Zwei Sektionsfälle doppelseitiger zentraler Farbenhemianopsie

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Zwei Sektionsf~Ue doppelseitiger zentraler Farbenhemianopsie. Von Prof. Georg Lenz. (Aus der Universit/its-Augenklinik zu Breslau [Direkt. : Geheimrat Prof. U h t h o f f]. ) Mit 61 Textabbildungen. (Eingegangen am 30. April 1921.) Auf der 38. Versammlung der Ophthalmologischen Gesellschaft zu Heidelberg beriehtete ich tiber zwei F~lle doppelseitiger zentraler Far- benhemianopsie. Von dem einen Fall konnte ich die Praparate der vollstandigen Serienuntersuchung. des Gehirns demonstrieren, ohne dab jedoch eine ausfiihrliche Publikation bisher erfolgt ware, da ich gleich- zeitig das Ergebnis der damals noch nicht abgeschlossenen Untersuchung des Gehirns yon dem zweiten Falle zu ver6ffentlichen gedachte. Dutch meine Abwesenheit w~hrend der ganzen Dauer des Krieges und durch Materialmangel ist nun diese Ver6ffentlichung bis jetzt hinausgez6gert worden. Kliniseher Teil. Fall 1. J.K., der der Privatklientel yon Herrn Geheimrat Uhthoff ent- stammt. Der 60j~hrige Pat. bekam am 11. IX. 1909 w~hrend des Essens einen Insult mit StSrung des Bewul~tseins und Zuckungen im rechten Bein. Ins Bert gebracht erholte er sich bald wieder, klagte jedoch, dab er seine Umgebung nicht erkennen kSnne. Das Allgemeinbefinden besserte sich in den n/ichsten Tagen rasch, und das SehvermSgen kehrte wieder. Doch bemerkte er, dab das Sehen ein anderes war wie friiher, und dies veranlaBte ihn, Herrn Geheimrat Uhthoff zu konsultieren. Dieser gab mir Gelegenheit, den Pat. am 29. IX. 1909 das erstemal eingehend zu untersuchen. Es land sich eine Insuffizienz der Mitralis, sonst waren die inneren Organe gesund. Der Urin war frei. Lues nicht nachweisbar. Das Nervensystem hot einen vSllig normalen Befund. Der sehr intelligente Pat. klagt nur dariiber, dal~ ihm alles wie ,,abgeblaBt und ausgefahlt" erschiene. Der objektive Befund der Augen hot nichts Krankhaftes. Die Pupillenreaktion war prompt, der Augenhintergrund normal. Die zentrale Sehsch/~rfe betrug beiderseits e/5, feinster Druck wurde glatt gelesen. Eine wesent- lithe Herabsetzung der peripheren Sehsch~rfe lies sich nicht nachweisen. Eine charakteristische StSrung zeigte nut das Gesichtsfeld (siehe Abb. 1). In den beiden linken oberen Quadranten, peripher auch etwas auf die unteren iibergreifend, land sich ein sektorenfSrmiger absoluter Defekt unter Freilassung des macul/~ren und paramacul/s Gebietes. In diesen Gebieten, wie iiberhaupt in dem ganzen Rest der linken Gesichtsfeldh/~lften fehlte jedes Farbenunter-

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Zwei Sektionsf~Ue doppelseitiger zentraler Farbenhemianopsie. Von

Prof. Georg Lenz.

(Aus der Universit/its-Augenklinik z u Breslau [Direkt. : Geheimrat Prof. U h t h o f f]. )

Mit 61 T e x t a b b i l d u n g e n .

(Eingegangen am 30. Apri l 1921.)

Auf der 38. Versammlung der Ophtha lmologischen Gesel lschaft zu Heide lberg ber iehte te ich t iber zwei F~lle doppelse i t iger zent ra ler Fa r - benhemianops ie . Von dem einen Fa l l konnte ich die P r a p a r a t e der vo l l s tandigen Ser ienuntersuchung. des Gehirns demonst r ie ren , ohne dab jedoch eine ausfi ihrl iche Pub l ika t i on bisher erfolgt ware, da ich gleich- zei t ig das Ergebnis der damals noch n ich t abgeschlossenen Unte r suchung des Gehirns yon dem zweiten Fal le zu ver6ffent l ichen gedachte . Du tch meine Abwesenhei t w~hrend der ganzen Dauer des Krieges und durch Mater ia lmangel is t nun diese Ver6ffent l ichung bis j e t z t h inausgez6ger t worden.

Kliniseher Teil. F a l l 1. J .K. , der der Privatklientel yon Herrn Geheimrat U h t h o f f ent-

stammt. Der 60j~hrige Pat. bekam am 11. IX. 1909 w~hrend des Essens einen Insult

mit StSrung des Bewul~tseins und Zuckungen im rechten Bein. Ins Bert gebracht erholte er sich bald wieder, klagte jedoch, dab er seine Umgebung nicht erkennen kSnne. Das Allgemeinbefinden besserte sich in den n/ichsten Tagen rasch, und das SehvermSgen kehrte wieder. Doch bemerkte er, dab das Sehen ein anderes war wie friiher, und dies veranlaBte ihn, Herrn Geheimrat U h t h o f f zu konsultieren. Dieser gab mir Gelegenheit, den Pat. am 29. IX. 1909 das erstemal eingehend zu untersuchen.

Es land sich eine Insuffizienz der Mitralis, sonst waren die inneren Organe gesund. Der Urin war frei. Lues nicht nachweisbar. Das Nervensystem hot einen vSllig normalen Befund.

Der sehr intelligente Pat. klagt nur dariiber, dal~ ihm alles wie ,,abgeblaBt und ausgefahlt" erschiene. Der objektive Befund der Augen hot nichts Krankhaftes. Die Pupillenreaktion war prompt, der Augenhintergrund normal. Die zentrale Sehsch/~rfe betrug beiderseits e/5, feinster Druck wurde glatt gelesen. Eine wesent- lithe Herabsetzung der peripheren Sehsch~rfe lies sich nicht nachweisen. Eine charakteristische StSrung zeigte nut das Gesichtsfeld (siehe Abb. 1).

In den beiden linken oberen Quadranten, peripher auch etwas auf die unteren iibergreifend, land sich ein sektorenfSrmiger absoluter Defekt unter Freilassung des macul/~ren und paramacul/s Gebietes. In diesen Gebieten, wie iiberhaupt in dem ganzen Rest der linken Gesichtsfeldh/~lften fehlte jedes Farbenunter-

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scheidungsvermSgen. Die rechten Gesichtsfeldh/ilften zeigten keinerlei absolute Defekte. Doch fand sich auch hier eine sehwere StSrung des Farbensinnes. Nur in einem an der Mittellinie gelegenen unteren Sektor unter Einbeziehung eines kleinen Teiles des macul/iren Gebietes auch oberhalb der Horizontalen liefl sieh ein gewisses FarbenunterscheidungsvermSgen nachweisen, das peripherw~rts ohne seharfe Grenze bis etwa zu 30 ~ reichte; der ganze Rest der rechten H/~lften war vSllig farbenblind fiir alle ObjektgrSl3en (siehe Abb. 1). Dal3 dieses Gesichtsfeld nur als doppelseitige Hemianopsie zu deuten ist, bedarf keines Beweises.

In dem erw/ihnten Sektor zeigte sieh nun eine ausgesprochene StSrung des Farbensinnes im Sinne einer erheblichen Heraufsetzung der Schwellenwerte. Blasse Farben und ges/ittigte in kleinen Feldern bis 2 mm SeRe wurden trotz der

C O S F a l l 1. J . K .

x l I

vi

C O D

xlI

U vI

Abb. 1. Gesiehtsfeldschema nach Dr. H i r s e h b e r g. - - Grenze fiir Weifl, . . . . Grenze fflr Rot,

,, ,, Blau, ............ ,, ,, Grfin. (Priifung mit Quadrat-Papierstiicken yon 10 mm Seite auf 12"' Abstand.)

Orthographisehe Projektion um den Fixierpunkt. m M a r io t t e s blinder Fleck ; COD Campus oculi dextri, COS Campus oeuli sinistri, L laterale, M mediale Seite.

guten Sehsch~rfe iiberhaupt nicht erkannt, sie erschienen dem sehr intelligenten Pat. als ein Grau verschiedener Helligkeit. Perimeterobjekte yon 10 mm Seite wurden, abgesehen yon Griin, bei guter Beleuchtung meist richtig benannt, Unsicherheiten und Fehler kamen jedoch 5fter vor. Die Untersuchung mit Woll- proben ergab ein entsprechendes Resultat. Schwere Verwechselungen waren konstant bei den wenig ges/ittigten Nuancen, trod zwar aus allen Teilen des Spek- trums. Leuchtendere Farben, auBer Griin, wurden meist richtig differenziert. Die roten TSne wurden relativ noch am sichersten zusammengelegt.

Bei der Untersuchung am Anomaloskop wurde fiir die Rayleighgleiehung dasselbe Miscbungsverhiiltnis wie beim Normalen anerkannt. Eine Rot-Gelb- gleichung wurde nicht eingestellt, dagegen regelm/Ll3ig eine Griin-Gelbgleichung

Im Spektrum lag die hellste Stelle etwa wie beim normalen. Ebenso liel3 sieh eine Alteration der Adaptationskurve nicht nachweisen.

4 Wochen vor dem Tode, der im September 1910 an Herzsehw~tche erfolgte, habe ich den Pat. nochmals untersueht und konnte denselben Gesichtsfeldbefund

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v ie am 29. IX. 1909 erheben. Die FarbensinnstSrung war unver~ndert geblieben, Pat. klagte nach wie vor fiber die Fahlheit der optischen Eindrficke.

Es wurde mir nut gestattet, das Gehirn herauszunehmen, w~hrend die Sektion des iibrigen KSrpers unterbleiben muBte.

F a l l 2. W.V., 62 Jahre alter Mann, frfiher Schneidermeister. Pat. wurde am 19. VI. 1911 in das Dresdener Stadtkrankenhaus Johannstadt

aufgenommen. Er hat angeblich mit dem linken Auge immer gut gesehen, dan rechte Auge soll schon seit langem schw~cher sein. Die Farben hat er in seinem Berufe immer einwandfrei unterscheiden k5nnen. Vor 13 Jahren erlitt er einen Schlaganfall, die linke Seite war gel~ihmt, die Sprache war angeblich gestSrt. Im Sommer 1910 erkrankte er an einem Nierenleiden, und seit dieser Zeit soll das SehvermSgen allm~hlich abgenomraen haben. Der Dresdener Augenarzt Dr. Gei s, dessen liebenswiirdiger Vermittlung ich diesen Fall verdanke, konstatierte im Juli 1911 einen Ausfall des Farbensinnes auf beiden Augen und eine ausgesprochene Nyktalopie. Er veranlaBte die Oberffihrung des Pat. in die Breslauer Universit~ts- Augenklinik zwecks eingehender Analyse der SehstSrung.

Pat. wurde dort am 13. VII. 1911 aufgenommen und ich hatte Gelegenheit, ihn bis zum 8. VIII. 1911 in klinischer Beobachtung t~glich auf das genaueste zu untersuchen.

Pat. war ein blasser magerer Mann. Im Urin fanden sich Spuren yon Albumen. Der Wassermann war positiv. Neurologisch fanden sich die iiblichen Residuen einer linksseitigen Hemiplegie, die Sprache war vollkommen normal.

Die rechte Pupille war eine Spur weiter als die linke, beide waren leieht entrundet. Die Liehtreaktion fehlte, die Konvergenzreaktion war prompt. In der rechten Macula land sich eine Gruppe kleiner gelblicher Herdchen, sonst waren beiderseits der Hintergrund, insbesondere auch die Papillen vSllig normal.

Die Refraktion war beiderseits - - 0 , 7 5 D. Schon Dr. Geis hatte eine erhebliche Differenz der Sehschiirfe je nach der

Beleuchtung konstatiert. Pat. klagte fiber starkes Blendungsgefiihl, so dal~ ,,die Helligkeit ihm die Augen zudriickte". Bei vollem Tageslicht betrug die Seh- seh~rfe rechts Fingerz~hlen in 1/2 m, links in 2 m Entfernung, im leicht abgedunkelten Raum war jedoch mit Korrektion Sr. Fingerz~hlen in 3 m, S1. 1/3. In der N~he wurden mit + 4 in 25 cm gelesen: reehts Snellen 3,5, links Snellen 0,6.

Die Gesichtsfeldpriifung (siehe Abb. 2) ergab zuniichst fiir das rechte Auge ein nicht ganz scharf zu begrenzendes absolutes zentrales Skotom yon etwa 10 ~ Gesamtausdehnung. Es mag dahingestellt bleiben, ob dies auf die erw~hnten Maculaherde zurfickzuffihren ist, oder ob es sich um eine kongenitale Amblyopie handelt. Pat. konnte nur angeben, dal3 er schon lange auf dem rechten Auge schlechter s~he. Die Peripherie fiir Wei~ war vSllig ffei; es fanden sich nirgends Skotome.

In der rechten Gesichtsfeldh~lfte, nach unten aul3en, an das zentrale Skotom anschlieBend wurden rote und blaue Perimeterobjekte yon 5 em Seite manchmal unsicher erkannt, an anderen Tagen wieder nicht. Eine exakte Abgrenzung war nicht mSglich. Das ganze tibrige Gesichtsfeld war immer vSllig farbenblind. Das Gesichtsfeld des l i n k e n Auges zeigte ebenfalls freie periphere Grenzen fiir Weft] und keinerlei Skotome. In einem Viertelsektor der Macula des rechten un- teren Quadranten, bis etwa 4 ~ Ausdehnung wurden z e i t w e i s e Objekte yon 1 cm Seite erkannt, und zwar Rot (als Braun) und Blau, niemals Griin. Die peri- phere Grenze dieser Insel war keine ganz scharfe und wechselte etwas bei wieder- holter Priifung. In der linken Gesichtsfeldhi~lfte und im oberen rechten Qua- dranten wurden Farben irgendwelcher S~ttigung und Fl~tchenausdehnung zu keiner

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1 3 8 G. Lenz :

Zei t e rkann t . Wie i m 1. Fal l k o n n t e a u c h dieses Gesichtsfe ld n u r als doppe]sei t ige H e m i a n o p s i e angesp rochen werden. Die pa razen t ra le u n d per iphere Sehscharfe , bei vol lem Tages l i ch t geprt if t , zeigte besonders in den l inken Ges ich t s fe ldha l f t en e ine deu t l i che H e r a b s e t z u n g .

Die P r i i fung der A d a p t a t i o n n a c h H e l l a d a p t a t i o n wurde b inoku la r a m FSrs ter- s c h e n P h o t o m e t e r v o r g e n o m m e n , sie e rgab folgendes R e s u l t a t :

0 Min. - - l0 Min. 14 m m 20 Min. 81/2 m m 2 ,, - - 12 ,, 12 ,, 22 ,, 81/2 ,, 4 ,, 3 0 m m 14 ,, 10 ,, 24 ,, 81/2 ,, 6 ,, 20 ,, 16 ,, 9 ,, 30 ,, 8 ,, 8 ,, 16 ,, 18 ,, 81/2 ,, 40 ,, 8 ,,

COS F a l l 2. W. V. COD

x I I . x I

x II

w ~ v "vi vi

Abb. 2. Gesichtsfeldschema naeh Dr. ] t i r s c h b e r g . - - Grenze fiir Weii3, . . . . . Grenze ffir Rot,

. . . . Blau, - . . . . . . . . . ,, ,, Griin. (Priifung mit Quadrat-Papierstiicken yon 10 mm Seite auf 12" Abstand.)

