A N T I S T H E N E S D E R S O K R A T I K E R
Das literarische Werk und die Philosophie,
dargestellt am Katalog der Schriften
(Teildruck)
Inaugural-Dissertation
aur Erlangung der Würde eines Doktors der Philosophie
vorgelegt der Fakultät für
Orientalistik und Altertumswissenschaft
der Ruprecht-Karl-Universität zu Heidelberg
von A n d r e a s P a t z e r
aus Marburg
.1970
1. Gutachter: Prof. Dr. Uvo Hölscher
2. Gutachter: Prof. Dr. Franz Dirlmeier
Tag der mündlichen Prüfung: 16. Juli 197o
VORWORT
Die vorliegende Dissertation hat während der Bearbei-
tung für den Druck so erheblich an Umfang zugenommen,
daß es geraten schien, vor der Veröffentlichung in
Buchform zunächst einen photomechanischen Teildruck
herauszugeben. Die Veröffentlichung dieses Teildrucks,
der ungefähr die Hälfte des gesamten Textes umfaßt,
geschieht mit freundlicher Erlaubnis des Herrn Dekans
der Fakultät für Altertumswissenschaft und Orienta-
listik der Universität Heidelberg.
An dieser Stelle gilt es vielfach Dank zu sagen.
Danken möchte ich vor allem meinem Lehrer, Herrn Pro-
fessor Uvo Hölscher, der diese Arbeit betreut hat;
ohne seine freundliche Unterstützung und hilfreiche
Kritik hätte ich das Buch gar nicht schreiben können.
Herr Professor Franz Dirlmeier hat mir im Sachli-
chen und Stilistischen wertvolle Ratschläge gegeben,
die ich dankbar aufgenommen habe.
Mein Freund Rüdiger Leimbach war immer bereit,
schwierige Fragen mit mir zu besprechen.
Danken möchte ich auch Frau Margarethe Humble,
die mir die ungedruckte Antisthenesausgabe ihres ver-
storbenen Mannes zur Einsicht überlassen hat.
Dank auch der Bibliothdque Nationale in Paris, der
Biblioteca Laurenziana in Florenz und der Biblioteca
Nazionale in Neapel für die Fotokopien aus Handschrif-
ten des Diogenes Laertius; sowie der Frankfurter
Stadt- und Universitätsbibliothek für die Beschaffung
der entlegeneren Literatur.
Die Herstellung des schwierigen Manuskripts hat
Frau Gerda Hopfner treulich besorgt.
A.P.
1
INHALTSVERZEICHNIS
EINLEITUNG S . 11
I. UBERBLICK ÜBER DIE FORSCHUNG s . 16
I I . GLIEDERUNG UND METHODE S . 45
III. DER XENOPHONTISCHE ANTISTHENES S . 55
1. Memorabilien 3.11.17 S . 55
2 . Memorabilien 2.5 S . 56
3 . Symposion S . 60
4 . Antisthenes bei Xenophon S . 87
I V . DAS LITERARISCH-PHILOSOPHISCHE WERK DES ANTISTHE-NES S . 91
1. Die antiken Zeugnisse Uber die Schriften S . 91
a . Umfang S . 91
b . Inhalt S . 92
c . Form S . 94
d . Stil S . 98
e . Echtheitskritik S . 101
2. Der Katalog S . 107
a . Text S . 107
b . Abfassungszeit und Herkunft S . 118
c . Gliederung S . 127
d . Titel S . 143
3. Die Einzelschriften S . 163
a . Die rhetorischen Schriften S . 163
a . t0|10 c, a ' S . 163
1 Ilepi \eE,euk fl ncpi xa
O<*KTnpuv S . 164
2 A"a<; fl Aiavtoq \6yoc, S . 1 9 0
3 'O&uoaeüq T] [nept] 'Obuaasux; (\6yoc.) . S. 191
4 'Opeaxou äno^oyta S. 215
5 Die Problematik der Titel rheto-risch-aktueller Thematik S. 218
6 fiept TÜV &LXOYpaq>wv S. 226
7 ' Ioofpacpn(^) HOCI A e o i a t ; S. 228
8 ripoe; TOV ' IaoHpatoiK; 'A^aptupov S . 234
9 Antisthenes bei Isokrates S . 239
p. Die Glaubwürdigkeit der Uberlieferung über eine rhetorische Periode im Leben des Antisthenes S . 246
BIBLIOGRAPHIE S . 256
APPENDIX:
Diogenis Laertii Burbonicus Parisinus Laurentianus Co-dices ad scriptorum Antisthenicorum catalogum qui per-tinent phototypice expressae proferuntur S. 271
EINLEITUNG
Eine Untersuchung über den Sokratiker Antisthenes bedarf
keiner langen Vorrede. Antisthenes wie auch die anderen
Sokratiker, deren Werk nur in Bruchstücken überkommen ist,
sind rechte Stiefkinder der Wissenschaft. Es fehlt an
gründlichen Fragmentsammlungen und Kommentaren; es fehlt
an gründlichen Interpretationen. Wer hier forscht, forscht
auf wenig bekanntem Boden, der manchen Fund verspricht.
Die Handbücher, die die wissenschaftliche communis opinio
am deutlichsten widerspiegeln, pflegen die Sokratiker in
zwei Gruppen einzuteilen: In der ersten erscheint Piaton;
in der zweiten werden Aischines, Antisthenes, Aristipp,
Eukleides, Phaidon, Xenophon und die Apokryphen unter
wechselndem Rubrum als "kleine", "einseitige" oder "un-
vollkommene" Sokratiker abgehandelt. Diese beliebte und
althergebrachte Einteilung erklärt Piaton zum einzigen
rechtmäßigen Erben sokratischen Denkens; die anderen
Sokratiker gehen leer aus, gleichsam wie schlechte Schü-
ler, die ihren Lehrer nicht richtig verstanden haben.
So nimmt es nicht wunder, daß sich die Wissenschaft mit
Piaton ausführlich, mit den anderen Sokratikern recht
wenig beschäftigt hat.
Die genannte Klassifizierung ist indes nichts weni-
ger als historisch richtig und gerecht. Niemand wird be-
streiten, daß Piaton der größte Sokratiker gewesen ist.
Aber gerade darum taugt er nicht zum Maßstab: Piatons
Größe läßt selbst das Bedeutende noch klein erscheinen.
Bedeutende Köpfe aber sind die Sokratiker allesamt ge-
wesen: Antisthenes, Aristipp, Eukleides und Phaidon waren
bedeutende Denker, Gründer namhafter Philosophenschulen,
denen die hellenistische Philosophie entscheidende Anre-
gungen verdankt; Aischines und Xenophon waren, wenn keine
- 12 -
eigenständigen Denker, so doch bedeutende Schriftsteller,
deren stilistisches Können die antike Literaturkritik
einhellig rühmt. Alle diese Männer haben sich zu ihrem
Teil bemüht, Sokrates zu verstehen, weiterzudenken und
darzustellen, und keiner von ihnen hat es verdient, ab-
seits vom wissenschaftlichen Interesse, in Piatons Schatten
zu stehen. Die antike Kritik weiß von keinem grundsätzli-
chen Unterschied zwischen Piaton und den anderen Sokratikern,
und die moderne Philosophiegeschichte täte gut, diese un-
historische Trennung, die nicht klassifiziert, sondern dis-
qualifiziert, wiederaufzugeben.
Von den sogenannten Kleinen Sokratikern hat Xenophon
immer die größte Aufmerksamkeit gefunden. Das ist ver-
ständlich; denn Xenophons Schriften sind vollständig er-
halten, so daß man hier der heiklen Mühe des Sammeins
und Kombinierens überhoben war. Unverständlich bleibt je-
doch, daß man die Aufmerksamkeit, die man Xenophon zu
schenken bereit war, den fragmentarischen Sokratikern so
lange so hartnäckig verweigert hat. Hier hat der Glaube
an die Gerechtigkeit der Tradition gewirkt: Die Uberlie-
ferung habe ihre guten Gründe gehabt, so hieß es, wenn
sie die Schriften Piatons und Xenophons erhalten habe,
nicht aber die der übrigen Sokratiker.
Dieses Urteil ist nur zum Teil richtig. Es gilt für
Piaton, nicht für Xenophon. Xenophons Schriften haben nicht
überdauert, weil man ihren Verfasser als Sokratiker schätz-
te, sondern weil er als Vertreter eines reinen Attisch
stilistisch und als Fortsetzer des Thukydides historisch
interessant gewesen ist. Im übrigen nimmt Xenophon unter
den Sokratikern auch keinen sonderlich hohen Rang ein.
Im Gegenteil: Wie wir heute wissen, hat er die sokratische
Schriftstellerei erst spät begonnen und dabei bereits
vorliegende Literatur anderer Sokratiker ausgiebig benutzt,
- 13 -
nicht immer mit Kritik und glücklicher Hand.
So ist die Auswahl, die die antike Tradition unter den
Sokratikern getroffen hat, nur zum Teil glücklich, und es
verzerrt den Blick für die richtigen Proportionen, wenn
man ihr kritiklos folgt. Das heißt: Es ist an der Zeit, die
fragmentarischen Sokratiker aus ihrem Schattendasein zu
erlösen und ihnen den Platz in Philosophie- und Literatur-
geschichte einzuräumen, der ihnen als genuinen Schülern
und Schilderern des Sokrates gebührt - eine umfangreiche
und schwierige Aufgabe, zu deren Lösung manches getan ist,
vieles aber noch zu tun bleibt. Es gilt, die Testimonien
und Fragmente vollständig zu sammeln und zu kommentieren,
am besten nach einheitlichem Plan in einem einheitlichen
Korpus; es gilt ferner, Biographie, Literatur und Philoso-
phie kritisch zu rekonstruieren, wobei auch die arg ver*-
nachlässigte anonyme Sokratestradition, die viel wertvolles
Gut altsokratischer Herkunft enthält, gebührend berücksich-
tigt werden muß; es gilt endlich, die fragmentarischen So-
kratiker unter biographischen, literarischen und philoso-
phischen Gesichtspunkten mit Piaton und Xenophon zu ver-
gleichen. So (und nur so) wird am Ende ein kritischer
Gesamtüberblick über die Sokratik möglich, ohne den vom
historischen Sokrates zu reden vergebliche Mühe ist.
Die vorliegende Arbeit möchte zur Lösung dieser Aufgabe
einen Beitrag liefern. Es geht darum, das literarische
Werk und die Philosophie des Antisthenes nach bisher noch
nicht erprobter Methode historisch-kritisch zu rekonstruieren.
Antisthenes verdient aus dreierlei Gründen besondere Auf-
merksamkeit. Erstens: Wir sind Uber Antisthenes besser un-
terrichtet als über jeden anderen fragmentarischen Sokra-
tiker, so daß man hier am ehesten hoffen darf, aus den Bruch-
stücken ein leidlich vollständiges und wahrheitsgetreues
Bild des Mannes zusammensetzen zu können; zweitens: Anti-
- 14 -
sthenes ist einer der interessantesten Sokratiker, Schöpfer
einer rigorosen Ethik und einer originellen, oft mißver-
standenen Dialektik, zugleich ein Schriftsteller von be-
trächtlicher Begabung und enormer Produktivität, als Phi-
losoph wie als Literat ein wichtiger Anreger des Kynis-
mus und des Stoizismus; drittens endlich und nicht zuletzt:
Antisthenes hat als einziger der fragmentarischen Sokrati-
ker in der Sokratesforschung eine Rolle gespielt, eine
kurze zwar nur und eine widersprüchliche dazu, indem sein
Sokrates einmal als getreues Konterfei, einmal als roman-
tische Verfälschung des historischen Sokrates gelten sollte
aber immerhin: Wo Rauch ist, da ist auch Feuer; es wäre
möglich, daß man auf der Suche nach Antisthenes auch So-
krates begegnet.
Eine solche Begegnung wäre hochwillkommen. Die Sokra-
tesforschung hat das Fragmentarische nicht minder ver-
nachlässigt als die Sokratikerforschung. Es waren immer
die erhaltenen Vier, die bei der Rekonstruktion des hi-
storischen Sokrates die entscheidende Rolle gespielt haben:
Piaton, Xenophon, Aristoteles und Aristophanes. Manche
hielten dafür, einer der Viere gebe den historischen So-
krates unverfälscht wieder; die meisten versuchten, durch
Trennen und Mischen verschiedener Zeugnisse zweier oder
dreier Gewährsmänner zum Ziele zu kommen. Ubereinstimmung
jedoch, auch nur vorläufige, zeigte sich weder so noch so,
und am Ende waren die gelehrten Ansichten über Sokrates
widersprüchlicher, als die widersprüchliche antike Über-
lieferung ist. Heute gibt es über den historischen Sokrates
nicht einmal den Ansatz einer communis opinio. Mit anderen
Worten: Die Sokratesforschung ist gescheitert, - geschei-
tert trotz der scharfsinnigen Mühe, die die Wissenschaft
seit mehr als hundertfünfzig Jahren an dieses Haupt- und
Kernproblem der antiken Philosophiegeschichte gewandt hat.
Nichts wäre jedoch verfehlter als Resignation, wie sie
gerade in neuerer Zeit Platz gegriffen hat. Die Quellen
sind noch nicht ausgeschöpft, und es wäre möglich, daß ge-
rade die fragmentarischen Sokratiker, die so lange so wenig
beachtet worden sind, der traditionellen Sokratesforschung
einen Ausweg aus ihrer Aporie zeiqen könnten. Wenn sich der
historische Sokrates hinter den Vieren nicht hat zeigen
wollen, so zeigt er sich vielleicht hinter Fünfen, Sechsen
oder Achten? Die Probe muß gemacht werden, und es ist nicht
gesagt, daß sie mißlingt - mißlänge sie aber, so wäre ge-
tan, was getan werden konnte, und die Wissenschaft müßte
und dürfte bekennen, daß sie das Problem Sokrates mit ihren
Mitteln nicht lösen kann.
Wie auch immer - das Bemühen um die Sokratiker ist
letzten Endes Bemühen um Sokrates. Und wenn im folgenden
so ausführlich die Rede von Antisthenes ist, dann eigent-
lich und vor allem um Sokrates' willen und aus Interesse
für ihn.
- 16 -
I. ÜBERBLICK ÜBER DIE FORSCHUNG
»
Eine Darstellung der Geschichte der Antisthenesforschung
fehlt bisher. So wird hier als Einleitung ein chrono-
logisch-systematischer Überblick über die einschlägige
Literatur nicht unwillkommen sein.
Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts ist die Antisthe-
nesforschung antiquarisch: Man sammelt einzelne Nachrich-
ten, kümmert sich aber nur wenig um Interpretation und
Kritik.
Einen repräsentativen Überblick über den Forschungs-
und Wissensstand jener Zeit geben einmal die philosophie-
geschichtlichen Kompendien wie T . Stanley, 'History of
philosophy'^, oder J . Brucker, 'Historia critica phlloso-
phiae' , zum anderen zwei ganz vereinzelt stehende kurze
monographische Abhandlungen: G.L. Richter, 'Dissertatio
historico-philosophica de vita, moribus ac placitis Antis-3
thenis Cynici1
, und L . Crell, 'Programma de Antisthene 4
Cynico' . Hier wie dort zeigt sich dasselbe Bild: Man über-
setzt die Antisthenesbiographie des Diogenes Laertius ins
Lateinische und fügt der Übersetzung einige Parallelstellen
bei, wie sie bei I. Casaubonus, 'Notae ad Diogenem Laerti-
1) London 1655 ff.; lateinisch Leipzig 1711, hier bes. S. 505-511.
2) Leipziq 1742 ff.; 2. Aufl., 1. Bd., ebenda 1767, bes. S. 860-871.
3) Jena 1724.
4) Leipzig 1728.
- 17 -
ura'^, oder bei A . Menagius, 'Emendationes et observationes
in Diogenem Laertium1
®, an einschlägiger Stelle leicht
zu finden waren.
So nimmt es nicht wunder, daß man Antisthenes damals
allenthalben so gesehen hat, wie ihn Diogenes Laertius
zeigt: als Begründer und Archegeten der kynischen Popular-
philosophie.
Im 19. Jahrhundert befreit man sich zunächst aus anti-
quarischer Beschränkung und übt historische Kritik, läßt
sich jedoch im Laufe der Zeit immer mehr auch zu unkriti-
schen Spekulationen verleiten.
Zuerst findet die Philosophie des Antisthenes Aufmerk-
samkeit.
Als erster hat W.G. Tennemann, 'Geschichte der Philo-
sophie' die antisthenische Philosophie gewürdigt. Tenne-
mann unterscheidet bei Antisthenes Ethik und Dialektik:
Die Ethik lasse als einzigen Zweck des Lebens das Gute
gelten und knüpfe so, wenn auch einseitig, an sokratische
Vorstellungen an: die Dialektik dagegen, die viel Scharf-
sinn verrate, mache sich sophistisch-gorgianische Sätze
zu eigen, wenn sie über Eines nur eine Aussage gelten
lasse und Widerspruch und Irrtum für unmöglich erkläre.
Sehr anders urteilt wenig später F . Schleiermacher,
5) Zuerst abgedruckt in der Diogenesausgabe des H . Ste-phanus, 2. Aufl., Paris 1593; wiederabgedruckt in: Commentarii in Diogenem Laertium, hrsg. von H.G. Huebner, 1. Bd., Leipzig 1830, S . 94-96.
6) Zuerst in der Diogenesausgabe des Menagius, London 1664; wiederabgedruckt bei Huebner, a.a.O., 2. Bd., ebenda 1833, S. 1-11.
7) 2. Bd., Leipzig 1799, S. 87-99.
- 18 -
Q
'Geschichte der Philosophie' . Er unterscheidet bei Anti-
sthenes Ethik, Dialektik und Physik: Die Ethik sei s o m a -
tischen Ursprungs; ebenso sei aber auch die Dialektik
sokratisch und nicht sophistisch, wenn auch antiplatonisch;
die Physik dagegen, von der allerdings nur wenig bekannt
sei; mache sich die Lehre Heraklits vom Flusse aller Dinge
zu eigen.
Diese beiden verschiedenen Interpretationen werden in
der Folgezeit sehr unterschiedlich aufgenommen. Schleier-
machers eigenwillige Deutung, die sich mit der Uberliefe-
rung nicht leicht in Einklang bringen ließ, findet ledig-
lieh bei H . Ritter, 'Die Philosophie der Griechen' , einigen
Beifall. Tennemanns Auffassung dagegen wird nachgerade zur
communis opinio und findet sich ebenso bei E . Zeller, 'Die
Philosophie der Griechen'^0
, wie bei F . Uberweg, 'Grundriß
8) Aus dem Nachlaß hrsg. von H . Ritter, in: Schleier-machers Gesammelte Werke, 3. Teil, 4. Bd., Berlin 1839, S. 90-93. Vgl. auch die wichtigen Bemerkungen über Antisthenes in Schleiermachers Ubersetzung der platonischen Dialoge: Piatons Werke, Berlin 1804-1828, 3. Aufl., 2. Teil,1. Bd., ebenda 1856, S . 127 f. (Theätet), S . 227 (Menon), S. 276 f. (Euthydem); 2. Bd., ebenda 1857, S. 12 (Kratylos), S . 94 f. (Sophistes); 3. Bd., ebenda 1861, S. 343 (Philebos).
9) 2. Bd., Hamburg 1830, S. 111-127, S. 160 f. Vgl. hierzu K.F. Hermann, Die philosophische Stellung der älteren Sokratiker und ihrer Schulen, Heidelberger Jahrbücher 25 (1832) S . 1041-1093, hier bes. S . 1065-1079; wiederabgedruckt in: Gesammelte Abhand-lungen und Beiträge zur classischen Litteratur und Al-tertumswissenschaft, Göttingen 1849, S . 227-255, hier bes. S. 236-241.
10) 2. Bd., Tübingen 1846; maßgeblich jetzt die 5. Aufl., Leipzig 1922 (Nachdruck der 4. Aufl. aus dem Jahre 1888), S. 280-336.
- 19 -
der Geschichte der P h i l o s o p h i e ' ^ , wobei die Akzente im
einzelnen jetzt freilich anders gesetzt werden, indem man
betont, daß die Ethik ganz im Mittelpunkt antisthenischen
Denkens stehe, während die Dialektik, die man eher für
eleatisch als für sophistisch zu halten geneigt ist, von
untergeordneter Bedeutung sei.
Nachdem die Philosophie des Antisthenes in den maßgeb-
lichen Handbüchern eine erste Würdigung gefunden hatte,
begann sich nun auch die Philologie eingehender als bisher
mit Antisthenes zu beschäftigen.
Zunächst galt es, die Bruchstücke der Uberlieferung
vollständiger zusammenzustellen, als Casaubonus und Menagius
in ihren Kommentaren zu Diogenes Laertius getan hatten.
I.C. Orelli, 'Opuscula Graecorum veterum sententiosa 1 2
et moralia' , hat eine Anzahl ethischer Fragmente zusammen-
gestellt und kurz kommentiert.
L . Preller, 'Historia philosophiae Graeco-Romanae'1
^,
gab eine chrestomathische Auswahl einiger Fragmente zur
Ethik und Dialektik.
1 4 A.G. Winckelmann, 'Antisthenis Fragmenta' , hat
11) 1. Bd., Berlin 1863; maßgeblich jetzt die 12. Aufl., überarbeitet von K . Praechter, Berlin 1926, S . 159-168.
12) 2. Bd., Leipzig 1821, S. 43-55 (Text), S. 570-574 (Kommentar).
13) Hamburg 1838; 10. Aufl., hrsg. von E . Wellmann, Gotha 1934, S . 212-220.
14) Zürich 1842. V g l . hierzu die wichtige Rezension F . Osanns, Berliner Jahrbücher 4 (1842) S . 609-619.
- 20 -
schließlich die erste Gesamtausgabe der Bruchstücke vor-
gelegt. Winckelmann hat das bisher bekannte fragmentari-
sche Material erheblich vermehren können, ohne jedoch auch
nur annähernd Vollständigkeit zu erreichen; vor allem ver-
mißt man die biographischen Zeugnisse. Die Ausgabe ver-
zeichnet in der Regel nur den Text der Bruchstücke, kommen-
tierende Anmerkungen sind selten; wo möglich, sind die
einzelnen Fragmente und Testimonien bestimmten Schriften
zugeordnet, nicht immer ohne Willkür; Stücke unbestimmter
Herkunft, Anekdoten und Apophthegmen bilden den Schluß.
F.G. Mullach, 'Fragmenta Philosophorum G r a e c o r u m1
^5
,
hat den Text der Winckelmann'sehen Ausgabe unverändert
abgedruckt und eine lateinische Ubersetzung sowie einige
textkritische Anmerkungen hinzugefügt.
J . Gildemeister und F . Bücheler, 'Themistios Ilepl
apeTrJt; und R . Münzel, 'Antisthenis F r a g m e n t u m ' ^ ,
brachten wenig später noch einmal erwünschten Zuwachs an
Fragmenten.
Nach mehr als einhundert Jahren erscheinen nun auch
wieder Monographien zu Antisthenes. Hier werden vor allem
biographische und literarische Probleme behandelt, von
denen bisher kaum die Rede war, während das Philosophische
15) 2. Bd., Paris 1867, S . 261-293. Ergänzende Anmer-kungen hierzu bei P . Meyer, Quaestiones Platonicae I, Gymnasialprogramm Gladbach, Leipzig 1889, S. 23 f.
16) Rheinisches Museum 27 (1872) S . 438-462.
17) Rheinisches Museum 40 (1885) S. 148.
- 21 -
in enger Abhängigkeit von den obengenannten philosophie-
geschichtlichen Handbüchern eher beiläufig erörtert wird.
F . Deycks, 'De Antisthenis Socratici vita et doctri-18
na' , hat sich als erster um eine Chronologie der antis-
thenischen Biographie bemüht, die allerdings recht unkri-
tisch ausfällt, weil er die Angaben des Diogenes Laertius
unbesehen als historisch gelten läßt; die antisthenischen
Schriften werden nur am Rande besprochen.
1 9
C . Chappuis, 'Antisthene' , behandelt die biographi-
schen Probleme ausführlicher und mit größerer Kritik; er
versucht sich erstmalig auch an der Rekonstruktion einiger
wichtiger antisthenischer Schriften.
A . Müller, 'De Antisthenis Cynici vita et s c r i p t i s '2 0
,
gibt einen zusammenfassenden Überblick über Biographie und
Literatur, wobei er vor allem die literarhistorischen
Probleme erheblich fördern kann. Schließlich verdient in diesem Zusammenhang Erwähnung,
21 daß F . Blaß, 'Geschichte der attischen Beredsamkeit' , die
Echtheit der antisthenischen Deklamationen Atac; und 'o&ua-
OEUI; verteidigt hat, die H.E. Foss, 'De Gorgia Leon-22
tino' , aus historischen, G.E. Benseier, 'De Hiatu in 23
Scriptoribus Graecis' , aus stilistischen Gründen zusammen
mit den Reden des Gorgias und Alkidamas als unecht ver-
worfen hatte.
18) Koblenz 1841.
19) Paris 1854.
20) Diss. Marburg 1860.
21) 2. Bd., Leipzig 1874; 2. Aufl., ebenda 1892, S . 332-344.
22) Halle 1828, S . 94.
23) 1. Bd., Freiberg 1841, S . 169.
- 22 -
Während des besprochenen Zeitraums war man überall
bemüht, bei zeitgenössischen Schriftstellern anonyme
Anspielungen auf Antisthenes zu entdecken, um so die
lückenhaften Berichte der Überlieferung zu ergänzen und
zu erweitern. Mit der Zeit hatte man so, vor allem bei
Isokrates und Piaton, eine beträchtliche Anzahl solcher
Stellen festgestellt, die K . Barlen, 'Antisthenes und 24
Plato' , und K . Urban, 'Über die Erwähnungen der Philo-25
sophie des Antisthenes in den Platonischen Schriften' ,
zusammengestellt und ausführlich besprochen haben:
Isokrates sollte demnach in der 'Sophistenrede' gegen die
Ethik, in der 'Helena' gegen die Dialektik des Antisthenes
polemisiert und im 'Panegyrikos' auf eine antisthenische
Polemik gegen eine seiner Gerichtsreden repliziert haben;
Piaton sollte sich im 'Charmides1
, im 'Lysis', im 'Menon',
im 'Symposion', im 'Staat', im 'Politikos' und im 'Phile-
bos' mit der Ethik, im 'Euthydem', im 'Parmenides', im
'Theätet' und im 'Sophistes' mit der Dialektik und im
'Kratylos' mit der Physik des Antisthenes polemisch aus-
einandergesetzt haben.
Sah man genauer hin, so zeigte sich freilich, daß
diese Anspielungen von recht unterschiedlicher Glaubwür-
digkeit waren.
An einigen Stellen wurden Ansichten erörtert, wie
sie ausdrücklich auch Antisthenes vertreten hat, so daß
die Wahrscheinlichkeit groß war, es verberge sich hier
antisthenisches Gut. Ein Beispiel mag genügen. Schleier-
24) Gymnasialprogramm Neuwied, Neuwied 1881, S . 1-16.
25) Gymnasialprogramm Königsberg, Königsberg 1882, S . 1-29. V g l . auch E . Zeller, Plato's Mittheilungen über frühere und gleichzeitige Philosophen, Archiv für Geschichte der Philosophie 5 (1892) S . 165-184, hier bes. S . 180 ff.
- 23 -
macher, der auf diesem Gebiet überhaupt bahnbrechend ge-
wirkt hat, war der Ansicht, die zweite Hälfte des platoni-
schen 'Theätet' gebe "starke Veranlassung, um eine ... 2 6
Polemik gegen den Antisthenes darin zu vermuthen"
Piaton referiert hier p . 201c
ff. die Theorie eines Un-
bekannten über die Erkenntnis, die Sokrates "im Traume"
gehört zu haben vorgibt. Diese Theorie, die Erkenntnis
als böt,a äXriS-tV, (lexa Aoyou bestimmt, entspricht nun in der Tat, wie Zeller mit Entschiedenheit betont hat, "Zug um
27
Zug" der Theorie des Antisthenes, wie sie Aristoteles,
Met. p . 1043 b 23 ff. beschreibt, so daß kaum ein Zweifel
bestehen kann, daß Piaton hier Antisthenes im Auge hat.
Die Entdeckung dieser Anspielung ist besonders wertvoll,
weil Piatons Darstellung ungewöhnlich eingehend und präzise
ist und so die knappen und schwer verständlichen Angaben
des Aristoteles auf das wünschenswerteste ergänzt und
erweitert.
An anderen Stellen wiederum fanden sich Theorien, die
als antisthenisch gelten sollten, obwohl sie nicht aus-
drücklich als solche bezeugt waren, so daß man leicht Gefahr
lief, die Überlieferung nicht zu bereichern, sondern zu
verfälschen. Auch hierfür ein Beispiel. Schleiermacher war
der Meinung, Antisthenes habe die heraklitische oder besser
heraklitisierende Lehre vom Flusse aller Dinge vertreten
und etymologisch begründet und sei so "der eigentliche 2 8
Gegenstand der Polemik" im platonischen 'Kratylos'.
26) Piatons Werke, a.a.O., 2. Teil, 1. Bd., S . 127.
27) Die Philosophie der Griechen, a.a.O., S. 294, A n m . 1.
28) A.a.O., 2. Teil, 2. Bd., S . 12.
- 24 -
Als Begründung für die ungemein folgenreiche Hypothese
sollte gelten, daß "Antisthenes als der Stifter ... auch
der Stoiker zu betrachten ist,... daß Antisthenes das
Werk des Herakleitos soll ausgelegt haben, ohne daß doch
eine besondere Schrift von ihm darüber namhaft gemacht
wird, dagegen aber mehrere, welche offenbar die Sprache 29
zum Gegenstand haben" . Diese Beweisführung ist jedoch
keineswegs stichhaltig. Die Tatsache, daß die Stoa die
heraklitische Physik rezipiert, beweist für sich genommen
ebensowenig wie die Tatsache, daß Antisthenes einige
Schriften über die Sprache verfaßt hat, und der Heraklit-
kommentator Antisthenes, den Diogenes Laertius 9.15 nennt,
ist nicht der Sokratiker, sondern vielmehr jener 'FsanXc£te»
den Diogenes 6.19 ausdrücklich vom Sokratiker unterscheidet
Aber selbst wenn man Schleiermachers Hypothese gelten
ließe, so müßte man trotzdem bestreiten, daß Piaton im
'Kratylos' gegen Antisthenes polemisiert. Anders als im
'Theätet' deutet Piaton hier nirgends an, daß er die
Theorie eines ungenannten Dritten wiedergibt? Sokrates
versucht vielmehr in einem Zuge nicht nur die heraklitische
Flußlehre, sondern auch die parmenideische Seinslehre ety-
mologisch zu begründen. Das aber heißt strenggenommen: Wenn
Antisthenes die Flußlehre vertreten hat, so kann er sie
nicht etymologisch begründet haben; oder umgekehrt: wenn
er die etymologische Erklärungsmethode befolgt haben sollte
so hat er nicht die Flußlehre vertreten.
Schließlich gab es auch eine ganze Reihe unwahrschein-
licher, ja phantastischer Vermutungen, die sich auf den
ersten Blick als unhaltbar hätten erweisen müssen. Winckel-
mann bemerkt beispielsweise zu Xen. symp. 4.43, wo Anti-
sthenes bekennt, er habe von Sokrates soviel Reichtum erhal
ten, wie er habe tragen können: "Haec verba me commovent,
29) A.a.O.
- 25 -
ut extremam Piatonis Phaedri partem et preces ibi Pani
factas hirsutum Antisthenem, qui omnem externum cultum
et divitias contemnebat, tangere existimo."3 0
Derselbe
bemerkt etwa zum "Theatet": "Vel nomen et genus Antisthe-
nis a Piatone texte indicari extistimo p . 156a
avxixunouc;
et p . 174a
eaA.fj'v aaxpovo|j.oCivxa HCCI avu ßXenovxa neaovxa elc,
tfpiaq ts ~xxa xic, . . . tef-awuvle 4nocv;S-cai XeyeTai ... "3 1
Es war für den weiteren Verlauf der Antisthenesfor-
schung verhängnisvoll, daß man es versäumte, hier recht-
zeitig Ordnung zu schaffen und das Wahrscheinliche vom
Unsicheren und Unhaltbaren zu trennen. Stattdessen ließ
man die einmal festgestellten Anspielungen, so unsicher
sie im Einzelnen auch sein mochten, allesamt unbesehen
gelten, als ob es damit überall seine unzweifelhafte Rich-
tigkeit habe. Mehr noch: Die Suche nach anonymen Anspie-
lungen, die bisher eher am Rande geübt worden war, ohne
entscheidenden Einfluß auf die Interpretation auszuüben,
wird jetzt, gegen Ende des Jahrhunderts, zur hauptsäch-
lichen, ja einzigen Methode, die in solchem Umfang und mit
solcher Unbedenklichkeit geübt wird, daß am Ende Piaton,
Isokrates und, als Dritter, nun auch noch Xenophon als
philosophisch-literarische Hauptschuldner des Antisthenes
erscheinen, die die Werke des Antisthenes bald exzerpieren
und imitieren, bald polemisch kritisieren.
überhaupt ist methodische Besonnenheit jetzt eher die
Ausnahme. Vielmehr wächst in bedenklichem Maße die Neigung,
kühne Konstruktionen und weitläufige Hypothesen zu wagen,
wobei man nicht nur anonyme Anspielungen von Zeitgenossen
30) A.a.O., S . 50, Anm. 1.
31) A.a.O., S . 35, Anm. 1.
- 26 -
heranzieht, sondern auch kynische und stoische Denk-
und Literaturformen späterer Zeit unbedenklich als anti-
sthenisch gelten läßt. Daß auf diese Weise eine Fülle
anregender und fruchtbarer Ideen zu Tage gekommen ist,
läßt sich nicht leugnen, vermag jedoch nichts an der grund-
sätzlichen Tatsache zu ändern, daß man am Ende einen hypo-
thetischen Antisthenes rekonstruiert hatte, der mit dem
Antisthenes, wie ihn die historische Uberlieferung zeigt,
kaum noch etwas gemein hatte.
32 F . Dümmler, 'Antisthenica' , dem 'De Antisthenis logi-
33
ca' vorausging, hat sich als erster dieses spekulativen
Verfahrens bedient, um in großem Stil die Philosophie des
Antisthenes zu rekonstruieren. Dümmler legt seine Auffas-
sungen in den drei Kapiteln 'De philosophia morali et
civili Piatonis et Antisthenis', 'De artium ad instituti-
onem philosophi utilitate' und 'De controversiis dialec-
ticis' folgendermaßen dar: Antisthenes halte in der Politik
den Urzustand vollkommener Bedürfnislosigkeit für wünsch-
bar und fordere die Aufhebung der Ehe sowie Weiber- und
Kindergemeinschaft; er benutze die Sprache etymologisch und
die Poesie allegorisch, um seine philosophischen Thesen
propädeutisch darzulegen; er sei Nominalist, Sensualist und
Materialist und bekämpfe folglich die platonische Ideenlehre Dümmler, 'Akademika'
3 4
, hat sich später noch einmal.
32) Diss. Bonn 1882,* wiederabgedruckt in: Kleine Schriften von F . Dümmler, hrsg. von 0 . Kern, 1. Bd., Leipzig 1901 S. 10-78. Richtig urteilt über diese vielzitierte Ar-beit F . Susemihl, Jahrbücher für classische Philolo-gie 33 (1887) S . 207, Anm. 3.
33) In: Exercitationis grammaticae specimina, Festschrift für F . Bücheler, hrsg. vom Philologischen Seminar der Universität Bonn, Bonn 1881, S . 51-61; wiederabgedruckt in: Kleine Schriften, a.a.O., S. 1-9.
34) Gießen 1889. V g l . hierzu die wichtige Rezension P . Na-torps, Philosophische Monatshefte 26 (1890) S. 458-468.
- 27 -
wenn auch nicht so ausschließlich, mit Antisthenes ausein-
andergesetzt und seine früheren Hypothesen weitergeführt
und erneuert. Von Antisthenes handeln vor allem die Kapitel
'Antisthenes' Archelaos und die olympischen Festreden1
,
'Piaton und Isokrates', 'Der Streit zwischen Piaton und
Antisthenes über die Ideenlehre' und 'Die Vorsehungslehre
der Memorabilien und die Physik des Kratylos'. Das letzt-
genannte Kapitel, das das Hauptstück des ganzen Buches bil-
det, sucht zu beweisen, daß die beiden teleologischen Dia-
loge über die Fürsorge der Götter bei Xenophon, M e m . 1.4
und 4.3 einerseits und der platonische 'Kratylos' anderer-
seits sich gemeinsam auf ein und dieselbe Quelle beziehen:
einen physiologisch-moralischen Traktat des Antisthenes,
den Xenophon ungeschickt exzerpiere, Piaton ironisch kriti-
siere.
Schließlich bleibt nachzutragen, daß Dümmler, 'Zum
Herakles des A n t i s t h e n e s '3 5
, eine eingehende Rekonstruktion
dieser wichtigen Schrift vorgelegt hat. Wie denn Dümmlers
verstreute Bemerkungen über die Rekonstruktion einzelner
antisthenischer Schriften nicht selten bedeutsamer sind
als seine Hypothesen Uber die antisthenische Philosophie,
die stets einen stark spekulativen Einschlag aufweisen.
Weit unbedenklicher als Dümmler verfuhr K . Joel,
'Der echte und der xenophontische Sokrates'3
^, mit der
35) Philologus 50 (1891) S. 288-296; wiederabgedruckt in: Kleine Schriften, a.a.O., S. 140-149.
36) 1. Bd., Berlin 1893; 2. Bd. (in 2 Teilen), ebenda 1901. V g l . hierzu die ausführlichen Rezensionen von E . Zeller, Archiv für Geschichte der Philosophie 7 (1894) S . 101-112; H . Gomperz, ebenda 19 (1906) S . 234-270. - Ergänzend heranzuziehen sind folgende Aufsätze Joels: Der \OY°<; S U N P A T IMO<; , Arch. f. Gesch. d . Philos. 8 (1895) S . 466-483, 9 (1896) S. 50-66; Piatons Laches, Hermes 41 (1906) S. 310-318, 42 (1907) S . 160; Plato's sokratische Periode und der Phaidros, in: Philosophische Abhandlungen, M . Hein-ze aewidmet. Berlin 1906. S. 78-91: sowie vor allem: ni F>
- 28 -
historischen Überlieferung. Wie der Titel lehrt, will
Joel beweisen, daß die damals gültige communis opinio
unrecht habe, wenn sie den xenophontischen Sokrates für
den historischen halte; Xenophon habe literarisch-fiktive
Dialoge über Sokrates geschrieben, nicht anders als Piaton,
keine historisch glaubwürdigen Erinnerungen, wie er selbst
glauben machen wolle, wenn er behaupte, er sei bei diesem
oder jenem Gespräch dabeigewesen; Xenophon stelle Sokrates
auch ganz unhistorisch als Willensethiker dar, wo dieser
doch in Wahrheit, wie Aristoteles bezeuge, ethischer Ratio-
nalist gewesen sei; schließlich sei Xenophon auch gar nicht
originell, er lege vielmehr in der Hauptsache, wie bereits
Dümmler ansatzweise richtig erkannt habe, Denk- und Litera-
turformen zugrunde, wie sie Antisthenes vorgeprägt habe.
Sehr im Widerspruch zu diesem Programm, das Joel im Vorwort
ankündigt, ist im weiteren Verlauf des umfangreichen Buches
vom historischen Sokrates kaum und von der Fiktivität der
xenophontischen Dialoge nur wenig die Rede, um so mehr von
Xenophons Abhängigkeit von Antisthenes und vor allem von
der Rekonstruktion der antisthenischen Schriften, so daß
das Ganze am Ende mehr einer Antisthenes- als einer Xenophon-
oder gar Sokratesmonographie gleicht. Die Abhängigkeit
Xenophons von Antisthenes kann man sich nach Joel nicht
eng genug denken: "Xenophon ohne Antisthenes begreifen 37
heißt zumeist die Copie ohne das Original begreifen".
So rühre die gedankliche Konzeption des xenophontischen
Sokrates von Antisthenes her, die Ethik ebenso wie die
allerdings wenig entwickelte Dialektik und Physik; des-
gleichen sei auch die literarische Konzeption vieler xeno-
phontischer Gespräche antisthenisch, und vielfach lasse
sich sogar noch die ursprüngliche Vorlage wiedergewinnen;
37) Der echte und der xenophontische Sokrates, a.a.O., 2 . Bd., S. V I .
- 29 -
im übrigen habe es Xenophon beim Exzerpieren des Anti-
sthenes sehr an Verständnis und Geschick fehlen lassen,
woher sich nicht zuletzt die dürftige Qualität seiner
Sokratika erkläre. Nicht minder eng muß man sich im
übrigen auch die Verbindung zwischen Antisthenes und
Piaton denken: "Piaton (in vielen Schriften) ohne Anti-
sthenes verstehen heißt einen Kämpfer, einen Gesprächs-3 8
partner ohne den anderen verstehen." Piaton habe sich
in zahlreichen Dialogen polemisch-kritisch mit Anti-
sthenes auseinandergesetzt, wobei er nicht selten die
eine oder die andere Dialogfigur oder gar mehrere auf
einmal als Maske für Antisthenes gewählt habe. Ein Bei-
spiel: "Wie amüsant wirkt es, wenn im Protagoras Anti-
sthenes gegen Antisthenes geführt wird und Sokrates sagt
(341 a): Du, Protagoras (der ja Antisthenes ist), ver-
stehst zwar Vieles, aber das verstehst du nicht, wohl
aber ich, der ich ja Schüler des Prodikos bin (nämlich
bei Antisthenes). Antisthenes-Sokrates wird von Antisthenes-
Prodikos über den Gebrauch von 6eivoc als Lobesprädicat
zurechtgewiesen (341 ab ...), Antisthenes-Prodikos aber
wird mit seiner Alles beweisenden, Begriffe umkehrenden
Onomatologie von Antisthenes-Protagoras geschlagen (341),
und dieser wird wieder mit der Voraussetzung, daß der
Verbleib der Tugend kein besonderes Problem ist neben dem
schweren Gewinn der Tugend, also mit der kynischen These
von der unerschütterlichen Tugend von Antisthenes-Prodikos
und Antisthenes-Sokrates widerlegt, der mit antiquarischen,
lakonischen und anderen Tendenzen den Dichterinterpreten
spielt."3 9
Auf ähnlich kühne Weise sucht Joel schließlich
38) A.a.O.
39) A.a.O., S . 148 f.
- 30 -
eine ganze Fülle weiterer Hypothesen zu beweisen: Aristo-
phanes habe die 'Wolken', und Polykrates die 'Anklage
gegen Sokrates' nicht gegen Sokrates, sondern vielmehr
gegen Antisthenes geschrieben; des weiteren habe der Ver-
fasser der sophistischen 'Dialexeis' antisthenische
Schriften benutzt, ebenso die Verfasser der pseudoplato-
nischen Dialoge 'Eryxias' und 'Axiochos', nicht anders
Dion Chrysostomos, Plutarch und Lukian, und der sogenannte
Anonymus Iamblichi sei gar Antisthenes selber. Es liegt
auf der Hand, daß Joel bei solch gewagter Ausdeutung
der Texte zu einer ebenso gewagten Auffassung des Anti-
sthenes gelangen mußte. Nichts, was Antisthenes nicht
gewesen wäre: Romantiker, Asket, Voluntarist, Ökonom,
Pythagoreer, Symbolist, Dynamiker, Sozialist und vieles
andere mehr. So vielseitig der Mann, so außerordentlich
seine Bedeutung: Antisthenes gilt als die zentrale Gestalt
der Sokratik, die Xenophon überall kopiert, Piaton über-
all kritisiert; mehr noch: er gilt als "Geistesbrücke
zwischen Hellas und dem Orient", ja sogar als "ahnender
Vorläufer wichtigster nachantiker, ja moderner Denk-40
und Lebenswege" . Es kann gar kein Zweifel sein, daß
es diesen vielseitig-genialen Antisthenes nicht gegeben
hat; kein Zweifel auch, daß die zahlreichen Hypothesen
und Nebenhypothesen, die diesen Antisthenes plausibel
machen sollen, übertrieben sind und genauerer Nachprüfung
nicht standhalten. Und doch: daß Xenophons sokratische
Schriften literarisch-fiktiv sind und daß zwischen Xeno-
phon und Antisthenes viele auffällige Gemeinsamkeiten
bestehen, hat Joel bündig bewiesen, und so der Antisthenes-
Xenophon- und Sokratesforschung neue Wege gewiesen. Wie
40) A.a.O., S. VIII.
- 31 -
sich denn überhaupt unter der Fülle des Unwahrscheinlichen
und Übertriebenen viele bedenkenswerte, ja ingeniöse
Einzelbeobachtungen finden, so daß, wer über Antisthenes
arbeitet, dieses Buch nicht aus der Hand legen darf.
Im übrigen hat Joel, 'Geschichte der antiken Philoso-41
phie' , seine Ansichten über Antisthenes noch einmal
zusammenfassend dargelegt und dabei einzelne Übertreibungen
gemildert, ohne daß sich seine Gesamtauffassung geändert
hätte.
In diesem Zusammenhang sind abschließend einige klei-
nere Arbeiten zu nennen, die sich inhaltlich und methodisch
eng an die Untersuchungen Joels und Dümmlers anschließen.
E . Hoettermann, 'Piatons Polemik im Menon, Euthydemos 42
und Menexenos' , 'Piatons Polemik im Euthyphron und Kra-43 44
tylos' , 'Piatons Polemik im Phaidros' , versucht in
enger Abhängigkeit von Joel vermittels der Maskendeutung
eine ebenso weitläufige wie unglaubwürdige Polemik Piatons
gegen Antisthenes aufzudecken.
45
M . Guggenheim, 'Antisthenes in Piatons Politeia' ,
greift Joels Hypothese auf, daß sich Piaton im 'Staat'
vornehmlich mit der politischen Theorie des Antisthenes
auseinandergesetzt habe.
41) 1. Bd., Tübingen 1921, S. 862-925.
42) Zeitschrift für das Gymnasialwesen 63 (1909) S . 73-102.
43) Ebenda 64 (1910) S. 65-89.
44) Ebenda 65 (1911) S. 383-410.
45) Philologus 60 (1901) S . 149-154. Vgl. ders., Studien zu Piatons Idealstaat, Neue Jahrbücher für die Antike 5 (1902) S. 521-549.
- 32 -
46 P . Hagen, 'Zu Antisthenes' »äußert die Ansicht, der
platonische 'Kleitophon' polemisiere gegen den 'Apxs/iaor,
des Antisthenes, von dem Dümmler in der 13. Rede des Dion
Chrysostomos Spuren entdeckt zu haben glaubte. H . Brünnecke, 47
'Kleitophon wider Sokrates' , vermutet dagegen bei Piaton
lediglich allgemeine Polemik gegen die antisthenische
Sokratik.
48
T . Birt, 'Zu Antisthenes und Xenophon' , vertritt
schließlich die Ansicht, das vierte Buch der xenophonti-
schen 'Memorabilien' sei ein Exzerpt der antisthenischen
Schrift flepl nat&Eia<;. J . Dahmen, 'Quaestiones Xenophon-49 teae et Antisthenicae' , hat diese wenig wahrscheinliche
These aufgegriffen und weitergeführt.
Soweit die spekulative Literatur über Antisthenes,
auf die hier ausführlicher einzugehen war, damit im folgen-
den weniger davon die Rede sein kann.
Die wenigen Arbeiten, die demgegenüber größere metho-
dische Besonnenheit verraten, sind schnell aufgezählt.
P . Natorp, 'Antisthenes'5 0
, gibt einen kurzen, aber
informativen Uberblick über die Quellen und die ältere
Literatur.
R . Hirzel, 'Der D i a l o g '5 1
, und E . Norden, "Uber einige 52
Schriften des Antisthenes' , bemühen sich vor allem um die
46) Philologus 50 (1891) S . 381-384.
47) Archiv für Geschichte der Philosophie 26 (1913) S . 449-478.
48) Rheinisches Museum 51 (1896) S. 153-157.
49) Diss. Marburg 1897.
50) Pauly-Wissowas Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, 1. Bd., 1894, Sp. 2538-2545.
51) 1. Bd., Leipzig 1895, S. 118-129.
52) In: Beiträge zur Geschichte der griechischen Philo-sophie, Jahrbücher für classische Philologie Suppl. 19 (1893) S . 368-385.
- 33 -
literarische Rekonstruktion einzelner Werke. Wichtige
Hinweise hierzu finden sich auch bei P . Natorp, 'Aischines'
A s p a s i a '5 3
, sowie bei F . Susemihl, 'Der Idealstaat des
Antisthenes und die Dialoge Archelaos, Kyros und Hera-54 55
kies' , 'Die Aspasia des Antisthenes'
Das 20. Jahrhundert bringt zunächst Kritik an der kon-
struktions- und hypothesenfreudigen Antisthenesphilologie,
wie sie in den achtziger und neunziger Jahren beinahe
unwidersprochen Platz gegriffen hatte.
H . Maier, 'Sokrates'5 6
, der im übrigen zur Interpre-
tation des Antisthenes wichtige Beiträge geliefert hat,
bemerkt: "Schon bei F . Dümmler ... überschreitet die
Antisthenesspürerei die Grenze kritischer Vorsicht, bei 57
Karl Joel ... nimmt sie abenteuerliche Dimensionen an."
Nicht minder scharf äußert sich U . v . Wilamowitz-Moellendorff, 58
'Piaton' , der ebenfalls entscheidende Bemerkungen zu
Antisthenes gemacht hat, über die "sinnlose Riecherei nach 59
Anspielungen" und das "neugierige Schnüffeln nach per-
sönlichen Seitenhieben"6 0
im Zusammenhang mit Antisthenes:
53) Philologus 51 (1892) S. 489-500.
54) Jahrbücher für classische Philologie 33 (1887) S . 207-214.
55) Philologus 59 (1900) S . 148-151, 469-471.
56) Tübingen 1913, hier bes. S . 502-516.
57) A.a.O., S . 14, Anm. 2.
58) Berlin 1919 (2 Bde.); 1. Bd., 5. Aufl., ebenda 1959, hier bes. S. 201-204; 2. Bd., 3. Aufl., ebenda 1962, bes. S. 26 ff., 113 ff.
59) A.a.O., 1. Bd., S. 251, A n m . 2.
60) A.a.O., S. 560.
- 34 -
"... der Versuch, am Ende sowohl Xenophon wie Piaton von
ihm abhängig zu machen, ist nur dazu gut, gegen die ersten
Hypothesen mißtrauisch zu machen, die zu so grotesken
Übertreibungen führten."6 1
Noch schärfer urteilt derselbe,
'Die griechische Literatur des Altertums': "Einen Denker
und Schriftsteller von besonderer Bedeutung aus ihm zu
machen ist eins der luftigsten Wahngebilde, das sich die
Philologie des letzten Jahrhunderts geschaffen hat, rein
aus blauem Dunste, denn das Altertum weiss nicht das Minde-
ste davon ... Leitend ist dabei die unerträgliche Unart,
statt die bekannten Werke und Personen zu verstehen, hin-
ter ihnen verkannte und verlorene Grössen zu suchen, die fi 7
man sich aus eigener Machtvollkommenheit konstruiert."
Diese ebenso entschiedene wie berechtigte Kritik, die
jetzt auch anderwärts vielfach laut wird, hatte zur Folge,
daß man nun größere kritische Besonnenheit walten ließ
und sich wieder mehr auf die Grundlagen der Überlieferung
besann.
Zunächst bemüht man sich erneut um die Edition der
Fragmente.
H . Dittmar, 'Aischines von S p h e t t o s '6 3
, hat die Reste
der antisthenischen Schriften Küpoc, ' HpaviXfit;, 'Aanaaia
und 'AXnißia&ric; in einem Anhang sorgfältig zusammengestellt.
Darüberhinaus enthält dieses vorbildliche Buch eine Fülle
grundlegender Beiträge zur Rekonstruktion und Interpretation
zahlreicher antisthenischer Werke.
61) A.a.O., S. 260.
62) In: Die Kultur der Gegenwart, hrsg. von P . Hinneberg, 1. Teil, 8. Abt.,Berlin/Leipzig 1905, S . 1-236, hier S. 78.
63) Philologische Untersuchungen 21, Berlin 1912, S. 299-310.
- 35 -
J . Humble, 'Antisthenes' F r a g m e n t e n '6 4
, hat eine neue
Gesamtausgabe der Fragmente unternommen, von der jedoch
lediglich ein einziges Kapitel unter dem Titel 'Antisthe-6 5
nica' , erschienen ist. Humble hat das bisher bekannte
fragmentarische Material ganz erheblich vermehren können.
Das Material wird vierfach unterteilt: I. Biographisches
(Testimonien, Anekdoten und Apophthegmen); II. Testimonien
zum Werk (Katalog, allgemeine Zeugnisse, Zeugnisse zu
bestimmten Schriften); III. Fragmente (zu bestimmten
Schriften, zu unbestimmten Schriften); IV. Incerta (Dekla-
mationen, Brief an Aristipp). Den Bruchstücken sind text-
kritische Anmerkungen, Parallelstellen, kurze Literatur-
hinweise und eine niederländische Übersetzung beigegeben;
im Anhang findet sich ein Literaturverzeichnis und Stellen-
register. Die Anordnung der Fragmente ist nicht immer
glücklich: Die strenge Trennung von Testimonien und Frag-
menten ist unpraktisch, und nicht selten ist die Zuweisung
einzelner Stücke zu den einzelnen Gruppen oder deren An-
ordnung innerhalb einer Gruppe unverständlich, so daß man
an unerwarteter Stelle findet, was man an einschlägigem
Ort vergebens gesucht hatte. Trotzdem bedeutet Humbles
Ausgabe einen erheblichen Fortschritt gegenüber allen
früheren Ausgaben, und man muß bedauern, daß diese Arbeit
nicht gedruckt wurde und so weithin unbekannt geblieben ist.
Erwähnung verdient auch, daß C . J . de Vogel, 'Greek
p h i l o s o p h y '6 6
, die philosophischen, L . Radermacher, 'Artium
64) Diss. Gent 1932.
65) Antiquite Classique 3 (1934) S. 163-171.
66) 1. Bd., Leiden 1950; 3. Aufl., ebenda 1963, S . 161-166.
- 36 -
s c r i p t o r e s ' , die rhetorischen Fragmente des Antisthenes
neu herausgegeben hat.
Neuerdings hat F . Decleva Caizzi, 'Antisthenis Frag-68
menta1
, die lange vermißte neue Gesamtausgabe der Frag-
mente vorgelegt, die nun die älteren Ausgaben in der Haupt-
sache ersetzt. Caizzi legt im großen und ganzen das Mate-
rial zugrunde, das Humble zusammengetragen hat; einige
Bruchstücke kommen neu hinzu. Das Material wird unterteilt,
wie folgt: I. Zum Werk (Katalog, allgemeine Zeugnisse zur
Literatur, Deklamationen, Testimonien und Fragmente zu
bestimmten und unbestimmten Schriften); II. Zur Biographie
(Testimonien, Anekdoten und Apophthegmen). Den Bruchstücken
ist ein durchgehender Kommentar beigegeben, der viele nütz-
liche Hinweise für die Interpretation enthält; am Anfang
findet sich ein Literaturverzeichnis, am Ende ein Stellen-
register und eine Konkordanz zu den früheren Ausgaben.
Die Anordnung der Bruchstücke innerhalb der verschiedenen
Gruppen ist geschickter als bei Humble, wenn es auch hier
nicht an gelegentlichen Mißgriffen fehlt; bedauerlich ist
auch, daß sich manches wichtige Zeugnis im Kommentar ver-
birgt, ohne im Text zu erscheinen. Gleichwohl ist Caizzis
neue Ausgabe, nach der nun zitiert werden muß, vor allem
wegen des Kommentars, ein unverzichtbares Hilfsmittel für
jede weitere Beschäftigung mit Antisthenes. Schließlich verdient in diesem Zusammenhang noch Er-
67) Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Klasse, 227. Bd., 3. Abh., Wien 1951, S . 120-127.
68) Testi e Documenti per lo Studio dell' Antichitä 13, Mailand 1966. Vgl. hierzu die eingehende Rezension F . Wehrlis, Gnomon 39 (1967) S. 541-545.
- 37 -
wähnung, daß W . Nestle, 'Die Sokratiker'6 9
, eine große
Anzahl antisthenischer Fragmente ins Deutsche übersetzt
und kurz besprochen hat.
Anschließend sind zunächst einige monographische
Arbeiten über Antisthenes zu nennen, die über allgemeine
biographische, literarische und philosophische Fragen
einen guten Uberblick bieten: G . Zuccante, 'Antistene'7 0
, 71 F . Sayre, 'Antisthenes the Socratic' , und neuerdings
72 vor allem F . Decleva Caizzi, 'Antistene' . Nützliche
Uberblicke gibt es auch anderwärts vielfach, so vor allem
bei 0 . Gigon, 'Sokrates'7 3
, und neuerdings bei J . Humbert, 7 4 'Socrate et les petits Socratiques'
Von den größeren thematischen Einzelgebieten hat in
neuerer Zeit vor allem die antisthenische Dialektik Auf-
merksamkeit gefunden.
G.M. Gillespie, 'The logic of Antisthenes'7 5
, A . Levi,
'Le teorie metafisiche, logiche e gnoseologiche di Anti-76 77
stene' , und A . Festugiere, 'Antisthenica' , geben jeweils
69) Jena 1922, S. 79-98 (Obersetzung), S. 281-289 (Kommentar).
70) Rivista di Filosofia 8 (1916) S. 157-171; abgedruckt auch in: Rendiconti dell' Istituto Lombardo di Scienze e Lettere II 49 (1916) S. 120-136.
71) Classical Journal 43 (1948) S . 237-244. Vgl. ders., Diogenes of Sinope, Baltimore 1938, S . 49-70; ders., The Greek Cynics, ebenda 1948, S . 84-96.
72) Studi Urbinati 1/2 (1964) S. 48-99.
73) Bern 1947, hier bes. S . 289-299.
74) Paris 1967, bes. S. 231-299.
75) Archiv für Geschichte der Philosophie 19 (1913) S . 479-500, 20 (1914) S. 17-38.
76) Revue d* Histoire de la Philosophie 4 (1930) S. 227-249. Vgl. ders., II problema dell' errore nella filoso-fia Greca prima di Piatone, Athenaeum 27 (1930) S.27-44.
77) Revue des Sciences Philosophiques et Theologiques 21 (1932) S . 345-376.
- 38 -
umfassende Interpretation des einschlägigen Materials,
jedoch ohne sich von der durch Tennemann begründeten tra-
ditionellen Auffassung zu lösen, daß Antisthenes seine
dialektisch-ontologischen Thesen im wesentlichen von den
Eleaten und Sophisten übernommen habe. Dagegen unternimmt
K.v. Fritz, 'Zur antisthenischen Erkenntnistheorie und 78
Logik' , den bedeutsamen Versuch, die antisthenische
Dialektik als Weiterentwicklung sokratischer Elenktik zu
verstehen, wie bereits ansatzweise Schleiermacher erwogen
hatte.
79
G.M.A. Grube, 'Antisthenes was no logician' , hat
neuerdings versucht, Antisthenes jedwedes ernsthafte Be-
mühen um die Lösung dialektisch-ontologischer Probleme 80 abzusprechen. H.D. Rankin, 'Antisthenes a "near logician"' ,
hat ihm hierin zu Recht widersprochen.
Nächst der Dialektik hat besonders die antisthenische
Rhetorik und die Homererklärung Interesse gefunden. 81 H.J. Lulolfs, 'De Antisthenis studiis rhetoricis' ,
hat das Material zu beiden Themenkreisen zusammengestellt
und kurz kommentiert. A . Rostagni, 'Un nuovo capitolo nella storia della
82 retorica e della sofistica' , versucht die antisthenische
78) Hermes 62 (1927) S. 453-484.
79) Transactions and Proceedings of the American Philo-logical Association 81 (1950) S . 16-27.
80) Antiquite Classique 39 (1970) S. 522-527.
81) Diss. Amsterdam 1900.
