Zur pathologischen Anatomie der Antimonvergiftung

10
Aus dem Pathologisehen Institut der ttamischen Universit~t, Hamburg. (Direktor: Prof. Dr. Fahr.) Zur pathologischen Anatomie der Antimonvergiftung. Von Gerhard Franz. Mit 5 Textabbildungen. (Eingegangen am 6. Juni 1937.) Antimongiftmorde und medizinale Antimonvergiftungen sind in friiheren Jahren, als noeh zah]reiehe Stibiuml?r~l?arate offizinell waren, hhufiger vorgekommen. Es hande]te sieh dabei fast immer um Vergiftungen dutch Brechweinstein, eine wasserl6sliche Antimonverbindung. Auch in der neueren Literatur werden vereinzelte F~lle medizinaler Vergiftung dutch neuere Stibiuml?r~l?arate , die zur Behandlung der multil?len Sklerose h~ufiger angewandt wurden 1 und sonst vor allem in der Trol?enmedizin eine gro~e Rolle sl?ielen, mitgeteilt. Sektionsberichte liegen abet nur sehr wenige ~or. Die Obduktion Antimonvergifteter ergab oft keine l?athologisehen Vergnderungen oder nut solehe, die den Tod nieht erkliiren konnten. Manehmal land man Entziindungserseheinungen im Mund, im Pharynx, im Oesophagus; hgufiger wurde Gastroenteritis gesehen, manehmal mit kleinen Gesehwiiren und Pustelbildung. Bei einer glteren Leiehe wurde ein wie mit gelber Farbe bestriehener Darm besehrieben. Die Leber stand oft im Vordergrund der l?athologisehen Veri~nderungen ~. Hier wurden YergrSl3erungen, Verfettung und Degenerationen beobaehtet. Die Niere bot manehmal das Bild der triiben Sehwellung. Histologiseh fand man nel?hrotisehe Vergnderungen bis zur Nekrose der Haul?t- und Sehaltstiicke, sehr selten Kongestionen und entziindliehe Prozesse an den Glomeruli. Loehte und Putsehar ~ besehrieben einen Fall yon tSdlieher Fuadin- vergiftung, bei dem die Nierenl?yramiden ,der Ham in Nierenbeeken und Blase und der Ergul3 in der Baueh- und Pleurah6hle briiunlieh verfi~rbt waren. Die Milz sah bier sehwarz-rot aus. Starke Blutftillung der Lungen, seltener Entziindungen und IIel?atisation, Blutfiillung des Gehirns mit Blutungen, aueh Degenerationen der Ganglienzellen werden erwghnt ~. Ftir die Lungenerseheinungen maeht Nal?ier5 Ausfall von Antimonoxyd i Borgzinner: Zbl. f. inn. Med. M. 47, 1137 (1927); Meixner: Wiener klin. Wschr. Nr. 27, S. 896 (1927); Werkgartner: Ebenda Nr. '-)4, S. 798 (1927). Petri, E.: Handb. d. spez. path. Anat. Henke-Lubarseh, Bd. X. Taylor: Die Gifte, Bd. 2. I~erausgeg. yon Seydeler, I(51n 1863. -- ~ Loehte u. Putsehar: Samml. Vergift. F~lle 4, A 375 (1933). -- 4 Sehaffer: Ung. Arch. Med. 1893. Angefiihrt bei Wassermann: Naunyn-Sehmiedebergs Arch. 79, 383 (1916). -- 5 Napier: The Indian. Medical Gazette 1923.

Transcript of Zur pathologischen Anatomie der Antimonvergiftung

Page 1: Zur pathologischen Anatomie der Antimonvergiftung

Aus dem Pathologisehen Institut der ttamischen Universit~t, Hamburg. (Direktor: Prof. Dr. Fahr.)

Zur pathologischen Anatomie der Antimonvergiftung.

Von

Gerhard Franz.

Mit 5 Textabbildungen. (Eingegangen am 6. Juni 1937.)

