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ORIGINALARBEIT DOI 10.1007/s00451-017-0260-4 Forum Psychoanal Zur Lage der professionellen Psychotherapie Nach DSM-5, Neurohype und RCT-Dominanz Michael B. Buchholz © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 Zusammenfassung Meine 1999 veröffentliche Theorie „Psychotherapie als Profes- sion“ wird Grundlage zu einer Reflexion auf den Stand von heute: Die psychothera- peutische Forschung hat die „talking cure“ in ihren Effektstärken und „Outcome“- Maßen erheblich rehabilitiert; weder die technische („Interventionen“ bei „Störun- gen“) noch die medizinische Metapher (Stiles und Shapiro 1989), haben halten können, was sie versprachen; „Randomized-controlled-trial“-(RCT)-Methodologie hat strenge Logik, weniger jedoch Praxisrelevanz für sich. Diese Forschungsumwelt kontrastiert mit einer politischen Umwelt, wie sie durch eine „Direktausbildung“, vom Psychotherapeutentag im Herbst 2015 beschlossen, geschaffen würde. Sie wür- de medizinische Orientierungen in die Ausbildung bringen, wie sie derzeit in der Forschung infrage gestellt werden. Andere scharfe Konfliktlagen sind: Zwar gibt es Frontlinien zwischen verschie- denen therapeutischen Schulen, vor allem Verhaltenstherapie (VT) bzw. Cognitive Behavior Therapy (CBT) und psychodynamischen Richtungen. Doch verläuft die wichtigere Frontlinie der „psychotherapy wars“ (Woolfolk 2015, S. 34 spricht so- gar von „civil wars“) zwischen einer humanwissenschaftlichen und einer technisch- pharmakologischen Auffassung der Psychotherapie. Die Erfolge der Letzteren sind fragiler als ihre Propaganda. Was bleibt und wirkt, ist eine humanwissenschaftli- che, durchaus auch humanistische Rehabilitierung therapeutischer Orientierungen, die in professioneller Konversation vermittelt werden. Die Profession könnte in diesem günstigen historischen Augenblick die Freiheit zurückgewinnen, humanwis- senschaftliche Orientierung und therapeutische Gesprächskunst selbst ins Gespräch zu bringen. Die alte Frontstellung zwischen „Hermeneutikern“ und „Empirikern“ kann durch eine dritte Position überwunden werden. Es gibt eine neue, eine „andere Empirie“: die des Gesprächs. Prof. Dr. M. B. Buchholz () International Psychoanalytic University (IPU), Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] K

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ORIGINALARBEIT

DOI 10.1007/s00451-017-0260-4Forum Psychoanal

Zur Lage der professionellen PsychotherapieNach DSM-5, Neurohype und RCT-Dominanz

Michael B. Buchholz

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017

Zusammenfassung Meine 1999 veröffentliche Theorie „Psychotherapie als Profes-sion“ wird Grundlage zu einer Reflexion auf den Stand von heute: Die psychothera-peutische Forschung hat die „talking cure“ in ihren Effektstärken und „Outcome“-Maßen erheblich rehabilitiert; weder die technische („Interventionen“ bei „Störun-gen“) noch die medizinische Metapher (Stiles und Shapiro 1989), haben haltenkönnen, was sie versprachen; „Randomized-controlled-trial“-(RCT)-Methodologiehat strenge Logik, weniger jedoch Praxisrelevanz für sich. Diese Forschungsumweltkontrastiert mit einer politischen Umwelt, wie sie durch eine „Direktausbildung“,vom Psychotherapeutentag im Herbst 2015 beschlossen, geschaffen würde. Sie wür-de medizinische Orientierungen in die Ausbildung bringen, wie sie derzeit in derForschung infrage gestellt werden.

Andere scharfe Konfliktlagen sind: Zwar gibt es Frontlinien zwischen verschie-denen therapeutischen Schulen, vor allem Verhaltenstherapie (VT) bzw. CognitiveBehavior Therapy (CBT) und psychodynamischen Richtungen. Doch verläuft diewichtigere Frontlinie der „psychotherapy wars“ (Woolfolk 2015, S. 34 spricht so-gar von „civil wars“) zwischen einer humanwissenschaftlichen und einer technisch-pharmakologischen Auffassung der Psychotherapie. Die Erfolge der Letzteren sindfragiler als ihre Propaganda. Was bleibt und wirkt, ist eine humanwissenschaftli-che, durchaus auch humanistische Rehabilitierung therapeutischer Orientierungen,die in professioneller Konversation vermittelt werden. Die Profession könnte indiesem günstigen historischen Augenblick die Freiheit zurückgewinnen, humanwis-senschaftliche Orientierung und therapeutische Gesprächskunst selbst ins Gesprächzu bringen. Die alte Frontstellung zwischen „Hermeneutikern“ und „Empirikern“kann durch eine dritte Position überwunden werden. Es gibt eine neue, eine „andereEmpirie“: die des Gesprächs.

Prof. Dr. M. B. Buchholz (�)International Psychoanalytic University (IPU), Berlin, DeutschlandE-Mail: [email protected]

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On the status of professional psychotherapyAfter DSM-5, neurohype and RCT dominance

Abstract My theory of “Psychotherapy as profession” published in 1999 forms thefoundations of reflections on the current status: psychotherapy research has consid-erably rehabilitated the talking cure in its effect strengths and outcome measures.Neither the technical (interventions for disorders) nor medical metaphors (Stilesand Shapiro 1989) could uphold what they promised: randomized controlled trial(RCT) methodology involves strict logic but has less practical relevance. This re-search environment contrasts with a political environment as achieved by a directtraining, as decided by the psychotherapist convention in autumn 2015. This wouldbring medical orientation into the training, as is currently being questioned in re-search.

Other sharp conflict situations are: front lines do exist between various schools oftherapy, especially behavior therapy (BT) or cognitive behavior therapy (CBT) andpsychodynamic schools of thought; however, the more important front line of “psy-chotherapy wars” (Woolfolk 2015, p.34, even talks of “civil wars”) runs betweena human scientific and a technical pharmacological perception of psychotherapy.The successes of the latter are more fragile than its propaganda. What persists andfunctions is a human scientific, indeed even humanistic rehabilitation of therapeuticorientations, which are imparted in professional conversation. In this favorable his-toric moment the profession could reclaim the freedom of bringing human scientificorientation and the therapeutic art of conversation into discussion. The old frontposition between “hermeneutics” and “empiricists” can be overcome through a thirdposition. There is a new and “other empiricism”: that of conversation.

Das Fachgebiet der professionellen Psychologie erlebt zurzeit seismische Ver-schiebungen in seinem Fundament, mit Beben, die aus allen Richtungen kom-men. Erneute Forderungen nach professioneller Verantwortung haben einenAnstoß erfahren, sowie auch der Bedarf an evidenzbasierter Praxis, der An-stieg interprofessioneller Fortbildung und gemeinschaftlicher Versorgung, diezunehmende Spezialisierung sowie die große Fülle an neuen Kenntnissen undTechnologien, ganz zu schweigen von einer umfassenderen Gesundheitsre-form. Jeder dieser und zahlreiche andere Einflüsse haben zu einer sich ständigverändernden Landschaft geführt, die durch starke Antriebskräfte innerhalbund außerhalb des Berufsstands gestaltet wird. Während die Nachbeben kei-nem einzelnen Epizentrum zugeordnet werden können, konvergiert ein signi-fikanter Teil auf der erneuerten Verpflichtung zu professioneller Kompetenz indiesem Fachbereich. (Neimeyer und Taylor 2014, S. 214)

Die Bedeutung der „psychotherapy wars“ für die deutsche Diskussion

Ein Erdbeben erschüttert die psychotherapeutische Profession – diese Metapher deramerikanischen Autoren (Neimeyer und Taylor 2014) beschreibt die Situation ange-messen. Die gegenwärtige Situation mit ihren Zeitströmen weist weit längere Wellen

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auf, als man erkennt, wenn man den Blick nur auf die deutsche Auseinandersetzungum „Direktausbildung“ und „Novellierung des Psychotherapeutengesetzes“ richtet.Die einflussreiche Stellung der Psychoanalyse in der Universität (Stepansky 2009)wurde abMitte der 1980er-Jahre abgeräumt; das war auch Folge der ausschließlichenDurchsetzung eines Forschungsparadigmas, das mit dem Kürzel RCT („randomizedcontrolled trial“) bezeichnet wird, aber weit mehr umfasst. Ein prominenter Vertreter(Fahrenberg 2012) einer stark an empirischer Forschung ausgerichteten Psychologiesah den Verlust anderer Qualitäten psychologischer Gelehrsamkeit, wie vor allemder Interpretationslehre. Sie wurde nicht nur als „Deutung“ im psychoanalytischenGespräch gebraucht, sondern in weit mehr Bereichen der akademischen Psychologie,jedoch nicht mehr gelehrt und von Studierenden nicht mehr verstanden, denen dieUrsprünge der Psychologie aus einer interpretativ verfahrenden Philosophie nichtmehr gezeigt wurden. Selbst in literaturwissenschaftlichen Fakultäten von Yale undHarvard, wo einflussreiche Gelehrte wie Stanley Cavell die Psychoanalyse vertra-ten, verschwand deren Einfluss. In der deutschen Literatur- und Geisteswissenschafthat die Psychoanalyse eher noch eine Stellung halten können als in der klinischenPsychologie.