82) Studi Italiani di Filologia Classica N . S . 2 (1922) S. 148-201; wiederabgedruckt in: A . Rostagni, Scritti Minori, 1. Bd., Turin 1955, S . 1-59.
- 39 -
Rhetorik in den größeren Zusammenhang einer psychagogisch-
emotionalen Rhetorik pythagoreischen Ursprungs einzuord-
nen, wobei er sich vor allem auf die antisthenische
Interpretation des Odysseusepithetons noAuxponcx; stützt,
die in den Scholien zu O d . 1.1 erhalten ist.
L . Radermacher, 'Der Aias und Odysseus des Antisthe-8 3
nes' , hat versucht, die beiden erhaltenen antistheni-
schen Deklamationen wegen ihres iambischen Silbenfalls
als Prosaparaphrasen aus dem 'Aias' des Theodektes zu er-
weisen. Anknüpfend hieran will W . Altwegg, 'Der Aias 84 und Odysseus des Antisthenes' , in den Deklamationen eine
eigenständige iambisch-katalektische Früh- und Seitenform
der Kunstprosa entdecken. Gegen beide Auffassungen wendet
sich mit Recht A . Bachmann, 'Aiax et Ulixes declamationes 8 5 utrum iure tribuantur Antistheni neCne'
über die Methode der antisthenischen Homererklärung
ist es in neuerer Zeit zu einem Streit gekommen. R . Höi-8 6
stad, 'Was Antisthenes an allegorist?' , vertritt die
Ansicht, Antisthenes habe sich bei der Auslegung Homers
der Allegorese bedient, während J . Täte, 'Antisthenes 87 was not an allegorist' , behauptet, Antisthenes habe die
83) Rheinisches Museum 74 (1892) S. 569-576.
84) In: Juvenes dum sumus. Aufsätze zur klassischen Alter-tumswissenschaft der 49. Versammlung deutscher Pädagogen und Schulmänner zu Basel dargebracht von Mitgliedern des Basler klassisch-philologischen Seminars, Basel 1907, S. 52-61.
85) Diss. Münster 1911.
86) Eranos 49 (1951) S . 16-31.
87) Ebenda 51 (1953) S . 14-22.
- 40 -
Texte lediglich im Sinn seines philosophischen Stand-
punktes ausgleichend interpretiert. R . Laurent!,
'L' iponoia di Antistene1
, nimmt eine Mittelstellung
ein, indem er auf die Methode der imovoia verweist,
die sowohl ausgleichende Textinterpretation wie auch
Allegorese umfasse.
Schließlich ist in diesem Zusammenhang noch zu
nennen: V . Benedetto, 'Tracce di Antistene in alcuni 89
scole all' Odissia'
Erstaunlich geringes Interesse hat in neuerer Zeit
die antisthenische Ethik gefunden. G . Rodier, 'Conjecture 9o sur le sens de la morale d' Antisthene' , und 'Note sur
91 la politique d' Antisthene' , sowie M . Duric, 'Die
92 politischen Anschauungen des Antisthenes' , bringen
keine neuen Erkenntnisse; nützliche Bemerkungen finden
sich dagegen bei L.A. Rostagno, 'Le idee pedagogiche 93 nella filosofia Cinica e specialmente in Antistene'
Geringes Interesse findet auch die Rekonstruktion
und Interpretation der Einzelschriften. Von dem bereits
erwähnten Buche Dittmars abgesehen,ist hier vor allem
88) Rivista Critica di Storia della Filosofia 17 (1962) S. 123-132.
89) Studi Italiani di Filologia Classica N.S. 38 (1966) S. 208-228.
90) Annee Philosophique 17 (1906) S . 33-38.
91) Ebenda 22 (1911) S . 1-7.
92) Ziva Antika 5 (1955) S . 29-47 (russisch mit deutscher Inhaltsangabe).
93) 1. Bd., Turin 1904. Wichtig hierzu E . Bodrero, Rivista di Filologia 33 (1905) S. 391-394.
- 41 -
46 R . Höistad, 'Cynic hero and cynic king' , zu nennen,
der sich besonders um die Rekonstruktion der Herakles-,
Kyros- und Odysseusschriften des Antisthenes bemüht
hat.
Biographische Einzelprobleme behandeln K.v. Fritz, 95
'Antistene e Diogene' , und P . Von der Mühll, 'Inter-
pretationen biographischer Uberlieferung'9 6
, der über
Antisthenes' Teilnahme an der Schlacht beim Delion
handelt.
Was die anonymen Anspielungen auf Antisthenes be-
trifft, die lange Zeit im Vordergrund des Interesses
gestanden hatten, so läßt man jetzt im allgemeinen mehr
Vorsicht und größere Zurückhaltung walten.
97 G . Zuccante, 'Antistene nei dialoghi di Piatone' , 98
und H . Gomperz, 'Isokrates und die Sokratik' , haben
die Problematik für Piaton und Isokrates noch einmal
aufgenommen, wobei die Übertreibungen der früheren
Forschung vermieden werden, wenn auch im einzelnen immer
noch die eine oder andere Stelle auf Antisthenes bezogen
wird, ohne daß zureichende Gründe vorhanden wären.
94) Uppsalla 1948, hier bes. S . 22-102.
95) Studi Italiani di Filologia Classica N.S. 5 (1927) S . 133-149. V g l . ders., Quellen-Unter-suchungen zu Leben und Philosophie des Diogenes von Sinope, Philologus Suppl. 18 (1926).
96) Museum Helveticum 23 (1966) S . 234-239, hier bes. S . 234-236.
97) Rivista di Filosofia 8 (1916) S . 551-581; wieder-abgedruckt in: Rendiconti dell' Istituto Lombardo di Scienze e Lettere II 49 (1916) S . 340-372.
98) Wiener Studien 17 (1905) S. 163-207, 18 (1906) S . 1-42.
- 42 -
A . Delatte, 'Le troisieme livre des Souvenirs Socra-9 9
tiques de Xenophon' , und 0 . Gigon, 'Kommentar zum er-
sten Buch von Xenophons M e m o r a b i l i e n '1 0 0
, 'Kommentar zum 101 zweiten Buch von Xenophons Memorabilien' , haben die
schwierige Quellenanalyse der xenophontischen Sokratika
wiederaufgenommen. Es steht nach diesen Untersuchungen
außer Zweifel, daß Xenophon bei der Abfassung seiner
sokratischen Schriften in hohem Maße vorgeprägtes lite-
rarisches Gut verwendet hat; als Quellen hat er die ganze
Fülle der zeitgenössischen Literatur über Sokrates heran-
gezogen, vor allem natürlich die zahlreichen Schriften
der Sokratiker, von denen Gigon gerade Piaton allerdings
nicht hätte ausnehmen dürfen. Die Zuweisung einzelner
Stellen an bestimmte Sokratiker, namentlich an Antisthenes,
den Joel viel zu einseitig als alleinige oder doch
hauptsächliche Quelle Xenophons angesehen hatte, ist in
manchen Fällen gelungen, bleibt jedoch vielfach unsicher
und umstritten. An dieser Stelle sei im übrigen verwiesen auf S.F.
Zambynski, 'De ratione inter Xenophontis Convivium et 102
Antisthenem intercedente , wo vor allem quellenkritische,
99) Bibliotheque de la Facultfe de Philosophie et Lettres de 1'Universite de Liege 58, Lüttich 1933. Vgl. hierzu E.C. Marchand, Classical Review 49 (1935) S . 134-135.
100) Schweizerische Beiträge zur Altertumswissenschaft 5, Basel 1953. V g l . hierzu die kritische Rezension von H.J. Kühn, Gnomon 26 (1954) S . 512-521.
101) Schweizerische Beiträge zur Altertumswissenschaft 7, Basel 1956. Vgl. Kühn, Gnomon 29 (1957) S . 170-178.
102) Eos 25 (1921/22) S . 71-85.
- 43 -
und auf K.v. Fritz, 'Antisthenes und Sokrates in Xenophons
S y m p o s i o n '1 0 3
, wo vor allem interpretatorische Fragen be-
handelt werden.
Schließlich verdient in diesem Zusammenhang noch Er-
wähnung H . Funke, 'Antisthenes bei P a u l u s '1 0 4
.
Abschließend sind einige Arbeiten zu nennen, in denen
mehr hypothetisch-spekulativ von Antisthenes die Rede ist.
H . Rick, 'Neue Untersuchungen zu den platonischen
D i a l o g e n '1 0 5
, bemüht sich,im Stile Joels bei Piaton weit-
läufige Polemik gegen Antisthenes nachzuweisen.
A . H . Chroust, 'Socrates. Man and m y t h '1 0 6
, knüpft
ebenfalls an Anregungen Joels an, wenn er behauptet, un-
politische antisthenische Diatriben seien die Hauptquelle
für des Polykrates 'Anklage gegen Sokrates' gewesen, die
ihrerseits als das entscheidende Ereignis in der Entwick-
lung der sokratischen Literatur zu gelten habe.
H . Kesters, 'Antisthene de la d i a l e c t i q u e '1 0 7
, vertritt
die gewagte Hypothese, die 36. Rede des Themistios sei ein
Werk des Antisthenes, das Themistios für eigene Zwecke
lediglich leicht überarbeitet habe, indem er die Namen äl-
terer Philosophen durch die jüngerer ersetzt habe. Die
durchschlagende Kritik, die H . de Strycker, 'Antisthene
103) Rheinisches Museum 84 (1935) S . 19-45.
104) Hermes 98 (1970) S . 459-464.
105) Bonn 1931. Vgl. hierzu die Rezension von K.v. Fritz, Gnomon 8 (1932) S. 13-16.
106) London 1957. V g l . hierzu F . Grayeff, Gnomon 31 (1959) S . 79-81.
107) Löwen 1935.
- 44 -
1 na ou Themistios?' , an difesem Buch geübt hat, hat Kesters
bewogen, 'Plaidoyer d'un Socratique inconnu contre le
Phedre de P i a t o n '1 0 9
und 'Kerygmes de S o c r a t e '1 1 0
, nicht
mehr Antisthenes, sondern einen unbekannten Sokratiker
als Verfasser der Themistiosrede anzunehmen. Womit die
These freilich nicht an Wahrscheinlichkeit gewinnt.
K.M.T. Chrimes, 'The respublica Lacedaemoniorum
ascribed to X e n o p h o n '1 1 1
, äußert die nicht minder gewagte
Hypothese, Antisthenes sei der Verfasser der xenophon-
tischen Schrift vom Staate der Spartaner.
Auch am Ende dieses Überblicks ein Wort über Sokrates.
H . Gomperz, 'Die sokratische Frage als geschichtliches 112
Problem' , hat die originelle Ansicht vertreten, der
historische Sokrates werde am treuesten durch die Komödie,
namentlich durch die fragmentarische Komödienüberlieferung
repräsentiert; folgerichtig bemerkt er: "Der geschicht-
liche Sokrates steht, unter allen Sokratikern, dem Anti-
sthenes am n ä c h s t e n . "1 1 3
Joel hatte seinerzeit das Gegen-
teil behauptet. Welche Auffassung die richtige ist, kann,
wenn überhaupt, nur die sorgfältige Analyse der Über-
lieferung klären.
108) Archives de Philosophie 12 (1936) S . 475-500.
109) Löwen 1959.
110) Löwen 1965.
111) Publications of the Faculty of Arts of the University of Manchester 1, Manchester 1948. Vgl. hierzu A . W . Gomme, Classical Review 63 (1949) S . 99.
112) Historische Zeitschrift 129 (1924) S . 377-423.
113) A.a.O., S . 419.
- 45 -
II. GLIEDERUNG UND METHODE
Die Geschichte der Antisthenesforschung, über die das
vorige Kapitel einen überblick g a b , ließ an vielen
Stellen erkennen, auf welche Irrwege man gerät, wenn
man beim Umgang mit Fragmenten eher Phantasie walten
läßt als Kritik und kühne Hypothesen konstruiert, anstatt
das überlieferte nüchtern zu interpretieren. Wer über
Antisthenes arbeitet, ist darum gut beraten, wenn er den
Rat befolgt, den Wilamowitz, 1
Platon',seinerzeit der
Antisthenesphilologie gegeben hat: "... von den Folge-
rungen absehen und allein die Zeugnisse ins Auge f a s s e n "1
.
Die Zeugnisse: Das ist die Darstellung des Antisthenes
bei Xenophon; das ist ferner die Biographie des Antisthe-
nes bei Diogenes Laertius, die neben einigen biographi-
schen Notizen und einer Fülle von Anekdoten einen umfang-
reichen Katalog der antisthenischen Schriften enthält;
das sind des weiteren die beiden Deklamationen Ata<; und
'O&uaoeuc , die sich in einigen Handschriften der Redner
erhalten haben; desgleichen eine Anzahl von Testimonien
und Fragmenten verlorener Schriften, die sich vor allem
bei den Grammatikern finden; außerdem eine Reihe ethischer
Sentenzen aus doxographischer Tradition; dazu die Angaben
des Aristoteles und seiner Kommentatoren über die antisthe-
nische Dialektik,sowie einige Beispiele antisthenischer
Homererklärung, die in den Homerscholien überliefert sind;
schließlich noch eine Handvoll Stellen bei Platon, Xenophon,
1) 2. B d . , 3 . A u f l . , Berlin 1962, S . 260.
- 46 -
Isokrates und späteren Autoren, an denen aller Wahr-
scheinlichkeit nach von Antisthenes die Rede ist, auch
wenn sein Name nicht ausdrücklich genannt wird. Das
ist beinahe alles. Mit diesem fragmentarischen Material
gilt es zu wirtschaften, wenn man das literarische Werk
des Antisthenes und seine Philosophie rekonstruieren w i l l ,
Oberblickt man dieses Material, so fällt zweierlei
als besonders bedeutsam in die Augen: Die xenophontische
Antisthenesdarstellung und der Katalog der antisthenischen
Schriften bei Diogenes Laertius. Die xenophontische Anti-
sthenesdarstellung, weil sie die einzige ausführliche Dar-
stellung des Antisthenes ist, die aus der Antike überkom-
men ist, verfertigt noch dazu von der Hand eines Zeitge-
nossen, der Antisthenes und seine Schriften wahrscheinlich
selber gekannt hat; der Katalog der antisthenischen Schrif-
ten, weil er einen detaillierten Oberblick über das ver-
lorene Gesamtwerk bietet, verfaßt von gelehrter Hand zu
einer Zeit, da man die antisthenischen Schriften noch las.
Hält man diese beiden Zeugnisse, das literarisch -deskriptive
und das bibliothekarisch-konstruktive, gegeneinander, der-
gestalt, daß das eine das andere ergänzt, erweitert und
ins rechte Licht setzt, so darf man wohl hoffen, ein leid-
lich wahrheitsgetreues Bild von Antisthenes zu erhalten.
Xenophon hat sich in seinen sokratischen Schriften
deutlich bemüht, von Antisthenes ein scharf umrissenes
Charakterbild und Portrait zu entwerfen, und niemand wird
leugnen, daß es ihm gelungen ist, den Mann als unverwech-
selbare Individualität und Persönlichkeit zu zeichnen.
Wie aber steht es um die historische Treue dieser Darstel-
lung? Xenophon versichert in den 'Memorabilien' 2.5, wo
Antisthenes eine kurze, und im 'Symposion', wo er eine
maßgebliche Rolle spielt, ausdrücklich, er habe jene beiden
- 47 -
Gespräche selbst mitangehört, so daß man glauben könnte
(und tatsächlich auch geglaubt hat), hier authentische
Kunde über Antisthenes vorzufinden. Aber dieser Eindruck
trügt. Die Forschung hat in langer und mühevoller Arbeit,
zu der K . Joel, 'Der echte und der xenophontische Sokra-2
tes' , Entscheidendes beigetragen hat, unwiderleglich
nachgewiesen, daß die xenophontischen Sokratika, die
äußerlich in der Form persönlicher Erinnerungen gehalten
sind, keineswegs authentische Aufzeichnungen historischer
Begebenheiten enthalten; es handelt sich vielmehr grund-
sätzlich um literarisch-fiktive Gespräche, die ihren
Stoff in vielen Stücken noch dazu aus literarisch vorge-
prägtem Quellenmaterial schöpfen. Es trifft sich merk-
würdig, daß gerade jene beiden Dialoge, in denen sich
Antisthenes und Sokrates als Gesprächspartner gegenüber-
stehen, in dieser für die Sokratesforschung entscheidend
wichtigen Diskussion eine maßgebliche Rolle gespielt
haben.
Wer die xenophontischen Sokratika als historisch ver-
läßliche Augenzeugenberichte betrachtet, weil Xenophon
immer wieder behauptet, er habe dieses oder jenes Gespräch
selber mitangehört, sieht sich nirgends so sehr getäuscht
wie im 'Symposion'. Xenophon behauptet dort 1.1, er sei
persönlich dabeigewesen, wie man im Haus des Kallias im
Piräus den Sieg des Autolykos im Pankration gefeiert habe.
Jedoch: Xenophon nennt bei den detaillierten Vorstellungen
der einzelnen Gesprächsteilnehmer weder seinen eigenen
Namen,noch ergreift er im Verlaufe der folgenden Unter-
haltung auch nur ein einziges Mal selber das Wort. Mehr noch
Bereits in der Antike hat Herodikos von Babylon in seiner
2) Berlin 1893/1901; vgl. oben S. 27-31.
- 48 -
Streitschrift npo(; TÖV $ i AoaajvtpdtTriv (frg. 2 Düring)
ausgerechnet, und K.F. Hermann, 'De tempore Convivii 3
Xenophontei pars prior quae est de Eupolidis Autolyco' ,
hat es nachgerechnet, daß Xenophon im Jahre 422, als
Autolykos siegte, allenfalls ein Kind von sieben oder
acht Jahren gewesen sein kann, wenn anders man nicht
seinen eigenen Altersangaben mißtrauen will, wie sie sich
aus der 'Anabasis' erschliessen lassen. Zusammengenommen
lassen diese Beobachtungen, die sich ähnlich auch ander-
wärts vielfach anstellen ließen, nur einen einzigen
Schluß zu: daß die Authentizitätsbezeugungen Xenophons,
denen die Sokratesforschung so lange vertraut hat, nicht
als historisch glaubhaft gelten können, ja daß sie gar
nicht als historisch verstanden werden wollen, sondern
als literarisch-fiktives, gleichsam quasihistorisches
Kolorit, wie es später auch Aristoteles und Cicero in
ihren Dialogen aufzutragen lieben.
Nachdem man die Fiktivität der Authentizitätsbezeu-
gungen einmal durchschaut hatte, entdeckte man bald auch,
daß die xenophontischen Sokratika eine Fülle von Gedan-
kensprüngen und Gedankenbrüchen aufweisen, wie sie im
übrigen Werk nicht begegnen. Dieser auffällige Befund
legte wiederum die Annahme nahe, daß Xenophon bei der
3) In: Index lectionum der Universität Göttingen 1844/45, Göttingen 1844, S . 1 - 1 4 . Vgl. ders., De tempore Convivii Xenophontei pars posterior, Ind. lect. Univ. Göttingen 1845, ebend. 1845, S. 1-16. - Aus-führlich bespricht diese vielverhandelte Frage G.J. Woldinga, Xenophons Symposium, 1. Bd., Hil-versum 1938, S . 1-3, 182-189. Abschließend jetzt H.R. Breitenbach, Xenophon von Athen, in: Pauly-Wissowas RE A 2 9 (1967) Sp. 1571 ff.
- 49 -
Abfassung seiner sokratischen Schriften nicht so sehr
eigenen Vorstellungen gefolgt ist, sondern in der
Hauptsache literarisch vorgeprägtes Quellenmaterial be-
nutzt hat, dessen gedankliche und formale Verschiedenheit
er bei seinem exzerpierend-aneignenden Bemühen nicht
vollständig unterdrücken konnte oder wollte. In dieser
Hinsicht ist das kurze Gespräch zwischen Sokrates und
Antisthenes in den 'Memorabilien' 2.5 besonders lehr-
reich. Die Sache ist die, daß einer der Gefährten seinen
Freund, der in Armut geraten ist, im Stiche gelassen hat.
Sokrates führt nun angesichts des treulosen Freundes
und vieler anderer, unter denen auch Xenophon gewesen
sein will, mit Antisthenes ein Gespräch über den Wert
der Freunde. Freunde, so heißt es, hätten ebenso ihren
Preis wie Sklaven, und einen wertvollen Freund lasse man
ebensowenig im Stich, wie man einen wertvollen Sklaven
nicht verkaufe, weshalb jeder trachten müsse, seinen
Freunden sich so wertvoll wie möglich zu machen. Selt-
samer Gedankengang 1 Am Anfang sieht es so aus, als solle
der treulose Freund für sein Verhalten getadelt werden.
Warum sonst findet das Gespräch ausgerechnet in Gegenwart
des Treulosen statt? Am Ende kommt gerade das Gegenteil
heraus: Der Treulose ist gerechtfertigt, und alle Schuld
fällt auf den Armen, der nicht Sorge getragen hat, seinem
Freunde so wertvoll zu sein, daß er nicht verlassen wurde.
Sehr richtig bemerkt hierzu 0 . Gigon, 'Kommentar zum
zweiten Buch von Xenophons Memorabilien', der sich um die
Analyse solcher Kompositionsbrüche besonders bemüht hat:
"Da liegt ein Widerspruch oder zum mindesten ein schwerer
Hiatus des Gedankens vor."4
Und solch sonderbaren Diskurs
sollten Sokrates und Antisthenes tatsächlich geführt und
4) Basel, 1956, S. 121. Vgl. Breitenbach, a.a.O., Sp. 1800.
1
- 50 -
Xenophon tatsächlich gehört haben? Wahrscheinlicher:
Xenophon hat das Gespräch aus größerem literarischen
Zusammenhang flüchtig exzerpiert, so daß nun das Para-
dox vom Geldwert der Freunde, das dort eine sinnvolle
Auflösung gefunden haben mochte, hier sinnloserweise
bis zum Schluß beibehalten wurde.
Der xenophontische Antisthenes ist also kein Bild,
das die Wirklichkeit historisch getreu wiedergibt, son-
dern eher ein Abbild jenes Bildes, das Antisthenes in
der Literatur der Zeit hinterlassen hat, verdeutlicht
allenfalls hier und da durch einige persönliche Reminis-
zenzen. Das Zeugnis verliert darum nicht gänzlich an
Wert. Es ist nichts Geringes, daß wir eine so ausführ-
liche literarische Darstellung und Deutung des Antisthe-
nes von der Hand eines Zeitgenossen besitzen, dem die
ganze Fülle des Informations- und Quellenmaterials zur
Verfügung stand, das heute verloren ist. Wenn man das
Bild, das Xenophon gezeichnet hat, in einigen Strichen
deskriptiv nachzeichnet, so erhält man, wenn nicht den
historischen Antisthenes, so doch immerhin einen recht
deutlichen Vorbegriff, den die historisch-kritische Re-
konstruktion der Fragmente hernach bestätigen, vertiefen
oder berichtigen kann, ohne daß sie ihrerseits Gefahr
liefe, sich in haltlose Spekulationen zu verlieren.
Was die Darstellung im einzelnen betrifft, so soll
zuerst von der kurzen Erwähnung des Antisthenes in den
'Memorabilien' 3.11.17 die Rede sein; sodann ist von
dem Gespräch zwischen Sokrates und Antisthenes in den
'Memorabilien' 2.5 zu sprechen; das Hauptstück des Ab-
schnittes bildet eine szenenweise Untersuchung der Rolle,
die Antisthenes als eine maßgebliche Figur im 'Symposion'
spielt; ein zusammenfassender Überblick steht am Schluß.
- 51 -
Der umfangreiche Katalog der antisthenischen Schrif-
ten, den Diogenes Laertius 6.15-18 in seiner Antisthenes-
biographie überliefert, erfreut sich in der Forschung
keiner sonderlichen Wertschätzung. Am günstigsten urteilt
noch F . Decleva Caizzi, 'Antisthenis Fragmenta', die
den Katalog "indubbiamente autorevole e degno di esame 5
nonostanto le imprecisioni nennt. Abschätziger äußert
sich A . G . Winckelmann, 'Antisthenis Fragmenta1
: "errorum
plenus"6
; ähnlich J . Humble, 'Antisthenica': "chaotisch"7
.
Am deutlichsten artikuliert die communis opinio A . Muel-
ler, 'De Antisthenis Cynici vita et scriptis': "Inquinatus
is quidem est multis librariorum mendis, ita ut saepius
vel hominum doctorum coniecturis vel nostro Marte verba Q
Diogenis emendare cogamur." ; ähnlich H.J. Lulolfs, 'De
Antisthenis studiis rhetoricis': "Scatet index vitiis,
adeo saepe inquinatus est librariorum mendis, ut in singu-
lis propemodum titulis lector offendatur; raro igitur q
titulis ipsis, vix divisionibus fidem habere possumus."
Diese negative Einschätzung hatte zur Folge, daß der
Katalog in der Forschung nur geringe Aufmerksamkeit ge-
funden hat. Wofern überhaupt einmal ausführlicher davon
die Rede ist, beschränkt man sich auf einige Bemerkungen
allgemeiner Art und bespricht dann die einzelnen Titel
kurz in der Reihenfolge, die jeweils am passendsten er-
scheint, ohne auf die überlieferte Anordnung näher ein-
zugehen.
5) Mailand 1966, S. 7.
6) Zürich 1842, S.12.
7) Antiquite Classique 3 (1934) S. 163.
8) Diss. Marburg 1860, S. 33.
9) Diss. Amsterdam 1900, S. 2.
- 52 -
Es leidet keinen Zweifel, daß die allgemeine Ge-
ringschätzung, die man gegenüber diesem Testimonium an
den Tag gelegt hat, auf einem Fehlurteil beruht. Es ge-
nügt, an H . Usener, "Analecta Theophrastea'1 0
, oder neu-
erdings an P . Moraux, 'Les listes anciennes des ouvrages
d1
A r i s t o t e '1 1
, zu erinnern, um sich zu zu vergegenwärti-
gen, welche entscheidenden neuen Erkenntnisse sich für
die Rekonstruktion und Interpretation fragmentarischer
Werke aus dergleichen Schriftenverzeichnissen gewinnen
lassen. So stellt auch der Katalog der antisthenischen
Schriften ein Zeugnis von ganz unschätzbarem Wert dar,
das eine eingehende Betrachtung verlangt.
Der Katalog gestattet einmal einen allgemeinen Über-
blick über das verlorene Gesamtwerk, so daß man einen
deutlichen Begriff davon gewinnt, worüber Antisthenes
geschrieben hat und wieviel. Ein solcher Überblick ist
immer lehrreich, bisweilen sogar lehrreicher als die
vollständige Kenntnis des einen oder anderen Werkes, das
sich mehr oder weniger zufällig erhalten hat, besonders
wenn es sich, wie hier, um einen umfangreichen literari-
schen Nachlaß handelt. So verrät der Katalog auf den
ersten Blick ungleich mehr über das literarische und
philosophische Schaffen des Antisthenes als die beiden
erhaltenen Deklamationen Alaq und 'Obuoaeut; . Zum
anderen erlauben die einzelnen Titel des Katalogs einen
vortrefflichen Einblick in Thematik, Inhalt, Absicht und
Umfang jeder einzelnen Schrift, zumal ihnen von Grammati-
kerhand nicht selten erklärende Alternativtitel, adjek-
tivische Erläuterungen oder Angaben über die Buchzahl
beigegeben sind. Entscheidend aber ist ein Drittes. Der
antisthenische Katalog ist keineswegs ein bloßes Sammel-
surium von Titeln, die irgend jemand mehr oder weniger
10) Diss. Leipzig 1858, bes. S . 1-24.
11) Löwen 1951.
- 53 -
planlos aneinandergereiht hat, wie es sich gerade traf;
es handelt sich vielmehr, wie sich zeigen wird, um die
wohldurchdachte Bestandsaufnahme eines unbekannten anti-
ken Gelehrten aus hellenistischer Zeit, der die Original-
werke womöglich vor Augen hatte, jedenfalls aber wohl
wußte, wie man einen so umfangreichen philosophischen
Nachlaß sinnvoll ordnet und zusammenstellt. Hier vor
allem liegen für die Rekonstruktion und Interpretation
des fragmentarischen Materials vielversprechende Möglich-
keiten, die bisher noch ganz ungenutzt sind. Die plan-
volle Anlage des Katalogs gibt einen trefflichen Leitfaden
an die Hand, an dem sich die Interpretation sicher durch
die disparaten Einzelnachrichten der Uberlieferung hin-
durchfinden kann, da sich unter jedem Titel und jeder Titel-
gruppe das jeweils Zugehörige angemessen und bequem bespre-
chen läßt, und zwar das Formale ebenso wie das Inhaltliche,
so daß die enge Verbindung von Philosophie und Literatur
gewahrt bleibt, die für Antisthenes ebenso kennzeichnend
ist wie für die anderen Sokratiker. Mehr noch: Hat man
einmal den Plan erkannt, den der Ordner bei der Zusammen-
stellung der Schriften im großen wie im kleinen befolgt
hat, so lassen sich aus der Stellung eines Titels inner-
halb einer Titelgruppe oder aus der Stellung einer Titel-
gruppe innerhalb des Ganzen mannigfache Erkenntnisse über
Form und Inhalt der Schriften gewinnen, die anderweitig
Bekanntes ergänzen, Erschlossenes bestätigen und vielfach
auch Neues an den Tag bringen, so daß sich auf diese Weise,
wenn man behutsam verfährt und sich vor gewaltsamer Syste-
matisierung hütet, ein genaueres und deutlicheres Bild
des verlorenen antisthenischen Gesamtwerkes entwerfen läßt,
als es bisher möglich gewesen ist.
Bei der Durchführung im einzelnen soll einleitend ein
Uberblick über jene antiken Zeugnisse gegeben werden, die
- 54 -
allgemein über Umfang, Inhalt, Form, Stil, Echtheit und
Uberlieferung des Gesamtwerks Auskunft geben. Die Inter-
pretation des Katalogs muß mit einer Neuedition des Tex-
tes beginnen, da die vorliegenden Ausgaben nicht so zu-
verlässig sind, wie es bei einem so empfindlichen Text
unabdingbar ist; sodann wird zu untersuchen sein, wann
und wo der Katalog entstanden ist; anschließend wird über
die Gliederung des Katalogs im Großen zu sprechen sein,
besonders über die Einteilung in TOHOI , für die die Buch-
wissenschaft nicht weniger als vier verschiedene Erklä-
rungen vorgebracht hat; abschließend soll von den ver-
schiedenen Titelformen die Rede sein, wobei besonders ge-
prüft werden m u ß , wie weit die im Katalog überlieferten
Titel mit den anderwärts bezeugten Titeln übereinstimmen,
woraus sich wichtige Hinweise auf die Zuverlässigkeit und
Vollständigkeit des Katalogs gewinnen lassen. Es folgt
schließlich, als Hauptstück, die Rekonstruktion und Inter-
pretation der einzelnen Schriften, die jeweils vom über-
lieferten Titel und seiner Stellung im Rahmen des Kata-
logs auszugehen hat und dann das anderweitig Bezeugte und
gedanklich Zugehörige ergänzend und vertiefend hinzuzie-
hen m u ß , um so ein möglichst genaues Bild von Form und
Inhalt des Werkes zu gewinnen; der Aufbau des Katalogs
bringt es mit sich, daß sich hierbei vier große zusammen-
hängende Themenkreise ergeben: die rhetorischen Schriften,
(deren Behandlung den vorliegenden Teildruck beschließt),
sowie die ethisch-politischen, die dialektisch-ontologischen
und die poetologischen Schriften.
- 55 -
III. DER XENOPHONTISCHE ANTISTHENES
1. Memorabilien 3.11.17
Das Gespräch zwischen Sokrates und der Hetäre Theodote
in den 'Memorabilien' 3.11, das A . Delatte, 'Le troisidme
livre des souvenirs socratiques de X e n o p h o n '1
, eingehend
gewürdigt hat, handelt von der Kuppelei oder,wie es
ironisch-witzig heißt, von der Jagd nach Freunden.
Sokrates zeigt sich auf diesem Gebiet überraschender-
weise so beschlagen, daß die Hetäre ihn bittet, er solle
sie doch öfter besuchen, um ihr bei der Freierwerbung
behilflich zu sein. Sokrates ziert sich, das fragwürdige
Angebot anzunehmen: Er sei mit privaten und öffentlichen
Verpflichtungen so überhäuft, daß ihm kaum Zeit bleibe,
und auch seine Freundinnen ließen ihm Tag und Nacht keine
Ruhe, weil sie Liebestränke und Liebessprüche von ihm
lernen w o l l t e n . Theodote ist überrascht, daß Sokrates
auch solche Künste versteht.
"'Aber weswegen', erwidert er, 'glaubst d u , verlassen mich Apollodoros hier und Antisthenes niemals? Wes-wegen sind Kebes und Simmias aus Theben gekommen? Merke wohl: So etwas ist nicht möglich ohne vielerlei Liebestränke, Liebessprüche und Zauberräder!'"2
Sogleich will Theodote ein solches Zauberrad haben, um
1) Lüttich 1933, S . 148-161. V g l . jetzt H . R . Breiten-b a c h , Xenophon von Athen, in: Pauly-Wissowas RE A2 9 (1967) S p . 1818-1821, wo weitere Literatur ver-zeichnet ist. - K . J o e l , Der echte und der xenophon-tische Sokrates, 2. B d . , Berlin 1901, S . 716-721, will dieses Gespräch auf eine sympotische Schrift des Antisthenes zurückführen. Genaueres Uber diese gewagte Hypothese wird später bei Behandlung des antistheni-schen ILPOTPETIT IKOC zu saqen sein.
2) M e m . 3.11.17.
- 56 -
Sokrates für immer an sich zu fesseln; der aber möchte
lieber, daß sie ihn besuche und verspricht, sie bei sich
einzulassen, schränkt das Angebot allerdings ironisch ein:
"wenn nicht gerade eine im Hause ist, die ich mehr liebe als dich."3
Bei aller Ironie und Kürze läßt sich aus dieser Stelle
immerhin soviel entnehmen, daß Xenophon Antisthenes als einen
der eifrigsten und glühendsten Anhänger und Bewunderer des
Sokrates gekannt hat. Es kam hier alles darauf an, solche
Sokratiker zu nennen, deren Begeisterung für Sokrates be-
kanntermaßen so groß war, daß sie sich ironisch als eroti-
sche Bezauberung und Behextheit deuten ließ. So nennt
Xenophon hier mit Vorbedacht die beiden Thebaner, die er
auch in den 'Memorabilien' 1.2.48 unter den treuesten Schü-
lern des Sokrates aufführt, Apollodor, den er in der 'Apologie'
§ 28 als heftigen, wenn auch einfältigen Verehrer des Sokra-
tes bezeichnet, und er nennt Antisthenes, von dessen enger
Freundschaft zu Sokrates vor allem das 'Symposion' Zeugnis
ablegt, aber auch das kurze Gespräch in den 'Memorabilien'
2.5, von dem zunächst die Rede sein soll.
2. Memorabilien 2.5
Das Gespräch zwischen Sokrates und
'Memorabilien' 2.5 , das 0 . Gigon, 4
Buch von Xenophons Memorabilien' ,
hat, handelt vom Wert der Freunde.
3) Ebenda 3.11.18.
4) Basel 1956, S . 124 f. Vgl. außerdem Joel, a.a.O., S. 1011-1024; F . Decleva Caizzi, Antisthenis Fragmenta, Mailand 1966, S . 113; Breitenbach, a.a.O., Sp. 1800, der weitere Literaturhinweise gibt.
Antisthenes in den
'Kommentar zum zweiten
gründlich analysiert
- 57 -
Sokrates bemerkt, daß einer der Gefährten, dessen Name
nicht genannt w i r d , sich nicht um seinen Freund, der eben-
falls ungenannt bleibt, kümmert, weil dieser in A r m u t gera-
ten ist. Angesichts des treulosen Freundes nun und vieler
anderer, unter denen fiktiverweise auch Xenophon gewesen
sein w i l l , fragt Sokrates Antisthenes, ob er nicht m e i n e ,
daß Freunde ebenso ihren Preis hätten wie Sklaven, für die
man manchmal zwei Minen bezahle, manchmal nicht einmal eine
h a l b e , bisweilen fünf oder zehn oder g a r , wie N i k i a s , ein
ganzes T a l e n t .
"' Ja beim Zeus!', erwiderte Antisthenes, 'ich jeden-falls möchte manchen lieber zum Freunde haben als zwei M i n e n , manchen würde ich nicht einmal einer hal-ben Mine vorziehen, einen anderen würde ich eher nehmen als zehn M i n e n , einen anderen wiederum möchte ich mir für alles Geld und alle Mühe zum Freunde kaufen.'"5
Wenn das so ist, fährt Sokrates fort, so muß jeder prüfen,
wieviel er seinen Freunden wert ist, und er muß danach trach-
t e n , ihnen möglichst viel wert zu sein, damit sie ihn nicht
im Stich lassen. Denn so wie man einen schlechten Sklaven
um jeden Preis verkauft, so verkauft man auch einen schlechten
5) M e m . 2.5.3.- Das letzte Kolon macht Schwierigkeiten. A überliefert npiai^riv , B e\oi|ir]v , einige der Itali npoTtUncatßlv . A hat allein das Richtige, weil nur so die im Text sorgfältig beobachtete Varia-tion der Verben erhalten bleibt, desgleichen auch die Responsion zu den vorausgehenden Worten des Sokra-tes. Liest man aber nptainriv , wie außer Hude alle Editoren getan haben, so muß man npo vor TCOVTUV streichen, wie zuerst Schneider vorgeschlagen hat und Gilbert und Marchant billigen, weil npiounriv als Verbum des Kaufens, anders als die vorhergehenden Verben des Vorziehens, den reinen Genetivus pretii als Zusatz verlangt. - Eine literarische Reminiszenz auf dieses Gespräch findet sich bei Libanios, A p o l . S o c r . 150 (p. 101 Foerster).
- 58 -
Freund, wenn man mehr bekommen kann, als er wert ist;
einen guten Freund aber läßt man ebensowenig im Stich, wie
man einen guten Sklaven nicht verkauft.
Das kurze Gespräch, von dessen merkwürdig unlogisch-
abrupter Gedankenführung bereits im vorigen Kapitel
(S.48-50 )die Rede war, gibt nur wenig Auskunft über Anti-
sthenes, - so wenig, daß man sogar zweifeln könnte, ob es
sich hier überhaupt um den Sokratiker handelt und nicht
vielmehr um den reichen Strategen und Choregen gleichen
Namens, von dem in den 'Memorabilien' 3.4 die Rede ist.
Aber es spricht doch vieles dafür, daß der Sokratiker ge-
meint ist. Es lag nahe, daß Sokrates das Gespräch mit einem
der Gefährten suchte und nicht mit einem Außenstehenden,
wenn er einen Gefährten wegen seines Verhaltens tadeln
wollte; und es lag nicht minder nahe, daß er sich hierfür
gerade Antisthenes aussuchte, der, wiewohl bekanntermaßen
arm, gleichwohl in guter Freundschaft mit ihm lebte. So
(und nur so) ergibt sich eine sinnfällige Situation, die
deutlich auf den ungenannten Dritten abzielt, dem das Ge-
späch pädagogischerweise gilt: Sokrates unterhält sich mit
seinem armen Freund Antisthenes, um einen ungetreuen Freund
zu tadeln, der seinen Freund im Stich gelassen hat, weil
er in Armut geraten ist. -Ähnlich Gigon: "Dem nachlässigen
Freund tritt der beste Freund gegenüber."6
Antisthenes beschränkt sich in diesem Gespräch darauf,
treulich, ja nachgerade pedantisch-genau zu bestätigen und
zu wiederholen, was Sokrates vorträgt: daß Freunde ebenso
ihren Preis haben wie Sklaven. So kann es nicht verwundern,
daß sich in seiner Rede weder gedankliche noch formale Be-
sonderheiten finden, die als typisch gelten könnten. Eine
Ausnahme bildet lediglich die Bemerkung HOI novuv , die
die dem Nikiasbeispiel entsprechende Wendung nn'vtuv xPiua-
6) A.a.O., S. 121. Vgl. Breitenbach, a.a.O.
- 59 -
xuv um einen neuen Aspekt erweitert. Gigon bemerkt hierzu:
"Das beigefügte xai novuv ist an sich natürlich nicht sinn-
los, nur paßt es schlecht in einen Text, der im übrigen
strikte bei Geldwerten und Geldleistungen bleibt."7
Dieses
auffällige Detail, das einige Herausgeber durch Athetese
beseitigen wollen, läßt sich am ehesten erklären, wenn man
annimmt, daß Xenophon hier den Gedanken ganz bewußt vom
Merkantilen ins Moralische umgebogen hat, um so Antisthenes
nicht ausschließlich rezeptiv, sondern, wenigstens andeu-
tungsweise, auch produktiv erscheinen zu lassen, wobei der
novoc; -Begriff, der in der antisthenischen Ethik von zentra-
ler Bedeutung ist (vgl. b e s . frg. 19, 95, sowie auch 96,
113 c.), als charakterisierendes Schlagwort leicht zur
Hand w a r .
Antisthenes erklärt sich in diesem Gespräch bereit, sich
für zwei, fünf oder zehn Minen, ja "für alles Geld" einen
Freund kaufen zu wollen. Gigon bemerkt hierzu: "... man
könnte sich etwas wundern, daß ausgerechnet Antisthenes,
der nach Symp. 3.8 IITI&' oßoAov besitzt, mit dergleichen Q
Angeboten spielt." Antisthenes führt jedoch auch hier ein-
fach einen Gedanken fort, den Sokrates vorgegeben hatte,
so daß man ihn für den Inhalt seiner Worte nicht so zur
Rechenschaft ziehen darf, als ob er dergleichen von sich
aus geäußert hätte. Im übrigen hindert nichts, daß auch
ein armer Mann bekennt, er möchte sich gerne "für alles
Geld" einen Freund kaufen.
7) A.a.O., S . 124. V g l . Breitenbach, a.a.O., der erwägt, ob die Wendung nai rcovuv nicht "die Glosse eines antiken Karl Joel" sein könnte, "der sich an der ... Aussage, daß Antisthenes Geld bezahlen will, stößt, und den mit Antisthenes verknüpften novoc -Begriff ergänzt."
8) A . a . O . V g l . Breitenbach, a.a.O.
- 60 -
3 . Symposion
Q
A . Körte, 'Aufbau und Ziel von Xenophons Symposion' , hat
vortrefflich dargelegt, wie Xenophon, nachdem er die Einladung
9) Verhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaf-ten, Phil.-hist. Klasse, 7 9 . Bd., Leipzig 1927, S . 3-48. -Von der älteren Literatur, die Körte a.a.O. eingehend bespricht, sei hier nur genannt: C . M . Wieland, Versuch über das xenophontische Gastmahl, Attisches Museum 4 (1801) S . 99-105 (jetzt wiederabgedruckt in: Xenophon. Das Gast-m a h l , hrsg. und übers, von G . P . Landmann, Hamburg 1957, S . 110-132); sowie G . F . Rettig, Xenophons symposion, ein kunstwerk griechischen Geistes, Philologus 38 (1879) S . 269-321. Grundlegend für alle Einzelfragen ist jetzt G . J . Woldinga, Xenophons Symposium 1. B d . (Prolegomena), Hilversum 1938, 2 . B d . (Kommentar), ebenda 1939. Eine kurze, aber informative Einleitung gibt F . Ollier, Xfenophon. Le Banquet, Apologie de Socrate, Paris 1961; eine großangelegte neue Analyse des gesamten Werkes bietet neuerdings Brei-tenbach, Xenophon von A t h e n , a.a.O., S p . 1872-1888, wo auch ein umfangreicher Literaturüberblick zu finden ist.-Das vielumstrittene Problem der Priorität zwischen dem xenophontischen und dem platonischen Symposion kann hier nicht behandelt w e r d e n . Nur soviel sei allgemein bemerkt, daß es wundernehmen m ü ß t e , wenn Xenophon, dessen Abhängig-keit von literarischen Vorlagen die neuere Forschung auf Schritt und Tritt nachgewiesen hat, ausgerechnet hier als erster den thematischen Wurf getan hätte, Sokrates bei einem Symposion auftreten zu lassen. So sind in neuerer Zeit die Stimmen d e r e r , die sich für die Priorität Piatons aussprechen, zu Recht immer stärker geworden. V g l . vor allem Körte, a.a.O., S . 3 ff., der die ältere Literatur bespricht; Woldinga, a.a.O., 1. B d . , S . 101 ff.; F . Dorn-seif f, Zur Zeitbestimmung von Piatons Symposion durch Xenophon, Hermes 77 (1942) S . 121; O l l i e r , a.a.O., S . 30-33; R . Flaceliere, A propos du Banquet de Xenophon, Revue des Etudes Grecques 74 (1961) S . 93-118; zuletzt Breitenbach, a.a.O., S p . 1872 f . Für die Priorität Xeno-phons plädierte seinerzeit besonders T . Hopfner, Zu Xenophons und Piatons Symposium, in: Epitymbion, H . Swo-boda dargebracht, Reichenberg 1927, S . 95-112, der auch die ältere Literatur bespricht; ebenso urteilt neuerdings wieder W . W i m m e l , Zum Verhältnis einiger Stellen des xenophontischen und des platonischen Symposions, Gymna-sium 64 (1957) S . 230-250. - Außer Betracht bleiben muß in diesem Zusammenhang auch die interessante Hypothese, die Joel, a.a.O., S . 708-949, mit ebensoviel Scharfsinn wie Kühnheit aufgestellt hat: daß das platonische und das xenophontische Symposion gemeinsam auf eine sympotische Schrift des Antisthenes zurückzuführen seien, die in Form eines Siebenweisengastmahls gehalten w a r . Hierüber wird eingehend bei der Behandlung des antisthenischen IIooTD£7ru IKOC zu sprechen sein.
- 61 -
der Gäste und die Mahlzeit im Hause des Kallias geschildert
hat, das Symposion mit einer Reihe kurzer und locker geführ-
ter Einzelgespräche über die Lehrbarkeit der äpexii beginnen
läßt, die sich zwanglos an die amüsanten Darbietungen an-
schließen, die der Syrakuser mit seinen Unterhaltungskünst-
lern vorführt (c. 1,2); wie hierauf die Gäste, nun selber
zu ihrer Unterhaltung beitragend, in kurzer Rätselrede je-
weils erklären, worauf sie besonders stolz sind, und anschlies-
send ausführlich die Auflösung des Rätsels geben, woran sich,
als Nachspiel, der Schönheitswettkampf zwischen Sokrates und
Kritobulos anschließt (c. 3/4,5); wie hierauf durch das
Schweigen des Hermogenes Verstimmung unter den Gästen Platz
greift, so daß Sokrates nach einer erneuten künstlerischen
Darbietung verlangt, deren Vorbereitung ihm Gelegenheit gibt,
seine lange Rede auf den Eros zu halten (c. 6, 7/9) . Es
bleibt im folgenden zu untersuchen, welche Rolle Antisthenes
im Rahmen dieser wohldurchdachten und recht kunstvollen drei-
teiligen Gesamtkonzeption spielt, wobei, außer Körte, vor
allem K.v. Fritz, 'Antisthenes und Sokrates im xenophonti-
schen S y m p o s i o n '1 0
, und S.F. Zambynski, 'De ratione inter 11
Xenophontis Convivium et Antisthenem intercedente' , heran-
zuziehen sind.
Zuerst Antisthenes in den einleitenden Einzelgesprächen
über die Lehrbarkeit der äpexii (c. 2).
Die Tänzerin wirft zur Flötenmusik Ringe in die Luft und
fängt sie im Takte wieder auf. Sokrates nimmt diese artisti-
sche Darbietung zum Anlaß, um darauf hinzuweisen, daß sich
hier einmal mehr zeige, daß die weibliche Natur nicht geringer
sei als die des Mannes, nur fehle es dem Weibe
10) Rheinisches Museum 84 (1935) S . 19-45.
11) Eos 25 (1921/22) S . 71-85.
- 62 -
"an Einsicht und K r a f t "1 2
.
So m ö g e jeder getrost seine Frau lehren, was sie lernen
solle. Hierauf Antisthenes:
"'Warum d e n n ' , sagte er, 'Sokrates, wenn du so denkst, erziehst nicht auch du die Xanthippe, sondern ver-kehrst mit einem W e i b e , das von a l l e n , die leben, ich glaube sogar von allen, die gelebt haben und ^ leben w e r d e n , das widerspenstigste (x<*>.enu-ra-rri) ist?'"
Worauf Sokrates antwortet, er halte es m i t Xanthippe so
wie d i e Zureiter von Pferden, die sich gerade die wildesten
Tiere aussuchten, um hernach sicher zu sein, daß sie über
alle Meister sind.
12) S y m p . 2.9 - Mosche hat geglaubt, das übereinstimmend überlieferte YVUHTK in PUHTK ändern zu m ü s s e n , weil von einer Gleichwertigkeit der natürlichen Anlage von Mann und Frau nicht mehr die Rede sein könne, wenn die Frau intellektuell und physisch als unter-legen dargestellt w e r d e . Diese Änderung, die viel Beifall gefunden hat (so zuletzt wieder bei Ollier), worüber im einzelnen Woldinga, a.a.O., 2 . B d . , S . 244 f., nachzulesen ist, ist jedoch keineswegs stichhaltig: Es handelt sich hier um den (sophistischen) Gegensatz von natürlicher Anlage ( tpuoi.<; ) und pädagogischer Bildsamkeit (HEXETT) ) die sowohl den Körper betreffen kann ( agnrioK;) als auch den Intellekt (6i6ax"n ). D i e Tänzerin hat gerade ein Beispiel körperlicher Erziehung gegeben: die intellektuelle Erziehung empfiehlt Sokrates im folgenden.
13) S y m p . 2.10. - V g l . zu dieser Szene insgesamt Rettig, a . a . O . , S . 277 ff.; Zambynski, a.a.O., S . 82; Körte, a . a . O . , S . 10 ff.; v . Fritz, a.a.O., S . 22 f.; Woldinga, a . a . O . , 1. B d . , S . 33,55, 2. Bd., S . 243 ff.; Caizzi, A n t i s t e n e , Studi Urbinati N . S . 1-2 (1964) S . 93; dies., Antisthenis Fragmenta, a.a.O., S . 112; Breitenbach, a.a.O., S p . 1875 f . - Die Geschichte kehrt in späterer Tradition wieder bei Diogenes Laertius 2.37 und bei Gellius N . A . 1.17, wobei Diogenes lediglich den Ausspruch des Sokra-tes referiert, während Gellius Alkibiades an Stelle des Antisthenes setzt, jedoch den Pferdevergleich wegläßt
und so den Witz der Antwort verfehlt. Dieser Befund hätte J o e l , a.a.O., S . 722 ff., warnen m ü s s e n , die Alkibiades-version der Geschichte für ursprünglicher zu halten als die Antisthenesfassung.
- 63 -
Es kann kein Zweifel bestehen, daß Antisthenes hier, i 4
wie v . Fritz bemerkt, "aggressiv" und "sehr rauh" redet,
selbst wenn man in Betracht zieht, daß für Ton und Takt in
der damaligen Gesellschaft andere Maßstäbe galten als heute.
Woher diese Grobheit? Antisthenes ärgert sich, daß Sokrates
im Falle der Xanthippe anders handelt, als er handeln m ü ß t e ,
wenn er m i t seinen Ansichten über die Gleichheit der Ge-
schlechter Ernst m a c h t e . Dieser Ärger wird besonders ver-
ständlich, wenn man bedenkt, daß Antisthenes selber die Uber
zeugung vertrat, Mann und Frau besässen dieselbe ÄPETTI und diese sei lehrbar (vgl. frg. 72 in Verbindung mit 69 C.)
So erscheint Antisthenes hier, gleich bei seinem ersten Auf-
treten, als moralischer Rigorist, dessen Kritik und unbe-
dingte Wahrheitsliebe keine Rücksichtnahme kennt, auch nicht
gegenüber Sokrates, und sei es selbst in persönlicher Ange-
legenheit bei geselligem Beisammensein. Sokrates, der sei-
nerseits über die einigermaßen derbe Äußerung über Xanthippe
einigen Grund zur Verärgerung gehabt haben m o c h t e , nimmt
gar nichts übel, sondern antwortet ruhig und mit überlegenem
W i t z , so daß des Antisthenes bohrende Frage, wenn nicht er-
ledigt, so doch wenigstens schlagfertig abgewehrt ist.
Es spricht im übrigen manches d a f ü r , daß Xenophon aus
literarischer Quelle geschöpft hat, wenn er Antisthenes hier
14) A . a . O . , S . 22 f. - Rettig, a.a.O., S . 277 f., dem Zam-bynski, a.a.O., folgt, schließt aus der vorliegenden Stelle irrtümlich, daß Antisthenes hier die Lehrbarkeit der HaXoMayaSia bestreite; der vermeintliche Wider-spruch zwischen Xenophon und der doxographischen Uber-lieferung soll gar eine historische Entwicklung des antisthenischen Tugendbegriffs beweisen.
- 64 -
eine so abschätzige Bemerkung über Xanthippe in den Mund
legt. Die Bemerkung des Antisthenes gilt der Gestalt der
Xanthippe morosa, die in der späteren Überlieferung eine
so reiche und vielfältige Ausformung erfahren hat, daß sie
schließlich sprichwörtlich wurde. Diese Tradition, die jetzt
H . Dörrie, 'Xanthippe'1 5
, sorgfältig dokumentiert hat, geht,
wenigstens im Kern, auf sokratische Überlieferung zurück,
wie Xenophon lehrt, der in den 'Memorabilien' 2.2 Xanthippe
gegen den Vorwurf der xa^enoTtK bereits in Schutz nehmen
zu müssen glaubt. Wenn man bedenkt, daß der größte Teil der
späteren Uberlieferung über Xanthippe kynisch-stoischer
Herkunft ist und dasselbe derb-kritische Gepräge trägt wie
die Äußerung des Antisthenes hier, so gewinnt die Vermutung
Wahrscheinlichkeit, daß es Antisthenes gewesen ist, der die
Gestalt der Xanthippe morosa, die Platon übrigens ignoriert,
in die sokratische Literatur eingeführt hat und so recht
eigentlich als Erfinder und Begründer der Xanthippelegende
gelten muß, die lehrt, wie der Weise durch heitere Gelassen-
heit und Selbstbeherrschung widriger Umstände Herr bleibt.
15) In: Pauly-Wissowas RE A2 9 (1967) Sp. 1335-1342. Von der älteren Literatur ist immer noch wichtig: J.A.C. van Heusde, Xanthippe in hare betrekking tot Socrates. Voorafgegaan van eene kritische ontleding van het vraag-stuk der digamie, Verslagen en Mededeelingen der Konin-klijke Akademie van Wetenschappen, Afdeeling Letterkunde, 4. Bd., Amsterdam 1859, S . 262-305; vgl. außerdem E . Zeller, Zur Ehrenrettung der Xanthippe, in: ders.,Vor-träge und Abhandlungen, 2. Aufl., Leipzig 1875, S. 56-67; B.L. Gildersleeve, Xanthippe and Socrates, in: ders., Essays and Studies, Baltimore 1890, S . 207-248; sowie neuerdings J.W. Fitton, 'That was no lady, that was ...', Classical Quarterly 20 (1970) S. 56-66, der sich vor allem mit dem vielumstrittenen Bigamieproblem beschäftigt, das mit der Xanthippeüberlieferung unlösbar verknüpft ist. - Der ganze Komplex bedürfte einer umfassenden quellenkritischen Neubehandlung, die von den richtungs-weisenden Bemerkungen auszugehen hätte, die Joel, a.a.O.,
5 . 271 ff., vorgetragen hat; vgl. hierzu auch H . Maier, Sokrates, Tübingen 1913, S . 87 ff.
- 65 -
Die Tänzerin schlägt Rad in einen mit Schwertern besetz-
ten Reifen. Angesichts dieser artistischen Darbietung be-
merkt Sokrates
"den Antisthenes a n r e d e n d "1 6
,
nun werde wohl keiner mehr Widerspruch dagegen erheben (ÄVTI\E-Y£iv),daß die Tapferkeit lehrbar sei,wenn sogar ein Mädchen
den Mut habe, sich in Messer zu stürzen. Darauf Antisthenes:
"Wäre es nicht für den Syrakuser hier das Beste, er führte der Stadt die Tänzerin vor und erklärte, wenn ihm die Athener Geld gäben, brächte er es dahin, d a ß ^ alle Athener gegen die feindlichen Speere angingen?"
Worauf Philippos, der Parasit, den Gedanken ins Persönliche
wendet: er sähe gerne, wie der feige Demagoge Peisandros
zur Ertüchtigung seines Mutes Purzelbäume in einen messer-
bestückten Reifen schlagen müßte.
Sokrates wendet sich hier deshalb ausdrücklich an Anti-
sthenes, weil er, wie v . Fritz richtig gesehen hat, dem
Antisthenes "als leichte R a c h e "1 8
spottend die derbe Kritik
zurückgeben will, die dieser soeben an seinem Verhältnis zu
Xanthippe geübt hatte. Um diesen Spott recht zu verstehen,
muß man sich erinnern, daß Antisthenes selber der Uberzeugung
gewesen ist, daß es keinen Widerspruch gebe (frg. 47 C.)
16) Symp. 2.12.
17) Symp. 2.13. - V g l . zur Szene Rettig, a.a.O., S. 278 f.; Zambynski, a.a.O., S . 82; Körte, a.a.O., S . 13 f.; v . Fritz, a.a.O., S . 27 ff.; Woldinga, a.a.O., 1. Bd., S . 33, 55, 2. Bd., S . 249 ff.; Caizzi, Anti-stene, a.a.O., S . 93 f.; dies., Fragmente, a.a.O., S. 111; Breitenbach, a.a.O., Sp. 1876.
18) A.a.O., S . 29. V g l . Breitenbach, a.a.O.- Rettig, a.a.O., dem Zambynski und sogar Körte, a.a.O., folgen, ist auch hier der irrigen Ansicht, Antisthenes leugne die Lehrbarkeit der HaXonaYctSia (vgl. oben S. 63, A n m . 14).
- 6 6 -
und daß die ape-cin , mithin also auch die Tapferkeit, lehr-
bar sei (frg. 69 C . ) . Der Spott der anspielenden Rede liegt
d a r i n , daß Sokrates sich stellt, als ob er tatsächlich
glaube, daß durch den Schwerttanz des Mädchens die Richtig-
keit des antisthenischen Satzes von der Unmöglichkeit des
Widerspruchs und der Lehrbarkeit der Tapferkeit bewiesen
sei. Antisthenes seinerseits nimmt diese ironische Anspie-
lung ebensowenig übel wie Sokrates vorher die Kritik an
Xanthippe und gibt den Spott schlagfertig und nicht ohne
Witz an die Athener w e i t e r , so als sei auch er seinerseits
ganz ernsthaft der Meinung, daß diese durch Übung im Schwert-
tanz bessere Soldaten werden könnten. Diese Bemerkung ist
nicht ohne Spitze gegen die militärische Tüchtigkeit der
Athener, und wenn man anderwärts liest, Antisthenes habe den
Athenern, die sich auf ihr Autochthonentum viel einbildeten,
erklärt, sie seien nicht besser als Schnecken und Heuschrek-
ken (frg. 123 C . ) , oder: sie sollten die Esel zu Strategen
m a c h e n , da sie doch jeden Dummkopf durch Handaufheben in
dieses Amt beförderten (frg. 123 C . ) , oder: wenn man von
Athen nach Sparta g e h e , so sei das wie ein Wechsel vom
Weiberhaus in die Männerhalle (frg. 195 C . ) , so zeigen sol-
che Äußerungen, daß sich Xenophon auch h i e r , wenigstens der
Tendenz n a c h , an vorgeprägtem literarischen Gut orientiert
h a t .
Soweit die einleitenden Einzelgespräche. Es folgen die
Rätselreden der G ä s t e , an denen Antisthenes ebenfalls leb-
haften Anteil nimmt (c.3/4).
Zunächst die Rätsel selber. Kallias macht den Anfang
und erklärt, er halte sich am meisten darauf zugute, daß
er die Menschen besser zu machen v e r m ö g e . Hierauf Antisthenes
"Indem du sie ein banausisches Handwerk lehrst oder die Vortrefflichkeit?"19
19) Symp. 3.6.
