Zweite Konferenz der Japanischen Arbeitsgemeinschaft für deutsche Soziologie

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dings, dass sich diese Einsicht auch in konkreten Mittelzuwendungen seitens der Weltwirtschafts- organisationen wiederfinden wird. War dies eine Sektion, die durchaus bewies, dass Fragen der sozio-ökonomischen Basis die subjektive Lagebeurteilung beeinflussen, so soll nun noch auf eine andere eingegangen werden, die sich speziell mit der Stratifikationsanalyse, besonders in postsozialistischen Gesellschaften, beschäftigte, in der auch ich einen Vortrag hielt. Ohne auf die Ergebnisse im Einzelnen eingehen zu können, sei hier auf die gesellschaftsverglei- chenden Arbeiten zu den sozialstrukturellen Be- dingungen von Entfremdung, „Distress“ und so- zialer Integration und Kohäsion hingewiesen, die zunächst durch den langjährigen Präsidenten der American Sociological Association, Melvin L. Kohn, angeregt wurden, der die neueren Ergeb- nisse des Vergleichs für die USA, Polen und die Ukraine auch vortrug. Kazimierz Slomczynski (Ohio State University), der schon immer die Verbindung des amerikanischen Forscherteams nach Warschau herstellte, weitete die Auswertung des umfangreichen Datenmaterials auf die allge- meinen Vorstellungen zur „gerechten“ Verteilung von Einkommen aus. Ein allgemeines Resümee des Kongresses in Krakau läßt sich nicht allein anhand der Vorträ- ge ziehen. Wie kommt es, dass die Lebhaftigkeit in polnischen Städten mit Tradition (aber auch mit dem Stadtteil Nowa Huta, der Arbeiterstadt des sozialistischen 20. Jahrhunderts) soviel ausge- prägter erscheint als in vergleichbaren ostdeut- schen Städten, obwohl bekanntlich das Wohl- standsniveau höchstens ein Zehntel des ostdeut- schen Niveaus erreicht? Wie haben sich Charme und im besten Sinne bürgerliche Bildung aus dem „milden“ Paternalismus der k.u.k.-Monar- chie über den Sozialismus hinweg auch auf die Kinder der Arbeiterstadt Nowa Huta übertragen, die heute mit ca. 26/27 Jahren häufig einen Ab- schluss der Jagiellonischen Universität haben, in der Regel recht gute Sprachkenntnisse (neben Russisch vor allem Englisch) und bereits eine Weile im angelsächsischen Sprachraum gelebt ha- ben, sei es als au-pair-Mädchen oder Hauslehrer bei den vielen ausgewanderten Polen im westli- chen Ausland. In Deutschland ist es an einigen Fakultäten üblich geworden, die Soziologie durch die so ge- nannten „Kulturwissenschaften“ zu ersezten. In Osteuropa, das ist vielleicht auch „the moral fabric of these societies“, macht man dagegen noch „Soziologie“ – Kultur hat man schon –, sie muss nicht bürokratisch verordnet werden. Wolfgang Teckenberg * Zweite Konferenz der Japanischen Arbeitsgemeinschaft für deutsche Soziologie Vom 27. – 29. März 2001 fand an der Universi- tät von Iwaki die zweite der von der Japanischen Arbeitsgemeinschaft für deutsche Soziologie organi- sierte Konferenz statt. Während die 1990 durch- geführte erste Zusammenkunft dieser Art (an der neben Joachim Matthes auch Friedrich H. Ten- bruck noch wesentlichen Anteil gehabt hatte) thematisch offener angelegt war, war diese zweite dem Verhältnis von Soziologie und Geschichte und näherhin den Voraussetzungen, Problemen und Erträgen der neueren historischen Soziologie gewidmet. Das Konferenzprogramm gliederte sich so in drei große Themenkomplexe: 1. Zur Geschichte und zu den gegenwärtigen Entwick- lungstendenzen der historischen Soziologie in Deutschland, in Japan und darüber hinaus, 2. Neue theoretische und methodologische Konzep- tionen, 3. materiale Untersuchungen zu ausge- wählten Problemfeldern. Zur ersten Abteilung gehörte zunächst der Vortrag von Volker Kruse (Bielefeld), der über seine Forschungen zur Wirkungs- resp. Verges- sensgeschichte der historischen Soziologie in Deutschland referierte. Von der vergleichsweise zögerlichen Entwicklung und immer noch prekä- ren gegenwärtigen Situation der historisch-sozio- logischen Forschung in Japan berichtete M. Nu- majiri (Kobe), und N. Tanaka (Kyoto) trug die – durchaus kontrovers diskutierte – These vor, dass eine bestimmte, ebenso breite wie intensive We- ber-Rezeption in Japan diesen Forschungsbestre- bungen eigentümlicherweise nicht förderlich ge- wesen sei. K. Sato (Tokyo) schließlich verfolgte am Werk von Kunio Yamagida die Frage, warum dessen bedeutende und einflussreiche Untersu- chungen zur historischen Ethnologie trotz aller thematischen und sogar begrifflich-theoretischen Nähe die Wahrnehmungsgrenzen zur Soziologie hin nicht überschritten haben. Mit neueren Entwicklungstendenzen in der historischen Soziologie westlicher Länder (vor al- lem in den USA und England, aber auch in Deutschland) hatte sich – einleitend – J. Weiß (Kassel) befasst, und zwar vornehmlich unter dem Gesichtspunkt, dass sich hier, in bewusster Absetzung von den absorptiven Großtheorien der Vergangenheit, ein zurückhaltender und differen- zierender Umgang mit theoretischen Erklärungen und ein hohes Maß von methodologischer Re- flektiertheit erkennbar sei. Von japanischer Seite wurde in dieser Hinsicht auf die fortdauernde Bedeutung des Weberschen Werks verwiesen. Während T. Ibaraki (Iwaki) dabei auf methodo- logische Fragen, insbesondere das Zusammen- 616 Nachrichten und Mitteilungen