Zugleich erarbeitete sich die biologisch ausgerichtete Psychiatrie eine Machtstel-lung mit der Erneuerung des 150 Jahre alten Versprechens, psychische Störungsbil-der als neurochemisches Ungleichgewicht im Gehirn ausweisen zu können. Daraufrichtete sich die amerikanische Psychiatrie diagnostisch mit den neuen Auflagen desDSM („Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“), schlechthin der Bi-bel der weltweiten Psychiatrie, aus, weil man genaue Diagnosen definieren wollte,zu denen dann die entsprechenden Pharmaka produziert werden könnten (Huprichet al. 2015). Die Diagnosen verdoppelten sich mit jeder Neufassung des DSM; die„neue Generation“ von Medikamenten schuf sich einen gewaltigen Einfluss undvereinseitigte die Auffassungen davon, worum es sich bei „Störungen“ handele.Es entstanden folgerichtig Streitigkeiten darüber, ob wir „mehr Krankheiten“ oder„mehr Krankheitsdiagnosen“1 (Dornes 2016) haben. Die Biologisierung der Psychi-atrie, deren negative Folgen schon früh (Lidz 1991) vorhergesagt wurde, wurde voneiner internationalen Gruppe kritischer Psychiater fulminant kritisiert (Bracken et al.2012). Ein der Verhaltenstherapie nahestehender Autor sieht Hoffnung:

Die Fronten des gegenwärtigen Krieges sind abgesteckt – zumindest für eineSeite – und deutlich zu erkennen für jenen Beobachter, der imstande ist, weitgenug von diversen störenden interdisziplinären Auseinandersetzungen Ab-stand zu nehmen. Das Risiko ist hoch, nicht nur für den Fachbereich und dieMenschen, die von der Psychotherapie profitieren, sondern auch für das öffent-liche Interesse an der Aufrechterhaltung eines angemessenen Gleichgewichtszwischen den verschiedenen Ebenen, durch die das menschliche Verhaltenkonzeptualisiert wird. Die gute Nachricht ist, dass die biomedizinische Psy-

1 Der Chef der Techniker Krankenkasse gesteht die Relevanz dieses Themas sogar für den Bereich der or-ganischen Medizin zu; Abrechnungssysteme erzeugen Systemzwänge, die dann zum Eindruck von „mehrKrankheiten“ führten (FAZ vom 14.10.2016, S. 15).

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chiatrie begonnen hat, einige Schlachten zu verlieren, und vielleicht verliertsie sogar den Krieg. (Woolfolk 2015, S. 149)

An manchen Universitäten wurden psychologische durch neurowissenschaftli-che Lehrstühle ersetzt. Der Glaube, die Psychoanalyse sei es, die bekämpft werde,erweist sich als zu enge Sicht. Es war die Psychologie, die zu ersetzen versuchtwurde, durch Remedizinalisierung der psychotherapeutischen Profession. Die For-schung kreierte und evaluierte manualisierte Behandlungstechniken. Die technischeMetapher, auf DSM-definierte „Störungen“ mit manualdefinierten „Interventionen“reagieren zu wollen, baute das Selbstverständnis der Profession im Verbund mit derMedizin-Metapher radikal um. Die implizite, medizintechnische Lebenskunstlehrewar aller Reflexion bar und dominierte das Denken mit dem Totschlag-Argument,dass alles andere „keine Wissenschaft“ sei. Die medizinische Metapher wurde vonangesehenen Forschern früh kritisiert (Stiles und Shapiro 1989), doch die technischeDominanz der Medizin-Metapher schaltete fast alle anderen Register professionellerPsychotherapie aus.

Andere suchten nach einer Rehabilitierung anderer Register im Selbstverständnisder Profession. Diese Auseinandersetzung wird im amerikanischen Schrifttum als„psychotherapy wars“ bezeichnet. Derzeit zeichnet sich ab, dass sich die „Medi-zinalisierer“ auf dem Rückzug befinden. Dazu gleich Belege. Die Frage, die sichdamit in der deutschen Diskussion stellt, aber noch sehr wenig artikuliert wurde, istdie, wie das Thema der „Direktausbildung“ in diese konflikthafte Landschaft passt.Manche wollen die Ausbildung von Psychologen an die der Mediziner anpassen,und so würde in einem historischen Augenblick, in dem das medizinische Denkenfür die psychotherapeutische Profession wissenschaftlich auf den Rückzug gezwun-gen wird, der medizinischen Metapher ein Rückzugsort geschaffen, der die nächsteGeneration erheblich beeinflussen müsste. Wie könnte man rechtfertigen, dass das,was in der Forschung als fraglich ausgewiesen wird, in der Organisation von Lehreund Ausbildung für die nächsten Jahre gesetzlich installiert würde?

Die Rehabilitierung der „talking cure“

Psychotherapie wurde ab der Mitte der 1980er-Jahre zu einem quasitechnischenUnternehmen, bei dem man Wirkungen einzelner Techniken bei bestimmten Krank-heiten in ihren Effekten gegeneinander abzuwägen begann; so, wie man in derpharmazeutischen Forschung Effekte einzelner Medikamente bei definierten Krank-heiten maß und sie gegen unbehandelte Verläufe ebenso abzugrenzen versuchte wiegegen die Wirkungen von Placebos. An die Stelle von Qualität – die freilich oftunbestimmt blieb – trat die ganz anders gestaltete Effizienz (Buchholz 2000). Effizi-enz setzte voraus, dass man a) psychische Krankheiten überhaupt ebenso einheitlichdefinieren könnte wie b) die zu ihrer Behandlung eingeleiteten Maßnahmen. Demersteren Ziel widmete sich der erklärtermaßen „a-theoretische“ Umbau des „Diag-nostic and Statistical Manual“ (DSM-IV) seit spätestens 1994, als das Heil in einerrein symptomatischen bzw. syndromalen Ordnung gesehen wurde. Dem zweitenZiel widmete sich die in vielen therapeutischen Schulen grassierende Idee, dass

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man Interventionen in Manualen formulieren könne, sodass angehende Therapeutengenau wissen könnten, was sie wann zu tun hätten. Sie wüssten es, aber sie würdennicht gebraucht, weil sie als ersetzbar, austauschbar, gedacht wurden. Orlinsky undRønnestad kritisierten die Entwicklung zur Manualisierung mit folgenden Worten:

In der Regel wird die Untersuchung von Psychotherapien gegenüber der Un-tersuchung von Psychotherapeuten favorisiert – als ob Therapeuten, sofern siegut ausgebildet sind, mehr oder weniger austauschbar wären ... Wir denken,dass ein Grund für diesen relativen Forschungsmangel zu Psychotherapeutenein implizites Bias ist, das dem Denken über die Therapie innewohnt und daszu der Annahme führt, dass es sich grundsätzlich um eine Zusammensetzungvon Methoden, Techniken oder Verfahren handelt, die in oder durch sich selbstwirksam sind, zur Heilung oder Verbesserung psychologischer oder psychia-trischer Störungen ... Dieses Bias wird von einer wissenschaftlichen Kultur derModernität gestützt, die Rationalität, Objektivität und Mechanismen, die alsunpersönliche Prozesse begriffen werden, hochschätzt und hervorhebt ... unddie das persönliche Element oder das subjektive Gleichgewicht menschlicherErfahrungen und Beziehungen als eine Fehlerquelle in der Forschung sieht,die es zu minimieren oder zu kontrollieren gilt ... (Orlinsky und Rønnestad2005, S. 5)

Obwohl diese, der erfolgreichen Medizin entlehnte Programmatik von „manua-lisierter Intervention + diagnostizierter Störung + Outcome-Evaluation“ schon früh(Kiesler 1966) kritisiert wurde, indem auf den Mythos der „Einheitlichkeit“ von„Diagnose“ und „Intervention“ hingewiesen wurde, setzte sich diese Programmatikdurch. Kiesler (1995) sah sich genötigt, seine Kritik dreißig Jahre später, auf demHöhepunkt der biologischen Psychiatrie, zu erneuern.