- 67 -
- Die Vortrefflichkeit ( MaXoMÄ-yaSLcx) , wenn anders die
Gerechtigkeit ( 6IKCIIOOUVTI ) eine Vortrefflichkeit sei.
"'Ja, beim Zeus!', erwiderte Antisthenes, 'die aller-unbestreitbarste (ävanqHXoyiijTaTr] ) ! Denn Tapferkeit und Weisheit sind bisweilen schädlich für die Freunde und für die Stadt, die Gerechtigkeit aber mischt sich in gar keiner Weise m i t Ungerechtigkeit.'"20
Antisthenes stellt hier, wie Körte bemerkt, eine 21
"inquisitorische Frage" , wenn er fragt, ob Kallias Men-
schenbesserung treibe durch Unterricht in banausischer
Tätigkeit; dergleichen stand ja bei diesem Aristokraten
am allerwenigsten zu vermuten. Kallias indes läßt sich durch
die unbekümmerte Direktheit des Tons ebensowenig beein-
drucken wie Sokrates vorher, sondern antwortet in aller
R u h e , er wisse die Gerechtigkeit zu lehren. Worauf Anti-
sthenes, recht unvermittelt, eine kurze Lobrede auf die
Gerechtigkeit hält, die in ihrer beipflichtenden Zustimmung
versöhnlich, ihrer lehrhaften Genauigkeit wegen aber auch
wieder ein wenig schulmeisterlich w i r k t .
Es findet sich in der Überlieferung kein Hinweis, daß
Antisthenes der Gerechtigkeit eine absolute Vorrangstellung
gegenüber Tapferkeit und Weisheit eingeräumt hätte, so
hoch er im übrigen auch vom Wert dieser Tugend gedacht hat
(vgl. b e s . frg. 74, 75, 101 C . ) . Desgleichen ist der Ge-
danke einer Mischung von Gut und Übel nirgends als anti-
sthenisch bezeugt. Demgegenüber läßt das in klassischer
Sprache seltene Wort avanq) i^oyot; antisthenisches Kolorit
20) Ebenda. - V g l . hierzu Rettig, a.a.O., S . 281; Körte, a.a.O., S . 22 f.; Woldinga, a.a.O., 1. Bd., S . 34, 61, 2. B d . , S . 269 f f . - Caizzi, Fragmente, hätte diese nicht unwichtige Stelle nicht übergehen dürfen.
21) A . a . O . , S . 22.
- 68 -
erkennen, weil es in nuce den Satz von der Unmöglichkeit
des Widerspruchs in sich begreift, auf den Sokrates kurz
zuvor angespielt hatte. Wie denn Antisthenes im übrigen
überhaupt eine besondere Vorliebe für die negierte Form
des adjektivischen Doppelkompositums zeigt, w i e Wendungen
wie avanoßAriToc; (frg. 23 C . ) , ävacpoup£To<; (frg. 71 C . ) ,
oder auch iinepavT0X.0Y0(;(frg. 86 C.) zeigen. Es muß dahinge-
stellt bleiben, ob diese Wortanspielung hinreichend Gewähr
bietet für die A n n a h m e , daß Xenophon auch hier authenti-
sche Sätze des Antisthenes wiedergibt. In jedem Falle ist
aber mit der Möglichkeit zu rechnen, daß die doxographi-
sche Überlieferung die antisthenische Ethik undifferen-
zierter überliefert hat,als sie w a r .
Nikeratos erklärt anschliessend, er sei besonders stolz
darauf, daß er 'Ilias' und 'Odyssee' auswendig w i s s e .
"'Dies aber, sagte Antisthenes, 'ist dir entgangen, daß auch die Rhapsoden alle diese Epen beherrschen?'"22
- N e i n .
"'Kennst d u ' , sagte er, 'ein einfältigeres Volk als die Rhapsoden?'"23
- N e i n . Worauf Sokrates bemerkt, die Einfalt der Rhapsoden
rühre daher, daß sie nicht den verborgenen Sinn der Dich-
tungen (ünovoiai ) zu deuten w ü ß t e n , worüber sich Nikeratos
bei Fachleuten wie Stesimbrotos und Anaximander unter-
richtet habe.
Auch hier fährt Antisthenes, wie Körte bemerkt, "un-24
wirsch dazwischen" und stellt inquisitorische F r a g e n .
22) Symp. 3.5.
23) Symp. 3.6. - Zur Szene v g l . Rettig, a.a.O., S . 281 f.; Zambynski, a.a.O., S . 81; Körte, a.a.O., S . 23; W o l d i n g a , a.a.O., 1. B d . , S . 34, 61 ff., 2 . B d . , S . 273 ff.; Caizzi, Fragmente, a.a.O., S . 109 f .
21) A . a . O . , S . 2 2 .
- 69 -
Anders als Kallias weiß sich aber Nikeratos nicht gegen
Antisthenes zu wehren, und so muß ihm Sokrates hilfreich
zur Seite springen, um durch eine geschickte Bemerkung zu
verhindern, daß Antisthenes in seiner unbekümmerten Direkt-
heit auch noch die Folgerungen aus des Nikeratos Antworten
zieht: daß er ebenso töricht sei wie die Rhapsoden, deren
Fertigkeiten er sich rühmt. Daß Antisthenes selber von den
Homerausdeutungs- und -auslegungskünsten der Rhapsoden nicht
höher dachte, als Platon im 'Ion' erkennen läßt, ergibt
sich aus der bloßen Tatsache, daß er mehr als achtzehn Bü-
cher über homerische Themen verfaßt hat (vgl. frg. 1 C.).
Eine Äußerung wie die vorstehende konnte Xenophon am ehe-
sten in der Schrift ncpl £&TIYTITC3V (ebd.) finden.
Nachdem Kritobulos erklärt hat, er sei besonders stolz
auf seine Schönheit, fragt Sokrates Antisthenes, worauf
er sich besonders viel zugute tue.
25 '"Auf meinen Reichtum!', erwiderte er."
Hermogenes fragt, ob er Geld besitze. Antisthenes schwört:
Nicht einen Obol! - Land?
"'Vielleicht', sagte er, 'wäre es für Autolykos hier genug, um sich beim Ringkampf einzureiben.'"26
Diese Bemerkung ist nun wieder mit Witz und gutem Humor
gesagt, und es bleibt im folgenden abzuwarten, wieso die
Armut des Antisthenes ein Gut darstellt, auf das er stolz
sein kann.
Charmides spricht im folgenden rühmend von seiner
Armut, Sokrates von seinen Kupplerfähigkeiten, Philippos
25) Symp. 3.8.
26) Ebenda. - Diese gtelle zitiert Plutarch, Phllos. esse c . princ. p . 778 .
- 70 -
von seinem Unterhaltungstalent.
"'Willst nicht auch du', sagte Antisthenes, 'erklären, Lykon, worauf du stolz bist'"27
Lykon ist stolz auf seinen Sohn, Autolykos auf seinen
Vater; Hermogenes schließlich nennt als stolzesten Besitz
seine Freunde.
Es folgt die Auflösung der Rätselreden. Kallias rühmt
sich, während die anderen über das Wesen der Gerechtigkeit
nachdächten, mache er die Menschen gerechter, indem er
ihnen Geld gebe. Antisthenes erhebt sich und stellt 28
"ganz inquisitorisch (^AXA k\tynTIHS<; )" die Frage:
"Die Menschen, Kallias, was glaubst du, tragen sie die Gerechtigkeit in der Seele oder im Beutel?"29
- In der Seele.
"Und da machst du ihre Seele gerechter, indem du ihnen Geld in den Beutel steckst?"30
- Ja.
"Wie?"3 1
- Weil sie so kaufen können, was sie brauchen, ohne sich
eines Vergehens schuldig zu machen.
'"Und geben sie dir', sagte er, 'zurück, was sie erhalten? "'32
- Nein, im Gegenteil.
"'Wunderbar', sagte Antisthenes, indem er schaute, als habe er ihn überführt (uc; l\£yx>>>v ),'daß du es
27) Symp. 3.12. - Fehlt bei Caizzi, Fragmente.
28) Symp. 4.2.
29) Ebenda.
30) Ebenda.
31) Ebenda.
32) Ebenda 4.3.
- 71 -
dahin bringst, daß sie gegen andere gerecht sind, gegen dich aber nicht.
1
"33
- Gar nicht wunderbar, auch die Architekten bauten für andere
Häuser und wohnten selber in Miete; Antisthenes, der So-
phist ( oocp IOTIK ), solle es sich gefallen lassen, widerlegt
zu werden. Ja das solle er, fällt Sokrates ein: auch die
Seher sähen ja für andere die Zukunft voraus, nicht aber
für sich selbst.
Kallias gibt hier keineswegs, wie Körte glaubt, eine 34
"kindlich naive Erklärung" , seine Worte sind vielmehr, 35
wie v . Fritz betont, "als Scherz" gesagt und verraten
die großzügige Selbstironie des reichen Aristokraten, der
Philosophie nur nebenbei betreibt. Antisthenes aber, der
Kallias schon einmal wenig freundlich unterbrochen hat,
hört diesen ironisch-scherzhaften Ton nicht oder will ihn
nicht hören und katechisiert ihn in seiner direkten und
rigorosen Art, die Xenophon hier zweimal ausdrücklich durch
den Terminus EXEYXEIV charakterisiert. Da Sokrates diesmal
nicht sogleich schlichtend eingreift, treibt Antisthenes
seine bohrend-gründliche Fragerei eine gute Weile, bis es
dem Weltmann, der es so ernst nicht gemeint hatte, zuviel
wird und er den lästigen Frager, wie v . Fritz treffend
bemerkt, "halb überlegen, halb verärgert"3 6
bescheidet,
er sei widerlegt und möge Ruhe geben. Sokrates pflichtet
33) Ebenda. - Vgl. zu dieser Szene Rettig, a.a.O., S . 286; Körte, a.a.O., S . 28; v . Fritz, S . 23 f.; Woldinga, a.a.O., 1. Bd., S . 34, 61, 2. Bd., S . 281 ff.; Caizzi, Antistene, a.a.O., S . 94 f.; d i e s F r a g m e n t e , a.a.O., S . 118; Breitenbach, a.a.O., Sp. 1878.
34) A.a.O., S. 27. Ähnlich auch Breitenbach, a.a.O.: "soll völlig naiv wirken".
35) A.a.O., S . 23.
36) A.a.O.
- 72 -
Kallias bei, und Antisthenes fragt nun nicht mehr weiter,
obwohl er im Sachlichen keineswegs widerlegt ist, wenn
anders die Gerechtigkeit nicht tatsächlich als Geldproblem
erscheinen soll.
Im übrigen parodiert Xenophon auch in dieser Szene un-
verkennbar antisthenischen Stil, wenn er den abstrakten
Begriff "Seele" mit der konkreten Bezeichnung "Beutel"
zusammenstellt. Wie sehr Antisthenes die Redeweise des ab-
stractum cum concreto schätzte, lehren Aussprüche wie: man
brauche Vernunft oder einen Strick (frg. 67 C.), oder: man
solle das Wissenswerte nicht aufs Papier, sondern in die
Seele schreiben (frg. 188 C.).
Es folgt Nikeratos. Er vermag aufgrund seiner gründ-
lichen Kenntnis Homers jedes Handwerk zu lehren und jede
Heldentugend.
"'Verstehst du dich auch auf die Königsherrschaft', fragte Antisthenes, 'da doch Homer, wie du weißt, Agamemnon lobt, daß er ein guter König sei und ein trefflicher Lanzenkämpfer?'"37
- Ja. Auch Wagenlenken will Nikeratos bei Homer gelernt
haben und daß Zwiebeln eine gute Zukost zum Trünke sind.
37) Symp. 4.6. - Anspielung auf II. 3.179. - Zur Szene vgl. Rettig, a.a.O., S . 286 f.; Körte, a.a.O., Zam-bynski, a.a.O., S . 81; Körte, a.a.O., S . 29; Wol-dinga, a.a.O., 1. Bd., S. 61 ff., 2. Bd., S. 286 ff.; Caizzi, Fragmente, a.a.O., S . 119 f.; Breitenbach, a.a.O., Sp. 1879. - Es ist auffällig, daß die meisten der in dieser Szene aufgeführten Homerzitate auch im platonischen Ion zu finden sind, worüber im einzelnen Woldinga, a.a.O., 1. Bd., S. 61 ff., nachzulesen ist. F . Dümmler, Antisthenica, in: Kleine Schriften, 1. Bd., Leipzig 1901, S. 34 ff., schließt aus diesem Befund, daß Platon und Xenophon gemeinsam eine Schrift des Antisthenes als Quelle benutzt haben. Ungleich wahrscheinlicher ist jedoch, daß Xenophon Platon im Auge hatte.
- 73 -
Worauf allerlei scherzhafte Bemerkungen seitens der anderen
Gäste folgen.
Antisthenes, der Nikeratos gerade eben nicht sehr
freundlich ausgefragt hatte, unterbricht ihn auch jetzt,
und auch diesmal ist seine Frage nach der Königsherrschaft
nicht ohne polemische Spitze, wenn man bedenkt, daß Nikera-
tos, der Sohn des Nikias, aus ältestem athenischem Adel
stammte. Aber Nikeratos geht diesmal, zu seinem Glück, auf
die Frage nicht näher ein, sondern fährt in der scherzhaf-
ten Aufzählung seiner bei Homer erlernten Kenntnisse fort,
so daß das Gespräch, wie Körte bemerkt, bald "eine bur-38
leske Wendung" nimmt.
Nachdem Kritobulos ausführlich über seine Schönheit
gesprochen hat, erklärt Charmides, wie wohl es ihm gehe,
seit er seinen Besitz verloren habe. Im Gegensatz zum ver-
armten Aristokraten hält Antisthenes, der Mann aus dem
V o l k e , anschließend eine Lobrede auf seinen Reichtum.
Wieso gerade er sich seines Reichtums rühmen könne, da
er doch weder Geld noch Land besitze?
"Weil ich der Ansicht b i n , Männer, daß die Menschen Reichtum und Armut nicht im Hause haben, sondern in der Seele. Ich sehe nämlich viele Bürger, die sehr viel besitzen und doch so arm zu sein glauben, daß sie jede Anstrengung und jede Gefahr auf sich nehmen, um ihren Besitz zu vergrößern; ich kenne auch Brüder, die dasselbe geerbt haben, aber der eine besitzt hin-reichend (TotpKouvTot ) und übergenug für seinen Lebens-unterhalt, der andere hat Mangel an allem; ich weiß auch von manchen Tyrannen, die so sehr an Geldarmut leiden, daß sie viel schlimmere Dinge tun als die Ärmsten: aus Not stehlen doch wohl m a n c h e , brechen ein oder treiben Sklavenraub, manche Tyrannen aber ruinieren ganze Häuser, morden haufenweise und schik-ken oft sogar ganze Städte des Geldes wegen in die
21) A . a . O . , S . 22.
- 74 -
Sklaverei. Diese nun bemitleide ich wegen ihrer gar so widrigen Krankheit; sie scheinen mir nämlich Ähn-liches zu erleiden, wie einer, der viel besitzt und, wiewohl er viel ißt, niemals satt wird. Ich aber be-sitze so viel, daß ich es selber nur mit Mühe finde. Dennoch habe ich genug übrig, um nicht zu hungern, wenn ich esse, nicht zu dursten, wenn ich trinke, und anzu-ziehen habe ich, daß ich draußen nicht mehr friere als der schwerreiche Kallias hier. Wenn ich mich aber im Hause aufhalte, scheinen mir die Mauern sehr warme Kleider zu sein und das Dach eine sehr dicke Decke, und mein Bett ist so zufriedenstellend (äpnoüaav ) , daß es Mühe macht, mich zu wecken. Wenn mein Leib einmal nach der Liebe verlangt, genügt mir, was gerade da ist { TO roxpöv äpHEi ), so daß die Frauen, zu denen ich gehe, mich über die Maßen freundlich empfangen, weil sonst keiner zu ihnen gehen will. Und dies alles scheint mir so lustbringend zu sein, daß ich, wenn ich etwas davon tue, nicht mehr Lust zu empfinden wünsche, sondern weniger: so sehr scheint mir manches davon lustbringender zu sein, als es zuträglich ist. Das wertvollste Stück in meinem Besitz aber ist, glaube ich, dieses: wenn mir einer nähme, was ich jetzt habe, so wüßte ich keine so niedrige Tätigkeit, daß sie mir nicht hinreichendes ( <xpKo3<jav ) Auskommen verschaffte. Und wenn ich einmal luxuriös leben will, kaufe ich das Wertvollste nicht vom Markt (denn das ist teuer), sondern nehme es aus der Vorratskammer meiner Seele. Und es macht einen großen Unterschied für die Lust, ob ich etwas zu mir nehme, nachdem ich auf das Bedürfnis gewartet habe, oder ob ich etwas Wertvolles genieße, so wie ich jetzt auch diesen Thasierwein hier trinke, obwohl ich keinen Durst habe. Natürlich sind auch jene, die mehr auf Sparsamkeit ( EUTEXEIOI ) achten als auf Geldbesitz, viel gerechter; denn wem das gerade Vor-handene aufs beste genügt ( ia napov-ra äpHEi ) , der verlangt am wenigsten nach Fremdem (äXAoTpnov) . Bemer-kenswert ist, daß ein solcher Reichtum auch Freiheit schafft. Sokrates nämlich, von dem ich ihn erworben habe, hat ihn mir nicht nach Zahl oder Gewicht zugeteilt, sondern, wieviel ich tragen konnte, soviel hat er mir mitgegeben, und ich mißgönne ihn nun keinem, sondern zeige sogar allen meinen Freunden neidlos meinen Besitz und gebe jedem, der will, Anteil am Reichtum in meiner Seele, Und auch das luxuriöseste Gut, die Muße (oxoM) ), steht mir, wie ihr seht, immer zur Verfügung, so daß ich das Sehenswerte sehen und das Hörenswerte hören und, was ich am meisten schätze, mit Sokrates zusammen den Tag in Muße verbringen kann. Und der bewundert nicht
- 75 -
die, die das meiste Geld ihr eigen nennen, sondern bleibt mit denen, die ihm gefallen, dauernd zusammen."
Diese lange Rede wird abgeschlossen durch einige scherz-
haft getönte Bemerkungen von Kallias und Nikeratos, der die
Ausführungen des Antisthenes sehr richtig als das
"nach keiner Sache Bedürfnis haben (to hti6ev?;c f o o -&e~a£ui ) "40
charakterisiert.
Antisthenes redet auch hier wieder direkt und ohne
Rücksicht auf gesellschaftliche Konventionen, wenn er sich,
gerade im Hause des reichen Kallias, über die Nichtigkeit
materiellen Besitzes ausläßt, sich jede Arbeit zu übernehmen
bereit erklärt, auch die niedrigste, und sich schließlich
auch noch drastisch über die Stillung seiner sexuellen Be-
dürfnisse vernehmen läßt, wobei er freilich überall Witz
und guten Humor beweist, was die Schroffheit seiner Ansich-
ten mildert und die Anstößigkeit seiner Äußerungen erträg-
lich macht.
Die Rede des Antisthenes ist aufgebaut auf der para-
doxen Behauptung, Reichtum sei keine Frage äußeren Besitzes,
sondern innerer Seelenverfassung. Das Streben nach äußer-
39) Symp. 4.34-44. - Zur Analyse dieser wichtigen Rede vgl. Rettig, a.a.O., S . 293 ff.; Zambynski, a.a.O., S . 79 ff.; Körte, a.a.O., S. 34 f.; Woldinga, a.a.O., 1. Bd., S. 15 f. 34 ff., 74 ff., 2. Bd., S. 320 ff.; Caizzi, Antistene, S. 95 ff.; dies.,Fragmente, a.a.O., S . 117; Breitenbach, a.a.O., Sp. 1881. - Die ganze Rede hat Hieronymus (frg. 128B; vgl. auch frg. 128A, 135 sowie 134B C.) im Auge, wenn er (wohl nach Satyros, den er kurz zuvor zitiert) behauptet, Xenophon bezeuge im Symposion, daß sich Anti-sthenes Bedürfnislosigkeit (paupertas) und Anstrengung (labor) besonders habe angelegen sein lassen; vgl. hier-zu unten S . 92-94. - Die alte Korruptel 4.37 hat jetzt nach Olliers neuem Text überzeugend verbessert G.L. Cooper, A better Solution for the text of Xenophon, Symp. 4.37, Classical Quarterly 21 (1971) S . 62-64, der uc, no-Ai<; aiio Mal lyu aütoc; aveuptoMu liest.
40) Symp. 4.45.
- 76 -
liehen Gütern, wie man es in der Gesellschaft allenthalben
beobachten könne, bei Privatleuten ebenso wie bei Gewalt-
herrschern, sei wie eine widrige Krankheit, bei der man
sein Essen nicht bei sich behalten könne: je mehr man
besitze, desto mehr wolle man haben, und schrecke schließ-
lich vor keiner Untat zurück, um den krankhaften Trieb
zu befriedigen. Ganz anders Antisthenes selber! Er ist
arm an äußeren Gütern, und doch hat er genügend zu essen
und zu trinken, ein Kleid, ein Haus, ein Bett und, wenn
nötig, ein Weib für die Liebe. Und wie gut läßt sich in
solcher Verfassung nicht leben! Angstfrei, weil man sei-
nen Besitz, wird er einem genommen, jederzeit durch Arbeit
wiedererwerben kann; lustvoll, weil die Befriedigung größer
ist, wenn man wartet, bis das Bedürfnis sich einstellt;
gerecht, weil man nicht nach fremdem Gut verlangt, wenn
man mit dem eigenen Besitz zufrieden ist; freiglebig,weil
man allen neidlos vom eigenen Gut abgeben kann; und das
kostbarste Gut: man hat immer Zeit, so daß man sich das
Leben einteilen kann, wie man mag.
Auch wenn das Wort dpne~v nicht mehrfach im Text be-
gegnete, ließe sich unschwer erkennen, daß hier vom Prinzip
der aÜTapneia die Rede ist, jenem philosophischen Lebens-
ideal, das die Glückseligkeit durch Selbstgenügsamkeit und
Selbstbescheidung zu erreichen hofft. Daß Antisthenes die-
ses Ideal in der Tat vertreten hat, läßt sich vielfach
erweisen, am schlagendsten durch den Satz, der Weise sei
aüxapHTK (frg. 80; vgl. außerdem 70, 80, 128AB, 135 B C.).
Wie sich denn überhaupt beinahe jeder Satz der xenophonti-
schen Rede durch ein antisthenisches Fragment belegen läßt.
Gleich eingangs begegnet die typische antisthenische Denk-
form des abstractum cum concreto wieder: "nicht im Hause,
sondern in der Seele"; läßt Xenophon Antisthenes hier die
- 77 -
Geldgier bei Privatleuten und Tyrannen als abschreckendes
Beispiel vorführen, so liest man bei Antisthenes selber,
kein Geldgieriger sei ein trefflicher Mann, er möge Bür-
ger oder König sein (frg. 94 C.); bezeichnet Antisthenes
bei Xenophon die Geldgier als Krankheit, so nennt er sel-
ber anderwärts die erotische Leidenschaft eine Krankheit
der Natur (frg. 109 C.); erklärt Antisthenes hier, er sei
mit jedem Weibe zufrieden, so sagt er anderwärts, man solle
sich nur solchen Weibern nähern, die es einem zu danken
wüßten (frg. 114 C.); spricht er hier davon, daß es lust-
voller sei, wenn man warte, bis sich ein Bedürfnis ein-
stelle, so sagt er anderweitig, man müsse die Lust zusammen
mit der Anstrengung genießen und nicht vorher (frg. 113 C.).
Betrachtet man diese Übereinstimmungen, die sich leicht
noch vermehren ließen, so hat man den Eindruck, daß Xeno-
phon hier in der Art eines Cento wichtige Maximen und
Sentenzen des Antisthenes nebeneinandergestellt hat, um
so zusammenfassend einen gedrängten Uberblick über die
verschiedenen Aspekte der antisthenischen Autarkieethik
zu geben.
Was den Stil der Rede betrifft, so bedient sich Anti-
sthenes hier in reichem Maße der Schmuckmittel gorgiani-
scher Rhetorik: Antithese, Allitteration, Anapher, Variati-
on, Metapher, Homoloteleuton, Paronomasie, Isokola und
Parisa, desgleichen Sentenz, Wortspiel, Paradox und witzige
Pointe begegnen auf Schritt und Tritt, so daß es sich er-
übrigt, einzelnen Beispiele anzuführen. Im Gegensatz zu
dieser rhetorisch überhöhten Redeweise verläuft der Satz-
bau durchaus parataktisch-schlicht und scheut selbst vor
Ausdrücken der niederen Sprache nicht zurück. Es leidet
keinen Zweifel, daß dieser höchst originelle Stil, den man
als umgangssprachlich gemäßigte Kunstprosa bezeichnen könnte,
eine parodische Imitation des antisthenischen Stils dar-
- 78 -
stellen soll. So zeigen die beiden erhaltenen Deklamationen
Aiae; und 'O&uaaEut; dieselbe eigentümliche Stilprägung,
und die antike Literaturkritik konstatiert bei Antisthenes
sowohl "rhetorisches Gepräge" ( prt-ropiMov EI6O<; ) (frg. 7 C.)
wie sie ihn auch unter die "kräftigeren" ( acpo&poxEpoi )
Leute rechnet, die eine "überführend-advokatische"
vtf| Mai b iMaviMTi) Redeweise pflegen (Lukian, Pisc. 23 [p.89 C.]
Alles in allem behält Zambynski Recht, wenn er urteilt:
"Cum Antisthenis arte rhetorica, quam Xenophon, cum Anti-
sthenem loquentem facit, perspicue imitatur, apophthegmata
quoque, paradoxa omninoque facete atque sagaciter dicta
cohaerere videntur, quae in Antisthenis fragmentis passim
inveniuntur, quaeque Xenophon in Convivio si iam non citat 41
at certe imitari vldetur."
Antisthenes äußert am Ende der Rede, wie Körte bemerkt, 42
"das feste und warme Bekenntnis zu Sokrates . Sokrates
sei es gewesen, der ihm das Ideal der aüxapMEia und so
den rechten Weg zum Glück gewiesen habe. Auch hierzu läßt
sich ein bedeutsames Antistheneswort anführen: die Vor-
züglichkeit ( apExn ) sei ausreichend ( aiiapMTK ) zur Er-
langung der Glückseligkeit (Eu&ai^ovia ), sie bedürfe
allerdings des Sokrates kraftvoller Haltung (EuKpaxiM?! taxuO
(frg. 70 C.). Aus alledem geht deutlich hervor, wie tief
Antisthenes durch Sokrates' selbstbeherrschte und selbst-
genügsame Lebensführung, die auch andere Quellen rühmen,
beeindruckt und geprägt worden ist. So liegt die Vermutung
nahe, daß Antisthenes seine Autarkieethik in wesentlichen
Stücken gewonnen hat, indem er jene biographischen Züge
der Sokratesgestalt, die er am meisten bewunderte, ins
41) A.a.O., S . 81.
42) A.a.O., S. 35.
- 79 -
Theoretische umsetzte. Es wäre dies nicht der einzige
Fall, daß das vorbildhafte Leben eines Lehrers das Modell
abgäbe für die ethische Theorie eines bewundernden
Schülers.
Nachdem Hermogenes, Philippos und der Syrakuser zu
Wort gekommen sind, ist es an Sokrates zu erklären, wieso
er sich gerade auf sein Talent als Zuhälter ( ^aoTponoc )
etwas zugute tue. Sokrates führt aus, der beste Zuhälter
sei der, der seine Kunden möglichst vielen Menschen, am
besten der ganzen Stadt, angenehm zu machen wisse. Ein
solch vortrefflicher Zuhälter sei Antisthenes. Antisthenes
ist verblüfft:
"'Mir', sagte er, 'Sokrates, schreibst du diese Fähigkeit zu?'"4 3
- Ja, und auch die damit zusammenhängende Tätigkeit.
"Welche ist das?"44
- Die Kuppelei ( npoaYuyeta ).
Hierauf stellt Antisthenes
"sehr empört ( ccAa ax^eaSeir, ) "45
die Frage:
"Und woher weißt du, Sokrates, daß ich dergleichen betreibe?"46
- Weil Antisthenes Kallias mit Prodikos zusammengebracht
habe, als er sah, daß der eine Wissen, der andere Geld
brauche, und ebenso mit Hippias, von dem Kallias die
Mnemotechnik gelernt habe, so daß er jetzt gewitzt sei
in erotischen Dingen und nichts Schönes mehr vergesse, was
43) Symp. 4.61.
44) Ebenda.
45) Ebenda 4.62 .
46) Ebenda.
- 80 -
er einmal gesehen habe; desgleichen habe Antisthenes ihn
selber mit dem Fremdling aus Herakleia und mit Aischylos
aus Phleius zusammengeführt, und auch dies seien glück-
liche Vermittlungen gewesen, von denen jeweils beide Part-
ner Nutzen gehabt hätten. Wer solches vermöge, der könra
auch harmonische Ehen stiften und gute Verhältnisse unter
Städten, so daß er überall willkommen sei und hochbezahlt
werde. Und da sei Antisthenes böse, wenn man ihn einen
vortrefflichen Zuhälter nenne!
"'Aber beim Zeus!', erwiderte er, 'jetzt nicht. Denn wenn ich dergleichen vermag, habe ich meine Seele ja ganz und qar mit Reichtum vollbepackt.'"47
Es ist merkwürdig, daß Sokrates die Kupplerkunst, deren
er sich auch im Theodotegespräch M e m . 3.11 rühmt, hier
Antisthenes zuschreibt, anstatt sich ihrer, wie man er-
warte;, selber zu rühmen. Welche Gründe Xenophon für diese
47) Ebenda 4.64. - Zur Szene v g l . Rettig, a.a.O., S. 297 ff Körte, a.a.O., S. 36 ff.; v . Fritz, a.a.O., S. 25 ff.; Woldinga, a.a.O., 1. Bd., S . 36, 78 ff., 2. Bd., S. 359 ff.; Caizzi, Antistene, a.a.O., S . 97 ff.; dies., Fragmente, a.a.O., S. 115; Breitenbach, a.a.O., Sp. 1882. - Die ganze Szene hat Theopomp (frg. 3C.) im Blick, wenn e r , wohl in seiner Streitschrift Katä TTTI; nAa-ruvoc 6 iatp ißTK (FGrHist. 115 F 259), Antisthenes als ÖEIVOC bezeichnet, der es verstanden habe, fti' öiaiXiat; e iieXOCK; ünayaYEaSaI navö' övTivoüv; v g l . Diogenes Laertius (frg. 3 in Verbindung mit frg. 135B C . ) . Eine Anspielung auf diese Stelle bietet auch Plutarch, Quaest. conviv. p . 632 . - Die Korrup-tel 4.64 Mal TTO AAo U av ätioc, ETVOU + TIOXEOI Mal cpiXoic wal OUHHOXOK ; + MEMTrfadai hat mannigfache Verbesse-rungsvorschläge gefunden, worüber ausführlich Woldinga, a.a.O., 2. Bd., S. 371 ff. Ansprechender als Finckhs Ergänzung NOXECU Mal (l&IURAIC;) cpiXot; MAL ouji-tiaxoic oder Sauppes Streichung von Mal oumiaxoit,
der sich auch Ollier anschließt, erscheint die Emen-dation Mai JTOXEOI nal quXon; (ipiXoc) Mal au|inaxoi<;.
- 81 -
überraschende, ja abrupte Gesprächswendung auch gehabt
haben mag, sei es, daß er, wie Körte glaubt, aus Dis-
kretion unterlassen habe, "seinen Sokrates hier im Ernst
ein Bekenntnis über seine letzten Ziele ablegen zu las-48
sen" , sei es, daß er, wie v . Fritz meint, seiner allge-
meinen Neigung gefolgt sei, "nicht jedes einmal vorkommen-49 de Thema erschöpfend zu behandeln" , - Antisthenes erfährt
zu seiner Überraschung, daß Sokrates ausgerechnet bei ihm
jene Zuhältertalente vorfindet oder besser vorzufinden
vorgibt, deren er sich vorher selber gerühmt hatte. Dieser
Überraschung folgt sogleich die zweite, indem Sokrates
Antisthenes nun auch noch als vortrefflichen Kuppler be-
zeichnet; worauf dieser "sehr empört" reagiert. Woher
diese plötzliche Verstimmung des Antisthenes? Hier hat
v . Fritz klärend darauf hingewiesen, daß die iiaaTponeta
(hier unvollkommen durch Zuhälterei wiedergegeben) "ein
sehr anrüchiges, aber im Altertum gewissermaßen ein ehr-
liches, d.h. gesetzlich erlaubtes G e w e r b e "5 0
gewesen ist,
während die npoceruye ia (hier ebenso unvollkommen durch
Kuppelei übersetzt) besonders die Verführung freier Knaben
und Mädchen zur Unzucht bezeichnet, worauf nach attischem
Recht die Todesstrafe stand. So wenig Antisthenes, der
von sich selber gerade bekannt hat, er schrecke im Notfall
vor keiner Tätigkeit zurück, gegen den Beruf eines nopvoßoaKoc;
mochte einzuwenden haben - und tatsächlich auch nichts ein-
gewendet hat, wie seine Äußerung über einen ertappten Ehe-
brecher lehrt: der Narr hätte den Prozess um einen Obol
48) A.a.O., S . 37.
49) A.a.O., S . 26.
50) A.a.O., S . 26 f. - Zum Unterschied von naoTponeia und npoafu-feCa ausführlich Woldinga, a.a.O., 1. Bd., S. 78 ff., 2. Bd., a.a.O., S. 365 ff.; Caizzi, Antistene, a.a.O., S . 97-99.
- 82 -
vermeiden können (frg. 182 C.); so sehr konnte er sich
von dem Vorwurf getroffen fühlen, er verleite als npoayojYot;
verbrecherischerweise freie Athener gegen Bezahlung zur
Unzucht. Sokrates allerdings spricht hier ironisch-
übertragen, wie besonders die Aufzählung von des Antisthe-
nes gelungenen Kuppeltaten bei Kallias und ihm selber
zeigt, und wenn Antisthenes diesen Ton überhört und böse
wird, so beweist er in der Tat, wie Körte bemerkt, ein
gutes Stück "Begriffsstutzigkeit"5 1
. Aber es ist auch
wieder bezeichnend für ihn,daß er gleich darauf versöhnlich
einlenkt und auf Sokrates' ironische Lobesrede, seine
eigene Rede mit gutem Humor parodierend, antwortet, bei
solchen Fähigkeiten müsse seine Seele ja geradezu mit
Reichtümern vollgepackt sein.
Xenophon behauptet, Antisthenes habe Kallias erfolg-
reich mit Prodikos und Hippias verkuppelt, Sokrates mit
Aischylos aus Phleius und mit dem Fremdling aus Herakleia.
Hierzu bemerkt Körte: "Die Objekte dieser npoccruTEict 52 sind wohl in antisthenischen Werken genannte Personen."
51) A.a.O., S. 37.
52) A.a.O., S. 38. Vgl. Breitenbach, a.a.O., Sp. 1882. -Körte, a.a.O., A n m . 2, will den Fremdling aus Hera-kleia mit dem berühmten Maler Zeuxis identifizieren, den eine Anekdote bei Aellan var. hist. 14.17 in Verbindung mit Sokrates bringt. Winckelmann, Antisthe-nis Fragmenta, Zürich 1842, S . 31, Anm. 1, denkt an den Philosophen Bryson, über den p . Natorp, Bryson N r . 2, in: Pauly-Wissowas RE 3 (1897) Sp. 927-929, nachzulesen ist; Joel, a.a.O., 2. Bd., S . 480, zieht Brysons Vater Herodoros vor, der über Herakles ge-schrieben hat. - Aischylos von Phleius identifiziert Körte, a.a.O., mit dem gleichnamigen Astronomen unbe-kannter Herkunft, dessen Gestirntheorie Spuren in der Meteorologie des Aristoteles hinterlassen hat; vgl. hierzu Hultsch, RE Suppl. 1 (1903) Sp. 40. Die Iden-tifizierung paßt indes schlecht zum erotisch getönten Charakter der Stelle.
- 83 -
In der Tat dürfte Xenophon wenigstens die beiden letzt-
genannten, prosopographisch so erlesenen Namen, deren
Identifizierung Schwierigkeiten bereitet, literarischen
Quellen verdanken. Desgleichen dürfte das derbe Wort
a£aaY|i£vo<; , das mit Vorliebe in der Komödie begegnet,
in parodischer Absicht hierhergesetzt worden sein.
Nach dem Rätselspiel folgt der vorher angekündigte
Schönheitswettkampf zwischen Sokrates und Kritobul (c.5).
Antisthenes hat hieran keinen Anteil, wenn man davon ab-
sieht, daß Kritobulos einmal ironisch-anspielend von
53
"des Antisthenes Reichtum
spricht. Es folgt der Streit der Gäste (c.6).
Hermogenes, von Sokrates wegen seines Schweigens ge-
tadelt, erklärt schlagfertig, die anderen redeten soviel,
daß er gar nicht zu Worte kommen könne. Kallias schlägt
vor, man solle Flöte blasen lassen,dann seien alle still.
Hermogenes: Ob er etwa wie der Schauspieler Nlkostratos
zur Flötenbegleitung rezitieren solle? Sokrates: Ja,
dann seien seine Worte angenehmer zu hören. Kallias:
Wenn Antisthenes einen im Gespräch widerlege, welche Flö-
tenmelodie dann wohl passe? Worauf Antisthenes:
'"Für den Widerlegten, denke ich', sagte er, 'paßt die Pfeiferweise (oupiT^ot; ).'"54
53) Symp. 5.8; vgl. 3.8, 6.34 ff.
54) Symp. 6.5. - Zur Szene vgl. Rettig, a.a.O., S . 303; Zambynski, a.a.O., S . 75; Woldinga, a.a.O., 2. Bd., S. 392 ff., wo nähere Aufklärung über den Terminus aupi-ynoc zu finden ist; Breitenbach, a.a.O., Sp. 1883 Winckelmann, a.a.O., S . 50, Anm. 1, bringt diese Stelle ganz willkürlich mit dem Gebet an Pan im pla-tonischen Phaidros p . 279 zusammen; woran Joel, a.a.O. 2. Bd., S . 728 ff., weitere Spekulationen knüpft.
- 84 -
Kallias kommt hier auf Antisthenes zu sprechen, weil
er nicht vergessen hat, daß ihm Antisthenes mehrfach mit
seiner bohrenden Fragerei im Gespräch Widerstand geleistet
h a t . So humorvoll er fragt, so witzig antwortet Antisthenes,
indem er mit dem Doppelsinn des Wortes OUPIYH°I spielt,
das sowohl eine hohe Flötenmelodie bezeichnet wie auch
das Auspfeifen des Schauspielers auf dem Theater. Die gan-
ze Auseinandersetzung zwischen Kallias und Antisthenes
erhält so einen versöhnlichen Schlußakzent.
Der Syrakuser bemerkt, daß das Interesse der Gäste an
seinen Vorführungen schwindet und wird ausfällig gegen
Sokrates. Als der M a n n , wiewohl Sokrates ihn freundlich
zu beschwichtigen sucht, keine Ruhe geben w i l l , greift
Antisthenes ein:
"Du bist doch groß, Philippos, im Vergleichen ( elxa^eiv)! Meinst du nicht, daß der Mann hier einem Spötter gleicht?"55
Das findet Philippos wohl und schickt sich a n , weitere
Vergleiche zu ziehen, so daß Sokrates alle Mühe hat, ihn
zurückzuhalten.
Hier zeigt sich Antisthenes entrüstet, weil er, wie
v . Fritz bemerkt, "diesen Angriff auf seinen Lehrer und
Meister nicht ertragen k a n n "5 6
. Sogleich ist er bereit,
55) Symp. 6.8. - V g l . hierzu Rettig, a.a.O.; Körte, a.a.O., S . 19 f.; v . Fritz, a.a.O., S . 42 f.; Woldinga, a.a.O., 2. Bd., S . 402 f., der auch über das im Symposion be-liebte Spiel des eivtaSeiv näher informiert; Breiten-bach, a.a.O. - J o e l , a.a.O., S . 728 f., hält das
EIV für typisch antisthenisch, übersieht jedoch, daß Antisthenes diese Fertigkeit hier ausdrücklich Philippos zuschreibt. - Ein schönes Beispiel eines antisthenischen e 1M05 bietet im übrigen Aristoteles (frg. 157 C.): der schmächtige Kephisodotos gleiche dem Weihrauch, OTI ATIOXXIVEVCX; Eucppaivei.
56) A . a . O . , S . 24 f .
- 85 -
Sokrates gegen die vorgebrachten Anwürfe zu verteidigen,
wobei dieser einmal mehr Gelegenheit erhält, seine über-
legene Kunst der Menschenbehandlung zu beweisen.
Es folgt schließlich Sokrates1
große Rede auf den
Eros (c. 7/9).
Sokrates bittet den Syrakuser, um die aufkommende Miß-
stimmung zu beheben, eine Pantomime aufzuführen. Während die
Vorbereitungen hierfür getroffen werden, beginnt Sokrates
seine Lobrede auf den Eros. Es schicke sich wohl, gerade
jetzt diesen Gott zu preisen, dem alle miteinander verfal-
len seien: er selber sei immer verliebt; Charmides und
Kritobul liebten und würden geliebt; Nikeratos liebe seine
Frau, Hermogenes die Tugend. Ob Antisthenes als einziger
niemanden liebe?
"'Doch, bei den Göttern', erwiderte jener, 'sogar sehr: dich!'"57
Sokrates ziert sich: Antisthenes solle ihm jetzt keine
Anträge machen, er sei mit anderem beschäftigt. Hierauf
Antisthenes:
"Natürlich, du Selbstverkuppler (naoTpone ocauToö), immer machst du dergleichen Sachen: bald schiebst du das Dalmonion vor, um dich nicht mit mir zu unter-halten, bald hast du irgendetwas anderes im Sinne!"58
Sokrates erwidert, Antisthenes solle ihn nur nicht ver-
prügeln,
"deine andere Widrigkeit ( XOCAEJIOTTII; ) aber ertrage ich und werde sie freundschaftlich (nuAinEq ) ertragen."59
57) Symp. 8.4.
58) Ebenda 8.5.
59) Ebenda 8.6. - Zur Szene vgl. Rettig, a.a.O., S . 306 f.; Körte, a.a.O., S. 40 f.; Zambynski, a.a.O., S . 82 f.; v . Fritz, a.a.O., S. 29 ff.; Woldinga, a.a.O., 1. Bd., S. 100, 2. Bd., S. 422 ff.; Breitenbach, a.a.O., Sp. 1884. Unbegreiflicherweise fehlt die Stelle bei Caizzi, Fragmente
- 86 -
Jetzt aber müsse man des Antisthenes Liebe verbergen, da
sie nur seiner Süßeren Schönheit gelte und nicht seiner
Seele. Womit Sokrates' Rede auf den Eros, die Höhepunkt
und Schluß des Werkes bildet, ihren Fortgang nimmt, ohne
daß von Antisthenes noch einmal die Rede ist.
Es leidet keinen Zweifel (oder es hätte doch niemals
zweifelhaft sein sollen), daß diese Szene ihr literarisches cd
Vorbild im platonischen 'Symposion' p . 213 hat, wo Sokra-
tes sich bei Agathon ironisch beklagt, Alkibiades sei so
eifersüchtig, daß er bisweilen an sich halten müsse,um
nicht Hand an ihn zu legen. Körte fand es "sehr unerfreu-
l i c h "6 0
, wie hier die erotische Leidenschaftlichkeit des
jungen, schönen Aristokraten auf Antisthenes übertragen
werde, den man sich als armen Mann gesetzteren Alters vor-
stellen müsse: "Xenophons Nachahmung streift an Karikatur."6 1
Sehr zu Recht bemerkt jedoch v . Fritz:"... die ganze Stim-6 2 mung und der ganze Ton der Szene sind andere geworden."
In der Tat ist die Darstellung bei Xenophon unverkennbar
scherzhaft-spottend, ja humoristisch gefärbt. Gleich ein-
gangs redet Sokrates spottend, wenn er Antisthenes fragt,
ob er denn als einziger niemandem erotisch zugetan sei;
denn jedermann mußte sich hier erinnern, daß Antisthenes
den Eros als Obel der Natur erklärte (frg. 109 C.), daß
er bekannte, er verfiele lieber dem Wahnsinn als der Lust
(frg. 108 C.) und erklärte, er würde Aphrodite erschiessen,
wenn er ihrer habhaft würde (frg. 109 C . ) . Antisthenes be-
antwortet die anspielende Frage mit gutem Humor, indem er
den Spötter selber als Gegenstand seiner erotischen Leiden-
60) A.a.O., S. 40.
61) A.a.O., S. 41.
62) A.a.O., S . 30.
- 87 -
schaft nennt. Als sich Sokrates hierauf ironisch ziert,
als nähme er dieses Liebesgeständnis ernst, beklagt sich
Antisthenes, wiederum im Scherz, wohl aber auch nicht
ohne Spur tatsächlicher Eifersucht, daß Sokrates nie ge-
nügend Zeit für ihn habe, wobei es überrascht, daß hier-
bei auggerechnet das Daimonion als Entschuldigungsgrund
angeführt wird. Sokrates schließlich treibt den Spott
auf die Spitze und gibt vor, er fürchte sich vor des
Antisthenes Prügel, erklärt sich zugleich aber bereit,
seine x<*^e
't
°'rT
K zu ertragen, und zwar, wie er ausdrück-
lich sagt, "in Freundschaft". So wird hier am Schluß das
Verhältnis zwischen Sokrates und Antisthenes als ein Ver-
hältnis des Wohlwollens und der Sympathie bezeichnet,
ungeachtet des Abstands, in der die ungebärdige Direkt-
heit und Rigorosität des Schülers zur Konzilianz und
Menschenkenntnis des Lehrers steht.
4. Antisthenes bei Xenophon
Alles in allem zeichnet Xenophon von Antisthenes ein
scharf umrissenes Bild, und zwar in soziologisch-
psychologischer Hinsicht ebenso wie in stilistischer und
philosophischer. Soziologisch betrachtet erscheint Anti-
sthenes als Mann aus dem Volke, ohne Geld und Besitz, ein
Angehöriger der Unterklasse, der gezwungen ist, oder sich
doch wenigstens gezwungen sehen könnte, durch eigene Arbeit
seinen bescheidenen Lebensunterhalt zu verdienen; psycho-
logisch stellt er sich dar als leidenschaftlich-rechthaberi-
scher Charakter, der, unbekümmert um jede gesellschaftliche
Konvention, seine eigenen Ansichten zur Geltung zu bringen
und die Ansichten anderer zu widerlegen trachtet, wobei
allerdings Witz und guter Humor die Schroffheit seines
- 88 -
Wesens mildern; stilistisch bedient er sich einer Rede-
weise, die die Schmuckmittel gorgianischer Rhetorik ein-
zusetzen versteht, ohne darum doch auf umgangssprachliche
Satzfügung und konkrete Drastik des Ausdrucks zu verzich-
ten; in der Philosophie schließlich vertritt er eine zupacken-
de elenktische Ausfraaetechnik und eine Autarkieethik von
einfacher Rigorosität, die auf theoretische Fundierung
eher verzichtet und sich vor allem am biographischen Vor-
bild des Sokrates orientiert. Alle diese Züge, die sich
überzeugend zu einer Einheit zusammenfügen, kennzeichnen
Antisthenes deutlich und unverkennbar als derbe und kräf-
tige Gestalt, als Mann mit Kanten und Ecken, der es sich
und anderen nicht leicht macht; kurz: als xatenos.
Wie steht es um die historische Treue des Bildes, das
Xenophon von Antisthenes gezeichnet hat? Im Stilistischen
und im Philosophischen, wo sich die Darstellung anhand der
Fragmente überprüfen läßt, hat sich im Vorhergehenden auf
Schritt und Tritt bestätigt, was Zambynski vermutete:
"Conspicuum ... est a Xenophonte, cum Antisthenem de quavis
re loquentem faciat, scripta eius diligenter r e s p i c i "6 3
,
und: "Verlsimillimum ... est Xenophontem in Convivio suo
Antisthenis scripta respexisse eiusque genus scribendi
imprimis in oratione, quam Antistheni in Convivio tribuerit, 64
affectasse." Dies recht erwogen, wird man kaum zweifeln,
daß Xenophon auch die biographisch-psychologischen Züge
seiner Antisthenesgestalt nicht frei erfunden, sondern eben-
falls nach literarischen Vorbildern entworfen hat, wenn
auch nicht auszuschließen ist, daß er hier und dort einmal
auf eigene persönliche Erinnerungen an des Antisthenes
63) A.a.O., S. 83.
64) A.a.O., S. 85.
- 89 -
Lebensform und Charakter zurückgegriffen h a t . Alles in
allem gilt: Die xenophontische Antisthenesdarstellung
ist in wesentlichen Stücken nicht authentisch-historisch,
sondern literarisch, geformt nach dem Bilde, das Antisthenes
selber in seinen eigenen Schriften von sich und womöglich
auch andere in den ihren von ihm gegeben haben m o c h t e n .
Es besteht im übrigen durchaus kein Grund für die A n n a h m e ,
daß diese literarischen Quellen der historischen Person
nicht gerecht geworden w ä r e n , und so darf man Xenophons
Darstellung, wenigstens in den hauptsächlichen Zügen,
durchaus als glaubwürdig ansehen.
Abschließend noch einmal zurück zum 'Symposion'.
Es ist deutlich, daß Antisthenes hier eine Außenseiterrolle
spielt. Er ist der einzige, der durch sein intransigentes
Benehmen mehrfach Anstoß erregt, aber auch der einzige,
d e r , wenigstens ansatzweise, den Versuch m a c h t , ein einmal
angeschlagenes philosophisches Problem bis zum Ende durch-
zusprechen, sehr im Gegensatz zu Sokrates, der des Anti-
sthenes unhöfliches Gebaren immer wieder weltmännisch-
geschickt in gesellschaftlich erträgliche Bahnen zu lenken
v e r s t e h t , indem er aufkommende gedankliche Meinungsver-
schiedenheiten um des sozialen Friedens willen unbedenklich
beiseite schiebt. So deutlich es Xenophons Absicht ist,
Sokrates als Urbanen Weltmann und überlegenen Menschenkenner
gegenüber dem rechthaberisch-pedantischen Antisthenes in
das rechte Licht zu setzen - ist das Sokratesbild hier
nicht auf den Kopf gestellt? Körte bemerkt: "... Xenophon
schildert hier den Antisthenes so, wie weite Kreise den
Sokrates in Erinnerung haben m o c h t e n , unaufhörlich inqui-
rierend und s c h u l m e i s t e r n d . "6 5
v . Fritz korrigiert diese
21) A . a . O . , S . 22.
- 90 -
Bemerkung sehr richtig: "Oberhaupt gibt es nirgends in der
antiken Literatur ein Bild des Sokrates, das dem xenophonti-
schen Antisthenes vergleichbar wäre - ausser vielleicht in
den Dialogen des Antisthenes, aber das ist ja wieder Anti-
sthenes selbst."6 6
Und doch ist nicht zu leugnen, daß der
xenophontische Antisthenes (und also wohl auch Antisthenes
selber) als der unbedingt Fragende, der gesellschaftliche
Rücksicht der Suche nach der Wahrheit hintansetzt, ungleich
mehr vom Geiste des historischen Sokrates bewahrt hat als
der xenophontische Sokrates, der in seiner weltmännischen
Konzilianz und unproblematischen Oberflächlichkeit nur all-
zu deutlich die Züge seines redlich bemühten, aber geistig
schlichten Erfinders trägt. Vielleicht, daß Xenophon das
Bild des Antisthenes deshalb überzeugender gestalten konnte
als das des Sokrates, weil er dort hatte, was ihm hier fehlte
literarische Quellen, die ein festumrissenes und eindeutiges
Bild der Persönlichkeit zeichneten.
66) A.a.O., S . 40 f.
- 91 -
IV. DAS LITERARISCH-PHILOSOPHISCHE WERK DES ANTISTHENES
1. Die antiken Zeugnisse über die Schriften
a . Umfang
Was den äußeren Umfang des literarischen Werkes betrifft,
so bezeichnet Timon von Phleius (frg. 2 C.) Antisthenes
wegen der Menge seiner Schriften sarkastisch als "alles-
produzierenden Schwätzer" ( navToq>uff cp\e&ova ) ? Hieronymus
(frg. 128B C.) spricht bewundernd von des Antisthenes
"unzähligen Büchern" (innumerabiles libri). Beide Urteile
faßt C . Chappuis, 'Antisthene', ebenso nüchtern wie tref-
fend zusammen: "Ses ouvrages etaient fort nombreux."1
So ist es in der Tat. Die antike Uberlieferung kennt
die Titel von mehr als sechzig verschiedenen Schriften,
und diese Schriften umfassen Ihrerseits nicht selten wie-
derum mehrere Bücher. Mag dabei auch (wie üblich) das eine
oder andere unechte Werk unterlaufen, so bleibt doch die
bemerkenswerte und nicht hinreichend gewürdigte Tatsache
festzuhalten, daß Antisthenes, wenn man die Zahl der Schrif-
ten zugrundelegt, mehr geschrieben hat, als alle anderen
Sokratiker, Platon nicht ausgenommen. Mehr noch: Er war
überhaupt einer der produktivsten philosophischen Schrift-
steller seiner Zeit und wird an literarischer Fruchtbarkeit
nicht einmal von Demokrit übertroffen. Wann immer Antisthenes
zu schreiben begonnen hat, sei es noch zu Sokrates' Leb-
zeiten oder erst später, in jedem Falle muß man voraussetzen,
1) Paris 1854, S . 28.
- 92 -
daß er, um ein literarisches Werk von solch enormem
Umfang zu schaffen, über Jahrzehnte hin bis zu seinem
Tode in den sechziger oder fünfziger Jahren ununterbrochen
schriftstellerisch tätig gewesen ist.
b . Inhalt
Das Wort Timons (frg. 2 C.) vom "allesproduzierenden
Schwätzer" besagt nicht nur, daß Antisthenes sehr viel
geschrieben h a t , sondern auch, daß seine Schriften von
vielfältiger und weitläufiger Thematik gewesen sind.
Pseudo-Eudokia, s.v. 'AVT ICJ-SEVRI<; p . 96 Flach, (fehlt
bei C.) paraphrasiert ganz richtig: Antisthenes habe "über
unterschiedliche Themen" ( nepl &iaq>opu)v ÜTIO-9EO£Q)V ) geschrieben.
Auch dieses Urteil bestätigt die Überlieferung, na-
mentlich die überlieferten Schriftentitel, die sowohl
rhetorische, wie ethisch-politische, dialektisch-ontolo-
gische und poetologische Themen erkennen lassen. Chappuis: 2
"Antisthene avait ecrit sur les sujets les plus varies."
über Inhalt und Thematik der antisthenischen Schriften
geben zwei Zeugnisse genauere Auskunft, die eine eingehen-
dere Betrachtung erfordern.
Diogenes Laertius 6.14 Hieronymus, adv. Iovin. (frg. 3 C.): 2.14.344 (frg. 128 B C.):
TOÜTOV (sc. Antisthenem)ßO-vov £« rcavtuv EunpaTIKWV 0EO-notinoi; (FGrH 115 F 295)
( .
enaivEi XAI cpriai &EIVOV T ' EI - ... paupertatisque eius (sc. vai Hai 61' i^iXiac ^HEAOÜC Antisthenis) et laboris ÜNAYAYEO-&AI NAVS' ÖVTIVOOV. SRIXOV 6' EH TEV AUYYPANNATCJV et Xenophon testis est in HÖH TOO SEVOCPÜVTOC EUNNOAIOU. Symposio et innumerabiles
libri eius ...
2) A . a . O .
- 93 -
Vergleicht man diese beiden Zeugnisse, deren enge Zusammen-
gehörigkeit bisher merkwürdigerweise unbeachtet geblieben
ist, so fällt in die Augen, daß hier aufgrund derselben
Quellen zwei ganz verschiedene Aussagen gemacht werden:
Hieronymus, der hier übrigens Satyros ausschreiben dürfte,
den er wenig später zitiert, beruft sich auf die antisthe-
nischen Schriften und auf das xenophontische 'Symposion',
um zu beweisen, daß Antisthenes sich Bedürfnislosigkeit
und Anstrengung besonders habe angelegen sein lassen; Dio-
genes stützt sich auf ebendieselben Zeugnisse, um die Rich-
tigkeit von Theopomps Urteil über des Antisthenes vortreff-
liche psychagogische Fähigkeiten zu belegen. Es ist nicht
wahrscheinlich, daß diese beiden Nachrichten unabhängig
voneinander entstanden sind. Gab es eine gemeinsame Quelle,
so müßte dort das Theopompzitat ausführlich vorgeführt
worden sein, so daß es für des Antisthenes psychagogisches
Talent, von dem Diogenes spricht, wie auch für seine ethi-
schen Vorzüge, die Hieronymus nennt, gleichermaßen als Be-
leg gelten konnte. Es ist aber auch möglich, wenn nicht
gar wahrscheinlich, daß Diogenes, der in genanntem Zusammen-
hang überhaupt sehr flüchtig kompiliert, dieselbe Quelle
exzerpierte, die auch Hieronymus ausschreibt, hernach aber,
wie er öfter zu tun pflegt, den Zettel falsch einordnete,
so daß nun das Theopompzitat irrtümlich durch zwei weitere
Zitate bestätigt zu werden scheint, die für einen ganz
anderen Zusammenhang gedacht waren. So muß zum mindesten
offen bleiben, ob sich aus den antisthenischen Schriften
tatsächlich herauslesen ließ, daß Antisthenes der ge-
schickte Menschenführer und Psychologe gewesen ist, als
den ihn Sokrates bei Xenophon im 'Symposion' 4.62-64 rühmt.
In jedem Falle aber ist sicher, daß Antisthenes vielfach
von Bedürfnislosigkeit (paupertas) und Anstrengung (labor)
geschrieben hat, wovon er ja auch in seiner großen Rede
- 94 -
im 'Symposion' 4.34-45 ausführlich spricht. Wie denn
das Ethische in den antisthenischen Schriften, bei aller
Mannigfaltigkeit der inhaltlichen Thematik, überhaupt ganz
unverkennbar im Vordergrund steht. F . Deycks, 'De Anti-
sthenis Socratici vita et doctrina': " ... longe maxima
pars doctrinam de vita moribusque spectat."3
c . Form
Hieronymus (frg. 128B C.) berichtet, Antisthenes habe
seine Schriften "teils in philosophischer, teils in
rhetorischer Weise" (alios philosophico, alios rhetorico
genere) abgefaßt. Dieses Urteil, das ebenfalls auf Satyros
zurückgehen dürfte, verdient volles Vertrauen, da mehrfach
ausdrücklich bezeugt ist, daß Antisthenes in philosophi-
scher und rhetorischer Form geschrieben hat, während jeder
Hinweis fehlt, daß er sich außerdem auch in anderen Lite-
raturgattungen versucht hätte.
Was die literarische Form der philosophischen Schrif-
ten betrifft, so bezeugt Diogenes Laertius (frg. 7 C.),
daß Antisthenes Dialoge geschrieben hat. In der Tat lehrt
die Uberlieferung ausdrücklich, daß die Schriften ' AXnöeia
(frg. 7 C.), IloX it ihoc, (frg. 43 C.), npoxpETtT mo<; (frg.
7 C.) und ZaSwv (frg. 36, 37 C.) in dialogischer Form
konzipiert gewesen sind, und der Kontext bei Herodikos
(frg. 29A, 34, 42) und Persaios (frg. 5 C.) läßt kaum einen
Zweifel, daß auch die Schriften 'AXmßia&TK, 'ApxeXacx;,
'Aonaaia, 'KpauX.f|t; b ixäaauv und KOpoc; ninpoi; Dialoge ge-
wesen sind.
3) Koblenz 1841, S . 13.