Antimongiftmorde und medizinale Antimonvergiftungen sind in friiheren Jahren, als noeh zah]reiehe Stibiuml?r~l?arate offizinell waren, hhufiger vorgekommen. Es hande]te sieh dabei fast immer um Vergiftungen dutch Brechweinstein, eine wasserl6sliche Antimonverbindung. Auch in der neueren Literatur werden vereinzelte F~lle medizinaler Vergiftung dutch neuere Stibiuml?r~l?arate , die zur Behandlung der multil?len Sklerose h~ufiger angewandt wurden 1 und sonst vor allem in der Trol?enmedizin eine gro~e Rolle sl?ielen , mitgeteilt. Sektionsberichte liegen abet nur sehr wenige ~or.

Die Obduktion Antimonvergifteter ergab oft keine l?athologisehen Vergnderungen oder nut solehe, die den Tod nieht erkliiren konnten. Manehmal land man Entziindungserseheinungen im Mund, im Pharynx, im Oesophagus; hgufiger wurde Gastroenteritis gesehen, manehmal mit kleinen Gesehwiiren und Pustelbildung. Bei einer glteren Leiehe wurde ein wie mit gelber Farbe bestriehener Darm besehrieben. Die Leber stand oft im Vordergrund der l?athologisehen Veri~nderungen ~. Hier wurden YergrSl3erungen, Verfettung und Degenerationen beobaehtet. Die Niere bot manehmal das Bild der triiben Sehwellung. Histologiseh fand man nel?hrotisehe Vergnderungen bis zur Nekrose der Haul?t- und Sehaltstiicke, sehr selten Kongestionen und entziindliehe Prozesse an den Glomeruli. L o e h t e und P u t s e h a r ~ besehrieben einen Fall yon tSdlieher Fuadin- vergiftung, bei dem die Nierenl?yramiden , d e r H a m in Nierenbeeken und Blase und der Ergul3 in der Baueh- und Pleurah6hle briiunlieh verfi~rbt waren. Die Milz sah bier sehwarz-rot aus. Starke Blutftillung der Lungen, seltener Entziindungen und IIel?atisation, Blutfiillung des Gehirns mit Blutungen, aueh Degenerationen der Ganglienzellen werden erwghnt ~. Ftir die Lungenerseheinungen maeht Nal?ier5 Ausfall von Antimonoxyd

i Borgzinner : Zbl. f. inn. Med. M. 47, 1137 (1927); Meixner: Wiener klin. Wschr. Nr. 27, S. 896 (1927); Werkgar tne r : Ebenda Nr. '-)4, S. 798 (1927).

Petr i , E.: Handb. d. spez. path. Anat. Henke -Lubar seh , Bd. X. Tay lor : Die Gifte, Bd. 2. I~erausgeg. yon Seydeler , I(51n 1863. - - ~ Loehte u. Pu t seha r : Samml. Vergift. F~lle 4, A 375 (1933). - - 4 Sehaffer : Ung. Arch. Med. 1893. Angefiihrt bei Wassermann: Naunyn-Sehmiedebergs Arch. 79, 383 (1916). - - 5 Napier: The Indian. Medical Gazette 1923.

Page 2: Zur pathologischen Anatomie der Antimonvergiftung

662 G. FRANZ:

im Blut verantwortlieh. Sehr selten und nur naeh grofien Breehweinstein- gaben tritt ein den Windpocken sehr i~hnlieh sehender Hautausschlag auf, der dem bei iiugerlieher Yerabreiehung yon Antimon entstandenem gleieht s. Fast fehlende postmortale Blutgerinnung wird hgufiger beob- aehtet; Fettembolie des Gehirns, der Lunge und Nieren finder man munch- real erw/ihnt. DiG bedeutends~en pathologischen Ver/inderungen fanden sieh meist bei akuten Vergiftungen.

Von 5rtlichen Wirkungen sind Xtzse]~/iden der Haut und Sehlein~llaut (siehe aueh oben), Pustelbildungen mit poekennarbiger Ausheilung (,,Poekensalbe"), ebenfalls tiefer greifende Gesehwiire, friiher augerdem Ekzeme dureh antimonhaltige Kleiderstoffe besehrieben.