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dings, dass sich diese Einsicht auch in konkretenMittelzuwendungen seitens der Weltwirtschafts-organisationen wiederfinden wird.

War dies eine Sektion, die durchaus bewies,dass Fragen der sozio-ökonomischen Basis diesubjektive Lagebeurteilung beeinflussen, so sollnun noch auf eine andere eingegangen werden,die sich speziell mit der Stratifikationsanalyse,besonders in postsozialistischen Gesellschaften,beschäftigte, in der auch ich einen Vortrag hielt.Ohne auf die Ergebnisse im Einzelnen eingehenzu können, sei hier auf die gesellschaftsverglei-chenden Arbeiten zu den sozialstrukturellen Be-dingungen von Entfremdung, „Distress“ und so-zialer Integration und Kohäsion hingewiesen, diezunächst durch den langjährigen Präsidenten derAmerican Sociological Association, Melvin L.Kohn, angeregt wurden, der die neueren Ergeb-nisse des Vergleichs für die USA, Polen und dieUkraine auch vortrug. Kazimierz Slomczynski(Ohio State University), der schon immer dieVerbindung des amerikanischen Forscherteamsnach Warschau herstellte, weitete die Auswertungdes umfangreichen Datenmaterials auf die allge-meinen Vorstellungen zur „gerechten“ Verteilungvon Einkommen aus.

Ein allgemeines Resümee des Kongresses inKrakau läßt sich nicht allein anhand der Vorträ-ge ziehen. Wie kommt es, dass die Lebhaftigkeitin polnischen Städten mit Tradition (aber auchmit dem Stadtteil Nowa Huta, der Arbeiterstadtdes sozialistischen 20. Jahrhunderts) soviel ausge-prägter erscheint als in vergleichbaren ostdeut-schen Städten, obwohl bekanntlich das Wohl-standsniveau höchstens ein Zehntel des ostdeut-schen Niveaus erreicht? Wie haben sich Charmeund im besten Sinne bürgerliche Bildung ausdem „milden“ Paternalismus der k.u.k.-Monar-chie über den Sozialismus hinweg auch auf dieKinder der Arbeiterstadt Nowa Huta übertragen,die heute mit ca. 26/27 Jahren häufig einen Ab-schluss der Jagiellonischen Universität haben, inder Regel recht gute Sprachkenntnisse (nebenRussisch vor allem Englisch) und bereits eineWeile im angelsächsischen Sprachraum gelebt ha-ben, sei es als au-pair-Mädchen oder Hauslehrerbei den vielen ausgewanderten Polen im westli-chen Ausland.

In Deutschland ist es an einigen Fakultätenüblich geworden, die Soziologie durch die so ge-nannten „Kulturwissenschaften“ zu ersezten. InOsteuropa, das ist vielleicht auch „the moralfabric of these societies“, macht man dagegennoch „Soziologie“ – Kultur hat man schon –, siemuss nicht bürokratisch verordnet werden.