- 95 -
Spricht die Uberlieferung in allen diesen Fällen
lediglich von Dialogen, so bezeugt Panaitios (frg. 5 C.)
ausdrücklich, daß Antisthenes sokratische Dialoge ge-
schrieben hat. Es ist festzuhalten, daß sich die eine
Aussage mit der anderen nicht decken muß. Es läßt sich
nicht ausschließen, daß es bei Antisthenes auch nicht-
sokratische Dialoge gegeben hat, in der Form etwa dem
'Troikos' des Hippias oder den platonischen 'Gesetzen'
vergleichbar. Die Wahrscheinlichkeit - allerdings nur
diese - spricht jedoch dafür, daß, wenn vielleicht auch
nicht in allen, so doch in der überwiegenden Mehrzahl der
antisthenischen Dialoge, Sokrates als Gesprächsführer oder
doch wenigstens als Gesprächsteilnehmer aufgetreten ist.
So wird auch am ehesten verständlich, wie Herodikos
(frg. 34 C.), nachdem er Piatons allzu panegyrische So-
kratesverherrlichung getadelt hat, von Antisthenes sagen
konnte: "Auch dieser Kyniker ist dem Sokrates vielfach
gefällig."
Die Zeugnisse über Schriften in rhetorischer Form sind
spärlich. Die beiden erhaltenen Deklamationen Aiat; und
'06UOGEU<; (frg. 14, 15 C.) sowie der Titel 'Opeaxou äno-
Aoyia (frg. 1 C.) zeigen, daß sich Antisthenes auch in
der Rede, genauer: in der Gerichtsrede mythischen Charak-
ters, versucht hat. Hermipp (frg. 127 C.) will darüber-
hinaus wissen, Antisthenes habe die Absicht gehabt, an den
Isthmien eine Lob- und Tadelrede auf Athener, Thebaner und
Spartaner zu halten, sei jedoch davon abgekommen, als sich
eine größere Anzahl von Zuhörern aus diesen Städten ein-
gefunden habe. Der Sinn dieser Geschichte ist jedoch ebenso
dunkel wie ihre Glaubwürdigkeit gering (vgl.S. 252 ff. ),
so daß es mehr als zweifelhaft ist, ob es diese panegyrisch-
panhellenische Epideixis, die Antisthenes ja auch gar nicht
vorgetragen haben soll, tatsächlich gegeben hat.
- 96 -
Es stellt sich die Frage, ob Antisthenes, außer Dialog
und Rede, andere Formen philosophischer oder rhetorischer
Mitteilung gekannt h a t . Hierzu liegt ein wichtiges Zeugnis
v o r , das genauere Betrachtung verlangt.
cd ' . . Theopompus a p . A t h e n . 1 1 p . 508 : Oeono^ttoc, o Xfoc; EV TU) Kaxa T-NC; IIXaTuvos 6iaTpißff(; iTfirfi 115 F 259 ) TOU«; noXXout;, (YNAC, TWV fuaXoyuv auxoC ( sc. Piatonis ) äxpeioui; "A! IJEU 5EF(; av Ttt; eupoi- aXXoTpiouc; BE xoüc; nXeioui;, OVTCK; EH TWV 'AoIOTirnou ( f r q . 122 Mannebach ) 6iaTpißuv, EVI'O U<; HÖH TCV ' AVT toöEvou<; ( frg. 4 C) , r.oWovc bi HÖH TWV Bpua:ovo<; TOU Up HXEC'TOU (frg. 2o7 Dörina).
Die Haltlosigkeit des Plagiatvorwurfs, über die hier kein
Wort zu verlieren ist, darf nicht darüberhinwegtäuschen,
daß Theopomp ausdrücklich bezeugt, Antisthenes, Aristipp
und Bryson hätten Diatriben verfaßt. Man pflegt dieser
Nachricht gemeinhin nur geringe Bedeutung beizumessen, weil
man voraussetzt, der Ausdruck 6ictTpi.ß-n stehe hier synonym
für &iaXoYo<; oder ouyypanna oer sehr präzise originale
Wortlaut ist einer solchen Auffassung jedoch nicht günstig,
sondern legt vielmehr die Vermutung nahe, daß Diatribe und
Dialog in diesem Zusammenhang zwei genau bestimmte und von-
einander verschiedene Formen literarischer Aussage reprä-
sentieren. Diese Vermutung gewinnt noch an Gewißheit, wenn
man Aristipp ins Auge faßt, wo sich die Uberlieferung kon-
trollieren läßt: Sotion und Panaitios verzeichnen unter
den Schriften Aristipps sechs Diatriben, und andere waren
sogar der Ansicht, Aristipp habe überhaupt nur sechs Dia-
triben verfaßt (frg. 121 Mannebach). Es dürfte hiernach
kaum zweifelhaft sein, daß die literarische Form der Dia-
tribe, die in der Regel als Erfindung der hellenistischen
Zeit gilt, bereits im Kreise der Sokratiker gepflegt, wenn
nicht gar geschaffen worden ist, wenigstens ansatzweise.
Da sich die Diatribe später vor allem bei Kynlkern und
Stoikern großer Beliebtheit erfreut h a t , so ist wenigstens
die Frage zu stellen, ob es nicht in der Hauptsache
- 97 -
Antisthenes gewesen ist, der diese populäre Form des
Philosophierens in besonderem Maße genutzt hat, um in
lebhafter Rede und eingängiger Argumentation die Richtig-
keit seiner rigorosen ethischen Grundsätze lehrhaft-
predigend vorzuführen. In jedem Falle muß als bezeugte
Tatsache festgehalten werden, daß Antisthenes ethische
Themen auch in der Form diatribenähnlicher Abhandlungen
behandelt hat, auch wenn die Uberlieferung ein Einzelwerk
solchen Charakters nirgends ausdrücklich namhaft macht.
Beachtung verdient in diesem Zusammenhang schließlich
auch, daß Julian (frg. 8 C.) bezeugt, Antisthenes habe, wie
Platon und Xenophon, "bei Behandlung ethischer Stoffe"
( ixpa"f naTEuojie vo i<; Tiöivcae; Tivoli; ünoöeoe i O " v i e l f a c h " ( no*Aax°ö)
und "nicht beiläufig, sondern mit einer gewissen künstle-
rischen Sorgfalt" ( ou napeprw«;, neta TIVOQ ia<; )
mythische Erzählungen in die Darstellungen "hineingefloch-
ten" ( EYHATANEIIE IKTOH ). Aus diesem Zeugnis läßt sich
schließen, daß der Mythos bei Antisthenes als literarisch-
philosophische Klein- und Sonderform innerhalb des grös-
seren Ganzen einer ethisch-dialogischen Darstellung eine
nicht unbedeutende Rolle gespielt hat. Daß Antisthenes
hier gegenüber Platon und Xenophon durchaus eigene Wege
gegangen ist, lehrt die folgende Bemerkung vom "antisthe-
nischen Charakter" ( ' AVT ICJSEVE IOQ TUHOC ) des Heraklesmythos,
mag hierbei auch unklar bleiben welche formale oder in-
haltliche Eigentümlichkeit antisthenischer Mythenbildung
diese Wendung zum Ausdruck bringen will.
Abschließend sei noch erwähnt, daß Phrynichos (frg.
10 C.) von "Schriften" ( Xoyoi ) des Antisthenes über Kyros
und die 'Odyssee' spricht. Der Ausdruck Xoyoc, ist jedoch
zu allgemein, als daß er irgendwelche Rückschlüsse auf
die Struktur der genannten beiden Prosawerke erlaubte.
- 98 -
Man wüßte gerne, welche Bedeutung den einzelnen lite-
rarischen Formen innerhalb des antisthenischen Gesamtwerks
jeweils zukam. Die Meinungen gehen hier weit auseinander.
A . Mueller, 'De Antisthenis Cynici vita et scriptis', be-
merkt über die Schriften: "Probabile est autem Antisthenem 4
in plurimis eorum ... dialogi genere usum esse ..." Ganz
anders urteilt U.v. Wilamowitz-Moellendorff, 'Platon':
"Antisthenes hat die Rede und die Abhandluna bevorzuot."5
Die bruchstückhafte Überlieferung erlaubt kein endgültiges
Urteil in der einen oder anderen Richtung, und so muß man
sich bei der allgemeinen Feststellung beruhigen, daß Anti-
sthenes, anders als etwa Platon, außer dem Dialog auch
nichtdialogische literarische Formen wie Rede und Diatribe
gepflegt hat, hierin am ehesten Xenophon und Aristipp
vergleichbar.
d . Stil
Longin (frg. 11 C.) berichtet, Platon, Xenophon, Aischines
und Antisthenes hätten die stilistische Ausgestaltung
ihrer Schriften "mit außerordentlicher Mühe und großer
Genauigkeit" (nepiTxSt; bianenovrixai Hai InavSc r|Hpißuxai )
vorgenommen. Daß Antisthenes hierbei Eigenständigkeit und
Originalität an den Tag legte, lehrt Epiktet 2.17.35
(p. 89 C.), der zwischen literatur- und philosophiebeflis-
senen Jünglingen folgenden Dialog fingiert: "'Wunderbar,
Freund, schreibst du.' - 'Und du großartig im Stile (sc;
TOV XAP<*HTF!PA ) Xenophons.' - 'Und du in dem Piatons.' -
'Und du in dem des Antisthenes.'" Ganz ähnlich fragt auch
4) Diss. Marburg 1860, S . 29.
5) 2. Bd., 3. Aufl., Berlin 1962, S. 26.
- 99 -
F r o n t o , De eloquentia p . 165 Mai (p. 89 C.): "Ziehst du
des Diodoros und des Alexinos Worte den Worten Piatons,
Xenophons und des Antisthenes vor?"
Wie sah dieser spezifisch antisthenische Stil aus?
Lukian, P i s c . 23 (p. 89 C . ) , reiht Antisthenes, zusammen
mit Diogenes und Chrysipp, unter die "kräftigeren Leute"
(a<po6poTEpoi ) ein, die sich nicht so sehr einer schönen
und eindrucksvollen, sondern vielmehr einer "überführenden
und gerichtsrednerischen Redeweise" ( ekeyni i,vtffc; Mal SiMa-
VIKT)<; N A P A O H E U T K ) bedienen. Cicero (frg. 13 C.) drückt das-
selbe anders aus, wenn er Antisthenes "eher scharfsinnig
als gebildet" (acutus magis quam eruditus) nennt. Diogenes
Laertius (frg. 7 C.) bezeugt ferner, Antisthenes habe in
seinen Dialogen, namentlich in den Werken 'A\-nöeia und
npotpenxVMOC; , "rhetorisches Gepräge" ( prixoptMov el&oc )
in der Manier des Gorgias aufgetragen. Demnach darf die
Verbindung von rhetorisch-gorgianisch aufgehöhter Redeweise
und umgangssprachlich-derbkräftiger Gedankenführung, die
in parodischer Form auch im xenophontischen 'Symposion'
begegnet und in den Deklamationen Alac; und 'O&uoaeu«;
(frg. 14, 15 C.) wiederbegegnen w i r d , als ein typisches
Kennzeichen antisthenischen Stils angesehen w e r d e n .
Es bleiben einige weniger bedeutsame Zeugnisse zu er-
w ä h n e n . Dionys von Halikarnaß (frg. 9 C.) m e l d e t , daß
Antisthenes anders geschrieben habe als Thukydides. Phryni-
chos (frg. 10 C.) nennt Antisthenes, von dem er allerdings
lediglich die beiden Schriften Itepl Kupou und riepl 'ü&uocrei
gelten läßt, unter den mustergültigen Vorbildern für reinen
attischen Stil. Hierzu p a ß t , daß Tzetzes, Exeg. in Iliadem
p . 115 Herrn, (fehlt bei C . ) , überliefert, Antisthenes habe
bei den Substantiven auf - eu<; im Nominativ und Akkusativ
des Plurals die altattischen Formen auf - fk verwendet. Der
Vollständigkeit halber sei schließlich erwähnt, daß Ari-
- 100 -
stoteles (frg. 157 C.) aus Antisthenes ein Beispiel für
eine gelungene Metapher anführt: Kephisodotos, der Dünne,
gleiche dem Weihrauch, "weil er dahinschwindend erfreue"
(ott anoAAÜiievoc; eücppaivei ). Ps.-Demetr ios (frg. 12 C.)
zitiert aus Antisthenes als Beispiel für die Wichtigkeit
der Schlußstellung eines Wortes folgenden Satz: "In der
Regel dürfte ein Mensch nämlich Schmerz empfinden, wenn
er sich von einem Reisighaufen erhebt." ( OXE&OV yap ö&uvn-
aeiev av övöpunoq E« (ppuyavuv ävaaxäc ) . Zutreffend faßt
die Äußerungen der antiken Stilkritik zusammen A.G. Winckel-
mann, 'Antisthenis Fragmenta': "Antisthenis libri vehementer
veteribus placuerunt."6
Abschließend ein Hinweis. E.G. Schmidt, 'Die drei Arten
des Philosophierens. Zur Geschichte einer antiken Stil-
und Methodenentscheidung'7
, hat nachgewiesen, daß bei
Ps.-Demetrios. De eloc. 296 ff., sowie bei Epiktet, Diss.
3.21.18 f. und 3.23.33 ff., in verschiedener Brechung,
Spuren einer stilistischen Theorie vorliegen, in der als
Grundarten philosophischer Aussage eine "belehrende"
( bi&acmaAvxot; ), eine "überführende" ( E XSYHT VXOC, ) und
eine "antreibende" (npoxpEnx ixo«; ) Ausdrucksweise unter-
schieden werden. In diesem Zusammenhang hat A . Carlini,
'Osservazioni sui tre EI&TI TOÜ \oyou in Ps.-Demetrio, De Q
eloc. 296 sg.' , darauf aufmerksam gemacht, daß für die
protreptische Form der Aussage bei Ps.-Dem. 297 unter dem
Stichwort "ratend" (ünoöETixü^ ) xenophon als Beispiel
angeführt wird, während bei Epiktet 3.21.19 unter dem
Stichwort "scheltend" (ETUTIATIKT IHS<; ) Diogenes erscheint;
6) Zürich 1842, S . 11 .
7) Philologus 106 (1962) S . 14-27. V g l . früher bereits A . Bonhöffer, Epictet und die Stoa. Untersuchungen zur stoischen Philosophie, Stuttgart 1890, S . 8, Anm. 1.
8) Rivista di Filologia e di Istruzione Classica 96 (1968) S. 38-46.
- 101 -
ferner: der Beispielsatz über die rechte Erziehung der
Kinder, an dem Ps.-Demetrios demonstriert, wie Aristipp,
Xenophon und Sokrates (resp. Platon und Aischines) die
drei genera philosophandi jeweils ausgedrückt h a b e n , kehrt
unter dem Stichwort "tadelnd" ( ETIIXIIICV ) im pseudoplato-
nischen 'Kleitophon' p . 407*3
in einer vierten Fassung
w i e d e r , die mit gutem Grund als zitathafte Parodie aus
Antisthenes g i l t . Die Konsequenz: "... figurava origina-
riamente ... un el&oc; npoxpEnxIHOV , articolato in due
elementi, 1' uno rappresentato da Senofonte e chiamato
el&oc IIIXOÖET IHOV , 1' altro rappresentato da Antistene e , , 9
distinto con 1' attributo d i EninXtixx IKOV ..." Diese
Beweisführung erscheint überzeugend, aber auch wer ihr
nicht zu folgen vermag, wird zugeben m ü s s e n , daß Antisthenes,
als einer der "kräftigeren Leute", sich in seinen Schriften,
w o er "antreibend" wirken w o l l t e , wie etwa im namentlich
so genannten npoxpenxLKO<; (frg. 1 C . ) , eher "scheltend"
denn "mahnend" hat vernehmen lassen.
e . Echtheitskritik
Die drei antiken Zeugnisse, an denen in antisthenischen
Schriften Echtheitskritik geübt w i r d , sind allesamt um-
stritten und bedürfen einer genaueren Prüfung.
Panaetius a p . D i o g . L a e r t . 2.64: navxwv HEVXOI TÜV ZU-HpoxiHcöv &ia\oYuv ;]avaixi.oc (frg. 126 van Straaten) i-A-NÖEII; Eivai, 6OKE1T TOU<; nAaxuvcx;, SEvoipüvxot;, ' Avx ta-ÖEvoui; (frg.5 C . ), AlaxCvou ( t e s t . 1 Dittmar), SLOTOCEI &e TtEpi x<3v $ai6uvoT KAI EÜMXEI.6OU (frg. 18 Döring ), xou<; &E ä\Xou<; ävaipsi navxac;.
Problematisch ist hier, wie man den Ausdruck akriSeTc, auf-
zufassen h a t . H . v . A r n i m , 'Leben und Werke des Dio von
21) A . a . O . , S . 22.
- 102 -
Prusa', bemerkt hierzu: "Meines Erachtens hat Panaitios
nicht von der Ächtheit, sondern von der Wahrheit des In-
halts dieser Dialoge gesprochen, von ihrer Brauchbarkeit
für die Kenntnis des S o k r a t e s . "1 0
Diese Auffassung wird
heute zu Recht allgemein abgelehnt. In der Tat lassen die
literarkritischen Fachtermini &ioTa££tv und vor allem
dvaipetv wie auch des Panaitios anderweitig bekannten
Urteile über die Echtheit literarischer Werke kaum einen
Zweifel, daß die umstrittene Wendung allein im Sinne der
schriftstellerischen Authentizität verstanden werden kann.
Es ist im übrigen nicht bekannt, worauf Panaitios sein
Urteil gründete, und so muß man sich m i t der bloßen Fest-
stellung begnügen, daß er an den sokratischen Dialogen des
Antisthenes nichts auszusetzen fand. Allzuviel Gewicht wird
man diesem an und für sich günstigen Urteil allerdings nicht
beimessen, wenn man bedenkt, daß Panaitios die Schriften
des Stoikers Ariston wider den klaren Augenschein dem gleich-
neunigen Peripatetiker zuschrieb (frg. 124 van Straaten) und
aus dogmatischen Gründen sogar die Echtheit des platoni-
schen 'Phaidon' in Zweifel zog (frg. 127/129 van Straaten).
Diogenes Laertius 2.61:Mal xCv tnxa (sc. dialogorum Aeschineorum) 6E TOLK; TIAEIOTCU<; IlEpaaTOQ (SVF I 457) <pr]AI NAAICPWVTOQ EIVOU "COU 'EpExpiwoCJ, EIQ TOU<; Aiaxivou ( test. 1 Dittmar)&E NATA-RA^AI- äXXa KAI TCV 'AVTIOSEVOUC (frc;. 6 C . ) TOV TE iHpov Küpov Kai TOV "HpaKXsa TOV fAaaaoi Kai AXKIEI-abriv Kai TOI; TBV äXXuv + &EEOMEUUPR)Tai + .
Jede Interpretation dieser schwerverständlichen Stelle muß
10) Leipzig 1898, S . 31; gebilligt von Wilamowitz, a.a.O., S . 27, und K . J o e l , Geschichte der antiken Philosophie, Tübingen 1921, S . 932, A n m . 1. - E . Zeller, Die Philo-sophie der Griechen, 2. Bd., 5. A u f l . , Leipzig 1922, S . 344, A n m . 1, läßt die Frage unentschieden.
- 103 -
davon ausgehen, daß der überlieferte Text, wie ihn die
Ausgaben bieten, korrupt ist. Es ist wider alle Regeln
der Syntax, daß die Verbindungspartikel b£ vor einem
Verbura am Ende eines längeren Satzes zu stehen kommt,
zumal dieser Satz noch dazu durch die Wendung &AAoc xai
eingeleitet w i r d . F . Susemihl, "Der Idealstaat des Anti-
sthenes und die Dialoge Archelaos, Kyros und H e r a k l e s '1 1
,
hat diese Korruptel schlagend verbessert, indem er erkann-
te, daß sich hinter dem syntaktisch sinnlosen Wort b£ das
Verbalpräfix &i(ot) verbirgt. Der Schreiber kannte offen-
bar das geläufige Simplex aKeuupeiv , nicht aber das sel-
tene Kompositum 6laaKEuupetv ; so behielt er die beiden
Buchstaben 5e übrig, die e r , wollte er ihnen einen Sinn
abgewinnen, unschwer als änderungsbedürftige VerSchreibung
der häufig vorkommenden Partikel b£ mißverstehen konnte.
Folgt man Susemihls überzeugender Emendation, von der
die Ausgaben zu Unrecht keine Notiz genommen h a b e n , so
erscheint die Verbalform 5i£aKeuwpr|Tai als Prädikat des durch
ä\\a neu eingeleiteten Satzes. Sogleich stellt sich die
Frage, wen man sich als Subjekt dieses Prädikates vorzu-
stellen hat. Das Verbum btaaKeuwpeiv bzw. öiaaxeuwpErcjöai
bedeutet in literarkritischem Zusammenhang, in dem es auch
im 3 . platonischen Brief p . 3 1 6a
gebraucht w i r d , soviel
wie: "zum Schaden anderer etwas zurechtmachen", "unerlaubte
Eingriffe vornehmen", "fingieren", "plagiieren".Hieraus
folgt, daß Deycks irrt, wenn er sagt: "Quin etiam Antisthenis
Cyrum parvum, Herculem minorem et Alcibiadem slbi arrogarat
11) Jahrbücher für classische Philologie 33 (1887) S . 209; v g l . ders., Geschichte der griechischen Litteratur in der Alexandrinerzeit, 1. Bd., Leipzig 1891, S . 21.
- 104 -
1 2 Aeschines ..." Nicht von Aischines, sondern allein von
Pasiphon, dem Persaios im vorhergehenden Satze die Fäl-
schung aischineischer Dialoge vorqeworfen hatte, ließ sich
behaupten, er habe "auch" (äXXa wai ) antisthenische
Schriften gefälscht. Wie denn Diogenes anders auch schwer-
lich mit den Worten o i b' ouv t ov AICXLVOU t o luvtpat IKOV II-Sor, ano^euaYiievoi ejaiv eitta ... hätte fortfahren können.
Richtig Chappuis: "Pasiphon d' Erfetrie ... publia sous le
nom d' Antistene le Petit Cyrus, le Petit Hercule et 1'
Alcibiade."1 3
Die Lösung dieser Frage wirft sogleich neue Probleme
auf. Der Wechsel des Subjekts zwischen Persaios und Pasiphon
in den beiden durch äkka HOII verbundenen Sätzen wirkt
überaus abrupt, und dies umso mehr,als auch die beiden zu-
gehörigen Prädikate 'fnot und f>ieaKeuwpr|tai ohne ersicht-
lichen Grund die Tempora wechseln. Mehr noch: Der Wechsel
der Subjekte zwingt, strenggenommen, zu der Annahme, daß
die Nachricht von den Antisthenesplagiaten des Pasiphon
nicht auf Persaios, sondern auf eine unbekannte zweite
Quelle zurückgeht, die Diogenes in Form eines Nachtrags an
den Bericht des Persaios über die Aischinesplagiate des
Pasiphon angehängt hat. Alle diese Anstöße lassen es zum
12) A.a.O., S . 27. Ebenso urteilen u.a. Winckelmann, a.a.O., S. 11; G . Roeper, Emendationen zu Diogenes Laertius, Philologus 3 (1848) S. 61 f.; Mueller, a.a.O., S . 29; F.G. Mullach, Fragmenta Philosophorum Graecorum, 2.Bd., Paris 1867, S . 268; neuerdings leider wieder F . Decleva Caizzi, Antisthenis Fragmenta, Mailand 1966, S. 88: "... Eschine avrebbe saccheggiato opere di Antistene e di altri."
13) A.a.O., S . 27. - So richtig u.a. auch K.F. Hermann, De Aeschinis Socratici reliquiis, Progr. Göttingen 1850, S. 8, Anm. 19; Susemihl, Der Idealstaat etc., a.a.O., S. 208 f.; F . Blass, Die attische Beredsamkeit, 2. Bd., 2. Aufl., Leipzig 1892, S. 337, A n m . 1; H . Krauss, Aeschinis Socratici reliquiae, Leipzig 1911, S . 3.
- 105 -
mindesten zweifelhaft erscheinen, ob es mit der Lesart
&ieaMEuupriTat seine Richtigkeit hat. Susemihl hat bei-
läufig erwogen, statt des Verbum finitum den Infinitiv
6laoKeuup'rfaSai in den Text zu setzen. In der Tat läßt
sich durch diese leichte Korrektur der Oberlieferung mit
einem Schlag ein befriedigendes Verständnis des Textes
erreichen. Persaios erscheint nun, wie natürlich, als Ge-
währsmann sowohl für die Nachricht von den Aischines- wie
von den Antisthenesplagiaten, weil der Infinitiv 6IEOHEU-upffoöai wie Mataxa^ai von cprioi als Hauptverb abhängt.
Fraglich ist jetzt allenfalls, ob man das Verbum JHEOHEU-upf[aSai passivisch oder medial auffassen soll. Da die
ganze Stelle sichtlich darauf abzielt, Pasiphon als Fäl-
scher sokratischer Schriften hinzustellen, wird man nicht
zögern, den Infinitiv medial zu verstehen und wie zu
Hocta-ca^ai so auch zu & i£OK£uupffa-8ou Pasiphon als Subjekts-
akkusativ zu ergänzen, zumal der Wortgebrauch des Simplex
oKEuupEiodai , den wir lexikalisch kontrollieren können,
durchaus den medialen Infinitiv des Perfekts kennt (vgl.
etwa Dem. or. 32. 9 u . 11). So ergibt sich, daß Persaios
behauptete, Pasiphon von Eretria habe Dialoge des Aischines
d e n Kupoc jiLKpöc; ,'KpoMXfiQ eXacnuv u n d ' AAniß ia&ric; d e s A n t i
sthenes und andere sokratische Schriften gefälscht.
Wir wissen nicht, was Persaios bewogen hat, Pasiphon
der Fälschung so zahlreicher sokratischer Schriften zu
beschuldigen. A . Dyroff, 'Die Ethik der Alten S t o a '1 4
, hat
vermutet, Pasiphon sei, als 'Epetp moc , Schüler des Menedem
14) Berliner Studien für classische Philologie und Archaeo-logie, N.F. 2, Berlin 1897, S . 350. - Die spärlichen Zeugnisse über Pasiphon bespricht K.v. Fritz, Pasiphon N r . 2, in: Pauly-Wissowas RE 18 (1949) Sp. 2084. über Persaios vgl. K . Deichgräber, Persaios N r . 1, ebenda 19 (1937) Sp. 926-931.
- 106 -
gewesen, mit dem Persaios wegen der Restitution der
Demokratie in Eretria schwere politische Differenzen
hatte; möglicherweise habe Persaios, um den Lehrer zu
treffen, den Schüler als Dieb am literarischen Nachlass
der Sokratesschüler hingestellt. Richtig ist an dieser
ansprechenden, wenn auch nicht beweisbaren Vermutung
jedenfalls soviel, daß Persaios für seine Behauptungen
eher persönlich-polemische als historisch-kritische
Gründe gehabt h a t . Der Vorwurf des Plagiats gehört ja
zu den beliebtesten Mitteln der Verleumdung im Philosophen-
und Literatengezänk der hellenistischen Zeit. Wie denn
auch Theopomp (frg. 4 C.) verleumderischerweise behauptet
h a t , Platon habe einige seiner Dialoge aus Schriften des
Antisthenes abgeschrieben.
Phrynichus a p . Phot. bibl. p . 101 b 9: e i Ainp ivoüc 5E na! M a d a p o ü H a i 'ATTIHOÜ xavo vac, H a i axa§|iac; na £ rtapa&E iTJia qrpaiv
apiaTOv nXaxwva XE Hai ATIHOC$EVT|V ... nai ' Avx ICJÖEVTIV ( f r g . 1c G.) |iExa x<3v yVT|CTi(*)v aüxoü &uo Xo-fuv xoü ^del. TTatorp, for-t a s s s r e c t e ) nspi Kupou nai xoü nep i O&uaoEiai;.
Diese Stelle wird gemeinhin so verstanden, als habe Phryni-
chos, abgesehen von jenen beiden Schriften, die er allein
als Musterbeispiele reinattischen Stils anerkannte, alle
Werke des Antisthenes als unecht verworfen. Hierzu bemerkt
Mueller: "Quae verba cave ita Interpreteris, ut Phrynichum
illos tantummodo duo libros germanos, reliquos ab Anti-
sthene allenos iudicasse. nam nihil aliud ex Iis colligen-
dum esse videtur, nlsi grammatlcus alios quosdam habuisse
s u b d i t o s . "1 5
In der Tat: So naheliegend es ist, daß Phryni-
chos, als einer der strengsten attizistischen Puristen der
Zweiten Sophistik, aus dem umfangreichen Gesamtwerk des
Antisthenes lediglich zwei Werke als Musterbeispiele des
15) A . a . O . , S . 28. V g l . auch Chappuis, a.a.O., S . 27 f. Unentschieden äußert sich Caizzi, a.a.O., S . 8 8 .
- 107 -
allerbesten attischen Stils auswählte, so wenig glaublich
erscheint es, daß er dieses ohnehin strenge Stilurteil auch
als Echtheitsurteil verstanden wissen wollte, das nahezu
allen Schriften des Antisthenes die Authentizität genommen
hätte. Ist diese Überlegung richtig, so macht die echtheits-
kritische Bemerkung Schwierigkeiten. Wenn Phrynichos aus
der Schriftenmasse des Antisthenes unter dem Gesichtspunkt
reinen attischen Stils eine so strenge Auswahl traf, so
verstand sich von selbst und bedurfte keiner Erwähnung,
daß er nur solche Schriften auswählen würde, deren Authen-
tizität außer allem Zweifel stand. So bleibt zum mindesten
zu erwägen, ob P . Natorp, 'Antisthenes'1 6
, nicht recht hat,
wenn er vorschlägt, vor dem Titel ^epi Kupou den Artikel
•toO zu delieren. In diesem Falle bezöge sich die echt-
heitskritische Bemerkung lediglich auf die beiden Kyros-
schriften (frg. 1, 29A C.), und daß hier eine echtheits-
kritische Stellungnahme nötig war, lehrt Persaios (frg.
6 C.), der die Authentizität des Küpoc; nmp6<; bestritt.
2. Der Katalog
a . Der Text
Schriftenkataloge, zumal so umfangreiche wie der anti-
sthenische, sind in der Überlieferung besonders leicht
Mißverständnissen und Verderbnissen ausgesetzt, weil hier
mechanisch Titel an Titel gereiht wird, wobei auch noch
Eigennamen, Zahlzeichen und Partikeln in Fülle vorkommen,
16) In: Pauly-Wissowas RE 1 (1894) Sp. 2541.
- 108 -
ohne daß das Ganze einen in sich verständlichen eindeutigen
Sinnzusammenhang ergibt.
So leicht sich in einen solchen Text Fehler einschlei-
chen, so erheblich sind dann die Folgen: Ein verschriebener
Eigenname - und ein Titel leitet in die Irre; ein verschrie-
benes Zahlzeichen - und ein umfangreiches Werk erscheint als
kurzes Buch oder ein kurzes Buch als umfangreiches Werk;
eine Alternativpartikel weggelassen - und aus einem Titel
werden zwei, so wie aus zwei verschiedenen Titeln ein ein-
ziger wird, wenn dieselbe Partikel an die falsche Stelle
gesetzt wird.
So kommt es hier, wenn irgendwo, auf die genaue Kenntnis
der Uberlieferung an; anders ist die Interpretation eines
so empfindlichen Textes vergebliche Mühe.
Ein genauer Text des antisthenischen Schriftenkatalogs
fehlt bisher. Aus zweierlei Gründen: Einmal ist die Uber-
lieferung des Diogenes Laertius noch nicht endgültig ge-
klärt; zum anderen sind die vorliegenden Ausgaben nicht so
zuverlässig, wie sie nach dem Stande der gegenwärtigen Er-
kenntnis sein könnten.
A . Biedl, 'Das grosse Exzerpt® . Zur Überlieferungsge-
schichte des Laertios Diogenes', bemerkt: "Es gibt wohl nicht
viele griechische Werke, deren Uberlieferung so wenig klar
zu überblicken ist und bei denen darum die Herstellung einer
kritischen Ausgabe auf wissenschaftlich gesicherter Grund-
lage auf solche Schwierigkeiten stösst wie die Philosophen-1 7
biographien des Laertios Diogenes." ; und nachdem er die
vielfältigen textkritischen Erklärungsversuche eingehend
gemustert hat,resümiert er: "Die gesicherten Ergebnisse sind,
17) Studi e Testi 184, Vatikanstadt 1955, S . 7.
- 109 -
misst man sie an der aufgewandten Mühe, erstaunlich gering
g e b l i e b e n . ®
Um zunächst das Gesicherte zu referieren: Die gesamte
Oberlieferung, repräsentiert durch mehr als dreissig Hand-
schriften des 12. bis 16. Jahrhunderts, geht auf einen ge-
meinsamen Archetypus des 9. Jahrhunderts zurück, der seiner-
seits bereits erhebliche Lücken und Fehler aufzuweisen hatte;
von allen Handschriften sind der Burbonicus III B 29 (B),
der Parisinus gr. 1759 (P) und der Laurentianus g r . plut.
69.13 (F) die ältesten und zugleich auch die besten Textzeu-
gen, von denen der Kodex B den ursprünglichen Text in der
Regel am zuverlässigsten bewahrt, F durch eigenmächtiges
Eingreifen am meisten verändert, während P eine Mittelstellung
18) A.a.O., S . 40. - Einen ausführlichen Oberblick über die handschriftliche Überlieferung des Diogenes gibt E . Martini, Analecta Laertiana, Leipziger Studien 19, Leipzig 1899, S . 73-117; vergl. ders., Zur handschrift-lichen Uberlieferung des Laertios Diogenes, Rheinisches Museum 55 (1900) S . 612-624. Gegen Martinis These, daß die recentiores gegenüber BPF einen eigenständigen Über-lieferungsstrang repräsentieren, wenden sich vor allem A . Gercke, Die Überlieferung des Diogenes Laertius, Hermes 37 (1902) S . 401-434, sowie E . Schwartz, Diogenes Laertius, in: Pauly-Wissowas RE 5 (1903) Sp. 738-745. -über die äußerst verwickelte Forschungsgeschichte unter-richtet ausführlich Biedl, Die Bemühungen um eine kriti-sche Ausgabe und die Erforschung der Überlieferung des Laertios Diogenes seit 1850, a.a.O., S . 7-41. - Zur Überlieferung äußert sich neuerdings G . Donzelli, Per un edizione critica di Diogene Laerzio. I codici VUDGS, Bolletino di Comitato per la Preparazione dell' Edizi-one Nazionale dei Classic! Greci e Latin! 8 (1960) S . 93-132; ders., I codici PQWCoHIEYJb nella tradizione di Diogene Laerzio, Studi Italiani di Filologia Classi-ca 32 (1960) S . 156-199. Die neueste Diskussion der Uberlieferungsgeschichte findet sich in den zahlreichen Rezensionen zu der umstrittenen Ausgabe von H.S. Long, Diogenis Laertii Vitae Philosophorum, 2 Bde. , Oxford 1964. Hier sei lediglich verwiesen auf: 0 . Gigon, Deut-sche Literaturzeitung 86 (1965) S . 101-105; E . Mensching, Archiv für Geschichte der Philosophie 47 (1965) S . 313-318.
- 110 -
einnimmt. Alles andere ist umstritten. So bleibt unklar,
wie sich BPF untereinander verhalten: ob sie jeweils einen
unabhängigen Strang der Überlieferung bilden, ob BP einer-
seits und F andererseits zwei verschiedene Uberlieferungs-
zweige repräsentieren oder ob, da der Archetypus bereits
Varianten enthielt, Kontamination vorliegt. Unklar ist des-
gleichen, wie die Masse der jüngeren Handschriften und die
reiche Sekundärüberlieferung einzuordnen ist: Ob die Vulgat-
tradition als eigenständiger Uberlieferungszweig gegenüber
BPF gelten darf oder ob sie ihrerseits bereits von BPF ab-
hängig ist, so daß, wo sie einen besseren Text bietet, mit
konjekturalen Eingriffen der Byzantiner und Humanisten zu
rechnen ist.
Solange diese Fragen nicht geklärt sind, läßt sich
vorderhand lediglich ein vorläufiger Text herstellen.
Grundlage dieses Textes müssen die drei Haupthandschriften
BPF bilden, deren Lesarten grundsätzlich allesamt zu ver-
zeichnen sind; die Lesarten der jüngeren Handschriften
dürfen dagegen, soweit bekannt, nur hilfsweise und mit Vor-
sicht herangezogen werden.
Es liegen bisher drei kritische Ausgaben des antisthe-
nischen Katalogs vor, die die Handschriften BPF bei der
Textgestaltung zugrundegelegt haben:
a) J . Humblfe, 'Antisthenica1
, Antiquite Classique 3 (1934) S . 163-167
b) H.S. Long, 'Diogenis Laertii Vitae Philosophorum', Oxford 1964, S . 252-255
c) F . Decleva Caizzi, 'Antisthenis Fragmenta', Mailand 1966, S. 17-20
Ein genauer Blick auf die Handschriften, deren Fotoko-
pien im Anhang dieses Buches zu finden sind, lehrt, daß
diese Ausgaben keinen so zuverlässigen Text bieten, wie er
gerade hier erforderlich ist.
- 1 1 1 -
Einige Beispiele müssen genügen:
Diog. Laert. 6.16:
l lepi vo|iou fl n e p t naAoü ua i 6iv.aiou B P o m . F
- Humble läßt diesen Titel weg, ohne die handschriftliche Oberlieferung zu erwähnen.
Ebenda:
Zaöuv (-ri ( c o n i . K u e h n ) ) nept TOÜ ÖCVT i. ( 6 la P )k£ye i v B P F
- Kühns Konjektur erscheint bei Humble als Lesart von PF, bei Long als Lesart von B; bei Humble vermißt man die Variante von F .
Ebenda:
nepl TOÜ äno-aaveTv Iiepl OpTjc, v.a! Snvatou bis vario loco BPF - Long läßt beide Titel an erster Stelle fort, ohne anzu-merken, daß die Handschriften sie hier übereinstimmend überliefern.
Ebenda:
'Epu>-tr||ia nept (puaEooc, a', epwTr]|ia nspl tpuceuc ß' BP om. F - Long setzt die unverbürgte Kurzfassung nspi (puaeut; a'ß' in den Text, ohne die überlieferte längere Fassung zu erwähnen.
Ebenda 6.18:
riepi TOÜ 'O&uooewc »«i IITIVEÄOTITK; BP in margine F - Long und Caizzi behaupten, der Titel fehle in F; bei Humble fehlt der Hinweis, daß F den Titel am Rand nach-getragen hat.
Ebenda:
Ilept TOÜ hvvoc, BPF - Long und Caizzi behaupten, P überliefere xa i NEPL TOÜ HUVOC; ; Long setzt diese Lesart sogar in den Text und behauptet, der Titel fehle in F .
So schien es geboten, den antisthenischen Schriftenkata-
log hier neu herauszugeben, um für die Interpretation
dieses wichtigen Zeugnisses eine möglichst sichere Grundlage
zu schaffen.
Diogenes Laertius 6.15-18 (frg. 1 C.):
4>epo»Tcu &' auToü (sc. Antisthenis) auyypannaTa TO^OI dexa-
Codd. B P F
Testimonla:
Suda s.v. ' AVT icSevrc, 1 p . 243 Adler (p. 86 C.): OUTOC; OUV-EypaiyE TOIJOUC &£Ka. Ps.-Eudocia s.v. ' AVT IO SEVTH; p. 96 Flach: q>E'povTai 6' auToü
- 1 1 2 -
I npüxoc ev u
1 Itepi Xe^euc ri nepl x«P««tTipuv,
2 Alac r) AiavTOi; Xoyoc, 3 'O&UOOEUC ri [ttEpi] ' ObuoaEuc (AOYOS ) ,
4 'OpEaTOU änoXoYia, 5 IlEpl TSV 6iKOYpafuv, 6 ' looYpacpri(q) nai Aeaiac; ri 'laoMpaxric, 7 IIDOC TOV ' laoKpaTouc 'A|iapTupov
Testimonia I Suda s.v. ' AVT IOSEVTK 1 p. 24-3 Adler (p. 8 6 C . ) : OUTOC O U V -
EYpaye Tonout; bena- NPÜTOV Maytuov (nai TOV Mayinov coni. Duemm— ler ) * acpriYETTai 6e TtEpi ZcopoaoTpou Tivoq nayou EÜpovToc Triv aoqiiav TOUTO 6E TIVE<; 'APIOTOTEXEI ( f r g . 32 Rose ). OI be "Po&iw (coni. Bernhardy; po&uvi vel oo&uv codd.) ÄVOT iSEaoiv.
I 2 extat oratio sub titulo Atat; in codice Palatino 88 (X), quj Lysiae quoque orationes continet.
I 3 extat oratio sub titulo '0&UOOEU(; in cod. Palat. 88.
I npÜTOq BP a' F
I 3 titulus corruptus. nEpi '06ucoEia<; coni. Menagius; ünep '0&uaaeu<; Casaubonus; [nspt] 'Obuaoeui; (x6yo<;) idem Casau-bonus recte, ut oratio ipsa quae ab Ulixe habetur et qui praecedit titulus I 2 satis declarant.
I 5 & iHOYpacpuv BP 6 iKOirpaqi luv F I 4/5 'OPECTTOU anoXoyia (fl) HEpi TWV biMOYpatpwv coni. Kuehtl, proba-
verunt plerique edd. Winckelmann Mullach Wilamowitz a l i i . sed ad orationum iudicalium scriptores quid Orestis de-fensio?
I 6 looYpa<pr) TJ&Eaiat; fl .. IaoHpaTri«; B [ooYpaqifi fl beaiaQ T) 'iaoHp<XTT]<; PF I 5/7 locus pe rd i f f i c i l i s . et de titulorum distinctione et de
corruptelae laoypacpriTibEaiaa restitutione a l i i a l ia conie-Cerunt: Itepi TÜV biKOYpaqpuv ' laoypacpri r) Auoia«; nai ' IaonpaTTic • npoc TOV 'iaoMpaToui; 'A^apTupov WyttenljacK; T?V 6LH0"CP°'-tpuv AiHOYpacpia ai&EOEut ri ' IaonpaTTic npoi; TOV 'iaoHpaTOuc 'A^ap-Tupov Deycks J TI TtEpi TWV f>iKOYpa<puv ' AVT I Ypa'C'L T) Auoiai; R)
IoovtpaTTit npot; TOV ' IaoHpctTouQ 'A opTupov ünsp N I H I O U Winckel-mann; nEpl TKV & iHoypaqiwv ri Auoiac nai ' l'aoKpaTTi«; • Ilpo<; TOV IooHpaTouq A apTupov Bake; IlEpi TÜV 6 I H O Y P A Q > W V ri Auoiae; nai
' IooHpaTric ivTiYpacpfi rtpot; TOV 'ioonpaTouc 'A|iapTupov Usener, qui posteaquam de totius loci restitutione desperavit pro corruptela laoYpa<pr) looYpacpoi legendum esse ex is t i -mavit, quam emendationem in (iiaöoYpaipoi mutare voluit Schmidt; ri nEpl TWV & iHOYpacpuv 'iaoypaqiia ri Auoiat nai ' IAO-Hp otti Cf • flpo<; TOV 'iaoMpaToui; 'A apTupov Mullach; riepi TÜV 6IHO-Ypaspuv Auaiat; ti ' I O O N P A T T I ^ ri npot; TOV Ä M I P T U P O V Urbai^; Ilepi T5V & iHOYpa<piov Aeaiat; ri ' IooYpaqni«; • IIpö«; TOV ' IaonpaTOut 'A^iap-
Tupov Pohlenz; fl nEpl TÜV 6iHOYpa<puv AecCai; ri ' IooYpaq>Ti<; npoi; TOV ' IaonpaTouc 'AuapT upov Wilamowitz: Ü E P I TÜV 6iHOYpamiuv ( s i e )
- 113 -
I TOHOC 6euTEpo<; EV £
nspi Cciuv (pUCTEUt;,
Ilepl na I&OTIO I tac, fl nspi Y<*|IOU EpuTixot;,
Ilepi TWV aocpioTUV <puoioyvuiiovivtoc;, RIE p L 6 iMa Loauvri^ Mal <xv&pEia<; npoTpenT IMOC npiÖTOi; &EUTEpo<; xpiTOC, nEpi ÖEOYVIÖOI; 6'e'*
II TO|K>q TplTOi; ev <5
IlEpi (XYaSoij,
riep i äv&pE tat;,
ÜEp i vonou r) rcepi noXiTEiac,
IlEpi vojxou ri nEpl MaXoü nai öiMaiou,
IlEpi EÄ.Eu-9ep ia<; Hai bouA-eiat;,
'estimonia — —
;i 3 Athenaeus p . 6 5 6 F (frg. 1 6 C . ) : 'AVTIODEV-PT; &' EV T Ü « U O I O -YVUM-OHi«?' «ai Y&P Eneivat xa SeXtpaMia npoQ ßiav x°P
Ta
t°uol
'v
«
:i 4 Diogenes Laertius 6.1 (frg. 7 C.); (sc. Antisthenes) KOT ' äpxck JiEV T1KOUOE Topriou TOU pT|TOpO<;' OÖEV TO pTJTOplMOV 61-
&OC Iv TOIC 6iaA.6yoit imspspei Mai naXicnra iv xff 'AXriÖEia (cf. V I 1) Mai t o k npoTpEttrmoic. c f . Ps.-Eudocia p . 95 F l a c h . A t h e n a e u s p . 656 P (frg. 17 C.)s Mai EV TÜ> NPOTPENTIHU ( S C . scripsit Antisthenes)* 4VTI &EX<paKiwv xpetpeodai. P o l l u x O n o m . 1o.68 (frg. 18A C . ) : TO &e MaA.ou^Evov mipiUiov npot; TWV 'Aaiavwv ßoußuXiov ^ev ' AVT IO&EVIK; eipr]M£v iv TW IIpo-TpEtw 1 HÜ)
Q C f . i b i d . 6 . 9 8 (frg. 1 8 B C . ) .
[II 3 Herodicus a p . A t h e n , p . 22o D (frg.^ 4 3 C . ) : 6 &E noXiTinot aÜTOÜ ( s c . Antisthenis ) &iaXoyo<; anavTwv MaTa&po(ifiv rtEpiexei Twv 'AdT)vriaiv bTiuaYUYÜv.
I I &E UTEpOC B P ß F
EI 2 ri B P o m . P Ilepi n a i & o n o i i a t ; t) n E p i 'EpwTiMOt; dis-tinxerunt falso plerique e d d . a l i i .
[ I 2 / 3 E pWT l H O Q -ri n E p i B E p U T l M O i ; ' T tEpi P F
[I 3 ootpicrrwv B P aoquaTiMwv F NEPL TSV aocpiOTwv $UOIOYVUJIOvl-not; falso distinxerunt m u l t i .
I I 4 n p w T o q &£UTEpo< ; T p i T O t ; B P Y ' F 6 e
' B P e
F
locus varie t e m p t a t u s . verba n E p i b i M a i o c u v r i t ; nai ä v & p E i a < ;
o m . Ambrosius C i v e n i u s , d e l . Huebner Winckelmann alii; IlEpi 6 iMa IOCTUVT|(; M a i iv&peiat; n p o T p E n T IMOI; a ß Y ' riepi ÖEOYVI-6O<; E ' v e l Ilepi 6 IMA LOAUVRIT MAI avSpEia«;' IlpOTpEnT IMO<; a'ß'Y'* ÜEpi eeo-jvi&ot; v e l similiter plerique e d d . alii; npoTpEmri-Moq • n E p i & iMa loauvric; M a i (iv&peiat; n p w T o i ; Ö E u T E p o t ; T p i T o t ; , n e p i SeoyviSoi; TETapToi; nE|irtTo<; c o n i . C a i z z i . unum tan tum titulum extitisae librorum numeri quos exhibent c o d d . B P demons-t r a n t .
III xpi'-to«; B P y ' F
- 114 -
6 Ilepi TUOTSÜK; T1 " s p i i n n p o n o u fl n e p t TOÜ n e i ö e a ö a i ,
7 nepl VIHTK OIHOVOIIUOI;-
IV TOIIOI; TETapTOc, EV u
1 Küpoc,,
^ ' Hpa«X.Tic ö \±Eir<j>v r] nepi laxuot;-
V TO^OQ NEJLTCTO C EV <i
1 Küpot; ri nepi ßaoi\£ia<;,
Testimonia
IV 1 Diogenes Laertius 6.2 (frg. 19 C.)jKai OTI Ö NOVO; ÄYA-döv ouvEOT-riaE ( s c . Antisthenes )
T 0
" HEY^AOU 'Hpa-MXEOUC (ef. IV 2) Hat TOÜ Kupou. O f . P s . - E u d . p . 95 Flach. Herodicus a p . A t h e n , p . 22o C (frg. 29A C.): 'AVTIOSEVIK; 6' EV SOITEPU TWV Kupwv (cf. V 1 ) MaMoXoywv ' AXH tß IA6RI v MAL napavonov Eivai ÄEyEi auTOv Hat e L <; Tfuvat"Ha<; Mai elq Trjv aXXriv SiaiTav MTX. Phrynichus a p . P h o t . b i b l . p . 1o1 b 9 (frg. 1o G . ) :
eU i -
Mpivoüt; 6E MAI M a S a p o ü M a i 'ATTIMOÜ \6-you Mavovat; M a i aTaö(ici(;
M a i n a p a Ö E IY(J.a cprioiv ( s c . Phrynichus ) . . . M a i AVTI3-9EVT|V (IETA TWV YVTICTICJV a u T o ü 6uo Xoyuv TOÜ (TOÜ d e l , N a t o r p , for-tasse r e c t e ; vide p . 1o6s.) NEPI Kupou (cf. V 1 ) MAI TOÜ nepi 'o&uaaeiai; (cf. IX 1 ) .
IV 2 Diogenes Laertius 6 . 2 (cf. supra ad IV 1 ) . Diogenes Laertius 6 , 1 o 4 (frg. 22 C . ) : äpeanEi 5' aÜToic (sc. CyniciS ) «
a
i TEXOI; Eivai TO mot ' äpETriv Cffv, ü<; ' A V T I -
aÖEvrn; op-notv EV TW 'HpanXEi* (cf. X 1 , 2 ) , Diogenes L a e r t i u s 6 . 1 o 5 (frg. 23 C . ) : äpEUMEiö' auTofc (sc. C y n i c i s ) nai TTIV apETTjv &i&aMTr|V eivai, na-&a qirioiv 'Av-T i(7-9EVTit ev tu 'HpanXEi (cf. X 1 , 2 ) . , Ps.-Eratosthenes c a t a s t e r . c.^ 4o (frg. 24A C . ) : Mai au-TOC &e b 'HpaMXffc &OMEI npöc auTOv ( s c . C h i r o p e m _ ) EXSEfv 61' Epura, w Mai ouvEivai iv TW avTpw, Tinwv TOV üffva. iiovov 6e TWV KEvTaupuv OUM <XVE~XEV, ä \ X * ^MOUEV auTOÜ xa-SanEp AVTI -OÖEVTK (prioiv Ö SUMPATIMOQ EV TÜ 1 HPAM\£ i" (cf. X 1
td ) . C f ,
P s . - E u d . p . 732 s . F l a c h .
V 1 Herodicus a p . A t h e n , p . 22o C (cf. supra ad IV 1 ) . Phrynichus a p . P h o t . b i b l . p . 1o1 b 9 (cf. supra ad IV 1), Persaeus a p . D i o g . L a e r t . 2.61 (frg. 6 C.):
Mai TWV e m a
( s c . d i a l o g o r u m A e s c h i n e o r u m ) bi T o u q n X s i a T o u q nepaaföt;
(|SVF I 4 5 7 ) f1
!"1
naaitpwvTOc; e i v a i TOÜ ' E p ^ E T p i M o ü , ei; TOUC, AIOXIVOU 6E M O T a T a ^ a i * a X A a M a i TWV 'AVTIOSEVOUI; TOV TE n i M p o v
K ü p o v ( C f . I V 1 ) M a i TOV * H p a M \ E a TOV ixäaau ( c f , X 1 , 2 )
M a i A X M i ß i a & r i v ( c f , X 6 ) K a
i t o u ; TWV a X X w v & l E a H e u w p r i a ö a 1
( c o n i . S u s e m i h l ; &£ iaMsuwpriTai c o d d . plerique edd.; vide p . 1 o2 s s . ) .
III 6 nEpi nioTEw«; fl nEpi IniTponou JJ nEpi N IOT EU<; • nsp i eniTponouPF nEpi TOÜ nEiOEaSai B P TOÜ nEi$£a9ai F nepi niaTEuc fl nEpi feniTponou- IlEpi TOÜ nEt3£a-9ai Ambrosius
Hermann Winckelmann alii.
III 7 rieoi VI'mtk- oiMovomMoc distinxerunt nonnulli e d d . sub voce VIMTK mendum latere suspicatus est M u e l l e r , fortasse rec-
- 115 -
2 Aanaaia-
VI TOM-OC; EHTOI; EV (*
1 ' AXIISE la, 2 ÜEpi TOÜ 6TAXEFEOÖAi avx i Xoy i HOC ,
3 Eaöuv (R|) nEpl TOÜ ÖVTIXEYEIV a'ß'y'i
4 nepi 5 laXEHTou'
VII TO|JO<; Iß&o^oc EV <5
1 ITEpl nai&£ia<; ri nepi &vo\ic.twv a'ß'Y'&'e'
[2] [ üEp l TOÜ Ä n o S a v e T v ]
[3] [ÜEpi t ufft nai SavaTou]
4 ÜEpl OVOJIATUV XP*laeb>
£ [FI ] ^PLOTLHOC,
5 IlEpi EptüTrioEuc na i anoHp ioEuc ,
6 I lepi öo rii; Hai EHIOTTIHTH; a ' ß ' y ' ö ' ,
7 n e p i TOÜ a n o f i a v E f v ,
Testimonia
V 2 Athenaeus p. 22o D (frg. 34 C.): rt 'Aonacia TSV riepi-HXEOUI; uitöv HavSircnou NAI üapaAou biaßoXiiv (sc, contitiet),
VI 1 Diogenes Laertius 6.1 (cf. supra ad II 4).
VI 3 Herodicus ap. Athen, p. 22o DK (frg. 37A C.): Mal nxa-
Tuva 6e NETOVONACAI; EaSwva äaupu«; M a l cpopTiKwi; TOV TOUTTIV exov-Ta TTIV Eniypa<p^v 6iaXoYov EE,E6CJHE (sc. Antisthenes) naT' au-Toü.Cf. i b i d . p. 5o7 A (frg. 37B C . ) . Diogenes Laertius 3.35 (frg. 36 C.): XeyeTai 6' ÖTI nai ' AVT loSevrit p.EXXuv avay I VCOOME I v TI TWV YEypannevuv AUTW n a p e -
HaXeaev auTOv (sc. Platonem ) napaTuxefv. Mal nuSoiiEvu, i! HEXXEt ava-f LVUOME IV , E ITIEV , OTI n E p l TOÜ |ITI Eivai A V T I X E R E I V TOÜ 6' E t n o v T O f nw<; ouv au n E p l a u T o ü TOUTOU ypacpEic;; M a l 6i-6 aaHovToi;, OTI n e p ITPENETA I ,e y p a y E 6taXoyov MATA IlXaTuvo; £a-Juva iniypäyac, • e£ ou SIETEXOUV AXXOTPIMC IxovTEt; npot; aXXr)Xou<;.
VI IMT O<; B <;' PF
VI 1/2 'AXiiÖEia (ri) nEpl TOÜ 6 iaXeY£cr-S>a I 4VT iXoyIHOC coni. Hirzel, fortasse recte.
VI 2 riEpl TOÜ 6tax£-YECT-9ai• 'AVTiXoyIMOI; distinxerunt nonnulli edd.
V I 3 avTiXe-yeiv B P biaXE-yeiv F a'ß'y' g p y' p Eaöuv <RI> nEpl TOÜ avTiXerEiv a ' ß V coni. Kuehn, cui adsen-tiet quicumque quae Diog. Laert. 3 . 3 5 narrat inspiciat.
VII Iß&onoe BP X,' F
VII 1 a ' ß V b ' e ' BP E' F
VII [2] idem titulus et infra VII 7 legitur quo loco melius se habere inspecto titulo VII 9 negari non potest.
V I I ft 1 « i r TT Q 1 ~ 4 1 T J i_.i_.j_
- 116 -
8 ITept Surfc Kai Savaxou,
9 ÜEpi TCJV ev a&oo,
10 Ilecl cpuaEuc a'ß',
11 'Spütrina NEPI -pvoewc, a', EPÜXTUIA NEPL tzvaEUQ ß',
'Iii äolat r| £Ol'7tmö(,
1 j ÜEpi TOÜ nav-&ävEiv npoßXTijiaxa'
VIII xo^o<; OY&OO<; £V <T>
1 ÜEpi IIOUOIKTK,
2 ÜEpi Et,riYr|T£3v,
3 IJE pl 'Oßfipou,
4 ÜEpi a&iHiae; Hai AaeßEiac;,
5 ÜEpi KaXxavxoi;, 6 Ilepi Kaxaanonou,
7 ITEpl r)öovff<;'
IX TOHOI; !vaxo<; iv <5
1 Ilepi 'Obuaaeiac, 2 nepi ttk paß&ou,
3 ' ASrivo rj rteo i Tr|XEnaxoU|
Testimonia
VI -lo Philodemus De piet. 7 (frg. ^9A#C.): n]ap' 'AvxiaSEVEi
5' EV (x)5 $UCTIKS XEYETAI xo Haxa vo^IOV eivai noXAouc öeoui;, naxa ÖE q>uaiv £v(a), Cicero De nat. deor. 1.13.32 (frg. 39B C.): atque iam Antisthenes in eo libro qui Physicus insoribitur p pulares deos multos naturalem deum unum esse dicens tollit vim et naturam deorum. Lactantius De ira üei 11.14 (frg. 39E C.)s Antisthe-nes autem in Physico unum esse naturalem deum dixit, quamvis gentes et urbes suos habeant populäres deos.
VI 11 Philodemus De piet. 7 (cf. supra ad VI 1o). Cicero De nat. deor. 1.13.32 (cf. supra ad IV 1o). Lactantius De ira Dei 11.14 (cf, supra ad IV 1o).
IX 1 Phrynichus ap. Phot. bibl. p. 1o1 b 9 (cf. supra ad IV 1).
VI 1o a'ß' BP om. P
VI 11 BP om. F epux-rma nEpl cpuaEu<; a'ß'vel EpuxTina nEpl cpu-OEUC ß' plerique edd.
VI 1 ti BP om. F vocem fi del. Susemihl,fortasse recte.
VIII 6r&oo<; B TI' PF
vIII 5 / 6 nspl KaXxavxo; <fi> nepi xepaxoaKonou coni. Winckelmann.
VIII 6 / 7 nepi Kaxaanonou (ri) nepi 'EXevrK Coni. Osann.
VIII 7 nepi 'EXEVTK coni. Mueller.
- 117 -
JJ. nepi 'EXEVTII; Hai NRIVEX-ONTIC ,
^ ü£pi IlpuTEuc,
g KUHXUV ri TIEp i 'O&UÖOEUI;,
If ÜEpi olvou XP1
1aeoJ<
; fi nEpi fi nEpl TOÜ KunXunoc , g riEpl KipHTi<;,
g ÜEpi 'Ajicplapaou,
ÜEP i [TOÜ] ' O&UOOEUC HAT ILTIVEXORTTK ,
11 ÜEP L TOÜ M U V O C
X TO|IO<; &E x a T o c , iv U
1 'HpanXrfi; nai Mi&at;,
2 'HpaHXfiic fi nEpi <ppovfia£u<; Hai laxüoc,
3 Kupioq fi EpujiEvo«;,
4 Kupioi; fi HaTaaHonoi,
5 MEVEE,EVO<; TI ITEPI TOÜ apxeiv,
6 ' AXniß ta&TI<;, 7 'ApxE\aot; fi nEpi ßaaiXEiai;-
nai xaÜTa IJEV EOTIV a AUVEYPAYEV.
Testimonia
IX 7 Aelius Aristides or. 49,i>o ss. Keil (frg. 41 C . ): ßißxi'ov TI TUV onou&aiuv e6oE,a (30, Aristides ) äva-y LYVUOHE iv , ou Ta HEV naS' EKaaTOV ... OUH av exoini EinEiv ... aXXa npoq TU TEXEI TOÜ ßißAiou TOKX&E iiaXiaTa Evnv. - riv 6E ü<; ENI TIVO<; TUV äyuvioTÜv XEyo^Eva - . . . E V T a ü ö a EXTIYEV ... nai TO ßißXiov aÜTÖ TOÜTO E&OHEL EIVAI ' A VT L CJÖE VOUC nEpi XPTlOEWe;, £<p£p E V &£ EIC, olvov nai iiiovuaiu npoaffv Tiva auußoXa.