In einem Beitrag im angesehenen Psychological Bulletin fragten renommiertePsychotherapieforscher (Westen et al. 2004) 10 Jahre später, wie man denn die De-pression einer farbigen Mutter von mehreren Kindern in der New Yorker Bronx, dieauf einer gefährlichen Flucht ihren Mann verloren hat und von kärglicher Sozial-hilfe lebt, mit der Depression eines jungen Mannes vergleichen könnte, der keineFreundin finde, weil er seine latenten homosexuellen Neigungen verdränge – auchwenn beide symptomatisch an chronischer Müdigkeit, Schlafstörungen, Störungendes Magen-Darm-Traktes, Unwerterleben, geringer Leistungsmotivation und Ent-mutigung in gleicher Weise litten? Die syndromale Vergleichbarkeit übersähe dasWesentliche. Eine an „Diagnose“ und „Intervention“ ausgerichtete Behandlung wür-de auf jedes einzelne Symptom als Ausdruck einer bestehenden „Komorbidität“ fürsich allein zielen, aber diese Autoren wandten ein, es sei, als ob man bei Menin-gitis, Kopfschmerzen und Fieber getrennt behandle, aber die eigentliche Krankheitübersähe. Wie könne man glauben, die „Depression“, an der beide litten, in der glei-chen Weise manualgesteuert behandeln zu können? Das sei hier nur als Illustrationgenannt.

Erst als Thomas Insel (2012, S. 1), der neue Direktor des mächtigen amerikani-schen National Institute of Mental Health (NIMH) im Rückblick auf fünf Jahrzehntepsychopharmakologischer Forschung in der Psychiatrie feststellte, dass diese lan-ge Zeit keine „reductions in morbidity or mortality for people with serious mental

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illness, including relatively common disorders such as depression, bipolar disorder,and schizophrenia“ ergeben habe, begann sich das Blatt zu wenden. In England hatdas „National Institute of Clinical Excellence“ (NICE) die Verschreibung antide-pressiver Medikation bei milden und mittelschweren Depressionen untersagt unddie Ausweitung psychosozialer Hilfen gefordert (Woolfolk 2015, S. 10). Das IrishMedical Board zeigte sich ebenfalls wenig von neurochemischen Erklärungen psy-chischer Störungen überzeugt und untersagte dem Pharmakonzern GlaxoSmithKlinedie Schaltung von Anzeigen, wonach Paroxetin ein biochemisches „Ungleichge-wicht im Gehirn“ bei depressiven Zuständen beseitige2. Eine mit Preisen versehenegroßartige Übersichtsarbeit über den Stand der Forschung (Bentall 2004) konnteim Gegensatz zur neurochemischen Theorie vom „Ungleichgewicht im Gehirn“ zei-gen, wie sehr man beim Lob des „biopsychosozialen Krankheitsmodells“ die sozialeKomponente vernachlässigt hatte, obwohl sie sich als die wichtigste empirisch nach-weisen ließ. Die Orientierung an der Medizin und ihren Forschungsparadigmen ließdie „Bio“-Komponente als „neuro“ buchstabieren, „psycho“ wurde als „behavior“übersetzt und „sozial“ blieb außen vor. Viele empirische Befunde haben, angestoßendurch eine fulminante Übersichtsarbeit, mittlerweile gezeigt, dass die medizinischeMetaphorik der Psychotherapie schadet. Wampold, exzellenter Empiriker, fasste sozusammen:

In diesem Buch wird die wissenschaftliche Evidenz erbracht, die zeigt, dassPsychotherapie nicht mit dem medizinischen Modell kompatibel ist und dasseine derartige Konzeptualisierung der Psychotherapie den Charakter dieserBemühungen verfälscht. Nachdrücklicher formuliert: Die Medikalisierung derPsychotherapie könnte sogar die Gesprächstherapie als heilsame Behandlungfür psychologische und soziale Probleme zerstören. (Wampold 2001, S. 2)

„Talk therapy“, „Redekur“ – ein solches Wort passt in eine allmähliche einsetzen-de Hochstufung der Relevanz des Sozialen. Man muss „sozial“ nicht mit „Fürsorge“oder „Kapitalismuskritik“ übersetzen, sondern mit „Kommunikation“ und „Konver-sation“ – Sprechen ist schlechthin die soziale Dimension des Menschlichen, das,was „Intersubjektivität“ verfehlen oder gelingen lässt, was Nähe und Distanz regu-liert, was Entwicklung fördert oder hemmt, das Mittel, mit dem restriktive Grenzengezogen oder kreative Freiräume geöffnet werden.

2 So berichtete die Irish Times am 5. Oktober 2003. Ein spezielles Heft von PLoS medicine (April 2006)beschäftigt sich gar mit der „Erfindung von Krankheiten“ unter dem Einfluss der Pharma-Industrie (Lex-chin 2006; Phillips 2006). Es geht darum, wie eine gewöhnliche gelegentliche Störung, etwa erektile Dys-funktion zu einer „Krankheit“ umdefiniert und damit dem medizinischen Regime unterworfen wird. Ähnli-ches bei „attention deficit hyperactivity disorder“ (ADHD) oder auch bei „selling bipolar disorder“ (Healy2006). Dass solche provokanten Titel in einer der angesehensten Zeitschriften der medizinischen Weltpubliziert werden, zeigt, wie brisant das Thema empfunden wird. Andere Autoren hatten darauf hingewie-sen, wie in Psychotherapie und Psychiatrie Trauer beim Verlust eines Partners als behandlungsnotwendige„Krankheit“ definiert wird (Horvitz und Wakefield 2007) oder das, was früher einfach „Schüchternheit“hieß, in behandlungsbedürftige „Soziophobie“ umdefiniert wurde (Lane 2007). So wurden mit der Zahlder Krankheiten die Zahl der Patienten vermehrt und der Verkauf von Medikamenten gefördert.

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„Talking cure“ auch in der Verhaltenstherapie

Die Entdeckung, dass Konversation und Sprechen das sind, was hilft oder sogarheilt, brauchte in der Psychotherapie Zeit, obwohl Freud schon früh geschriebenhatte:

In der psychoanalytischen Behandlung geht nichts anderes vor als ein Aus-tausch von Worten zwischen dem Analysierten und dem Arzt. (Freud 1916,S. 9 f.)

Der „Austausch von Worten“ war keineswegs auf Ausklammerung der „non-verbalen“ Kommunikation gerichtet; Freud wollte die Analyse gegen Hypnose undMesmerismus verteidigen. „Austausch“ schließt ein, wie der Beobachter so vielerkörperlicher Reaktionen wusste, dass der Körper mitspricht. Wie viel das ist, hattenForscher, die über The first five minutes schrieben (Pittenger et al. 1960), präzisebeschrieben; spätere klinische Beobachtungen über das Erstinterview (Argelander1970) schlossen sich dem nur an – ein seltener Fall, bei dem die Forschung der pro-fessionellen Bearbeitung um Jahre vorausging. Eine bald folgende weitere Studie(Labov und Fanshel 1977) dehnte sich auf 15min des Erstinterviews mit der 19-jährigen, anorektischen Studentin Rhoda aus und zeigte eine Fülle von Phänome-nen. In der Sprachwissenschaft hatte die sog. pragmatische Wende (Lepper 2009)gezeigt, dass wir mit Worten etwas tun – How to do things with words hieß die bisheute einflussreiche Arbeit (Austin 1962; Ferrara 1994).

