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D ie Heiner-Müller-Wer-dung des GermanistenJan Knopf begann im Jah-re 1985. Es näherte sichder dreißigste TodestagBertolt Brechts, und umdiesen literarisch zu be-

gehen, schlüpfte Knopf in die Masken einigerdamals berühmter Schriftsteller. Er verfassteim Stile der Autorenkollegen fünf witzige Hul-digungen an den Jahrhundertdichter. Im Ein-zelnen waren das: ein Gedicht von „GünterKunert“ mit dem Titel „Volkstümlicher Dich-ter, Stiftung Warentest: Qualitätsurteil ,sehrgut‘“. Eine 10-Punkte-Sammlung von „Jürg La-ederach“ namens „Laederachs Art den Brechtzu spielen. Ein Chorus mit einem Nachspiel“.Eine Imitation Martin Walsers, betitelt als„Kurze Rede auf einen Zeitgemäßen“. Ein bö-ser, Fremdwörter wie Gift spuckender Satzvon „Peter Handke“.

VON MATTHIAS HEINE

Dazu kam – last, but verhängnisvoll – eineSzene in der Machart des damals auf dem Hö-hepunkt seines Ruhmes stehenden HeinerMüller, die Jan Knopf „Nachleben Brechts Bei-schlaf Auferstehung in Berlin“ nannte. Sie be-ginnt mit dem erotischen Brecht-Zitat „Hatein Weib fette Hüften, tu ich sie ins grüneGras. Rock und Hose tu ich lüften, sonnig –denn ich liebe das“ – das aber, typisch für Hei-ner Müller, komplett in Großbuchstaben ge-schrieben wird. Danach folgt der Monolog ei-nes Schauspielers, der als Bertolt Brecht kostü-miert ist (allerdings im Bärenfell mit Keule)und der den BB-Figuren Fatzer, Herr Keunerund Baal begegnet.

Dieser Text steht nun schon seit 2002 imfünften Band der Heiner-Müller-Werkausgabebei Suhrkamp („Die Stücke 3“). Allerdingswurde er vom Herausgeber Frank Hörnigk undseinem Team als ein originaler Text des Dich-ters angesehen und gehört zu den – wie es inder Verlagsankündigung stolz heißt –„drei imNachlaß gefundenen knappen Szenen“, dieerstmals mit aufgenommen wurden.

Die Geschichte, wie es zu dieser unverhoff-ten und unerwünschten Adelung einer kleinenGelegenheitsarbeit Jan Knopfs kam, ist einüber dreieinhalb Jahrzehnte laufendes Schel-menstück, in dem die Handlung von Ignoranz,Arroganz und Intrigen vorangetrieben wurde.Seine absurde Pointe: Eigentlich wollte Suhr-kamp den Text nie drucken – jedenfalls solan-ge er noch von Jan Knopf war.

Gedacht waren Knopfs kleine literarischeParodien als Geburtstagsbeiträge für die zwei-

te Ausgabe des „Brecht-Journals“, einer Publi-kation, deren erste Nummer 1983 im Suhr-kamp-Verlag erschien. Herausgeber war JanKnopf, seit Jahrzehnten einer der weltweitanerkanntesten Brecht-Experten. Schon imersten Band waren neben wissenschaftlichenTexten auch Satiren erschienen.

Doch Ende 1986 erschien das zweite„Brecht-Journal“ ohne die Parodien. DerGrund dafür war eine Intervention von aller-höchster Stelle. Der Suhrkamp-Verleger Sieg-fried Unseld lobt in einem LITERARISCHEWELT vorliegenden Brief vom 11. Juni 1986zwar die Fähigkeiten Knopfs, sich in literari-scher Mimikry dem Stil der nachgeahmten Au-toren anzunähern: „Ich bewundere IhreKenntnis, Ihre Phantasie und Ihren Witz.“Doch nach dieser Captatio benevolentiae folg-te eine klare Absage: „Aber bei den ,Stimmender Dichter‘ schießt Ihre Vorstellungskraftüber ein mögliches Ziel hinaus. (...) Die „Be-troffenen“, insbesondere und soweit es sichum Suhrkamp-Autoren handelt, würden dasnicht als Spaß sehen, sondern könnten michmit Recht verantwortlich machen, das im Rah-men des Suhrkamp-Verlags gedruckt zu haben.Wenn es anderswo in einer Zeitschrift erschie-ne, gut, aber im Rahmen des Suhrkamp-Im-prints kann ich das nicht verantworten. Bittehaben Sie Verständnis.“ Damals war MartinWalser noch ein Suhrkamp-Autor, Handke füll-te mit Bestsellern die Kassen des Hauses undauch Jürg Laederach war dem Verlag als Autorund Übersetzer verbunden.

