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TECHNISCHE MECHANIK 3(1982)Heft1
Manuskripteingang: 12. 10. 1981
Zur Behandlung dünnwandig geschlossener Konstruktionen
mit einer verallgemeinerten halbmomentenireien
Sd'lalentheorie nach Wlassow
Wolfgang Kissing
l. Einleitung
Dünnwandige geschlossene Konstruktionen besitzen in
Gestalt ein- und mehrzelliger Kastenträger große Verbrei‘
tung in der Fördertechnik, dem Bauwesen und dem
Schiffbau. Ihre Behandlung mit analytischen Berech-
nungsmodellen besitzt trotz vorhandener leistungsfähiger
numerischer Berechnungsverfahren nach wie vor Bedeu-
tung. Dies ist besonders dann der Fall, wenn Aussagen
über das Gesamtverhalten einer Konstruktion erforder-
lich sind, für die ein regelmäßiger Aufbau vorausgesetzt
und der Einfluß konstruktiver Details hierbei vernach-
lässigt werden kann.
Im folgenden wird das Berechnungsmodell der halb-
momentfreien Schale nach Wlassow in einer verallge-
meinerten Form vorgestellt, die sowohl die Berücksich-
tigung der sonst bei Wlassow [1] vernachlässigten Quer-
dehnungen in den Wandscheiben sowie die Behandlung
auch stationärer Temperaturlastfälle ermöglicht.
2. Voraussetzungen
Ausgangspunkt ist ein Schalenmodell nach Bild l. In der
Schale, die aus ebenen Wandelementen besteht, werden
die Längsbiege— und Torsionsmomente gegenüber den
Querbiegemomenten vernachlässigt. az und rzs sind
damit gleichmäßig, und (Is linear über ö verteilt. Neben
den Schubverformungen der Mittelfläche und den
Längsdehnungen werden hier auch die Querdehnungen
in den Wandelementen einbezogen. Für die äußeren Be-
lastungen wird angenommen, daß sie nur in den Ebenen
der Wandelemente wirken. Das stationäre Temperatur-
feld wird als Differenzfeld gegenüber einem Spannungs-
losen Ausgangszustand verstanden. Die Temperaturen
sollen über die Wanddicke gleichmäßig verteilt sein.
Zur Beschreibung der und Querdeformationen u
und v der Mittelfläche werden nach Wlassow [l] endli-
che Reihen von Produktansätzen der Form
u(z‚s) = vim-ms);
(1)n
v<z‚s>= E Vk(z)"l/k(s)
eingeführt. Die npi(s) und \llk (s) sind dabei die verallge-
meinerten Koordinaten der Längs— und der Querver-
schiebungen, Ui(z) und Vk(z) die zugehörigen verallge-
meinerten Längs- bzw. Querverschiebungen. Bei Annah-
me zwischen den Kanten linear verlaufender Längsver-
schiebungen lassen sich genau so viel unabhängige ver-
allgemeinerte Koordinaten gai definieren, wie der Quer-
schnitt Kanten aufweist. Zur Darstellung allgemeinerer
Verschiebungsgesetze erhöht sich die Anzahl der Frei-
heitsgradem entsprechend. Mit den verallgemeinerten
Koordinaten (‚141k werden sowohl die den Freiheitsgraden
des Querrahmenmecbanismus (Gelenksystem eines Ab-
schnittes dz= 1) entsprechenden Querverschiebungen
als auch die Querdehnungen der Wandelemente be-
schrieben. Bei konstanten Ansätzen fiir die Querdeh-
nungen wird damit die Anzahl der Freiheitsgrade n
gleich der doppelten Kantenzahl, liegt für allgemeinere
Dehnungsansätze jedoch entsprechend darüber.
