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Page 1: 26 Leben DieHeldenderMülltonne · „TresHombres“hatimGegen-satzzumodernenFrachtern keinenMotor.ZweiHolländer undeinÖsterreichermachen damitFairTransport:35Ton-nenSpezialitätenbringensie

Nummer 302 | Dienstag, 30. Oktober 2012Leben26

Von Nicole Unger

Innsbruck, Salzburg – Als Vor-speise gibt es ein feines Spar-gelsüppchen, danach einenLinsen-Apfel-Salat mit Feta-Käse und zum Abschluss süßeApfelradeln. Das Besonderean diesem Menü? Die Zutatendafür stammen aus der Müll-tonne. Ein Grund, die Nasezu rümpfen, ist das trotzdemkeiner. „Der eigentliche Mistist das System der Verschwen-dung“, sagen der gebürtigeInnsbrucker Tobias Judmai-er und der Salzburger DavidGross. Allein in Österreich lan-den 96.000 Tonnen Lebens-mittel pro Jahr verpackt undunverpackt im Restmüll.

Diese Wegwerf-Mentalitätstinkt dem Tiroler Koch unddem Regisseur zum Himmel,deshalb haben sie, wie sieselbst sagen, ihre „Gemüse-Gulasch-Kanonen ausgefah-ren“ und gemeinsam mit ih-rem Freund, dem FotografenDaniel Samer, im Frühjahrdas Projekt „Wastecooking“(Müllkochen) ins Leben geru-fen. Eine Gruppe von Mülltau-chern, Köchen und Filmema-chern taucht dabei am Abendnach Ladenschluss in denMülltonnen der Supermärktenach weggeworfenen Lebens-mitteln. Den „Abfall“ verwan-delt der 37-jährige Judmaieram nächsten Tag in kreativeGerichte, um Gäste entwederan öffentlichen Plätzen – z. B.beim Frequency Festival in St.Pölten – oder an „geheimen“Orten zu bekochen. Im An-schluss wird diskutiert, gefei-ert, gegessen und die gefilmteKochshow online auf www.wastecooking.com gestellt.

Wer sich die Episodenfilmeim Netz ansieht, dem könntedurchaus das Essen im Halsstecken bleiben: Original-verpackte Salate, Frischkäse,weißer Spargel, sackweiseKartoffeln oder Äpfel werden

genauso aus dem Müll gefischtwie Premium-Milchprodukte,deren Haltbarkeitsdatum ge-rade einmal einen Tag über-schritten wurde. „Einmal warsogar ein Fünf-Liter-Bierfassdabei“, erinnert sich Judmai-er. Das Ergebnis einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus dreiBiotonnen: 47 Kilo Lebensmit-tel im Wert von 328 Euro, diesich eine Stunde vorher nochin den Regalen der Geschäftebefanden. Ein Wahnsinn.

Warum so viele Lebensmit-tel in den Tonnen landen, istein globales Systemproblem,an dem alle beteiligt sind, er-klärt Judmaier. Es beginne da-mit, dass extrem viel an Obst

oder Gemüse auf den Feldernliegen bleibt, weil es den äs-thetischen Ansprüchen derKonsumenten nicht genügt.Tomaten müssen heutzuta-ge rund, Karotten nicht ver-schrumpelt sein und Kartof-feln müssen die gleiche Größebesitzen, damit sie zeitgleichgar werden. Das zweite Prob-lem ist ein logistisches. VieleSupermärkte haben keine ad-äquaten Lagermöglichkeiten.Gerade vor dem Wochenendewerden deshalb oftmals Le-bensmittel weggeworfen, de-ren Haltbarkeitsdatum nochnicht überschritten wurde,um Platz zu machen für neueWare. Apropos Haltbarkeits-

datum: Produkte, die ein Min-desthaltbarkeitsdatum über-schritten haben, sind nichtgiftig. „Die Industrie hat demProdukt einfach einen Lebens-zyklus gegeben, hauptsächlichaus ästhetischen Gründen. BeiFruchtjoghurts sinken Früch-te z. B. nach ein paar Tagenab, der Konsument will aberFrüchte sehen“, erklärt Jud-maier.

Und so würde sich schluss-endlich jeder den schwarzenPeter zuschieben. Die Su-permärkte sagen, der Konsu-ment will um 18.45 Uhr nochfrischen Salat oder frischesBrot haben und die Erdbee-ren auch im Winter kaufen.

Der Bauer sagt, die Industrieverlangt nach ästhetischen,symmetrischen Produkten.Und der Konsument? Der istvon dem ganzen Angebot derheutigen „Zuvielisation“, wiees Klaus Töpfer, Stv. Präsidentder Welthungerhilfe nennt,heillos überfordert und kauftunüberlegt und viel zu viel.

„Wir verdienen mit demProjekt nichts, wollen aber aufkreative Art Aufmerksamkeitschaffen und hauptsächlichjunge Leute zum Nachdenkenbewegen“, sagt Judmaier, derhauptberuflich einen Miet-kochservice betreibt. Bis jetztwaren die Mülltonnenpiratenin Salzburg und Niederöster-

reich unterwegs, demnächstist auch in Wien eine Aktiongeplant. Angezeigt seien sienoch nie geworden, erzähltder Innsbrucker, der jetzt inWien lebt. „In Österreich istMüll herrenloses Gut. Den Ge-setzesbruch, den wir begehen,ist jener der Besitzstörung, daSupermarktareale nachts zu-gesperrt sind“, erklärt Judmai-er. Aber die Gefahr nehmendie Helden der Mülltonne in

Kauf. „Die Sacheist uns einfach zuwichtig.“

Die Helden der MülltonneDer Tiroler Tobias Judmaier und sein Freund David Gross kochen in ihrer Internet-Kochshow ihr eigenes

Süppchen: Die Zutaten stammen aus dem Müll. Das eigentlich Ekelige sei nur der Wegwerf-Wahn, sagen sie.