Orthographische Projektion um den Fixierpunkt, m M a r i o t t e s blinder Fleck ; COD Campus oculi dextri, COS Campus oculi sinistri, /, laterale, M mediale Seite.

W ~ h r e n d die Empf ind l i chke i t also anfi inglich leidlich g u t ans te ig t , e r re icht sie se lbs t n a c h langer A d a p t a t i o n n i ch t die Le is tungsf~higkoi t des N o r m a l e n m i t e t w a 2 ram. Die P r i i fung der Un te r sch i edsempf ind l i chke i t a n der Massonschen Scheibe bei yeller B e l e u e h t u n g e rgab ebenfal ls eine erhebl iche Un te r l egenhe i t gegeni iber d e m Normalen .

Die P r t i fung der zei t l iehen Un te r sche idungs f~h igke i t fiir per iodische Reize erfolgte an e iner ro t i e renden Scheibe (Episkot i s te r ) m i t g le ichm~Bigen weil~en u n d sehwal"zen Sektoren. Fiir den Pa t . war bei z u n e h m e n d e r Sehnel l igkei t der R o t a t i o n die S te t igkei t der E m p f i n d u n g l~ngs t erreieht , wi ihrend der Norma le n o c h den E i n d r u c k s t a r k e n F l i m m e r n s ha t t e . Bei A b n a h m e der U m d r e h u n g s - geschwind igke i t zeigte sich die gleichc s t a rke V e r m i n d e r u n g der zei t l ichen Un te r - sche idungsf~higke i t .

Besonders i n t e r e s s a n t ges ta l t e t e sieh n u n die e ingehende u n d vie lmals w i d e r - hol te P r i i fung des Fa rbens innes . Es m u 6 als besonders cha rak te r i s t i s ch hervor -

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gehoben werden, da[~ das FarbenunterscheidungsvermSgen erheblichen Schwan- kungen unterworfen war. Pat. hatte trotz einwandfreier Aufmerksamkeit sog. gute und sehlechte Tage. Als ein giinstiger Zufall ist das Bestehen des zentralen, absoluten Skotoms auf dem rechten Auge zu bezeiehnen. Auf diesem wiire in analoger Weise wie auf dem linken Auge, da das Krankheitsbild ja zweifellos als doppelseitige Hemianopsie anzuspreehen ist, eine kleine zentrale Farbeninsel in dem unteren rechten Quadranten zu erwarten. Diese aber wird nun durch das zentrale Skotom verdeckt, und so war es auf dem rechten Auge mSglich, vSllig ungestSrt das Verhalten der parazentralen und peripheren Gesichtsfeldpartien zu untersuchen.

Hinsichtlich der Priifung des Farbensinnes wurden folgende Methoden an- gewendet:

1. Betrachtung eines mit dam Projektionsapparat entworfenen Spektrums yon 10 cm H6he und 40 cm L/inge.

2. Es wurde ein Spektrum vorgelegt, das aus Pigmentfarbenpapierschnitzeln yon 21/2 cm Breite und 6--7 cm HShe auf grauem Untergrund hergestellt war. Pat. hatte aus farbigen und grauen Papierstiicken aller Nuancen ein analoges Spektrum zusammenzulegen.

3. Prtifung am Anomaloskop. 4. Herstellung yon Gleichungen am Farbenkreisel. (Innerer Ring 2 cm,

/iuBerer 21/2 cm breit.) 5. Bestimmung yon Farbenschwellen mit dem Machschen Kreiseh neutral-

graue Scheibe yon l0 cm Durchmesser, unter dieser ein mit der Periplierie ab- schneidender Farbenring yon 21/2 cm Breite. Von diesem Ring kann durch einen Schlitz der grauen Scheibe hindurch ein ws der Rotation yon 0--270 ~ vari- abler Sektor dem Grau zugemischt werden, derartig, dab auBen ein Farbenring sichtbar wird, der ein variables Gemisch aus Grau und der verwendeten Farbe darstellt. Die inhere Scheibe bleibt naturgem/il~ objektiv unvers grau.

6. Priifung mit Holmgreenschen Wollproben. Zur Fixierung der Resultate wurden die zusammengelegten Gruppen nach dem Verfahren yon L u m i 6 r e farbig photographiert.

7. Stillingsche Tafeln. 8. Nagelsche TKfelchen. Es wurde fast ausschliel~lich jedes Auge ftir sich gepriift und bei jeder Priifung

das Verhalten des Normalen notiert. Die jetzigen aul~erordentlich hohen Kosten farbiger Reproduktionen gestatten leider nicht die Wiedergabe der verwendeten Grundfarben, der besonders instruktiven, ausgelegten Spektren und der farbig photographierten Wollproben.

R e c h t e s Auge . 1. Keine Verkiirzung des Spektrums. Pat. gibt an, in der Gegend des Rot und Orange ,,etwas gelblich", am Ende des Blau ,,hellbls zu sehen. Sonst erscheint ihm das Spektrum als ,,hellgraues Band". D ie h e l l s t e S t e l l e i s t g a n z a u f f a l l e n d w e l t n a c h d e m k u r z w e l l i g e n E n d e ve r - s c h o b e n , sie l i e g t in de r G e g e n d des Gr i i n bis B l a u g r i i n .

2. Zu einem Spektrum yon Pigmentfarben legt Pat. ein solches aus grauen Papieren. Nut solche wurden ihm bei diesem Versuche vorgelegt; er merkt gar nicht, dab er gar keine farbigen Papiere zur Verfiigung hat. Die Abstufung der Helligkeit ist eine vorziigliche, auch bier zeigt sich die Verschiebung der hellsten Stelle nach rechts; sie liegt im Griin und bls Griin. Das Rot erscheint auffallend dunkel, fast schwarz.

3. Die Priifung am Anomaloskop verlief resultatlos, da Pat. infolge der geringen zentralen Sehseh/irfe die BeobachtungsSffnung im Okular nicht linden konnte.

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1 4 0 G. Lenz :

4. A m Farbenkre i se l w u r d e n a n e inem B e o b a c h t u n g s t a g e folgende G l e i c h u n - g e n g e f u n d e n :

XuB. Ring. Inn. Ring.

a) R o t , . .250 ~ G e l b . . . 1 9 0 ~ Schwarz . 0 ~ Schwarz .170 ~ W e i B . . 110 ~ W e i B . ~ 0 ~

b) R o t . . .250 ~ G r i i n .100 ~ Schwarz . 70 ~ Schwarz .245 ~ W e i B . . . 40 ~ W e i B . . . 15 ~

c) R o t . . .230 ~ B l a u .288 ~ Sehwarz . 80 ~ Schwarz . 40 ~ W e i B . . . 50 ~ W e i B . . . 32 ~

d) G e l b .255 ~ G r t i n .295 ~ Schwarz . 65 ~ Schwarz . 20~ W e f t ] . . . 40 ~ W e f t ] . . . 45 ~

Xul~. Ring. Inn. Ring.

e) G e l b . .225 ~ B l a u . .240 ~ Schwarz .105 o Schwarz 0 ~ Weil3 . . . 30 ~ Wel l3 . . .120 ~

f) G r i i n . . 90 ~ B l a u .245 ~ Schwarz .235~ Schwarz . 35 ~ W e i B . . . 35 ~ W e i B . . . 80 ~

g) V i o l e t t .285 ~ G e l b . . 90 ~ Schwarz . 30 ~ Schwarz .270 ~ WeiB. . . 45 ~ W e f t ] . . . 0 ~

h) B l a u g r i i n 2 3 5 ~ O r a n g e .210 ~ Schwarz . 75 ~ Schwarz . 40 ~ W e i 6 . . . 50 ~ W e i B . . . 1 1 0 ~

U n t e r s u c h u n g e n an a n d e r e n T a g e n l ieferten im Pr inz ip ~hnl iche Wer te . 5. S c h w e l l e n v e r s u c h e . a) Fiir R o t : Bis 120 ~ F a r b e n b e i m i s c h u n g er-

sche in t der iiuBere R i n g , ,e twas d u n k l e r " , yon 120 ~ bis 270 ~ wird der R i n g als , ,b laugr i in" , die innere n e u t r a l g r a u e Scheibe als , ,gelb" bezeichnet . Der vor- geha l t ene n i ch t kre isende voile R i n g wird Ms , ,b l au" bezeichnet .

b) Fi i r G e l b : S ieh t bis 270 ~ auBen wie i n n e n nm" Grau ; ebenso e r sehe in t i h m der voile Ring .

c) Fiir G r f i n : Bis 270 ~ keine F a rbe e rkann t . Der volle R ing wird als , ,grau- ge lb l ich" b e n a n n t .

d) Ftir B l a u : Von 2 0 0 - - 2 7 0 ~ wird der R i ng als , ,b laugr i in" , die innere g raue Scheibe als , ,ge lb" bezeichnet . Als i h m jedoch e twas spa re r der voile R i n g in die H a n d gegeben wird, b e n e n n t er i hn als , ,g rau-gelb l ich" .

Die u n t e r den gle ichen V e r s u c h s b e d i n g u n g e n g e w o n n e n e n d u r c h s c h n i t t l i c h e n Schwel lenwer te des 1Yormalen (ohne besondere U b u n g im Beobach ten ) s ind: F t i r R o t : 20~ G e l b : 20~ G r t i n : 30~ B l a u : 25 ~ .

6. Bei der P r i i fung m i t Wol lp roben wurde in der t ibl ichen Weise vo rgegangen , i n d e m d e m ]?at. eine F a rbe vorge legt wurde , zu der er die ana logen h e r a u s z u s u c h e n ha t t e . Die R e s u l t a t e wa ren sehr i n s t r u k t i v u n d ze ig ten in ( ~ b e r e i n s t i m m u n g m i t den ob igen Be funden , daft grobe Verwechse lungen aus a l l e n Tei len des S p e k t r u m s g e m a c h t wurden . So f inden sich z. B. bei Vorlage yon R o t in e iner Gruppe y o n 15 Str/~hnen 8 re in rote, 2 b raune , 1 dunke l ro t e m i t le icht v io le t te r N u a n c e , 1 l e u c h t e n d violet te , 1 dunkelge lb l iche , 1 dunke lgr i ine , 1 dunke lb laugr i ine . I n a n d e r e n G r u p p e n f a n d e n s ich n u r vereinzel te hel l rote TSne. Der Gr lmd fiir dieses e lekt ive Verha l t en is t wohl da r in zu suchen , daI3 d e m Pa t . das R o t ganz besonders dunke l e r sche in t (siehe 2.).

7. u n d 8. Die P r t i fung m i t den St i l l ingsehen u n d Nage l schen Tafe ln e r g a b m a n g e l s gen t igender zent ra le r Sehsch/irfe ke in ve rwer tba res Resu l t a t .

L i n k e s A u g e . 1. Das S p e k t r u m zeigte keine Verki i rzung. Pa t . g ib t an , fo lgendes zu sehen : Z ue r s t , , rSt l ich", d a n n , ,gelbl ich" ( en t sp rechend der Gegend des I~ormalen), d a n n , , h i m m e l b l a u " u n d schlieBlich , , dunke lb l au" . Die hel ls te Stelle is t zwar n i ch t so wel t wie au f d e m r eeh t en Auge, aber doch noeh im Vergleich z u m N o r m a l e n auf fa l l end weir n a e h d e m kurzwel l igen E n d e ve r schoben ; sie l ieg t im Gelbgri in bis Griin.

2. I n Ri ieks ich t da rauf , dab s ich schon bei der P e r i m e t e r u n t e r s u c h u n g in e iner Inse l das V o r h a n d e n s e i n e iner gewissen F a r b e n e m p f i n d u n g e rgeben h a t t e , w u r d e n d e m Pa t . z u m Aus legen eines S p e k t r u m s n a c h vo rge l eg t em Mus t e r n a t u r -

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Z w e i S e k t i o n s f ~ l l e d o p p e l s e i t i g e r z e n t r a l e r F a r b e n h e m i a n o p s i e . 1 4 1

gem/~B g r a u e u n d f a r b i g e P a p i e r s t t i c k e Mler N u a n c e n z u r V e r f i i g u n g g e s t e l l t . A n e i n e m s e i n e r b e s t e n T a g e l e g t e e r f o l g e n d e s S p e k t r u m :

Vorlage :

Vorlage :

Voflage :

d u n k l e s R o t

1. Z i e g e l r o t

g r i i n l . G e 1 b 6.

m i t t l . G r a u

g r i i n l . B 1 a u

lO. g r i i n l . B l a u

Z i e g e l r o t 2.

V i o l e t t

t { e l l g r i i n

7. G r i i n

H e l l b l a u 11.

d u n k l e s B l a u

O r a n g e rSt l . G e l b G e l b 3. 4. 5.

O r a n g e G e l b G r i i n

G r f i n bl/~ul. G r i i n 8. 9.

W e i B H e l l g r a u , f a s t W e i B

d u n k l e s B l a u V i o l e t t 12. 13.

H e l l b l a u . V i o l e t t

A n e i n e m a n d e r e n T a g e , a n d e m e r t i be r s c h l e c h t e r e s S e h e n k l a g t e , w u r d e n d e m P a t . n u r G r a u n u a n c e n z u r V e r f i i g u n g g e s t e l l t , u n d e r l eg t e , o h n e i r g e n d w e l c h e

E inw/~nde zu e r h e b e n , n u t a u s g r a u e n P a p i e r e n e in V e r g l e i c h s s p e k t r u m . DaB h i e r b e i n i c h t m a n g e l n d e A u f m e r k s a m k e i t d a s A u s s c h l a g g e b e n d e w a r , e r g a b s i c h a u s d e r vS l l ig e i n w a n d f r e i e n A b s t u f u n g . D a s R o t e r s c h i e n s e h r d u n k e l , w e n n a u e h e i n w e n i g h e l l e r a l s au f d e m r e c h t e n A u g e , d ie h e l l s t e S te l l e l ag i m Gr i in . J e d e n - f a l l s z e i g t e s i ch e i n e f a s t vS l l i ge U b e r e i n s t i m m u n g m i t d e m B e f u n d a m r e c h t e n A u g e .

3. D ie U n t e r s u c h u n g a m A n o m M o s k o p l i t t e r h e b l i c h d a r u n t e r , d a b P a t . i n fo lge s e i n e r G e s i e h t s f e l d s t 6 r u n g d a s l e u c h t e n d e F e l d i m m e r w i e d e r ve r lo r . E s g e l a n g d e s h a l b n i c h t e i n w a n d f r e i e , w e i l k o n s t a n t e W e r t e zu e rz ie len . E i n e y o r e N o r m M e n e i n g e s t e l l t e R a y l e i g h g l e i c h u n g e r k a n n t e P a t . a u c h a ls f i i r i h n gel- t e n d an.