3. Elastisches Potential der halbmomentenfreien
Schale
Für den ebenen Spannungszustand gilt unter Einbezie-
hung der thermischen Dehnungen
1
ez = ezel+atT = E(az—vas) +atT
l
es = Esel'l'atT: E(os-—vaz)+atT (2)
l 2(1+V)
'st: 7zsel. = ö Tzs = E ° Tzs
und die Umstellung nach den Spannungen ergibt
oz: l_'v2 [ez+ves—(1+v)atT]
as z Impz [€s+Vez —(1+V)°‘tTl (3)
_ E
Tzs—m 'st
67
Berücksichtigt man, daß die Normalspannungen nur
längs der elastischen Dehnungen Formänderungsenergie
speichern, erhält man für die Formänderungsenergie des
Memhranspannungszustandes der Mittelfläche
Wrm : 5 (Oz ezel. + 03m Esme]. + Tzs 7Z3)
1 E
= — [— (ef+e§m + 212€z 68m)
2 1—112
2E E2
‘ 1:7 tT‘ez*€sm‘°‘tT)+ 2717)
<4)
wim = fw;mdv=/j£w;madsdz
(v) (I)
Die Formänderungsenergie der Querbiegemomente wird
wegen der vernachlässigten Längshiegemomente
(obz : O)
W _ l f M2_ 5 Ei“ d8 dz
(1)
Unter M ist dabei das auf die Längeneinheit bezogene
Querhiegemoment zu verstehen. Entsprechend ist
I = 83/12 bzw. bei vorhandenen Querversteifungen
= I’/b mit I’ als Trägheitsmoment eines Querstreifens
der Breite b einschließlich der in b enthaltenen Verstei-
fungen.
Mit p(z‚s) und q(z,s) als verteilter äußerer Längs— und
Querbelastung wird hiernach für das elastische Potential
H = Wi—Wa=Wim+Wib—Wa
f5; E au 2 3v 2 au av
r2 (‘5‘) *(5‘) We“:(—V) z S z S
E au av
— -——aT —+——aT
l—v t in as t
E au av 2 1 M2+ (_+_.) 5+--
4(1+V) 35 3z 2 EI
— pu—qv dsdz
II
(6)
und nach Einsetzen der Produktansätze ( 1) sowie von
M = Vk<z> a Mm) (7)
mit Mk (s) als Momentenverlauf im elementaren Querrah-
men infolge Vk = l erhalten:
“{fflfim-Kg
2
+( ka’k) +2» Z; U’lel
k=1 1:
E m
E Vk W] — l—„atTD: UMk=l i:
n E
+ Vk III, —Ot T] +
g; k t 4(l+v) (8)
H.
(EUiV’N Vk‘l’k) l5
i=1 k=1
n
+ _(E VkMk —p Z Ulm]2EI :1 i:
n
_ q I; kak] dsdz
Das in [2] für die halbmomentenfreie Schale angegebene
elastische Potential weicht in den thermischen Anteilen
von (8) ab, da dort die Formänderungsenergie mit den
Gesamtdehnungen und nicht allein mit den elastischen
Dehnungsanteilen ermittelt wird.
4. Variationsprohlem und DGLSystem
Das Prinzip vorn Minimum des elastischen Potenaar‘w
fiihrt auf das Variationsproblem
[I = j F(z, Uj, U}, Vh,V'h) dzä Min. (9)
(1)
Die insgesamt m + n Eulerschen DGln. des Variations-
problem
öF d 8F
___ —‚)=0 j=l,...‚m
öU‘i dz DU].
(10)
3F d 8F
—__(—‚):0 h=1,...,navh dz aVh
ergeben das DGl.-System
m
2(l+v)[ Ug'ftpitpßds
n
+p z Vi‘fwi‘gpjöds]
k=l ‚
m
—(l—u2) Uifcpgwgöds
i:
n 2 l+v 1—122
+ EVi‘fd/k‘piöds] +(_)E(__)fp¢j
k:
24. 6T— 2(1+V) at «pj5ds = 0
j=l,...,m
m n
Z ug‘gfegwhö ds+ Ävgfikwhö ds
1:1
__ _._ V gb' w, Ö dsk k h
1-” k=1
m
+ p Z; ugrjfpi‘pglöds]
i:
+ 2(1+v)
1—1)
n Ä 1 M M— 2(1+v) Evk- —f—Mds
H E EI
+ 2(1+v) d _ 0 (11)
E q‘ph s w
at T-whzsds
h=1,...,n
mit den natürlichen Randbedingungen:
6F
513'."J
1 BF 1
=9 m— =0 (12)
O
Werden in (11) die Querdehnungen in den Wandelemen-
ten wieder vernachlässigt, dann sind sowohl alle wk = 0
und auch V = 0 zu setzen. Das dann entstehende D61.-
System
m m
2 __1 Ui9€¢i<pj5ds—__l Uifcpi‘pjéds—
l
n 2
’g‘ifwkwifideWJ-ds—
2 6T ö d O__ a _ _ s z
öz ‘p’
.—
t
j=1,...,m
m n
ÄUgftp'ilI/hö ds+ Elm; wkwha ds—
1: :
(13)
entspricht bis auf den Umstand, daß hier durch das Null.
setzen der Querkontraktionszahl konsequenterweise
E/G = 2 wird, dem von Wlassow in [1] angegebenen
DGl.-System.