X 1/2 Persaeus ap, Diog, Laert. 2.61 (of. supra ad IV ü). Diogenes Laertius 6.'lo4, 105 Cef. supra ad I» 2j. Ps.-Eratosthenea catasfcer. c. 4o (of. supra ad IV ü).
X 6 Persaeus ap. Diog. Laert. 2.61 (fr. supra ad V 1).
X 7 Herodicus ap. Athen, p. 22oD (frg. 42 C.)s b &' ' A P X E -Xaoc ropyi'ou TOÜ pfitopo«; (
B c < obtrectationem continet).
IX 7 Verba fi nepi TOÜ KunAunot; IX 1
0 BP in margine P vocem TOÜ del. Duemmler
X bEHOTOC B l' PF
X 1 'HpanX-pi; B 'HpaHXffi; ri Mi&a<; PF "HpanXTK Hai Mi&a<; coni. Welcker recte, si eiusmodi titulos inspicias.
^ 2 'HpanXfit; TI nEpi <ppovnoEu<; fi iaxuo«; BP om.Pnai ioxuoc Caizzi. x
3 Hup io<; BP HÜpo«; P Kupvo; coni. Winckelmann.
X 4 HUPIOC BP HÜpo<; P Hup ioi nonnulli edd.
X 3/4 fortasse pro voce nupioc quae explicari vix potest Kupaäc legendum est.(vide D. SS.1
- 1 1 8 -
b . Abfassungszeit und Herkunft
Man wüßte gerne, wer das antisthenische Schriftenverzeichnis er-
stellt hat, weil sich hieraus wichtige Schlüsse auf Absicht und
Qualität dieses Zeugnisses ziehen ließen, das für unsere Kenntnis
der antisthenischen Literatur von so großer Wichtigkeit ist. Aber
Diogenes Laertius nennt keinen Gewährsmann, und es verschlägt we-
nig, auf diesen oder jenen Namen zu raten. Stattdessen können
einige allgemeine Überlegungen weiterführen.
Bücherverzeichnisse setzen Buchausgaben, Buchhandel und Bücher-
sammlungen voraus, und so ist die Geschichte der antiken Bücher-
kataloge aufs engste mit der Geschichte des antiken Buch- und
Bibliothekswesens verknüpft, über das F . Milkau, 'Handbuch der 1 9
Bibliothekswissenschaft' , zuverlässig informiert. Büchersamm-
19) 2. Aufl., hrsg. von G . Leyh, 1. Bd. (Buch und Schriftwesen), Wiesbaden 1952; 2. Bd. (Bibliotheksverwaltung), ebenda 1953; 3. Bd. (Bibliotheken), ebenda 1955-1957. - Von der überaus umfangreichen Literatur seien hier nur einige der wichtigsten Werke genannt. - Zu Buch- und Schriftwesen: T . Birt, Das an-tike Buchwesen in seinem Verhältnis zur Litteratur, Berlin 1882; ders., Die Buchrolle in der Kunst, Leipzig 1907; ders., Kritik und Hermeneutik nebst Abriß der Klassischen Altertums-wissenschaft, 1. Bd., 3. Abt.,3. Aufl., München 1913; K . Dziatz-ko. Buch, in: Pauly-Wissowas RE 3 (1897) Sp. 939-971; ders., Untersuchungen über ausgewählte Kapitel des antiken Buchwesens, Leipzig 1900; W . Schubart, Das Buch bei den Griechen und Rö-mern, 2. Aufl., Leipzig-Berlin 1921; C . Wendel, Die griechisch-römische Buchbeschreibung verglichen mit der des Vorderen Ori-ents, Halle 1949; F.G. Kenyon, Books and readers in Ancient Greece and Rome, 2. Aufl., Oxford 1951; E.G. Turner, Athe-nian books in the fifth and fourth centuries B.C., London 1952; H.L. Pinner, The world of books in Classical Antiguity, 2. Aufl., Leiden 1958; H . Hunger, Antikes und mittelalterli-ches Buch- und Schriftwesen, in: Geschichte der Textüberliefe-rung der antiken und mittelalterlichen Literatur, hrsg. von H . Hunger u.a., 1. Bd., Zürich 1961, S . 25-147. - Zum antiken Bibliothekswesen: F . Ritsehl, Die alexandrinischen Bibliotheken unter den ersten Ptolemäern und die Sammlung der Homerischen Gedichte durch Plsistratus, Breslau 1838, wiederabgedruckt in: F . Ritsehl, Kleine Schriften, 1. Bd., Leipzig 1866, S. 1-47; K . Dziatzko, Bibliotheken, in: Pauly-Wissowas RE 3 (1897) Sp. 405-434; A . Herschel, Geschichte der Bibliotheken, Göt-tingen 1925; E . Re, La biblioteca Alessandrina, Rom 1945; E.A. Parsons, The Alexandrian library, Amsterdam-London-New York 1952; J . Platthy, Sources on the earliest Greek libraries, 2. Aufl., London 1962. - Zu Buchhandel und Verlagswesen: E .
- 1 1 9 -
lungen und Buchhandel begegnen in Griechenland, allerdings
in bescheidenem Rahmen, zuerst in den letzten Jahrzehnten
des fünften Jahrhunderts, nachdem die Sophistik, besonders
in Athen, in breiteren Schichten Interesse für literarische
Bildung geweckt hatte. Mit der Ausbreitung der Wissenschaft
und Literatur entstehen im vierten Jahrhundert neben den
eher bescheidenen Privatsammlungen die ersten halböffent-
lichen Bibliotheken, besonders in den Philosophenschulen
der Akademie und des Peripatos, wo bereits Büchersammlungen
beträchtlichen Umfangs zusammengetragen werden. Zur Zeit
der Diadochen beginnt dann, vermittelt durch den Peripatos,
die bibliothekarische Erfassung und kritische Edition der
überlieferten Literatur nach wissenschaftlicher Methode,
zuerst und am eindrucksvollsten in Alexandria unter den
ersten Ptolemäern, wo hunderttausende von Buchrollen von
qualifiziertem Fachpersonal angekauft, magaziniert, gesich-
tet, qeordnet, abgeschrieben und ediert werden. Die Maßstä-
b e , die in Alexandria gesetzt wurden, werden hernach auch
für die anderen hellenistischen Großbibliotheken in Perga-
mon, Antiochia, Pella, Athen, Prusa und später auch für Rom
vorbildlich, desgleichen für jede anspruchsvollere Stadt-
und Privatbibliothek, allerdings ohne daß die bibliotheka-
rische Hochleistung Alexandrias jemals irgendwo erreicht
worden wäre.
Bibliotheken, zumal öffentliche Großbibliotheken wie
jene in Alexandria, sind nur dann funktionsfähig, wenn sie
Kataloge besitzen, die zuverlässig und bequem über die vor-
handenen Bücherbestände unterrichteten. 0 . Regenbogen,
' niNAE , 2
°, hat darauf aufmerksam gemacht, daß der antike
20) In: Pauly-Wissowas RE A2 20 (195) Sp. 1410-1482, wo Hinweise auf die spärliche weitere Literatur zu finden sind.
- 120 -
terminus technicus ival erkennen läßt, daß die antiken
Bibliotheksverzeichnisse in Tafelform gehalten gewesen
sind. Diese Tafeln dürften in der Regel aus Holz oder Stein
bestanden haben und waren in den Bibliotheksräumen wohl
an gut sichtbarer Stelle plaziert, so daß der Benutzer sich
auf einen Blick informieren konnte, wo er was zu suchen
hatte. Es liegt auf der Hand, daß solche Gebrauchsschilder
nur sehr schwer überdauern, und so haben sich auch nur ge-
ringe Reste originaler Bibliothekskataloge erhalten, aus-
nahmslos Verzeichnisse kleinerer Stadt- und Privatbiblio-
theken .
Glücklicherweise wird die bibliothekarische m'vaE, in
hellenistischer Zeit zu einer Literaturform, die, mannig-
fach gebrochen und vielfach verstreut, in der Uberlieferung
zahlreiche Spuren hinterlassen hat. Kallimachos, der an der
großen Bibliothek in Alexandria als Bibliothekar tätig war,
hat in seinem hundertzwanzig Bücher umfassenden Riesenwerk
llivaE, nravtuv Ev itäcrj natteict 6 iaAa|_ut avxuv f ausgehend von
den Beständen der Bibliothek, die ihm größtenteils bereits
gesichtet und katalogisiert vorgelegen haben werden, die ge
samte Literatur,deren man damals habhaft geworden war, kata
logartig zusammengefaßt und so ein enzyklopädisches Nach-
schlagewerk geschaffen, das zuverlässig über jedes Buch
unterrichtete, das man bibliothekarisch erfaßt hatte. Im
einzelnen war das Werk, wie F . Schmidt, 'Die Pinakes des 21
Kallimachos' , nachgewiesen hat, zunächst formal in Poesie
21) Klassisch-Philologische Studien 1, Berlin 1922, wo auch die Fragmente und die ältere Literatur verzeich-net sind. Vgl. neuerdings H . Herter, Kallimachos, in: Pauly-Wissowas RE A2 5 (1931) Sp. 386-452; Regenbogen, a.a.O., Sp. 1418-1428; Parsons, a.a.O., S. 204-218; F.J. Witty, The Pinakes of Callimachus, Library Quarterly 28 (1958) S. 132-136.
- 121 -
und Prosa unterteilt; es folgten inhaltliche Untergruppen,
von denen ' Prixop ista , No^oi und navTobana auYyoajinaTa
bezeugt sind, während sich Epiker, Iambiker, Meliker, Tra-
giker und Komiker, Philosophen und Ärzte mit Wahrschein-
lichkeit erschließen lassen; innerhalb dieser Untergruppen
waren die einzelnen Autoren alphabetisch geordnet; am An-
fang stand eine kurze Biographie des jeweiligen Autors,
dann wurden die einzelnen Buchtitel aufgeführt, gefolgt
von Anfangszeile und Stichenzahl, wobei sich bei den Tragi-
kern alphabetische, bei den Rednern inhaltliche Anordnungs-
prinzipien wahrscheinlich machen lassen, während sich für
die Philosophen kein bestimmtes Anordnungsschema nachweisen
läßt.
Das pinakographische Werk des Kallimachos, das Aristo-
phanes von Byzanz verbesserte und ergänzte, machte Epoche.
Auch in Pergamon (und wahrscheinlich auch anderwärts) ver-
faßte man nun nach diesem Vorbild literarische Schriften-
verzeichnisse. Mehr noch: Die kallimacheischen Pinakes
werden nachgerade zur Keimzelle der hellenistischen Bio-
graphie. Schmidt: "Auf der grundlage der pinakes erwächst
in Alexandria noch zu lebzeiten des Kallimachos die biogra-22
phische literatur und die Chronographie." Ebendies ist
der Grund, weshalb die antike Lebensbeschreibung, deren
geschichtliche Entwicklung F . Leo, 'Die griechisch-römische 23
Biographie' , grundlegend untersucht hat, sofern sie anti-
22) A.a.O., S. 99. V g l . Regenbogen, a.a.O., Sp. 1423 ff.
23) Leipzig 1901. - Zur Geschichte der antiken Biographie vgl neuerdings W . Steidle, Sueton und die antike Biographie, Zetemata 1, München 1951; A . Dihle, Studien zur griechi-schen Biographie, Abhandlungen der Akademie der Wissen-schaften in Göttingen, Phil.-hist. Klasse,37. Bd., Göt-tingen 1956. - über Persönlichkeit und Werk der einzelnen hellenistischen Biographen unterrichten, außer den ein-schlägigen Artikeln bei Pauly-Wissowa, vorzüglich F . Suse m i h i , Geschichte der Litteratur in der Alexandrinerzeit, 1. Bd., Leipzig 1891, 2. Bd., ebenda 1892; J . E . Sandys, A History of Classical Scholarship, 1. Bd., 3. Aufl., Cam bridoe 1928: R . Pfeiffer. Historv of Classical Scholar-
- 122 -
quarisch-gelehrt verfährt, das pinakographische Element
als einen wichtigen Bestandteil stets beibehalten hat: So
die frühen alexandrinischen Biographen wie Satyros, Her-
mipp und Sotion, deren Werke für die Folgezeit vorbildlich
werden; so die zahlreichen späteren Literaten, die in der
Hauptsache exzerpieren und komplettieren; so schließlich,
auf dem Teilgebiet der Philosophie, Diogenes Laertius,
dessen zahlreiche Schriftenverzeichnisse sich, wie Regen-24
bogen bemerkt, "letztlich mit Zuversicht" auf die pina-
kographische Tätigkeit der hellenistischen Biographie zu-
rückführen lassen.
Es darf nach diesen allgemeinen Überlegungen als wahr-
scheinlich gelten, daß der Katalog der antisthenischen
Schriften, den Diogenes Laertius 6.15-18 überliefert, letz-
ten Endes auf die Gelehrsamkeit der hellenistischen Gram-
matik zurückgeht. Diese Annahme gewinnt noch an Gewißheit,
wenn man ins Auge faßt, wie eingehend sich die hellenisti-
sche Biographie mit Antisthenes auseinandergesetzt hat.
Von den bedeutenden alexandrinischen Biographen, die das
Werk des Kallimachos fortführten, hat sich, soweit wir
wissen, als erster Satyros über Antisthenes geäußert. Er
zitiert aus einer unbekannten antisthenischen Schrift
(frg. 30 C.) einen Satz,der Schönheit und Stärke des Al-
kibiades rühmt. Abgesehen von diesem wörtlichen Zitat,
das aus einer längeren Passage über das Leben des Alkibi-
ades herrührt, hat sich Satyros in seinen Btoi (FHG III
159-166) unzweifelhaft auch unmittelbar mit Antisthenes
beschäftigt. Es ist möglich, ja sogar wahrscheinlich, daß
der kurze biographische Abriß über Antisthenes, den Hie-
ronymus (frg. 128A C.) überliefert, aus Satyros geschöpft
ist, der wenig später, immer noch in demselben Zusammenhang,
24) A.a.O., Sp. 1426.
- 123 -
ausdrücklich als Quelle genannt wird. Satyros hätte
demnach - und dies ist hier von besonderer Bedeutung -
Angaben über Anzahl und Form der antisthenischen Schriften
gemacht; er hätte außerdem Uber des Antisthenes Bekehrung
von der Rhetorik zur Philosophie gesprochen, woraus folgt,
daß er auch die Zweiteilung der antisthenischen Vita in
eine rhetorisch-gorgianische und eine philosophisch-
sokratische Epoche, die in der späteren Überlieferung
(frg. 125-128 C.) festsitzt, aufgebracht haben dürfte.
Nächst Satyros hat sich Hermipp in seinen Biot (FHG III
35-54) mit Antisthenes auseinandergesetzt. Hermipp
(frg. 127 C.) berichtet, Antisthenes habe an den Isthmien
eine panegyrische Lob- und Tadelrede auf Athener, The-
baner und Spartaner halten wollen, sei jedoch davon ab-
gekommen, als er sah, daß die Mehrzahl der Zuhörer aus
ebendiesen Städten gekommen seien. Diese Geschichte, die
die rhetorisch-philosophische Zweiteilung der Vita bereits
voraussetzt, erweckt ganz den Eindruck, als sei sie er-
funden worden, um die kargen Nachrichten über die rheto-
rische Lebensepoche des Antisthenes aufzufüllen. Hermipp
scheint demnach so verfahren zu sein, daß er die Angaben
über Antisthenes, die er bei Satyros fand, übernahm und
ausschmückend erweiterte. Sotion schließlich, der in seinen
«iXoaotpuv öiaSoxat (DoxGr 147-153) die antike Philosophie-
geschichte in ein lückenloses Deszendenzsystem brachte,
dürfte als erster die Behauptung aufgebracht haben, die
sich später in der Überlieferung (frg. 134-136 C.) durch-
gesetzt hat, obwohl ihr Hippobotos (b. Diog. Laert. 1.19)
widersprach: Antisthenes sei das Oberhaupt der kynischen
Schule gewesen und müsse so, über Diogenes und Krates,
als Stammvater auch der Stoiker angesehen werden. Sotion
dürfte demnach auch als erster Antisthenes als kynischen
Bettelphilosophen mit langem Bart, grobem Mantel, Stock
- 124 -
und Ranzen dargestellt haben, worin ihm Neanthes (frg.
136A C.) und später Diokles (frcr. 136A C.) beistimmten,
während Hermipp (FHG III 42), dem wiederum Sosikrates
(frg. 136A C.) folgte, den Pythagoreer Diodoros von As-
pendos als Erfinder der kynischen Tracht und Lebensweise
namhaft qemacht hatte.
Außer der alexandrinischen scheint sich im übrigen
auch die pergamenische Grammatik mit Antisthenes befaßt
zu haben. Panaitios, der seine philologisch-grammatische
Ausbildung bei Krates von Mallos erhielt, hat sich, wahr-
scheinlich in seiner Schrift JlepI aipeaeuv (frg. 49 van
Straaten) , bzw. Uepl ZuKpaTout; (frg. 50 van Straaten)
über die Echtheit der sokratischen Dialoge des Antisthenes
(frg. 5 C.) geäußert. Vor allem aber verrät der Krateteer
Herodikos von Babylon in seiner ebenso gelehrten wie ge-
hässigen Streitschrift npoq TOV SIXOOUHPCITTIV genaue Kennt-
nisse über Form und Inhalt der antisthenischen Schriften 1 AanaaCa (frg. 34 C.), 'ApxeXooc; (frg. 42 C.), Küpoi;
(frg. 29A C.), rioXiTiMÖt; (frg. 42 C.) und Zaöuv (frg. 37 C .
Es kann nach alledem kaum einen Zweifel geben, daß
die alexandrinisch-pergamenischen Grammatiker, deren Er-
gebnisse über Zwischenstufen, die hier außer Acht bleiben
dürfen, in die Antisthenesvita des Diogenes Laertius Ein-
gang gefunden haben, in ihren Bioi auch pinakographische
Listen und Verzeichnisse der antisthenischen Schriften auf-
geführt haben, und dies umso eher,als der literarische
Nachlaß des Antisthenes wegen seines enormen Umfangs ganz
besonders nach einer katalogisierenden Bestandsaufnahme
verlangte.
Wie verhält sich der Katalog des Diogenes Laertius
(frg. 1 C.) zu den pinakographischen Schriftenlisten, wie
sie sich für die hellenistische Grammatik erschließen
- 125 -
ließen? Um diese Frage zu beantworten, ist noch einmal eine
allgemeine Überlegung erforderlich. Es liegt auf der Hand,
daß sich die pinakographischen Listen, wie sie Kallimachos
und seine Nachfolger boten, nicht ungebrochen erhalten
haben, nachdem sie einmal Bestandteil der hellenistischen
Biographie geworden waren. Hierin liegt der Grund für die
große formale Mannigfaltigkeit der philosophischen Schrif-
tenkataloge, die Diogenes Laertius überliefert. Echte Pina-
kographie im Sinne des Kallimachos liegt, wie die beige-
fügten Stichenzahlen beweisen, am ehesten in den locker
alphabetisch-inhaltlich geordneten Verzeichnissen vor, wie
sie für Speusipp (4.4-5) und Xenokrates (4.11-15) oder
für Aristoteles (5.22-27), Theophrast (4.42-50) und Stra-
ton (5.58-60) bezeugt sind. Dasselbe dürfte auch für die
ähnlich angeordneten Verzeichnisse gelten, die für Deme-
trios Phalereus (5.80-81), für Epikur (10.27-29) oder für
Zenon (7.4), Ariston (7.163), Kleanthes (7.174-175) und
Sphairos (7.178) überliefert sind, auch wenn hier Stichen-
angaben fehlen. Häufig sind jedoch größere Brechungen in
der Überlieferung festzustellen. So sind die Schriftenka-
taloge der Sokratiker Xenophon (2.56-57), Aischines (2.60),
Phaidon (2.105) und Aristipp (2.85) unter echtheitskriti-
schen Gesichtspunkten überarbeitet worden, wobei sich im
Falle Aristipps auch eine unüberarbeitete Katalogfassung
(2.84) erhalten hat. Noch stärkere Eingriffe muß man vor-
aussetzen bei den streng thematisch-systematisch angeord-
neten Verzeichnissen, wie sie für Platon (3.57-61), für
Herakleides Pontikos (5.86-88) und für Chrysipp (7.189-202)
vorliegen, wobei im Falle Chrysipps die inhaltliche An-
ordnung durch ouvTa^eic , im Falle Demokrits und Piatons
durch TeTpaX.oyiai noch einmal gliedernd unterteilt wird.
Hierbei handelt es sich nicht um pinakographische Listen
oder noch auch nur um die Überarbeitung pinakographischer
- 126 -
Listen, sondern vielmehr um die Kataloge gelehrter kri-
tischer Ausgaben, die vorwiegend nach philosophisch-
systematischen Gesichtspunkten erstellt wurden. Wo solche
editorischen Kataloge in die Biographie Eingang fanden,
haben sie, wie nicht anders zu erwarten, die pinakographi-
schen Verzeichnisse verdrängt. Allein, da eine kritische
Ausgabe in der Regel nicht erstellt wurde, ja wohl nicht
einmal erstellt werden konnte, ohne daß man die einschlä-
gigen gelehrten Vorarbeiten der hellenistischen Bibliothe-
kare und Grammatiker heranzoq, so hat sich auch hier, wenig
stens mittelbar, Uberall ein Stück pinakographischer Ge-
lehrsamkeit erhalten.
Blickt man an dieser Stelle noch einmal zurück auf
den Katalog der antisthenischen Schriften (frg. 1 C.), so
kann kein Zweifel bestehen, daß es sich hier nicht um eine
pinakographische Liste, sondern um das Verzeichnis einer
gelehrten Ausgabe handelt. Hierfür spricht nicht nur die
streng systematisch-inhaltliche Anordnung der Schriften,
sondern vor allem die Einteilung der inhaltlich angeord-
neten Schriften in zehn TOJIOI , die, wie sie bei einer
Ausgabe nötig, so bei einer bloßen Schriftenliste über-
flüssig ist. Wie denn Porphyrius Vit. Plot. 138 bezeugt,
daß der Grammatiker Apollodor von Athen eine Ausgabe der Ko
mödien Epicharms in zehn TO ^OI veranstaltet habe. Sehr
richtig bemerkt demnach Regenbogen über den Katalog der
antisthenischen Schriften: "Dies ist nicht sowohl ein bi-
bliothekarisches Verzeichnis als die Inhaltsangabe einer
maßgebend gewordenen gelehrten oder buchhändlerischen Aus-25
gäbe." Was die letztgenannte Alternative betrifft, so
darf man wohl ausschließen, daß der Herausgeber ein Buch-
25) A.a.O., Sp. 1426.
- 1 2 7 -
händler oder Verleger gewesen ist, der mit den Schriften
des Antisthenes ein Geschäft zu machen hoffte, auch wenn
bezeugt wird, daß diese zur Zeit Ciceros (frg. 13 C.) und
noch zur Zeit der Antonine (Lukian, adv. indoct. 23
[p.89 C.]) im Buchhandel zu haben gewesen sind. Eher wird
man an einen Gelehrten denken, womöglich an einen stoischen
Philosophen oder Grammatiker wahrscheinlich des zweiten
oder ersten vorchristlichen Jahrhunderts, dem das Riesen-
werk des Antisthenes interessant genug war, daß er, fußend
auf der Gelehrsamkeit der hellenistischen Grammatik, die
Mühe einer kritischen Ausgabe auf sich nahm. Der Name die-
ses Mannes, dem die Antisthenesphilologie so viel verdankt,
läßt sich nicht einmal erraten, und so muß es bei diesen
allgemeinen Bemerkungen sein Bewenden haben.
c . Gliederung
Der diogenianische Katalog (frg. 1 C.) ordnet die Schrif-
ten des Antisthenes im Großen auf zweierlei Weise an:
einmal inhaltlich, indem Schriften gleicher oder verwandter
Thematik zusammengestellt werden; zum anderen formal, in-
dem die Schriften auf zehn TOHOI verteilt werden, wobei
Schriften verwandter Thematik auf mehrere xotioi entfallen
können, während Schriften unterschiedlicher Thematik in-
nerhalb ein und desselben TO|IO<; nicht begegnen.
Ober die inhaltliche Gliederung des Katalogs, die um-
fassender ist als die formale, urteilt Susemihl: "Das
Verzeichnis der Schriften bei La. Diog. VI 15 ff. zeigt
bekanntlich eine sachliche O r d n u n g , im ersten bände stan-
den die reden und rhetorischen Schriften, den anfang des
zweiten füllten die wenigen physischen aus, dann folgten
- 128 -
bis zum ende des fünften die ethischen und politischen,
im sechsten und im ersten teil des siebten die dialekti-
schen bis I'Epl BOTNC Mal ^RUCTI'IIRIC • hierauf tritt eine
V e r w i r r u n g ein, indem auf fünf titel heterogener art
Ilepi T O O änoSaveTv, Ilepi £U>FK Mal S A V A T O U , üepl TUV ev
"Aibou, Ilepi (puaeox; a'ß', 'EpuTnua nepi tpuaewc; a'ß'
wiederum zwei dialektische Ao^ai. [RJ ] epiatiMÖc; und liepl
TOÜ pavSavetv itpoßxfijiata folgen, mir scheint, es kann
keinen zweifei leiden, dasz hier die ursprüngliche Ordnung
gestört ist, und dasz in Wahrheit diese zwei vor jenen fünf
standen, gleichviel ob Diogenes diesen fehler schon vor-
fand oder erst seine abschreiber ihn verschuldet haben,
aber, wird man einwenden, waren denn nicht jene fünf oder,
wenn man mit KF Hermann und Winckelmann die beiden letzten
von ihnen in eine schrift zusammenziehen will, jene vier
S c h r i f t e n physische und hätten also vielmehr schon im zwei-
ten bände ihren richtigen platz gehabt? gewisz waren es
physische, aber doch vielleicht in einem sinne, welcher
den Urheber dieser anordnung nicht abzuhalten brauchte sie
von den eigentlichen physischen zu trennen und aus ihnen
eine besondere gruppe zu bilden, der dritte jener titel
bezieht sich auf das jenseitige leben, von dem ersten und
zweiten ist wenigstens ein gleiches sehr wohl möglich; dasz
endlich H e p l q>uaeu<; dasselbe werk war, welches bei Cicero
de nat. d . I 13,32 physicus heiszt und die lehre von gott
enthielt, bezweifelt heute wohl niemand, es ist also wohl
keine zu kühne V e r m u t u n g , wenn ich diese gruppe als die
der teleologischen und eschatologischen werke bezeichne,
der achte und neunte band endlich umfaszte die Homerischen
S c h r i f t e n , und zwar in sehr systematischer folge, derge-
stalt dasz die allgemeinern inhalts den anfang machten und
dann die über die Ilias, im neunten aber die weit zahlrei-
chern über die Odyssee sich anschlössen , und zwar allem
- 129 -
anscheine nach durchweg nach der abfolge der partien in
beiden gedichten, auf welche sie sich bezogen, was konnte
nach diesem allem für den zehnten und letzten band, in
welchem sich auch der Archelaos befand, noch übrig bleiben?
ich dächte, man könnte schon von vorn herein keine andere
antwort geben als: ein anhang unechter oder wenigstens 2 6
zweifelhafter und unechter schriften."
Dieses Urteil, das nahezu einhelligen Beifall gefunden
hat, trifft im großen und ganzen das Richtige, bedarf aber
einiger Korrekturen.
Susemihl glaubt, am Anfang des zweiten TOHO<; Schriften
physischer Thematik feststellen zu können. Aber die Titel
f l E n l TO I&OTTO i i a< ; ri i t e p i Y A N O U e p u T i n ö c ; ( I I 2 ) u n d r i E p i
TÜSV a o q u a x C v c p u a l o y v u j i o v I H O C (II 3) tragen unverkennbar ethi
sches Gepräge, und der Titel L.ECL Ü.'XJV ?UOE<J<; (II 1), der
beiden vorausgeht, bezeichnet schwerlich ein zoologisches
Werk, wie es Aristoteles in seinem Buch I'EOI Jiyuv T O T O P I A
hinterlassen hat, sondern vielmehr eine gleichfalls ethische
Schrift, in der das Tier in seiner unverdorbenen Natürlich-
keit als Vorbild für den Menschen hingestellt wurde, wie
es später bei Kynikern und Stoikern, wahrscheinlich aber
auch schon bei Antisthenes der Brauch gewesen ist, worüber
noch genauer zu reden sein wird. Es standen demnach auch
26) Idealstaat des Antisthenes etc., a.a.O., S. 207 f. (die Anmerkungen sind weggelassen, um das Zitat zu kürzen). -Ähnlich, wenn auch weniger dezidiert, urteilten schon früher Deycks, De Antisthenis Cynici vita et doctrina, a.a.O., S . 12 ff.; Chappuis, Antisthene, a.a.O., S . 23 ff Mueller, De Antisthenis Cynici vita et scriptis, a.a.O., S . 34 ff.; Mullach, Fragmenta Philosophorum Graecorum, a.a.O., S . 269 ff. V g l . später bes. Natorp, Antisthenes, a.O., Sp. 2541 f., sowie H . Lulolfs, De Antisthenis stu-diis rhetoricis, Diss. Amsterdam 1900, S. 2 ff., der Suse mihi fast wörtlich ausschreibt. - Zu kurz greifen die Be-merkungen bei Caizzi, Antisthenis Fragmenta, a.a.O., S . 77 f.
- 130 -
im zweiten TO^OC; ausschließlich Schriften ethischer
Thematik, nicht anders als es im dritten, vierten und
fünften der Fall ist, so daß sich ein einheitlicher
Block zu vier TO^IOI ergibt, die allesamt ethische
Schriften enthalten.
Größere Schwierigkeiten bereitet dem Verständnis die
Anordnung der Titel im siebten T O ^ O I; . Die Titel nepi xou
öcno-9avetv (VII 2 ) und Kepi Surfc nai davatou (VII 3 )
erscheinen innerhalb desselben zo\ioc, weiter unten noch
einmal in derselben Reihenfolge (VII 7,8); diesmal an
der richtigen Stelle, wie der nachfolgende Titel nepi TWV ev "Ai&ou (VII 9) lehrt, der thematisch eng mit den
beiden erstgenannten Titeln zusammenhängt. Susemihl konn-
te von dieser Dittographie nichts wissen, weil ihm keine
kritische Ausgabe des Textes vorlag; gesetzt aber, er
hätte davon gewußt, so hätte ihn auch diese rein mecha-
nische Störung der Überlieferung nicht berechtigt, so
weitreichende Umstellungen im überlieferten Text vorzu-
nehmen, wie er vorschlägt. Es ist ohne weiteres zuzugeben,
daß jene fünf Titel von nepi TOÜ änoSaveiv (VII 7) bis
'fipuTrina nepi ipuaewt; a', eptoTTina nepi cpuceui; ß' (VII 11) ,
die man im Übrigen eher als physische oder ontologische
denn als teleologisch-eschatologische bezeichnen sollte,
den Zusammenhang der dialektischen Titel, die vorausgehen
und folgen, zu stören scheinen. Aber der letztgenannte
Titel (VII 11) läßt in der Formulierung eputTina immerhin
deutlich auch dialektische Problematik erkennen, und bei
den vier vorausgehenden Werken mag es sich ähnlich verhal-
ten haben, ohne daß es sich dort an den Titeln ablesen
ließe. Wie denn überhaupt festzuhalten ist (worüber eben-
falls noch genauer zu reden sein wird),daß bei Antisthenes
Dialektik und Physik, bzw. Ontologie auf das engste zu-
- 131 -
sammenhängen. So hatte es in jedem Fall einen guten Sinn,
die Schriften dialektischer und ontologischer Thematik
im sechsten und siebten -ro oc; zu einer Einheit zusammen-
zufassen .
Der zehnte to|io<; fällt aus der klaren inhaltlichen
Gliederung heraus, weil er ethische Schriften enthält,
wiewohl der Katalog Schriften dieser Thematik bereits im
zweiten bis fünften TO^OC einen Platz angewiesen hat.
Susemihl war der Ansicht, es handele sich hier um einen
Anhang unechter oder doch zweifelhafter Schriften: "Wer
das nicht zugeben will, der erkläre doch erst, warum alle
diese Schriften nicht unter die ethischen gestellt waren,
unter welche sie doch dem Inhalt nach gehörten, sondern
einen eignen anhang bildeten, wenn nicht eben deshalb,
weil man sie nicht für wirkliche werke des Antisthenes 27
hielt." F . Dümmler, 'Akademika', hat sich um eine sol-
che Erklärung gemüht: "Wie, wenn ein Bibliothekar in den
neun Bänden die systematisch geordnete Bibliothek eines
Philosophen erwarb, welchem es in erster Linie auf den
dogmatischen Lehrgehalt ankam, und nun noch einige dort
fehlende Schriften populären Inhalts aus anderer Quelle
erworben, in einem zehnten Bande zusammenfaßte? Oder wenn
der zehnte Band von einem Grammatiker zusammengestellt
war in Rücksicht auf die reine Atthis? Dann mußte ihn
jeder Bibliothekar anschaffen wegen der recensio, selbst
wenn, was sehr wahrscheinlich ist, seine Dialoge zum
grossen Theil auch schon in den andern Bänden erhalten 28
waren." Diese höchst komplizierten Überlegungen haben
27) A.a.O., S. 210. - Ebenso urteilt vor allem auch Wila-mowitz, Platon, 2. Bd., a.a.O., S. 26: "... im zehn-ten Bande, der nicht ohne Grund im Verdacht steht vo«a zu enthalten."
28) Glessen 1889, S . 13 f.
- 132 -
jedoch ungleich weniger Wahrscheinlichkeit für sich als
Susemihls einleuchtende Hypothese, für die sich eine
Reihe beweiskräftiger Argumente geltend machen läßt.
Susemihl selber hat darauf hingewiesen, daß sich zwei
jener drei Schriften, die Persaios für Fälschungen des
Pasiphon erklärte, im zehnten TOHOC wiederfinden: der
' AXKI;j ia&rK (X 6) und der 'HpctviXffc 6 IXaaouv (X 1 oder 2).
Diese Ubereinstimmung ist schwerlich zufällig, sie erweckt
vielmehr den Eindruck, als sei der zehnte TOnot des Kata-
logs nicht ohne Rücksicht auf das Verwerfungsurteil des
Persaios zusammengestellt worden. Es finden sich weitere
Merkwürdigkeiten. Am Anfang des zehnten TOHO<; stehen zwei
Titel, die von Herakles handeln: 'HpaKAffc; neu Mt&ac (X 1)
u n d I'pocHJirft; r] n e p i cppovi^aeui; n a i taxucx; (X 2) . D i e s e
Doppelheit von Titeln derselben Thematik erscheint ver-
dächtig; und dies umso mehr, wenn man bedenkt, daß im
vierten TO^O; noch einmal ein Titel 'HPOCKXTK o (iei!;uv nepi Icjxuor, (IV 2) begegnet. Mag Antisthenes die He-
raklesthematik auch besonders am Herzen gelegen haben,
so erscheint es doch kaum glaublich, daß er das eine Thema
dreimal in verschiedenen Schriften behandelt haben sollte.
Wie es denn auch unerfindlich bleibt, wie von einem klei-
neren und einem größeren 'KpomMK die Rede sein konnte,
wenn es deren insgesamt drei gab. Der Verdacht liegt
nahe, daß es sich zum mindesten bei einem der beiden ge-
nannten Titel im zehnten TO^OC um eine apokryphe Dublette
gehandelt hat, in der das Thema dieser berühmten antisthe-
nischen Schrift noch einmal auf eigene Weise abgehandelt
wurde. Und schließlich: Daß unechte oder zweifelhafte
Schriften an den Schluß verwiesen werden,entspricht aufs
beste der antiken Editionspraxis, wie sie etwa auch beim
Katalog der xenophontischen Schriften (Diog. Laert, 2.56-57)
oder im Corpus Platonicum (Diog. Laert. 3.57-62) zu beobach-
- 133 -
ten ist.
Es kann nach alledem kaum ein Zweifel darüber bestehen,
daß Susemihl Recht hatte, wenn er vermutete, der zehnte
•toiioc, enthalte Schriften, die der Herausgeber für unecht
oder zweifelhaft angesehen habe. Wenn sich diese wohlbe-
gründete Ansicht in der Folgezeit dennoch nicht überall
hat durchsetzen können, so vor allem deshalb, weil Suse-
mihl das kritische Urteil des antiken Herausgebers unbe-
denklich übernahm und kurzerhand alle Schriften des zehnten
TOJJ.O<; für unecht erklärte. Aber die Athetesen der antiken
Echtheitskritik sind grundsätzlich mit Vorsicht aufzuneh-
men und bedürfen genauer Überprüfung. Wie sich denn auch
wahrscheinlich machen ließ, daß das Verwerfungsurteil des
Persaios (frg. 6 C.), das der Herausgeber sich zu eigen
gemacht zu haben scheint, eher auf subjektiv-polemische
denn auf kritisch-objektive Gründe zurückzuführen ist.
Faßt man alles zusammen, so läßt sich die inhaltliche
Gliederung des Katalogs im Schema folgendermaßen darstellen
y v i c i a Thema TO|IO<;
Rhetorisch I
Ethisch/Politisch II III IV V
Dialektisch/Ontologisch VI VII
Poetologisch VIII IX
än<j>iaßr)Tou^Eva
Ethisch/Politisch X
Es stellt sich die Frage, welche Gründe den antiken
Herausgeber bewogen haben mögen, gerade diese inhaltliche
Gliederung zu wählen. Die antike Uberlieferung (frg.
125-128 C.) berichtet, Antisthenes sei Schüler des Gorgias
- 134 -
gewesen und habe selber Unterricht in Rhetorik erteilt,
bevor er, durch seine Bekanntschaft mit Sokrates, zur
Philosophie gefunden habe. Der Herausgeber dürfte diese
Tradition, die nachweislich auf Hermipp (frg. 127 C.),
wahrscheinlich sogar auf Satyros (frg. 128A C.) zurückgeht,
gekannt haben, und so mochte er die rhetorischen Schrif-
ten an den Anfang seiner Ausgabe gestellt haben, weil er
des Glaubens war, sie repräsentierten das gorgianisch-
rhetorische Frühwerk des Antisthenes. Was das sokratisch-
philosophische Hauptwerk des Antisthenes betrifft, das
den weitaus größten Teil der Schriften umfaßte, so scheint
sich der Herausgeber entschlossen zu haben, die ethischen
Schriften an die erste Stelle zu setzen, weil er der Mei-
nung war, die Ethik bilde das Kernstück der antisthenischen
Philosophie, hierin ebenfalls in Übereinstimmung mit der
biographischen Überlieferung, wie sie vor allem bei Dio-
genes Laertius 6.1-19 Niederschlag gefunden hat. Wie denn
die ethischen Schriften auch rein zahlenmäßig das Über-
gewicht haben. Kamen die ethischen Werke an den Anfang
der Philosophica zu stehen, so ergab sich von selbst, daß
die dialektisch-ontologischen Schriften an die zweite
Stelle rücken mußten, obwohl sie, da sie die Grundprinzi-
pien der antisthenischen Philosophie enthielten, ihrer-
seits ebenfalls Anspruch auf den ersten Platz gehabt hät-
ten. Die poetologischen Werke ließ der Herausgeber dann
an dritter Stelle folgen, weil hier die ethische und
wohl auch die dialektisch-ontologische Problematik, die
in den vorausgehenden Schriftengruppen behandelt wurde,
noch einmal diskutiert wurde, diesmal vor allem am Bei-
spiel der homerischen Dichtung. Den Abschluß bildeten
schließlich, wie allgemein üblich, jene Schriften, die
der Herausgeber für unecht oder zweifelhaft hielt, sei es
daß er sich hierbei auf das Urteil anderer verließ, sei
- 135 -
es daß er selber eine kritische Auswahl treffen zu können
glaubte. Man wird nach alledem nicht leugnen können, daß
die inhaltliche Gliederung der antisthenischen Werke mit
Umsicht und kundiger Hand durchgeführt ist und so dem Sach-
verstand des Herausgebers ein gutes Zeugnis ausstellt.
Es hätte nahegelegen, die fünf Themenkreise Rhetorik,
Ethik, Dialektik, Poesie und Spuria, in die die antisthe-
nischen Schriften eingeteilt sind, mit erklärenden Über-
schriften zu versehen und hierbei haltzumachen. So wäre
ein Katalog entstanden, wie jener des Herakleides Ponti-
kos (Diog. Laert. 5.86-88), wo die inhaltlichen Themen-
gruppen die Uberschriften 'HÖLHCC, SUCUKIX, rpa|I|iaT Uta, Mou-
aivta, 'PriTopina u n d ' IaTopina t r a g e n . D e r H e r a u s g e b e r
des Antisthenes ist einen anderen Weg gegangen. Er hat
auf erklärende Überschriften verzichtet und stattdessen
die thematisch fünffach gegliederten Schriften noch ein-
mal in zehn xoiioi unterteilt, dergestalt, daß die rheto-
rischen und die zweifelhaften Schriften jeweils auf einen
TOIIOQ entfallen (I und X) , während die dialektisch-onto-
logischen und die poetologischen Schriften auf jeweils
zwei (VI, VII und VIII, IX), die ethisch-politischen
Schriften auf vier (II, III, IV, V) T O H O I zu stehen kom-
men. Auch diese Einteilung ist nicht ohne Bedacht vorge-
nommen. Im Falle der Rhetorica und der Spuria deckt sich
die T O H O C -Gliederung mit der Themeneinteilung. Bei den
Ethica enthalten die beiden ersten TO I IO I ( I I , III) die
Schriften allgemeiner Thematik, die beiden folgenden
T O H O I (IV, V) führen jene Schriften, die bestimmten Per-
sonen gelten. Der erste TOH-OC; (VI) der Dialectica umfaßt
die im engeren Sinne dialektischen Werke, während der
folgende TO^OI; (VII) die dialektisch-ontologischen Titel
enthält. Bei den poetologischen Schriften schließlich
stehen im ersten TOI_LO<; (VIII) die allgemeinen und zur
- 136 -
'Ilias' gehörenden Schriften, während sich im folgenden
xop.oc (IX) die Schriften zur 'Odyssee' finden.
Läßt die xoiioc, -Gliederung einerseits die Absicht er-
kennen, die thematisch-inhaltliche Gliederung der Schrif-
ten, wenn auch nach unterschiedlichen Gesichtspunkten, zu
verfeinern und zu präzisieren, so wirft sie andererseits
auch eine Reihe von Problemen auf. Warum fiel im Falle
der Rhetorica und der Spuria die xoy.oc; -Einteilung mit
der Themeneinteilung zusammen, während die ethisch-poli-
tischen, die dialektisch-ontologischen und die poetolo-
gischen Schriften durch die TOH°<; -Gliederung jeweils mehr
fach unterteilt wurden? Warum zerfielen die Ethica in
vier, die dialektischen und die poetologischen Schriften
aber nur in jeweils zwei TO ^OI ? Warum ist die Anzahl der
Titel in den einzelnen to^oi so unterschiedlich, daß sich,
bei einem Mittel von ungefähr 6,5 Titeln pro TOHOC , in
tohoi; IV und V nur jeweils zwei, in Top.o<; VII und IX je-
doch jeweils elf Titel finden? Alle diese Fragen hängen
letztlich von der Beantwortung der Frage ab, wie man
sich die TOIJOI der Antisthenesausgabe konkret vorzustel-
len hat.
Die Buchwissenschaft hat nicht weniger als vier ver-
schiedene Lösungsvorschläge zur Beantwortung dieser wich-
tigen Frage vorgebracht.
F . Ritsehl, 'Die Alexandrinischen Bibliotheken unter
den ersten Ptolemäern', bemerkt: "Ein anderer Ausdruck,
TOJIOC, wird in ganz verschiedener Bedeutung von verschiede
nen Schriftstellern gebraucht ... für Bände, Teuxn , von
Diogenes, VI 15: t p e p o v T a i 6 ' au-uoü ( 'AVT IOÖEVOUC;) a u Y Y p a n n « T A ,
TOM.01 beita ... Schriftenverzeichnisse nach TO ^OI , wie
vom Antisthenes, mögen übrigens zuerst von Pergamum ausge-
- 137 -
gangen sein."
Diese Auffassung läßt sich nicht halten. C.H. Roberts,
'The C o d e x '3 0
, hat nachgewiesen, daß die Kodexform des
Buches erst im zweiten nachchristlichen Jahrhundert häufiger
begegnet und sich für heidnische Literatur sogar erst
im vierten Jahrhundert allgemein durchsetzt. In der vor-
ausgehenden Zeit ist die Rolle die vorherrschende Form des
Buches, auch in Pergamon, wo als Neuheit Pergamentrollen,
nicht Pergamentkodizes eingeführt wurden. Anders als in
Rollenform kann man sich demnach die vorliegende Ausgabe
der antisthenischen Schriften, die wahrscheinlich in helle-
nistischer, allerspätestens in frühkaiserzeitlicher Zeit
entstanden ist, in keinem Fall vorstellen.
Akzeptiert man, daß die antisthenischen Schriften in
Rollenform ediert wurden, so ergeben sich für die co^oi
der Ausgabe zweierlei Erklärungsmöglichkeiten: Entweder
war ein TOIIOC identisch mit einer Papyrusrolle, oder er
stellte eine konvolutartige Zusammenfassung mehrerer Rol-
len d a r .
A . Menagius, 'Observationes in Diogenem Laertium', war
ersterer Ansicht:"rößoc autem hic nihil aliud est quam
xaptTi<; . Folgt man dieser Annahme, so ließe sich der
Umfang des antisthenischen Gesamtwerks auf umgerechnet
29) In: F . Ritsehl, Kleine Schriften, 1. Bd., Leipzig 1866, S . 111 f. - Ebenso urteilen u.a. Mueller, a.a.O., S. 33 f.; Mullach, a.a.O., S. 269.
30) Proceedings of the British Academy 40 (1954) S . 169-204, wo weiterführende Literatur verzeichnet ist. Vgl. außer-dem auch die Literaturangaben in Anm. 19.
31) In: Commentarii in Diogenem Laertium, hrsg. von H.G. Huebner, 2. Bd., Leipzig 1838, S. 10. - Vgl. u.a. auch Blass, Attische Beredsamkeit, 2. Bd., a.a.O., S. 336, A n m . 2: "einzelne Papyrusrollen".
- 138 -
1000-1200 Druckseiten eines Oxford-Textes berechnen,
wenn man voraussetzt, daß es sich um größere Rollen von
jeweils 100-120 Druckseiten Umfang gehandelt habe, wie
sie etwa auch für den platonischen 'Phaidon' oder den
'Gorgias' vorauszusetzen sind. Das wäre immerhin ein re-
spektables Oeuvre, das sich an Umfang nahezu mit Xeno-
phons Opera omnia messen könnte. Und doch ergeben sich bei
näherem Hinsehen Schwierigkeiten. Antisthenes hat mehr als
sechzig Werke verfaßt, und bei einem Gesamtumfang von
1200 Druckseiten könnte jede Schrift im Mittel günstig-
stenfalls zwanzig Druckseiten umfaßt haben, ungefähr so
viel wie der platonische 'Kriton'. Dieser bereits groß-
zügig berechnete Durchschnittswert für den Umfang eines
antisthenischen Werkes erscheint jedoch in jedem Falle
entschieden als zu gering, auch wenn man in Rechnung
stellt, daß die Deklamationen A"a<; (i 2) und 'o&uaaeut;
(I 3), die zusammen kaum fünf Druckseiten umfassen, die-
sen Durchschnitt unterschreiten. Noch schwerer wiegt ein
zweiter Einwand, in den toiioi Ii, vi und vor allem VII
finden sich einige Titel, die Zahlenangaben tragen: nepl
6 IKOS IOOUVTK xal av6peia<; nporpen-r IHO<; npürtoc,, beuTepo;, Tpi-
TO<,, nepl eeofviboc; 6'e' (II 4); Ea-3uv (rj) nepi toü avii-
Aeyeiv a'ß'y' (VI 3); nept naibeia«; ri nepi ÖVOHOTWV a'
ß'f'b'e' (VII 1); nepi 6OE,TK uai SnioTiiHTK a'ß'-y'
6' (VII 6); nepi <pucjecj<; a ' ß' (VII 10); ' Epuxr\fi.a nepi
qjuaeuc a', epcjxrma nepi tpuoeuc; ß' (VII 11). Läßt man
die Gleichsetzung von TOHOC; und Rolle gelten, so können
diese Zahlen hier nicht, wie in ähnlichen Verzeichnissen
üblich, die Einteilung eines Werkes in so und so viele
Buchrollen anzeigen, sie müßten vielmehr Abschnitts- oder
Kapiteleinteilung innerhalb eines Werkes markieren, das
in einer Rolle stand, in der außerdem noch eine Reihe
anderer Schriften Platz fanden. Diese Auffassung ist je-
- 139 -
doch unhaltbar. Ganz abgesehen davon, daß Kapitelein-
teilung erst später bei Büchern in Kodexform üblich wird -
auch wenn man voraussetzen dürfte, daß hier bei Rollen-
büchern Kapiteleinteilung statthätte, so geht die Rech-
nung nicht auf. In -co^oc VII begegnen elf Titel, die im
Durchschnitt nicht mehr als elf oder zwölf Druckseiten
Umfang gehabt haben können, so viel wie der pseudoplato-
nische 'Axiochos'. Nimmt man an, daß vier dieser elf
Werke Kapiteleinteilung aufwiesen, dergestalt, daß zwei
Schriften in je zwei, eine in vier und eine in fünf Ka-
pitel eingeteilt wurden, so folgt, daß ein Kapitel im
Durchschnitt günstigstenfalls ein oder zwei Seiten Um-
fang gehabt haben könnte. Es darf als gänzlich ausge-
schlossen gelten, daß der Herausgeber die ohnehin kurzen
Schriften in derart winzige Kleinabschnitte eingeteilt
hätte. So behält Wilamowitz Recht, der anläßlich des
Saöuv (VI 3) bemerkt: "Die Zahlen a ß j hinter dem Ti-
tel können nach der Praxis dieser Verzeichnisse nur Bü-32
eher desselben Werkes bezeichnen." Mit anderen Worten:
Die Gleichsetzung von TO(io<; und Rolle ist unhaltbar.
Am Rande sei in diesem Zusammenhang erwähnt, daß 33
T . Birt, 'Das antike Buchwesen' , die Auffassung ver-
treten hat, es handele sich bei den TOIIOI des antisthe-
nischen Katalogs um Großrollen von 1000 oder mehr Seiten
Umfang. Wäre diese Auffassung richtig, so würden die vor-
stehenden Berechnungen ungleich günstiger ausfallen, auch
32) A.a.O., S . 26.
33) Berlin 1882, S. 449 f.; vergl. ders., Die Buchrolle in der Kunst, a.a.O., S. 19 f.; Kritik und Hermeneutik, a.a.O., S. 274. - Durchschlagende Kritik an Birts Groß-rollenhypothese übte bereits E . Rohde, Göttingsche Gelehrte Anzeigen 127 (1882) S . 1537-1563; jetzt wieder-abgedruckt in: E . Rohde, Kleine Schriften, 2. Bd., Tübingen-Leipzig 1901, S. 428-448. Vgl. außerdem die Literatur in Anm. 19.
- 140 -
wenn immer noch die Nötigunq bestünde, bei Rollenbüchern
Kapiteleinteilung anzunehmen. Allein, Birt hätte seine
Großrollenhypothese, die für das voralexandrinische Buch-
wesen kennzeichnend sein sollte, niemals auf einen Kata-
log anwenden dürfen, der, wie er selber zugibt, erst aus
alexandrinischer Zeit herrührt. Wie denn die Großrollen-
hypothese überhaupt zu so vielen Widersprüchen und Unge-
reimtheiten führt, daß sie heute längst allgemein aufge-
geben ist.
Nach alledem bleibt keine andere Wahl, als die TOHOI
der Antisthenesausgabe als Rollenkonvolute aufzufassen,
das heißt als Zusammenstellungen mehrerer Rollen. In die-
sem Sinne hat sich C . Wendel, 'Die griechisch-römische
Buchbeschreibung, verglichen mit der des Vorderen Orient',
geäußert: "Die TOHOI des Antisthenes können diesen Na-
men also nur deshalb tragen, weil sie Teile eines größe-
ren Ganzen, nämlich der Gesamtausgabe seiner Werke, sind ...
der Kyniker, der die Schriften des Antisthenes gesammelt
herausgab, hatte diese in 10 Gruppen aufgeteilt, und der
Bibliothekskatalog, der die Ausgabe zu verzeichnen hatte,
fügte wie üblich jeder einzelnen Schrift die Zahl der
ßtßXia bei, die der Gewährsmann des Diogenes nur dann
zu übernehmen für nötig hielt, wenn es sich um eine Mehr-
zahl handelte ... In der Sache entsprechen die xo^oi des
Antisthenes etwa den 6 Enneaden, zu denen Porphyrios die
54 Schriften aus dem Nachlaß seines Lehrers Plotin zusam-
mengefaßt hat, und auch die 10 TO ^OI m
i t den Komödien
Epicharms, durch deren Sammlung und Gruppierung Apollodoros
von Athen Porphyrios ein Vorbild gegeben hatte, sind zu-
nächst als sachlich bestimmte Abteilungen gemeint, wenn
auch in diesem Falle jede Abteilung gerade in einer Rolle 34 Platz gefunden haben mag."
34) Halle 1949, S . 52 f. Ähnlich vorher Susemihl, Litteratur der Alexandriner-Zeit, 1. Bd., a.a.O., S. 343. Vgl. Caizzi, a.a.O., S. 77.
- 141 -
So überzeugend die allgemeine Annahme ist, daß der
Begriff -touot; hier nur die mehrere Rollen umfassende Ab-
teilung der Gesamtausgabe meinen kann, so sehr bedürfen
die weitergehenden Einzelerklärungen der Uberprüfung.
Wendel scheint der Ansicht zu sein, daß jedes Werk zum
mindesten eine Rolle umfaßt habe. Da Antisthenes mehr als
sechzig Werke verfaßt hat, von denen sechs noch einmal in
insgesamt einundzwanzig Bücher aufgeteilt waren, so be-
liefe sich das Gesamtwerk auf mehr als 7 5 Rollen oder auf
mehr als 5000 Druckseiten Umfang, die Rolle auf das üb-
liche Maß von 70 Druckseiten gerechnet. Das wäre ein
schier unglaublich umfangreicher literarischer Nachlaß,
nicht weniger als das Doppelte dessen, was Piaton geschrie-
ben hat. Erweckt dieses Ergebnis bereits Bedenken, so
lehrt ein Blick auf die beiden erhaltenen Deklamationen
Ata; (I 2) und 'ObvaoeuQ (I 3), daß die Gleichsetzung
von Werk und Rolle nicht in jedem Falle gegolten haben
kann. Es muß als ausgeschlossen angesehen werden, daß die-
se beiden kurzen Schriften, die zusammen nicht einmal
fünf Druckseiten Umfang hatten, jeweils auf eine eigene
Rolle zu stehen gekommen wären. Dasselbe dürfte zum min-
desten für einen Teil der ethischen Traktate in TOHOC III
und einen Teil der poetologischen Schriften in den to^oi
VIII und IX gelten. Man muß demnach voraussetzen, daß es,
abgesehen von einrolligen und mehrrolligen Werken, inner-
halb der xonoi auch Miszellanrollen gegeben hat, in de-
nen jene Schriften gesammelt Platz fanden, die zu kurz wa-
ren, als daß sie jeweils eine Rolle hätten füllen können.
Da der Herausgeber darauf verzichtet hat, Miszellanrollen
und Einrollenwerke bibliothekarisch zu markieren, läßt
sich beider Anteil am Gesamtwerk nicht bestimmen. Wendel
vergleicht im weiteren die T O J I O I der Antisthenesausgabe
mit den Enneaden Plotins. Auch dieser Vergleich ist mit
- 142 -
Vorsicht aufzunehmen. Die Enneaden Plotins, denen sich
die Tetralogien Piatons und Demokrits vergleichen lassen,
sind größere Werkabteilungen, in denen jeweils die Anzahl
der Einzelwerke konstant war, während der Umfang und so
auch die Bruchzahl schwanken konnte. Bei Antisthenes kann
jedoch keine Rede davon sein, daß jede Abteilung jeweils
dieselbe Anzahl von Werken umfaßt hätte, und wenn der
Begriff ro ioe, , über die bloße inhaltliche Gliederung hin-
aus, einen buchtechnischen Sinn haben soll, so nur den,
daß hier nicht die Anzahl der Werke, sondern, umgekehrt,
die Anzahl der Rollen je Abteilung konstant gehalten wur-
d e . Allein, auch bei dieser Annahme ergeben sich erheb-
liche Schwierigkeiten. In TO OI; VII sind elf Werke ver-
zeichnet, von denen vier, wie die beigefügten Zahlenanga-
ben lehren, auf insgesamt dreizehn Rollen verteilt waren.
Für den Fall, daß die verbleibenden sieben Werke allesamt
auf Miszellanrollen standen, müßte diese Abteilung ins-
gesamt mindestens siebzehn Rollen umfaßt haben. Anderer-
seits enthalten die T O I I O I IV und V jeweils nur zwei Werke,
und da hier Buchzahlen fehlen, können diese Werke jeweils
höchstens den Umfang einer Rolle gehabt haben, so daß die-
se beiden Abteilungen insgesamt jeweils nicht mehr als
zwei Rollen enthalten haben können. Diese beiden Zahlen
differieren untereinander so sehr, daß von einer auch nur
annähernd konstanten Anzahl von Rollen je TO^Oc, offenbar
nicht die geringste Rede sein kann. Davon abgesehen er-
scheint die Anzahl von siebzehn Rollen je TOHCK; als Durch-
schnittswert für die gesamte Ausgabe entschieden als zu
hoch, während zwei Rollen je TOHO<; entschieden zu wenig
Raum einnehmen. Will man einen buchtechnisch plausiblen
Mittelwert von fünf oder sechs Rollen je TOHOI; erreichen,
so müßte man in die Oberlieferung eingreifen. Daß in den
To(ioi IV und V , die die beliebtesten und bekanntesten
- 143 -
Schriften des Antisthenes enthielten, die Buchzahlen im
Laufe der Uberlieferung ausgefallen sind, ließe sich
hören. Allein, in TO IO; VII hätte man immer noch mit
siebzehn Rollen zu rechnen, und wenn man diese Zahl auch
auf fünfzehn reduzieren könnte, indem man die aufein-
anderfolgenden ähnlich lautenden Titel I l E p i cpua£.u< a ' ß '
(VII 10) und 'KpuTTina nepl (puaeuc; aj £p(5xrina rcEpi tpu-
aeu<; ß' (VII 11) miteinander identifiziert, so ver-
bietet sich doch jeder weitere Eingriff in die überein-
stimmend überlieferten Buchzahlen, wenn anders man nicht
den Boden des Wißbaren verlassen will.
So bleibt nichts anderes übrig, als auch diese Hypo-
these aufzugeben und sich bei der Annahme zu beruhigen,
daß die xonoi der Antisthenesausgabe innerhalb der in-
haltlichen Großgliederung des Katalogs gliedernde Unter-
abteilungen darstellen, deren buchtechnische Bedeutung
sich mit unseren Mitteln nicht bestimmen läßt.
d . Titel
Hier stellt sich zunächst die Frage, ob Antisthenes seine
Schriften selber mit Titeln versehen hat, so daß diese
als authentischer Teil des Werkes interpretiert werden
dürften. E . Schmalzriedt, 'Peri physeos. Zur Frühgeschich-
te der B u c h t i t e l '3 5
, hat überzeugend dargelegt, daß die
Prosawerke in älterer Zeit grundsätzlich ohne Titel er-
schienen. Erst gegen Ende des fünften Jahrhunderts, als
die Autoren, namentlich die Sophisten, jeweils eine grös-
sere Anzahl von Büchern verfaßten, denen der jetzt auf-
35) München 1970; dort ein ausführlicher Oberblick über die sehr disparate weiterführende Literatur.
