 für t < 0) gelöst werden, wobei die ck

durch den Stoßprozeß bestimmte Konstanten sind und sich für rA (bis auf einen konstanten positiven Faktor) ivk q iVq k, summiert über die in Betracht kommenden Endzustände, ergibt. Wegen der Umkehrbarkeit der Zeit in der üblichen Quantentheorie gibt es übrigens für die Gl. (7) auch eine (von W e i ß k o p f und W i g -n e r nicht erwähnte) Lösung, bei der für t < 0:

a,. = c,. e h ELt + r.t

— Ekt + r t - Ent \ 1 e — e

k

( 9 )

E, - £„ + i n r.

(ak = bQ = 0 für t > 0). Für f k folgt dabei der gleiche Wert wie vorher. Der durch (9) beschriebene Vorgang ist die genaue zeitliche Umkehrung des durch (8) beschriebenen Vorganges.

Wenn nun Q keine hermitische Matrix mehr ist, so werden die Lösungen (8) und (9) unbrauchbar, denn dann erhält man für die Zwischenzustände, bei denen ein „a"- und ein „/T'-Teilchen vorhanden ist, WkQ xvtjk = — IiCko I2 einen negativen Wert, aus dem exponentiellen Abklingen würde ein exponentielles Anwachsen. Außerdem charakterisieren die Ampli-

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tuden ak und bo dann einen Zustand, der nicht durch V (t) = So1 v (0), sondern durch y (t) = To' y (0) charakterisiert und daher nicht richtig normiert ist.

Wenn wir von der Normierungsfrage zunächst ab-sehen, so gibt es aber jetzt für die Zwischenzustände k, in denen ein „a"- und ein „/?"-Teilchen vorhanden ist, die folgende Lösung:

a,. = ch e H E.t + r.t

n E l c t + I\ t

b6 = ¿Jwekck Ek-E0 + inrk k

! für f < 0 ,

und

ak = 0 ,

b

Er, t v Lw^CkEk-EQ + i n r k

k

für t > 0 .

(10)

r k erhält (vgl. W e i ß k o p f u n d W i g n e r 4 , S. 64), bis auf den gleichen Faktor wie oben, den Wert — Wk o Wq k = I ivk o 12, ist also jetzt wieder positiv. Die Lösung (10) bedeutet anschaulich, sofern man von der Normierungsfrage absieht, daß das „ß" -Teilchen zuerst radioaktiv in drei „a"-Teilchen zerfällt und erst dann durch den Stoß zur Zeit t = 0 erzeugt wird. Die imaginäre Einheit / ist sowohl in ck wie in Wok als Faktor enthalten. Die Lösung (10) wird also für t > 0 wieder vom Vorzeichen von / unabhängig, d. h. für t > 0 gilt, wie oben schon behauptet, Tj XL' — T—j = S . Nur in einem Zeitintervall t < 0 von der Breite l / T k sind Tj'Pund T_ ; -verschieden, nur dort ist also die Definition S = T(T*T)~1'- notwendig, wenn man überhaupt den „Zustand" in dieser Zeit definieren will.

Die eben skizzierte Rechnung gilt übrigens zunächst nur unter den Voraussetzungen: die Wechselwir-kung iv soll eine kleine Störung sein, sie soll also die Ruhmassen der Teilchen nur sehr wenig verändern. Von anderen Übergangsmöglichkeiten als denen, die durch iVkQ ausgedrückt sind, soll abgesehen werden. Unter diesen Voraussetzungen ist allerdings die Lebensdauer 1/Tk des „/T'-Teilchens lang, verglichen mit der durch die Ruhmassen selbst definierten Zeit, die man gerne als die „kleinste Zeit" definieren würde.