Bei mehreren Vergiftungsfi~llen, die oft erst naeh Woehen exhumiert und seziert wurden, fiel das gute Erhaltensein, eine bemerkenswerte Frisehe der Leiehen auf 7. Nut einmal laabe ieh in der Literatur hoehgradige Fiiulnis erw/~hnt gefunden s. Es handelte sieh dabei um einen Mann, der w/ihrend der grSl~ten Sommerhitze gestorben war, und bei dem kein Antimon mehr naehgewiesen werden konnte. Die konservierende Eigensehaft des Breehweinsteins, dig nieht allgemein anerkannt wird, soll auf der Hemmung der Autolyse, nieht auf einer Hintanhaltung des Bakterien- und Pilz- waehstums beruhen. Sehimmelpilze kSnnen z. B. in konzentrierter LSsung yon Breehweinstein gut gedeihen.

Neben diesen sp~rliehen Sektionsberiehten bei Mensehen sind einige pathologisch-anatomisehe Untersuchnngen nach experimenteller Antimon- vergiftung vorhanden (siehe aueh Kubelerg). Sa ikowsky 1~ fund bei Anwendung yon Aeidum stibieum naeh 14--19 Tagen an Leber, Herz und iere kaum Ver/inderungen; bei Applikation leiehter 15slieher Pr/i- parate stiirkere Verfettung und Abnahme des Glykogens in der Leber. Von W e d e n s k y 11 wird bei ehroniseher Vergiftung Fettablagerung im interstitiellen Gewebe des Herzens, der Nierenkapsel und des Omentum besehrieben. An den Myoeardfasern, den Leber- und Nierenzellen fund er vorzugsweise triibe Sehwellung, Nekrosen und kSrnigen Zerfall, im Interstitium Infiltrationsherde, aul~erdem nahm er Vermehrung der Leber- zellen und Gallenggnge an. Von anderen Autoren werden starke Fiillung des venSsen Systems des Bunches (Aekermann, So lowe i t sehyk 12) mit Blutaustritten in den gestauten Bauehorganen, Injek~ion der Dtinn- darmsehleimhaut, fettige Degeneration der Glomeruli, Vermehrung des

6 Anze, Paul: Samml. gerichtl, med. Obergutachten H. 5, S. 351 (1890). __ 7 Clemm, Friedrich: Ein Beitrag zur Lehre yon den Antimonvergiftungen. Dissertation Berlin 1904; L. Engelhardt: Xrztliehe Saehverst~nd. Z. Nr. 7, S. 103 (1931). -- s Harnack, E.: Med. u. 5ffentl. Sanit~tswesen. Folge III, Bd. 21, H. 2, S. 267--293 (1901). -- 9 Kubeler: Naunyn-Schmiedebergs Arch. 27, 451 (1890). -- 10 Saikowsky: Virch. Arch. 34, 73 (1865). -- H Wedensky: Patho- logiseh-anatomische Veranderungen nach Antimonpr/iparaten bei Tieren. Inaug.- Diss. Petersburg 1898. -- 12 Aekermann: Virch. Arch. 25, 531 (1862); Solo- weitsehyk: Naunyn-Schmiedebergs Arch. 12, 446 (1880).

Page 3: Zur pathologischen Anatomie der Antimonvergiftung

Zur pathologisehen Anatomie der Antimonvergiftung. 663

periportalen Bindegewebes in der Leber, Hepatisationen in den Lungen mitgeteilt. B r a h m a c h a r i ~ sah bei seinen Tierversuchen vor allem I-Igmorrhagien und Nekrosen. Das a m st~rksten vergnderte Organ war die Lunge, dann folgten Niere und Leber. Die Leber zeigte wenige Stunden nach der Vergiftung nur Blutungen, nach mehr als 24 Stunden Verfettung. L u c i a nnd B r o w n la fanden fernerhin in der gestauten Milz klaffende Sinus und dutch lamellSse Membranen abgegrenzte malphigische KSrper.

