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Page 1: 3 IM BLICKPUNKT Münchner Merkur Nr. 72 | Dienstag, 26. März … · 2020. 8. 29. · Die Zeit der Atomkraft in Deutschland läuft ab. Ende 2022 sollen die letzten Atommeiler vom

Die Zeit der Atomkraft in

Deutschland läuft ab. Ende

2022 sollen die letzten

Atommeiler vom Netz ge-

hen. Im Kraftwerk „Isar 1“

nahe Landshut läuft be-

reits der Rückbau. Es ist ein

logistischer Kraftakt, ein

scheibchenweiser Ab-

schied von einer Technik,

die in anderen Ländern

noch in voller Blüte steht.

VON WOLFGANG HAUSKRECHT

Essenbach – Sebastian Witt-mann steht in einer Schleuse,den Blick geradeaus. Er stecktdie Hände in zwei Löcher,wartet. Grünes Licht, er istnicht kontaminiert. DieSchleuse öffnet sich. Zigtau-send Mal hat er das schon ge-macht. Wittmann, 62, ist stell-vertretender Standortleiterim Kernkraftwerk „Isar“ in Es-senbach bei Landshut undverantwortlich für den Rück-bau. „Scheibchen für Scheib-chen wird der Kuchen kleingeschnitten“, sagt er, wäh-rend er in seinem orangefar-benen Overall schier endloseTreppen nach oben hüpft.„Seit der Stilllegung“, sagt er,„ist das Kraftwerk eigentlichnur noch ein Stück Schrott.“Ein Stück Schrott, das nun de-kontaminiert werden muss.Deswegen auch die Schleu-sen, damit niemand Radioak-tivität in schon gereinigte Be-reiche bringt. Und natürlichzur eigenen Sicherheit.

Der 11. März 2011 war derTag, der der Atomkraft inDeutschland den Saft abdreh-te. An jenem Tag begann dieKatastrophe im japanischenFukushima. Ein schweresErdbeben und ein Tsunamitrafen das Kernkraftwerk„Fukushima Daiichi“. Es gab

mehrere Explosionen, in dreiBlöcken kam es zur Kern-schmelze. Die Situation: au-ßer Kontrolle. Die Katastro-phe erreichte auf der sieben-stufigen Bewertungsskala fürnukleare Ereignisse diehöchste Stufe 7. Wie viel Ra-dioaktivität in Luft und Pazi-fik gelangt ist, weiß niemandgenau. Die Kettenreaktionreichte aber bis nachDeutschland. Bundeskanzle-rin Angela Merkel kippte dieerst wenige Monate zuvor be-schlossene Laufzeitverlänge-rung und setzte den Atom-ausstieg durch.

Wittmann erinnert sichnoch genau. „Ich habe am17. März einen Anruf des Ge-schäftsführers in Hannoverbekommen. Er sagte: HerrWittmann, aus politischenGründen müssen wir die Anla-ge heute abschalten. Ich habedie Abschaltung dann einge-leitet.“ Das Ende, von einerStunde auf die andere, nach 32Jahren Leistungsbetrieb. „Daswar ein echter Niederschlag.“

Nun also baut er zurück,was sein Leben war. Seit 1981arbeitet Wittmann in demKraftwerk, das PreussenElek-tra gehört. Gebaut hatten eseinst die Bayernwerke unddie Isar-Amperwerke. Witt-mann, Maschinenbauinge-nieur, hat seine eigene Mei-nung zum Atomausstieg. DasKraftwerk sei sicher gewesen,sagt er. „Es war eine rein poli-tische Entscheidung.“ AberWittmann ist Profi, kein Ha-derer. Jetzt heißt es eben Aus-

ten gerade die nächste Castor-Beladung vor“, sagt Witt-mann. Neun Tage dauert es,einen Behälter zu befüllen.Ende 2019 sollen alle Elemen-te im Zwischenlager sein.Aber das ist nur ein kleinerTeil der gewaltigen Arbeiten.