Sobald man aber die Wechselwirkung nicht als klein, sondern als groß voraussetzt, so verlieren zwar die Rechnungen ihre Gültigkeit, die Ergebnisse lassen sich aber qualitativ leicht abschätzen. Die Lebens-

dauer der „ß"-Teilchen erhält dann die gleiche Größenordnung wie die „kleinste Zeit", die Abwei-chungen von der normalen Zeitordnung sind also im Ruhsystem der „ß"-Teilchen auf solch kleine Zeiten beschränkt. Ferner werden sie begrenzt auf solche Pro-zesse, bei denen in der Regel mehrere Elementarteil-chen mit einem Schlage erzeugt werden. Sie bleiben damit auch beschränkt auf Zeiträume der gleichen Größenordnung wie die, in denen die Nichtlineari-täten in der Wellengleichung eine entscheidende Rolle spielen. Man kann wohl nach den vorliegenden Er-fahrungen kaum ausschließen, daß in solchen Zeit-räumen tatsächlich Umkehrungen in der Zeitordnung vorkommen.

Allerdings bedarf die Behauptung, daß in der hier skizzierten Theorie die Abweichungen von der Kau-salität nur in „kleinen" Bereichen vorkommen, der Einschränkung und Präzisierung. Die betreffende Zeit ist zwar im Ruhsystem des „^"-Teilchens klein. Wenn aber das „/T'-Teilchen mit hoher Energie erzeugt wird, so kann es vor dem Zerfall eine Strecke durch-laufen, die erheblich größer ist als die „kleinste Länge", auch seine Lebensdauer ist entsprechend län-ger. Dies hat zur Folge, daß der Wirkungsbereich der Elementarteilchen nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich in einer merkwürdigen Weise ausgedehnt ist. Wenn z. B. zwei „a"-Teilchen sehr hoher Energie zu-sammenstoßen, so kann schon vor ihrem Zusammen-stoß das „/^"-Teilchen (in drei ,,a"-Teilchen) zerfallen, das später beim Zusammenstoß erzeugt werden wird. Das Zeitintervall zwischen der Erzeugung der drei „a"-Teilchen und dem Zusammenstoß ist dabei im Ruhsystem des „ß"-Teilchens von der Größenordnung der „kleinsten" Zeit. Trotzdem würde man grundsätz-lich die Abweichung von der üblichen Zeitordnung wohl direkt oder indirekt experimentell nachweisen können, selbst wenn die genannten Abweichungen auch ihre Einflüsse auf die Meßmöglichkeiten aus-üben. Diese Abweichungen haben übrigens viel Ähn-lichkeit mit jenen, die nach P a i s und U h l e n b e c k 5

durch einen konvergenzerzeugenden Exponentialfak-tor der Form e /-D"' hervorgerufen werden. Dort be-schränken sich die „akausalen" Prozesse auf ein Gebiet, das etwa durch zwei Hyperboloide zu beiden Seiten des Lichtkegels begrenzt wird; hier liegt das Gebiet zwischen dem Lichtkegel selbst und einem Hyperboloid im Vergangenheits- und Zukunftskegel. In beiden Fällen können die Abweichungen auf um so größeren Raum- bzw. Zeitstrecken erfolgen, je größer

5 A. P a i s u. G. E. U h 1 e n b e c k, On field theories with non localised action, Physic. Rev., im Erscheinen.

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die verfügbare Gesamtenergie ist. Dieses Ergebnis dürfte also bereits aus der Lorentz-Invarianz der Theorie folgen, wenn man überhaupt Abweichungen von der kausalen Reihenfolge zuläßt.

Es soll nun noch ein Argument für die Existenz die-ser Abweichungen von der normalen Zeitreihenfolge erwähnt werden, das von der Frage der Konvergenz des mathematischen Formalismus völlig unabhängig ist. Wenn man alle Elementarteilchen aus einem ein-heitlichen Feld erklären will, so muß dieses primäre Feld ein Spinorfeld sein; und auch das Lichtquant muß, wie schon früher von d e B ' r o g l i e 6 und J o r -d a n und K r o n i g 7 vorgeschlagen, aus Paaren von Spinorteilchen gebildet sein. In einer „kausalen" Theo-rie vom üblichen Hamiltonschen Typus ist dies aber un-möglich, wenn man den Lichtquanten nicht eine von Null verschiedene Ruhmasse geben will. Denn wenn das Lichtquant, das sich exakt mit Lichtgeschwindigkeit