Von Bedeutung sind noch die bei Antimonvergiftung erhobenen Blut- befunde. Von mehreren Au~oren warden bei vergifteten Menschea und ira Experiment bei Kaninchen Leukopenie, Lymphocytose, Eosinophilie nnd tterabsetzung der Gerinnungsfiihigkeit des Blutes beobachtet 14. Die Leukopenie t ra t im Experiment schon naeh einer halben Stunde anf (Luc ia und Brown) . M e n e g h e t t i ~ erzielte dutch kolloidales Antimon- sulfit neben AnSmie zungehst Leukocytose, die dann yon einer Leukopenie gefolgt wurde. Es wgre denkbar, daf3 diese Abweiehung yon den Befunden anderer Autoren auf der Wirkung yon eventuell im KSrper entstehenden Schwefelwasserstoff bei Gebrauch yon Antimonsulfit beruhen mag and da/] die eigentliehe Antimonwirkung erst sparer in Erseheinung tritt . Die VerhSltnisse mSgen der Wirkung des Sch l ippesehen Salzes 5hnlieh sein, wie sic yon L e w i n 1~ nachgewiesen wurde.

Chemiseh wurde Antimon in seilr vielen Organen gefunden, so in der Leber, Niere, Muskulatur, im Herzen, Gehirn und Riickemnark, in der Lunge, der Haut, der Milz, der Speiser6hre nebst IIfllalt, im Magen-Darm- trakt, im Knochen and im Urin iv. Im Blur war der Befund meist negativ; L u c i a und B r o w n konnten auch in ihren Experimenten Antimon nut noch nach einer halben Stunde naeh der Injektion naehweisen.

Aus dem Gesagten erhellt, dab systematisehe Untersuchungen iiber die pathologisch-anatomisehen Vergnderungen bei der Vergiftung mit Ver- bindungen des Antimons bisher kamn vorliegen. Es ersehien daher zweck- mgf~ig, derartige Untersuehungen auszuffihren. Das Material wurde yon O e l k e r s yore hiesigen Pharmakologisehen Institnt, d e r m i t pharma- kologischen Untersuehungen fiber die Giftwirkung des Antimons be- schgftigt ist, in dankenswerter Weise zur Verffigung gestellt.

Eigene Untersuehm~gen an mit Brechweinstein vergifteten Kaninchen: Den histologischen Ergebnissen liegen die Untersuehungen an 33 Ka-

ninehen, die entweder Jntraven6s oder subcutan oder per os mit Brech- weinstein vergiftG wurden, zugrunde. Tcilweise starben die Tiere infolg~ der Vergiftung, teilweise wurden sic auch zu versehiedenen Zeiten naeh der

12~ B r a h m a c h ~ r i , U. N. : Th~ Indi~.n Journ;d of medical Research Vol. X (1922--1923). - - la Lucia, Sp. u. I. W. Brown: J. of Pharmacol. 52, Nr. 4, 418 (1934). - - 14 S ehrumpf u. Z a b el: Naunyn-Sehmiedebergs Arch. 63, 242 (1910); Delius: Med. IZlin. 32, 1098 (1925). - - 15 Meneghet t i : H~im~tologica Arch. itM. di em~tologia e sierologG 7, H. 1 (1926). - - ~6 Lewin: Virch. Arch. 74. __ ~7 Lesser, A.: Vierteljahrssehr. f. geriohtl. Med. u. 6ffentl. S~nitStswesen, Folge III, Bd. 16 (i898).

Page 4: Zur pathologischen Anatomie der Antimonvergiftung

664 G. FRA%Z:

Giftgabe getSte~. Zwischen der Lebensdauer und der HShe der Dosis land sieh meistens ein Parallelismus. Da die histologisehen Befunde an gleiehartig mit mehr minder dffferierenden Dosen vergifteten Kaninchen meistens die gleiehen sind, kann ich reich mit einer zusammenfassenden, gruppenweisen Sehilderung begniigen und eine Beschreibung der einzelnen histologischen Befunde vermeiden. Untersucht wurden in allen F/illen Leber, Niere, Herz, Nebenniere, meistens auch Lunge, Milz, Magen, Darm, Obersehenkelmuskulatur und Knochenmark. Fiir die Leberuntersuchungen lagen H.-E.-, FeLt-, Pikro-Thiazin-, Eisen- und Tibor-Pap-F~rbungen, fiir Niere, Herz und Nebenniere, Magen, Darm und Muskulatur H.-E.- und