In der Zwischenzeit hatte die medizinische Vorstellung seelische Krankheiten alsneurochemische Ungleichgewichte aufgefasst; überall, wo teure „Functional-mag-netic-resonance-imaging“(fMRI)-Scanner angeschafft worden waren, mussten diesesich amortisieren (Slaby und Choudhury 2012). Die Zahl entsprechender Veröffent-lichungen stieg; mithilfe der fMRI-Scanner konnten die alte Idee, das Gehirn als„Ort“ der Erkrankung aufzufassen, realisiert und Medikamente für beobachtete Im-balancen auf den Markt gebracht werden. Jedoch zeigten andere Forscher (Eklundet al. 2015), dass übliche statistische Prozeduren nur an simulierten Daten validiertworden waren; an 396 echten Versuchspersonen ergaben sich hingegen inflationärfalsch-positive Zusammenhänge. Solche Einwände und andere Autoren mahnten,dass man über die enorme Komplexität des Gehirns viel zu wenig wusste. Dass „dasGehirn als Beziehungsorgan“ zu denken sei (Fuchs 2012), formulierte die Wendezum Sozialen (Hüther 2005).

Angelehnt an einen der Verhaltenstherapie nahestehenden Autor (Woolfolk 2015)skizziere ich, wie diese Entwicklung sich vollzogen hat. Aron Beck etwa gilt als einerder Gründerväter der „kognitiven Wende“ und entwickelte neue Behandlungstechni-ken durchaus in Anlehnung an Vorgänger wie Albert Ellis oder George Kelly. Seineintellektuelle Statur war beeindruckend, er förderte die wissenschaftliche Evaluati-on seiner Verfahren. Der Name Aron Beck wurde gleichbedeutend mit CognitiveBehavior Therapy (CBT). Freilich – obwohl er ähnliche Techniken einsetzte wieAlbert Ellis, etwa in der Behandlung von Alkoholikern, überraschten unterschiedli-che Evaluationen. Beide hatten verschiedene kommunikative Stile. Woolfolk (2015,S. 49) spricht davon, dass die Nachfolger die neue „talking cognitive cure“ schätz-ten, gegenüber den älteren Techniken des Konditionierens, wie sie Wolpe etwa noch

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benutzt habe. Doch die am NIMH angefertigte empirische Vergleichung (Elkin et al.1989) zeigte, dass die Effekte der Depressionsbehandlung nicht dadurch zustandekamen, dass die Kognitionen der Patienten „technisch“ modifiziert worden waren.Auch Medikamenteneinnahme (Paroxetin) affiziert in der gleichen Weise die ange-wandten Messskalen; Veränderungen können dann nicht auf die eingesetzten CBT-Techniken zurückgeführt werden, wenn man sie auch mit anderen Mitteln – wennauch insgesamt nur schwach – erreichen kann.

War es also eher das rhetorische Geschick von Persönlichkeiten wie Aron Beck?Die Einbettung von harten „Techniken“ in eine softe, kommunikative Umwelt? Fürdiese Vermutung sprach, dass es bei manchen Therapeuten zu solchen erwünschtenEffekten kam; sogar schon in wenigen Sitzungen, bevor die eigentlichen „Techni-ken“ überhaupt angewandt worden waren. Das wurde überrascht als „rapid changephenomenon“ (Ilardi und Craighead 1994) beschrieben. Andere Untersuchungen(Jacobson et al. 1996) bestätigten diese Zweifel, dass es nicht „Techniken“ waren,die auf Veränderungen der depressiven Kognitionen zielten; es musste etwas anderessein. Was das war, zeigte sich im Titel einer weiteren Untersuchung der Gruppe vonNeil Jacobson: „Returning to contextual roots“ (Jacobson et al. 2001).

Dass zum „Kontext“ tatsächlich kommunikative Umwelt gehört, zeigten weitereStudien (Castonguay et al. 1996). Diese Autoren beobachteten, dass einige Thera-peuten unter Stress gerieten, wenn ihre Patienten die vorgeschlagenen Technikennicht anwenden wollten, sich zurückzogen und so die therapeutische Allianz inGefahr geriet. Manche Therapeuten fassten dies als Ausdruck der gestörten Ge-dankenwelt ihrer Patienten auf, die dann mit den gleichen Techniken angegangenwurden. So entstanden kommunikative „repeated cycles“ (Castonguay et al. 1996,S. 502). Gemeint ist, was Psychoanalytiker als kollusive Verstrickung des Thera-peuten mit dem Widerstand kennen. Kontext und „repeated cycles“ sind Phänomeneder therapeutischen Konversation, in Begriffen von „Störung“ und „Intervention“jedoch nicht zu beschreiben.

Konversation, Kontext und „repeated cycles“ stellten sich als Komponenten her-aus, deren Handhabung über den Erfolg entschied. Die Wirkung einzelner Technikenwar von Konversation abhängig. Wampold (2001) erwies das „kontextuelle“ Modellals dem „technischen“ bzw. medizinischen Modell auf der Basis sämtlicher ver-fügbaren Metaanalysen als empirisch klar überlegen aus. Er formulierte, dass diemedizinanaloge Auffassung professioneller Psychotherapie sogar schade. Kontextu-elles Modell bedeutete, die Hoffnung des Patienten zu erkennen und sie wenigstensnicht zu zerstören, etwa durch Herabsetzung, Verächtlichmachung oder Kritik; undes bedeutete weiter, dem Patienten den Zusammenhang zwischen Beschwerden undvorgeschlagener Behandlung so zu plausibilisieren, dass er zu einer erwartungsvol-len Zusammenarbeit bereit sein konnte. Dies alles geschieht durch – Konversation.Deren Handhabung ist demnach eine alles entscheidende Komponente professionel-ler Kompetenz.

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Relevante Unterscheidungen

Expertise

Mit der Rehabilitierung der „talking cure“ begann eine langsame Veränderung derWahrnehmung psychoanalytischer Behandlungserfolge. War die Psychoanalyse alsnicht „empirically supported“ seit Mitte der 1980er-Jahre aus dem akademischenFeld verdrängt worden, so zeigten immer mehr Arbeiten, dass ihre Ergebnisse lang-fristig stabil waren und hohe Effektstärken aufwiesen (Leichsenring et al. 2013,2015; Shedler 2011). Unter gesundheitsökonomischen Gesichtspunkten konnte ge-zeigt werden, dass diese Behandlungen Kosten sparen (Altmann et al. 2016; Berg-hout et al. 2010; Beutel et al. 2004; Lazar 2010; Maat et al. 2007). Die Frontli-nie verlief nicht so sehr zwischen Psychoanalyse und Verhaltenstherapie, sondernzwischen medizinanaloger, „technischer“ und psychologisch-kommunikativer, auchhumanistischer Auffassung von Psychotherapie. Denn auch in der Verhaltensthera-pie hatten sich Entwicklungen ergeben, die sich von der einstigen Idealisierung deslerntheoretisch-technischen Behandlungsinstrumentariums weg bewegen und Anlei-hen machten bei ganz anderen Traditionen („awareness“ und „mindfulness“), etwadem Buddhismus. Warum dann noch von „Verhaltens“-Therapie gesprochen wurde,erschließt sich nicht mehr so recht; es wäre nur fair gewesen zuzugestehen, dass Kon-ditionierung durch Therapeuten als psychotherapeutische Konzeption von Anfang anein Irrweg war. Die Anleihen in VT-Lehrbüchern bei anderen therapeutischen Schu-len und deren umstandslose Übernahme, oft ohne Ursprünge und Zitatnachweisezu nennen (für Konzepte wie Übertragung, Widerstand oder „zirkuläres Fragen“),bestätigen den hohen Bedarf an anders gelagerter Kompetenz, der im behaviora-len Lager unter dem Druck klinischer Probleme entstanden war. Die Ausgrenzungder im engeren Sinn als humanistisch bezeichneten psychotherapeutischen Schulenist ein in der Zukunft zu korrigierendes Ergebnis dieses machtvoll beschrittenenIrrwegs. Die vielen Anleihen der VT dokumentieren deren Lernfähigkeit, rehabili-tieren zugleich aber die kritischen Einwände gegen deren Grundkonzeptionen, dieseit den 1960er-Jahren immer wieder erhoben worden waren.

Die älteren Untersuchungsstrategien hatten die therapeutische „Konversation“ alsdie schlechthinnige Empirie beachtet, weil Konversation das Potenzial zu schadenund zu heilen hat und eine tiefe Dimension des Menschlichen ist (Buchholz undKächele 2013, 2016; Ferrara 1994; Flader 1978; Goodwin 1987; Jefferson undLee 1981; Labov und Fanshel 1977; Peräkylä 1989, 2004; Pittenger et al. 1960;Rycroft 1956; Scarvaglieri 2013). Alles, was Therapeuten als wertvolle Arbeitsmittelschätzen – Empowerment, Deutung, Empathie, Arbeitsbündnis, Remoralisierung,Konfrontation, Reflexion, Ruhe, Bildhaftigkeit (Korner 2015) usw. – spielt sichin der kommunikativen Dimension ab und wird durch sie angeregt oder verfehlt.Lässt sich psychotherapeutische Kompetenz in der konversationellen Dimensionbestimmen?