4. A m F a r b e n k r e i s e l w u r d e n a n e i n e m B e o b a c h t u n g s t a g e f o l g e n d e F a r b e n - g l e i c h u n g e n g e f u n d e n :

~uIl. Ring. Inn. Ring.

a) R o t . . . 155 ~ G e l b .130 ~ S c h w a r z .110 ~ S c h w a r z . 2 3 0 ~ W e i B . . . 95 ~ W e i B . . . 0 ~

b) R o t . . . 155 ~ G r t i n . . 130 ~ S c h w a r z . 50 ~ S c h w a r z .130 ~ W e i B . . . 1 5 5 ~ W e i B . . . 1 0 0 ~

c) l%ot . . . 140 ~ B l a u . . 130 ~ S c h w a r z . 80 ~ S c h w a r z .110 ~ W e i B . . . 1 4 0 ~ W e i B . . . 1 2 0 ~

d) G e l b . . 220 ~ G r t i n . . 180 ~ S c h w a r z . 60 ~ S e h w a r z . 45 ~ w e i g . . . 80 ~ W e i B . . . 1 3 5 ~

~ul~. Ring. Inn. Ring.

e) G e l b .190 ~ B l a u . . 150 ~

S c h w a r z 9 0 ~ S c h w a r z . 45 ~ W e i B . . . 80 ~ W e i B . . . 1 6 5 ~

f) G r t i n . . 70 ~ B l a u .165 ~ S c h w a r z .215 ~ S c h w a r z . 65 ~ W e i B . . . 75 ~ W e i B . . . 130 ~

g) V i o l e t t .215 ~ G e l b . . 65 ~ S c h w a r z . 40 ~ S c h w a r z . 2 0 5 ~ W e i B . . . 1 0 5 ~ W e i B . . . 90 ~

h) B l a u g r i i n l 6 0 ~ O r a n g e . 1 0 0 ~ S e h w a r z .100 ~ S c h w a r z . 70 ~ W e i f l . . . 100 ~ W e i B . . . 190 ~

g e r i n g e r e r S / i t t i - I m V e r g l e i c h z u m r e c h t e n A u g e z e i g t s ich , daI] n u r be i r e l a t i v g u n g d e r l % r b e n e ine G l e i c h u n g m S g l i c h i s t .

A n e i n e m a n d e r e n T a g e w u r d e n f o l g e n d e G l e i c h u n g e n a n g e g e b e n :

a) R o t . . . 180 ~ = S c h w a r z .110 ~ W e i B . . . 1 8 0 ~ . . 250 ~

b) O r a n g e .180 ~ = S c h w a r z . 90 ~

W e i B . . . 1 8 0 ~ . . 270 ~ c) G e l b . . 360 ~ = S c h w a r z . 90 ~

W e i B . . . 0 ~ . . 270 ~

d) G e l b g r t i n 3 0 0 ~ = S c h w a r z .110 ~

W e i B . , . 60 ~ . . 250 ~

e) G r t i n . 1 8 0 ~ S e h w a r z . 80 ~

W e i B . . . 1 8 0 ~ . . 280 ~

f) B l a u g r t i n 1 5 5 ~ = S c h w a r z . 90 ~ W e i l ] . . . 2 0 5 ~ . . 270 ~

g) B l a u .100 ~ = S c h w a r z 70 ~ W e i ] . . . 2 6 0 ~ . . 2 9 0 ~

h) V i o l e t t . 7 0 ~ 70 ~ W e i $ . . . 2 9 0 ~ . . 290 ~

Page 8: Zwei Sektionsfälle doppelseitiger zentraler Farbenhemianopsie

142 G. Lenz :

5. Schwel lenvers uche. a) Ftir Rot: Bei 70 ~ erscheint der Ring ,,bls bei 160 ~ ,,rOtlich". Das inhere neutralgraue Feld wird durchweg als weiI~ bezeichnet.

b} Ftir Gelb: Bei 140 ~ wird der Ring ,,gelblich", die Mitre erscheint etwas heller.

c) Fiir Gri in: Bei 150 ~ erscheint der Ring ,,bl~ulich" und bleibt bis zum vollen Umfang, innen immer ,,hellgrau".

d) Fiir Blau : Bei 130 ~ erscheint der Ring ,,bls die Scheibe ,,aschgrau". Von 170 ~ an bezeichnet er das Zentrum als ,,hellgelb". (Normalwerte siehe oben.)

Bei den wiederholt vorgenommenen Priifungen ergaben sich recht wenig iibereinstimmende Resultate, im ganzen scheinen mir die obigen Werte das Maxi- mum der optischen Leistung darzustellen. Beachtenswert erscheint mir das Fehlen bzw. sehr sp~te Auftreten der fiir den Normalen bei dieser Versuchsanwendung sehr pr/~gnanten Kontrastf/irbung der inneren neutralgrauen Scheibe. Vom Nor- malen wird die Kontrastfarbe nicht selten friiher wahrgenommen als die objektive Farbe.

6. Bei der Priifung mit Wollproben zeigte sich wie am rechten Auge, dab die roten T6ne relativ am besten herausgefunden wurden; z. ]3. wurden bei Vor- lage yon Rot in einer Gruppe yon 14 StrKhnen zusammengelegt: 9 Rot verschie- dener Helligkeit, 2 Rot mit leicht violettem Ton, 2 Dunkelgriin, 1 Dunkelgelb. In anderen Gruppen traten wieder Verwechselungen aus allen Teilen des Spektrums zutage, nut dab hier rote TOne (in erster Linie warenes hellrosa T6ne) sehr ver- einzelt vertreten waren. Ges~ttigtere rein blaue TOne wurden niemals mit rein roten T6nen zusammengelegt, dagegen regelmKi~ig auch mit gesittigtem Gelb und Griin. Die Helligkeit war in den einzelnen Gruppen gut abgestimmt und entsprach im wesentlichen den besonderen Verhs wie wir sie oben bei dem Ergebnis der Spektralpriifung fanden.

7. Von den 15 Tafeln (der 13. Auflage 1910) der pseudoisochromatischen Tafeln yon S t i l l i n g wurden nur gelesen die Nummern 1, 14 und 15; die tibrigen konnten nicht entziffert werden. (Die Tafeln 1, 14 und 15 der 13. Auflage ent- sprechen den Gruppen 1, 11 und 12 der 14. Auflage.)

8. Die Priifung mit den Nagelschen TKfelchen zeigte ebenfalls die schwere FarbensinnstOrung in roller Ubereinstimmung mit den obigen Ergebnissen. Ich verzichte deshalb auf die Wiedergabe der ]angen Protokolle im einzelnen.

Ohne dab sich beziiglich der SehstOrung etwas ges hKtte, starb Pat. am 27. VI. 1912 unter den Erscheinungen einer Meningitis.

Eine Analyse der Farbens inns tOrung beider F~lle ergibt olme weiteres, dai~ diese mit anomaler Trichromasie und Dichromasie nichts zu t u n hat. Insofern als bei beiden Fi~llen die St6rung a l l e Teile des Spektrums betraf, l~f3t sich ein gewisser Vergleich nur mi t der kon-

geni ta len to ta len Farbenb l indhe i t anstellen.

I m ersten Fall ist die Al tera t ion des Farbens innes in der rest ierenden

Insel geringer als im zweiten Fal le ; sie ist am besten als eine Herauf- setzung der Schwellenwerte zu charakterisieren. Eine v611ige Achro- masie t ra t nu r bei kleinen Feldern, bei grOl~eren nur bei erheblicher

He rabminde rung der S~t t igung zutage. Grfin jedoch wurde f iberhaupt

n icht e rkannt . Andere Analogien zu den charakterist ischen Merkmalen

der kongeni ta len tota len Farbenb l indhe i t als die Farbens inns tOrung in allen Teilen des Spektrums wurden n icht gefunden, insbesondere auch keine Verschiebung der Helligkeit.

Page 9: Zwei Sektionsfälle doppelseitiger zentraler Farbenhemianopsie

Zwei Sektionsfiille doppelseitiger zentraler Farbenhemianopsie. 143

Ffir den zweiten Fall ist zuni~chst als charakteristisch hervorzuheben das erhebliche Schwanken der Funktion von einem gewissen Rest des Farbensehens bis zur vSlligen Achromasie, das oft an ein und dem- selben Tage zu beobachten war. Es deutete bereits im Leben darauf hin, dait der zugrunde liegende Prozeft nicht abgesehlossen war und dal~ Zirkulationsschwankungen dabei eine wesentliche Rolle spielen mul]ten (s. anatom. Teil). Abet selbst an den besten Tagen lieften sich bei entsprechender Herabminderung der Si~ttigung auch ffir das bessere linke Auge Farbengleiehungen aus allen Teilen des Spektrums dar- stellen. Auf die besonderen Beobachtungsbedingungen des rechten Auges infolge Fehlens des zentralen Sehens wurde oben hingewiesen.

Je vollstiindiger die Achromasie in die Erseheinung trat (insbeson- dere also am reehten Auge), um so deutlicher dokumentierte sich eine vSllige l]bereinstimmung mit einem der charakteristischsten Merkmale der kongenitalen totalen Farbenblindheit, ni~mlich der erheblichen Verschiebung des Helligkeitsmaximums nach dem kurzwelligen Teil des Spektrums und dem geringen Helligkeitswert des langwelligen Teils. Diese auffallende Tatsache wurde nicht einmal, sondern immer wieder konstatiert. Bemerkenswert ist aueh die ~bereinstimmung beziiglich der sehr stSrenden subjektiven Liehtscheu und der erheb- lichen Besserung der Sehschi~rfe bei herabgesetzter Beleuehtung; ferner bezfiglich der Untersuchungsergebnisse mit der Massonschen Scheibe und dem Episkotister. Eine wesentliche Differenz besteht je- doch im Verhalten der Adaptation. Unser Patient war dem Normalen erheblich unterlegen, wi~hrend wir bei kongenitaler Farbenblindheit im Gegenteil gew5hnlich eine erhebliche l]berlegenheit konstatieren kSn- nen. Eine Ausnahme macht jedoch ein Fall U h t h o f f s (Ein weiterer Beitrag zur angeborenen totalen Farbenblindheit, Zeitsehr. f. Psychol. u. Physiol. d. Sinnesorgane 27, 344), Lehrer F. K., der bei den Unter- suchungen am Photometer und der Massonschen Scheibe eher hinter dem Normalen zurfickblieb.

In allen anderen Punkten bleibt aber eine augallende l~berein- stimmung mit der kongenitalen totalen Farbenblindheit bestehen, und wenn die Dupliziti~tstheorie zu Reeht besteht, w~ren wir zu der An- nahme berechtigt, daft im vorliegenden Fall durch einen pathologischen Hirnprozeft in erster Linie die Funktion des Zapfensystems als beson- ders empfindlich schwer gesehi~digt bzw. zeitweilig vSllig ausgeschaltet wurde. Daffir wfirde aueh die Herabsetzung der zentralen Sehsch~rfe auf ein Drittel selbst bei gfinstigsten Beleuchtungsbedingungen sprechen. Das St~bchensystem erscheint wesentlieh widerstandsf~higer; die nicht sehr hochgradige Schi~digung der Adaptation deutet jedoch darauf hin, daft aueh hier eine leiehte Hemmung der Reizleitung, bzw. Perzeption vorliegt.

Page 10: Zwei Sektionsfälle doppelseitiger zentraler Farbenhemianopsie

144 G. Lenz :

Die per iphere Sehsch~trfe wurde leider nu r bei vol lem Tagesl icht , das n ich t dem O p t i m u m der Be leuchtung en tsprach , gepr i i f t ; es is t j edoch anzunehmen, dal3 sie auch bei he rabgese tz te r Be leuch tung ebenso wie das zentra le Sehen v e r m i n d e r t war.

Auf die L i t e r a t u r e inzugehen er i ibr igt sich, weil ers t vor kurzem yon W i l b r a n d und S a e n g e r (Neurologie des Auges 7, 1917) das kasu is t i sche Mater ia l zusammenges te l l t worden i s t ; ich verweise auch au f meine Dars te l lung der Hemiach roma tops i e in v. Graefes Arch. f. Oph tha lmol . 72, 1909.

Das bisherige, i iberaus sp~rliehe, nur makroskopische Sekt ions- ma te r i a l h a t eine K1/~rung n ich t zu br ingen ve rmoch t ; eine Bea rbe i tung nach modernen Un te r suchungsmethoden l iegt bisher noch n ich t vor.

Anatomischer Tell.

Makroskopische Betrachtung und Serienuntersuehung an Palsehnitten. F a l l 1. J .K . Das Gehirn wurde dutch einen Sagittalschnitt in seine beiden

Hemisph~ren zerlegt und frisch photographiert. Die Occipitalspitze und einige sehr donne Scheiben beider Hinterhauptslappen (Frontalschnitte) wurden zu Nissl- und Fibrillenf~rbung verwendet, der Rest des Gehirnes wurde nach Celloidin- einbettung in liickenloser Serie nach Pa l gef~irbt.

R e c h t e H e m i s p h g r e . Auf der Innenfl~che unterhalb des Sehsph~ren- gebietes und weiter nach vorn zu sieht man makroskopisch einen im wesentlichen das Gebiet des Gyrus fusiformis einnehmenden, eingesunkenen, sehr ausgedehnten Mten Erweichungsherd (Abb. 4)i die Au]enfl~ehe zeigt keine makroskopischen Ver/inderungen.

S e r i e n u n t e r s u e h u n g (F~rbung naeh Pal) : In der 0ccipitalspitze (far Zellf~rbung bearbeitet) ist die Rindenkonfiguration makroskopisch vSllig intakt. Erst etwa 2 cm yon der Spitze nach vorn zu beginnt eine Destruktion des Gyrus fusiformis (/), die zun/iehst nur oberflachlich ist (Abb. 5), die aber bald die ganze Windung zerstSrt und weiter nach vorn zu auch die untere Partie des Gyrus lingualis (1) erheblich in Mitleidenschaft zieht. (Abb. 6---14). Die durch den Gennarischen Streifen gekennzeiehnete Sehrinde ist in dem hinteren 1/4 der Fissura calcarina (vom Zusammenflug derselben mit der Fiss. parieto-occipitalis []. p.-o.] an gereehnet) makroskopisch erhMten. An Palschnitten erkennt man besonders die untere Grenze leicht daran, da6 sieh das Ende des Gennari dach- ziegelartig fiber eine tiefer gelegene Kontur heriibersehiebt (z. B. Abb. 8 bei 1). Weiter nach vorn zu, im hintersten Absehnitt des vorderen 1/4 der Calcarina, fehlt anseheinend in relativ geringer Ausdehnung, knapp 1/2 cm, ein Stiickchen Sehrinde im unteren Absehnitt des Gyrus lingualis (Abb. 9 bei l). In Abb. 10 und weiter nach vorn zu, nach Vereinigung der Fiss. calc. mit der Fiss. parieto-oceip. (]. p.-o.) zur Fiss. hippocampi (]. h.) ist die untere Grenze der Sehrinde dann wieder deutlieh siehtbar.

Besonders in das Auge fallend sind die schweren Ver/~nderungen des Markes. Bis zum Occipitalpol hin ist das zentrale Mark, besonders etwas unterhalb der Mitre des Bodens der Fiss. calc. (]. c.), h6chstgradig geliehtet (siehe Abb. 5). Das Mark des Gyrus fusifornfis (]) ist, wie die Serie zeigt, in dessen ganzer Aus- dehnung yon hinten bis vorn vSllig zugrunde gegangen. Etwa 2 em (Abb. 6) vor dem Pol beginnend und weiter nach vorn zu spaltet sich das Marklager des Gyrus lingualis (1) in der Mitre auf. Die untere H/~lfte sequestriert sich vollst/indig

Page 11: Zwei Sektionsfälle doppelseitiger zentraler Farbenhemianopsie

Zwei Sektionsflille doppelseitiger zentraler Farbenhemianopsie. 145

r

A

Z. f. d. g. Neur. u. Psych. LXXI. 10

Page 12: Zwei Sektionsfälle doppelseitiger zentraler Farbenhemianopsie

146 G. Lenz :

und vcrliort jede Verbindung mit dem zentralen Mark, so dab der untere Teil der noch erhaltenen Sehrinde des Gyrus lingualis zweifellos funktionell ausgeschaltet ist (siehe Abb. 6--8; Gegend bei l). In Abb. 9 fehlt, wie bereits erw~hnt, am

Abb. 5. Abb. 6.