David Gross (l.) taucht in Mülltonnen nach Lebensmitteln, Tobias Judmaier (r.) verwandelt die satte Ausbeute in kreative Gerichte. Fotos: www.wastecooking.com

1,3 Milliarden Tonnen Nahrungs-mittel werden weltweit im Jahrumsonst produziert. In Österreichlanden insgesamt ca. 96.000 Ton-nen an verpackten und unverpack-ten Lebensmitteln jährlich im Rest-müll. In den ländlichen Gebietenmacht das rund 5 kg je Einwohnerund Jahr im Restmüll aus. In denstädtischen Regionen sind es 17bis 22 kg. Die Ausgaben für wegge-worfene Lebensmittel betragen proHaushalt durchschnittlich rund 300Euro pro Jahr. Quelle: Lebensministerium

Wastediving (Mülltauchen),auch Containern oder Dumpsterngenannt, kommt ursprünglich ausden USA und ist ein Protest vonAktivisten gegen die Lebensmittel-verschwendung.

Wastecooking ist eine konsum-kritische Internet-Kochshow, diefür eine neue Wertschätzung vonLebensmitteln kämpft. Lebensmit-tel werden aus Mülltonnen gefischt,Gäste bekocht, das Szenariogefilmt. Nächste Aktion: Am 1.Dezember werden die Filmepiso-den im Top Kino in Wien im Zugedes Human Rights Film Festivalsgezeigt: www.thishumanworld.at

Essen aus dem Müll

Im Internet:Mehr Infos und Rezepte finden Sieauf www.wastecooking.com

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Wien – Von A nach B und dasohne CO2, unter dieser Maxi-me segelt ein Frachtschiff seitdrei Jahren rund um die Welt.Die 80 Jahre alte und 35 Me-ter lange Zweimast-Brigantine„Tres Hombres“ hat im Gegen-satz zu modernen Frachternkeinen Motor. Zwei Holländerund ein Österreicher machendamit Fair Transport: 35 Ton-

nen Spezialitäten bringen siein die Karibik und retour.

Das Dilemma von JorneLangelaan, Arjen van der Veenund Andreas Lackner, demKapitän aus der Steiermark,ist klar: Mit der „Tres Homb-res“ sollte am besten mit demWind fahren. Beim Kreuzenkann man unter Umständennach Tagen wieder am selben

Ort wie zuvor sein. Das wider-spräche jedweder Vernunft.„Wir wollen ‚Fair Transport‘,den Transport von Waren überdie Meere ohne CO2-Ausstoß.Es macht keinen Sinn, wennselbst kleine Frachtschiffepro Tag 10.000 bis 15.000 Li-ter Schweröl verbrennen, derWind als Antriebsquelle aberkostenlos weht“, sagt Lackner.

Das Geschäftsmodell ent-spricht – ganz traditionell –dem alter Seefahrer und Händ-ler: Zum Teil übernehmen dieSchiffseigner Frachtaufträge,zum Teil sind sie im Eigenhan-del tätig. Feines biologischesOlivenöl aus Portugal für dieKaribik, 6500 Flaschen Rumaus der Karibik an Bord des130 Tonnen schweren Frach-ters für Europa, etc. – und dasmit einer Tagesstrecke vonrund 160 Seemeilen. Regist-riert ist das Schiff in Sierra Le-one, weil die Niederlande keinSegelschiff ohne Motor mehrangemeldet haben wollen. DerHeimathafen aber ist Den Hel-der an der Nordsee.

Bei dem einen Schiff soll esnicht bleiben. Geplant sinddie Konstruktion und der Baueines 8000-Tonnen-Fracht-schiffes mit einem Dyna-Rigg – Segeln auf drehbarenMasten. Hundert Meter langsoll das Schiff werden, 20Millionen Euro kosten – undden Warentransport mit Se-gelschiffen wieder aufs Tapetbringen. (TT, APA)

Frachtschiff segelt mit demWindZwei Holländer und ein Steirer setzen mit ihrem motorlosen Schiff auf „Fair Transport“.

Die 80 Jahre alte „Tres Hombres“ segelt als Frachter von Europa in die Karibik und retour. Der Steirer AndreasLackner (ganz rechts) ist der Kapitän des Schiffes und einer der drei Gründer von „Fair Transport“. Foto: Tres Hombres

Kürbiskerne zum KnabbernDer Kürbis hält viele Kerne in seinem Inneren versteckt, doch meist wird dasmatschige Innenleben einfach entsorgt. Doch das muss nicht sein: Geröste-te Kürbiskerne kann man selbst machen und sie eignen sich als Knabbereioder Salattopping. Die Kerne werden dafür vom Fruchtfleisch gelöst undzum Trocknen bei 200 Grad in den Ofen geschoben. Jede Seite muss etwazehn Minuten geröstet werden. Da die Schale hart ist, sollten die Kernegeschält werden. Wer möchte, kann sie jetzt noch salzen. Foto: PantherStock