Die Antwort ist ein entschiedenes „Ja“, weil (Bergmann 2000) Konversation dasNadelöhr ist, durch das seelische Befindlichkeiten hindurch müssen, sollen sie voneinem anderen gehört, verstanden und behandelt werden.

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M. B. Buchholz

Freilich ist Expertise von Profession zu unterscheiden. Es gibt zunächst ein paarirritierende Befunde. Forscher (Ericsson 2006) ermittelten einen linearen Zusam-menhang zwischen Expertise und langjähriger Übung. Das ist ebenso bei Schach-spielern der Fall wie bei Musikern oder Sportlern, in einem gewissen Umfang auchbei Medizinern (Norman et al. 2006) oder Versicherungsmathematikern. Exzeptio-nelle Solisten haben bis zu ihrem 20. Lebensjahr ca. 10.000 h (ca. 6 h/Tag) an ihremInstrument verbracht, während ein guter Hausmusiker nur etwa 2000 h geübt hat. BeiExperten gibt es lineare Zusammenhänge zwischen Übung/Erfahrung und Können.

Gibt es einen solchen Zusammenhang auch bei Psychotherapeuten? Hier ist irri-tierend, dass bei einer repräsentativen Befragung von Sozialarbeitern, Psychiatern,Psychotherapeuten und Eheberatern in den USA (Walfish et al. 2012) die allermeis-ten ihre eigene Kompetenz als über dem Durchschnitt anderer stehend beurteilten.Nur knapp 4% der Befragten glaubten, ihr Können sei durchschnittlich, 80% schätz-ten sich besser ein als ihre Berufskollegen. Dies ist natürlich statistisch unmöglich,nicht alle Mitglieder einer Gruppe könnten tatsächlich „überdurchschnittlich“ sein.Ein solches „self-assessment bias“ findet sich allerdings auch bei anderen Berufs-gruppen, Rechtsanwälten, Ärzten, Professoren und CIA-Agenten; sie alle schätzensich selbst als weit über dem Durchschnitt ihrer Kollegen ein. Der Zusammenhangmit Erfahrungsdauer stellt sich bei diesen Professionen anders her.

In der Psychotherapieforschung ausgewiesene Autoren haben zusammen mit Pro-fessionsforschern (Tracey et al. 2014) über „Expertise in psychotherapy“ geschriebenund die schockierende Frage in den Untertitel gesetzt: „an elusive goal?“ Ist unsereKompetenz flüchtig? Spielt sie wenig bis keine Rolle? Bei Professionen ist ein Zu-sammenhang zwischen langjähriger Erfahrung und wachsendem Können schwerernachzuweisen; dazu gehören Professionen wie ...

Psychiater, Sachbearbeiter für Hochschulzulassungen, Richter, Verantwortlichefür die Personalauswahl sowie klinische Psychologen.

Das ist die schockierende Ausgangslage einer langjährigen und verzweigten Pro-fessionsforschung; wie passt es dazu, dass ihre Autoren, unter ihnen BruceWampold,in einflussreichen Übersichtsstudien die generelle Wirksamkeit von Psychotherapienachwiesen? Ihr Text betont Wirksamkeit der Psychotherapie und Effektstärken.Die Person des Therapeuten jedoch erkläre einen größeren Teil der Varianz als dieMethode. Macht man Therapeut-Therapeut-Vergleiche, finden sich in allen SchulenTherapeuten, die beständig bei ihren Patienten ein positives „outcome“ hervorbrin-gen, während andere schwankende oder mindere Besserungen erzielen (Buchholzund Gödde 2012).

Das dient hier nur als Ausgangslage weiterer Absichten. Tracey et al. analysie-ren, woran der Mangel an Mut, an offener Diskussion seine Ursache haben könnte!Einen Grund sehen sie darin, dass professionelles Können nach „Jahren im Feld“bemessen wird. Jemand, der „lange dabei“ ist, hat einfach eine größere Chance, für„erfahren“ und „kompetent“ zu gelten, als ein „newcomer“. Zu gelten! Auch hierwird nach Jahren beurteilt, aber das ist ein sozialpsychologischer Befund der Repu-tation; andere halten jemanden für einen „sehr erfahrenen Kollegen“. Man glaubtdas halt. Ist Reputation Gewähr für professionelles Können? Wird sie je geprüft und,wenn ja, wie? Prüfen könnte man das, indem man das klinische Können oder aber

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Zur Lage der professionellen Psychotherapie

das (patientenseitige) „Outcome“ einsetzt. Eine Prüffrage ist auch, ob wir den Kor-rekturbedarf solcher Entscheidungen in unserem Feld überhaupt bemerken würden?Wie würden wir erkennen, wenn wir selbst oder jemand anders eine schlechte oderfalsche Strategie verfolgen? Wie die Kompetenzen von jemandem einschätzen? DieFrage zielt darauf, wie wir als Profession sichern können, dass wir lernen und lern-fähig bleiben! Dass wir Fehler3 korrigieren – sowohl im klinischen Können wie auchin Theoriebildung und Auswahl von Kandidaten ebenso wie bei der Beurteilung vonKolleginnen und Kollegen? Hieraus lässt sich ein klares Kriterium gewinnen: Pro-fessionelle, immer an die Person gebundene Kompetenz, liegt darin, sich und seineProfession beständig solchen Lernprozessen auszusetzen. Das ist mehr und anderesals Supervision. Es ist ein intellektueller Prozess der Überprüfung, ob angewandteKonzepte der Selbstdeutung und -reflexion zu einer Lösung geeignet sind oder nicht.

Profession

Das hat Folgen: Professionen dürfen sich nicht allein an der persönlichenAusbildungihrer Mitglieder ausrichten; sie müssen auch für die Weiterentwicklung des eigenenFachs organisatorische Voraussetzungen schaffen. Derzeit gibt es in der psychothe-rapeutischen Welt ein ausgedehntes System verschiedenster Aus- und Fortbildungen,Trainings und Kurse, die auf Entwicklung der Kompetenzen von Individuen ausge-richtet sind. Wenig Aufmerksamkeit gilt der Entwicklung der Profession, viel derBewahrung.

Dieser Unterschied ist relevant. Persönliche Entwicklungsinteressen steuern emo-tionale Wahrnehmung und die Art der Verfeinerung therapeutischer Sensibilität. Derdabei entstehende Diskurs eines „Emotionalismus“ riskiert freilich, dass alles, wasnicht „gefühlt“ werden kann, als entweder falsch oder als nicht-wirklich ausgewiesenwird. „Ich fühle das eben so“, wird ein „Argument“, dem kaum etwas entgegenzuset-zen ist; es schließt die Diskussion, wo sie geöffnet werden müsste. Zur Entwicklungvon Professionen gehört jedoch, ihre eigenen Diskurse zu analysieren, um solcheDiskurs-„Pathologien“ in den Blick zu bekommen. Mitte der 1980er-Jahre gab esImpulse zu einer „Analyse der Analyse“ (Carveth 1993; Plaut 1993; Stein 2005),aber sie sind versandet.

Entwicklung der Profession könnte die intellektuelle Diskussion nicht meiden;Forschungsergebnisse wären zur Kenntnis zu nehmen und kommunikative Strategi-en zu schulen, Theoriebestände von Zeit zu Zeit ebenso zu sichten wie relevanteDiskurse von professionellen und akademischen Nachbarn. Ziel wäre die Entrüm-pelung von altbackenen Auffassungen. Dieser Diskurs ist eher intellektuell, dochTeil der Profession – nicht etwa allein der akademischen Wissenschaft, wenn auchmit ihr verbunden. Profession hat Wissenschaft in ihrer Umwelt, so hatte ich (1999)formuliert; sie ist nicht mit ihr identisch.

3 Horst Kächele hat deshalb begonnen, nachdrücklich „Fehlerkultur“ zu untersuchen – die Schaffung vonGesprächsatmosphären in Supervisionen vor allem, aber auch von Studien, die Fehler überhaupt einzu-gestehen erlauben (Kächele und Grundmann 2011; Kächele und Caspar 2012). Das wurde von anderenübernommen (Zwiebel 2014).