Wittmann marschiert wei-ter. Wieder geht es über Trep-pen, durch Türen und Hallen.Überall liegen Teile. Am Bo-den, in Kisten. Was wild aus-sieht, hat einen perfektenPlan, wie Wittmann beteuert.Wann welches Rohr abge-baut, welches Kabel durch-trennt wird, ist genau festge-legt. Auf jedem Teil befindetsich eine Sprühmarkierung.Pink heißt: steht zum Abbauan. Eine zusätzliche blaueMarkierung: der Abbau kannsofort beginnen.

Wittmann betritt die Turbi-nenhalle. Hier wurde derStrom über heißen Wasser-dampf erzeugt. Arbeiter tur-nen herum. Die Gerüstbauertragen einen roten Helm, De-montierer einen gelben.Wittmann trägt Weiß. Zufall.

Die Hochdruckturbine istschon abgebaut, die Demon-tage der Niederdruckturbineläuft gerade. Überall stehenKräne, denn was es hier zuwuchten gilt, ist schwer. Vie-le Tonnen Stahl. Stahl, deranschließend in so kleineStücke zersägt werden muss,dass er transportiert und de-kontaminiert werden kann.Kleine Sägen, große Sägen,gewaltige Umlaufsägen. Sä-gen ist eine Daueraufgabe im„Isar 1“. Aber es geht lang-sam. Stahl ist verdammt hart.

Ein Großteil des Innenle-bens ist nur oberflächlich be-lastet. Über verschiedene Ver-fahren wird die Oberflächevon Radionukliden gesäubert– Sandstrahlen, Metallkies-strahlen, Wasserstrahlen,mit Laugenbädern. Die gesäu-berten Stücke werden freige-messen. Erst nach mehrerenPrüfschritten und einer Ab-nahme durch Prüfer derbayerischen Aufsichtsbehör-de landen sie in Altmetallcon-tainern. Jeder Schritt wird do-kumentiert, die Historie je-des Stücks kann über QR-Codes nachvollzogen wer-den. „Nichts geht hier verlo-ren“, sagt Wittmann. EineMilliarde Euro wird der Rück-bau am Ende gekostet haben.

Nicht alles kann in denWertstoffkreislauf zurück.3400 Tonnen radioaktiven Ab-falls bleiben. Ein Endlager fürschwach- und mittelbelasteteAbfälle ist schon im Bau, dasalte Eisenerz-Bergwerk „Kon-rad“ in Salzgitter in Nieder-sachsen. Die Suche nach ei-nem Endlager für hochradio-aktive Abfälle steht am An-fang. Es muss also zwischen-gelagert werden. Die meistenZwischenlager werden direktbei den Kraftwerken errich-tet. Eigentümer ist der Bund.

Wittmann steht wieder inder Schleuse. Grünes Licht. Esist Mittag, sein Weg führtübers Gelände in die Kantinefür die rund 500 Mitarbeiter,die noch hier arbeiten. Witt-mann isst Hendl mit Kartof-felsalat. Wenn er in Rentegeht, wird Deutschland kei-nen Atomstrom mehr produ-zieren, wohl aber zukaufenaus dem Ausland. Dass derAusstieg rückgängig gemachtwerden könnte, glaubt ernicht. „Es gibt keinen Plan B.“

Lesen Sie demnächst zum Ab-schluss unserer 3-teiligen Serie:Deutschland braucht ein Endlager.

Strom mehr, aber strahlenweiter vor sich hin. Die Brenn-elemente wurden durchSchleusen ins Abklingbeckentransportiert. Etwa die Hälfteder 1734 Brennelemente istbereits im Zwischenlager, dassich neben dem Reaktorge-bäude befindet. 876 Elementelagern noch im Becken, mankann sie unter Wasser sehen.Das Wasser kühlt die heißenStäbe und verhindert wegenseiner hohen Dichte, dassStrahlung austritt. „Wir berei-

ebenfalls PreussenElektraund zu einem Viertel derStadt München.