6 L. d e B r o g 1 i e, C. R. hebd. Séances Acad. Sei. 203, 33 [1936]; 229, 157, 269, 401 [1949].

" P. J o r d a n u. R. d e L. K r o n i g , Z. Physik 100, 569 [1936] und P. J o r d a n , Z. Physik 102, 243 [1936]; 105, 114 [1937],

bewegt, z. B. aus zwei Teilchen a und b bestehen soll, so kann, wenn Teilchen a auf das Teilchen b eine Kraft ausübt, nicht auch b auf a wirken. Wenn die Welt-linie von b im Vergangenheitskegel der Weltpunkte von a liegt, so liegt die Weltlinie von a sicher nicht im Vergangenheitskegel der Weltpunkte von b. Eine echte Wechselwirkung, die zur Bindung führt, dürfte unter solchen Umständen nicht möglich sein. Ganz anders werden die Verhältnisse aber, wenn die ge-nannten Abweichungen von der üblichen Zeitordnung vorkommen. Dann kann auch in einem System, das sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegt, in symmetri-scher Weise a auf b und b auf a wirken. Der Ansatz S = T(T*T)~1/2 (und jeder andere Ansatz, der die genannten Abweichungen enthält) dürfte also die Bil-dung des Lichtquants aus zwei Spinorteilchen wenig-stens im Prinzip möglich machen. Dabei ist dieser Ansatz sicher nicht der einzige, der die Abweichungen in der geschilderten Weise auf bestimmte Gebiete be-schränkt, aber er gibt ein verhältnismäßig einfaches Beispiel dafür, wie die Forderung nach der Konver-genz des Verfahrens mit der Korrespondenzforderung in Einklang gebracht werden kann.

Zur phänomenologischen Theorie der Supraleitung

V o n H . K O P P E

Department of Physics, The University of British Columbia, Vancouver (Canada) (Z. Naturforschg. 6 a, 284—287 [1951]; eingegangen am 6. April 1951)

Es wird darauf hingewiesen, daß die Abhängigkeit der L o n d o n sehen Konstante / von der Temperatur zu sehr unplausiblen Aussagen über die Entropie eines Supraleiters im Magnet-feld führt. Zur Beseitigung dieser Schwierigkeiten wird eine Abänderung der Londonschen Theorie vorgeschlagen, bei der Ä eine Veränderliche ist, die sich auf einen thermodynamischen Gleichgewichtswert einstellt. Es zeigt sich, daß man so zu einer nichtlinearen Verallgemeine-rung der Londonschen Theorie geführt wird.

1.

In der freien Energie eines Supraleiters tritt ein Glied V2 32 auf, welches allgemein als kinetische

Theorie der Supraleitungselektronen gedeutet wird. Die empirisch bekannte Temperaturabhängigkeit von X kann dann verstanden werden, indem man eine Änderung der Zahl der Supraelektronen mit der Tem-peratur annimmt. Diese Vorstellung führt aber zu gewissen Schwierigkeiten, die hier näher diskutiert werden sollen. Sie entspringen aus der Tatsache, daß es sich bei in Rede stehendem Term nicht um eine Energie, sondern um eine freie Energie handelt. Das führt dazu, daß bei einer thermodynamischen Inter-

pretation der bisher üblichen phänomenologischen Theorie eine sehr eigenartige und theoretisch kaum verständliche Abhängigkeit der Entropie von einem auf den Supraleiter wirkenden Magnetfeld auftritt.

Löst man die Londonschen Gleichungen für einen endlich ausgedehnten Supraleiter in einem Magnet-feld, welches in großer Entfernung die Feldstärke H„ hat, und berechnet die gesamte freie Energie, so er-gibt sich ein Ausdruck von der Form

F (T , Ho2) = q (/.) Ho2 + / (T) . (1)

Dabei ist das erste Glied die elektrische Feld-energie (einschließlich des Beitrages der „kinetischen