Definiert man die folgenden Querschnittsgrößen und
verallgemeinerten Belastungen
üffnpjtpiöds; bjirfgojepiöds;
eifjejwköds; djszejwkads;
ehi255whegöds; {hffwi‘cpiadm
rhk=f¢hwk5as; hhkifwgwisds;
1 MM=_ h k .
Shk E} EI ds(14')
_ ‚ d . 41-. Eat 8T 5d
Pj‘fp‘pj 5’ Pj "PJ‘_ “‘5' s
* Eo:t ‚
Qhqu‘I/hds; qh=qh+———l_v Twhads
l—V v öz
dann erhält man für (11) die vereinfachte Schreibweise.
m II 1—1) n y l—V
E (Ui aji_Ui Tbji)+l;Vk (Vdjk—T ‘31:)
"Vz *~ 0 —1+ E Pj "" .l" 7 am
‚ 1 v n „1 v
i UK ein ”1“)+ 2P1; Trhk1= k=l
2 1—122—VkEhhk+(l—v)shkfl]+ E qh = 0 (15)
h=l,. ‚n
Die natürlichen Randbedingungen (12) fiihren auf die
Definition der verallgemeinerten Längs- und Querkräfte
E m n
Pj(z)=}{az¢ja ds= 142 qafiwkgvkdjk]
Eat T ö ds_ 1:? ‘pi
E m
Qh(z)= Tzslllhöds=2(l+v) Uiehi
l:
n
+ k}: Virhk] (16)
=1
die dann an dem Schalenende mit statischen Randbedin-
gungen verschwinden müssen.
Für die Spannungen in der Mittelfläche gelten die mit
(l) aus (3) leicht ableitbaren Beziehungen
69
E
uns): H2
m I1
[£12 Haw E m]k=l
E
— E tT(z,s)
E m n
osm (zvs) : 1_V2' [V Ui ‘pi + X: Vk lpk]l:
E
— i: t T(z,s)
E m i:
‚ = U. rp;+ V, ID }
TM”) 20+") 1 k=1 k k m)
Den Spannungen Osm sind noch die Biegespannungen ash
aus den Querbiegemomenten zu überlagern.
Ihre Größtwerte betragen
M ° 8
= i
70
5. Zusammenfassung
Prismatische dünnwandige ein— und mehrzellige Kasten-
träger können mit dem Berechnungsmodell der verallge-
meinerten halbmomentenfreien Schale behandelt wer—
den. Die Querdehnungen in den Wänden finden dabei
Berücksichtigung. Auch ist die Untersuchung stationärer
Temperaturlastfälle hiermit möglich.
Durch die Auswahl der verallgemeinerten Koordinaten
der Längs- und Querverschiebungen werden einerseits
die Verformungsmöglichkeiten qualitativ bestimmt und
andererseits die Struktur des entstehenden DGl.-Systems
festgelegt. Es ist zweckmäßig, voliorthogonale verallge-
meinerte Koordinaten zu verwenden und damit mögliche
Entkopplungen im DGl.-System zu erreichen.
Durch Anwendung der Methode der Anfangsparameter
lassen sich querschnittspezifisch allgemeine Lösungen
angeben. Auf der Grundlage dieser Methode ist auch die
Einbeziehung starrer Querschotte in den zu untersuchen—
den Kastenträgern in einfacher Weise möglich. Bei länge-
ren Kastenträgern führt jedoch gerade die Methode der
Anfangsparameter leicht zu numerisch instabilen Lösun-
gen, denen dann im konkreten Fall durch andere Ver-
fahren zu begegnen ist.
LITERATUR
[l]Wlassow, W. 5.: Allgemeine Schalentheorie und ihre Anwen-
dung in der Technik. Akademie Verlag Berlin 1958.
[2]Obraszow‚ I. F.2 Variacionnye metody rasceta tonkosten-
nych aviacionnych konstrukcij. Izd. Masinostroenie
Moskva 1966
Anschrift des Verfassers:
Doz. Dr.-Ing. Wolfgang Kissing
Ingenieur-hochschule, Sektion
Technologie des Maschinenbaues
2400 Wismar, Philipp-Müller-Straße