Abb. 7. Abb. 8.

scheinend der unterste Teil der Sehrinde. Im vordersten Abschnitt der Fiss. talc. und innerhalb der ~iss. hypoc., wo die Sehrinde zwar wieder in ganzer Ausdehnung sichtbar ist, ist jedoch der zugehSrige subcorticale ~arkstreifen, besonders ~uch am Grunde und im Verh~ltnis zur Ausdehnung des versorgten Rindengebietes, hSchst diirftig. Im vordersten Abschnitt des Sehsph~rengebietes (Abb. 12--14)

Page 13: Zwei Sektionsfälle doppelseitiger zentraler Farbenhemianopsie

Zwei Sektionsfitlle doppelsei t iger zentraler Farbenhemianopsie. 147

Abb. 9. Abb. 10.

Abb. 11. Abb. 12.

10"

Page 14: Zwei Sektionsfälle doppelseitiger zentraler Farbenhemianopsie

=2

Page 15: Zwei Sektionsfälle doppelseitiger zentraler Farbenhemianopsie

Zwei Sektionsfalle doppelseitiger zentrater Farbenhemianopsie. 149

tritt zudem nach innen veto obersten Teil der Sehstrahlung ein anderer tlef- gelegener groBer Herd auf, der einen AnschluB des subeortiealen Markstreifens an das zentrale Mark unmSglich macht.

Die Sehstrahlung ist vieliach yon ldeineren, atrophischenFlecken durchsetzt. Von Abb. 10 ab naeh vorn zu ist der unterste Toil, die winkeliSrmige Umbiegungs- stelle nach innen hin, zugrunde gegangen. Vor Auftreten des Balkens ist die Seh- strahlung in ihrer Konfiguration wiederhergestellt, man sieht dann jedoch noch im unteren Abschnitt einen atrophisehen Streifen, der sich allmahlieh welter naeh vorn zu verliert (Abb. 15). Der bereits erwahnte Herd in derGegend der Abb. 13 und 14 ziehb auch den obersten Abschnitt der Sehstrahlung nieht unwesentlieh in Mifleidensehaft.

Die Schwere der Ver~nderungen in ihrer Gesamthei t ges ta t te t als funktionell ausgeschaltet zu bet rachten etwa 2 cm yon dem Occipitalpol beginnend zun~chst den an der Oberfl~che gelegenen unters ten Ab- schni t t der Sehsphi~re, weiter nach vorn zu dann auch die untere Innen- wand derselben und schlieBlich im allervordersten Abschni t t den ge- samten, bier sehr kleinen Bezirk der Sehrinde. Es diirfte keinem Zweifel unterliegen, dab dieser Ausfall mit dem absoluten Gesichts- felddefekt in Zusammenhang zu bringen ist, der in dem linken oberen Quadranten gefunden wurde und der sich in der i~uBersten Peripherie auch etwas in die untere HMfte herabsenkte (s. Abb. 1).

Der Fall ist somit wieder ein einwandfreier Beweis ffir die tats~ch- liche Richtigkeit der sog. vert ikalen Projektion, dab n~mlich die obere Hglfte der Sehsph~trengebietes zu der oberen Retinalhglfte, die untere zu der unteren Retinalh~lfte in Beziehung steht. Die Tatsache ferner, dab das gesamte maculi~re Gebiet, auch das der oberen Gesichtsfeld- hMfte, wohl geschgdigt, aber nicht vSllig ausgefallen war, beweist, dal3 die zentrale Ver t re tung der Macula nicht im vorderen Abschni t t der Sehsph~re gelegen sein kann, wie ich das gegeniiber anderen Anschau- ungen immer behaupte~ habe (s. Graefes Arch. f. Ophthalmol. 72 und Heidelberger KongreB 1920).

Die Beziehung der anatomischen Ver~nderungen zu der Farben- sinnstSrung wird unten im Zusammenhang besprochen werden.

L inke He misphare . In fast vSlliger Symmetrie zur rechten Hemisphare findet sich auf der Innenfl~ehe, makroskopisch sichtbar, ein langlicher Erweiehungs- herd, der im wesentliehen das Gebiet des Gyrus fusiformis einnimmt (Abb. 3). Er beginnt etwa 1 cm vor dem Oecipitalpol und reieht mit seinem i~u{3ersten Aus- laufer bis etwa 2 cm vor dem ZusammenfluB yon Fiss. cale. und tOiss, parieto-oeeip. Der Herd ist nicht so breit wie der in der linken Hirnhalfte. Die Aui]enflache zeigt keine makroskopisehen Veranderungen.

S e r i e n u n t e r s u e h u n g (Farbung nach Pal): Im Oeeipitalpol (letzter Zenti- meter) ist die Rindenkonfiguration erhalten. Dann keilt sieh der Erweichungs- herd zwischen Gyrus lingualis und fusiformis ein, yon ersterem die untere Halite, yon letzterem zlmachst die obere Halite affizierend, weiter nach vorn zu ihn fast vSllig zerstSrend. Die Pal-Serie (Abb. 16--26) beginnt bei 2 cm. An der Einmiindung der Fiss. par.-occip, in die Fiss. ealc. (Abb. 23) ist der Herd dann nut noch sehr schmal und hSrt kurz vor Auftritt des Balkens auf.

Page 16: Zwei Sektionsfälle doppelseitiger zentraler Farbenhemianopsie

Abb. 16. Abb. 17.

Abb. 18.

Abb. 19. Abb. 20.

Page 17: Zwei Sektionsfälle doppelseitiger zentraler Farbenhemianopsie

Zwei Sektionsfiille doppelseitiger zentraler Farbenhemianopsie. 151

Abb. 21. Abb. 22.

Abb. '2'L Abb. 2t.

Page 18: Zwei Sektionsfälle doppelseitiger zentraler Farbenhemianopsie

1 5 2 G. Lenz :

Die S e h r i n d e i s t i i b e r a l l e r h a l t e n . In fast vSlliger Ausdehnung der Calcarina, bis auf den intakten Occipitalpol und den vordersten 1/2 cm derselben schneider die die Sehsph~re yon unten her bedr/ingende Erweichung scharf mit der sehr deutlich sichtbaren unteren Grenze der Sehrinde ab.

Das zentrale Mark ist besonders hinten, wenn auch nicht so hochgradig wie in der rechten Hirnhi~lfte, gelichtet. Das Mark des Gyrus lingualis ist yon Beginn des tIerdes an, also 1 cm vor der Occipitalspitze nach vorn zu auch hier gespalten. Die u n t e r e H/ilfte fehlt bis auf einen kleinen Rest an der Spitze der Windung, besonders in den hinteren Partien (Abb. 16--19 bei /), weiter nach vorn zu ver- kleinert sich dieser Defekt; doch bleibt, soweit das Sehgebiet reicht, eine die Ver- bindung mit dem zentralen Mark unterbrechende Lticke bemerkbar (Abb. 20---23).

Page 19: Zwei Sektionsfälle doppelseitiger zentraler Farbenhemianopsie

Zwei Sektionsflille doppelseitiger zentraler Farbenhemianopsie. 153

Die o be r e H~lite des subcorticalen Markes, die zur Sehrinde (Unterlippc der F. calc.)~ gehSrt, erscheint in der hinteren Hilfte der l~iss, calc., soweit iiberhaupt der Herd reicht (Abb. 16--18), recht gut erhalten, auch in seiner Verbindung mit dem zentralen Mark.

Etwas vor der 1VIitte der Fiss. calc. (Abb. 19 und 20) wird aui eine kurze Strecke die Umbiegungsstelle des )Sarkstreifens am unteren Teil des Grundes der Calcarina recht schmal; welter nach vorn zu ist er dann, soweit die Sehsphire reicht, sehr gut erhalten (Abb. 21--23).

Die Sehstrahlung ist wie rechts yon vielen Gef~Ben durchsetzt, im ganzen macht sie aber, besonders nach vorn zu, einen mehr gleichmiBigen Eindruck. Auch die Ver~nderungen im unteren Abschnitt sind nicht so hochgradig wie rechts.

Leider wissen wir fiber den Verlauf und die Lagerung der Seh- fasern nichts Sicheres. Man kSnnte aus der Serie den Eindruck gewin- hen, dal~ nur die untere H~tlfte des subcorticalen Markes des Gyrus lingualis, die anscheinend nut ein ~ul~erstes Stfickchen Sehrinde an der Oberfliche dieser Windung versorgt, Yon unten her, unterhalb des Ventrikels in die Gegend der sog. Sehstrahlung einmfindet, wihrend die wichtigste, weil die ausgedehnte Innenwand und einen Tell des Grundes der Calcarina versorgende obere HMfte Yon oben her ihren AnschluB an das zentrale Leitungssystem (Sehstrahlung bzw. ~Fasc. long. inf.) gewinnt.

Daffir dfirfte im vorliegenden :Fall sprechen, dal~ trotz der vSlligen Durchtrennung des horizontalen Schenkels in welter ri~umlicher Aus- dehnung in den rechten GesichtsfeldhMften niemals ein grSl~erer, zusammenhingender absoluter Defekt nachweisbar war; es k6nnte also hier keine irgendwie grSl~ere Menge Yon Sehfasern verlaufen. Bei der so variabeln Verteilung der Sehrinde auf der Hirnoberfli~che wird man aber wohl bezfiglich des ~Faserverlaufes mit erheblichen individuellen Schwankungen rechnen mfissen.

Sollte sich dig gei~ul~erte Annahme bestit igen, so mfil~te allerdings ein h5chst kompliziertes ~berkreuzungssystem bestehen, da schlie~lich wenigstens wieder welter nach vorn zu eine Lagerung im Sinne der vertikalen Projektion auch lfir die zentrale Leitungsbahu auf Grund des bisherigen Sektionsmaterials anzunehmen ist.

I m h6chsten Grade auffallend bleibt jedenfalls die grol~e Differenz zwischen den schweren anatomischen Verinderungen und der doch immerhin geringffigigen Funktionsst5rung in den rechten Gesichts- hi,If ten.

Vor der Sehsphi~re geht der Defekt des untersten inneren Teils der Sehstrahlung in eine atrophische Liehtung fiber, die sich bis weir nach vorn verfolgen lii[3t (Abb. 23 bis 26).

Fall 2. W.V. Die Sektionsdiagnose des Dresdener Stadtkrankenhauses Johannstadt lautet:

Eitrige 1)achy- und Leptomeningitis. Eitrige Tonsillitis links. Aortitis luetica.

Page 20: Zwei Sektionsfälle doppelseitiger zentraler Farbenhemianopsie

154 G. Lenz: Zwei Sektionsfitlle dol)pelseitiger zentraler Farbenhemianopsie.

Geringe Arteriosklerose der Aorta, der Coronar- und peripheren Arterien. Hypertrophie des linken Ventrikels, braune Atrophie des Herzmuskels. Geringer septiseher Milztumor. ParenehymatSse Degeneration und beginnende Schrumpfung der Nieren. Divertikel im Oesophagus. Decubitus. Stauungsleber. Osteoporose.

Die Hirnh~ute waren gespannt, Im Subduralraum land sich reichlicher, rahmiger, griin-gelber Eiter auf allen Seiten des Gehirnes, besonders reichlich beiderseits unter dem Kleinhirn. Die Hinterhauptslappen waren nur wenig be-

Abb. 27. Abb. 28.

Abb. 29. Abb. ~0.

teiligt. Her@ waren bei makroskopischer Betrachtung nicht zu erkennen; auf eine Abbildung des Gehirnes wird deshalb verzichtet.

Die Verarbeitung des Gehirnes erfolgte wie bei Fall 1. l~echte He mis ph~re. Serienuntersuchung (Fiirbung nach Pal): Die Kon-

figuration der Windungen des Hinterhauptslappens ist vSllig unversehrt erhalten; die Sehrinde zeigt nirgends makroskol)isch sichtbare Defekte.

Das zentrale Mark ist besonders im hintersten Absehnitt deutlieh geliehtet, yon reiehlichen prallgefiillten GefiiBen durehsetzt und weist kleinste Erweichungs- herde auf (Abb. 27--30). Eine Zacke der Unterlippe der Fiss. cale. (Abb. 28 und 29) zeigt besonders schwere Ver~nderungen. Das subcorticale Marklager der Calcarina- Lippen ist sonst weniger affiziert als das des Grundes.

Page 21: Zwei Sektionsfälle doppelseitiger zentraler Farbenhemianopsie

Ab

b.

3l.

A

bb.

32.

Abb

. 33

.

Page 22: Zwei Sektionsfälle doppelseitiger zentraler Farbenhemianopsie

156 G. Lenz :

:Die Ver/inderungen nehmen naeh vorn zu an Intensit/it ab. Unmittelbar nach Ausbildung der Fiss. hippocampi (Abb. 31) tritt jedoch nach unten auBen vom unteren Teil der Sehstrahlung ein grol]er alter Erweichungsherd auf, der mit.

4

einer Zacke in den Fasc. long. inf. und die Sehstrahlung eindringt und dort eine erhebliche Lichtung verursaeht, ohne indes alle Fasern zu zerstSren. Dieser Herd verkleiner~ sich bald wieder (Abb. 32). Von Beginn der Ausbildung des Balkens ab kommt es dann abet wieder zu einer ausgedehnten Durchsetzung des zentralen Markes mit multiplen, /~lteren Erweichungsherden verscMedener GrSBe (Abb. 33

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Zwei Sektionsfalle doppelseitiger zentraler Farbenhemianopsie. 157

bis 35). Die Sehstrablung und der Fasc. long. inf. sind davon in erheblichem Grade mitbetroffen; manchmal sind in den affizierten Stellen alle Fasern zugrunde gegangen, an anderen Stellen wieder sind noch Reste davon erhalten.

Bald nach Auftreten des Ped. cerebri (Abb. 36) hSren die erw/~hnten schweren Ver/~nderungen ziemlich lolStzlich auf, und man sieht nur noch vereinzelte Meinere Herdchen. Die Sehbahn ist yon dieser Gegend an intakt, die Gegend des Knies erscheint etwas gelichtet (Abb. 36 und 37).

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158 G. Lenz: Zwei Sektionsfitlle doppelseitiger zentraler Farbenhemianot)sie.

Abb. 38. Abb. 39. Abb. 40.

Abb. 41. Abb. 42.

L i n k e H e m i s p h e r e . Serienuntersuchung (F/irbung nach Pal) : Auch bier zeig~ die Konfiguration der Windungen keinerlei Alteration.

D~s zentrale Mark ist besonders im hintersten Abschnit~ des Hinterhaupts- lappens (Abb. 38--40) gelichtet und -con reichlichen Gefi~Ben durchsetzt, wenn auch nieht so hoehgradig wie in der rechten Himh/ilfte. Das subcorticale Marklager der Calcarinaunterlippe ist starker affiziert wie das der Oberlippe (siehe Abb. 39).

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~2

e ~

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160 G. Lenz:

Besonders auffallend gesch~digt ist das Mark am Boden einer der Calcarina gegenfiberliegenden Furche der Aul~enfl~iche. Im vordersten 1/4 der Calcarina klingen die Ver/inderungen ab, und im Gebiet der Fiss. hippoc. (Abb. 41) bis zum Beginn des Balkens (Abb. 42) finden wir normale VerhKltnisse. Noch weiter nach vorn zu treten aber dann wieder, wenn auch nicht in ann/ihernd gleicher Ausdehnung wie rechts, multiple, nicht sehr groBe alte Erweichungsherde im zentralen Mark auf, die im obersten Abschnitt und auf der Grenze yore unteren und mittleren Drittel auch die Sehstrahlung in Mitleidenschaft ziehen (Abb. 43 und 44). Im vordersten Abschnitt der Sehstrahlung (Abb. 45) dringt dann noch- reals ein schmaler Herd yon unten auBen mit einer Zacke m dieselbe ein.