Nur noch sieben Kernkraft-werke sind in Deutschland inBetrieb. Philippsburg 2 fährtEnde 2019 runter, Brokdorf,Grohnde und Gundremmin-gen C Ende 2021. Emsland,Neckarwestheim 2 und Isar 2folgen Ende 2022. Alle ande-ren deutschen Kernkraftwer-ke sind bereits stillgelegt, imRückbau oder sind schon fer-tig rückgebaut.

ben. Im April 2017 hat derRückbau begonnen, so langedauerte es mit der Genehmi-gung. Alles ist akribisch ge-plant. Der Rückbau läuft voninnen nach außen. Bis 2032soll die Anlage entkernt, allesgesäubert und freigemessensein. Erst dann beginnt derAbriss des Gebäudes. „2040“,sagt Wittmann, „soll hierwieder grüne Wiese sein.“Auch das benachbarte Kraft-werk „Isar 2“ soll dann ver-schwunden sein. Es gehört

stieg. „Es ist eine interessan-te, nicht weniger herausfor-dernde Aufgabe.“

Das Treppensteigen hat einEnde. Wittmann öffnet eineStahltür, führt durch riesigeRäume, in denen es von Ka-beln und Rohren nur so wim-melt. Kaum vorstellbar, dasshier jemand den Durchblickhat. Alles muss abgebaut unddekontaminiert werden. Al-lein das Gebäude wiegt200 000 Tonnen, dazu kom-men 24 000 Tonnen Innenle-

„Isar 1“ – Ein Atomkraftwerk wird kleingesägt

Der Oberplaner: Sebastian Wittmann steht in der Turbinenhalle. Der 62-Jährige ist für den Rückbau des Kernkraftwerks „Isar 1“ verantwortlich.

Einmal schneiden bitte: Ein Arbeiter misstan seiner Säge ein Stahlteil aus, das zer-kleinert werden muss. ALLE FOTOS: MARCUS SCHLAF

Strahlungsfrei: Diese Metallstücke wur-den von Radionukliden befreit und war-ten auf die Freigabe fürs Altmetall.

Eine Frage des Durchblicks: So wie hier sieht es fast über-all im Kraftwerk aus. Farbige Markierungen zeigen an,welches Teil schon rückgebaut werden darf.

Gefährlicher Pool: Im Abklingbecken lagern noch viele Brennelemente. Der orangeneKoloss ist die Reaktorbedienungsbühne, mit der die Elemente vom Siedewasserreaktorins Becken gebracht wurden. Die Schleuse zum Reaktor liegt hinter der Bühne.

Gleich geht‘s los: Ein Arbeiter bereitet in einer Spezial-kammer das Metallkiesstrahlen eines Stahlstücks vor.Saubere Atemluft bekommt er über seinen Anzug.

Wittmann ist am Ziel undstoppt. Vor ihm liegt das Ab-klingbecken, das aussieht wieein Swimmingpool. Glaskla-res Wasser, zum Baden unge-eignet. Daneben liegt dieSchleuse zum Reaktordruck-behälter, der von hier tief insGebäude reicht. Der Siede-wasserreaktor ist das Herz desAtommeilers, der gefährlichs-te Ort im Kraftwerk. Der Ort,an dem die Brennelemente ih-ren Dienst verrichtet haben.Sie produzieren zwar keinen

Im Jahr 2040 soll hier wieder grüne Wiese sein. Rechts imBild „Isar 1“, links die bekannte Kuppel von „Isar 2“.Der Kühlturm in der Mitte gehört zu Isar 2.

Es gibt keinenPlan B.

Sebastian Wittmann zur Frage,

ob er einen Ausstieg vom

Ausstieg für möglich hält.

Ich habe einenAnruf des Geschäfts-führers bekommen.

Das war einechter Niederschlag.

Sebastian Wittmann über den

Tag, als „Isar1“ vom Netz ging.

3 Münchner Merkur Nr. 72 | Dienstag, 26. März 2019IM BLICKPUNKT Telefon (089) 53 [email protected]