- 144 -
blühende Buchhandel erstmals einen Markt eröffnete,
scheint man angefangen zu haben, auch Prosawerke mit
Titeln zu versehen, wie es, aus praktischen Gründen,
bei Tragödie und Komödie schon länger der Brauch war.
So ist es gewiß kein Zufall, daß es sich bei der früh-
esten Prosaschrift, für die wir wenigstens einen an-
nähernd gleichzeitigen Titel namhaft machen können,um
die 'AXifaem des Protagoras (VS 80 B 1) handelt. Das
erste authentische Titelzitat findet sich bekanntlich
bei Platon, der im 'Politikos' p . 284b
(vgl. 286b
) mit
der Wendung ev TU Eoquaxff unverkennbar auf den Titel
seines früher publizierten Dialogs 'Sophistes' anspielt.
Allein, aus dieser Einzeltatsache darf man, wie E . Nach-
manson, 'Der griechische B u c h t i t e l '3 6
, betont hat, kei-
neswegs folgern, daß Platon alle seine Schriften mit
Titeln versehen habe. Die Variabilität und Instabilität,
mit der später, namentlich bei Aristoteles, die plato-
nischen Schriften zitiert werden, zwingt vielmehr zu dem
Schluß, daß von einer durch den Autor kanonisierten durch-
gehenden authentischen Titelgebung offenbar keine Rede
sein konnte. Was für Platon gilt, gilt, mehr noch, auch
für Antisthenes. Die Überlieferung (frg. 36, 37 C.) will
wissen, Antisthenes habe den EaSwv selber betitelt. Es
ist durchaus nicht sicher, ob diese Nachricht historisch
glaubwürdig ist, aber selbst wenn sie glaubwürdig wäre,
so bewiese sie ebensowenig, daß Antisthenes alle seine
Schriften mit Titeln versehen hat, wie dies das Selbstzitat
36) Göteborgs Högskolas Ärsskrift 47 (1941) S . 5-52, hier bes. S . 10 f. - V g l . außerdem H . Zilliakus, Boktiteln i antik literatur, Eranos 36 (1938) S. 1-42. Eine Über-sicht über die wichtigsten älteren Titel gibt E . Lohan, De librorum titulis apud classicos scriptores nobis occurrentibus, Diss. Marburg 1890.-Eine umfassende neue Untersuchung über Ursprung, Authentizität, Form und Ab-sicht der antiken Buchtitel wäre wünschenswert.
- 145 -
des 'Sophistes' im Falle Piatons beweisen konnte. So
muß dahingestellt bleiben, ob, wie und in welchem Umfang
die antisthenischen Schriften authentische Titel getragen
haben.
Einen kleinen Einblick in die Uberlieferungsgeschichte
der Titel in voralexandrinischer Zeit gestattet Persaios
(frg. 6 C.}, der die Titel 'AA.witi ca&nc;. Kupoe ninpo<;
und 'HpanX-ffc; 4 i^aoauv zitiert. Dieses Zitat, das leider
ganz vereinzelt steht, beweist, daß bereits in der ersten
Hälfte des dritten Jahrhunderts für einzelne antistheni-
sche Schriften bestimmte Titel in Gebrauch gewesen sind
und daß in manchen Fällen ein und derselbe Titel für ver-
schiedene Werke gebraucht wurde, so daß man zur Unter-
scheidung adjektivische Umfangsbezeichnungen hinzusetzte,
um das eine Werk bequem vom anderen unterscheiden zu können.
Auf voralexandrinischen Ursprung weisen auch die ad-
jektivischen Zusatz- und Mehrfachtitel hin, wie sie im
Katalog der antisthenischen Schriften bei einem Drittel al-
ler Titel begegnen. Solche Mehrfachtitel dürften in der
Regel daher rühren, daß die Grammatiker bei der pinako-
graphischen Bestandsaufnahme zwei, bisweilen sogar drei
verschiedene Titel für ein und dasselbe Werk vorfanden,
die sie, wohl aus kritischer Rücksicht, allesamt aufzu-
nehmen für gut erachteten.
Es konnte natürlich auch vorkommen, daß eine Schrift
vorlag, die gar keinen oder einen nichtssagenden Titel
trug. In diesem Falle war die Grammatik gezwungen, Titel
bzw. Alternativtitel oder adjektivische Zusätze selber
zu erfinden. Ob ein Titel voralexandrinischen oder gram-
matischen Ursprungs ist, läßt sich, abgesehen von den oben-
genannten drei Titeln, die Persaios zitiert, im Einzel-
fall nicht mehr ausmachen.
- 146 -
Der Katalog der antisthenischen Schriften (frg. 1 C.),
den der Herausgeber, wie sich wahrscheinlich machen ließ,
aufgrund der Gelehrsamkeit der hellenistischen Grammatik
erstellt hat, zeigt Titel von unterschiedlicher Form und
mannigfachen Variationen.
Aufs ganze gesehen finden sich drei verschiedene
Grundformen von Titeln: Sachtitel, die durch die Präpo-
sition nepi das Hauptthema einer Schrift wiedergeben
(I 1,5; II 1,2,3,4; III 1,2,3,4,5,6,7; VI 2,4; VII 1,2,3,
4,5,6,7,8,9,10,11; VIII 1,2,3,4,5,6,7; IX 1,2,4,5,7,8,9,10,
11); Namentitel, die substantivisch die Person nennen,
von der oder Uber die in einer Schrift hauptsächlich gere-
det wurde (I 2,3; IV 1,2; V 1,2; VI 3; IX 3,6; X 1,2,3,4,
5,6,7); schließlich, gewissermaßen als vermittelnde Zwi-
schenform, substantivische Sachtitel, die Inhalt, Form oder
Absicht einer Schrift schlagwortartig zusammenfassen (I 4;
VI 1; VII 11,12).
Diese Grundformen erscheinen jeweils in mannigfaltigen
Variationen. Die durch die Präposition nepi gebildeten
Sachtitel, die nahezu zwei Drittel aller Titel repräsen-
tieren, drücken teils die Sache (II 1; III 1,2; VI 4;
VII 7,9,10; VIII 1,2,7; IX 2,11), teils die Person (I 5;
VIII 3,5,6; IX 1,5,8,10) aus, von der maßgeblich die Rede
ist, wobei in beiden Fällen auch Doppelbegriffe, meist
gegensätzlicher Art, vorkommen können (III 5; VII 5,6,8;
VIII 4 bzw. IX 4,10). Diese einfachen Varianten können er-
weitert werden. Entweder nehmen sie einen gleichartigen
Zweittitel (I 1; III 3,4; VII 1) oder auch Drittitel (III
6; IX 7) zu sich, der dann durch die Alternativpartikel fi
beigefügt wird, oder sie erhalten einen substantivischen
(VII 13) oder, häufiger, adjektivischen Zusatz (II 3;
III 7; VI 1; VII 4), der das Thema noch einmal genauer prä-
- 147 -
zisiert; einmal begegnet auch ein Doppeltitel mit adjek-
tivischer Beifügung (II 2). Die komplizierteste Variante
dieses Typus bietet schließlich der einigermaßen monströ-
se Titel rfept B I X A T O C U V I I « ; xai ävbpeiai; npoxpenT LMCX; npuxoi;, SeuTSpot;, TptToi;, nepl eeoicviboi; 6' e' (II 4) .
Die Namenstitel, die ungefähr ein Viertel aller Titel
ausmachen, treten einmal in einfacher Form auf (IV 1;
V 2; X 6); es kommt auch v o r , daß zwei Namen nebeneinander
stehen (I 6; X 1) oder auch alternativ aufgeführt werden
(X 3,4) . Eine Erweiterung dieser Varianten geschieht, in-
dem den Namentiteln alternativ ein nepi-Titel beigegeben
wird, der entweder das Thema (V 1; VI 3; X 2,5,7), eine
weitere Hauptperson (IX 3, 6) oder auch die Form der Schrift
(I 2 , 3) nennt; einmal tritt hierzu noch eine adjektivische
Beifügung, die über den Umfang der Schrift Auskunft gibt
(IV 2) .
Die substantivischen Sachtitel schließlich, die knapp
ein Zehntel aller Titel umfassen, erscheinen ebenfalls in
einfacher Form (I 4; VI 1). Auch hier gibt es Erweiterun-
g e n . Hierher gehört der Titel 'EpuTinja nepl ipuaeut a ' , epuTtiixa nepi tpuaeu«; ß ' (VII 11) und der merkwürdige
und vielleicht korrupte Titel Ao£ou ri £p icrt I,K6<; (VII 12).
Endlich ist in diesem Zusammenhang noch auf den Titel
IIpo<; TOv ' IoonpaToui; 'Anaptupov (I 7) zu verweisen, der die
Titelpraxis der Anklagereden aufnimmt.
Es läßt sich nicht mehr mit Sicherheit entscheiden,
wie der große Variantenreichtum und die disparate Vielfalt
der Buchtitel, wie sie der Katalog bietet, zu erklären ist.
Die Wahrscheinlichkeit spricht jedoch d a f ü r , daß die Unbe-
ständigkeit der Titelgebung zum größten Teil aus der vor-
alexandrinischen Epoche datiert, in der die Schriften des
Antisthenes mehr als ein Jahrhundert lang ungeschützt der
- 1 4 8 -
Willkür der Uberlieferung ausgesetzt gewesen sind. Es gab
ja niemanden, der die Bewahrung und wissenschaftliche
Pflege dieses so umfangreichen Nachlasses sich hätte ange-
legen sein lassen; Diogenes und die frühen Kyniker, die
Antisthenes noch am nächsten standen, waren nach Temperament
und geistigem Zuschnitt zu allerletzt geeignet und gewillt,
eine solche Aufgabe auf sich zu nehmen. So zeigt etwa auch
das umfangreiche Verzeichnis der Schriften Demokrits (Diog.
Laert. 9.46-49), die ebenfalls lange Zeit ungeschützt um-
liefen, eine überaus große Vielfalt und Unbeständigkeit
der Titel, während der Katalog der platonischen Schriften
(Diog. Laert. 3.58-61), denen die Akademie früh eine sorg-
fältige Pflege angedeihen ließ, eine bis ins Letzte durch-
geführte systematische Ordnung in der Titelgebung aufweist.
Demgegenüber wird man die Störungen, die der Katalog
der antisthenischen Schriften im Laufe der Überlieferung
erlitten hat, eher gering ansetzen. Abgesehen von einigen
paläographisch leicht erklärbaren Auslassungen, Verschrei-
bungen oder Wiederholungen, von denen in jedem Einzelfall
zu reden sein wird, fällt in diesem Zusammenhang vor allem
auf, daß die beiden Titel 'HpaKAiK ö eAaaauv und Küpo<;
Hixpcx;, die schon die voralexandrinische Überlieferung
(frg. 6 C.) kennt, im Katalog fehlen. Dies ist besonders
auffällig im Falle des 'HpauXfii; . Wenn der Katalog einmal
den Titel ' HpanÄrK o HEI^UV ri nepi taxuoc (IV 2) bietet,
so erwartet man, dementsprechend auch einen Titel des Typs
'HpocnA.ffi; 6 tXauouv vorzufinden. Stattdessen gibt der Ka-
talog die beiden Titel "HpanXtK fi "epl q>povnaeu<; Mal ia-
(X 1) und 'HpanXfit; xai Mtöai; (X 2). Dieser Be-
fund befremdet doppelt: nicht nur, weil der erwartete Ti-
telzusatz 6 ikaoaiav fehlt, sondern, mehr noch, weil der
überlieferte Zusatztitelö nei^uv im Grunde sinnlos wird,
da von einer "größeren" Schrift eines Titels nicht gut
- 149 -
die Rede sein kann, wenn es hierzu nicht nur ein einziges,
"kleineres" Pendant gegeben h a t , sondern deren zwei. Daß
es hier in der Tat mit der Überlieferung nicht seine Rich-
tigkeit haben kann, lehren die beiden Alternativtitel ri rteoi
laxuoc (IV 2) und ri repi (ppovnceox; xctl inxuoi; (X 1) . Daß
die "größere" Heraklesschrift lediglich über die Stärke
gehandelt haben sollte, während eine andere, jedenfalls
weniger umfangreiche Schrift gleichen Titels über die Stär-
ke und Einsicht handelte, erscheint wenig wahrscheinlich.
Wie denn überhaupt das Thema "Stärke" als Thema des ' Hpavaffi;
6 entschieden als zu eng erscheint und nachgerade
nach jener komplementären Ergänzung durch das Thema "Ein-
sicht" verlangt, wie sie der Titel X 1 bietet. Offenbar
liegt hier eine tiefergehende Störung der Oberlieferung v o r ,
deren Ursache sich nicht mehr ergründen läßt. Womöglich
repräsentieren die beiden Titel 'HpauAffc; o pei^wv rj nepi
laxuo<; (IV 2) und 'HPOMXRK r\ NEOL >T-POVIIAEUT; «at ic-
(X 1) ein und dieselbe Schrift, deren Originaltitel
'HpaMA.ff(; ö HE iCuv r) nept cpoovnccwc, Kai Icy^uoc, lautete und
im Katalog irrtümlich doppelt aufgeführt wurde und so in
der Überlieferung jeweils eine andere Verkürzung erlitt.
In diesem Falle wäre der ' HpcmXrfc i EACXOCTCÜV der indirek-
ten Überlieferung (frg. 6 C.) mit dem Titel ' HpauXfit; nal
Mi∾ (X 2) zu identifizieren.
Wenn der Katalog im Falle des ' HpaxXiK identische Ti-
tel durch adjektivische Größenangaben differenzierte, so
dürfte dies auch im Falle des Küpo<; gegolten haben. Die
Oberlieferung hat hiervon allerdings keine Spuren hinter-
lassen; sie bietet die Titel Küpo<; ( i v 1) und Küpoc; ri nepi
ßaaLXElax, (v 1) ohne jedwede differenzierende Größenangabe.
Daß der erstgenannte Titel, der mit dem "größeren" ' HpaxXfK
in demselben TOHOC steht, die umfangreichere Schrift re-
präsentiert, während der Titel KOpoc ^ "Epi ßaaiAeiat; (V 1)
- 150 -
mit dem Küpoc, nvtcpoc; der indirekten Überlieferung
(frg. 6 C.) identisch ist, liegt auf der Hand. So liegt
die Vermutung nahe, daß der auffällig kurze und informati-
onsarme Titel Küpoc (IV 1), dem folgenden 'HpanArK -Pendant
entsprechend, im Katalog ursprünglich den Zusatz o Meyac
oder b HEICWV samt folgender Themaangabe trug.
Mit diesen Überlegungen ist die Grenze des Vermutbaren
bereits erreicht. Hier gilt es innezuhalten, um nicht Ge-
fahr zu laufen, die rezeptionsgeschichtlich bedingte In-
konstanz und Inkonsequenz der Titelgebung, wie sie der Ka-
talog bietet, durch willkürliches Systematisieren künst-
lich zu glätten und so gewaltsam zu ändern und zu ver-
fälschen.
Die indirekte Überlieferung, die erstaunlich reich-
haltig ist, bestätigt im großen und ganzen die Titelgebung
des Katalogs, wenn auch die Zitate im Einzelnen von höchst
unterschiedlicher Form und Genauigkeit sind.
Eine Reihe von Titeln werden exakt in der Form aufge-
führt, wie sie auch der Katalog zeigt. So zitiert Persaios
(frg. 6 C . ) den Titel 'AXnißia&Ti<; (x 6); Herodikos (frg.
34, 42 C . ) bietet die Titel ' Kanaaia (v 2) und 'ApxeXaoc
(X 7); Phrynichos (frg. 1o C . ) führt den Titel nepi 'o&va-
aeiac (IX 1) auf; Diogenes Laertius (frg. 7 C . ) schließlich
gibt den Titel 'AXfiaeia (VI 1) durch die präpositionale
Wendung ev "rff 'AXriSeia w i e d e r . Ebenfalls in genauer Uberein-
stimmung mit dem Katalog zitieren Herodikos (frg. 37AB C . )
und Diogenes Laertius (frg. 36 C . ) den Titel EaSuv (V I 3
) .
jedoch ist hier die Überlieferung des Katalogs dahingehend
zu korrigieren, daß der folgende Titel als Alternativti-
tel des vorhergehenden Titels erscheint: EaOuv (ri) nepi TOÜ ävTiXeyeiv a'ß'y'.
Das letztgenannte Beispiel leitet Uber zu jenen Titel-
- 151 -
Zitaten, die die Katalogtitel zwar korrekt, jedoch, wie
in antiker Praxis üblich, in handlich verkürzter Form
wiedergeben. Der C o d . Palat. 88 (X) zitiert in der super-
scriptio den Titel Atac, r} Alavxoc; koyoc, (I 2) als AIOK;,
den Titel '06uoaeü<; fi fnepl] '06UOO£OJ(; (koyof,} (I 3) als
'O&uacreut; ; Athenaios (frg. 16 C.) gibt den Titel nepl tüv OCXJHOXWV IPUA T OYVUHOV LKOQ (II 3) durch die Wendung EV
T? q>uai.o-rvu(ioviMÜ wieder; derselbe Athenaios (frg. 17 C.)
und Pollux (frg. 18AB C.) führen dementsprechend den Titel
Ilept 6 tuet ioauvT)<; «at äv6peta<; rcpoxpEirt IKO<; npüxoc;, SeuTEpot;,
Tp iioc,, nepl eeöyviboQ b' E' (II 4) durch die Wendung EV Tip itpoTpEnx IHS a n .
Abgesehen von diesen präzisen Zitaten finden sich in
der indirekten Uberlieferung auch freiere Umschreibungen
der im Katalog aufgeführten T i t e l . Aelius Aristides (frg.
41 C.) paraphrasiert den Titel IlEpl oivou xpvo^ac, f) nepl
ueÖTK ri nEpi TOU KUHA.WTCO(; (IX 7) mit den Worten: ... xo
ßlßAiov ... E&OHEI EIVOU ' AVT IO-9EVOU<; nEpi XP^OE^C I e<P£pev bk
EIc, olvov. Herodikos (frg. 43 C.) bezeichnet den Titel
nepl vopou rj nEpi noXiTEiat (III 4) umschreibend als no\i
X IH&<; &iaXoyo<; ; dementsprechend geben Philodem (frg.
39A C . ) , Cicero (frg. 39B C.) und Laktanz (frg. 39E C.)
den Titel NSPI <J>UOEW<; A' ß' (VII 10) adjektivisch umschrei
bend als yvoiyioc, b z w . als "physicus" wieder. Schwerer als
diese leicht erklärbaren Zitatabweichungen wiegt es, wenn
Diogenes Laertlus (frg. 7 C.) einmal den Titel nepi 6i-
MaioouvT|<; Hat av&pEiat; npoxpenx ixot; npCxoc, &Eux£po<; , xpixo <;,
nepl eeoyvibot; 6' E' (II 4) durch den Ausdruck EV XOK npoxpErtxuot<; wiedergibt. Der Sprachgebrauch erklärt
sich wohl so, daß diese Schrift, wie der vollständige Ti-
tel zeigt, offenbar in zwei voneinander deutlich geschie-
dene Teile zerfiel, deren einer Uber Gerechtigkeit und
Tapferkeit handelte, der andere über Theognis, so daß man
- 152 -
das G a n z e , wenn man w o l l t e , auch pluralisch als eine
Mehrzahl protreptischer Schriften betrachten konnte.
Einen Fall für sich bilden schließlich die Titel vom
Typ ' HpaMÄrf«; und KCpoq , deren genaue Bestimmung und
Unterscheidung im Katalog so große Schwierigkeiten berei-
tete.
Diogenes Laertius (frg. 19 C.) gebraucht einmal die
Wendung 6ta toO HeyaXou 'HpauXEour, , w o b e i er ohne Frage
jene Schrift im Auge hat, die der Katalog als 'Hpav.Affc &
heu'UV fi üEpi (I v
2) aufführt. Dasselbe Werk dürfte
gemeint sein, wenn Diogenes (frcr. 22, 23 C.) und Ps.-
Eratosthenes (frg. 24AB C.) das einfache Titelzitat iv tw
'HpanXet gebrauchen. Persaios zitiert einmal den Titel
'KpaHXfft; o ^Aaaowv ; dieser Titel, der im Katalog fehlt,
wiewohl er ein notwendiges Komplement zum Titel ' HPOHXTK b IJECL'UV b i l d e t , ließ sich aus überlieferungsgeschicht-
lichen Erwäaungen mit einiger Wahrscheinlichkeit mit dem
Titel 'Hpa^Xfic nat r.u&aq (X 2) identifizieren, während der
Titel 'HpanXrit; ri nepi cppovficrEui; Mal laxuoc (X 1) als
Doublette des Titels 'HpaMXffc ö pxi^wv fi nEpl loxuot;
(IV 2) erschien.
Anders stellt sich die indirekte Oberlieferung dar im
Falle der Küpoq-Titel. Herodikos (frg. 29A C.) bietet das
Zitat £v öa-repu TÜV Kupuv und bezeugt so, in voller Über-
einstimmung mit dem Katalog, daß es zwei Schriften dieses
Titels gegeben hat. Diogenes Laertius (frg. 19 C.) ge-
braucht einmal die Wendung ^LA TOÜ Kupou und Phrynichos
(frg. 10 C.) spricht umschreibend von einem Xoyoc nspi
Kupou; in beiden Fällen dürfte der Titel Küpoc; ( i v 1) ge-
meint sein, der im Katalog vielleicht ursprünglich den Zu-
satz ö HE Cr,uv trug. Persaios (frg. 6 C.) zitiert schließlich
den Titel Küpoc niHpoc ; dieser Titel ließ sich mit eini-
- 153 -
g e r W a h r s c h e i n l i c h k e i t m i t d e m T i t e l Küpor, ri nepi l i a o U s u i ;
(V 1) identifizieren, der im Katalog allerdings ebenso-
wenig eine adjektivische Größenangabe trägt wie sein um-
fangreicheres Pendant.
Abschließend muß von jener Handvoll von Titeln die
Rede sein, die im Katalog fehlen oder zu fehlen scheinen.
Die Stellen bedürfen allesamt genauerer Betrachtung.
Cicero, Epist. ad Att. 12.38 (frg. 13 C.):KYPXA2 mihi sie placuit ut cetera Antisthenis, hominis acuti magis quam eruditi.
Hier hat das griechische Wort KYP£AE Schwierigkeiten be-
reitet und eine Fülle von Verbesserungsvorschlägen her-
vorgerufen. Nur der Vollständigkeit halber sei eingangs
ein Einfall zitiert, den Birt geäußert hat: "Ist dies * 37
vielleicht (nepl ) KIPHTK ?" S. Bosius, 'Animadversiones 3 8
in Epistulas Ciceronis ad Atticum' , schlug vor, den über-
lieferten Text in Küpoc &'e' zu ändern; Cicero habe mit
den Zahlenangaben 6'e' auf die beiden TO^OI IV und V der
Ausgabe verweisen wollen, in denen die beiden Küpen aufge-
führt wurden. Diese Konjektur, die nahezu einhelligen Bei-
fall gefunden hat, ist jedoch keineswegs überzeugend. Wenn
Cicero zwei Schriften im Auge hatte, so ist nicht einzu-
sehen, wieso er das Verbum "placuit" in den Singular ge-
37) Das antike Buchwesen, a.a.O., S. 449, Anm. 1.
38) Antwerpen 1585, S. 171. - Diese alte Humanistenkonjektur hat in der Mehrzahl der maßgeblichen Ausgaben der Atti-cusbriefe Beifall gefunden. Vgl. außerdem u.a. Menagius, Observationes et emendationes in Diogenem Laertium, in: Commentarii in Diogenem Laertium, 2. Bd., a.a.O., S. 10; Chappuis, Antisthene, a.a.O., S . 33, A n m . 2; Mueller, De Antisthenis Cynici vita et scriptis, a.a.O., S . 44; Mullach, Fragmenta Philosophorum Graecorum, 2. Bd., a.a.O., S. 275; zuletzt Humble, Antisthenes' Fragmenten, a.a.O., S. 56.
- 154 -
setzt hat. Diesem Einwand trägt D.R. Shackleton Bailey, 39
•Cicero's Letters to Atticus' , Rechnung, der die Lesung
Küpoc ß' vorschlägt; Cicero habe auf den zweiten Küpot;
in TOHOC V verweisen wollen. Gegen diese wie auch gegen
die vorhergehende Konjektur läßt sich jedoch einwenden,
daß Zahlenangaben hinter einem Titel nach antikem Usus weder
die TOHOI innerhalb einer Ausgabe noch die Rangfolge zweier
Schriften desselben Titels bezeichnen, sondern stets das
jeweils in Frage stehende Buch ein und desselben Werkes.
Außerdem ist es auch kaum glaublich, daß sich Cicero gegen-
über Atticus auf eine so pedantisch-gelehrte Weise ausge-
drückt haben sollte. I. Cazzaniga, den F . Decleva Caizzi, 40 'Antisthenis Fragmenta' , zitiert, hat neuerdings vorge-
schlagen, Küpoc 6E ZU lesen; Cicero habe den Satz grie-
chisch begonnen und sei dann spielerisch ins Lateinische
gefallen. Allein, diese Vermutung ist geistvoller als die
Stelle erfordert und findet überdies an der ciceroniani-
schen Sprachpraxis keine Stütze. Wenn man überhaupt kon-
jizieren will, so empfiehlt sich am ehesten die einfache
und zwanglose Lesung K0po<;. Aber auch für diese Konjektur
gilt, wie für alle anderen, der schlagenden Einwand, den
Wilamowitz vorgebracht hat: "Kyros würde Cicero nicht mit 41 griechischen Buchstaben geschrieben haben.
In der Tat bedarf es keiner Konjekturen, weil es mit
der Uberlieferung seine Richtigkeit hat. Der Name Kupoffc ist ein seltener, aber regelrecht gebildeter Eigenname;
der Komiker Antiphanes (frg. 220 Kock) bezeugt die analoge
Bildung M-riTpfft; . Mehr noch: Der Name kehrt wieder in einer Ge-
schichte, die die Suda s.v. Ewnpa-cric (4 p . 405 Adler) er-
39) 5. Bd., Cambridge 1966, S . 331.
40) Mailand 1966, S . 89.
41) Platon, 2. Bd., a.a.O., S . 27, A n m . 2.
- 155 -
zählt: Kupacü; &E Tic ovopa, Xfo<; to y£vo$, üc auveao|i£voi; £u-
upaTEi, u HO J E u S ^ A A V T i napi T O V -ratpov ovap CXJ-SEIC; ijx i K,\T)CTE v • nai
eu$ü<; SHETVCK; 6.k£ti\evo£V , T O C T O HOVOV anoXauacn; T O Ü <piX.6ao<pou,
Nicht nur, daß hier die Namensform, die Cicero bietet,
auf das genaueste wiederkehrt und so vor allem Verdacht
geschützt ist - die Seltenheit dieses Namens, der nur an
den beiden genannten Stellen vorkommt, legt die Vermutung
nahe, ja zwingt recht eigentlich zu dem Schluß, daß die
Geschichte, die die Suda erzählt, ein kurzes Exzerpt aus
ebenjener Schrift des Antisthenes ist, deren Titel Cicero
zitiert. So, vollkommen überzeugend, Wilamowitz: "Der
Name ... ist selten genug, um damit eine Anekdote zu ver-
binden, die bei Suidas aus unbekannter Quelle am Schlüsse
des Artikels SunpaTiK steht, und in der ein Chier Kupa5<; 4 2
den Sokrates aufzusuchen kommt, ihn aber tot findet.
Antisthenes erzählte demnach, wie der Chier Kyrsas
nach Athen kam, um Sokrates kennenzulernen; in Athen, so
darf man ergänzen, erfuhr er, daß man Sokrates hingerich-
tet habe; voller Trauer legte sich Kyrsas an Sokrates' Gra-
be zum Schlafen nieder,und nun wird ihm die ersehnte Be-
gegnung mit dem verehrten Manne im Traum zuteil; tags da-
rauf reiste er unverzüglich ab. Die Grundtendenz dieser
leider nur sehr knapp überlieferten Geschichte liegt auf
der Hand: Sokrates lebt und wirkt im Tode fort, eine hero-
isierte Gestalt gleichsam,die dem gläubigen Anhänger im
Inkubationsschlafe Erkenntnis und belehrende Unterweisung
schenkt. Man wüßte gerne, in welcher Form Antisthenes diese
eigentümliche Sokratesgeschichte, von der weder Piaton noch
42) A.a.O. - Als erster hat Dittmar, Aischines von Sphettos, a.a.O., S . 63 und 69, A n m . 14, auf die Kyrsasgeschich-te hingewiesen, ohne jedoch den naheliegenden Schluß auf Antisthenes zu ziehen; er hält die Geschichte für entstanden "im Kreise des Herakleides Pontikos".
- 156 -
Xenophon wissen, dargeboten hat. Wilamowitz: "So etwas
paßt besser für den Xoyoc von einer apetfi des Sokrates 43
als für einen Dialog." Allein, das kurze Referat der
Suda kann nicht darüberhinwegtäuschen, daß das Kernstück
der ganzen Erzählung das Traumgespräch zwischen Sokrates
und Kyrsas gewesen ist, in dem, der Situation entsprechend,
von der Problematik des Todes und dem Leben im Jenseits die
Rede gewesen sein dürfte. Ein solches Gespräch aber, dessen
Thematik auffällig an den platonischen 'Phaidon' und den
'Eudemos' des Aristoteles gemahnt, ließ sich ungleich bes-
ser in dialogischer denn in dihegematischer Form darstellen
Abschließend ist darauf hinzuweisen, daß der Katalog
der antisthenischen Schriften von einer Schrift mit dem
Titel Kupaac; nichts w e i ß . Dieser Befund darf nicht über-
raschen; es wäre beim Umfang des antisthenischen Nachlas-
ses durchaus nicht zu verwundern, wenn der Herausgeber die
eine oder die andere Schrift übersehen oder vergessen hätte
43) A.a.O. - Dittmar, a.a.O., S. 63 f., und Wilamowitz, a.a.O., machen auf eine merkwürdige Parallele zur Kyr-sasgeschichte aufmerksam. Epist. Socr. 17.2 berichtet: Ein lakedämonischer Jüngling will Sokrates besuchen; vor den Toren Athens erfährt er, daß Sokrates tot ist; unverzüglich begibt er sich zu Sokrates' Grab, redet mit dem Grabmal,und weint bis ihn der Schlaf übermannt; am Morgen küßt er den Boden, grüßt pietät-voll die Grabstätte und fährt nach Megara zurück. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß diese Geschichte eben-falls auf einen sokratischen Dialog zurückgeht. Wo-möglich erhielt das Original, dessen lebhaften Stil das Exzerpt noch spüren läßt, auch ein Traumgespräch, in dem Sokrates erschien. Daß mehrfach Geschichten in Umlauf waren, die erzählten, wie Fremde Sokrates' Grab besuchen, nachdem sie erfahren haben, daß er tot ist, bezeugt ausdrücklich Libanios, A p o l . Socr. 5 (p. 114, 10 Förster): OTOCV ol £evoi vtaTanXeuai nev £><; auveaonevoi Tav&pl, TeSveuxa 6e supovTEi; £irroCai TOV xa<pov ..
- 157 -
Womöglich verbirgt sich der Titel Kupoät; aber auch hinter
einem der überlieferten T i t e l . Der Katalog bietet in Topot; X folgende Titel: H U P I O C (BP uüpoc; F)r| spc'pevoc (x 3) und
Kupioc (BP HUpo«; F ) T) uaTaanoiio i (x 4 ) . D a ß b e i d e M a l e
die Lesart nupioc als lectio difficilior vor der im übrigen
auch schlechter bezeugten Lesart «upoq den Vorzug haben
m u ß , versteht sich von selbst. Das Wort uupioc; bereitet
jedoch dem Verständnis erhebliche Schwierigkeiten, weil es
als Eigenname, als der es nach Analogie zu den vorhergehen-
den und nachfolgenden Namentiteln verstanden werden m u ß ,
nur spät und schlecht beglaubigt ist. So ist wenigstens die
Frage zu stellen, ob sich hinter der Uberlieferung wupiot;
nicht eine paläographisch leicht zu erklärende Verschrei-
bung des seltenen Namens Kupoäc verbirgt. In diesem Falle
müßte es allerdings zwei Schriften dieses Titels gegeben
h a b e n .
Suda, s.v. 'AVT tadevTK 1 p . 243 Adler j.p. 86 C.) : ouxoc, auveypa\ye TOM-OUC bena- npütov Maymov ( xa l TOV Ma-Y I , H O V coni.Duemmler )• AcpriyeTTai 6e nepl ZupoaaTpou T L V O « ;
payou eüpovTO^ xriv aoqiiav. T O U T O 6e xivet; ' Ap LaToxeXe i (frg, ,32 Rose ), o! 6e 'Po6iu(coni, Bernhardy; po&wvi v e l po6uv c o d d . ) ävaT i.äeaa i v .
H . Dittmar, 'Aischines von Sphettos', urteilt über diese
Stelle folgendermaßen: "der kurze artikel gibt ein Stück-
chen eines antisthenischen Schriftenkatalogs, dieser no-
tierte die ergebnisse der literarischen kritik. er war in 44
anordnung und inhalt verschieden von dem bei Diogenes."
Diese Interpretation, die auf die Uberlieferungsgeschichte
der antisthenischen Schriften ein ganz neues Licht werfen
w ü r d e , hält genauerer Nachprüfung nicht stand. Es ist von
44) Berlin 1912, S . 167, A n m . 14.
- 158 -
vornherein höchst unwahrscheinlich, daß es zwei Ausgaben
der antisthenischen Schriften gegeben haben sollte, die,
wiewohl verschieden, doch übereinstimmend beide den Nach-
laß in zehn TOHOI angeordnet hätten. Nicht minder unwahr-
scheinlich ist, daß der Marinoc, für sich allein den ge-
samten ersten TOM.OC; der Ausgabe beansprucht haben könnte,
wie der Wortlaut der Suda anzunehmen zwingt. Schließlich
bleibt es ganz unbegreiflich, wieso ausgerechnet diese um-
strittene Schrift an den Anfana zu stehen gekommen sein
sollte, wenn doch ä|j.q>iaßTiTouHBv
<* aus gutem Grund stets
am Ende einer Ausgabe Platz finden. Alle diese Schwierig-
keiten lösen sich mit einem Schlag, wenn man annimmt, daß
die Suda dieselbe Ausgabe des Antisthenes im Auge gehabt
hat, die auch Diogenes Laertius (frg. 1 C.) zitiert. Suda
dürfte Diogenes, wie so oft, einfach ausgeschrieben haben.
Es bleibt zu fragen, wie der Marino; in die viele
10(101 umfassende Ausgabe der Werke des Antisthenes geraten
konnte. Die Suda bemerkt zu Anfang des oben zitierten Ar-
tikels: ' A V T IA-8EVR)<; • ' A-SRIVATo; • Anb P T I T O P U V q>iAoaoq>o<; £uxpa-
T IM 6 ; , Ö O T I C Ilep inaTT)T IMO<; ^ H A I ^ T I npwTov, E I T O £ M U V I O E V .
Diesen konfusen Bericht hat bereits J . Jonsius, 'De scrip-
toribus historiae philosophicae', schlagend erklärt:
"... dicendum est duos fuisse Antisthenes philosophos ...
quos Suidas confuderit unum faciens Antisthenem eundemque 45
et Peripateticum et Cynicum." Einen Peripatetiker Anti-
sthenes zitiert Phlegon, De mirab. 3 als Gewährsmann für
allerlei Wundergeschichten, die sich nach dem Siege der
Römer über Antiochos bei Thermopylai zugetragen haben sollen.
45) Frankfurt 1659, S. 40.
- 159 -
46 G.J. Vossius, 'De historicis Graecis' , hat überzeugend
nachgewiesen, daß dieser Peripatetiker identisch ist so-
wohl mit dem gleichnamigen Historiker aus Rhodos, der eine
Geschichte seiner Vaterstadt (FGrHist 508 F 1-2) schrieb,
wie auch mit dem gleichnamigen Philosophieschriftsteller,
der <$ i Aoaötpuv ?-o:5oxa' (FGrHist 508 F 3-14) verfaßte.
Es dürfte demnach in der Quelle der Suda zwei Lemmata ge-
geben haben: ' Avx TOÖEVRN; • ' ASTIVCUCX; • ZUNPA TIKOC; und 'A V T I O S E -
vtk- 'Pobioi;' Hep maxirc iKot. Die Suda hat diese beiden Lem-
mata, wie so oft, kontaminiert, so daß nun dem Sokratiker
Antisthenes zugeschrieben werden mußte, was für den Peri-
patetiker galt. So erhält der Sokratiker den absurden Bei-
namen Hep i naxr|T ivtot; . So gerät auch der Ma^inot; fälschlich
unter die Werke des Sokratikers. Diese Schrift war strittig
zwischen Aristoteles (frg. 33 Rose) und dem Peripatetiker
Antisthenes, dessen Patronymikon 'Poötoi; G . Bernhardy, 47
'Suidae lexicon Graace et Latine' , aus der Korruptel
pobuvi zwingend heraestellt hat. Um das Werk jetzt auch
mit dem Sokratiker in Verbindung zu bringen, wußte man
sich, ungeschickt genug, nicht anders zu helfen, als den
46) Frankfurt 1677; 3. Aufl., hrsg. von A . Westermann, Leipzig 1838, S . 393. - Zu der verwickelten Frage vgl. vor allem Zeller, Uber Antisthenes aus Rhodos,Sitzungs-berichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Jahrgang 1883, München 1883, S. 1067-1073; Susemihl, Litteratur der Alexandrinerzeit, 1. Bd., a.a.O., S. 500; E . Schwartz, Antisthenes von Rhodos, in: Pauly-Wissowas RE 1 (1894) Sp. 2537-2538; zuletzt J . Janda, D'Anti-sthene, d'auteur des Successions des Philosophes, Listy Filologicke 89 (1966) S . 78-91, der die Gesamtproble-matik noch einmal gründlich durchspricht. - Uber die zahlreichen Antistheneshomonyme handeln ausführlich Chappuis, a.a.O., S. 169-171; Mueller, a.a.O., S . 54-58; Mullach, a.a.O., S. 273.
47) 1. Bd., Halle 1853, S. 487. Vgl. Chappuis, a.a.O., S. 170. Anm. 5; Mueller, a.a.O., S. 56 f.
- 160 -
MayiHoc des Peripatetikers mit dem ersten to^o; der
Schriften des Sokratikers zusammenfallen zu lassen. F . Dtimm 48 »
ler, 'Antisthenica' , der die Emendation x a l TSV May inov
vorschlägt, wird dem kompilatorischen Charakter der Stelle
nicht gerecht, abgesehen davon, daß auch nicht einzusehen
ist, wieso der UaymoQ als einziges Werk des Antisthenes
außerhalb der TOHO; -Gliederung der Ausgabe gestanden haben
sollte.
Es kann nach alledem kaum einen Zweifel geben, daß K .
Joel, 'Der echte und der xenophontische Sokrates', diese
Schrift zu Unrecht herangezogen hat, um weitläufig den "Ein 49
fluß des Orients auf Antisthenes" zu beweisen. Der Sokra-
tiker Antisthenes hat niemals ein Buch mit dem Titel MOYIXO ;
geschrieben. Deycks: "Magicus U b e r de Zoroastre sapientiae
inventore ... non est nostri Antisthenis."^0
Weitere Bemer-
kungen über Verfasser, Inhalt und Form dieser interessanten
Schrift erübrigen sich an dieser Stelle.
Diog. Laert. 6.19{p. 87 C.): np&c 6E TOV CPAOHOVTOT w; TA n o U ä aÜTcö ' AVT ICTÖEVT); oux apEaxoi, xPETOV EotpoxAeou«; npoo-evEYxanevo; fipwTriaEv (sc. Zeno Stoicus ), EI Tiva xal xa-A.a EJJEIV aÜTÜ 6OHEI"- TOÜ 6' oux ET&svai qpfiaavTo;, EIT ' oüw aioxuvri, 2cpr|, EI HEV TI xaxov EITI EIPTUIEVOV un' ' AVT IOÖE VOU; (del. Wilamowitz), T O Ü T ' EXA.EY6P.EVO; xal ^VTHJOVEUMV, EI 6E TI xaAov, ou6* InißaAAotiEVo; XATEXEIV;
Diese Stelle wird in der Regel mißverstanden. Caizzi will
48) Diss. Bonn 1882; wiederabgedruckt in: F.Dümmler, Kleine Schriften, 1. Bd., Leipzig 1901, S . 18.
49) 2. Bd., Berlin 1901, S . 950; v g l . S . 165 ff.
50) De Antisthenis Cynici vita et doctrina, a.a.O., S . 13.-Ebenso urteilen Winckelmann, Antisthenis Fragmenta, a.a.O., S . 12, A n m . 1; Chappuis, a.a.O., S. 170, A n m . 5 Mueller, a.a.O., S . 56 f.; Natorp, Antisthenes, a.a.O., Sp. 2543.
- 161 -
hier "un" ... opera di Antistene, altrimenti sconosciuta"5
^
erkennen. Menagius schlug die Emendation X P E I A V ' AV T I O Ö E V O I X ;
vor: "non enim, puto,xpEi'av £0q>0KA£0u<; scripserat Anti-
sthenes; at vero de libris Antisthenis hic sermo esse vi-
52
detur." Beide Ansichten gehen davon aus, daß das Wort
xpeia soviel wie "Spruchsammlung" bedeute. Diese Auffassung
ist jedoch irrig. In der Bedeutung von "Spruchsammlung" wird
xpeia ausschließlich im Plural gebraucht; der Singular meint
stets das einzelne Wort oder den einzelnen V e r s , der im
Gespräch nützlicherweise angeführt werden kann. Es ist dem-
nach kein Buch des Antisthenes über Sophokles, das Zenon
hier dem Tadler des Antisthenes vorlegt, es ist überhaupt
kein Buch, sondern vielmehr ein zitathafte Gnome aus einer
Sophoklestragödie, die dahingehend gelautet haben m u ß , daß
man nicht tadeln solle, wenn man nicht auch bereit sei, das
Gute anzuerkennen. Womöglich bietet frg. adesp. 388 (Nauck)
diesen Spruch oder doch wenigstens seine eine Hälfte: 0A.010
SVTITÜV enXe-yuv TAT; ounq)opa<; . Aus dem Verzeichnis der Anti-
sthenesschriften ist diese Stelle zu streichen. D i o g . Laert. 9.15: nXeioTot xi etaiv oaoi £^"HTnvTa 1 auToü (sc. Heracliti ) T O A U F I P A I ^ I I A (VS 22 A 1 )• «ai yäp 'Av-t i o S s v t k m ! "HpauXetSin; 4 nov-tmo«; ( f r g . 26 W e h r l i ) K X e -avO-rii; T E . . . «at £<palpo<; 6 ET U I K O C ; , npoi; 6c TlavaavCai; 6 kA.T)-Setc "HpavtXE IT iaTii<;, NiMopii6r|<; TE nal AiovuaiOf T<3» 6e TPa-P P A T I M Ü V A I O & O T O C . . .
51) A . a . O . , S . 8 7 . - Ähnlich die meisten Kommentatoren und Ubersetzer des Diogenes. V g l . etwa 0 . A p e l t , Diogenes Laertius. Leben und Meinungen berühmter Philosophen, 2. A u f l . , neu hrsg. von K . Reich, 2. B d . , Hamburg 1967, S . 16: "Als einer zu ihm bemerkte, Antisthenes mißfalle ihm fast durchweg, las er ihm dessen Abhandlung über Sophokles vor ..."
52) A . a . O . , S . 110. - Das Zitat dürfte im übrigen aus Anti-gonos stammen; v g l . v . Wilamowitz, Antigonos von Kaystros, Philologische Untersuchungen 4, Berlin 1881, S . 120.
- 162 -
Die Aufzählunq der Heraklitkommentatoren ist chronologisch,
und so liegt die Vermutung nahe, der hier erwähnte Anti-
sthenes sei identisch mit dem Sokratiker. So hat F.W. Schlei-
ermacher, 'Piatons Werke', angenommen, "dass Antisthenes
das Werk des Herakleitos ausgelegt habe, ohne dass doch eine
besondere Schrift darüber namhaft gemacht wird
Diogenes Laertius 6.19 führt jedoch unter den Homonymen des
Sokratikers Antisthenes, die er aus Demetrios Hagnes ge-
schöpft hat, auch einen ' HpctuXe ixe tot; auf. Hieraus hat
A.B. Krische, 'Die theologischen Lehren der griechischen
Denker', überzeugend geschlossen, "dass der gemeinte Mann
zu den Anhängern des Heraklit gehörte, die sich nach des 54
Ephesiers Schrift gebildet hatten." Auch der Kommentar
zu Heraklit ist demnach aus den Schriften des Sokratikers
zu streichen.
Ober die Authentizität des 8. Sokratikerbriefes (p.
1 2 4 s . C.) schließlich, den Antisthenes an Aristipp geschrie-
ben haben will, braucht nach R . Bentley, 'A dissertation
upon the epistles of Phalaris, Themistocles, Socrates, Euri-
pides'"^, kein einziges Wort mehr verloren zu werden.
53) 2. Teil, 2. Bd., 3. Aufl., Berlin 1857, S. 12; vgl. dors., Geschichte der Philosophie, in: Gesammelte Werke, hrsg. von H . Ritter, 3. Teil, 4. Bd., Berlin 1839, S. 91.
54) Göttingen 1840, S. 239. - Ebenso urteilen Zeller, Die Philosophie der Griechen, 1. Bd., 5. Aufl., Leipzig 1922, S. 527, sowie 2. Bd., ebenda S. 250, Anm. 7; Chappuis, a.a.O., S. 169; bes. Mueller, a.a.O., S. 55 f.; Mullach, a.a.O., S . 273; Natorp, a.a.O., Sp. 2543.
55) London 1697, S . 410-434. - Zu den Sokratikerbriefen vgl. außerdem W . Obens, Qua aetate Socratis et Socraticorum epistulae quae dicuntur, scriptae sint, Diss. Münster 1912; L . Kohler, Die Briefe des Sokrates und der Sokratiker, Philologus Suppl. 20 (1928); J . Sykutris, Die Briefe des Sokrates und der Sokratiker, Studien zur Geschichte und Kultur des Altertums 18, Paderborn 1933. - Eine gründliche Quellenuntersuchung der Sokratikerbriefe bleibt ein Desiderat der Sokratesforschung.
- 163 -
Faßt man alles zusammen, so muß man sagen, daß die recht
umfangreiche indirekte Oberlieferung die Glaubwürdigkeit des
Schriftenkatalogs auf das wünschenswerteste und genaueste be-
stätigt hat. Abgesehen von dem Titel Kvpuäc, , ließen sich
die Titel aller Schriften zwanglos im Katalog verifizieren
oder aber als unantisthenisch erweisen. Wenn man die Viel-
zahl der Schriften bedenkt, die von Antisthenes in Umlauf
gewesen sind, so kann man die sorgfältige Arbeit des Heraus-
gebers nur bewundern.
3. Die Einzelschriften
a . Die rhetorischen Schriften
a . TOM-OC; a '
Mueller bemerkt sehr richtig: "Scripta rhetorica exstabant
omnia in primo t o m o . "5 6
Es bleibt nachzutragen, wie die-
se Schriften im Einzelnen angeordnet sind. Am Anfang des
TOHO<; steht die einzige Schrift theoretischen Charakters:
Hepi äe^euc r] n£pt xapccKTiipuv (I 1); es folgt eine Grup-
pe von sechs Schriften, die allesamt eine spezielle und
konkrete Thematik aufweisen. Diese Gruppe zerfällt wiederum
in zwei Untergruppen, deren eine Schriften mythischen In-
halts (I 2,3,4) umfaßt, während die andere Werke aktueller
Thematik (I 5,6,7) enthält. Auch diese beiden Untergruppen
sind in sich jeweils noch einmal gegliedert. Bei den mythi-
56) De Antisthenis Cynici vita et scriptis, a.a.O., S. 34.-Vgl. Deycks, De Antisthenis Cynici vita et doctrina, a.a.O., S . 270; Mullach, Philosophorum Graecorum Frag-menta, 2. Bd., a.a.O., S . 270; Susemihl, Der Idealstaat des Antisthenes etc., a.a.O., S . 207; Natorp, Antisthe-nes, a.a.O., Sp. 2542.
- 164 -
sehen Schriften stehen die beiden Deklamationen Alex;
und 'O&uaaeu; (I 2,3), die aufs engste zusammengehören,
in der Reihenfolge hintereinander, die vom Inhalt her
geboten ist; der Titel 'Opecrcou drtoAoyici (I 4) , der
der mythischen Chronologie nach auch später fällt, bildet
den Schluß. An der Spitze der aktuellen Schriften steht
wiederum der Titel mit der allgemeinsten Thematik Ilepi
TSV SiKOYpacpuv (I 5); es folgt der Titel ' Ioofpacpri; nai
Aeaiac (I 6 ) , u n d d i e S c h r i f t lipo<; TOV 'ioonpaTouc *Anap-
Tupov (I 7) steht als speziellstes Werk folgerich-
tig am Schluß. Alles in allem muß diese mit Bedacht und
Konsequenz durchgeführte Anordnung der Titel als muster-
gültig gelten.
1 Ilepi Ae^eioq ri nepi xa
PaK
TiipQ)V (I 1)
Aus dieser Schrift hat sich kein einziges Fragment erhal-
ten, so daß die Rekonstruktion zunächst auf den Titel an-
gewiesen ist.
Die beiden Titelbegriffe Xe^ic und xa
pa"Tiip
sind der antiken Rhetorik wohlbekannt. Als xapanTri'pei;
TTK \tt,£u>s oder"genera elocutionisH
pflegt die antike
Theorie die drei kanonischen Grundformen des schlichten
(loxvov ; subtile) , des mittleren ( iieaov ; medium) und
des erhabenen ( (ie-yaA.oitpenec ; grande) Stils zu bezeich-
nen. So erscheint es auf den ersten Blick überzeugend,
wenn R . Volkmann, 'Rhetorik der Griechen und Römer' ver-
mutet, Antisthenes habe in der vorliegenden Schrift die
- 165 -
46 "Lehre von den drei Stilarten begründet. Bei nähe-
rem Hinsehen erweist sich die Vermutung jedoch als
höchst problematisch. Die voraristotelische Rhetorik
weiß von dieser so folgenreichen und vielbenutzten
Stiltheorie ebensowenig wie die frühsten erhaltenen
rhetorischen Handbücher des Anaximenes und Aristoteles.
Mehr noch: Anaximenes, Rhet. c . 2 2-25, und Aristoteles,
Rhet. p . 1403b6 - 1414a28, behandeln den gesamten Be-
reich der XEE,IC; S O kurz und beiläufig, daß sich der
Schluß aufdrängt, die Theorie der Stilistik habe damals
noch in den Anfängen gesteckt. Nach allem, was wir wis-
sen, ist es Theophrast gewesen, der als erster eine um-
fassende und systematische Analyse einer Theorie des
Stils vorgelegt hat. Er entwarf in seiner Schrift flepl
Xetewc a' , die J . Stroux, 'De Theophrasti virtutibus
57) In: Rhetorik und Metrik der Griechen und Römer, Handbuch der Klassischen Altertumswissenschaft, hrsg. von I. Müller, 2. Bd., 3. Abtl.,3. Aufl., München 1901, S. 6; v g l . auch S. 4, 54. - Ebenso urteilen Mueller, a.a.O., S . 34, sowie Mullach, a.a.O., S . 270, wenn sie den Titel mit den Worten "De generibus dicendi" übersetzen. - J . Classen, De grammaticae Graecae primordiis, Diss. Ham-burg 1828, S. 25, und H . Usener, Quaestiones Anaximeneae, Bonn 1858, S . 13, irren, wenn sie den Titel mit der Wendung nepi axtinatuv Xe£eu<; paraphrasieren. XapaHTiqp bezeichnet in der rhe-torischen Fachterminologie stets das Gesamtge-präge eines Stils ( yivoz iffe Xe^eut;; genus elo-cutionis), niemals die einzelnen stilistischen Schmuckmittel ( A X N ^ O T A TTK XEE,E&H;; figurae elo-cutionis). Vgl. zum Wortgebrauch A . Körte, Xapa«-ir\p , Hermes 64 (1929) S. 69-86.
- 166 -
C o dicendi' , rekonstruiert hat, die bekannte Lehre von
den vier Hauptmerkmalen des guten Stils (opExai TTK AE-E,EU<; ; virtutes dicendi) , als welche er Sprachrichtigkeit
( EAARI v i ; Latinitas) , Deutlichkeit ( o a q j T t v E i a ;
perspicuitas) , Schmuck ( XOOHOC; ; ornatus) und Angemessen-
heit { npenov; aptum) namhaft machte. Ob er außerdem auch
die Lehre von den drei Grundarten des Stils ( xapanT?ipe<;
TTK A ) aufgestellt hat, oder ob diese Lehre, die
die eingehende Analyse der theophrastischen Kategorie
der Angemessenheit voraussetzt, erst späteren, vielleicht
stoischen Ursprungs ist, darf, als strittig, hier außer
Betracht bleiben. In jedem Falle läßt die überlieferte
Geschichte der antiken Stilistik mit aller Deutlichkeit
erkennen, daß Antisthenes die Lehre von den drei genera
dicendi weder erfunden noch auch nur gekannt haben
kann.
Dieser Befund erlaubt zweierlei Schlußfolgerungen.
Entweder: Die vorliegende Schrift ist unecht. So bemerkt
etwa W . Kroll, 'Rhetorik': "... daß Antisthenes ein
58) Leipzig 1910. - Die vielumstrittene Frage nach dem Ursprung der genera dicendi hängt davon ab, wie man Dionys von Halikarnaß, De Dem. 3 p . 132,3 (Us.-Rad.) beurteilt, der behauptet, Theophrast habe Thrasyma-chos als Vorbild für eine aus dem schlichten und er-habenen Stil gemischte (HIXT-H) Ausdrucksweise ge-nannt. V g l . hierzu J . Lücke, Beiträge zur Entwicklung der genera dicendi und genera compositionis, Diss. Hamburg 1952, der die ältere Literatur aufarbeitet; C . Augustyniak, De tribus et quattuor dicendi gene-ribus quid docuerint antiqui, Warschau 1957; zuletzt F . Quadlbauer, Die genera dicendi bis Plinius d.J., Wiener Studien 71 (1958) S. 55-115. - Uber die Stellung und Einteilung der elocutio im System der antiken Rhetorik informiert vortrefflich H . Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, 1. Bd., 2. Aufl., München 1960, S . 248-524.
- 167 -
Buch nepl Xe^ewc, ri nepi xa
Pa K
't 1
lPu v
qeschrieben habe
erscheint kaum glaublich, und mindestens ist die Fassung 59
des Titels verdächtig." Allein, von der Formulierung
eines Titels auf die ünechtheit einer noch dazu unbekannten
Schrift zu schließen, ist mißlich. Größere Wahrscheinlich-
keit hat demgegenüber zweifellos die entgegengesetzte An-
nahme für sich: daß der vorliegende Titel sich der später
gebräuchlichen rhetorischen Fachterminologie nur bedient
hat, um eine spezifisch antisthenische Theorie der Rede
möglichst einfach zu beschreiben. In der Tat gibt es in
der Uberlieferung Spuren einer Theorie des Antisthenes
über die x p i l 0 K n o i v u X r i T O Ü A o y o u und die rponoi r o ü
Xoyou , die, wenn nicht alles täuscht, niraends anders
als in der vorliegenden Schrift entwickelt worden sein
dürfte.
Diese Theorie ist in Überlegungen enthalten, die Anti-
sthenes angestellt hat, um den Sinn des Odysseusepithe-
tons "ToXÜxponoc, zu erklären. Es ist nicht bekannt und
läßt sich auch nicht erschließen, in welcher Schrift die-
se Ausführuncren standen. So mag das ganze Bruchstück
(frg. 51 C.), das zu den wichtigsten antisthenischen Tex-
ten zählt, hier, an gedanklich und sachlich einschlägiger
Stelle, seinen Platz finden.
Der Text des Bruchstücks (frg. 51 C.) ist überliefert
im Scholion L zu II. 9.308 und in den Scholien HMQR zu
O d . 1.1. Das Lemma noptpupCou , das allein Schol. L be-
wahrt hat, beweist, daß hier ein Exzerpt aus den 'Otmpiw«
Cnxripaxa des Neuplatonikers Porphyrios vorliegt, der
59) In: Pauly-Wissowas RE A2 7 (1940) Sp. 1051. - Zweifel an der Echtheit der Schrift auch bei Blass, Die atti-sche Beredsamkeit, 2. Bd., a.a.O., S. 336, und bei Usener, a.a.O.
- 168 -
seinerseits nicht unmittelbar aus Antisthenes, sondern
aus einer Zwischenquelle (Aristoteles?) geschöpft haben
dürfte. Diese mehrfach gebrochene Oberlieferung, die H .
Schräder, 'Porphyrii Quaestionum Homericarum ad Iliadem
pertinentium r e l i q u i a e '6 0
, aufgeklärt hat, stellt die
Interpretation vor außerordentliche Schwierigkeiten, da
sich im einzelnen nicht überall mit letzter Sicherheit
entscheiden läßt, ob und wieweit Porphyrios (oder seine
Quelle) den Text des Antisthenes und die Scholien wiederum
den Text des Porphyrios jeweils eigenmächtig gekürzt, er-
gänzt oder umgeformt haben. So ist eine genaue Analyse
der Oberlieferung unumgänglich.
Hier zunächst der Text mit kritischen Anmerkungen,
soweit sie für die Interpretation von Wichtigkeit sind.
Porphyrlus, Quaest. Horn. ap. Schol. L ad II. 9.308, Schol. HMQR a d . Od. 1.1 (frg. 51 C.):
60) Leipzig 1880, S . 386-388, wo die für die Quellen-kritik entscheidend wichtigen Lesarten des cod. Leidensis erstmals vollständig mitgeteilt werden.-Eine erste Ausgabe des Scholientextes aufgrund des cod. Q gab P . Buttmann, Scholia antiqua in Homeri Odysseam, Berlin 1821; G . Dindorf, Scholia in Homeri Odysseam, Oxford 1855, zog zur Texther-stellung HMQ heran. Eine Neuedition des Textes aufgrund der codd. HLMQR gibt A . Ludwich, Scholia in Homeri Odysseae A 1-43, auctiora et emendatiora, Index lectionum Königsberg 1888; jetzt wiederabge-druckt in: A . Ludwich, Scholia in Odysseae A 1-309, auctiora et emendatiora, hrsg. von H . Erbse, Hildes-heim 1966. V g l . außerdem Schräder, Porphyrii Quaesti-onum Homericarum ad Odysseam pertinentium reliquiae, Leipzig 1890, der jedoch nur HLM herangezogen hat. -Daß alle diese Ausgaben modernen Erfordernissen nicht mehr genügen, ist bekannt. Die dringend erwünschte neue Ausgabe der Porphyriusfragmente liegt jetzt zum Teil vor bei A . R . Sodano, Porphyrii Quaestionum Homericarum liber I, Neapel 1970, wo auch eine aus-führliche Obersicht über die einschlägige Literatur zu finden ist.
- 169 -
IlopqjupCou-
änopia, itoXuTponov ]
oüu enaiveTv q>r|aiv 'AVTKJ SEVTK "Optipov TOV 'O&uoaea (ictXXov r) yeyeiv \tyovia auTov noXuTponov.
5 OUHOUV tov 'AxiWia ('AyapEpvova Schräder, ex suo ut vide-t u r ) nai TOV Aiavia noXuTponouc , nenoiTinevai, &XX' anXOÜG nai f£vva6ac, oü6e TOV NeaTopa TOV ooipov oü pa Aia boXiov nai naXipißoXov TO r|-9o(, äXX' änXü(; TÜ ' A-j-apepvov I auvovTa nai TOTC äXXoi<; Snaoi nai elt; TO oTpaTonE&ov, ei TI i-yaOov
1o E!X EI ouixßouXeuovTa nai OUH inoMpunTopEvov. Hai TOOOÜTOV dneTxE T O Ü TOV TOIOÜTOV Tponov (ovTa add. H , ex quo TOV TO LOUTOTPONOV OVTA coni. Ludwich ) 4no5execi9ai 0 'AxiXXsuq, üc sx^POV Tiyefaöai ö(IOIUQ T Ü SAVATU ineivov, 05 x' ?TEPOV (IEV HEuftfl EVI QIPEOI, aXXo slren ( II. 9,
15 313 ).