Zellf~rbung. Die F/~rbung der dm'chgehends 15 tt dicken Schnitte erfolgte ausschliel~lich

nach der Methode yon ~ i s s l mit Toluidinblau.

A. H i r n h ~ u t e .

Im Fall 1 zeigen die Hirnh~iute keinerlei Ver~inderungen. Bezfiglich des Falles 2 wurde bereits oben das Bestehen einer eitrigen Menin-

gitis erw~ihnt. Sie ist jedoeh im Gebiet der Hinterhauptslappen relativ geringfiigig und beschr~nkt sich im wesentliehen auf die Oberfl~che. Nur bier finden wir reichlicher Leukocyten in den Meningen, in den Fro'chert sind nur ganz vereinzelt und immer nahe der Oberfl~che Leukocytenanh~ufungen nachweisbar (Abb. 48 unten, links yon der Mitre). Mehr in der Tiefe der Furehen finden wir kaum jemals einen Leukocyten. Wenn wir hier an manchen Stellen, fast ausschlieBlieh der Auf~enfl~ehe, in der Nachbarschaft nnten zu erw~hnender Erweichungsherde der Hirnsubstanz eine vermehrte Zellanh~ufung in den Lymphscheiden der Gefal]e antreffen, so besteht diese niemals aus Leukocyten, sondern aus zelligen Ele- menten, die aus diesen Erweiohungsherden stammen und auf dem Lymphwege ausgeschwemmt werden. In charakteristischer Weise nehmen diese Zellansamm- lungen nach der Oberfl~che bin schnell an Intensit~t ab (siehe Abb. 47).

Die w~hrend der Sektion auftretende Befiirchtung, dab dutch die eitrige Meningitis die spezifische anatomische Grundlage der FarbensinnstSrung getriibt oder gar zerstSrt sein kSnnte, hat sich somit glfieklicherweise nicht bestatigt.

B. H e r d e .

Fa l l 1. Der Zellaufbau der beschriebenen beiden grol3en Herde in jeder Hemisphere entspricht dltrehaus dem bekannten Befund bei a l t e n Erweichungs- herden (Abb. 46 unten); andere, etwa mikroskopisch kleine Herde wurden nicht 4~efunden. Das Mark zeigt vielfach, namentlieh in der Naehbarsehaft der Her@ eine m~Bige Zell- und Gef~ftvermehrung, in der Anordnung dunkler erscheinender Streifen, die die Windungen begleiten, die aber yon der Rinde selbst immer dutch einen schmalen helleren Saum getrennt sind. In diesen Streifen sieht man hin und wieder kleine Vakuolen. Die Meningen sind frei.

F a l l 2. Besonders ins Auge fallend sind die zahlreichen, fiber das ganze Gebiet des Hinterhauptslappens verteilten teils frischen, teils alten Erweichungs- herde. Sie betreffen besonders die I~inde der AuBenfl~iche, also Rindengebiete mit dem sog. ,,Occipitaltypus". Besonders gem okkupieren sie den Grund einer Furche und bleiben im wesentlichen auf das Areal der Rinde selbst beschr~inkt (Abb. 47). Nur vereinzelte solcher Herde senden Ausl~ufer bis tier in das Mark hinein. Durchgehends zeigt sich die Lamina zonalis (,,zellfreier Rindensaum") wohlerhalten, sie muB also eine besondere Widerstandskraft besitzen.

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Zwei Sektionsfiille doppelseitiger zentraler Farbenhemianopsie. 161

Abb. 46.

Abb. 47:

Z. f. d. g. Neur. u. Psych. LXXI. 11

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162 G. Lenz:

Abb. 48.

Abb. 49.

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Zwei Sektionsfitlle doppelseitiger zentraler Faxbenhemianopsie. I63

Abb. 50.

Abb, 51.

11"

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164 G. Lenz :

Seltener und kleiner sind reine Marklaerde, die wir nttr im vorderen Seh- sph~rengebiet in der Nachbarschaft der Sehstrahlung antreffen. In der Umgebung slier dieser frischeren Erweichungsherde erscheint das Mark aufgelockert und yon zahlreichen ldeinen Hohlr/~umen durchsetzt (Abb. 47).

Die Herde bestehen aus typischen dichtgedr/~ngt liegenden, rundliehen, grol3en ,,KSrnchenzellen", die in reichlicher Menge auch die Lymphscheiden der Gef/il3e anfiillen. Leukocyten linden sich nirgends, yon einer eitrigen Gewebs- einschmelzung kann deshalb keine Rede sein.

In der Nachbarschaft der Herde zeigen die feinen Gef~13e oft sklerotische Wandver/inderungen, selten finden wir solche in grSl3eren Gef~13en der Meningon. Nirgends bestand jedoch, trotzdem der Pat. eine a re Lues hatte, das typische Bild einer Endarteriitis obliterans.

Die alten Herde dokumentieren sich als Cysten, die ausschliel~lich in der Rinde gelegen sind und bei denen ebenfalls die Lam. zonalis gut erhalten ist (Abb. 48).

Abet auch die Sehrinde selbst, charakterisiert durch den cytoarchitektonischen Aufbau des sog. ,,Calearinatypus", zeigt sich nicht verschont. In der Occipital- spitze b e i d e r Hemisph/iren finden wir in der Gegend des Grundes der Fiss. calc. einige altere, spezifisehes Rindengewebe vernichtende Herde, teils aul3erordentlich ldem und nur auf die aul3ersten Rindensehichten beschr/~nkt (Abb. 49), teils die ganze Rinde durchsetzend, ohne jedoch fiber diese hinauszugehen (Abb. 50 und 51). Besonders die letzteren Herde machen den Eindruck einer schrumpfenden Rinden. narbe, in die besonders die tieferert Schiehten (V. Lain. ganglionaris, V ia Lain. triangularis, VIb Laln. fusiformis, siehe Lenz , Die histologische Lokalisation des Sehzentrums, v. Graefes Arch. f. Ophthalmol. 91, Heft 2. 1916) trichterfSrmig hereingezogen werden. Der Zusammenhang der Herde mit einem Blutgef/~l~ ist iiberall unverkennbar.

D i e s e a u l ~ e r o r d e n t l i c h w i e h t i g e n B e f u n d e b e a n t w o r t e n d i e a l t e , so v i e l d i s k u t i e r t e S t r e i t f r a g e , o b e s , , r e i n e R i n d e n - h e r d e " d e r S e h r i n d e i i b e r h a u p t g i b t , i n p o s i t i v e m S i n n e .

Die k le ins ten Herde (Abb. 49) f inden wir m i t t e n im Grunde der Calcar ina der l inken Occipi ta lsp i tze ; die grSBeren, die ganze R inde durehse tzenden Herde (Abb. 50 u. 51) t reffen wir in der l inken Calearina n u t in der Unte r l ippe nahe dem Grunde an, ~wahrend sie in der reeh ten Calear ina sowohl nach oben wie naeh un ten yon der N[itte des Grundes gelegen sind.

C. C y t o a r e h i t e k t o n i k .

F a l l 1. Als ]constant und charakteristisch sind folgende Befunde hervor- zuheben:

In den Rindenpartien, unter denen, wenn auch in ziemlicher Entfemung davon, der Herd gelegen ist (siehe Abb. 46: rechte Hemisphere, vorderster Teil der Calcarinagegend zwischen Abb. 10 und 11, n~her der letzteren, Mitte der Unterlippe und Abb. 57: linke Hemisphere, 1,9 cm yon der Spitze, Calcarinunter- lippe, knapp 1 mm polw~rts von Abb. 16, Anordnung genau wie in Abb. 16) f~llt eino ausgesprochene Lichtung der Lamina fusiformis (VIb) auf, die als sehr heller Streifen erscheint, ein Eindruck, der noeh dadureh verstgrkt wird, dab nach unten yon dieser Schicht ein nicht sehr breiter Streifen des Markes dutch Zellverdiehtuag auffallend dunkel hervortritt. Der sonst gerade durch Vermittlung der Lam. tus. mehr allm~hliche Ubergang der Rindenstruktur in die des Markes wird dadureh

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Zwei Sektionsfiille doppelseitiger zentraler Farbenhemianopsie. 165

Abb. 52. (Normal.)

Abb. 53.

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1 6 6 G. Lenz :

Abb. 54. (Normal.)

Abb. 55.

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Zwei Sektionsfiille doppelseitiger zentraler Farbenhemianopsie. 167

Abb. 56. (Normal.)

Abb. 57.

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168 G. L e n z :

Abb. 58. (5;ormaL)

Abb. 59.

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viel kontrastreicher gestaltet. Vielfach erscheinen die Ganglienzellen dieser Schicht als sehr blab gefiirbte Zellschatten. Dieser Befund daft zweifellos als eharakteristi. sche direkte Folgeerscheinung des tIerdes aufgefaBt werden, da er sonst nirgends erhoben wurde.

Eine Sonderstellung nimmt die Gegend der Abb. 46 ein, also des vordersten Tells der Unterlippe der rechten Calcarina, eine Gegend, die nach meiner, wohl jetzt allgemein anerkannten lokalisatorisehen Aufteilung der Sehw dem ab- soluten Defekt m den lmken oberen Geslehtsfeldsektoren entspncht. Abb. 46 stimmt beziiglieh der VergrSl]erung durchaus mit den iibrigen Rindenbildem der Abb. 52--58 fiberein. Selbst wenn man beriicksichtigt, daB, wie ieh bereits friiher hervorhob, schon unter normalen VerhKltnissen der vordere Teil der Sehrinde in toto hKufig etwas diirftiger aussieht als die hinteren Partien, zeig~ Abb. 46 bei einem Vergleiche mit den normalen und besonders auch mit den Bildem des gleiehen Falles (Abb. 53, 55, 57) aul]er der bereits besprochenen Alteration der Schicht VIb eine ausgesprochene Atrophie der Gesamtrinde, in erster Linie der Sehichten I I (Lam. gran. ext.), I I I (Lam. pyr.), IVa (Lain. gram int. sup.) und Via (Lam. triang.). Die Zelllagen sind stark gelichtet, die Zellen selbst erscheinen vielfach verkleinert. Diese Ver~nderungen sind in geringerem Grade auch im Grunde der Calcarina vorhanden und greifen, allm~hlich abklingend, ein Stiickehen auf den angrenzenden Teil der Oberlippe fiber, was dem ~bergreifen des Gesichts. telddefektes in der Horizontalen auch auf den unteren Sektor entspricht. Der I~auptteil der Oberlippe zeigt dann nur die unten zu beschreibenden Ver~nde. rungen der obersten Rindenschichten.

Vom vordersten Calearinaabschnitt der ] i n k e n Hemisphere wurden leider Nis s 1 pr~parate nicht angefertigt.

AuBer der geschilderten mehr lokalen, direkten SchKdigung bestimmter Teile der Sehrinde linden sich nun fiberall in derselben ausgesprochene Ver~nde- rungen der Lam. gram ext. (II) und der Lam. pyr. (III) (Abb. 46, 53, 55, 57) Sie bestehen in einer Zellichtung, die besonders deutlich die ~uBere Partie der Lam. pyr. betrifft. Normaliter treffen wir in dieser Schicht grSl]ere Pyramiden- elemente bis naeh oben hin an, so dab die Schicht den Eindruck eines recht gleich- m~Bigen Bandes macht, das nach oben hin einen pr~gnanten AbschluB dureh die schmale Lain. gran. ext. erf~hrt (prKgnanter beim jugendliehen Gehirn, als bei dem des Erwachsenen). Dutch die nach oben bin an IntensitKt zunehmende Lichtung gerade der gr5Beren Elemente im vorliegenden pathologischen Fall wird der Eindruek des gleichm~Bigen Bandes derart modifiziert, dab der Sehwer- punkt gewissermaBen in den tiefsten Schichten der Lain. pyr. gelegen ist, dab nach oben bin ein allmKhhcher Abfall der Wertigkeit des cytoarchitektonischen Aufbaues stattfindet und dab der AbschluB gegen den zellfreien l~indensaum bin (I) an Pr~gnanz verliert.

Eine gewisse Lichtung der Lam. pyr. auch an ihrer Basis scheint stellenweise die Lam. gran. int. sup. (IVa) etwas prKgnanter hervortreten zu lassen und sehlieBlich hatte ich mitunter den Eindruck, als ob die Lain. intermedia (IVb Gennari) dureh Zellrarifikation etwas heller erschiene; doch bin ich mir nicht sicher, ob es sich hier schon um einwandfreie pathologische Ver~nderungen handelt.

In der dureh den sog. Occipitaltypus charakterisierten Rinde konnte ich, soweit direkte HerdschKdigungen nicht vorlagen, irgendwie auffallende Ver- ~nderungen nicht nachweisen.

Die geschilderten Verhi~ltnisse t re ten viel deutl icher hervor, wenn m a n bei schwgcherer VergrSl~erung gleichzeitig ein gr6Beres Rinden-

areal fiberblickt, am zweckm~Bigsten an Mikrophotographien, da so am

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170 G. Lenz:

besten ein unmittelbarer Vergleich mit dem normalen Bilde m6glich ist. Ich habe deshalb auch ffir die bildliche Darstellung Mikrophotographien schwacher VergrSl3erung gewahlt, t rotzdem ich mir dessen bewu] t bin, daf~ bei der heutigen Art der Reproduktion (s. Le nz , Graefes Arch. f. Ophthalmol. 91, Hef t 2) gerade bei schwacher VergrSl~erung diese fiberaus feinen Verhaltnisse nicht derartig einwandfrei hervortreten, wie auf meinen gestochen scharfen Originalphotographien, die selbst- verstandlich jedem Nachuntersucher zur Verffigung stehen.

Die gewahlte Vergr6l~erung schfitzt mich ferner gegen den mSglichen Einwand, dal3 ich schmale Bander, wie sie die starken VergrS~erungen liefern, besonders ausgewahlt hat te ; ich wei] selbst sehr wohl, dal3 man in jeder normalen Rinde schmale Bander herausfinden kann mit einem Typus, wie er hier als erworben beschrieben wurde. Beweisend kSnnen deshalb nur l~bersichtsbilder fiber ein grSl~eres Rindenareal sein.

Die Abb. 52, 54, 56 und 58 stellen normale Vergleichsbilder vom Erwachsenen dar; sie zeigen, wie verschieden in praxi die normale Rinde beziiglich Gr6Be der Zellen, Breite der einzelnen Schichten u. dgl. an Nisslschnitten gleicher Herstel- lungsart, jedoch yon verschiedenen Individuen stammend, aussieht. Die Variabili- t~t des normalen Bildes lehrt, wie vorsichtig man gerade bier in dot Beurteilung pathologischer Ver/inderungen sein mull.

Die Abb. 46, 53, 55 und 57 entstammen dem Gehirn des :Falles 1: Abb. 53: Linko Hemisph/~re, 1,9 cm yon der Spitze, Calcarinaoberlippe,

gegeniiber Abb 57 (siehe oben). Abb. 55: Rechte tIemisph/ire, 1,9 cm yon der Spitze, Mitre tier Calcarina-

oberlippe. Abb. 46 und 57 siehe oben. :Fall 2. Beziiglich der oberen Zellschichten finden sich hier im Prinzip

dieselbon Ver/~nderungen wie im :Fall 1 (Abb. 59). Auffallend ist eino sehr starke Gof/~llentwicklung besonders auch in den hinteren Abschnitten der Calcarina, Dadurch, dall feine Gef/illo die Rinde kreuz und quer durchsotzen, wird der gleieh- m/illige Aufbau der oberen Rindenschichten in :Form schSner, vertikaler S~ulen vielfach gestSrt, wodurch sich der vergleichsweisen Beurteilung oft erhebliche Schwierigkeiten entgegenstellen.

l~pikrise. In den letzten Jahren sind wir bezfiglich der Lokalisation des Seh-

zentrums und seiner raumlichen Aufteilung zu einem gewissen AbschluB gelangt; die noch auBerordentlich viel kompliziertere Frage nach der zentralen Vertretung des Farbensinnes ist demgegenfiber yon einer LSsung noch weit entfernt.