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M. B. Buchholz

Wissenschaft kann sich an klar definierten Wissensgebieten orientieren oder dieseDefinition zumindest anstreben. Soweit es definierte Objektbereiche gibt, kann dieExpertise eines Wissenschaftlers evaluiert werden. Vieles in der Psychotherapie je-doch lässt sich so nur schwer oder gar nicht realisieren, weil der Objektbereich durchKompetenz und Konversation des Psychotherapeuten mitdefiniert wird; er findet ihnnicht einfach vor.

Individuelle Schulung, Verantwortung für die Profession, theoretisches und empi-risches Wissen ebenso wie Persönlichkeitsbildung gehören deshalb zusammen. DieZukunft unserer Profession wird sich daran entscheiden, ob sie einen Weg findetzwischen der Abwehr des Emotionalismus (gegen manche innovativen oder verstö-renden Ideen und Befunde gerichtet) und der Abwehr einer technischen Rationalität(gegen die Tiefe der gelebten Erfahrung gerichtet).

Wenn wir „Lernen durch Erfahrung“ (Bion 1992; Werbart 1995) reklamieren,müssen auch theoretische Konzepte überprüft werden. Diese bestimmen erheblich,wofür professionelle Therapeuten ihre Wahrnehmungsraster ausbilden, welche Sen-sibilitäten sie entwickeln, was sie ansprechen – oder auslassen. In Supervisions-und Intervisionsgruppen kann man manchmal den Eindruck haben, dass Teilnehmersich auf bestimmte Konzepte einigen, die selbst jedoch nicht infrage gestellt werdendürfen – an solchen Stellen würde eine professionelle Haltung relevant, die die kon-zeptuell bedingten Grenzen der eigenen Wahrnehmungen thematisieren und damitdie Profession insgesamt entwickeln könnte. Immerhin gab es Therapeuten wie Lud-wig Binswanger, der im Fall der Ellen West glaubte, deren Suizid als ein akzeptables„Outcome“ ansehen zu können (Buchholz 2003) – Beispiel für die Notwendigkeiteiner professionsbezogenen Reflexion.

Schaut man in Handbücher, die sich mit Professionen auch in der Psychologie(Johnson und Kaslow 2014) befassen, kann man sich Anregungen holen, die fürdie Lage in der Bundesrepublik eine Rolle spielen könnten. Eine Definition soll alsAusgangspunkt genommen werden. Profession umfasse ...

Fachkenntnisse, die eine intensive Ausbildung erfordern, hohe Praxisstandards,die in der Regel von einem Verhaltenskodex gestützt werden, Fort- und Wei-terbildungen, sodass die Praktizierenden immer auf dem neuesten Stand derEntwicklung dieses Fachgebiets sind, sowie der Öffentlichkeit zur Verfügunggestellte Dienstleistungen. (Benjamin 2007, S. 155)

Weitere Definitionen kann man bei Johnson und Kaslow (2014) finden. Gemein-sam ist ihnen allen, dass professionelle Kompetenz sich aus drei Komponentenzusammensetzt:

● Wissen – im Sinne einer „scientific mindedness“: Fähigkeiten zu kognitiver Kom-plexität, Treffen von Entscheidungen unter Unsicherheitsbedingungen, Kenntnis-se relevanter Forschungen, die mit individuellen Erfahrungen vergleichbarer „Fäl-le“ verknüpft werden; Fähigkeit, mehrere „Modelle“ einer Situation zugleich zuerwägen, um zu einer Beurteilung zu gelangen;

● Haltung – im Sinne einer „psychological mindedness“: Respektierung unver-zichtbarer ethischer Verpflichtungen; die Besonderheit jedes individuellen Falls

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Zur Lage der professionellen Psychotherapie

eher wahrnehmend als das Gemeinsame mit anderen Fällen (während Expertiseumgekehrt operiert);

● Können – im Sinne einer „interpersonal mindedness“: Gesprächsführung als Per-formanz gelebter Intersubjektivität, vor allem bei den zahllosen Varianten vonZuhören und Sprechen; Auswahl und Formulierung einer Äußerung, die auf hö-herstufige, individualisierte Zusammenarbeit gerichtet ist, theoriebasiert, dochzugleich individualisiert (Wampold 2010).

In meiner Professionstheorie (1999) hatte ich die drei Komponenten der Indi-vidualisierung, der Intimisierung und der Interaktion genannt – professionelle In-teraktion in der Psychotherapie ist gerichtet nicht auf das Allgemeine an einem„Fall“, sondern auf das Individuelle einer Person, und sie sucht die Intimisierungder Themen bei gleichzeitiger professioneller Distanz.

Wissen meint nicht nur das theoretisch ausformulierte Wissen der akademischenTheorie, sondern auch jenes implizite Wissen, das von Polanyi (1966) beschriebenund als „stock of interactional knowledge“ (Peräkylä und Vehviläinen 2003) unter-sucht wurde. Wir haben vielfach verzweigte Kenntnisse von Zusammenhängen, aufdie wir meist in sozialer Unbewusstheit umstandslos zurückgreifen.

Haltung umfasst professionsethische Verpflichtungen wie auch die eigene Ent-wicklung, deren Reflexion und beständige Verbesserung (Buchholz 2015). Vor allemist damit die Fähigkeit gemeint, sich sowohl an Theorie als auch an den Reaktionendes Patienten auf die eigenen Äußerungen lernend zu orientieren, die gewonnenenEinblicke zugunsten des „Outcome“ einer Behandlung und entsprechende Überle-gungen wiederum für die Entwicklung der Profession zu verwenden.

Manchmal können Äußerungen anders aufgefasst werden, als sie gemeint wa-ren; manchmal wird die „agency“ von Äußerungen (Ahumada und Ahumada 2005)verdeckt, indem das Subjekt der Handlung neutral dargestellt wird („es ist so ge-kommen, dass ...“ statt: „Ich habe dafür gesorgt, dass es so kam ...“). Manchmalsind Meinungen und ihre Positionierungen – wem sie zugeschrieben werden – ten-denziös verunklart. Manchmal haben wir es mit überhörten Fehlleistungen zu tun.Können zu können ist die Form persönlicher Befriedigung, die Therapeuten aus ihrerArbeit zu ziehen gestattet sein darf (Orlinsky und Rønnestad 2005). Es sollte nichtals „narzisstische“ Befriedigung diffamiert werden.

Wissen, Haltung und Können freilich können sich nirgends anders als in Konver-sationen bewähren. Das ist nicht dasselbe wie „Schulung therapeutischer Gesprächs-führung“. Solche Kurstitel kündigen Sprechen als „Technik“ an, mit der man be-stimmte „Ziele“ erreichen könne, und unterschlagen Gadamers Einsicht, dass man,um ein gutes Gespräch zu führen, sich von ihm führen lassen können muss (Gadamer1960). Professionelle Therapeuten sprechen nicht, um „kausale Effekte“ zu erzielen,sondern um teilzuhaben an etwas, das sie kennen und das ihnen zugleich fremd ist.Sie üben nicht Empathie, um technisch im Anderen etwas zu verändern, sondernsetzen darauf, selbst „verandert“ zu werden, weil Empathie nicht einseitig-technischausgerichtet operiert, sondern es ihnen auf eine stille Weise wesentlich ist, zu verste-hen und verstanden zu werden. Sie stehen zur Verfügung und sind doch ganz eigen,auch durchaus eigensinnig. Nur so und nur auf eine Weise, die solche Paradoxa zu

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integrieren vermag, können sie die „salient elements of professionalism“ realisieren,die Johnson et al. (2014, S. 6) nennt:

● Integrität und Aufrichtigkeit, persönliche Verpflichtung gegenüber professionellenWerten,

● gutes Betragen,● Verantwortlichkeit,● Sorge für das Wohlergehen des Anderen.

Dies alles eingebunden in personale Professionalität; Therapeuten sind professio-nell als Personen. Deshalb (!) arbeiten sie (Rønnestad und Orlinsky 2006) ein Lebenlang an sich selbst.

Zur Ausbildung

Wenn diese besonderen Aspekte der „talking cure“ heute erneut nach der Um-wandlung durch das medizinische Modell zur Geltung kommen, dann lohnt es, sichGedanken zur Ausbildung der nächsten Generation zu machen. Diese sollten davoninspiriert sein, was wir in der Zukunft erwarten, welchen neuen Lagen professionellePsychotherapeuten ausgesetzt sein werden.