Wolfgang Teckenberg∗

Zweite Konferenz der JapanischenArbeitsgemeinschaft für deutsche Soziologie

Vom 27. – 29. März 2001 fand an der Universi-tät von Iwaki die zweite der von der JapanischenArbeitsgemeinschaft für deutsche Soziologie organi-sierte Konferenz statt. Während die 1990 durch-geführte erste Zusammenkunft dieser Art (an derneben Joachim Matthes auch Friedrich H. Ten-bruck noch wesentlichen Anteil gehabt hatte)thematisch offener angelegt war, war diese zweitedem Verhältnis von Soziologie und Geschichteund näherhin den Voraussetzungen, Problemenund Erträgen der neueren historischen Soziologiegewidmet. Das Konferenzprogramm gliedertesich so in drei große Themenkomplexe: 1. ZurGeschichte und zu den gegenwärtigen Entwick-lungstendenzen der historischen Soziologie inDeutschland, in Japan und darüber hinaus, 2.Neue theoretische und methodologische Konzep-tionen, 3. materiale Untersuchungen zu ausge-wählten Problemfeldern.

Zur ersten Abteilung gehörte zunächst derVortrag von Volker Kruse (Bielefeld), der überseine Forschungen zur Wirkungs- resp. Verges-sensgeschichte der historischen Soziologie inDeutschland referierte. Von der vergleichsweisezögerlichen Entwicklung und immer noch prekä-ren gegenwärtigen Situation der historisch-sozio-logischen Forschung in Japan berichtete M. Nu-majiri (Kobe), und N. Tanaka (Kyoto) trug die –durchaus kontrovers diskutierte – These vor, dasseine bestimmte, ebenso breite wie intensive We-ber-Rezeption in Japan diesen Forschungsbestre-bungen eigentümlicherweise nicht förderlich ge-wesen sei. K. Sato (Tokyo) schließlich verfolgteam Werk von Kunio Yamagida die Frage, warumdessen bedeutende und einflussreiche Untersu-chungen zur historischen Ethnologie trotz allerthematischen und sogar begrifflich-theoretischenNähe die Wahrnehmungsgrenzen zur Soziologiehin nicht überschritten haben.

Mit neueren Entwicklungstendenzen in derhistorischen Soziologie westlicher Länder (vor al-lem in den USA und England, aber auch inDeutschland) hatte sich – einleitend – J. Weiß(Kassel) befasst, und zwar vornehmlich unterdem Gesichtspunkt, dass sich hier, in bewussterAbsetzung von den absorptiven Großtheorien derVergangenheit, ein zurückhaltender und differen-zierender Umgang mit theoretischen Erklärungenund ein hohes Maß von methodologischer Re-flektiertheit erkennbar sei. Von japanischer Seitewurde in dieser Hinsicht auf die fortdauerndeBedeutung des Weberschen Werks verwiesen.Während T. Ibaraki (Iwaki) dabei auf methodo-logische Fragen, insbesondere das Zusammen-

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spiel von Wertbezogenheit und unterschiedlichenFormen idealtypischer Konstruktion, abhob,zeigte H. Orihara (Nagoya), dass die Kontrover-sen über die ,richtige‘ Edition von Wirtschaft undGesellschaft mit zentralen Fragen der Deutungund Beanspruchung des substantiellen WerksWeber verbunden sind. Ein weiterer, diesemKomplex zugehörender Beitrag war der von S.Kojima (Fukushima), der sich mit der Rolle derWeber-Rezeption unter der Herrschaft und imZuge der Verabschiedung des Historischen Mate-rialismus in Russland befasste.

Einen höchst anregenden Einblick in die his-torisch-vergleichende soziologische Forschung lie-ferte T. Kuroda (Osaka) mit seinem Vortrag überdie von den Gegebenheiten in westlichen Gesell-schaften stark abweichende Rolle der Juristen inJapan. Sh. Shimada (Erlangen) befasste sich mitder Geschichts- resp. Erinnerungspolitik inDeutschland und Japan, und zwar im Hinblickdarauf, welcher Spielraum in diesem Zusammen-hang der wissenschaftlichen Forschung zugestan-den resp. von dieser reklamiert wird. M. Albrow(London, z. Zt. Washington) schließlich entwi-ckelte nachdrücklich die Auffassung, dass die So-ziologie den intellektuellen und auch praktisch-politischen Erfordernissen des „global age“ nurentsprechen könne, wenn sie sich von überkom-menen Blickverengungen befreie.