Als wesentliches Ergebnis der bisher vorliegenden Untersuchungen k6nnen wir folgendes zusammenfassen:

1. Eine St6rung des Farbensinnes aus zentral gelegener Ursache (Itemiachromatopsie) ist h~ufig ein vorfibergehendes Symptom, sie kann aber auch Jahre hindurch ziemlich unver~ndert bestehen bleiben.

2. Es kann eine erhebliche Dissoziation zwischen Raumsinn und Farbensinn stattfinden, derart, daft letzterer mehr oder weniger voll-

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standig ausfallt, wahrend ersterer entweder gar nicht oder nur in ge- ringem Grade gestSrt ist (s. u.).

3. Das bisherige, nu r m a k r o s k o p i s c h e Sektionsmaterial ist iiberaus sparlich, eine mikroskopische Bearbeitung liegt fiberhaupt nicht vor. Es werden folgende Falle beschrieben: Ver rey l ) : r. Farben- hemianopsie mit erheblicher Herabsetzung des Formensinnes, alte h~morrhagische Cyste im unteren Teil des Occipitallappens, Garc ia Ca ldero n2): Blutherd im Hinterhauptlappen unweit des Sehzentrums, Henschen3): 1. Hemiplegie, 1. Hemianopsie fiir Rot und Griin, WeiB- grenzen normal, Destruktion des Corp. genicul, extern; ZerstSrung yon T 4 und T 5 mit Ausnahme der unteren Lippe der ~iss. calc., die ZerstSrung drang in den untersten Tefl der Sehstrahlung tin, M a c k a y und Dunlop4): doppelseitige Farbenhemianopsie; unvollst~ndige Hemianopsie fiir Formen, S. bds. 6/6 Atrophie der hinteren Particn der Schl~fenhinterhauptswindung bds. sowie der unteren Partie der Seh- strahlung.

Frische F~lle yon Blutung und Erwcichung, ebcnso wie F~lle yon Tumor tmd AbseeB sind naturgem~B wegen der schwer analysierbaren Fernwirkung zur Kl~rung der in Rede stehenden Frage nur in sehr besehr~nktem MaLe verwertbar.

Das einzige Ergebnis des bisherigen Sektionsmaterials ist eigentlich nur die Feststellung der Tatsache, dab eine Sch~digung in allen Teilen der Sehbahn eine StSrung der Farbenperzeption hervorzubringen ver- mag. Einen Einblick in den Mechanismus der Farbenperzeption hat uns das Material nicht gebracht.

Meine vorliegenden, nach modernen Grunds~tzen durchgefiihrten Untersuehungen an einem iiberaus seltenen Material und meine auf dem Heidelberger Kongre$ 1913 mitgeteilten experimentellen Studien am Tier stellen den Anfang systematischer Versuehe dar, in dieses groSe R~tsel der l~atur einzudringen.

Die klinische Feststellung einer weitgehenden Dissoziation zwischen Raumsinn und Farbensinn gab Veranlassung zur Annahme eines be- sonderen, vom elementaren Zentrum der SchwarzweiBempfindung r~umlich getrcnnten Farbensinnzentrums, das man in den Gyrus fusiformis lokalisierte. W i l b r a n d hat bereits friiher auf die physio- logischen, und ich habe auf die pathologischen anatomischen Befunde hingewiesen, die eine solche Annahme als unhaltbar erscheinen lassen. Und auch Fall 1, wo der linke Gyrus fusiformis ausgedehnt zerstSrt war und doch noch in den rechten Gesichtsfeldh~lften ein gewisses Farben- sehen bestand, spricht durchaus gegen diese Hypothese.

Welche Erkl~rung~mSglichkeit bitten nun unsere F~lle fiir das Zustandekommen der FarbensinnstSrung ?

DaB der vSllige Untergang eines Rindenareals nach unseren, wohl

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172 G. Lenz:

jetzt unbestrittenen Anschauungen einer strengen Projektion der Retina auf die Sehrinde in jedem Falle einen absoluten Gesichtsfeld- defekt zur Folge haben mul~, bedarf keines Beweises. So entsprieht auch hier wieder im ersten Fall der Ausfall eines Rindenstiickes der Unterlippe der Calcarina entsprechend dem Prinzip der vertikalen Projektion einem absoluten Gesichtsfelddefekt in den linken oberen Gesichtsfeldh~lften. Funktionell nicht in die Erscheinung traten als circumscripte Gesichtsfelddefekte im zweiten Falle die multiplen mikro- skopisch kleinen Narben am Grunde des hinteren Abschnittes der Calcarina. Diese Herde sind offenbar fiir den perimetrischen Nachweis zu klein, sie sind aber m. E. mit Bin Faktor ffir die relativ erhebliche Herabsetzung der zentralen Sehsch~rfe, da sie am Grunde des hinteren Abschnitts der Calcarina gelegen sind, wohin nach meiner, jetzt wohl allgemein anerkannten Anschauung das macul~re Gebiet zu lokali- sieren ist.

Wir miissen uns deshalb zun~chst der Frage zuwenden, ob die FarbensinnstSrung evtl. aus einer Affektion des Markes zu erklaren ist.

Wenn wir diese Frage bejahen wollen, so mii~te die Intensit~t der Markver~nderungen dem Grade der FarbensinnstSrung parallel gehen. Am iibersichtlichsten liegen in dieser Hinsicht die Verhaltnisse be- ziiglich der l i n k e n Hemisphere des ersten Falles (Abb. 16--26), da primare Lasionen der Sehstrahlung in ihrem Verlauf vor der Sehsph~re nicht vorhanden sind. Die Intensit~t der Markver~tnderungen ist hier derart verteilt, dal~ fiir die Calcarinaunterlippe und eine angrenzende Partie des Grundes eine sehr schwere Ver~nderung des subcorticalen Markes besteht; zu der noch eine schwere Sch~digung des zugehSrigen zentralen Markes hinzukommt. Demgegeniiber ist das subcorticale Mark der Calcarinaoberlippe plus angrenzendem Grund intakt. Eine Alteration der dieses Gebiet versorgenden Fasern findet hier nur im zugehSrigen zentralen Mark start; sie ist zudem geringer als in den unteren Partien. Dieser differenten Verteilung der L~sion entspreehend linden wir vSllige und dauernde Achromasie in den rechten oberen Gesichtsfeldhalften und eine nur relative FarbensinnstSrung in den unteren H~lften.

Die Tatsache, da~ somit auch ffir den Farbensinn das Prinzip der vertikalen Projektion Giiltigkeit hat, ist m.E. mit ein Beweis dafiir, da~ Schwarzwei~empfindung und Farbenempfindung an das gleiehe Rindenareal gebunden sind. Ware etwa die Alteration des Leitungs- systems der Unterlippe noch sehwerer, so wfirden wir in den oberen Gesichtsfeldh~lften statt der Achromasie einen absoluten Ausfall er- warben, ein Verhalten, wie wir es bezfiglich der r e c h t e n Hemisphere und den entsprechenden linken oberen Gesichtsfeldsektoren tats~chlich beobachten kSnnen.

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Ffir das Leitungssystem der rechten Calcarinaoberlippe kommt nach dem Ergebnis der Serie nur eine relativ geringere Sch~digung und dementsprechende Achromasie in den linken unteren Gesichtsfeldsektoren w~hrend seines Verlaufes durch das zentrale Mark in Betracht.

Im Falle 2 liegen wegen der vietfachen, tells mehr diffusen, tells herdfSrmigen Ver~nderungen des Markes auch auBerhalb des Gebietes der Sehsph~re bis welt nach vorn hin die Verh~ltnisse wesentlich kom- plizierter, insbesondere, da wir noch nicht sicher wissen, in welchem Teil des zentralen Fasersystems eigentlich die Sehfasern verlaufen. Nach der Ansicht H e n s c h e n s z.B. beschri~nkt sich die optische Leitung auf ein 4 mm im Durchmesser betragendes, in der ventralen H~lfte der Sehstrahlung, aber etwas vom untersten Rand entfernt liegendes Bfindel. Sicher scheint nur, dab auch bezfiglich der optischen Bahn das Prinzip der vertikalen Projektion Geltung hat.

Entsprechend dem wenigstens zeitweisen Erhaltenbleiben einer ge. wissen Farbenempfindung nur in den rechten unteren Gesichtsfeld, h~lften mfiBten wir die relativ geringste Sch~digung fiir die linke Calca. rinaoberlippe und deren zugehSriges Leitungssystem erwarten. Diesen Eindruck wird man zweifellos bei Betrachtung der Serie gewinnen, namentlich auch unter Berficksichtigung der ausgesprochenen Ver- ~nderungen des subcorticalen Markes der Unterlippe im hinteren Ab- schnitt (Abb. 38--40), die an der Oberlippe fehlen. Ich erinnere auch daran, dab wir Narbenherde der Calcarina, die die ganze Rindenbreite durchsetzen, in der l i n k e n Calcarina n u t in der Unterlipppe, nicht aber in der Oberlippe vorfanden.

Die Differenz in der anatomischen L~sion des Leitungssystems der Calcarinaoberlippe und -unterlippe erkl~ren also zur Genfige den ver. schiedenen Grad der FunktionsstSrung im oberen und unteren Sektor der rechten Gesichtsfeldh~lften.

I n der rechten Hemisphere ist ein derartiger Unterschied im ana. tomischen Bilde des Markes nicht zu konstatieren, was auch dem funktionellen Befunde entspricht ; im hintersten Abschnitt der Calcarina fanden wir die erw~hnten kleinen Rindenherde ebenfalls sowohl in der Oberlippe wie in der Unterlippe.

Die L~sionen des zentralen Markes im vorderen Abschnitt der Seh. balm (Abb. 31--35) sind so hochgradig, dab man sieh fragen muB, wie es m5glieh ist, dab der Patient trotzdem in seinen linken Gesichtsfeld- hi~lften ein zwar aueh beziiglich des Raumsinnes gesch~digtes, abet immerhin doeh noch ein Sehverm6gen hatte. Diese Veri~nderungen sind die i~ltesten, sie haben zweifellos schon w~hrend des Aufenthaltes des Patienten in der Breslauer Universit~ts-Augenklinik bestanden; aber aueh naehher ist das Gesichtsfeld j a wiederholt kontrolliert worden.

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Diese Befunde scheinen mir dagegen zu sprechen, dab die optisehe Leitung ein r~umlich so kleines Biindel darstellt, wie I-Ienschen an- nimmt (s. o.); in diesem ~all miiBte man bei Betrachtung speziell der Abb. 31 und 35 zmn mindesten einen groBen zusammenh~ngenden absoluten Gesiehtsfelddefekt erwarten. Bei Verteilung der Sehfasern auf ein gr6Beres Areal wfirden die Ver~nderungen dagegen nur multiple kleine Skotome bewirken, die abet bei der verwendeten Objektgr6Be yon 1 qcm nicht herauszuperimetrieren waren und die ihren Ausdruck nut in der starken StSrung auch des Raumsinnes fanden.

Die vorangehende Darstellung zeigt m. E., dab gerade das Parallel. gehen zwischen Schwere der L~sion des Markes und Grad der Funktions- stSrung beweist, dab wir als Ursache ftir die FarbensinnstSrung eine relative St6rung der optischen Leitung anzusprechen haben. Der l~ber- gang bis zum absoluten Gesichtsfeldausfall ist ein fliei]ender. Die Serien zeigen, wie auBerordentlich schwierig, ja unm6glich es ist, dem anatomischen Bild des Leitungssystems anzusehen, wann der Grad des absoluten Ausfalles erreicht ist. Sie zeigen aber, dab ein gewisser Grad yon Funktion, die SchwarzweiBempfindung, selbst bei ~uBerster Diirftigkeit des Leitungssystems, noch erhalten sein kann.

Besonders deutlich dokumentieren dies Bilder, wie sie die Fibrillen- fi~rbung nach Bie l schowsk i liefert: Abb. 60 zeigt das Verhalten des normalen subcorticalen Markes, Abb. 61 gibt die entsprechenden Ver- ~nderungen desselben bei nahe darunterliegendem tterde (H) wieder, Abb. 61 stammt vom FaU 1, etwa Mitre der Unterlippe der linken Calcarina, hinterster Abschnitt, Situation entsprechend den Abb. 16 und 57. Am besten noch ist. ein abgegrenzter Markstreifen (M.-St.) erhalten, der yon der darfiberliegenden l~inde (R.) durch eine hellere Zone getrennt ist. Demgegenfiber ist aber wieder hervorzuheben, dab trotz der schweren Markver~nderung das Fibrillensystem der l~inde selbst in deren ganzer Ausdehnung auBerordentlich gut erhalten ist, so dab ich irgendwelche Abweichungen vom normalen Bride nicht fest- steUen konnte. Nicht unterlassen m6chte ich jedoch, darauf hinzu- weisen, wie auBerordentlich schwierig gerade bier ein Vergleich zum normalen ist; die Herstellung absolut gleichdlcker Schnitte st6Bt bei versilberten B16cken und bei der geringen Schnittdicke yon 5 /~ auf die gr6Bten technischen Schwierigkeiten.

~ber den Mechanismus der LeitungsstSrung verm6gen meine ana tomischen Befunde naturgem~B nichts auszusagen. W i l b r a n d hat vor Jahren eine Hypothese aufgestellt, die als Ursache einer Farbensinn- stSrung eine Vermehrung der normaliter schon vorhandenen Leitungs- widerstgnde annimmt, die irgendein pathologischer ProzeB an jedem beliebigen Punkt der optischen Bahn bewirken kann. Eine solche StSrung wird sich naturgem~B besonders dann bemerkbar machen,

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wenn der Weg bis zu den die Farbenempfindung vermittelnden Elementen ein besonders langer ist, und so verlegt diese Theorie den Ort der Farbenperzeption an den distalsten Punkt des elemen- taren optischen Systems, d. h. in eine oberfl~chlichste Schicht der Sehrinde.

Bei weiterer Erh6hung des Leitungswiderstandes leiden dann der Raumsinn und schliel31ich auch der Lichtsinn. Die entsprechenden Elemente miii3ten also mehr nach dem Auge bin liegen: unter der Sehicht ffir die Farbenempfindung die fiir den Raumsinn und darunter die fiir den Lichtsinn.

Diese Sehichtentheorie bot die M6gliehkeit der Annahme, dab durch einen Krankheitsprozel~ die oberfliichlichste, die Farbenperzeption, vermittelnde Rindenschicht isoliert und daueriid ausfallen kSnnte, unter vSlligem oder anni~hernd vSlligem Intaktbleiben der darunter- liegenden Schicht fiir den Raumsinn. Derartige Fi~lle yon apoplekti- form aufgetretenem dauerndem Verlust der Farbenempfindung bei Ero haltenbleiben des Raumsiiines, F~lle, die also Iiir eine isolierte Li~dier- barkeit und somit ffir eine ge~4sse isolierte Vertretung des Farbensilmes innerhalb der Sehrinde sprachen, sehienen nun in der Tat yon S a m el- s o h n (linkss. Farbenhemianopsie) und S t e f f a n (doppels. l~arben- hemianopsie) u .a . allerdings nur klinisch beobachtet worden zu sein (s. u.).