Traditionelle Modelle

Es gab drei Typen von Ausbildungsmodellen für professionelle Psychotherapeuten.Das „Scientist-practitioner“-Modell suchte, Forschungsausrichtung und ange-

wandte Trainings miteinander zu verbinden, wählte sorgfältig Kandidaten aus undsuchte die Fähigkeiten, Forschung und Praxis zu verbinden, zu optimieren. Praxiswurde als dynamisches Korrektiv für manche Theorien verstanden; beide Bereichestehen in einem dynamischen Gleichgewicht.

Das „Practitioner-scholar“-Modell, 1973 auf einer Konferenz in Colorado alsAlternative zum ersten Modell ins Leben gerufen, zielt auf professionelle Praxis,fördert reichhaltige klinische Erfahrung mit einem frühen Anfang in der Ausbil-dung und bildet erst dann in wissenschaftlichen Verfahren aus. Forschung soll in diePraxis hineingetragen werden, Kandidaten sollen Untersuchungsmethoden lokal an-wenden; etwa die Identifizierung von lokalen Problemen im Gesundheitsdienst, dieVerbesserung von Versorgungsstrukturen oder die Evaluation von Praxis-Initiativenwurden als Anwendungs- bzw. Optimierungsfelder verstanden.

Das „Clinical-scientist“-Modell, seit 1991 in der Diskussion, legt den Akzent aufdie wissenschaftliche Ausbildung; Kandidaten werden für eine akademische Karriereausgebildet. Schwächen anderer Ausbildungen werden dadurch zu kompensierenversucht, indem von Anfang an stark auf wissenschaftliche Befunde und derenAnwendung gesetzt wird. Die ethische Verpflichtung von Kandidaten bindet diesestärker an wissenschaftliche als an professionsethische Formeln. Praxis wurde alsminderer Status gegenüber dem wissenschaftlichen Forschungsfeld verstanden.

An diesen Modellen ist, wie sich allmählich herausschälte, etwas problematisch.Sie setzen „Praxis“ als Objektbereich an, über den man etwas wissen konnte, der

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sich durch eine von außen kommende „Intervention“ verändern, im besten Falloptimieren ließ, und ignorierten weitgehend das Anregungs- und Lernpotenzial vonPraxis – so schon die ersten Analysen (Schön und Rein 1994), auf die Woolfolk(2015) seinerseits erneut verweist; man findet sie in meiner Professionstheorie (1999)beschrieben.

Man kann leicht sehen, dass das „Clinical-scientist“-Modell für die breite Ausbil-dung wenig infrage kommen wird, in einer Situation, in der wissenschaftliche Aus-richtungen selbst an Stabilität verlieren, gerade, weil in manchen Bereichen eine nur-wissenschaftliche Ausrichtung durchaus auch Schädlichkeiten erwiesen hat (etwa inder übermäßigen Verbreitung von Psychopharmaka). Die beiden ersten Modellekönnten in ihren spezifisch bundesdeutschen Ausformulierungen diskutiert werden.Entscheidend wird sein, ob man über die Verengungen des Schemas von „Theorie-Praxis“ hinauskommt. Es gibt mehr.

Das FLIP-Modell (Forschung, Lehre, Integration, Praxis)

Schon in der akademischen Lehre im Allgemeinen gab es seit den 1990er-Jahren eineDiskussion (Boyer 1990), die deutlich machte, dass die Ausrichtung von Ausbildungallein an szientifischen Vorgaben der weit größeren Breite von wissenschaftlichemWissen nicht gerecht wird. Es ist keineswegs nur deutscher Idealismus, wenn anamerikanischen Universitäten mit „higher education“ auch die Idee ethisch-morali-scher Integrität verknüpft wurde und zugleich das Wissen darum, dass es einzelnePersönlichkeiten waren, die herausragende Leistungen erbrachten, etwa in Astro-nomie, Botanik oder Physik. Das volle akademische „Mandat“ umfasst wenigstensvier Komponenten:

Forschung – im besten Sinne umfasst Gelehrsamkeit nicht nur Entdeckung neu-er wissenschaftlicher Tatsachen, sondern auch einen Beitrag zur Entwicklung desintellektuellen Klimas einer Zeit. Hier ließen sich gerade nicht nur Figuren der szien-tifischen Naturwissenschaft (prominent Max Planck, Albert Einstein oder StephenHawking), sondern auch die der Anthropologie (von Franz Boas bis zu MichaelTomasello), der politischen Philosophie (von Hannah Arendt über Martha Nuss-baum bis zu George Steiner), der Linguistik (von Noam Chomsky bis hin zu seinentheoretischen Gegnern) nennen.

Lehre – in einer akademischen Welt, die Forschungsausrichtung und Exzellenzals das Höchste ansieht, wird Lehre weniger wichtig genommen, von ihrem sozia-len Status her. Es gibt aber akademische Lehrer, die enormen Einfluss auf ganzeGenerationen ihrer Schüler hatten, weil sie ihnen das Wichtigste in frühen Jahrenbeizubringen verstanden: Begeisterung und Kants „sapere aude“. Ich übersetze eshier mit Selbst denken. Gute akademische Lehre entfaltet Dynamik in der Schaffungvon Analogien, Metaphern, Bildern, die die Differenz zwischen dem Verständnisder Lernenden und dem der Lehrenden überbrücken. Gute Lehre vermittelt nichtnur Wissen, sondern transformiert es und baut es aus. Boyer zitiert Robert Oppen-heimer:

Die Spezialisierung der Wissenschaft ist eine unvermeidliche Begleiterschei-nung des Fortschritts; trotzdem birgt sie viele Gefahren und ist auf grausame

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Weise verschwenderisch, da so viel Schönes und Erleuchtendes dem größ-ten Teil der Welt vorenthalten bleibt. Folglich gehört es zu der Aufgabe desWissenschaftlers, dass er nicht nur die Wahrheit finde und seinen Kollegenübermittle, sondern dass er diejenigen, die versuchen zu lernen, lehre und ver-suche, die ehrlichste und verständlichste Darstellung allen neuen Wissens zuvermitteln. (Boyer 1990, S. 24)

Integration – wir vermitteln weder in Lehre noch Ausbildung nur empirische Fak-ten, sie sind das Wichtigste im Kontext eines Bezugsrahmens. Der kann Forschungoder Praxis sein. Empirische Fakten bedürfen nicht nur einer Interpretation im Lichteiner Theorie, sie bedürfen auch einer Integration mit verwandten Themen oder derTradition des Faches; sie stellen Bezüge zu anderen Bereichen her und resümierenvon Zeit zu Zeit den Stand der Diskussion in einem bestimmten Ausschnitt. Soschwebte Freud es vor, dass eine psychoanalytische Hochschule nicht nur psycholo-gisches Wissen, sondern auch das Wissen von Mythen und Märchen zu vermittelnhabe; hinzufügen kann man für ihn, der seine Schriften stets mit schönen Zitatenzierte, die schöne Literatur. Denn deren Autoren entdeckten und entdecken vielesvon dem, was in der Psychoanalyse zentral gestellt ist, etwa in der Abwehrlehrebis zur Sublimierung (Matt 1998), im Wissen um familiäre Dynamiken (Matt 1995)oder um Realitätsaspekte wie die Intrige (Matt 2007). Wichtige akademische Leis-tungen entstanden so durch die Begabung von jenen, die solche Zusammenhängezu sehen vermochten, sie darstellen konnten und damit die Entwicklung in ihrenFächern vorantrieben. Eine ausschließlich szientifische Orientierung auf Forschungwürde die integrative Leistung ungerechtfertigt abwerten.

Praxis – eine besondere Art des Wissens ist in der Praxis, und nur dort, zu erwer-ben. Der Praxis begegnen nicht nur Universitätsabsolventen mit einem Praxisschock,sondern auch die, die Ausbildungsinstitute approbiert verlassen. Das trifft auf dieMedizin ebenso wie auf die Psychotherapie zu, bei Übernahme von politischen oderjuristischen Aufgaben oder, wenn man die ersten Male vor einer Schulklasse steht.Schocks können bewältigt werden, solange ein dynamischer Prozess zwischen vor-handenem Wissen und neuer Erfahrung in Gang gesetzt wird, so, dass beide sichgegenseitig bereichern – das geht durch die Person hindurch. Deshalb geht es nichtum objektivierbares Wissen („knowledge“), sondern um personengebundene Erfah-rung („knowing“). Spätestens hier wird deutlich, dass akademische Vorbereitungauf den Beruf des Psychotherapeuten, die das Ziel darin sähe, gelernte Theorie imModus der „Anwendung“ zu übernehmen, in der Praxis versagen müsste. Theo-rie kann nicht instruieren, sie kann nur informieren. Theorien sind nicht definitiveKonzepte, sondern haben eine Sensibilisierungsfunktion (Blumer 1969, S. 169 f.).Dieser Unterschied könnte leitend für die Psychotherapie-Ausbildung sein. Wir ha-ben sensitive Konzepte, aber keine „benchmarks“; wir haben empirische Beispiele,aber sie operieren in den meisten Fällen als Illustratoren; Praktiker nutzen Theorieals Orientierungshilfen beim Navigieren.