XUAIC.
Xuuv oöv Ö ' AVT IOSEVTIC cpr|a F • TI OUVJ äpa YE novnpö«; o * 0 -6uao£uc, OTI noXuTponoc sppe&n (INXRIFRN M Q
R
)> «ai FIT), ÖIOTI ooqio<;, ouTut; auTov npoaEipTiHE (npot; auTov EIPRINE H ,
2o auTov npoE iprine LMQR; corr. Buttmann); HiirtoTE ouv Tponot; TO psv TI armaivei TO i-ftoc * TO 6e TI TTJV TOÜ Xoyou ^pffciv. EUTpono«; yap hvfip o TO 77 05 Ixuv ei? TO EÖ TETpannevov, Tpoitoi (Tponov Q Ludwich ) 6e Xoyuv (\o-you MLQ ) ai noial nXaoEi<; (aiTioi ai nXaaEK; codd. Lud-
25 wich; corr. Buttmann, post vocem nXaoEic; verba TOÜ aviToü inser. cod. L manus recentior) . nai XP'TT
011 T 5 T p o n u nai Eni tptovfft; nai £nl JIEXGv e^aXXafffc
ü<; Eni Tffc iribovoc, ri TE Sapa T p u n ü a a 1 noXutixEQ q>uvT)v (XEEI M£Xiii&EA T^lpuv äoibiiv L ) ( O d . 1 9 . 5 2 1 ) .
3 o e'I 6E o l ooipoi &EIVOI EIOI 6IAXEYEO®AI, n a i INIOTAVTAI TO auTO votjpa «aTa noXXout; Tponou<; X E Y E I V fcniaTapEvoi &E noX-Xouc Tponouc Xoyuv nEpi TOÜ auToü noXuTponoi äv sie», st &J 01 aoq>oi nai (äv-9pwno ic OPIXETV ) (inser. Schräder ex lulian. or. 1 p. 12 d) iyaöoi eiai, 61a TOÜTO cpTjoi TOV ' 06uooea "0-
35 PT1P0<; 0090V OVTO noXuTponov Eivai, OTI 6T\ TO TC ävöpo»noi<; r)nia-TITO noXXoit; Tponou; ouvefvai. OUTW Hai IIu©ayopa<; XE^ETOI NPOT nat6a<; ä^iuÖEic noiincaaöai Xoyou<; biaSEfvai npoc auTou^ Xoyou<; naibinoui; nai npo<; yu-vafKat; y-uvai^iv apnoSuouc Kai npoe; apxovTac dpxovTinouc Hai
4 ° NPO^ EIPRIßOUC kipr/ß IMOIK; . TOV yap EHOOTOK ; (ENAOTTIc, MQ ) npoocpopov Tponov TFLFI; ooiyiat; H E U P I O H E I V (009ia<; EOTIV add. Q )j &NAÖ£AC 6E elvai (om. H ) npoc; TOU<; ävo(loi«<; ?X°VTA<; T Ü TOÜ XO^OU xpT?°^
a
i H0V0TP0H<() (npo<; Toue; 4vopoiou<; EVTUYXOVOVTO T O Ü Xoyou TO uovoTponovLMQ ).
- 170 -
4 5 EXELV (EXEI L ) &E TOÜTO «A! T-QV LATPIKRIV EV tfT xt\c, TEx
V T
K K A T O P Ö U A E I , ri°KTiMuCa<; trft; OEpaneiac; TO noAu-tporcov biä TRIV TÜV \>£pan£uo|i£I/OJV noiKiAnv OUAIAOIV. xponot; JIEV ouv TO naAinßoAov to T O Ü f|$ou<;, tö noAuHEtä-ßoAov nai aatatov. Aoyou 6E noAutpoma Mal TIOIMIATI
5o Aoyou El<; fioiniAa; ä*oä; Hovotpoiua yivEtai- £v yap TO EH-AO TU O I H E T O V , 6IO Mal TO äp^öbiov Enaotw TT]V noiHiAiav toü Aoyou E I ; EV auvayEipEi- TO ENAOTU (TOV EHJOTU L , T O V Enao-TOU HMQR;Corr. Dindorf) npoa<?opov, TO 6' au HOVOEi&e<;, ÄVAPHACJTOV ov (TOV Q om.H ) npo; otMoat; öiacpopou;, noAu-
55 Tponov TTO i£ t" tov üno noAAüv an6ßA.r|TOV ü; auTOXc, änpoo-ipopov (änoßATjTov codd.; corr. Ludwich qui etiam de lectione anoxpotrov cogitavit) Aoyov.
Jede Interpretation dieses Scholions, um die sich vor
allem A . Rostagni, 'Un nuovo capitolo nella storia della
retorica e della s o f i s t i c a '6 1
, eingehend bemüht h a t , muß
von der Tatsache ausgehen, daß dem Text das Gliederungs-
schema von IVCTTOOK; und Auru; zugrundeliegt, wie es in
der ZTiTiinaTa -Literatur seit Aristoteles gebräuchlich ist
Die EvaTaoi; (Zeile 2-15), hier als änopia (Z. 2 ) be-
zeichnet, interpretiert das Odysseusepitheton JTOAUTPonoc,
tadelnd im Sinne eines Charakterfehlers als Synonym für
7iovT5po<; ; die Auoi; (Z. 16-57) stellt den Begriff dagegen
61) Studi Italiani d i Filologia Classica N . S . 2 (1922) S . 148-201; wiederabgedruckt in: A . Rostagni, Scritti M i n o r i , 1. B d . , Aesthetica, Turin 1955, S . 1 - 5 9 , wo-nach im folgenden zitiert w i r d . - Wichtig für die In-terpretation außerdem: H.J. Polak, Ad Odysseam eius-que scholiastas curae secundae, Leiden 1881, S . 12-17 Dümmler, Antisthenica, a.a.O., S . 26-45; C a i z z i , Anti stene, Studi Urbinati N . S . 1/2 (1964) S . 48-99, b e s . S . 74-80; d i e s . , Antisthenis Fragmenta, a.a.O., S . 105-107.
- 171 -
lobend im Sinne von Redegewandtheit als Synonym für cotpoi;
d a r . Beide Auffassungen faßt die Xuaic; in Form eines
Fragesatzes zusammen, den Porphyrios wörtlich aus Anti-
sthenes zitiert haben dürfte: acä ye ?tovr)po<; o 'O&uaoeüc,
6T T noXirtporcot; eppeöri, Mal , 5IOTI oo<po<;, OUTU <; auTov npoa-
EipriMEVj (Z. 17-20) .
Diese antithetische Gliederung, so klar sie ist, wird
gemeinhin verkannt, weil der Anfangssatz des Schollons miß-
verstanden w i r d . Dort heißt es OUH tnaivEtv CPRIAIV ' A V T IOSEVTK
"Opripov TOV ' Obuaaia päXXov TI VEYE IV XEYOVTOI OUTOV noXuTponov
(Z. 3 - 4 ) . Rostagni ist der Meinung, Porphyrios habe hier 6 2
"quasi per titolo" die Auffassung des Antisthenes refe-
riert; er übersetzt: "Antistene dice che Omero ne loda, ne
anche biasima Ulisse, chiamandolo noXuTponoc . und fol-
gert: "La posizione di Antistene e dunque una poslzione 64
d i neutralitä e , q u a s i , d i indifferenza morale." Diese
Interpretation ist irrig. Die Wendung ou iiSXXov .. . rj
wird niemals im ausschließenden Sinne von 'weder ... noch'
gebraucht, sondern bedeutet, entsprechend dem lateinischen
Ausdruck 'non magis ... quam', soviel wie: 'nicht sowohl ...
als vielmehr' (Locus classicus: Thukydides 2.87). Porphy-
rios referiert hier also nicht die These des Antisthenes,
sondern die These der ävoTocoK , die die Xuoiq dann wider-
legt: daß Homer Odysseus nicht sowohl lobe als vielmehr
tadle, wenn er ihn als noXuTponoc bezeichne.
62) A . a . O . , S . 8 . - V g l . C a i z z i , Antistene, a.a.O., S . 74, und Fragmente, a.a.O., S . 105, die urteilt: "... una breve introduzione riassuntiva d i Porfirio ..."
63) A . a . O . , S . 5. Ebenso C a i z z i , Antistene, a.a.O., S . 74.
64) A.a.O., S . 8. V g l . Caizzi, Fragmente, a.a.O., S . 105.
- 172 -
Es fällt auf, daß die beiden einander widerspre-
chenden Auffassungen des Wortes noXutponoc; gleichermaßen
als Auffassungen des Antisthenes referiert werden. Die
evotaan; beginnt: O6K ^ncuvEfv cpriotv 'AVT laöevri«; "Opripov •tov 'O&uacea |iä\Aov r\ ... (Z. 3-4); entsprechend
heißt es in der Vjaic : Au UV ouv o ' Avt IA$E vric qvriat ...
(Z. 17) Hierzu bemerkt Schräder sehr richtig: "Neque ...
inutile est monere quaestionem a Porphyrio servatam cer-
tissima dialogi vestigia prodere; vix enim aliter expli-
candum est, quod evotatiHoü ... et AuttnoC ... sustinere
personam idem Antisthenes videtur."®^ In der Tat hat der
Text auch noch einzelne Spuren mündlich-dialogischer Rede-
weise bewahrt. Hierher gehören die kolloquialen Wunsch-
und Beteuerungsformeln oü |ia Aia (Z. 7) und JUITIOTE (Z. 21)
sowie die nicht minder kolloquiale Frageformel TI OUV ; (Z. 17), der ein durch apo y£ (Z. 17) eingeleiteter Frage-
satz folgt, der ebenfalls noch die Lebhaftigkeit mündlicher
Rede spüren läßt. Es darf hiernach als wahrscheinlich gel-
ten, daß Antisthenes in einem Dialog zwei ünterredner auf-
treten ließ, die gesprächsweise verschiedene Ansichten über
den Sinn des Wortes noXutponoc entwickelten.
Die evotacric (Z. 2-15) will beweisen, daß Homer Odys-
seus nicht lobe, sondern tadle, wenn er ihn "vielgewandt"
(noXutponoc ) nenne (Z. 3-4).
Homer, so heißt es eingangs, habe Achill und Aias nicht
65) Porphyrii Quaestionum Homericarum ad Odysseam per-tinentium reliquiae, a.a.O., S . 175. - Ebenso urteilt Rostagni, a.a.O., S . 7: "Porfirio ... conserva le tracce della forma dlalogica in cui 1' opera di Antistene era evidentemente composta ...". Vgl. außerdem Caizzi, Antistene, a.a.O., S. 74; dies., Fragmente, a.a.O., S . 105.
- 173 -
als "vielgewandt" ( noXuTpono,; ) dargestellt, sondern als
"offenherzig" { arcAoüc ) und "edelmütig" ( Y£vväSe<; ) (Z. 5-7)
desgleichen werde Nestor, "der Weise" (o 00901; ) nicht als
"listig" (EioXioc ) oder "schwankend in seiner Sinnesart"
(naXipßoXot; TO rföoc; ) charakterisiert, er verkehre viel-
mehr "offenherzig" ( dnX5<; ) mit Agamemnon und den anderen
Helden und gebe, wenn er könne, seinen guten Rat, "ohne
etwas zu verbergen" ( OUM ANONPUTITOPEVOT; ) (Z. 7-11).
Die Beweisführung, die offenbar nach dem Prinzip der
steigernden Reihung angelegt war, so daß von Nestor ein-
gehender gesprochen wurde als von Aias und Achill, geht
aus von der Beobachtung, daß von allen homerischen Helden
einzig Odysseus das Beiwort noXuTpono<; führt. Um die Rich-
tigkeit dieser Beobachtung zu beweisen, führt Antisthenes,
sehr geschickt, Beispiele an: einmal Aias und Achill, die,
als "edelmütige" Helden, das Ideal aristokratischer Tapfer-
keit verkörpern, zum anderen Nestor, der, als "Weiser",
das Ideal heroischer Klugheit repräsentiert. Diese beiden
Grundtypen heroischer Vorzüglichkeit werden bei Homer ge-
meinsam als "offenherzig" charakterisiert. Hieraus ergibt
sich, ohne daß es ausgesprochen wird oder auch nur ausge-
sprochen werden müßte, daß Odysseus, wenn er, als Einziger,
"vielgewandt" genannt wird, als Gegenstück eines "offen-
herzigen" Helden dargestellt werden soll; er ist, was Nestor
nicht ist: "listig", "schwankend in seiner Sinnesart",
stets bereit, "etwas zu verbergen".
Es folgt die Bemerkung, daß Achill eine solche "Wendung
des Charakters" (Tponoc ) so sehr verabscheue, daß er sage,
ihm sei verhaßt wie der Tod, "wer eines in seinem Herzen
verberge, etwas anderes sage" ( Ö<; X' ETEPOV pev HEU-STI evi
9PEoi'v, aXXo Etnn [II. 9.313] ) (Z. 11-15).
Diese Bemerkung ergänzt die vorausgehende indirekte
- 174 -
Beweisführung durch einen direkten Beweis, der die Aversion
des aristokratischen Heldentums gegenüber jeder Art charak-
terlicher Verstellung dokumentiert. Darüberhinaus brauchte
auch hier nicht eigens betont zu werden, was ohnehin jeder
wußte: daß die starken Worte des Abscheus bei Homer nicht
nur ein allgemeines Bekenntnis formulieren, sondern auch
persönlich gegen Odysseus gerichtet sind, der soeben ver-
sucht hat, Achill durch eine geschickte Schmeichelrede zur
Wiederaufnahme des Kampfes zu überreden. So wird Odysseus
hier noch einmal indirekt als derselbe unaufrichtige und
verschlagene Charakter gezeichnet, als der er bereits vor-
her erschienen w a r .
Man könnte geneigt sein, diese ergänzende Bemerkung
für einen Einschub des Porphyrios zu halten, weil das Refe-
rat hier, anders als vorher, nicht in indirekter, sondern
in direkter Rede gehalten ist. Die prononcierte Verwendung
des Ausdrucks xpono<; (z 12), der im folgenden die Diskussion
beherrscht, läßt jedoch kaum einen Zweifel daran, daß auch
diese Passage antisthenischer Herkunft ist. Wie denn die
ganze Argumentation auch nur durch die Verbindung von direk-
tem und indirektem Beweis vollständig und in sich geschlos-
sen wirkt.
Die antisthenische Beweisführung findet eine überraschen-
de Parallele im platonischen 'Hippias minor'. Sokrates be-
ginnt dort das Gespräch mit der Frage, ob Achill oder Odys-
seus als der bessere Held anzusehen sei (p. 363b
; 3 6 4b c
) .
Hippias erklärt, Homer habe Achill als den "besten" (äpicxoi; ),
Nestor als den "weisesten" ( acxpJnraxoi; ) und Odysseus als den
"vielgewandtesten" (noAuxponcjxaxcx; ) Helden dargestellt
(p. 3 6 4c
) . Sokrates gibt vor, den Sinn des letztgenannten
Wortes nicht zu verstehen. Ob Achill etwa nicht als "viel-
gewandt" ( noAuxponc; ) dargestellt werde (p. 3 6 4c e
) ? Keines-
- 175 -
w e g s , antwortet Hippias, in den AITOU sage Achill zu
Odysseus, man müsse offen reden, verhaßt wie der Hades sei
i h m , "wer eines in seinem Herzen verberge, etwas anderes
sage" ( öc, x' ftepov päv KEuSn £vl <jp£0iv, äAAo bi eIutj
[ I I . 9.313]). Demnach habe Homer die "Charakterwendung"
(xponot;) Achills als "offenherzig" ( änAout; ) und "wahrhaftig"
( ocAr)c, ) charakterisiert, die des Odysseus aber als "viel-
gewandt" ( noAuTpono<; ) und "lügnerisch" ( \|/£U5T'(; ) (p. 3 6 4e
-
3 6 5 ^ ) . Womit das Gespräch Homer verläßt, um das Problem von
Wahrheit und Lüge allgemein zu behandeln (p. 3 6 5c
ff.).
Es leidet keinen Zweifel, daß diese Passage, die J . J .
Mulhern,' Tpono<; and rcoAmpoiua in Plato's Hippias mi-
nor' eingehend besprochen h a t , in engstem Zusammenhang
m i t den vorliegenden Ausführungen des Antisthenes steht.
Hier wie dort findet sich dieselbe Argumentationstendenz,
derselbe Homervers (II. 9.313) wird zitiert, und es g a b ,
soweit erkenntlich, auch einzelne Berührungen im Wortlaut
(Tpottoc;, ärcXouc; ). Daß es bei Antisthenes ebenfalls Hippias
gewesen ist, der die These vom lügnerischen Odysseus vor-
brachte, läßt sich nach alledem mit einiger Wahrscheinlich-
keit vermuten.
Die Frage nach der Priorität beider Stellen, die sich
sofort aufdrängt, ist nicht leicht zu beantworten. Rostagni
äußert sich unentschieden: "... non credo possiblle sta-
bilire la prioritä d e l l ' uno piuttosto che d e l l ' altro au-
t o r e . "6
' Anders Wilamowitz: "Wenn Antisthenes in den Scho-
lien zu dem Verse sich mit der Erklärung abmüht, so zeigt
66) Phoenix 22 (1968) S . 283-288. - Zum Dialog insgesamt v g l . zuletzt R . G . Hoerber, Plato's Lesser Hippias, Phronesis 7 (1962) S . 121-131, der die ältere Literatur verzeichnet.
73) A.a.O., S . 17.
- 176 -
seine Beziehung auf dieselben Homerstellen und auch die
Erwähnung des weisen Nestor (364c) , daß er Platon vor 68
Augen hat." Gerade das Beispiel Nestors spricht jedoch
eher dafür, daß die Priorität bei Antisthenes liegt. Anti-
sthenes nennt Nestor als ein Beispiel heroischen Heldentums,
damit sich der fragwürdige Charakter der Odysseusgestalt
umso deutlicher dagegen abheben kann; Platon hingegen, dem
alles an dem Gegensatz zwischen Achill und Odysseus gelegen
Ist, erwähnt Nestor nur beiläufig, ohne daß der Argumenta-
tionszusammenhang hierfür einen Anlaß geboten hätte. Platon
dürfte die Ausführungen des Antisthenes spielerisch aufge-
griffen haben, um seinen Dialog einzuleiten, unbekümmert
darum, daß die Erwähnung Nestors jetzt ihre argumentative
Bedeutung verlieren mußte.
Wie immer man auch die Frage der Priorität entscheiden
mag - daß die beiden vorliegenden,einander so ähnlichen
Textstellen in engem zeitlichen Abstand voneinander ent-
standen sein müssen, liegt auf der Hand. Da der 'Hippias
minor' nach übereinstimmender Ansicht zu den frühesten pla-
tonischen Dialogen gehört, so kann die vorliegende Schrift
des Antisthenes schwerlich anders als in die neunziger Jahre
des vierten Jahrhunderts datiert werden. Es handelt sich
hier um das früheste Beispiel einer literarischen Ausein-
andersetzung zwischen zwei Sokratikern, von der wir wissen.
Die Auai<; (Z. 16-57) will beweisen, daß Homer Odysseus
nicht als "schlecht" ( novnpo<; ) , sondern vielmehr als
68) Platon, 1. Bd., a.a.O., S . 134, A n m . 2. - Ebenso urteilt Caizzi, Fragmente, a.a.O., S . 105: "Piatone precede forse 1' opera di Antistene; certo, pare ignorarne com-pletamente 1' interpretazione." - Als Kuriosum sei an-gemerkt, daß Winckelmann, den Dümmler, a.a.O., S . 38, zitiert, die Ansicht geäußert hat, Antisthenes sei der Verfasser des platonischen Hippias minor.
- 177 -
"weise" (oo«poq ) darstelle, wenn er ihn "vielgewandt"
( no\uTpoJio(; ) nenne (Z. 17-20) .
Der Begriff "Wendung" (Tpono<; ) , heißt es eingangs,
bezeichne einmal "die Sinnesart" (iiSot; ), zum anderen den
"Gebrauch der Rede" ( XP'NCRIC TOC AOYOU) (Z. 21.22). Dem-
nach bezeichne man als "gutgewandt" (euTponoi; ) einen Men-
schen, dessen Sinnesart "dem Guten zugewandt sei" ( el<;
TO eu TETpappevov ) ; die "Wendungen der Rede" ( Tpönoi TOÜ \OYOU ) seien deren "so und so beschaffene Bildungen"
( ai Ttoifxi n\aae ic, [corr. Buttmann] ) (Z. 22-25).
Die Beweisführung exponiert einleitend die Lösung
des Problems mit sicherem Griff, indem sie der moralisie-
renden Auffassung des Wortes TIOA.UTPOTIO<; , die die evaTaaic; als selbstverständlich vorausgesetzt hatte, eine rhetori-
sche Interpretation entgegensetzt. Die beiden Bedeutungs-
aspekte werden am Begriff Tpono<; entwickelt, den W . Thimme,
'4TTIS-, H90E, TP0II0E'69
, eingehend untersucht hat. Der
ethisch-charakterologische Aspekt wird im folgenden durch
das Adjektiv eÜTponot; paradigmatisch rekapituliert, der
rhetorisch-rednerische Bedeutungsaspekt, der die weitere
Diskussion beherrscht, wird hier vorderhand durch das wohl
unmittelbar von Antisthenes herrührende Synonym ai noiat
n\aoei<; umschrleben, dessen genauere Bestimmung die Be-
weisführung noch zu erbringen hat.
Diese einleitenden Ausführungen werden ergänzt durch
die Bemerkung, daß Homer den Begriff "Wendung" (Tponoe )
auch verwende, "um die Stimme und den Wechsel der Melodien
69) Diss. Göttingen 1935. Vgl. außerdem Caizzi, Antistene, a.a.O., S . 76; dies.,Fragmente, S . 105 f.
- 178 -
auszudrücken" (knl raoivffr ueXiöv e£a?.>aY'k ) ; er sage
beispielsweise von der Nachtigall, daß sie ihren Gesang
"vielfach wendend" ( S a ^ TpwnSoa [Od 19.521 ]) ertönen
lasse (Z. 27-29).
Schol. L hebt diese Bemerkung durch das Lemma TOU aüxoü (Z. 25-26) aus dem Kontext hervor, um die porphyriani-
sche Herkunft auch dieses Stückes zu kennzeichnen. In
der Tat läßt sich nicht leugnen, daß die vorliegende
Passage den Gedankengang formal und inhaltlich unter-
bricht. So bereitet es Schwierigkeiten, den Namen Homers,
wie man m u ß , als Subjekt des Verbums xPf
)Ta
>' (Z. 27) zu
ergänzen, nachdem er weiter oben schon einmal als Sub-
jekt zu npooe Jprjv.E (Z. 19-20) ergänzt werden m u ß t e . Noch
befremdender wirkt e s , daß der phonetisch-musikalische
Aspekt des Begriffs, der hier an einem Odysseevers
(19.521) eingehend expliziert wird, im weiteren Verlauf
der Beweisführung neben dem ethischen und dem rhetori-
schen Bedeutungsaspekt nicht die geringste Rolle spielt.
Dieser Befund erlaubt mehrere Deutungen, die aufzuzäh-
len man sich begnügen m u ß . So könnten die Scholien eine
Bemerkung des Porphyrios aus ihrem ursprünglichen Zusam-
menhang gelöst und hier an sachlich einschlägiger Stelle
eingefügt haben; Porphyrios könnte die Bemerkung aber
auch aus eigenen Stücken in den Gedankengang des Antisthenes
eingefügt haben, um dessen Ausführungen über den Begriff
xponoc, gelehrt zu komplettieren; schließlich wäre es auch
noch möglich, daß Antisthenes sich selber auf solche Weise
unterbrochen hat, um hier, bei passender Gelegenheit, bei-
läufig Uber den musikalischen xpono<; anzumerken, was er
in seiner Schrift ÜEPI IIOUCUHTK (VIII 1) näher ausgeführt
haben mochte.
- 179 -
Nach dieser kurzen Unterbrechung, deren Herkunft zwei-
felhaft bleibt, nimmt die Argumentation mit derselben ge-
danklichen Strenge ihren Fortgang, mit der sie begonnen hat-
te. Gesetzt, "die Weisen sind groß in der Führung eines dia-
lektischen Gesprächs" "0901 Icivot clcriv £ i^XEyioüa. 1 ),
so verstünden sie auch, ein und denselben Gedanken "durch
vielerlei Wendungen" ( HOT« nok\ovc, xponouc; ) auszudrücken,
und dürften so zu Recht "vielgewandt" ( no>u-tpo-*.oi ) genannt
werden (Z. 30-32). Und weiter: Gesetzt, "die Weisen sind
auch vortrefflich im Umgang mit Menschen" (ol ao<?oi nai
(avöpJSno ic, öpiAetv) [inser. Schräder] ayadoC elaiv ), so habe
Homer Odysseus "vielgewandt" ( noXuxponoc, ) genannt, da er,
"weise, wie er ist" ( ootpov OVT<X ) , es verstanden habe, mit
den Menschen "durch vielerlei Wendungen" ( noXXoit; TPOML ; )
zu verkehren (Z. 32-36).
Die Beweisführung verläuft in zwei kurzen Gängen, die,
einander ergänzend, jeweils den rhetorischen Aspekt des Be-
griffes Tporcoc, zugrundelegen, der eingangs expliziert wur-
d e . Beide Beweisgänge gehen von Bestimmungen menschlicher
Weisheit aus, die, als selbstverständlich, nicht weiter dis-
kutiert werden. Die erste Bestimmung setzt Weisheit ineins
mit dialektischem Ausdrucksvermögen, die zweite mit psy-
chologischem Einfühlungsvermögen, so daß einmal mehr die
objektiv-technische, einmal mehr die subjektiv-psychagogische
Seite des rhetorischen xponot; betont wird. Folgerichtig
ist der erste Beweisgang allgemein gehalten, während der
zweite die konkrete Anwendung auf Odysseus bringt, mit der
das eigentliche Beweisziel erreicht ist. Man geht schwerlich
fehl, wenn man in dieser doppelt gehaltenen, stufenförmigen
Argumentationsstruktur einen Reflex dialogischer Gedanken-
führung erblickt.
Es folgen einige erläuternde Anmerkungen. Zunächst ein
- 180 -
historisches Exempel: Pythagoras, aufgefordert, für Kinder
Reden zu verfassen, habe spezifische Kinderreden entworfen
und entsprechend auch für Frauen Frauen-,für Herrscher
Herrscher- und für Epheben Ephebenreden geschrieben (Z. 37—4i
Es ist fraglich, ob hier Antisthenes oder Porphyrios
spricht. Auszugehen ist von der Tatsache, daß Porphyrios
dieselbe Geschichte, mit einer leichten Variante, auch in
seiner Vita des Pythagoras c. 18 erzählt, dort aber nicht
Antisthenes, sondern Diakaiarch (frg. 33 Wehrli) als Quelle
nennt. Dieser Befund ist nicht leicht zu deuten. Schräder
urteilt: "Adducor, ut haec Porphyrio quam Antistheni tri-
buere malim."^° In der Tat erscheint es glaubhafter, daß
Porphyrios eine peripatetische Quellenreminiszenz, die ihm
aus seinen Pythagorasstudien gewärtig sein mußte, als gelehr
tes Apercu in den Text des Antisthenes eingefügt hat, als
daß Antisthenes von sich aus in dialogisch-philosophischem
Zusammenhang, in dem das historische Detail eher fremd wirkt
einen Einzelzug aus der Pythagoraslegende als Beispiel ange-
führt haben sollte.
7o) A.a.O., S . 2. V g l . Buttmann, a.a.O., S . 562.-Ebenso urteilt auch A . Delatte, Essai sur la politique pythagoricienne, Paris-Lüttich 1922, S . 39.; L . Rader-macher, Artium Scriptores, Sitzungsberichte der Wie-ner Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Klasse, 227. Bd., Wien 1951, S . 121; neuerdings F . Buffi^re, Les mythes d' HomSre et la pensee Grecque, Paris 1956, S . 368, A n m . 9.- Zur Stellung der Pythagorasreden innerhalb der komplizierten Überlieferung der Pythago-raslegende vgl. vor allem E . Rohde, Die Quellen des Jamblichus in seiner Biographie des Pythagoras [Schluß], Rheinisches Museum 27 (1872) S . 23-61, hier bes. S . 26-29; J . Jäger, Die Quellen des Porphyrios in seiner Pythagoras-Biographie, Diss. Zürich 1919, S. 39 ff.; Rostagni, a.a.O., S . 35-56; G . Rathmann, Quaestiones Pythagorae, Orphicae, Empedocleae, Diss. Halle 1933, S . 3-5, 146.
- 181 -
Diese Vermutung gewinnt an Gewißheit, wenn man die
folgenden Ausführungen näher betrachtet. Es heißt d o r t ,
daß es ein Zeichen von "Weisheit" ( o o y i a ) sei, "die für
jeden angemessene Wendung herauszufinden" ( T O V I N A O T O I ;
npoocpopov T p o n o v ^ ^ E u p i c K E t v ), ein Zeichen von "Unbelehrt-
heit" (ä|j.a9ia ) dagegen, "sich gegenüber ungleichen Menschen
nur einer einzigen Wendung der Rede zu bedienen" ( npoc xouc
ivopoiu^ ex°vTa<; TÜ TO& XÖyov xpn°-3<*i (xovOTponu ) (Z. 41-44).
Hierauf folgt ein Beispiel: Auch die Medizin handele, "bei
sachgemäßem Vorgehen" ( ev TFF Trfc TEXVII<; naTopSwosi ), nach
dieser M a x i m e , "indem die Therapie das Vielgewandte beobach-
te, wegen der verschiedenartigen Verfassung der Patienten"
( ^oMTiHuiac T T S E p a n E i a i ; TO no\uxponov 6ia TTJV TUV OEpanEuo^evuv
noiHtA.T)V aucrraaiv) (Z. 4 5 - 4 7 ) .
Rostagni bemerkt zu diesen Sätzen, die gedanklich zu-
sammengehören und auch formal durch Indirekte Rede eng
miteinander verknüpft sind: "Queste parole hanno solo 1'
apparenza d i essere u n ' osservazione generale, non dettata
dalla considerazione d i alcun caso particolare. Invece, e
per la forma ( top ) e per il concetto, risulta c h ' essa si
applicano prima di tutto al c a s o , particolare, d i Pitagora.
£ Pitagora che impartisce ... il grado d i 009Ca conveniente
a ciascuno; e pitagorica infatti, 1' antitesi d i oo<pta
ed äp.aSia ... II confronto che segue ... fra 1' arte della
parola e la medicIna ... £ pure d i origine pitagorica."^1
71) A . a . O . , S . 14 f . - Ähnlich urteilt J o e l , Der echte und der xenophontische Sokrates, 2. B d . , a.a.O., S . 209, der glaubt, Dikaiarch habe aus Antisthenes geschöpft. V g l . neuerdings auch M . Dfetienne, Homere, Hesiode et Pythagore, Collection Latomus 57, Brüssel 1962, S . 54 f . - Unentschieden in der Quellen-frage Polak, a.a.O., S . 15; Caizzi, Antistene, a . a . O . , S . 75 f.; d i e s . , Fragmente, a.a.O., S . 105 f f .
- 182 -
Hieran ist soviel richtig, daß, wer die vorstehende Er-
zählung über Pythagoras für antisthenisch hält, nicht um-
hin kann, die hier in Frage stehenden Bemerkungen für py-
thagorischer Herkunft zu halten. Einer solchen Anname ste-
hen aber erhebliche Schwierigkeiten entgegen. Die Anti-
these von Weisheit und Unbelehrtheit und die paradigmatische
Erwähnung der Medizin sind allzu gängige Vorstellungen
griechischen Denkens, als daß man sie speziell für Pytha-
goras i n
Anspruch nehmen dürfte. Antisthenes verwendet bei-
de Begriffe denn auch, sogar in Verbindung miteinander, im
'O&uoaeu; (I 4) , wo es von Aias heißt: qiSovov nai atiaövav
voaeic; (frg. 15 § 13 C.). Wie denn überhaupt die Verwen-
dung der Ausdrücke 6 E H M T O K ; npoocpopoc; xpono«; ( z . 41)
und noiHiXri OÜÖTOOK; (Z. 47) und mehr noch der Gebrauch
der Wendung TO novoxponov (Z. 43) in rhetorischem statt in
charakterologischem Sinne so ungewöhnlich und so eng mit
der gesamten Argumentation verknüpft sind, daß der Schluß
nicht von der Hand zu weisen ist, daß es sich hier um wört-
liche Zitate einer spezifisch antisthenischen Nomenklatur
handelt. Es kommt hinzu, daß die Begründungspartikel -yap
(Z. 41), die die vorliegende Passage einleitet, gar nicht
an die Pythagorasgeschichte anknüpft, sondern vielmehr die
vorausgehende Beweisführung gedanklich neu begründet, in
der dargelegt wurde, daß die "Weisen" sich gegenüber den
Menschen auf "vielerlei Wendungen" der Rede verstehen müß-
ten. Aus alledem ergibt sich, daß es höchstwahrscheinlich
Porphyrios gewesen ist, der die Pythagorasreminiszenz in den
antisthenischen Gedankengang eingefügt hat. Womit auch alle
Spekulationen über den Einfluß pythagoreischen Denkens auf
die Philosophie des Antisthenes hinfällig werden.
Es ist zweierlei, was hier neu in den Blick kommt. Ein-
mal der Gedanke, daß die rednerische "Weisheit" nach Analogie
- 183 -
zur Medizin durchaus als technisches Wissen zu gelten hat,
das "sachgemäßes Vorgehen" erfordert. Zum anderen rückt
das Verhältnis zwischen Redner und Zuhörer, das bisher nur
am Rande eine Rolle spielte, jetzt in den Mittelpunkt der
Argumentation, indem als selbstverständlich vorausgesetzt
wird, daß die Menschen "ungleich" sind. Es wird nicht gesagt,
worin diese Ungleichheit besteht, aber der medizinische Ana-
logiebegriff ixoihiXt) ouotcccit; (Z. 47) legt nahe, daß an die
ethische Befindlichkeit gedacht ist, die prinzipielle cha-
rakterliche Unterschiede zwischen den Menschen setzt wie
auch momentane psychologische Veränderungen im Menschen be-
wirkt. Jede kunstgemäße Rhetorik muß dieser Tatsache Rech-
nung tragen, indem sie nicht "Eingewandtheit" der Rede wal-
ten läßt, sondern das "Vielgewandte", so daß jedem Menschen
"die ihm jeweils angemessene Wendung" der Rede zuteil werden
kann. Kurz: die sprachliche "Vielgewandtheit" des Redners
hat ihren Ursprung in der ethischen Vielgewandtheit der Zu-
hörer. Mit anderen Worten: Es zeigt sich, daß die beiden As-
pekte des Tponcx; -Begriffes, die eingangs unterschieden wur-
den, in einem engen Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen
Die Beweisführung kommt zum Ende. "Wendung" (xponot; )
bezeichnet also "das Schwankende der Sinnesart" (TO NAXIP-
ßoAov TOÜ riöoui; ) , "das sich vielfach Ändernde" (TO NO\V-PETaßoXov ) und das "Unbeständige" ( aaTciTov ) (Z. 48-49).
Die "Vielgewandtheit der Rede" ( \OTO» rtoXtiTporua ) und der
"verschiedenartige Gebrauch der Rede" (XPIT°I<; TIOIKIXTI T O Ü \o-fou
erscheine jedoch gegenüber verschiedenartigen Zuhörern als
"Eingewandtheit" (povoTporua ) (Z. 49-50). Denn: "Eines ist
es, was jeglichem von Hause aus zukommt." ( EV yap T5 enacr-
TW OIHEIOV ) (z. 50-51). So ergibt sich: "Das für jeden
Passende läßt die Verschiedenartigkeit der Rede in eins zu
saimnenfallen: in das für jeden Angemessene" ( TO ÄPFIOSIOV
EXAOTÜ) TR,v JtoiHiXiav TOÜ Aoyou EI<; ev CUVAYEIPEI* TO INAOTW
- 184 -
jtpooqjopov ) (Z. 51-53). Und umgekehrt: "Das Eingestaltige,
da unpassend für verschiedene Zuhörer, macht die Rede viel-
gewandt, so daß sie von vielen verworfen wird, weil sie für
diese unangemessen ist." ( TO 6' au tiovoet&e;, avapHoaxov
ov rtpoq ÄKoa; & iaq>opou<;, noXuTporcov noiei TOV üno tioXXüv äno-ßXT)Tov u; auxoTc änpoaqpopov [corr. Ludwich ] Xoyov )
(Z. 53-57).
Schräder ist der Ansicht, "haec alterum esse scholium 72
ex eadem guaestlone longe guidem peius excerptum ...
Die Stelle ist jedoch alles andere als eine Doublette. Rich-
tig ist, daß der Unterschied zwischen ethischem und rheto-
rischem Aspekt des iponoc, -Begriffes, der eingangs expliziert
wurde, hier noch einmal rekapituliert wird. Diese Rekapitula-
tion, die im übrigen durch die Partikel ouv (Z. 48) deutlich
gekennzeichnet ist, leitet jedoch einen ganz neuen Gedanken
ein, ohne den die gesamte Argumentation unvollständig wäre:
daß sich die "Vielgewandtheit" der Rede als "Eingewandtheit"
darstellt. Es ist der Satz: "Eines kommt jeglichem von Hause
aus zu", der diese Vorstellung plausibel machen soll. Gilt
dieser Satz, der hier ohne nähere Begründung nachgerade for-
melhaft eingeführt wird, so ergibt sich, daß die "Vielgewandt-
heit" der Rede von ethisch unterschiedlich disponierten Zu-
hörern als "einheitlich" aufgefasst wird, well jeder Einzel-
ne jeweils die Wendung der Rede vorfindet, die für ihn "an-
gemessen" und "passend" ist, während eine "eingestaltige"
Rede nicht als einheitlich, sondern als "vielgewandt" empfun-
den werden m u ß , weil die unterschiedlich disponierte Zuhörer-
72) A.a.O., S . 2. - Noch radikaler urteilt Polak, a.a.O., S . 16, der den resümierenden Eingangssatz dieser Stelle als Einschub "cuiusdam grammatici ... an lectoris" betrachtet.
- 185 -
schaft nur eine einzige Wendung der Rede vorfindet, die
folgerichtig als unangemessen "verworfen" w i r d .
Die Begrifflichkeit dieser Schlußbetrachtung, der man
eine paradoxe, ja gewaltsame Logizität nicht absprechen
kann, ist so eigentümlich, daß man sie ohne Bedenken auf
Antisthenes zurückführen d a r f . Abgesehen von so auffälligen
Wendungen wie rtoAup.£Taßo\ov (Z. 4 8 ) , TO ä p p o & i o v emÄotu
(Z. 5 1 ) oder p o v o £ i & s < ; (Z. 5 3 ) , ist vor allem auf die beiden
Substantive n o \ u T p o n t a (Z. 4 9 ) und p o v o T p o n i a (Z. 5 0 ) hinzu-
w e i s e n , die hier statt der üblichen charakterologischen ei-
ne rhetorisch-sprachliche Bedeutung besitzen, die ganz sin-
gulär ist. Noch lehrreicher sind die Ausdrücke ANOßXRITOC
(Z. 5 5 ) und O U E I O V (Z. 5 0 - 5 1 ) , weil es sich hier nachweis-
lich um terminologisch feststehende Begriffe antisthenischen
Denkens handelt. So spielt das Adjektiv anoßAntos , das hier
eher beiläufig verwendet w i r d , eine nicht unwichtige Rolle
in der Ethik des Antisthenes, in der der Grundsatz gilt:
Triv ap£TT|v ... ävanoßXt|Tov ünapxe iv ( f r g . 23 C . ) . D e r B e -
griff des O I H E I O V , der hier für die gesamte Beweisführung
die Schlußpointe liefert, ist von größter Bedeutung für die
Dialektik, wo die einzig richtige, durch strenge Notwendig-
keit gekennzeichnete Verbindung zwischen Wort und Ding als
O I H E T O C Ao-fot; bezeichnet wird (frg. 4 7 C . ) , und liegt glei-
chermaßen auch der Ethik zugrunde, d i e , wie noch näher zu
zeigen sein w i r d , indem sie das Schlechte als £evov bezeich-
n e t , das Gute als o£HE tov bestimmt (frg. 73, 81 C . ) . Aus
alledem ergibt sich nicht nur, daß die vorliegende Passage
den Wortlaut des antisthenischen Originals im wesentlichen
treu bewahrt hat, sondern auch, was ungleich wichtiger ist,
daß Rhetorik und Philosophie bei Antisthenes keine vonein-
ander geschiedenen oder gar gegensätzlichen Bereiche dar-
stellen; beide Bereiche gehören vielmehr eng zusammen, der-
gestalt, daß die Philosophie die Begründung auch für die
- 186 -
Rhetorik liefert. Ebendarum wird auch der Redner mit dem-
selben Ausdruck wie der Philosoph als oocpo; bezeichnet.
Dieser Sachverhalt erlaubt wiederum Schlüsse auf den ge-
danklichen Ursprung der antisthenischen Rhetorik. Rostagni
war der Meinung, Antisthenes habe hier nicht mehr als "una
riproduzione delle dottrina d i Gorgia"^3
gegeben. Aber in
diesem Falle müßte m a n , konsequenterweise, auch die gesamte
Philosophie des Antisthenes in ihren Grundzügen als gorgi-
anisch oder doch wenigstens als sophistisch betrachten.
Womit denn Antisthenes unversehens vom Sokratiker zum So-
phisten w ü r d e . In Wahrheit dürfte es sich umgekehrt verhal-
ten: Die Philosophie des Antisthenes ist aus sokratischen
Denkansätzen entstanden,und folglich ist auch die rhetori-
sche Theorie sokratischem Denken verpflichtet. Das heißt:
Antisthenes hat sich mit Rhetorik beschäftigt nicht bevor
oder obwohl er Sokratiker w a r , sondern als Sokratiker.
Diese Überlegung gewinnt noch an Gewißheit, wenn man
die Frage stellt, wer die These der A U O K im Rahmen des
antisthenischen Dialogs vorgetragen hat. Daß Antisthenes
selber als Sprecher auftrat, darf als unwahrscheinlich aus-
ser Betracht bleiben, auch wenn die vorgetragenen Ansichten
ohne Zweifel die seinen gewesen sind. Auf die richtige
Spur führt ein Zeugnis, das bisher noch nicht die nötige
Aufmerksamkeit gefunden hat. Xenophon bemerkt M e m . 4.6.15,
Sokrates habe behauptet, Homer stelle Odysseus als "un-
fehlbaren Redner" ( pfi-ropa äaspaArf ) d a r , weil er es verstan-
den habe, seine Reden "durch für die Menschen plausible
Erwägungen" ( 610 TWV 6CWOUVTUV T O K avSpwrco H; ) überzeu-
gend zu gestalten. Caizzi bemerkt hierzu: " ... difficile
73) A . a . O . , S . 17.
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46 di non pensare a questo testo antistenico" . In der Tat,
wer mit der exzerpierenden Arbeitsweise Xenophons vertraut
ist, wird nicht zögern, diese Bemerkung, die ohne jede
Vorbereitung ganz unvermittelt und unverbunden im Kontext
erscheint, als eine zitathafte literarische Anspielung auf
den antisthenischen Odysseus zu verstehen. Dann aber ist
der Schluß unumgänglich, daß bei Antisthenes kein anderer
als Sokrates es gewesen ist, der Odysseus als weisen Redner
gegen den Vorwurf der Lügenhaftigkeit so geschickt und
scharfsinnig zu verteidigen wußte, wie es die Auoic demon-
striert.
Hier gilt es innezuhalten und zusammenzufassen. Es hat
sich als wahrscheinlich herausgestellt, daß die unbekannte
antisthenische Schrift, die Porphyrios exzerpiert hat, ein
Dialog gewesen ist, der in den frühen neunziger Jahren ent-
standen ist: in diesem Dialog stellte ein Gesprächsteilnehmer
vielleicht der Sophist Hippias, die Behauptung auf, Homer ha-
be Odysseus durch das Beiwort noXuTportoi; als moralisch frag-
würdigen Charakter darstellen wollen; Sokrates verwies dem-
gegenüber auf die rhetorische Bedeutung des Beiwortes und
entwickelte eine philosophisch begründete rhetorische The-
orie, aus der sich ergab, daß Homer Odysseus nicht als Lüg-
ner, sondern als Idealbild des guten Redners dargestellt
habe.
74) Fragmente, a.a.O., S . 107; dies., Antistene, a.a.O., S . 78. - Anspielungen auf die vorliegende Schrift des Antisthenes dürften vorliegen auch bei Dlo, o r . 71 und bei Julian, or. 1 und 2, wo Odysseus als Idealbild des Redners gerühmt wird; v g l . hierzu im Einzelnen E . Heber, De Dione Chrysostomo Cynicorum sectatore, Leipziger Studien 10 (1887) S. 79-268, hier bes. S . 227f. 262. - Nachzutragen zu Z. 27-29 ist noch Eusthat. p . 1381, 45-47, wo ebenfalls von der noXuxponia der Nachtigall die Rede ist.
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Gesetzt, daß diese Vermutungen das Richtige treffen,
so ergeben sich bedeutsame Konsequenzen nicht nur für
Antisthenes, sondern auch für die Sokratik im allgemeinen.
Einige Andeutungen müssen genügen. Einmal: Antisthenes ist,
neben Platon, der früheste Vertreter des sokratischen Dia-
logs, von dem wir wissen. Wilamowitz' apodiktisches Urteil:
"Es ist nicht der Schatten eines Grundes, die Xoyoi Suxpa-
TiHOt für eine Erfindung dieses Sophisten zu halten."^5
,
bedarf zum mindesten der Uberprüfung. Zweitens: Antisthenes
hat die neue literarische Kunstform des sokratischen Dia-
logs, die er womöglich mitgeschaffen hat, in derselben Wei-
se zur Darstellung eigener Gedanken benutzt, wie es Platon
und Xenophon getan haben. Womit der quasihistorisch-fiktive
Charakter dieser Literaturgattung einmal mehr deutlich wird
Drittens endlich: Antisthenes hat seine rhetorisch-philoso-
phischen Thesen sehr früh literarisch fixiert, so daß die
übrigen Sokratiker, namentlich Platon, die Grundzüge anti-
sthenischen Denkens bereits vor Augen hatten, als sie ihre
eigenen Entwürfe schriftlich an die Öffentlichkeit zu brin-
gen begannen.
Zurück zum Titel Ilepi Ae^eu; fi nepi xapaKtfipwv, von dem
die Diskussion ihren Ausgang genommen hat.
Es ist nicht gewiß, wenn auch keineswegs ausgeschlos-
sen, daß die Schrift, die diesen Titel trug, dieselbe ge-
wesen ist, wie jene, deren Rekonstruktion im vorhergehenden
versucht wurde. Außer Zweifel steht aber in jedem Fall, daß
75) Platon, 2. Bd., a.a.O., S. 27. - Gegen die oft wie-derholte Behauptung, daß kein anderer als Platon als Erfinder des sokratischen Dialogs in Frage kom-men könne, wendet sich zu Recht 0 . Gigon, Sokrates, Bern 1947, S . 29 ff.
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Antisthenes in dieser Schrift die Grundzüge ebenjener rhe-torischen Theorie entwickelt hat, deren er sich bediente, um Odysseus als guten Redner gegen den Vorwurf der Lügen-haftigkeit zu verteidigen: daß Rhetorik, wofern sie fach-gerecht ausgeübt werde, v ie le r le i verschiedene Formen red-nerischer Ausdrucksmittel beherrschen müsse, um so jeden einzelnen Zuhörer in seiner jeweils unterschiedlichen ethisch-psychologischen Disposition angemessen und passend ansprechen können. Von hier aus erschließt sich auch die Bedeutung der Tite lbegri f fe , deren Erklärung anders nicht befriedigend gelingen wollte. Wenn der Titel von xi^ic, spricht, so meint er dasselbe, was Antisthenes, offenbar älterem Sprachgebrauch folgend, als X P ^ O I C ; T O Ü A O Y O U be-zeichnet hat. Nicht ganz so eindeutig läßt sich der Begriff \apanxf\p£c, bestimmen, den der Titel an zweiter Stelle nennt. Es ist wahrscheinlich, daß hiermit die verschiedenen Formen der Rede bezeichnet wurden, die Antisthenes rponot oder auch noial nXaoen; nannte; möglich wäre jedoch auch, dafi die verschiedenen ethisch-psychologischen Dispositionen der Zuhörer gemeint waren. Die Differenz ist nicht von gros-ser Bedeutung, da die Redeformen ja den ethischen Disposi-tionen genau entsprachen. Entscheidend ist , daß einmal mehr klar wird, daß Antisthenes hier nicht, wie Rostagni glaubt, die "classificazione dei tre s t i l i " 7 6 vorgelegt haben kann,
76) A.a.O., S. 7 f . Vgl. oben, S. 152, Anm. 57. - Rostagni weist, a.a.O., darauf hin, daß Odysseus, Menelaos und Nestor in stoischen Handbüchern als heroische Arche-geten der drei klassischen genera dlcendi erscheinen. Allein, diese Tatsache beweist nichts, da bei Anti-sthenes Odysseus nicht als ein Beispiel eines guten Redners unter anderen gefeiert wird, sondern als Ideal- und Musterbild des perfekten Redners schlecht-hin.
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sondern eine ganz andere rhetorisch-ethische Typologie ent-
wickelt haben muß, die, da die Formen der Rede "vielfältig"
waren, sehr viel ausführlicher und eingehender gewesen sein
muß, als die kanonische Dreiteilung der Stilarten. Man
wüßte gerne Genaueres über dieses Klassifikationsschema,
aber die Uberlieferung schweigt zu diesem Punkte, und so
lassen sich die Einzelheiten nicht einmal erraten. Aber
auch so steht außer Zweifel, daß es sich bei der vorliegen-
den Schrift um ein hochbedeutsames Werk gehandelt haben muß:
Antisthenes gab hier nichts Geringeres als einen Entwurf ei-
ner Theorie der Rede, die er aus dem Geist der Sokratik phi-
sosophisch begründete - ein frühes und jedenfalls achtbares
Gegenstück zum platonischen 'Gorgias' und 'Phaidros'.
2 AÜcic; fi Aiavtoc (I 2)
Dümmler fand, daß der Herausgeber diesen Titel " i n e p t i u s " ^
zusammengestellt habe. Sehr zu Unrecht. Denn während der
bloße Namentitel Atoe, den Benutzer des Katalogs im Unkla-
ren lassen mußte, was er hier zu erwarten hatte, etwa eine
Rede des Aias oder eine über Aias oder eine Abhandlung oder
einen Dialog, in dem Aias eine Hauptrolle spielte, läßt der
Alternativtitel Atav-ror, Koyoc auf den ersten Blick erken-
nen, daß es sich hier um nichts anderes handelt als um eine
Rede, die Aias in eigenem Namen vorgetragen hat.
Die Rede selber ist erhalten im berühmten Kodex Pala-
tinus 88 (X), der die superscriptio ' Avt icöevric• Ata;
bietet.
77) Antisthenica, a.a.O., S. 25.
3 'O&uaoEuc r] [ n e p l ] *05uooEue, \AOYO<;) (I 3)
Die überlieferte Fassung dieses Titels darf mit Recht als
"töricht" bezeichnet werden. Denn daß eine Schrift, die
d e n T i t e l 'o&uaoeuc t r ä g t , a u c h nepl 'o&uaa£w<; h a n d e l t ,
versteht sich von selbst und bedarf keiner besonderen No-
tierung. So ist die Vermutung nicht von der Hand zu weisen,
daß die Überlieferung des Alternativtitels korrupt ist. Me-
nagius empfahl als Verbesserung: "Scripserat, puto, Laerti-« , , 78
u s , nEpi '06uaaeta<; ." ; I . C a s a u b o n u s , ' N o t a e a d D i o g e n e m
Laertium', schlug vor: "Nimis certe est legendum esse ünEp
'Obvaaiwc, aut certe ' 0 & U O O E W < ; \6yoc, , ut modo dixit Aiaq
ri Alavtcx; A6yo<; Welcher dieser drei Vorschläge das
Richtige trifft, lehrt der Palatinus X , der die vorliegende
Schrift unter dem Lemma 'Obuaaeu<; erhalten hat: es handelt
sich hierbei weder um eine Rede für Odysseus noch gar um
eine Abhandlung über die 'Odyssee', Odysseus spricht vielmehr
78) Observationes et emendationes in Diogenem Laertium, in: Commentaril in Diogenem Laertium, 2. Bd., a.a.O., S . 9. - Menagius scheint hierbei an den Titel nepl '0&uaaeCa<; (ix 1) gedacht zu haben; dieser Titel wird jedoch nicht als Alternativtitel zum Titel (I 3) gebraucht, sondern steht absolut.
79) In: Commentarii in Diogenem Laertium, 1. Bd., Leipzig 1830, S . 95. - Die Konjektur unep 'o&uaoEui; fand Beifall bei Deycks, De Antisthenis Cynici vita et doctrina, a.a.O. S . 12, A n m . 1, sowie bei I.G. Baiter/H. Sauppe, Oratores Attici, 2. Bd., Zürich 1850, S . 167. - Dagegen wird die Emendation 'Obvoaeas (Xoyoc) zu Recht verteidigt von Mueller, De Antisthenis Cynici vita et scriptis, a.a.O., S . 34, dem sich Mullach, Philosophorum Graecorum Frag-m e n t a , 2. Bd., a.a.O., S . 270 anschließt. V g l . außerdem die gründliche Beweisführung bei H . J . Lulolfs, De Anti-sthenis studiis rhetoricls, Diss. Amsterdam 1900, S . 66 ff und neuerdings Caizzi, Antisthenis Fragmenta, a.a.O.,
S . 17, 78.
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selber in eigenem Neimen, um sich zu verteidigen, nicht anders
als vorher Aias. Es kann demnach nicht der geringste Zweifel
bestehen, daß der Alternativtitel nach dem Vorbild des vorher-
gehenden Titels zu emendieren ist: die Präposition nepi ist
zu streichen und das Substantiv Xoyo*; zun Ende des Titels ein-
zufügen. Die Textverderbnis dürfte dadurch entstanden sein,
daß das abschließende Substantiv, das vielleicht als Kürzel
geschrieben wurde, ausfiel; worauf man sich den nun sinn-
losen Genetiv ' 0&uaaeu<; nicht anders zu erklären wußte als
durch die Einfügung der Präposition nepi, wie sie bei jeder
Titelgebung geläufig ist.
Es stellt sich die Frage, wieso sich gerade die beiden vor-
genannten Deklamationen Ala<; und '0&uaaeu<; als einzige Schrif-
ten aus dem umfangreichen literarischen Nachlaß des Antisthenes
erhalten konnten. F . Blass, 'Die attische Beredsamkeit', hat
diese auffällige Tatsache zu erklären versucht: "Irgend ein
Rhetor der byzantinischen Zeit ... hat für Schulzwecke eine
Auswahl von je zwei Reden verschiedener Verfasser veranstaltet;
er beschränkte sich nicht auf die kanonischen zehn, sondern
nahm ... auch Gorgias, Antisthenes und Alkidamas mit je zwei
Reden auf. Dem Palatinus des Lysias ist ein Fragment dieser Aus-
wahl, die beiden letzteren Sophisten und zwei lysianische Reden
sammt dem Fragment des Demades umfassend, angefügt worden; die
Helena folgt an anderer Stelle nach; im Crippsianus des Antiphon
Andokides u.s.f. stehen die beiden des Gorgias und der Odysseus
des sogenannten Alkidamas ••• Die Auswahl scheint bei den So-
phisten durch das Interesse der Späteren für mythische Stoffe Q _ beeinflusst ..." Diese Erklärung trifft ohne Zweifel im we-
sentlichen das Richtige. Allerdings ist kaum glaublich, daß
man in byzantinischer Zeit noch über das Gesauntwerk von Gorgias,
Alkidamas oder Antisthenes verfügt hat. Die Auswahl dürfte viel-
mehr bereits in der Antike veranstaltet worden sein, vielleicht
im zweiten, spätestens aber im vierten nachchristlichen Jahr-
hundert, in dem Julian (frg. 8 C.) und Themistios (frg. 27 C.)
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das Werk des Antisthenes noch einmal, ein letztes Mal im
Original eingesehen zu haben scheinen.
Die beiden Reden sind die einzigen Schriften des Anti-
sthenes, die sich vollständig erhalten haben, und da sie
bisher noch nicht ins Deutsche Ubersetzt worden sind, so
mag hier, als Einführung in die Interpretation, zunächst
eine Ubersetzung Platz finden, die auf Glätte und bequeme
Lesbarkeit verzichtet, um Antisthenes möglichst genau zu
Wort kommen zu lassen. Als Grundlage dient die maßgebliche
kritische Ausgabe des Textes, die F . Blass, 'Antiphontis
Orationes et Fragmenta adiunctis Gorgiae Antisthenis Alci-81
damantis declamationibus' , vorgelegt hat.
81) 1. A u f l . , Leipzig 1871; 2 . A u f l . , ebenda 1881, S . 175-182.- Blass weist in der Präfatio der 2. A u f l . p . XXVIII—XXXI überzeugend nach, daß die Uberlieferung der Deklamation allein durch den Palatinus 88(X) re-präsentiert w i r d , demgegenüber alle anderen Handschrif-ten ohne eigenständigen Wert sind, auch der Laurentianus plut. 57,4, dem die 1. A u f l . p . XVI-XVIII noch eine Sonderstellung einräumen zu müssen glaubte. - Die De-klamationen des Antisthenes wurden zuerst ediert von Aldus Manutlus, Orationes horum rhetorum: ... Antisthenis ..., Venedig 1513; es folgen; H . Stephanus, Oratorum veterum orationes, Paris 1575, S . 181-183; J . J . Reiske, Oratores Graeci, 8 . B d . , Leipzig 1778, S . 52-63; N . Du-k a s , OL XOYOT Ttov ' A T T L K ~ V PR)Tor-WV , 9. Bd., Leipzig 1813, S . 319-325; I. Bekker, Oratores Attici, 5. B d . , Berlin 1824, S. 663-667 (erste brauchbare Ausgabe); G . S . Dob-son, Oratores A t t i c i , 4 . B d . , London 1828, S . 642-648, 689; Winckelmann, Antisthenis Fragmenta, a.a.O., S . 38-44; I.G. Baiter/H. Sauppe, Oratores A t t i c i , 2 . Bd., Zürich 1850,S. 167-169; C . Müller, Oratores A t t i c i , 2 . B d . , Paris 1858, S . 193-197; Blass, a.a.O.; Lulolfs, De Antisthenis studiis rhetoricis, a.a.O., S . 62-77; Radermacher, Artium Scrlptores, a.a.O., S . 122-126; C a i z z i , Antisthenis Fragmenta, a.a.O., S . 24-28 (frg. 14,15). - Nachzutragen bleibt, daß Dobson, a.a.O., 14. Bd., S . 500-503, eine lateinische Übersetzung bei-der Stücke vorgelegt h a t , die Müller, a.a.O., unver-ändert abdruckt; J . Humble, Antisthenes'Fragmenten, D i s s . Gent 1932, S . 91-98, gibt eine niederländische Übersetzung.