Suhrkamp-Autor war aber vor allem Brecht.Der lebte zwar nicht mehr. Doch seine Erben,insbesondere die in Ost-Berlin lebende Toch-ter Barbara Brecht-Schall (1930 bis 2015) be-trachteten alles, was mit „Papa“ zu tun hatte,recht humorlos. Knopf hatte seinen Müller-Text, wie er freimütig zugibt, auch geschrie-ben, um die Erben zu provozieren – er bestandzu einem guten Teil aus Brecht-Zitaten. Nor-malerweise hätte das die aus finanziellen, ideo-logischen, hagiographischen und zuallerletztauch künstlerischen Gründen über jeden ir-gendwo verwendeten Textfetzen wachendeBabara Brecht-Schall vielleicht auch auf diePalme gebracht. Aber da Unseld so etwasschon ahnte und keinen Ärger mit der Rechte-inhaberin des weltweit prominentesten Suhr-kamp-Autors wünschte, blieb die Müller-Paro-die erst mal zusammen mit den vier anderenTexten in Knopfs Schublade.

Von den fünf Autoren, deren Stil Knopf imi-tiert hatte, war nur Günter Kunert nie beiSuhrkamp – jedenfalls nie offiziell und nichtunter seinem richtigen Namen. Doch heutesteht auf der Verlagshomepage folgende An-

merkung zum ersten Band der Heiner-Müller-Werkausgabe („Die Gedichte“): „Bitte beach-ten Sie: Der Band enthält zwei Gedichte, dienicht von Heiner Müller, sondern von GünterKunert stammen. Es handelt sich um die Texte,Impressionen am Meer‘ und ,Die Uhr läuft ab‘.Der Fehler wird in der nächsten Auflage desBandes korrigiert.“

Vielleicht sind die Kunert-Gedichte auf ähn-liche Weise zu Müller-Gedichten mutiert wieKnopfs Dramolett zu einem vermeintlichenOriginalwerk des 1995 gestorbenen Dramati-kers wurde. Knopf erinnert sich: „1989, zweiTage vor dem legendären 4. November lernteich Heiner Müller in Ost-Berlin persönlichkennen und war dann häufiger bei ihm zuGast. Bei einer Regiebesprechung der ,Ham-let‘-Stücke für das Deutsche Theater war ich inseiner Wohnung dabei und berichtete ihm vonmeinen Satiren. Er wollte seinen Teil unbe-dingt lesen.“

Knopf schickte Müller einen Ausdruck desTextes. Müller habe ihn amüsiert zur Kenntnisgenommen, erzählte er Knopf beim nächstenTreffen im Café des Deutschen Theaters. Erschlug dem Germanisten vor, doch noch einePublikation zu versuchen und wollte den Aus-druck gerne behalten. So sei das Stück wohl inMüllers Nachlass gelangt, vermutet Knopf undmerkt süffisant an, man hätte doch schon amWest-Papier des Ausdrucks merken müssen,dass es sich nicht um einen echten Müller-Texthandele. Allerdings war Müller ja bekanntlichein Wanderer zwischen beiden deutschenStaaten, dem das Ost-Berliner Regime freienGrenzübertritt gewährte. Westdeutsches Dru-ckerpapier zu besorgen, wäre ihm leichter ge-fallen als den meisten DDR-Bürgern.