Wie kann man sich die Zusammenarbeit der FLIP-Komponenten in der Psycho-therapie vorstellen? Wie unterscheiden sich gute Therapeuten von den weniger gu-ten? Dazu könnte die empirische Forschung etwas sagen, etwa in den Befunden derMount-Zion-Arbeitsgruppe (Curtis und Silberschatz 1994; Silberschatz et al. 1986).

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Zur Lage der professionellen Psychotherapie

Gute Therapeuten richten sich an bewussten sowie unbewussten Behandlungsplä-nen ihrer Patienten aus und setzen einen Verhandlungsprozess mit ihnen in Gang,wenn Pläne oder Ziele zu unrealistisch, kontraproduktiv oder unethisch sind. Dasentspricht einer alten psychoanalytischen Erfahrung, wie sie aus der Praxis heraus(Argelander 1979; Bollas 1979; Plassmann 1986) von sehr verschiedenen Autorenformuliert worden ist. Es ließen sich auch andere Befunde (Werbart 2005) heran-ziehen. Es geht jedoch weniger um akademische Kontrolle; die Profession kann dieEvaluation nicht an andere delegieren, sie ist ihre eigene Ur-Sache.

Therapeutische Konservation

Patienten, die innerhalb des beschränkenden Rahmens ihrer ungelösten KonflikteLösungen erwarten – ein zwanghafter Mensch etwa die Kontrolle kontrollieren will,ein ängstlicher Mensch sein Heil in der Vermeidung sucht, ein depressiver Menschüberzeugt von seiner Wertlosigkeit zu sein scheint, ein Psychosomatiker wieder „fit“werden will – suchen die Hilfe eines Anderen, soweit ihnen dieser Andere einenanderen Bezugsrahmen anbieten und diesen überzeugend verbindlich machen kann.Dazu braucht es das Gespräch, das nur gelingt, wenn und soweit beide aneinan-der „andocken“. Der Säuglingsforscher Ed Tronick (2007) verwendete dafür dasKonzept des „dyadic state of consciousness“:

Die Hypothese des dyadischen Bewusstseins besagt, dass jedes Individuum –in diesem Fall das Kleinkind und die Mutter oder der Patient und der Therapeut– ein selbstorganisierendes System ist, das seine eigenen Bewusstseinszustän-de (Zustände der Hirnorganisation) erschafft, die in Verbindung mit einemanderen selbstorganisierenden System auf kohärentere und komplexere Be-wusstseinszustände erweitert werden können. (Tronick 2007, S. 404)

Therapeuten bieten eine Art der Zusammenarbeit an, die das Erreichen eines ko-härenteren Selbstzustandes ermöglicht, der zugleich mit Komplexität angereichertwird. Kohärenz ist die Erfahrung, „der-/dieselbe“ zu bleiben, während Komplexi-tät die Förderung der Fähigkeit ist, wie im Kaleidoskop mit jeder Drehung einenanderen Blickwinkel einzunehmen – auf jedes Mal dasselbe, das zugleich als et-was anderes und Neues bereichernd erfahren wird. Schließlich wird, in einer letztenDrehung des Kaleidoskops, das eigene, beobachtende Selbst Teil der vielfältig ver-netzten Perspektivierungen, und es erfährt sich in einer neuen, unerwarteten undimmer überraschenden Weise. Bis zu diesem Punkt konnte manches von der Theo-rie des Therapeuten gerahmt werden. Wird die letzte Drehung vollzogen, entstehtetwas, das die Theorie des Therapeuten nicht kennen kann. Balint hatte das denNeubeginn genannt (Balint 1968), andere haben in anderen Konzeptualisierungenden „now moment“ und „moment of meeting“ (Stern 2005) beschrieben. „Dasselbe“wird in anderen Rahmungen anders empfindsam gemacht. Zu Kompetenz innerhalbder Profession wird es, solche „Drehungen des Kaleidoskops“ nicht nur mit Patien-ten zu erreichen, sondern auch mit eigenen Konzeptualisierungen so zu verfahren,dass Raum für Komplexitätsanreicherung entstehen kann.

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M. B. Buchholz

Diese Metaphern sind schön – doch wie sie praktisch realisiert werden, ist inweiten Beständen unklar. Sie haben den Status von „ungesättigten Konzepten“, sieregen an, sie inspirieren therapeutische Kreativität. Professionelle Kompetenz kannsich nur in der therapeutischen Konversation realisieren – oder aber sie bleibt un-wirklich und unwirksam. Ich kann hier keine Darstellung meiner Lieblingstheorienvon Konversation geben, weil ich damit auf die Lieblingstheorien anderer konfron-tativ stoßen müsste. Ich möchte vielmehr die zentrale, vor uns liegende Aufgabefür die Entwicklung der Profession formulieren, die von vielen Kräften angepacktwerden muss: Was geschieht in unseren Behandlungsräumen? Wie sprechen wir mitunseren Patienten? (vgl. Buchholz 2016)

Mit dem medizinischen Modell ging die Vorstellung einher, dass man psychothe-rapeutische Prozesse global steuern könne, wenn nur alle Therapeuten empirisch be-stätigte Theorie gleich „anwenden“. Mittlerweile hat sich die Medizin-Metapher fürdie Psychotherapie auch deshalb als wenig brauchbar erwiesen, weil wir entdecken,dass in Behandlungszimmern sehr verschiedene Dinge passieren, auch wenn aufPraxisschildern dasselbe steht. Konversation bzw. Gespräch könnten nicht normiertwerden. Was wir in der Zukunft brauchen, ist eine Ausrichtung an sensibilisieren-den Konzepten, an weitgehender Öffnung dafür, wie der „Austausch von Worten“(Freud) tatsächlich realisiert wird – aber nicht, um das unter Fremd-Kontrolle zubringen. Das szientifische Modell hat Therapeuten die Illusion vermittelt, es kämedarauf an, mit der richtigen Theorie, realisiert in Manualen, über dem Geschehenzu stehen. Nur mit der impliziten Annahme einer solchen „externen“ Positionierungkönnte ja ein Begriff wie „Intervention“ gerechtfertigt werden. Es ist unvermeidlichanzuerkennen, dass wir immer im Geschehen sind. Zu diesem Geschehen könnenwir von einer exzentrischen Position aus (Plessner 1928) Stellung zum Geschehenbeziehen. Sie muss immer neu erarbeitet und vom Gesprächspartner akzeptiert oderwenigstens toleriert werden. Auch das muss durch Konversation vorbereitet werden.

Was also schlage ich vor? In der Erweiterung des zu eng gewordenen szientifi-schen Wissenschaftsverständnisses, wie ich es im FLIP-Modell skizziert habe, in derVermeidung der Versuchung, allein auf die hermeneutische Position zurückkehrenzu wollen, und in der Anstrengung, die eigenen Gesprächsbeteiligungen zu erkennenund zu untersuchen, sehe ich die Chancen, die sich in der gegenwärtigen Situationergeben könnten.

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Prof. Dr. Michael B. Buchholz Dipl.-Psych., Dr. phil., Dr. disc. pol., apl. Prof. am Fachbereich Sozial-wissenschaft, zugleich ordentlicher Professor an der International Psychoanalytic University (IPU), Berlin.Lehranalytiker (DPG, DGPT). Zahlreiche Veröffentlichungen in dieser Zeitschrift, u. a. Hefte 4, 1988, 1,1989, 2, 1990, 1, 1991, 3, 1992, 1, 1997, 3, 1999, 3, 2001, 3, 2006, 4, 2008, 1 und 3, 2014. Zuletzt erschie-nen Der Besen, mit dem die Hexe fliegt (2012, 2 Bde, hrsg. zus. mit Günter Gödde).

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