Abb. 1. L~ppehenrandnekrosen bei einem durch intravenSse Brechweinsteingaben (6 ccm einer lO/oigen Liisung) vergifteten Kaninchen. Tod nach 48 Stunden. P ~ periportales Bindegewebe;

N = Nekrosen ; Z = Lt~ppchenzentrum ; A = erhaltene Leberzellen.

~ettf~rbungen vor. Zun~ichst seien nut die Befunde bei den dutch intra- venSse oder subcu~ane Brechweinsteingaben vergifteten Kaninchen be- schrieben, da bei den durch perorale Gfftzufuhr vergifteten Tieren einige Besonderheiten auffielen.

Bei den Kaninchen, die nach kurzer Zeit, d .h . nach einigen oder mellreren Stunden s~arben oder getSte~ wurden, fanden sich fas~ nur Veri~nderungen an der Niere (vgl. W e e s e is). Man sah meistens eine triibe Schwellung der Hauptsttickepithelien, daneben auch reichlich Zylinder und

is Weese, H.: Medizin und Chemie III, S. 412. Bayer 1936.

Page 5: Zur pathologischen Anatomie der Antimonvergiftung

Zur pathologischen Anatomie der Antimonvergiftung. 665

Eiweifischollen. Selten konnten Quellangen der Glomerulussehlingen beob- achtet werden. In ganz friihen Fi~llen war maneJamal auger einer starken Bluffiillung der Glomeruli und der Nierengefiil]e kein pathologiseher Be- fund zu erheben. Leberveriinderungen wurden erst zu einem spiiteren Zeitpunkt der Vergiftung deutlieh. Als erstes Symptom der stattgehabten Yergiftung konnte man in der Leber gelegentlieh weite Kapillaren sehen, die man vielleicht als Ausdruek eines Reizzustandes der Leber deuten kSnnte. Dann traten erst, bei unseren Tieren frtihestens naeh 48 Stunden beobaehtet, sehwere degenerative Veri~nderungen der Leber auf. Es handelte sieh um Nekrosen der Leberzellen, die an der L~ppehenperipherie

Abb. 2. Zahlreiche diffus fiber das ganze Litppchen ausgedehnte Leberzellnekrosen. Geringe Yerfettung. Tod nach etw~ 80 Stunden. P ~ Lfippchenperipherie ; Z = L~Lppchei~zentrum.

begannen und mit Kernpyknose, Kernwandhyperchromatose und Kary- orrhexis ei~hergingen (Abb. 1). Die Nekrosen konnten mit mehr oder minder starker Verfettung, die manehmal nut sehr gering war, auftreten. Betrug die Lebensdauer der Kaninehen naeh der Vergiftung etwa 60 Stunden, so waren die Veriinderungen im L/ippehen diffus ausgedehnt. Zwischen den grSl3tenteils blasig ver/~nderten, nekrotischen und verfetteten Leber- zellen blieb bier und da eine einigerma/3en wenig ver~ndert aussehende Leberzelle stehen (Abb. 2). Der Li~ppehenaufbau war oft kaum noeh zu erkennen. Es bestand hgufig eine vgllige Dissoziation. Der Oft des Beginns des Prozesses konnte nun nicht mehr abgelesen werden. Ganz vereinzelt kamen Tiere vor, bei denen die Vergiftung nut zu einer st~rkeren Ver- fettung der Leber ohne Nekrosen gefithrg hatte. Die Nieren zeigten in

Page 6: Zur pathologischen Anatomie der Antimonvergiftung

666 G. FRA~z:

diesem Stadium eine mehr oder minder, meist mit der Leberverfettung parallel gehende Fettspeicherung der Hauptstiicke. Ein Schwund der Gitterfasern der Leber war niernals zu konstatieren; man hatte manchmal den Eindruck, als ob sie an der Peripherie dicker geworden w~ren. Fiir diese Verdichtung mag eine Zusammenlegung der Fasern bei dem Leber- zellenschwund in Frage kommen, eine Vermehrung der Fasern scheint mir weniger wahrscheinlich.