Die Gelegenheit zur von Müller angeregtenPublikation des Stücks ergab sich schon bald.Nach dem Zusammenbruch der DDR geriet dievon Ost-Berlin mit Anzeigen massiv unter-stützte, DKP-nahe „Deutsche Volkszeitung“ inSchwierigkeiten. Anfang 1990 wurde sie unterdem Namen „Volkszeitung“ neu gegründet,bevor sie schließlich im Herbst 1990 mit derehemaligen Zeitung des DDR-Kulturbundes„Sonntag“ verschmolz und das Blatt unterdem Titel „Freitag“ erschien. In der kurzenÜbergangsepoche 1990 bot Knopf dem Chefre-dakteur Karl Deiritz die ungedruckten Pa-rodien an.

Am 13. Juli 1990 wurden die nun schon fünfJahre alten Texte in der „Volkszeitung“ unterder Überschrift „Brecht. Stimmen der Dich-ter“ gedruckt. Ein Vorspann kündigte an: „Imfolgenden teile ich einige Stimmen prominen-ter Literaturverfasser zu ,Brecht‘, anlässlichkeines Geburts- oder Todestages mit: ,Was

sagt uns der Dichter heute?‘ Es war völlig frei-gestellt, in welcher Form und in welchem Um-fang die Antwort erfolgte.“ So geht die Anmo-deration noch zwei Absätze weiter, und es liestsich wie eine Parodie auf den manchmal etwasbürokratisch-poesieverwalterischen Ton offi-ziöser Publikationen zur Pflege des literari-schen Erbes. Am hübschesten ist aus heutigerSicht die kurze „Antwort“ von „Peter Hand-ke“: „Mir fällt zu Brecht nichts mehr ein. Pe-rennierende Futilität.“ Dahinter stand inKlammern die „Anmerkung des Herausge-bers“: „Übersetzung siehe Duden“.

Knopf erinnert sich: „Ich hatte einige Ausei-nandersetzungen mit Deiritz, weil er daraufbestand, dass meine Verfasserschaft aus pres-serechtlichen Gründen ausdrücklich genanntwird. Ich dagegen meinte, der idiotische Ein-führungstext sowie die Versammlung der illus-tren Verfassernamen müssten ausreichen, umauch allen Nicht-Literatur-Beflissenen ,Satire‘zu signalisieren.“ Deiritz setzte sich durch.Rechts unten auf der Seite erschien ein kleinerHinweis: „Herausgeber und Autor sämtlicherTexte dieser Seite: Jan Knopf“.

Das hätte genügen sollen, um weitere Miss-verständnisse auszuschließen. Deswegen hieltes Knopf für unnötig, Barbara Schöning daraufhinzuweisen, dass er der Autor des Müller-Texts sei, als diese ihm 2001 schrieb. Schöninggehörte zum Herausgeber-Team der Heiner-Müller-Werkausgabe und wollte Auskünfteüber die Entstehung des kleinen Stücks sowieüber Unterschiede zwischen dem Manuskriptund der Druckfassung. Knopf gab sie in einemSchreiben, das LITERARISCHE WELT vor-liegt, bereitwillig: Die seien anlässlich des 30.Todestages für eine Publikation im „Brecht-Journal“ gedacht gewesen, der Müller-Text ei-ne Gelegenheitsarbeit in der Weihnachtszeitgewesen, Unseld habe die Publikation mitRücksicht auf die Erben abgelehnt, Müller ha-be ihm (Knopf) gesagt, dass „Brecht BeischlafAuferstehung“ ihm viel Spaß bereitet habe.

Jahre später, an den genauen Zeitpunktkann er sich nicht mehr erinnern, bemerkteKnopf, dass sein Text nun als echtes Müller-Opus in der Werkausgabe steht. In den Anmer-kungen zur Publikationsgeschichte wird auchdavon ausgegangen, dass die anderen Brecht-Stimmen echt wären: „Anlässlich des 30. To-destage Bertolt Brechts 1986 sammelte der Li-teraturwissenschaftler Jan Knopf ,Stimmenprominenter Literaturverfasser‘ zu der Frage,Was sagt uns der Dichter heute?‘. Neben Hei-ner Müller sandten Peter Handke, Günter Ku-nert, Jürg Laederach und Martin Walser Texteein.“ Die Veröffentlichung 1990 in der „Volks-zeitung“ wird erwähnt; nur der dortige Hin-

weis auf die Autorschaft Jan Knopfs wurdeübersehen oder ignoriert.