Die Konferenzverhandlungen waren durchein hohes Maß an „kommunikativer Dichte“ ge-kennzeichnet. Das versteht sich angesichts derbesonderen sprachlichen Probleme nicht vonselbst. Die Vorträge aller nichtjapanischen Refe-renten (auch derer, die an der Teilnahme verhin-dert waren, wie Joachim Matthes) waren jedochvorweg vollständig ins Japanische übersetzt undin beiden Fassungen bei Konferenzbeginn allen– ca. 60 – Teilnehmern (darunter der Leiter desDAAD-Büros in Tokyo, Dr. Ulrich Lins) in dieHand gegeben worden. Die japanischen Beiträgelagen, zumindest in Kurzfassung, in deutscherÜbertragung vor. Darüber hinaus verfügen vieleMitglieder der veranstaltenden Arbeitsgemein-schaft über entwickelte Kenntnisse des Deut-schen (und des Englischen), und schließlich stan-den für die Präsentation der Beiträge und dienachfolgenden Diskussionen ungewöhnlich fähi-ge Übersetzer und Übersetzerinnen bereit.

Insgesamt verdienen die Vorbereitung unddie Durchführung der Konferenz höchste Aner-kennung. Besonderer Dank gilt in dieser Hin-sicht vor allem den vor Ort Tätigen, also Prof.T. Ibaraki, seinen Kollegen und, nicht zu verges-sen, studentischen Hilfskräften. Dieser Dank be-zieht sich, vorgreifend, auch darauf, dass Prof.Ibaraki es übernommen hat, die Konferenzbeiträ-

ge in einer japanischen Publikation herauszubrin-gen. Die Leitung der – erst vor 15 Jahren ge-gründeten – Iwaki-Meisei-Universität hatte demUnternehmen nicht nur ausdrückliches, großesInteresse, sondern auch ihre tatkräftige Unter-stützung zuteil werden lassen. (Die Kosten wur-den weitaus überwiegend von der Arbeitsgemein-schaft getragen, aber auch die DFG leistete einenBeitrag dazu.) Die Verwaltung der – ebenfallsnoch sehr jungen – Industrie- und HafenstadtIwaki hatte dafür gesorgt, dass die ausländischenGäste mit deren Geschichte und der Arbeits- undLebenswelt ihrer Menschen vertraut gemachtwurden.

Der von den japanischen Kolleginnen undKollegen mit so großem Engagement begonneneund bisher zu wesentlichen Teilen organisierteAustausch wird in den kommenden Jahren leben-dig und produktiv bleiben. Auch wenn er keines-wegs nur von den Konferenzen, sondern vonvielfältigen Formen der wechselseitigen Informa-tion und Inspiration getragen wird, soll es in ab-sehbarer Zukunft eine dritte Konferenz geben,die dann, schon aus Gründen einer fairen Ar-beitsteilung, in der Bundesrepublik stattfindendürfte.

Johannes Weiß

ANKÜNDIGUNGEN

„Die ökonomische Herausforderungder Soziologie?“

Neue Wege und Konzepte in derInstitutionentheorie und -analyse

(21. – 22. März 2002 an der Universitätder Bundeswehr München)

Institutionentheorie und -analyse gehören zumStandardprogramm der modernen Sozialwissen-schaften. Bereits die Klassiker Durkheim, Weber,Veblen, Commons u.a. vertraten zu Beginn des20. Jahrhunderts die Auffassung, dass soziale undwirtschaftliche Phänomene aus einer institutio-nentheoretischen Sicht zu betrachten seien. Nacheiner längeren Phase institutionentheoretischerAbstinenz entwickelt sich gegenwärtig in derÖkonomie wieder eine starke ,Institutionenöko-nomik‘ und auch in der Soziologie finden sichAnsätze zu einem ,Neuen Soziologischen Institu-tionalismus‘. Die Ökonomie unterbreitet dabeiein ,imperialistisches Erklärungsprogramm‘ undwidmet sich auch in zunehmendem Maße zentra-len Forschungsgegenständen der soziologischenTheorie, wie etwa Normen, sozialem Kapital,

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