Bei den l~nger lebenden Kaninchen, die meistens, wenn auch nicht immer, geringere Dosen erhalten hatten und durchschnittlich nach 10 his 20 Tagen s~arben oder getStet wurden, w~r auBer einer ungleicl~- m~l]igen meist geringfiigigen Yerfettung der Leberzellen und auger manch- real in der Niere vorhandenen Verkalkungen fast nie ein besonderer Befund zu erheben. Ein urs/ichlicher Zusammenhang zwischen der Vergiftung nnd den Verkalkungen in der Niere kann wohl wegen des bekannten h~iufigen Vorkommens kaum angenommen werden. Einmal liel]en sich bei einem nach 11 Tagen gestorbenen Kaninchen geringes 0dem der Leber and geringe Fett- and Eisenspeicherung in der Glissonschen Kapsel nachweisen. Ferner sahen die Leberzellen viel plumper und homogener aus als es normalerweise der Fall ist, so da[t man daran denken k6nnte, diese ffir Regenerate anzusehen. Eine Probeexzision war jedoch vorher nicht gemacht worden, so dal] ein Beweis fiir diese Annahme nicht erbracht werden kann. Vermehrung des periportalen Bindegewebes und Gallen- gangswucherung wurde auch beobachtet, Umbauvorg~nge im Sinne einer Cirrllose waren nie vorhanden.

W~hrend nun die oben beschriebenen Befunde mit ziemlicher Regel- m~$igkeit auftraten, wurden pathologische Vergnderungen an anderen Organen weniger h~iufig beobachtet. Das Herz der Tiere mit schwerem Leberbefund zeigte allerdings sehr haufig tri~be Schwellung der Herz- muskelfasern und kleintropfige Verfettung, seltener Zerfall der Herzmuskel- fasern mit anschlieltenden sklerosierenden Vorg~ngen. Diese anatomischen Ver~nderungen mSgen die Grundlage ffir die schon yon A c k e r m a n n gefundene Herabsetzung der Reizbarkeit des Herzens bei antimonver- gifteten Tieren sein. Die Nebennieren dieser Tiere zeigten h/~ufiger Lipoid- schwund. Am Magen-Darmkanal waren kaum Ver~nderungen test- zustellen, nie warden Verfettungen gefunden. Ferner bot die quergestreifte Muskulatur, deren Erregbarkeit nach K o b e r t 19 herabgesetzt sein soll, keine histologisch sichtbaren Sch~den. Die Milz war meist stark blur- geftillt and enthielt oft sehr vie/ mit H/imosiderin gespeicherte ZeHen. Die Sinus waren oft klaffend. Das Knochenmark sah normal aus. In der Lunge konnte neben Hyper~mie h~ufiger der Befund einer Fettembolie, deren Ursache eine St6rung des Fettstoffwechsels sein kSnnte, erhoben werden. Parenchynlzerst5rungen warden bier nicht beobaehtet.

19 K o b e r t : L ehrbuch der Intoxil<~tion.

Page 7: Zur pathologischen Anatomie der Antimonvergiftung

Zur pathologischen Anatomie der Antimonvergiftung. 667

Die dutch perorale Verabfolgung des Breehweinsteins Vergifteten Tiere zeigten gegeniiber denen, die Breehweinstein intravenSs oder sub- eutan erhalten ]aatten, gewisse AbweieJaungen ihrer Befunde. Der Beginn der Leberveriinderungen war ein anderer: Bei sichtbaren Leberschiidi- gungen - - es handelte sieh bier zwar nut um drei Kaninehen - - war die L&ppetlenperipherie yon den Nekrosen verse~on~ nnd alas Zentrum der Liippehen stiirker betroffen (Abb. 3). Dieses Bild zeigte sieh bei einem naeh zwei Tagen, naeh vier Tagen und einem naeh mehreren Woehen gestorbenem Tier. Bei letzterem waren die Zellen der L~ppehenperipherie anffallend homogener und plumper, so dab man 1tier aueh an Regenerate