Die charakteristischen Merkmale dieser wichtigen F~lle vermochte sich W i l b r a n d kaum aus einer StSrung der optischen Leitung zu er- ld~ren, woran das bisherige sp/~rliche Sektionsmaterial (s. o.) in erster Linie denken lieI3, das allerdings nur makroskopisch beobachtet wurde uiid nur Fi~lle mit gleichzeitiger Alteration des Raumsiniies betraf ,,Ftir die Annahme einer Leitungsunterbrechung der optischen Bahnen kennen wir zur Zeit kein pathologisch-anatomisehes Substrat, dem eine derartige p l S t z l i e h einsetzende, d a u e r n d bestehende, die g a n z e L e i t u n g befallende und in so w e n i g i n t e n s i v e r Weise sieh be- ti~tigende Wirkung zur Last gelegt werden kSniite."

W i l b r a n d nahm deshalb fiir derartige Fi~lle an, dal3 ein subpialer Blutergul3 ,,das an der Oberfli~ehe liegende Rindengebiet fiir die Farben- empfindung zuni~chst gedrtickt und dadurch plStzlich funktionsunfi~hig gemacht habe". ,,Eiiie so aufgelagerte Blutsehieht miil3te die yon der Pia aus erfolgende Ern~hrung der ~ul3ersten Cortexfl~ehe stSren und dauernd beeintr~chtigen, wodurch die die ganze Flache des Seh- zentrums umfassende, plStzlich auftretende, dauernd bestehende und in so wenig intensiver Weise wirkende Herderscheinung erld~rt werden kSnnte. Wfirde ein derartiger Herd die Sehrinde bis weiter in die Tiefo lain durehsetzen, so wfirde dann ein umschriebener Gesiehtsfelddefekt :[fir weil3e Untersuehungsobjekte resultieren."

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Sp~ter scheint Wi lb r a n d die Erkl~rung des Dauerbestandes einer Farbenhemianopsie weniger Schwierigkeiten bereitet zu haben, speziell bei Blutungen, die nach meinen Untersuchungen infolge der intensiveren Fernwirkung im ganzen h~ufiger eine Farbenhemianopsie (selbst eine dauernd bestehende) auslSsen als eine Erweichung (s. auch die oben beschriebenen Sektionsfi~lle yon V e r r e y und G a r c i a C a l d e r o n ) . Er schreibt n~tmlich: ,,Bezfiglich der Dauererscheinung einer Farben- hemianopsie nach Blutungen kann mar~ sich leicht vorstellen, dal~ durch die Rfickbildung yon Blutherden im Gehirn Schrumpfungen und Verlagerungen benachbarter Hirnpartien auftreten, wodurch deren Er- n~hrung gestSrt, aber nicht aufgehoben wird. Und wenn, wie bei den letzterw~hnten Autoren, dann Cysten ganz nahe der optischen Bahnen bestehen bleiben, so wird je nachdem eine Hemiamblyopie oder Hemiachromatopsie danach dauernd entstehen kSnnen."

Ich stimme W i l b r a n d durchaus darin bei, dab alle Fi~lle yon Farbenhemianopsie, sowohl die bisherigen Beobachtungen mit nach- gewiesener LeitungsstSrung, wo immer auch der Raumsinn mitbeteiligt war, als auch besonders die letzterw~hnten F~lle weitgehendster Dis- soziation, wo eine anatomische Grundlage noch ganz fehlte, durch die Annahme eines Spezialzentrums ffir den Farbensinn im Sinne der Schichtentheorie sich jedenfalls leichter erkl~tren lassen als ohne dessen Annahme.

Zur ersteren Gruppe ist unser Fall 2 zu rechnen. Abgesehen yon seiner einzigartigen klinischen Sonderstellung bietet er zum erstenmal eine exakte Durcharbeitung nach modernen Gesichtspunkten. Im Gegensatz zu den bisherigen sp/~rlichen Sektionsf~llen, wo die Seh- stSrung apoplektiform auftrat und wo ats deren Ursache groBe, zu- sammenh~tngende Herde gefunden wurden, ohne dab diese n~her analysiert worden w~ren, zeigt er eincn mehr chronischen Verlauf, indem wir multipel neben alten L~sionen ausgesprochen frische Ver- ~nderungen finden, wie sie in dieser Art noch nicht beschrieben worden sind.

DaB hier die LeitungsstSrung im Vordergrund steht, bedarf nach dem oben Beschriebenen keiner weiteren ErSrterung. Mit zu beriick- sichtigen sind hier aber auch die Ver~nderungen der Sehrinde selbst, besonders im hinteren Tell der Sehsph~re: Die kleinen Rindenherde, die unter der Schwetle des perimetrischen Nachweises blieben, dfirften dutch Narbenschrumpfung u. dgl. immerhin einen gewissen sch~digen- den EinfluB auf ihre Umgebung austiben ; auch die obcn erwi~hnte starke Gefi~Bdurchsetzung diirfte als schi~digender Faktor i n Rechnung zu setzen sein, namentlich wenn man sich des auffallenden Schwankens der Funktion erinnert. Ich wiiBte wenigstens fiir diese Erscheinung keine andere Erklarung als eine wechselnde Gefi~Bfiillung, die die

Z. f. d. g. Neur. u. Psych, LXXI. l~

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Rindenfunktion, ebenso wie natfirlich auch die optische Leitung in wechselndem Grade alteriert.

Die im klinisehen Teil erSrterten vielfachen Analogien dieses Falles zur angeborenen totalen Farbenblindheit legen demjenigen, der An- h~nger der Duplizit~tstheorie ist, den Gedanken nahe, dem Zapfen- system eine geringere Widerstandskraft als dem St~bchensystem zu- zusprechen; ich persSnlich halte es, wenn wir auf diesem komplizierten Gebiet vorwartskommen wollen, f fir fSrderlicher, zun~,chst erst weiteres, rein objektiv analysiertes Material zu sammeln und vergleichbar nieder- zulegen.

Die Ver~nderungen der obersten Rindenschichten werden unten im Zusammenhang bei Fall 1 erSrtert werden.

Von ganz besonderem theoretischem Interesse sind die F~lle der zweiten Gruppe, diejenigen mit dauernder vSlliger oder sehr weit- gehender Dissoziation yon Farbensinn und Raumsinn. Allen diesen Fallen, einschliel31ich meines Falles 1, ist gemeinsam das apoplekti- forme Auftreten der SehstSrung.

DaB gerade die Tatsache tines d a u e r n d e n B e s t e h e n b l e i b e n s des i s o l ie r t e n Ausfalles des Farbensinnes a priori aus einer Affektion der optischen Leitung sehr schwer zu erklaren ist, hebt W i l b r a n d mit vollem Recht hervor, und es ist durchaus zu verstehen, wenn er bei dem bisherigen Fehlen jeder anatomischen Grundlage eine solche, die eines subpialen Blutergusses, hypothetisch konstruierte, eine An- nahme, gegen die jedoch m. E. yon vornherein gewiehtige theoretische Bedenken sprechen.

Wir kennen zwar Falle von ein- bzw. doppelseitigem subduralem H~matom fiber den Occipitallappen mit hemianopischer, meist vorfiber- gehender SehstSrung; diese F~lle waren aber fast ausschlieBlich auf ein Trauma zurfickzuffihren (einschlieBlich epileptischer Anfalle und Keuch- husten). Eine Spontanblutung der Hirnh~ute geh5rt demgegenfiber auch bei alten Leuten naeh den allgemeinen Sektionserfahrungen zu den grS~ten Raritaten und ist sicher sehr viel seltener als die haufig genug beobaehtete dauernde Farbenhemianopsie (s. L e n z , Graefes Arch. f. Ophthalmol. 72).

Die Vorstellung W i l b r a n d s yon der Druck- bzw. Ernahrungs- schKdigung einer obersten, ffir die Farbenperzeption bestimmten Schicht der Rinde erscheint mir aber vor allem als gar zu mechanisch. Bei einer gleichmaBig oder annahernd gleichmaBig fiber das Gesichtsfeld verteilten FarbensinnstSrung, ein Verhalten, das wir haufig genug antreffen, mull man annehmen, dab die Schadigung eine im ganzen v61lig oder an- n~hernd gleiche ist.

Man wird sich das aber kaum vorstellen kSnnen, wenn man be- denkt, dab der grSBte Teil der Sehrinde nicht an der Hirnoberflache

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gelegen, sondern in der Tiefe der Calcarinafurche, hinten besonders in allen m5glichen Nischen derselben verborgen ist. Es ist kaum anzu- nehmen, dab hier fiberhaupt ein BluterguB wesentlich eindringt, noch unwahrscheinlicher ist eine gleichmi~Big schi~digende Druekwirkung. Stellt man die Erni~hrungsstSrung in den Vordergrund, so erscheint eine irgendwie gleichm~f3ige, nur bis in eine bestimmte Tiefe vor- dringende Schadigung noch viel problematischer. Eine Mitbeteiligung der tieferen Schichten und des Markes dfirfte kaum auszuschlieBen sein, und damit fi~llt dann die ganze Theorie.

Viel wichtiger als diese rein theore~ischen Einw~nde gegen die Hypothese W i l b r a nds ist aber nun die Frage: Wie verh~lt sich hierzu mein Sektionsfall 1 ?

Dieser Fall erfiillt alle die klinischen Vorbedingungen, die Wi 1 b r a n d AnlaB" zur Aufstellung seiner Hypothese gaben: apoplektiformes Auf- treten der FarbensinnstSrung; dauerndes Bestehen derselben; ffir das zentrale Sehen vollsti~ndige, ffir das periphere Sehen sehr weitgehende Dissoziation yon Farbensinn und Raumsinn.

Der Fall zeigt jedoch einwandfrei, dab fiir das Zustandekommen des prazisierten Krankheitsbildes die theoretisch a priori nicht sehr wahrscheinliche Annahme einer von auBen her und oberfl~chlich wir- kenden Rindenschi~digung im Sinne" W i l b r a n d s zum mindesten nicht nStig ist, sondern dab auch hier eine Schi~digung der optischen Leitung als das Prim~re und Wesentliche anzusehen ist.

Insofern als das gefundene anatomische Substrat der Farbensinn- stSrung trotz der klinischen Sonderstellung durehaus in den Rahmen der fiblic'hen anatomischen Befunde bei L~sionen des in l~ede stehenden Gebietes hineinpaBt, kSnnen wir vermuten, dab auch bei den bisher beschriebenen, klinisch analogen Fallen eine ~hnliche StSrung der Leitung, nicht aber ein Befund im Sinne W i l b r a n d s zugrunde lag.

DaB hier nicht ein absoluter Gesichtsfeldausfall bzw. eine Hemi- amblyopie, sondern nur eine relativ i s o l i e r t e FarbensinnstSrung resultierte, h~ngt offenbar nur yon der Lage und der Intensiti~t der anatomischen Li~sion, nicht aber yon einer spezifischen Eigenart der- ~elben ab.

Wenn wir somit an dem tatsi~chlichen Bestehen einer Li~sion der Leitung wenigstens als prim~re Ursache des Krankheitsbildes festhalten, so tr i t t damit sofort wieder die Frage in den Vordergrund, deren Be- antwortung immer die gr5Bten Schwierigkeiten bereitete, bzw. unmSg- lich erschien, ni~mlich die Frage, wie wir uns den D a u e r z u s t a n d der reinen Farbenblindheit erkl~ren sollen. W i l b r a n d hebt bereits mit Recht hervor (s. o.), dab wir uns ein entspreehendes anatomisches Substrat fiir eine so relative StSrung der optischen Leitung kaum vor- stellen kSnnen.

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Wie verhalten sieh nun meine Befunde zu dieser sehwierigen Frage ? Das Auffallendste ist die hoehgradige Liehtung des Markes, yon dem zahlreiehe Fasern zugrunde gegangen sind (besonders yon dem subeortiealen Mark der Unterlippen, Abb. 61). Es liegt deshalb der Gedanke nahe, dab die ausgefallenen Fasern in besonders enger Be- ziehung zum Farbensinn stehen kbnnten; als Triiger einer hbheren Funktion kSnnte man ihnen allenfatls eine geringere Widerstandskraft zuspreehen.

Gegen eine solehe Annahme besonderer Leitungsfasern fiir den Farbensinn sprieht aber neben anderen Griinden das wohl jetzt unbestrittene f u n k t i o n e l l e Bestehen einer strengen Projektion jedes einzelnen perzipierenden Retinalelementes auf die elementare Sehsph~re, wobei Raumsinn und Farbensinn miteinander verkup- pelt sind.

~ber die a n a t o m i s e h e Grundlage dieser Projektion wissen wir jedoeh bisher eigentlieh niehts Sieheres. NaturgemiiB kSnnen wir uns diesen Meehanismus am leiehtesten vorstellen bei Annahme nur einer Leitungsfaser fiir jedes Sehelement, wobei die •arbenleitung als die hbhere Funktion ein und derselben Faser anzunehmen w~tre, sehr viel leiehter jedenfalls als bei Annahme eines Komplexes yon Leitungs- fasern.

Wenn ich somit zurzeit wenigstens vor neuen Erfahrungen nicht geneigt bin, ifir den Farbensinn besondere Leitungsfasern anzunehmen, die auf Grund des d a u e r n d e n Ausfalles der Farbenempiindung mit ausgelallenen Fasern zu identifizieren w~ren, so bleibt dann wieder die Frage often, welehe Funktion die zahlreiehen, ausgefallenen Fasern ge- habt haben mSgen.

Ein erheblicher Tell dieses Faserausfalles wird naturgemi~B As- soziationsbahnen u. dgl. betreffen, trotzdem klinisch in dieser Hinsicht keinerlei StSrung nachweisbar war; die relativ geringe Affektion des macul~ren Gebietes der rechten unteren Sektoren macht es indes er- kl~rlich, dab derartige StSrungen unter der Schwelle des Nachweises blieben.

AuBerdem aber kann ich reich bei Betrachtung yon Partien mit schwerster anatomischer L~sion (z. B. Abb. 61, deren Gegend nach unseren lokalisatorischen Erfahrungen etwa dem paramacul~ren Gebiet der vSllig farbenblinden rechten oberen Gesichtsfeldsektoren entspricht, ohne dab hier nach klinischen Untersuchungsmethoden der Raumsinn w e s e n t l i c h gestSrt war) des Gedankens nicht erwehren, dab hier dutch exakte physiologische Untersuchungsmethoden sich doch viel- leicht eine erheblichere Beeintr~tchtigung auch des Raumsirmes h~tte nachweisen lassen, worauf dann ein weiterer Tell des Faserausfalls zu beziehen w~re.

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Ob schlie[~lich noeh ein Rest bleibt, dessen Funktionen uns noch unbekannt sind oder der vielleicht doch in irgendeiner Form etwas mit dem Farbensinn zu tun hat, vermag ich nieht zu sagen.

Gerade die Betraehtung meiner anatomischen Pr~parate hat mir iibrigens oft Anla[3 zum Zweifel gegeben, ob tats~chlich eine in jeder Beziehung v o l l s t ~ n d i g e und d a u e r n d e Dissoziation zwischen Raumsinn und Farbensinn tiberhaupt vorkommt. Exakte physio- logische Untersuchungsmethoden der peripheren Sehsch~rfe, die ja bekanntlich sehr schwierig sind, kamen in keinem der bisher beschriebe- nen F~lle yon ein- und doppelseitiger Hemiaehromatopsie zur An- wendung.