In den 35 Jahren seit der ersten Veröffentli-chung des Knopfschen Müller-Brecht-Stücksund den 18 Jahren seiner Kanonisierung durchdie Werkausgabe ist sogar schon Sekundärlite-ratur erschienen, in der „Nachleben BrechtsBeischlaf Auferstehung in Berlin“ interpretiertwird. Der britische LiteraturwissenschaftlerDavid Barnett zog es schon 2002 in der Zeit-schrift „Theatre Research International“ als ei-nes der beiden „Lesser-Known Fragments“ he-ran, mit denen er beweisen wollte, dass Müller„the End of Brechtian Dramaturgy“ eingeleitethabe. 2011 erschien gar eine Übersetzung in derspanischen Theaterzeitschrift „ADE-Teatro“.

Das alles, obwohl Knopf den Suhrkamp-Ver-lag mehrfach auf den Fehler hingewiesen hat.Knopf vermutet, seine Hinweise seien igno-riert worden, weil er aufgrund eines endgülti-gen Zerwürfnisses mit den Brecht-Erben imVerlag mittlerweile Persona non grata sei. Aberdas muss Spekulation bleiben.

Unbestreitbar ist, dass der Brief Unseldsvon 1985 und die Fußnote in der „Volkszei-tung“ 1990 die Autorschaft Knopfs stichhaltigbeweisen. Die ungerechtfertigte Aufnahmevon Gedichten Günter Kunerts in die Müller-Werkausgabe untermauert, dass die Herausge-ber in der Eile nicht immer hundertprozentigsorgfältig gearbeitet haben – die ersten 11 Bän-de erschienen in nur 10 Jahren von 1998-2008,was für eine wissenschaftlich anspruchsvolleAusgabe ziemlich flott ist.

Niemand – auch nicht Knopf – erwartet,dass Suhrkamp den entsprechenden Band we-gen einer einzigen falschen Zuweisung ein-stampft. Aber ein Hinweis im Internet auf denFehler – wie bei Kunert – oder ein Einlegezet-tel wäre angemessen. Einen solchen Hinweishat der Verlag nun auf Nachfrage von LITERA-RISCHE WELT angekündigt und eingeräumt,dass die Falschzuweisung des KnopfschenMüller-Stücks im Hause bekannt ist.

Damit – und mit einer irgendwann vielleichtkommenden, bereinigten Zweitauflage desentsprechenden Bandes – könnte eine Ge-schichte enden, die die beiden Hauptprotago-nisten (neben Knopf) vermutlich eher amü-siert als empört hätte. Brecht war ja sprich-wörtlich lax in Fragen geistigen Eigentumsund auch Müller sah Texte bekanntlich eher als„Material“ (eines seiner Lieblingswörter) dennals authentische Zeugnisse. In einem Inter-view ausgerechnet mit dem genannten briti-schen Literaturwissenschaftler David Barnettsagte er einmal: „Ich erfinde gerne Zitate.“Sein Gesprächspartner weiß nun, dass nichtnur Müller gerne erfand.

Am Ende sind Texte nur „Material“: Heiner Müller (1929 bis 1995)

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Vor 35 Jahren schrieb der Germanist Jan Knopfeine kleine literarischeParodie im Stile HeinerMüllers. Heute steht sieals echter Müller-Textin der großenSuhrkamp-Werkausgabe.Wie kam es dazu? Eine Recherche

Wie manHeiner Müller

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INHALTLiteraturstreit: Die absurde Debatte über Cultural Appropriation, S. 27 Depressive Herkunft: Bov Bjerg im Gespräch, S. 28

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