Abb. 3. Zen t ra l e L e b e r l a p p c h e n n e k r o s e n bet e inem durch perorMe B r e e h w e i n s t c i n g a b e n v e r g i f t e t e n Kan inchen . Z = Z e n t r a l v c n e : P ~ L~ppehenpe r iphe r i e .

denken kSnnte. AuBerdem war bei diesen Tieren eine Verbreiterung und geringe Zellvermehrung des Glissonschen Gewebes festzustelIen. Die Deutung des Unterschiedes im Beginn der Vergnderung ist noch sehr problematisch, fiber Vermutungen kommt man bier nicht hinaus. 3lan kSnnte an ein liingeres gerweilen des gestauten, giftreichen Blutes infolge der Herzinsuffizienz, die die Tiere oft zeigten, denken. Auch Popper 2o l~atte bei seinen Versuet~en tiber experimentelle Hepatitis untersehiedliches pathogenetisehes Gesehehen bei portaler oder subeutaner Einverleibung yon Allylformiat gesehen, wghrend bei der Pyrolvergiftung dieser Unter-

20 Popper, H.: Vireh. Arch. 298, H. 3, 574 (1937).

Page 8: Zur pathologischen Anatomie der Antimonvergiftung

668 G.F~A~Z:

sehied nicht auftrat. Erwahnt werden muB noch, dab bei unseren per os vergifteten Kaninchen am Magen-Darmtrakt mitunter der Befund einer katarrhalischen Entziindung zu erheben war, Verfettungen waren iedoeh auch bier nicht vorhanden.

Nach dem oben Mitgeteilten mSchte ich meinen, dab man den Brech- weinstein nach dem Satz denominatio fit a potiori ein Lebergift nennen kann. Iqatiirlich treten auch in ande~en Organen Ver~nderungen auf, was der Bezeiehnung als Lebergift nieht widersprieht. Die anfiingliehen Nieren- schaden sind damit erkl~rlich, dab die Niere zuniichst das aufgenommene Gift auszuschneiden ha*, wobei sie Sehaden erleidet. Ein Teil des Giftes wird yon der Leber retiniert und macht bier erst sl0~ter seinen schadliehen EinfluB geltend. Auch ist aus den anatomischen Befunden wohl zu vet- tauten, dab es sich beim Brechweinstein und somit beim Antimon nicht nm ein spezifisches Kapillargift handelt. Die zuerst auftretenden Ver- anderungen sind die Parenchymzellsch~iden. Die Kapillaren bieten zu- nachst keinen besonderen pathologischen Befund, auch fehlt ein 10eri- kapillares 0dem, dessen Folge die Zellsch~digung sein kSnnte. Das Fehlen exsudativer u an anderen Organen spricht ebenfalls gegen die Wir- kung als reines Kapillargift.

Um die Annahme, dab das Antimon ein spezifisches Zellgift sei, zu erharten und um eventuell festzustellen, wo das Metalloid in den Organen sich ablagert, wurde versucht, Antimon mikrochemisch in den Geweben naehzuweisen, tIierzu diente die 1905 yon J u s t u s 21 angegebene Methode fiir den mikrochemisch-histologischen Arsennachweis, da angenommen wurde, dab das Antimon wegen ahnlicher chemischer Eigenschaften eventuell hierbei ~ihnlieh wie das Arsen reagieren k6nnte. Die untersuehten Organe wurden nicht, wie yon J u s t u s angegeben, in Celloidin, sondern in Paraffin eingebettet. Ira iibrigen wu~den jedoeh die Angaben von J u s t u s genau befolgt. Zur Untersuchung gelangten Leber, Niere, Herz, Lunge und Milz einiger wahllos harausgegriffener Fiflle. Bei den akut und subeutan vergifteten Kaninchen wurden in den Parenchymzellen, in den Kapillaren and Erythrocyten der genannten Organe teilweise nut wenige, teilweise abet auch sehr reichliche, eckige, etwas starker licht- brechende, griinlich-gelbliche bis farblose KSrnchen, die manchmal erst bei 01immersion deutlicher erkennbar waren, gefunden. In der Leber (Abb. 4) und im Herzen lagen sie oft ganz diffus verteilt, in einem Fall lagen die KSrnchen an der Leberlappchenperipherie bedeutend dichter. In der Niere (Abb. 5) waren bei allgemeiner diffuser Verteilung besonders die Glomeruli und die Hauptstiicke mit den KSrnchen vollgestopft. In der Lunge und Milz waren sie meist sparlicher. Bei einem 11 Tage nach der Injektion gestorbenen Kaninchen konnten in den untersuchten Organen keine KSrnehen mehr gefunden werden. In einem Kontrollversuch, in