S a m e l s o h n 5) schreibt yon seinem bekannten Fall linksseitiger kompleter Farbenhemianopsie, da[3 der Raumsinn, soweit derselbe im indirekten Sehen mit Sicherheit gepriift werden konnte, sich vSllig intakt zeigte. Dieselben Buchstaben der Snellensehen Tafel vermochte Patient mit den rechten wie linken Gesichtsfeldh~lften in relativ gleichen Abst~nden vom Fixierpunkt wahrzunehmen. In diesem Fall betrug aber sehon die zentrale Sehsch~rfe nur 1/2; er wurde auBerdem nur einige Monate beobachtet.

Sehr viel eindeutiger erscheint a priori das Verhalten der zentralen Sehscharfe bei den Fallen doppelseitiger Farbenhemianopsie. Aber auch hier lassen uns die bisherigen Fglle bei streng prgzisierten Anforde- rungen im Stich:

In meinem Fall bestand bereits bei der ersten Untersuchung eine Sehschgrfe yon s/s; doch war im Gesichtsfeldbezirk, der diese normale Sehsch~rfe vermittelte, noch ein relatives Farbensehen vorhanden.

Bei dem vielzitierten Fall S t e f f a n s) betrug anfgnglich im Stadium totaler Farbenblindheit (Priifung nur mit Perimeterobjekten!) die Seh- sch~trfe nut 15/20. Nach 3 Monaten wurde in gr6fteren Flgchen, sparer aueh an kleineren Objekten Rot, Gelb und Blau erkannt, wenn auch die Empfindung fiir diese Farben dauernd quantitativ herabgesetzt blieb.

Nieht dagegen kehrte w~thrend der etwa 5j~thrigen Beobachtungs- zeit die Empfindung fiir Griin zuriick. Vier Jahre nach dem Insult war bei besonders heller Tagesbeleuchtung S. = 1. tdber die periphere Sehschgrfe ist nichts beriehtet.

Der aus dem Jahre 1869 stammende, einen 20j~hrigen Patienten betreffende Fall A l e x a n d e r 7) ist so wenig exakt beobachtet und be- sehrieben, dab er zur L6sung wissenschaftlicher Fragen nicht in Betracht kommt. Die Farbenblindheit war anscheinend keine vollstgndige, S. fast = 1.

Wir miissen also als Tatsache feststellen, dab wit bisher nur Falle mit a u f f a l l e n d w e i t g e h e n d e r Dissoziation yon Raumsinn und

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Farbensinn kennen, dab aber bisher ffir keinen Fall der exakte Beweis v o l l s t ~ n d i g e r Dissoziation in streng physiologischem Sinne er- bracht ist.

Es w~re sehr wfinschenswert, wenn bei der Untersuchung kiinftiger F~lle auf diese Prinzipienfragen exakter R/icksicht genommen w/irde, als es bisher geschah, wobei uns leider meist dadurch gewisse Grenzen gesetzt werden, dab es sich um Mte Leute mit herabgesetzter Beobach- tungsf~higkeit handelt.

Bez/iglich der D a u e r der FarbensinnstSrung sind die VerhMtnisse mehr geklart, wenn auch das bisherige Material zur endgfiltigen L6sung yon Prinzipienfragen durchaus noch nicht ausreicht. F~lle einseitiget Farbenhemianopsie sind hier weniger verwertbar, weft sich hierbei J~nderungen, speziell Besserungen der FarbensinnstSrung, die von prinzipieller Bedeutung sind, jedenfalls schwerer und nieht so exakt nachweisen lassen als bei doppelseitiger Farbenhemianopsie. Aber gerade die wenigen fiir die ErSrterung an dieser Stelle in Betracht kommenden FMle doppelseitiger Hemiachromatopsie wurden nur relativ kurze Zeit beobachtet (mein Fall 1 ein Jahr, Fall Alexander 2 Jahre).

Besonders zu denken gibt uns der vielzitierte und am l~ngsten (etwa 5 Jahre) beobachtete Fall S t e f f a n (s. o.), wo sich einige Monate nach anf~nglich v611igem Verlust des Farbensinnes ein gewisses, sp/iter noch sich besserndes Farbensehen wiederhergestellt hatte, eine Tatsache, die bereits W i l b r a n d veranlaBte, hier mehr an eine Affektion der Sehstrahlungen zu denken.

Andererseits scheint es aber unter den viel h~ufigeren Beobachtungen einseitiger Affektion doch F~lle zu geben, wo eine mehr oder weniger hochgradige Hemiachromatopsie mitunter viele Jahre hindurch im wesentlichen unver~ndert bestehen blieb.

Im ganzen ist jedenfalls anzuerkennen, dab es F~lle gibt, wo eine erhebliche FarbensinnstSrung so lange Zeit bestand, dab eine Restitutio ad integrum nicht mehr zu erwarten war, und diese F~lle kSnnen wir nach dem bisherigen Stande unseres Wissens, wenn wir, wie oben aus- geffihrt, besondere Fasern ffir die Farbenleitung nicht annehmen wollen, nicht mehr aus einer r e i n e n Mfektion der optischen Leitung erkl~ren, so viele bisher ungelSste Probleme uns auch das Mark bisher darbietet.

Es fragt sich deshalb, ob vielleicht die oben beschriebenen Ver- ~nderungen der l~ inde geeignet sind, uns einer Erkl~rung n~herzu- bringen. Tatsache ist jedenfalls eine Mitbeteiligung der I~inde, ohne dab eine direkte ZerstSrung derselben irgendwo stattgefunden hatte, abgesehen von einer oben beschriebenen v611igen Sequestration einzelner Partien der rechten Hemisphere (Abb. 6 bis 8). Eine fernere Tat-

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sache ist, dab der Grad der Rindenveri~nderungen in den verschiedenen Bezirken der Sehsphi~re in auffallender Weise dem Grad der Funktions- stSrung der einzelnen Gesichtsfeldsektoren parallel geht, wenn wir dabei die yon mir vertretene, jetzt wohl allgemein anerkannte lokalisatorische Aufteilung der Sehrinde zugrunde legen.

Entsprechend dem absoluten peripheren Gesichtsfelddefekt in den linken oberen Gesichtsfeldhi~lften linden wir die h6chstgradigen atrophi- schen Ver~nderungen im vordersten Abschnitt der rechten Calcarinaunter- lippe (Abb. 46); hier sind alle Rindenschichten, besonders die unteren und oberen schwer beteiligt. In der zugeh6rigen Oberlippe, entsprechend der total farbenblinden Peripherie der linken unteren Sektoren, fand sich nur eine Lichtung der oberen Rindenschichten. Von der ent- sprechenden Gegend der linken Hirnh~lfte wurden leider Nisslschnitte nicht angefertigt.

Im hinteren Abschnitt der Calcarina, der das paramacul~re und maculi~re Gebiet versorgt, finden wir folgendes Verhalten:

In der r e c h t e n Hemisphere besteht eine erhebliche, oben n~her beschriebene Lichtung innerhalb der Lamina grail, ext. und pyramidalis ; zwischen Oberlippe und Unterlippe besteht kein Unterschied, was sich (ira Vergleich zur anderen Seite) daraus crkl~rt, da{~ der grol~e Herd nicht so weir polwi~rts bis zu der Gegend reichte, aus der die Abb. 55 stammt; ich begntige mich deshalb mit der Wiedergabe einer Ab- bildung vonder Oberlippe. Diesem Rindengebiet entspricht das vSllig farbenblinde paramaculare und maculare Gebiet der linken Gesichts- feldhi~lften.

In der genau entsprechenden Gegend der l i n k e n Hemisphi~re entspficht bezfiglich der Unterlippe, die das total farbenblinde maculi~re und paramacul~re Gebiet der rechten oberen Sektoren versorgt (Abb. 57), das Verhalten der oberen Schichten graduell etwa dem eben erw~hnten Bride der rechten Hemisphere; vielleicht sind die Veri~nderungen noch etwas hShergradig, indem die gr6Beren Pyramidenelemente in der La- mina pyramidalis, besonders an der Basis dieser Schicht noch sp~rlicher erscheinen. Hierzu kommt aber in der Unterlippe der linken Hemi- sphare noch die Lichtung der Lamina fusif., die ich oben als direktere Wirkung des darunterliegenden Herdes bezeichnete.

Besonders interessiert uns nun das Verhalten der linken Oberlippe (naturgemi~it immer mit der zugehSrigen Hi~lfte des Grundes), weft dieses Gebiet das gestSrte, aber noch relativ vorhandene Farbensehen im macul~ren und paramaculi~ren Gebiet der rechten unteren Sektoren vermittelt. Dementsprechend miii~ten wir hier (Abb. 53) die relativ geringffigigsten Veri~nderungen erwarten, und das ist beziiglich der oberen Schichten, die hier allein in Betracht kommen, zweifellos der Fall. wie ein Vergleich der Abb. 53 mit den eben genannten zeigt.

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Dieses Parallelgehen yon Grad der FunktionsstSrung, in erster Linie des uns hier besonders interessierenden Farbensinnes, mit Schwere der anatomischen L~sion ist so auffallend, dal~ man sich des Gedankens nicht erwehren kann, dab die Sehichten, die wir konstant und iiberall verandert finden, in besonders inniger Beziehung zum Farbensinn stehen mfissen.

Diese Konstanz der Ver~nderungen besteht aber nur bezfiglich der oberen Schichten, wie das Verhalten der rechten Oberlippe und Unter- lippe und der linken Oberlippe zeigt. Die Alteration der Lamina fusif. der linken Unterlippe mu• noch etwas Besonderes darstellen, woriiber ich eine Auskunft nicht geben kann. Vielleicht, dal~ im zugehSrigen rechten oberen Maculasektor der Raumsinn mehr alteriert war als etwa in der linken Macula und Paramacula; doch vermag ich hierfiir einen Beweis nicht zu erbringen.

Die fernere Frage ist nun, wie wir uns das Zustandekommen der Ver~nderungen in den oberen Schichten erklhren sollen. Wenn schon beziiglieh der Unterlippen, speziell aueh der der rechten Hemisphere im hinteren Abschnitt, eine direkte Herdsch~digung der oberen Schich- ten nicht wahrscheinlich ist, einmal wegen der Entfernung des Herdes und zweitens aueh deswegen, weil z .B. in der Unterlippe der linken Hemisphere die mittleren Schichten nicht naehweisb~r ver~ndert sind, so kommt fiir die Oberlippen beider Hemisph~ren eine solche direkte Herdsch~digung, wie die Serien zeigen, iiberhaupt nicht in Frage.

Gerade hier haben wir deshalb m. E. t in vSllig reines Bild vor uns, das wir wohl kaum anders deuten kSnnen als eine sekund~re Folge der Ver~nderungen des M~rkes. Ich persSnlich mSchte mir den Vorgang so erkl~ren, da[~ dadurch, dal~ die optische Leitung dureh einen gewissen Zeitraum hindurch infolge des Krankheitsprozesses mit einer erheb- lichen Vermehrung der Widerst~,nde zu k~mpfen hatte, die optischen Eindrficke w~thrend dieser Zeit nicht bis an das distalste Ende des Sy- stems, dem die h5chste Funktion, n~mlich die Farbenperzeption zu- kommt, gelangen konnten. Trit t in einer gewissen Zeit nicht eine Restitution der optischen Leitung ein, so verfallen die distalsten Ele- mente in der Reihenfolge ihrer Wertigkeit und Entfernung vom Auge, also zuerst diejenigen ffir die Grfinempfindung einer I n a k t i v i t ~ t s - a t r o phie . Da~ degenerative Prozesse dieser Art vorkommen, beweisen meine frfiheren Untersuchungen an peripher ErblindetenS). Wenn dieselben bei der Farbenhemianopsie sehon so friihzeitig nachweisbar sind, so mag dies, z .T. wenigstens, damit zusammenhangen, dab die anatomische L~sion der Leitung unweit der Sehsph~re gelegen ist; ob und wieviel die Sch~digung des ganzen Ern~hrungszustandes im Gebiet der Sehsph~re, wie sie zweifellos in der ersten kritischen Zeit besteht, hierzu beitragt, wird sieh quantitativ schwer einsch~tzen lassen. Viel-

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leicht spielen aueh noch andere, unbekannte Faktoren bei dem Zu- standekommen des nun einmal tatsgchlich vorhandenen anatomischen Bildes eine Rolle. Ich verweise auch auf die ~bereinstimmung dieser Befunde mit denjenigen, die ieh an Tieren erhoben habe, die in farbigem Licht aufgezogen wurdeng).

Der degenerative Prozeft wird naturgemgB unterbrochen, sobald die optische Leitung evtl. wieder, entweder in toto oder bezfiglich eines Teiles ihrer Fasern, ihre normale Funktion zurfickerlangt. Nicht mehr restitutionsfghig ist aber dann, was von Rindenelementen, die die Farbenperzeption vermitteln, bis zu diesem Zeitpunkte zugrunde gegangen ist.

Somit erklart meir~e Annahme den d a u e r n d e n Ausfall eines mehr oder weniger hochgradigen Teils der Farbenempfindung oder den vSlligen Verlust derselben in ungezwungener Weise. Sie zeigt auch, daft ein vSlliger Verlust der Farbenempfindung bei vSlligem Intaktsein des Raumsinnes theoretisch mSglich ware; sie zeigt aber auch gleich- z~itig, daft, wie gerade auch die klinische Erfahrung lehrt, eine so v611ige dauernde Dissoziation yon l~aumsinn und Farbensinn in praxi kaum jemals vorkommen dfirfte. Meist wird es so sein, daft yon vornherein mehr oder weniger viele Leitungsfasern vSllig zerstSrt sind, oder dab die Leitungsbehinderung einzelner Fasern so hoehgradig ist und so lange dauert, daft in der Rinde auch Elemente ffir den Raumsinn zu- grunde gehen. Beide Ursachen zusammen (ob mehr die eine oder die andere fiberwiegt, l~ftt sich naturgemgft im Einzelfall sehr schwer ent- scheiden), kSnnen dann, fiber alle l~'bergangsstadien hinweg, zu Bildern hochgradiger l~indenatrophie mit vSlliger Funktionseinstellung ffihren, wie uns Abb. 46 ein solehes zeigt.

Gerade das Wechselvolle in dem ganzen Krankheitsbild mit dem schlief31ichen Station~rwerden eines mehr oder weniger hochgradigen l~estes yon FunktionsstSrung, speziell des Farbensinnes, erkl~rt, wie ich glaube, meine Annahme in sehr viel ungezwungenerer Weise als jeder bisherige Erklgrungsversuch. Besonders wertvoll war mir da- bei, daft ieh im Fall 2 im Prinzip dieselben Ver~nderungen fand wie im Fall 1.

Ich bin mir wohlbewuftt, daft es sich auch hier urn eine Theorie handelt, die allerdings auf exakter anatomischer Grundlage basiert, und daft diese Theorie noch manche Frage ungelSst l~ftt, die erst durch weitere Untersuchungen zu kl~ren w~tre. Gerade deswegen habe ich auf eine leider durch die Zeitverhgltnisse sehr besehrgnkte ausffihrliche Niederlegung meiner anatomisehen Befunde Wert gelegt, um jedem Nachuntersucher die MSglichkeit zu geben, sie in vielleicht anderem Sinne zu deuten oder sie evtl. mit seinen eigenen Befunden zu ver- gleichen.

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Z u m Schlul~ is t es mi r eine a n g e n e h m e Pf l icht , H e r r n G e h e i m r a t U h t h o f f ftir die ~ b e r l a s s u n g des Mater ia l s u n d ffir das so t iberaus

l ibcra le E n t g e g e n k o m m e n , das m i r die vo r l i egenden U n t e r s u c h u n g e n

e rmSgl ich te , m e i n e n e rg eb en s t en D a n k a b z u s t a t t e n .

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