~ Justus: Dermatol. Z. 12, 277 (1905).

Page 9: Zur pathologischen Anatomie der Antimonvergiftung

Zur patho]ogischen Anatomie der Antimonvergiftung. 669

dem ein K~ninchen mit Arsen ve~giftet wu~de, h~%ten die KSrnchea eia ganz ~hnliches Aussehen. Sie erschienen nut etwas grSl~er und scholliger.

Abb. 4. Diffus fiber (lie Leber verteilte KSrnehen (01immersion).

Abb. 5. KSrnchen in der Niere, besonders deutlieh in den Hauptstiieken. G = Glomerulus; H = Hauptstfiek

Wean man nun annehmen darf, dal~ es sich bei diesen KSInchen um Antimon bzw. um Sb2S~ handelt, so geht aus den Befunden hervor, da~

Page 10: Zur pathologischen Anatomie der Antimonvergiftung

670 G. F~A~z.

es wohl in alle Zellen einzudringen und diese so zu sehiidigen vermag. Die besonders starke Speieherung in der Leber und Niere findet vielleicht ihre Erkliirung in dem Bestreben des KSrpers, sich der Gffte mSgliehst schnell zu entledigen. Auch diese letzten Befunde seheinen mir dafiir zu spreehen, dab das Antimon ein spezifisches Zellgift ist, und dab die bei der Brechweinsteinvergiftung auftretenden Ver~nderungen nicht Folgen der Kapillarsch~digung sind, wie friiher allgemein angenommen wurde, sondern primer entstehen. Diese Sch~digungen durften mit der Wirkung des Metalloids auf den Zellstoffwechsel in Zusammenhang stehen (Oelkers 32).

Z~sammenfas sung .

1. Nach kurzer Obersicht der pathologisch-anatomischen Literatur der Antimonvergiftung werden die histologisehen Ergebnisse an 33 mit Brechweinstein vergifteten Kaninchen beschrieben.

Dabei land sich folgendes: A. Im Vordergrund der pathologischen Ver~nderungen steht vor

allen Dingen die Leber, dann Niere und Herz. B. In allerfriihsten Stadien linden sich nut degenerative Ver~nde-

rungen an den Hauptstiickepithelien der Nieren. C. Die Leberver~nderungen setzen etwas spi~ter ein. Es handelt

sich dabei um schwere degenerative Zellseh~digungen, die racist mit mehr oder minder hochgradiger Verfettung einhergehen.

D. Bei den intravenSs oder subcutan vergifteten Tieren beginnt die Sehiidigung an der L~il0pchenperipherie. Bei den per os vergifteten Tieren beginnt die Schiidigung im L~ppehenzentrum.

2. In den Geweben werden naeh der yon J u s t u s fiir den mikro- chemischen Arsennaehweis angegebenen Methode KSrnchen gefunden, yon denen angenommen wird, dal] es sich um Antimon (Antimontrisulfid) handelt.

3. Auf Grund des histologischen und mikrochemischen Befundes wird die Parenchymzellver~nderung als Folge einer Kapillarschi~digung ab- gelehnt. Brechweinstein wird fiir ein spezifisches Parenchymzellgift ge- halten.

32 Oelkers, H.A.: Naunyn-Schmiedebergs Arch. 184, 276 (1937).