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Aias oder des Aias Rede (frg. 14 C.):
(1) "Ich wollte, dieselben Leute richteten Uber uns, die auch bei den Vorgängen dabeigewesen sind. Denn ich weiß, daß ich dann schweigen könnte, dem aber brächte sein Reden keinen Vorteil. Jetzt aber sind diejenigen, die bei den Taten selbst ( T O T C Epyo ic auxofc coni. Reiske; T O T C au-rolc epr°ic X) anwesend waren, abwesend, und ihr, die ihr von nichts wißt, richtet. Aber welch ein Richtspruch kann wohl von Richtern ergehen, die nichts wissen? Und dies durch Reden? Der Vorgang geschah durch die Tatl
(2) Den Körper Achills habe also ich in Sicherheit gebracht, indem ich ihn trug, die Waffen der da, well er wußte, daß die Troer nicht so sehr der Waffen, sondern des Leichnams sich zu bemächtigen trachteten. Denn hätten sie sich dessen bemächtigt, so hätten sie den Körper mißhandelt und sich die Auslösung Hektors gesichert; die Waffen hier aber hätten sie nicht den Göttern
(3) aufgestellt, sondern versteckt, aus Furcht vor diesem vortrefflichen Manne d a , der schon früher ihr Kult-bild der Göttin bei Nacht aus dem Tempel geraubt hat und sich dann, als habe er etwas Schönes vollbracht, vör den Achaiern präsentierte. Und ich beanspruche nun, die Waffen zu erhalten, um sie den Angehörigen weiterzugeben, der aber, um sie für Geld wegzugeben, da er wohl kaum wagen wird, sie zu benutzen. Kein Feigling benutzt nämlich ausgezeichnete Waffen, weil er weiß, daß die Waffen seine Feigheit an den Tag bringen.
(4) Es ist nun beinahe alles ähnlich (axe&ov uev ouv t a u anavia opoia X , vix recte; desideratur adhuc emen-datlo): diejenigen nämlich, die den Rechtsstreit ver-anstaltet haben, die von sich behaupten, Könige zu sein ((paoKov-tEc eivai ßaoiXeic coni. Jernstedt; alii aliter: obu ovtec, Inavol ßaaiXeTc Reiske, ßaaiXeic e>tovTec eivai Bekker, ewov-rec eivai [ßaoiXeic] Sauppe; OUH ovxec eivai ßaaiAefc X), haben es anderen Uberlassen, Uber die Vortrefflichkeit zu entscheiden, und ihr, die ihr von nichts wißt, versprecht, zu richten, worüber ihr nichts wißt. Ich aber verstehe dies: kein König, der etwas taugt, wird es anderen Uberlassen, über die Vortrefflichkeit zu entscheiden, nicht mehr als ein guter Arzt einem anderen anheim-stellen wird, Krankheiten zu erkennen.
(5) Und wenn ich es nun mit einem gleichgearteten Manne zu tun hätte, so würde es für mich keinen Unterschied
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machen zu unterliegen. Jetzt aber gibt es nichts, was sich mehr unterscheidet als ich und der da. Er tut nichts öffentlich, ich wage nichts heimlich zu tun. Und ich könnte es nicht ertragen, daß man schlecht über mich redete oder mich gar (y'av coni. Blass; Y<«P X ) schlecht behandelte, der da sogar, daß man ihn aufhinge,
(6) wenn nur irgendein Gewinn zu erwarten ist. Hat er sich doch den Sklaven zum Auspeitschen dargeboten und sich den Rücken mit Knüppeln und das Gesicht mit Fäusten schlagen lassen, und hat sich dann Lumpen umgeworfen, ist nachts in die Festung der Feinde eingedrungen, hat den Tempel beraubt und ist verschwunden. Und nun beansprucht dieser von der Peitsche gezeichnete Tempelräuber, die Waffen Achills zu erhalten?
(7) Ich sage euch nun, euch unwissenden Schiedsmännern und Richtern: Schaut nicht auf die Reden, wenn ihr über die Vorzüglichkeit entscheidet, sondern lieber auf die Taten! Denn auch der Krieg wird nicht durch die Rede entschieden, sondern durch die Tat, und man kann gegenüber den Feinden keine Widerrede vorbringen, sondern muß kämpfend siegen oder schweigend als Sklave leben. Dies faßt ins Auge und bedenkt: Wenn ihr nicht gut richtet, werdet ihr merken, daß die Rede keine
(8) Kraft hat im Vergleich zur Tat, und daß euch ein Mann, der redet, nicht helfen kann, und werdet begreifen, daß aus Unfähigkeit zu Taten viele lange Reden gehal-ten werden. Also: sagt entweder, daß ihr nicht ver-steht, was gesprochen wird, und erhebt euch, oder richtet richtig. Und dies tut nicht versteckt, sondern offen, damit ihr merkt, daß auch die Richtenden sel-ber Rechenschaft geben müssen, wenn sie nicht richtig richten. Und dann werdet ihr vielleicht merken, daß ihr nicht als Schiedsrichter von Gesagtem, sondern
(9) als Mutmaßende dasitzt. Ich gestatte euch, Uber mich und meine Taten Erkenntnisse vorzubringen, Mutmaßungen anzustellen verbiete ich jedoch allen, zumal über einen Mann, der nicht freiwillig, sondern unfreiwillig nach Troja gekommen ist, und über mich, der ich stets als erster und einziger und ohne Mauer die Stellung halte."
Odysseus oder des Odysseus Rede (frg. 15 C.):
(1) "Nicht an dich allein geht die Rede, derentwegen ich mich erhoben habe, sondern auch an alle anderen. Denn ich habe dem Heere mehr Guttaten erwiesen als ihr alle. Und dies würde ich sagen, wenn Achill noch
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lebte, und sage es jetzt zu euch, wo er tot ist. Ihr nämlich habt keinen anderen Kampf gekämpft, den nicht auch ich mit euch bestanden habe, von meinen eigenen gefahrvollen Unternehmungen aber ist keiner von euch
(2) jemals Zeuge gewesen. Jedoch, bei den gemeinsamen Kämpfen konnte sich kein Vorteil ergeben, auch nicht wenn ( o v b l ei coni.Reiske; °ÜTE E! X) ihr gut strittet, - bei meinen gefährlichen Unternehmungen aber, die ich allein bestanden habe, wenn ich da Erfolg hatte, so war euch alles erfüllt, weswegen ihr nach Troja gekommen seid, wenn ich aber scheitern sollte, so hättet ihr nur mich, einen einzigen Mann verloren. Nicht nämlich um mit den Troern zu kämpfen, sind wir hierher gekommen, sondern um Helena zu holen
(3) und Troja einzunehmen. Dies alles aber lag in meinen Unternehmungen beschlossen. Denn da geweissagt worden war, Troja sei uneinnehmbar, bevor wir nicht das Kultbild der Göttin holten, das man von uns gestohlen hat - wer anders hat das Kultbild hierher gebracht als ich? Den du des Tempelraubes bezichtigst! Du weißt gar nichts, wenn du den Mann, der das Bild der Göttin geborgen hat, nicht aber den, der es heimlich
(4) von uns entwendet hat, Alexandros, als Tempelräuber beschimpfst. Und daß Troja genommen wird, darum betet ihr alle, mich aber, der herausgefunden hat, wie das geschehen kann, beschimpfst du als Tempelräuber? Aber wenn es schön war, Ilion einzunehmen, so auch, die Ursache hierfür zu finden. Und die anderen sind dank-bar, du aber machst mir sogar noch Vorwürfel Aus Unwissenheit nämlich weißt du nichts von den Guttaten,
(5) die man dir erwiesen hat. Und ich mache dir nicht die Unwissenheit zum Vorwurf (unfreiwillig nämlich erleidest du dies und alle anderen), sondern daß du nicht zugeben kannst, durch meine Schandtaten gerettet worden zu sein, vielmehr auch noch drohst, diesen Leuten hier einen Schaden zuzufügen (bpctau^ TI coni. Reiske; SpoaavTi X), wenn sie bei der Abstimmung die Waffen mir zusprechen sollten. Vielfach und viel-mals wirst du drohen, bevor du auch nur eine Kleinig-keit tust; wenn man aber aus der Wahrscheinlichkeit Schlüsse ziehen darf, so wirst du, glaube ich, auf-grund deiner schlimmen Zornmütigkeit dir selber noch etwas Schlimmes antun ( epyaoeoOai coni. Blass; epyäoaoSaT X) .
(6) Und mir wirfst du nun Feigheit vor, weil ich den Feinden heimlich (Kadpa inser. Blass) Schaden zuge-fügt habe, du aber bist töricht gewesen, weil du dich vor aller Augen und erfolglos abgemüht hast. Oder (fi inser. Blass e d . I) glaubst d u , ein besserer Mann
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Mann zu sein, weil du dies im Verein mit allen getan hast ( TOCT' E6paoa<; corr. codd. dett.,touTo bpaaac, X) ? Und dann redest du zu mir über die Vor-trefflichkeit? Du weißt ja zunächst nicht einmal, wie man kämpfen m u ß , sondern schießt im Zorne dahin wie ein wilder Eber und wirst dich womöglich noch einmal selber auf üble Weise töten, indem du In dein Schwert (E,lq>ei inser. Blass) stürzt. Weißt du nicht, daß ein vortrefflicher Mann weder durch sich selbst (ü<p' aütou coni. Reiske ün' aüxou X) noch durch einen anderen noch durch seine Feinde Irgendein Übel erlei-
(7) den kann? Du aber freust dich wie ein Kind, weil diese Leute hier sagen, du seiest tapfer; ich hingegen sage, daß du der feigste von allen bist und der am meisten todesfürchtige. Besitzt du doch zunächst einmal ( Tip COT o v corr. c o d . d e t . , ÖTPUTOV X) unzerstörbare und unverwundbare Waffen, durch die d u , wie man sagt, unverwundbar bist. Aber was könntest du ausrichten, wenn dir einer der Feinde m i t solchen Waffen entgegen-träte? Wahrhaftig, das wäre eine schöne und bewunderns-werte Sache, wenn keiner von euch Irgendetwas ausrich-ten könnte! Zum anderen: glaubst d u , daß es einen Unterschied macht, solche Waffen zu besitzen ( E X E I V coni Reiske, ex^v X) oder innerhalb einer Mauer zu sitzen? Und du brauchst als einziger keine Mauer, wie du sagst. Du gehst ja als einziger herum, eine sie-
(8) benhäutige Mauer vor dir hertragend, ich aber gehe waffenlos nicht an die Mauer der Feinde heran, son-dern durch die Mauern selber hindurch, nehme die Wäch-ter der Feinde wachend mitsamt ihren Waffen gefangen, bin Feldherr und Wächter von dir und allen anderen und weiß, was hier und was bei den Feinden geschieht, nicht weil ich einen anderen auf Kundschaft schicke (ncpnuv corr. c o d . d e t . , n e u m X), sondern selber gehe ( luv inser. Blass; ov.oniöv Reiske) . Wie die Steuerleute Tag und Nacht darauf schauen, wie sie die Schiffsbesatzung vor Unheil bewahren, so bewahre auch
(9) ich dich und alle anderen vor Unheil. Es gibt kein ge-fährliches Unternehmen, in dem ich den Feinden irgend-welchen Schaden zufügen konnte, das ich gemieden habe, weil ich es für schimpflich hielt, und ich wäre auch nicht wagemutig, wenn man mich sehen könnte, weil mich nach äußerem Schein gelüstete, sondern wenn ich als Sklave oder als ausgepeitschter Bettler den Feinden irgendein Übel zufügen könnte, so würde ich den Ver-such machen, auch wenn es keiner sähe. Denn nicht nach äußerem Schein, sondern nach der Tat verlangt der Krieg, allemal, Tag und N a c h t . Ich besitze auch keine bestimm-ten Waffen, in denen ich die Feinde auffordere zu kämpfen, sondern bin, auf welche Weise man w i l l , gegen
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(10) einen und gegen viele stets bereit. Auch gebe ich nicht, wenn ich erschöpft bin vom Kämpfen, die Waffen, wie du, an einen anderen, sondern wenn die Feinde sich ausruhen, dann greife ich sie in :der Nacht an mit solchen Waffen, die ihnen am meisten schaden. Und mich hat noch niemals (nai ovbi coni. Sauppe; MOI OUTE X) die Nacht abgehalten, so wie sie dir beim Kampfe oftmals erwünschte Ruhe gewährt hat, sondern wenn du schnarchst, dann sorge ich für dein Heil und füge den Feinden immer wieder irgendwelchen Schaden zu mit diesen sklavenmäßigen Waffen, den Lumpen und den Peitschenstriemen, derentwegen du sicher schläfst.
(11) Du glaubst, tapfer zu sein, weil du den Leichnam ge-tragen und geborgen hast? Wenn du ihn nicht zu tragen vermochtest, so würden ihn zwei Männer tragen. Und hernach würden auch jene womöglich ( ICTUQ coni.Blass; nüt; X) mit uns über die Vortrefflichkeit streiten. Ich könnte ihnen gegenüber dieselbe Rede halten, was aber würdest du sagen, wenn du mit ihnen streiten müßtest? Oder magst du dich um Zweie nicht kümmern,
(12) schämst dich aber zuzugeben, daß du feiger gewesen bist als Einer? Weißt du nicht, daß den Troern nicht an dem Leichnam, sondern an den Waffen lag ( E H EA E V corr. codd. dett., E J I EXXE V X), daß sie sie bekämen? Den nämlich mußten sie zurückgeben, die Waffen aber konnten sie in ihren Heiligtümern für die Götter auf-stellen. Denn es ist nicht schimpflich, wenn man eine Leiche nicht bestattet ( ävaipou^Evotc corr. codd. dett., ava ipouHEvout; X),sondern wenn man sie nicht zum Begraben herausgibt. Du also hast geborgen, was ohne-hin sicher war, ich aber habe ihnen weggenommen, was uns Schande gebracht hätte.
(13) Du krankst an Neid und an Unwissenheit, den beiden ein-ander am meisten entgegengesetzten Übeln: jener läßt dich nach schönen Dingen verlangen, diese hält dich davon zurück. Dir ist etwas Menschenübliches wider-fahren: weil ( 6L6TL corr. cod. det., & O T I X) du stark bist, glaubst du auch tapfer zu sein. Du weißt nicht, daß Klugheit im Kriege und Tapferkeit nicht dasselbe sind wie Stärke; Unwissenheit ist jedoch das größte
(14) Übel für die, die sie besitzen. Ich glaube, wenn es einmal einen Dichter gibt, der weise ist in Sachen der Vortrefflichkeit, so wird er mich darstellen als viel-duldend, vielplanend, vielerlei Listen wissend, als Städtezerstörer und einzigen Eroberer Trojas, dich aber, wie ich glaube, wird er in deitier Natur verglei-chen mit störrischen Eseln und weidenden Rindern, die sich selbst anderen anbieten ( tapExouoi coni. Reiske; ünopxouai X), um gebunden und unter das Joch gebracht zu werden."
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Die beiden vorliegenden Reden sind von F . Blass, 'Die atti-82
sehe Beredsamkeit' , grundlegend analysiert, und von 83
H . J . Lulolfs, 'De Antisthenis studiis rhetoricis' , und
A . Bachmann, 'Aias et Ulixes declamationes utrum iure attri-84
buantur Antistheni necne' , ausführlich kommentiert w o r d e n ,
so daß sich die Darstellung im folgenden auf einige wesent-
liche Punkte beschränken kann.
Zunächst der Mythos, der den äußeren Rahmen für beide
Reden abgibt. Die berühmte Geschichte vom 'Streit um die
Waffen' wird in der antiken Überlieferung, deren Quellen 85
C . Robert, 'Die griechische Heldensage' , eingehend unter-
82) 2. Bd., 2. A u f l . , Leipzig 1892, S . 337-344; d e r s . , Antiphontis Orationes, a.a.O. - V g l . außerdem J . D a h m e n , Quaestiones Xenophonteae et Antisthenicae, D i s s . Mar-burg 1897, S . 56-60; neuerdings vor allem R . Hölstad, Cynic Hero and Cynic King, Diss. Uppsala 1948, S . 94-102 G . Kennedy, The art of persuasion in G r e e c e , Prlnceton 1963, S . 170-172; Caizzi, Antistene, a.a.O., S . 66-74.
83) D i s s . Amsterdam 1900, S . 60-118.
84) D i s s . Münster 1911. - V g l . neuerdings den kurzen Kommen-tar bei Caizzi, Antisthenis Fragmenta, a.a.O., S . 89-92.
85) 3 . B u c h , 2 . A b t . , 1. Hälfte, Berlin 1923, S . 1198-1207; d e r s . , Bild und L i e d , Philologische Untersuchungen 5 , Berlin 1881, S . 213-221. V g l . neuerdings F . V i a n , Quintus de Smyrne, La Suite d ' Homere, 2 . B d . , Paris 1966, S . 7 - 1 7 . - Eine Bemerkung zur Quellenkritik der otiXuv KpiJic; . Die älteste Erwähnung dieser GeBchichte findet sich in der 'Odyssee' 11.543 ff.: Odysseus er-zählt, wie Aias ihm in der Unterwelt gezürnt habe
E I v£HCT V CH I I C / T I IV LUV iy&> VIHT|OA 6 iK<X£OJIEvot; napa vriuot/ TEU'/Eaiv ap(p' 'Ax^-rioc- E ^ h e 6e noTvia p^trip,/ nat&Et; 6e Tpwtov btnaoav Mal TlaAXar. 'Aöiivr)Robert, Bild und L i e d , a.a.O S . 221, Heldensage, a.a.O., S . 1199, ist der Ansicht, es handele sich hier um eine mißverstandene oder miß-verständliche Anspielung auf die 'Kleine Ilias' (frg. 2 Kinkel), in der erzählt wurde, man habe auf Nestors Rat Späher nach Troja geschickt, die heimlich belauschten, wie troische Mädchen, die Athene beeinflußte, die Taten des Odysseus bei der Bergung Achills mehr lobten als je-n e , die Aias vollbracht hatte. Diese Annahme, der u . a . v . Wilamowitz, Homerische Untersuchungen, Philologische
- 200 -
sucht hat, höchst unterschiedlich dargestellt. So wird
Untersuchungen 7, Berlin 1884, S . 153 f., und E . Bethe, Homer, 2. Bd., Berlin 1922, S . 245, beipflichten, hält genauerer Nachprüfung nicht stand. Die 'Odyssee' weiß von einem förmlichen Prozess, der "bei den Schiffen" stattgefunden hat, die 'Kleine Ilias' kennt dagegen nur eine Belauschung "bei den Mauern" Trojas; im übrigen muß die Wendung nai&Et; Tpuwv (Od. 11 .547) nach Analogie zu Ausdrücken wie ulec 'Axaiwveher als poetischer Ausdruck für TpÜE<; aufgefaßt werden denn als Synonym für Tputnai napÖEvoi. Nach alledem kann kein Zweifel sein, daß die 'Odyssee' nicht die 'Kleine Ilias' im Auge hat, sondern eine ganz andere Version der Erzählung, die später in den Odysseescholien HQV z.St. und bei Apollodor 5.6 mythographisch, bei Quintus von Smyrna 5. 106 ff. poe-tisch fixiert wird: daß die Griechen, um ein möglichst unparteiisches Urteil zu gewährleisten, die Entscheidung über den Besitz der Waffen trolschen Kriegsgefangenen überlassen haben. Die Anspielung der 'Odyssee' ist im übrigen von so voraussetzungsreicher Kürze und Knappheit, daß sich der Eindruck aufdrängt, der Dichter habe eine konkrete, poetisch fixierte Darstellung im Auge gehabt. Am ehesten käme hierfür^die 'Aithiopis' (frg. 2 Kinkel) in Frage, in der die uploii; ausführlich dargestellt wurde. Diese Vermutung, die zuerst G.F. Welcker, Der epische Cyclus, 2. Bd., 2. Aufl., Bonn 1882,S. 177 f., geäußert hat, dem Vian, a.a.O., S . 8 jetzt folgt, ver-liert allerdings an Überzeugungskraft, wenn man die dritte Version der Geschichte in Betracht zieht, die auf frühen Vasenbildern sowie bei Pindar, Nem. 8.26 f. und Sophokles, Aias v . 1135 vorausgesetzt ist und später kanonisch wird: daß es die achäischen Helden selber gewesen sind, die durch Abstimmung die Entschei-dung über den Besitz der Waffen herbeiführten. Diese einfache und rezeptionsgeschichtlich maßgebliche Version der Geschichte dürfte es gewesen sein, die in der 'Aithiopis' erzählt wurde, nicht die komplizierte und wenig bekannte Fassung der 'Odyssee'. In diesem Falle bleibt freilich rätselhaft, woher der Odyssee-dichter seine Anspielung genommen hat; wie umgekehrt die Herkunft der kanonischen Version rätselhaft bleiben müßte, wenn man die Fassung der 'Odyssee' für die 'Aithiopis' in Anspruch nähme. Aber das Verhältnis der 'Odyssee' zu den außeriliadischen Mythen und Epen über Troja gibt ja ohnehin die größten Rätsel auf.
- 201 -
allein die Entscheidung über den Besitz der Waffen, die
hier im Mittelpunkt steht, in drei verschiedenen Versionen
erzählt, die allesamt früh bezeugt sind: Einmal sind es die
achäischen Helden, die die Entscheidung durch eine Abstim-
mung herbeiführen; dann wieder sind es troische Kriegsge-
fangene, denen man die Abstimmung überläßt, um ein möglichst
unparteiisches Urteil zu gewährleisten; schließlich gibt
die Aussage troischer Mädchen den Ausschlag, die man helm-
lich in der Stadt belauscht hat. Es stellt sich die Frage,
welche dieser Versionen Antisthenes im Auge gehabt hat. Die
Reden gehen davon aus, daß die Könige die Entscheidung zur
Abstimmung an ein Gremium von Richtern delegiert haben, die
selber am Kampf um Achills Leiche nicht teilgenommen haben
(Ai. § 4, Od. §5; vgl. A i . §§ 1, 7f.). Diese Voraussetzung
trifft sowohl auf die erste wie auf die zweite Version der
Erzählung zu, die beide von einer regelrechten Gerichtsver-
handlung wissen, die die dritte Version nicht kennt. Blass
entschied sich für die zweite Variante, in der erzählt wurde,
daß troische Kriegsgefangene das Urteil fällen: "Ai. 1. 4.
7f. werden die Richter ou&ev e i & o T e < , (Gegensatz: i tapayevoiievoi ) 86
genannt, was nur zu dieser Version des Mythus paßt." Es
spricht indes nichts dagegen, daß auch die achäischen Helden
als "unwissend" bezeichnet werden konnten, da der Kampf »im
Achills Leiche mythischer Tradition zufolge im wesentlichen
allein von Aias und Odysseus geführt wurde. Wie denn auch
Aias die Atriden und das von ihnen eingesetzte Gericht mit
ganz anderen, ungleich stärkeren Argumenten hätte angreifen
können, ja müssen, wenn er tatsächlich troische Kriegsgefangene
86) A.a.O., S . 338, Anm. 1. V g l . außerdem Lulolfs, a.a.O., S . 85 f., der im übrigen die Verse O d . 11.543 ff. für die unmittelbare Quelle des Antisthenes hält; Caizzi, Antistene, a.a.O., S . 66. - Ein beiläufiger Widerspruch gegen Blass bei Robert, Heldensage, a.a.O., S . 1199, Anm. 5; vgl. jetzt Vian, a.a.O., S . 8, Anm. 1.
- 202 -
vor sich gehabt hätte. So ergibt sich der Schluß, daß Anti-
sthenes bei Abfassung der Reden die erstgenannte Fassung
der Geschichte im Auge gehabt hat, die voraussetzt, daß
ein Schiedsgericht achäischer Helden einberufen wurde, vor
dem Aias und Odysseus ihre Ansprüche auf den Besitz der
göttlichen Waffen des toten Achill möglichst überzeugend
und beweiskräftig vortragen mußten.
Im Rahmen dieser allgemeinen Erzählsituation, die auf
die 'Aithiopis1
zurückgehen dürfte und früh kanonisch wird,
nehmen die Reden vielfach Gelegenheit, auf andere Begeben-
heiten der Trojasage einzugehen. So wird erzählt, daß Aias
unzerstörbare Waffen besitze (Od. § 7); daß Odysseus nur
unter Zwang nach Troja gekommen sei (Ai. § 8) und daß er
das Palladion geraubt habe (Ai. § 3; O d . §§ 3 f., 8, vgl.
10); daß beim Kampf um den toten Achill Aias die Leiche,
Odysseus die Waffen gerettet habe (Ai. §§ 2, 6; O d . § 11 f.);
schließlich wird voraussagend angedeutet, daß Aias durch
Selbstmord enden werde (Od. § 5 f.). Es fällt auf, daß
diese Anspielungen und Andeutungen zum größeren Teil andere
Versionen des Mythos bieten, als die traditionelle Überlie-
ferung kennt. So wird etwa der Raub des Palladions seit dem
kyklischen Epos gemeinhin nicht vor, sondern nach dem Waf-
fenstreit erzählt; so weiß die Uberlieferung seit der Tra-
gödie wohl von der körperlichen Unverwundbarkeit des Aias,
nicht aber von unzerstörbaren Waffen; desgleichen wird nir-
gends anders als hier berichtet, daß Aias die Leiche, Odys-
seus die Waffen Achills geborgen habe. Gleichviel, ob diese
auffälligen Abweichungen von der traditionellen Überlieferung
auf unbekannte Nebenquellen zurückzuführen sind oder ob es
sich, ungleich wahrscheinlicher, um Autoschediasmen handelt,
die im Verlauf der rednerischen Argumentation ad hoc er-
funden sind, - in jedem Fall zeigt sich, daß Antisthenes mit
- 203 -
den überlieferten Mythen höchst kenntnisreich und höchst
eigenständig umgegangen ist.
In auffälligem Gegensatz zu dieser souveränen Behand-
lung der mythischen Stoffe steht eine höchst kenntnisreiche
und detaillierte Benutzung Homers, der einmal in Form eines
vaticinium ex eventu als "weiser Dichter in Sachen der aper^"
(Od. § 14) gepriesen wird. Hierher gehört vor allem die
Aufzählung der lobenden Odysseusepitheta noxüiki;, noXuiaffxic,
noXuii-nxovot; und irro\inopdoc , die so philologisch exakt ist,
daß das Fehlen des Beiwortes noxC-vponoc, der Erklärung be-
darf; in dieselbe Richtung weist der Vergleich des Aias
mit Esel und Rind (Od. § 14), der eine unverkennbare, wenn
auch höchst eigenwillige Anspielung auf das berühmte Gleich-
nis II. 11.558 ff. darstellt; schließlich ist in diesem
Zusammenhang auch die Erwähnung des en-toßoEtov oaxot (Od. § 7)
zu nennen, die ganz zitathaft auf II. 7.219 ff. Bezug nimmt.
Die freie Behandlung des mythischen Stoffes, verknüpft
mit der akribisch genauen Benutzung Homers, gibt den Reden
ein so eigentümliches und originelles Gepräge, daß man sie
nur ungern für das Werk eines Nachahmers oder Fälschers
halten möchte. Und doch ist die Echtheit der antisthenischen
DeklamatIonen im 19. Jahrhundert mehrfach in Zweifel gezogen
worden.
87 H.E. Foss, 'De Gorgia Leontino' , machte den Anfang:
Die antike Literaturkritik, die vor allem durch Quintilian,
Inst. o r . 4.2.41 glaubhaft repräsentiert werde, sei überein-
stimmend der Überzeugung, daß man erst zur Zeit des Demetrlos
von Phaleron begonnen habe, fingierte Rechtsfälle rhetorisch
zu behandeln; demnach müsse man den 'Palamedes' des Gorgias,
87) Halle 1828, S . 92 ff. - Ebenso urteilen u.a. Baiter/Sauppe, a.a.O., S . 167; Mueller, a.a.O., S . 30 ff., dem Mullach, a.a.O., S . 269, folgt.
- 204 -
den 'Odysseus' des Alkidamas und auch den Aia<; und den
'o&uaaeu; des Antisthenes, die allesamt fingierte Prozess-
verhandlungen voraussetzen, als unechte Machwerke späterer
Zeit ansehen. Blass bemerkt zu dieser Argumentationsführung
sehr richtig: "... eben diese Reden und dazu die ' O p e a x o u
anoXoyta bei Diogenes liefern, wenn man umgedreht schlies-88
sen will, den Gegenbeweis." In der Tat, wenn die antike
Tatsachenbehauptung in so eklatantem Widerspruch zu den
überlieferten Texten steht, denen, außer der ' O p e c r r o u i r c o -
XoyCa des Antisthenes (I 4), noch der anonyme 'Alexandros'
(frg. C 74 Radermacher) hinzuzufügen ist, so müssen die
Texte den Ausschlag geben, nicht die Handbuchgelehrsamkeit
der antiken Grammatiker. Wie denn auch gar nicht einzusehen
ist, warum die älteren Rhetoren, die doch die epideiktische
Rede nach fingiertem Thema (Beispiel: Gorgias' und Isokrates'
'Helena') und die fiktive Gerichtsrede nach konkretem Thema
(Beispiel: Piatons 'Apologie des Sokrates'; Polykrates'
'Anklage des Sokrates') nachweislich gepflegt haben, sich
nicht auch das nahverwandte Genus der Gerichtsrede fingier-
ter Thematik, wenigstens beiläufig, sollten angelegen haben
sein lassen. Im Grunde will die antike Literaturkritik,
deren Aussage Quintllian im übrigen durch die Wendung "fere
constat" einschränkt, auch gar nicht behaupten, daß man in
der Zeit vor Demetrios niemals fingierte Rechtsfälle rhe-
torisch behandelt habe, sondern nur, daß es erst zu dieser
Zeit allgemein üblich geworden sei, dergleichen Reden im
rhetorischen Unterricht zu Übungszwecken vorzuführen und
halten zu lassen.
Anders als Foss suchte wenig später H.E. Benseier, 'De
88) Attische Beredsamkeit, a.a.O., S . 339. - Vgl. außerdem Dahmen, a.a.O., S. 56; Lulolfs, a.a.O., S . 37 f.; Bachmann, a.a.O., S . 3 f.
- 205 -
89 hiatu in scriptoribus Graecis' , die Athetese zu begründen:
In den Reden werde mit einer gewissen Sorgfalt der Hiat ver-
mieden; auf Hiatvermeidung aber habe zur Zeit des Antisthenes
allein Isokrates geachtet; die Reden seien demnach als Pro-
dukte nachisokrateischer Zeit anzusehen, die man fälschlich
Antisthenes zugeschrieben habe. Auch diese Argumentation ist
keineswegs stichhaltig. Die Reden vermeiden den Hiat nicht
grundsätzlich, wie dies Isokrates tat; sie lassen leichte
Hiate vielmehr nahezu unbeschränkt zu und bemühen sich ledig-
lich, die schweren Fälle möglichst zu unterdrücken. Daß eben-
dieser Sprachgebrauch antisthenisch ist, hat wiederum Blass
gesehen: "... in den Fragmenten des Antisthenes, die freilich
spärlich genug sind, ergibt sich bei wörtlicher Anführung qr>
kein anderes Verhältnis." In der Tat kann auch nicht wun-
dernehmen, daß Antisthenes, der auf die stilistische Ausge-
staltung seiner Schriften nachweislich Wert legte, auf die
Vermeidung schwerer Hiate bedacht war. Thukydides und nament-
lich der spätere Piaton verfahren ebenso.
Wieder anders begründet L . Radermacher, 'Der Aias und 91
Odysseus des Antisthenes' ,die Athetese: In den Reden be-
gegneten mehrfach iambische Trimeter, deren Anzahl sich durch
leichte Änderungen des Textes unschwer vervielfachen ließe;
es handele sich um nichts anderes als um die noch dazu wenig
geschickt gemachte Prosaparaphrase zweier tragischer piiatu;.
89) 1. Bd., Freiberg 1841, S . 169.
90) A.a.O., S . 342, wo auch die wichtigsten Belege ver-zeichnet sind. - V g l . außerdem Dahmen, a.a.O., und vor allem Lulolfs, a.a.O., S . 103-106, und Bachmann, a.a.O., S . 37-40, die den Hlatgebrauch des Antisthenes voll-ständig dokumentleren und eingehend untersuchen.
91) Rheinisches Museum 74 (1892) S . 569-576.
- 206 -
deren Vorbild, wie die laxe Versbildung und die sophistische
Gedankenführung erkennen lasse, eine nacheuripideische Tra-
gödie gewesen sei, womöglich der 'Aias' des Theodektes (p.
801 Nauck). Auch diese Beweisführung hält genauerer Nach-
prüfung nicht stand. Lulolfs bemerkt treffend: "... investi-
gandi ratio, qua Radermacherus usus, ne dicam abusus est,
si in huiusmodi disquisitionibus valebit, vereor ne permulta
quae prosa oratlone conscripta sunt mox poematum ~apaq>paae i; 92
multis videantur." In der Tat hat die antike Kunstprosa,
die ja in Konkurrenz zur Poesie entstanden ist, grundsätzlich
die Tendenz, die Sprache nach metrischen Gesetzmäßigkeiten
zu rhythmisieren, so daß sich jeder rhetorisch durchstili-
sierte Text, wenn man entsprechende Veränderungen vornähme,
ohne allzu große Mühe in leidliche Verse bringen ließe. Daß
sich die Reden auf solche Weise iambisch versifizieren lassen,
beweist demnach nicht mehr, als daß sie in einer iambisch
rhythmisierten Kunstsprache geschrieben sind. Verzichtet man
auf jeden Eingriff in den überlieferten Text, so bleibt die
auffällige Tatsache bestehen, daß sich die iambisch getönte
Sprache der Reden an einigen Stellen zu trimeterartigen oder
auch trimetrischen Versgebilden verdichtet. Ebendieser Be-
fund beweist jedoch nicht die Unechtheit, sondern gerade das
Alter und somit die Echtheit der Reden, da die Kunstprosa nur
in der Frühzeit der Neigung zum Vers nachgegeben hat, während
92) A.a.O., S . 106. - Vgl. außerdem Dahmen, a.a.O., S . 56 f.; Bachmann, a.a.O., S . 7 ff., 35 ff. - Das Allgemeine bespricht E . Norden, Die antike Kunst-prosa, 1. Bd., 3. Aufl., Leipzig 1915, S . 50-63, wo auch die einschlägigen antiken Zeugnisse aufge-führt sind. - Eine minutiöse Untersuchung der tri-metrischen Iambengebilde in den Reden, die Blass, Antiphontis orationes etc., a.a.O., S . 176 ff., als erster konstatiert hat (vgl. ders., Beredsamkeit, a.a.O., S . 341, A n m . 2), gibt Lulolfs, a.a.O., S . 109-115, dem sich Bachmann, a.a.O., S . 8 f., im wesentlichen anschließt.
- 207 -
seit Isokrates jede Versifizierung der rhythmischen Sprache
als unangemessen vermieden wird.
Zweifel an der Echtheit der Reden hat schließlich auch 93
W . Altwegg, 'Zum Aias und Odysseus des Antisthenes' ge-
äußert: Die Satz- und Kolaausgänge seien in der überwiegen-
den Mehrzahl der Fälle iambisch-katalektisch gehalten, wäh-
rend die Fragmente zumeist Endbetonung aufwiesen. Gegen diese
Betrachtungsweise hat Bachmann sehr zu recht erinnert: "Si
clausulis catalecticis oratores esse usos fingeremus, quem-libet numerum in quavis oratione statuere nobis esset facil-
94
limum." In Wahrheit weisen die Reden wie auch die Fragmen-
te in der Hauptsache eine trochäisch-kretische Klauseltech-
nik auf, wie sie auch Isokrate3 bevorzugt hat, der hierin
vielleicht dem Vorbild des Thrasymachos gefolgt ist.
So erweisen sich alle Argumente, die man vorgebracht hat,
um die Unechtheit der Reden zu beweisen, als nicht stich-
haltig. Umgekehrt werden auch die letzten Authentizitätsbe-
denken gegenstandslos, wenn man Stil und Inhalt der beiden
Stücke genauer betrachtet und mit dem anderweitig Uberlie-
ferten vergleicht.
Der Stil der Reden, der durchaus einheitlich ausgefallen
ist, gemahnt unverkennbar an den Stil der Kunstprosa, wie
er von Gorgias inauguriert worden ist. So finden sich in
großer Fülle rhetorische Schmuck- und Stilmittel wie Anti-
these, Paronomasie, Parison, Homoioteleuton, Sperrung und
Endstellung des betonten Wortes; darüberhinaus fließt die
Sprache, wie bereits erwähnt, nach rhythmisch geordneter
Gesetzmäßigkeit und bemüht sich, schwere Hiate nach Möglich-
93) In: Juvenes dum sumus, Basel 1907, S . 52-61.
94) A.a.O., S . 11. - Ders. gibt a.a.O., S . 14-37, 45-52, eine eingehende Ubersicht Uber die Klausel-technik der Deklamationen und Fragmente.
- 208 -
keit zu vermeiden. Lulolfs resümiert treffend: "... Gorgianae
artis non adest eiusmodi tantum imitatio, ut hic illic ag-
noscatur, sed vestigia adeo sunt impressa, ut haud semel aut
figurarum cumulus aut verborum delectus aut sententiarum di-
thyrambica forma nos in memoriam revocent ipsius Gorgiae 95
Helenam et Palamedem." In auffälligem Gegensatz zu diesem
gorgianischen Kolorit steht die Uberaus einfache Satzbildung,
die die logische Unterordnung meidet und stattdessen die
Parataxe bevorzugt. Blass: "Der Redefluss, der machmal her-Q £
vortritt, entsteht durch Anhängen einzelner Glieder."
Zu dieser parataktisch-schlichten Satzführung, die an die
Umgangssprache erinnert, paßt wiederum der gelegentlich her-
vortretende Gebrauch alltäglicher, ja derber Ausdrücke, von
denen das Verbum Ö£YX£
IV (Od. § 10) wohl am meisten in die
Augen fällt. Alles zusammengenommen läßt sich der Stil der
Reden als umgangssprachlich gemilderte und gebändigte Kunst-
prosa beschreiben. Ebendieser Stil, der durchaus individu-
elles Gepräge trägt, wird Antisthenes von der antiken Litera-
turkritik zugeschrieben und findet sich wieder in der langen
Rede, die Xenophon Antisthenes im 'Symposion' 4.34-44 halten
läßt, wo die parodische Absicht unverkennbar ist. Ein schla-
genderer Beweis für die Echtheit der Reden läßt sich kaum
denken.
Nicht minder eindrucksvoll sind die Ubereinstimmungen
im Gedanklichen. Lulolfs bemerkt sehr richtig, daß in den
Reden auf Schritt und Tritt "vestigia doctrinae Antisthe-
95) A.a.O., S . 79 f . - Ausführliche Stilbeschreibungen und Stilvergleiche bei Blass, a.a.O., S . 342 f.; Dahmen, a.a.O., S . 57-60; Lulolfs, a.a.O., S . 21-31, 80-84; Bachmann, a.a.O., S . 40-52; Caizzi, Fragmente, a.a.O., S . 90-92.
96) A.a.O., S . 343.
- 209 - v
97 nicae" begegnen. So ist etwa die Rede des Aias auf der
Grundüberzeugung aufgebaut, daß es in Fragen der Vortreff-
lichkeit ( äpetTi ) nicht auf Worte (Xoyoi ), sondern auf
Taten ("pya ) ankomme (§§ 1.7 f.); Antisthenes bekennt sich
zu dieser Uberzeugung mit fast denselben Worten: die Vor-
trefflichkeit bestehe in Taten und bedürfe nicht vieler
Worte (frg. 70 C.; vgl. auch 86, 160 C.). Aias argumentiert
mehrfach mit dem Gegensatz von Meinen ( fcof/rsiv ) und Wissen
( y Lyvc'av.e iv ) (§§ 1,4,8 f.); Antisthenes hat diese Thematik
in seiner Schrift hepi bnfjic, vtal et-iotiiptk, (VII 6) mono-
graphisch behandelt. Aias vergleicht den König mit einem
Arzt (§ 4); Antisthenes bevorzugt Arztvergleiche (frg. 51,
185, 186 C.). Schließlich erinnert Aias' Bemerkung, gegen-
über den Feinden gebe es keinen Widerspruch ( ovv. E ^EOTI
OIVTLAEYEIV ) ( § 7 ) , wenigstens von ferne, an den bekannten
antisthenischen Satz, daß Widerspruch unmöglich sei (frg. 47,
48, 49 C.). Noch zahlreicher sind die gedanklichen Parallelen
in der Rede des Odysseus. Odysseus erklärt wiederholt, der
Handelnde dürfe die Schande ( orlcvpov ) nicht fürchten und
auf anderer Leute Meinung (Er'-xTv ) keine Rücksicht nehmen
(§§ 9 f.); Antisthenes erklärt dementsprechend, es sei ein
Gut, einen schlechten Ruf zu besitzen (frg. 95 C.; vgl.
frg. 20, 118, 150 C.). Odysseus unterscheidet auf das genau-
este zwischen bloßer physischer Kraft (laxuc ) und Tapfer-
keit (ry.vbpEia ), die auf Einsicht (ao(pia) beruht (§ 13);
Antisthenes hat dieselbe Problematik in Schriften wie nepl
97) A.a.O., S . 90. - Eine eingehende Behandlung der in-haltlichen und gedanklichen Parallelen bei Blass, a.a.O., S . 339-343; Dahmen, a.a.O.; Lulolfs, a.a.O., S . 86-103; Bachmann, a.a.O.; Höistad, Cynic hero and Cynic king, a.a.O., S . 98-101; Caizzi, a.a.O. -V g l . außerdem J . Geffcken, Zwei Sokratesworte,Rheini-sches Museum 84 (1935) S. 241-249, der besonderes Ge-wicht auf die gemeinsokratischen Gedanken der Reden legt.
- 210 -
ävbpeCat; (III 2; v g l . XI 4) und'HpoMXffc o HEL^UV r! nepi [axucx;
(IV 2; vgl. X 2) ausführlich behandelt. Odysseus bezeichnet
Neid und Unwissenheit als Krankheit ( (pöovov nat änadiav
voaetc ) (§13); Antisthenes bezeichnet ganz ähnlich das
Streben nach Tyrannenmacht und Lust als Krankheit der Seele
(frg. 117, 109 C.). Schließlich äußert Odysseus einige
Sätze, die, wenn auch nicht ausdrücklich als antisthenisch,
so doch jedenfalls als gemeinsokratisch bezeugt sind: einem
vortrefflichen Manne (äya-ao; ) könne niemals irgendein Obel
widerfahren (§ 6) ; Unwissenheit ( änaöfa) sei das größte aller
Übel (§ 13); unwissend sei jedermann nur unfreiwillig ( änuv )
(§ 5). Wie denn Odysseus hier Uberhaupt ganz als sokratischer
Weiser erscheint, als den ihn Antisthenes auch anderwärts
mehrfach gezeichnet hat (frg. 51, 52, 54 C.; vgl. auch 1,
6, 10 C. )
Alle diese stilistischen und gedanklichen Übereinstim-
mungen, deren sich unschwer noch weitere aufführen ließen,
recht bedacht, wird man nicht zögern, zu urteilen wie Blass:
"Hiernach, glaube ich, sind ohne Bedenken die Reden als 98
echte Werke des Antisthenes anzusehen."
98) A.a.O., S . 343 f.- In neuerer Zeit sind lediglich zwei Stimmen gegen die Echtheit der Reden laut geworden: v . Wilamowitz, Die griechische Literatur des Altertums, in: Die griechische und lateinische Literatur und Sprache, hrsg. von U.v. Wilamowitz-Moellendorff u.a. (Die Kultur der Gegenwart, 1. Teil, 8 . Abt.), Berlin 1905, S . 78, der merkwürdigerweise nur von einem Werk spricht, befürwortet die Athetese: "... die einzige ... erhaltene Schrift, eine Deklamation, die freilich wenig taugt, mußte athetiert werden." J . Humble, Antisthenes' Fragmenten, Diss. Gent 1932 (ungedr.), S . 91 ff., setzt die Deklamationen zu-sammen mit dem apokryphen Brief an Aristipp (p. 124 C.) unter die "Incerta" und läßt so die Echtheitsfrage unent-schieden. So urteilten im übrigen früher u.a. schon Zeller, Die Philosophie der Griechen, 2. Bd., a.a.O., S. 282, A n m . 5; Chappuis, a.a.O., S . 40; Natorp, a.a.O., Sp. 2541.
- 211 -
Abschließend stellt sich die Frage nach Zweck und Absicht
beider Schriften. Gemeinhin herrscht die Ansicht, es handele
sich hier um rhetorische Ubungs- und Musterreden, in denen
Antisthenes habe demonstrieren wollen, wie nach vorgegebenem
Thema eine regelrechte Gerichtsrede in utramque partem er-
folgreich zu komponieren sei. So urteilt etwa Chappuis:
* 99
"Ce sont ... des neXexai sur un theme donne." Diese Auf-
fassung geht von der Tatsache aus, daß der Ataz und der 'Obuo-
aeuc, des Antisthenes in derselben rhetorischen Exzerpten-
sammlung überliefert sind, in der auch der 'Palamedes' und
die 'Helena' des Gorgias sowie der (wahrscheinlich unechte)
'Odysseus' des Alkidamas standen. Vergleicht man jedoch die-
se fünf gemeinsam überlieferten Reden miteinander, so zeigt
sich, daß die beiden antisthenischen Stücke im Rahmen der
Sammlung unverkennbar eine Sonderstellung einnehmen. Gorgias
und Alkidamas geben jeweils regelrechte Musterstücke, die in
Aufbau, Beweisführung und Ethopoiie alle Erfordernisse er-
füllen, wie sie an eine Gerichtsrede gestellt werden konnten.
Ganz anders Antisthenes. Hier gibt es weder Beweisverfahren
noch ethopoietische Differenzierung, und das traditionelle
Gliederungsschema der Gerichtsrede ist so vernachlässigt,
daß nicht einmal Proömium und Epilog gehörig hervortreten.
Blass: "Es sind durch keine Technik geregelte Ergüsse, daher 100 ohne Ordnung und ohne durchgehenden Zusammenhang." Diese
99) A.a.O., S . 45. - Ebenso urteilt bereits H . Stephanus, Oratorum veterum orationes, a.a.O., S . 181, der, offen-bar aus eigener Gelehrsamkeit, vor seine Ausgabe
t der
Reden folgende interessante Vorbemerkung setzt:__' I O X E O V ,
8 T I ot E£TI<; Xoyoi xüv H O I A O U H E V U V eiai P E X E X Ü V , Kakeitai 6e 0 *Avx taöe vou<; Aiac; n Aiavxoc; A.oyo<; uanep vn auxoü xou Aiavxoc; XE^O^EVOC' Äpoiuc 6£ nai ' Avx toSe vouc 'ObuaoEu<;. V g l . außerdem Deycks, a.a.O., S . 13;Mueller, a.a.O., S . 32; Mullach, a.a.O., S . 269; Lulolfs, a.a.O., S . 63.
100) A.a.O., S . 344. - Zu Gliederung und Ethopoiie der Reden v g l . außerdem bes. Lulolfs, a.a.O., S . 86-88; Caizzi, Antistene, a.a.O., S . 68-74.
- 212 -
Gleichgültigkeit gegenüber der äußeren Form und den prak-
tischen Erfordernissen der Gerichtsrede kann keinen Zweifel
daran lassen, daß Antisthenes hier keine rhetorisch-paradig-
matischen HEXETCU in der Art des Gorgias oder Alkidamas hat
geben wollen - es sei denn, er wäre ein Rhetor von nachge-
rade unglaublich schwachen Fähigkeiten gewesen.
So stellt sich die Frage nach dem Zweck beider Schriften
aufs Neue. Blass, der sehr richtig bemerkt, daß hier ein
"mehr dialektisches Interesse"1 0 1
vorwaltet, urteilt folgen-
dermaßen: "Antisthenes wollte den Gegensatz von roher Stär-
ke und überlegener Einsicht, wie ihn der Mythus in den Ge-
stalten des Aias und Odysseus bot, nach dem Vorbilde der 1 o?
Tragödie in Reden beider darstellen ..." R. Höistad,
'Was Antisthenes an allegorist?', der ebenfalls bemerkt,
daß es sich bei den Reden um "something more than purely
rhetoric e x e r c i s e s "1 0 3
handelt, erklärt die Reden anders:
"Antisthenes had a definite purpose with them, that is pro-104 paganda of Odysseus representing some Cynic virtues."
Beide Erklärungsversuche tragen dem ersichtlich unrhetori-
schen Charakter der Reden zwar Rechnung, sind jedoch, wenn
nicht falsch, so doch unbefriedigend, weil sie im Unklaren
lassen, was Antisthenes bewogen haben könnte, für die Dar-
stellung einer ethisch-dialektischen oder auch ethisch-pro-
pagandistischen Thematik die nicht nur ungewöhnliche, son-
dern, recht beachtet, auch ungeeignete rhetorische Form von
Rede und Gegenrede zu wählen.
101) A.a.O.
102) A.a.O.
103) Eranos 49 (1951) S . 23.
104) A.a.O. Vgl. ders., Cynic hero and Cynic king, a.a.O., S . 94-102.
- 2 1 3 -
Ein besseres Verständnis läßt sich gewinnen, wenn man
die beiden Stücke, ihrer Stellung innerhalb des xopot;
entsprechend, in nähere Beziehung zu der vorausgehenden
Schrift liepi Xe^euc ri nepl X»P<*HT7IPÜ>V (I 1) setzt. Anti-
sthenes legte dort den Entwurf einer philosophisch begrün-
deten Theorie der Rede vor, in deren Mittelpunkt die Vor-
stellung verschiedener rhetorisch-ethisch bestimmter "Wen-
dungen" ( TSOTTOI ) stand; der "Weise" ( aocpot ) f so hieß es,
verfüge als "Vielgewandter" ( rcoXuTponot; ) über viele Wen-
dungen der Rede, während der "Unwissende" («ntxOr'c; ) als
"Eingewandter" (povoTponot; ) gegenüber den verschiedenen
Zuhörern nur eine einzige Wendung vorzubringen wisse. Eben-
diese Theorie wollen die Reden offenbar sinnfällig illustrie-
ren, dergestalt daß Aias die Rolle des "unwissenden", "ein-
gewandten" Redners übernimmt, während Odysseus den "weisen"
und "vielgewandten" Redner repräsentiert, als der er auch
in der vorausgehenden theoretischen Schrift erschienen war.
So sagt Odysseus in seiner Rede: "Welche Wendung (Tponoc )
auch immer einer will, ich bin stets bereit ..." (§ 9),
und eben weil er den Typus des "Vielgewandten" selber ver-
körpert, darf er bei der detaillierten Aufzählung der rüh-
menden Homerepitheta am Schlüsse seiner Rede (§ 14) das
Beiwort noXu-cponoq nicht aussprechen. Aias seinerseits be-
merkt ausdrücklich, daß er nicht "gleichgewandt" ( öpo toxponoc;
wie Odysseus sei (Ai § 5) und bekennt sich so, indirekt,
selber als "Eingewandter", dem der "Vielgewandte" dann fol-
gerichtig immer wieder "Unwissenheit" ( äpaSia ) vorwerfen
kann (Od. §§ 4,6,13). In der Tat vermag Aias in seiner Rede
auch nicht mehr als einen einzigen Gedanken vorzubringen:
daß Handeln besser sei als Reden, und diesen einen Gedanken
verficht er mit solch einseitiger Rücksichtslosigkeit und
Hartnäckigkeit, daß er seinem Gegner die Widerlegung nach-
gerade in den Mund legt und außerdem die zuhörende Richter-
- 214 -
schaft, statt sie für sich zu gewinnen, beleidigt und
schließlich sogar bedroht (Ai. §§ 1,7,8). Odysseus
dagegen läßt sich auf die von Aias vorgegebene starre
Alternative nicht ein, sondern vertritt stattdessen
den ungleich offeneren Standpunkt, daß es beim Handeln
nicht auf den äußeren Schein, sondern auf den Erfolg
ankomme, der allein durch Einsicht und Klugheit zu er-
reichen sei; auf diese Weise gelingt es ihm unschwer,
die von Aias prätendierte Stärke als bloße Fehlform
wahrhafter Tapferkeit zu entlarven und so die beleidig-
te Richterschaft für sich zu gewinnen (Od. §§ 4 f.,
8 ff., 13 f.). Betrachtet man die Reden dergestalt als
sinnfällige Illustration zur antisthenischen xponoc-Theorie,
so lösen sich mit einem Schlag alle Schwierigkeiten,
vor die sich die Interpretation bisher gestellt sah.
Antisthenes stand vor einem Dilemma. Um den doppelten,
rhetorisch-ethischen Aspekt des xponoc, -Begriffes dar-
stellen zu können, mußte er einerseits auf die Form der
Rede zurückgreifen, andererseits konnte, ja durfte er
keines der traditionell regelgebundenen Redeschemata
benutzen, weil so das Rhetorisch-Technische alle Aufmerk-
samkeit auf sich gezogen und so die Darstellung des
ethischen Aspekts unmöglich gemacht hätte. So sind die
vorliegenden Reden entstanden, die in ihrer souveränen
Gleichgültigkeit gegenüber den Regeln und Gesetzmässig-
keiten der rhetorischen Form Zeugnis davon ablegen, daß
Antisthenes Rhetorik nicht anders hat denken können als
in Verbindung mit Ethik, oder anders: daß für ihn der
gute Redner und der Philosoph in eines zusammenfielen.
Zum Schluß noch ein Wort zur Datierung. Caizzi be-
- 215 -
merkt richtig: "E difficile Stabilire una d a t a . "1 0 5
In
der Tat läßt sich allgemein nicht mehr behaupten, als daß
die Reden zu einer Zeit entstanden sind, als die antisthe-
nische Ethik, die sie voraussetzen, in den Grundzügen be-
reits vorlag. Erkennt man jedoch den engen Zusammenhang
zwischen den Reden und der Schrift nepi \eteuc, r] nepl xa
Pa M
-
TTipuv (I 1) an, so wird man darüberhinaus nicht zögern, jene
wie diese in die frühen neunziger Jahre zu datieren.
Opeoxou txTIo\oyia (I 4)
I. Kühn, 'Observationes in Diogenem Laertium', wollte diesen
Titel durch die Alternativpartikel fl mit dem folgenden
Titel nepl TÜV 61Koypatyuv (I 5) zu einer Einheit verbinden:
"Nam defensio lila Orestis sine dubio ad formam normamque
8LKoypacptat composita e r a t . "1 0 6
Diese Emendation, die viel
105) Fragmente, a.a.O., S . 89. - Die vorgeschlagenen Da-tierungsversuche sind dementsprechend zurückhaltend und unsicher. Altwegg, a.a.O., S . 61, spricht vage von Frühschriften; Höistad, Cynic hero etc., a.a.O., S. 96 f., denkt an die Zeit um 411, da Antisthenes eine ganz ähn-liche Charaktergegenüberstellung gebe, wie sie Sopho-kles im 'Philoktet' mit Neoptolemos und Odysseus gegeben habe. Die Parallele ist jedoch keineswegs einleuchtend, vor allem darum nicht, weil die Zeichnung des Odysseus dort ungleich negativer ausgefallen ist als hier.
106) In: Commentaril in Diogenem Laertium, 2. Bd., a.a.O., S . 648.- Diese verfehlte Textänderung findet im fol-genden Eingang in alle maßgeblichen Ausgaben des Dio-genes, so neuerdings leider auch wieder in die Edition von H.S. Long, Diogenis Laertii Vitae Philosophorum, a.a.O., S. 253. - V g l . außerdem auch Winckelmann, a.a.O., S. 12; Chappuis, a.a.O., S. 44; Usener, Quaesti-ones Anaximeneae, a.a.O., S . 7; Mullach, a.a.O., S . 270; Lulolfs, a.a.O., S . 3; Wilamowitz, Piaton, 2. Bd., a.a.O., S. 113, der allerdings einschränkend hinzusetzt: "Wenn das fj bezeugt ist, braucht es nicht entfernt zu werden".
- 216 -
Beifall gefunden hat, ist keineswegs stichhaltig. Einmal
läßt sich kein plausibler Zusammenhang zwischen beiden
Themenkreisen herstellen. Mueller fragt zu Recht: "Nam quo
tandem modo ea declamatio ad illos homines pertineret, qui 107
pro aliis orationes iudiciales conscribebant." Joel, der
im übrigen Kühns Konjektur als den authentischen Text be-
trachtet, hat gleichwohl eine Erklärung versucht: "... es gibt wirklich einen fetKo-ypacpot; , der für Orest in Frage
i ofi
kommt: Antiphon." In Antiphons Rede Kot-ca xffq (impuiSc
werde auf den Präzedenzfall des Orestes angespielt,und so
stehe zu vermuten, daß diese Rede die vorliegende Rede des 109 Antisthenes "kritisch angeregt" habe. Dieser Erklärungs-
versuch kann jedoch nicht Uberzeugen. Es ist nicht einzu-
sehen, wieso die ganz und gar beiläufige Erwähnung der Kly-
tämnestra als einer schlechten Stiefmutter bei Antiphon
or. 1.13 Antisthenes zu einer Gegenschrift veranlaßt haben
sollte - nicht davon zu reden, daß auch in diesem Falle
unerklärt bliebe, wieso der Zweittitel nepi xSv &tvtoyoacpuv
im Plural stünde. Es kommt hinzu, daß ein solch erklärender
Zweittitel, wie er bei den bei den beiden vorausgehenden
107) A.a.O., S. 34 f. - Vgl. außerdem Deycks, a.a.O., S . 12; Baiter/Sauppe, a.a.O., S . 167; Blass, a.a.O., S . 336; Humblfe, Antisthenes' Fragmenten, a.a.O., S . 47; ders., Antisthenica, a.a.O., S . 164; Radermacher, Artium Scriptores, a.a.O., S . 120; zuletzt bes. Caizzi, Fragmente, a.a.O., S . 78.
108) 2. Bd., a.a.O., S . 647.
109) A.a.O., S . 648. - Dieser Einfall wird neuerdings wieder-aufgenommen von A.H. Chroust, Socrates. Man and myth, London 1957, S . 129: "The so called 'forensic wri-ters' are no eise than Antiphon who in his Kaxa TTK nr)Tpuiä<; takes up the 'case' of Orestes ... We could surmise, therefore, that the Antisthenian 'Apologie of Orestes' makes reference to the oratlon of Antiphon, as may be inferred from the subtitle."
- 217 -
Namentiteln kiac, (I 2) und ' Ü&uaaeüc, (I 3) notwendig war,
hier fehl am Platz wäre, weil das Substantiv änoXoYCa
von sich aus mit hinreichender Deutlichkeit erkennen läßt,
daß die vorliegende Schrift eine Verteidigungsrede gewesen
ist. Dementsprechend steht etwa auch der Titel ZwKpaxout;
änokoyia im Katalog der platonischen Schriften bei Diogenes
Laertius 3.57-61 allein für sich, während allen anderen Ti-
teln ohne Ausnahme erklärende Zusatztitel beigegeben sind.
So spricht alles dafür, daß die überlieferte einfache Form
des Titels beizubehalten ist.
Der Titel selber lehrt, daß die vorliegende Schrift ei-
ne Rede gewesen ist, die Orestes in eigenem Namen vortrug,
um sich zu verteidigen. Daß dies vor dem Areopag geschah,
um die Anklage wegen Muttermord zu widerlegen, darf man
aus der übereinstimmenden mythologischen Tradition unbedenk-
lich erschliessen. Was den vorliegenden Rechtsstreit be-
trifft, so bildet der antisthenische Satz (frg. 73 C.), daß
man die Gerechtigkeit (TO btuaiov ) höher achten müsse als
die Verwandschaft (to ovyytvtc, ) , hierzu nachgerade einen
allgemeinen Kommentar. Orestes dürfte demnach geltend ge-
macht haben, daß die Gerechtigkeit unteilbar sei und keine
Ausnahme dulde, auch nicht im Falle eines Konfliktes zwischen
Mutter und Sohn, wo die alte Blutsethik eine Unrechtssüh-
nung in jedem, auch dem äußersten Falle untersagte.
Alle diese Einzelbeobachtungen und mehr noch die Stel-
lung des Titels im Rahmen des gesamten Tößoc, legen die
Annahme nahe, daß die vorliegende Rede nach Analogie der
beiden vorausgehenden Reden konzipiert worden ist. So ver-
mutet Mueller: "Hanc declamationem eiusdem generis fuisse,
cuius orationes Aiacis et Ulixis sunt ... a r b i t r o r . "1 1 0
11O) A.a.O., S. 34. - Vgl. außerdem bes. Blass, a.a.O., S. 344 Radermacher, a.a.O., S. 126; Caizzi, Fragmente, a.a.O., S. 78: "L' ipotesi piu verosimile e che sl tratasse di un' orazione fittizia sul tipo delle precedente."
- 218 -
Ist diese plausible Vermutung richtig, so gilt alles, was
im vorhergehenden über Echtheit, Abfassungszeit, Form, Stil
und Zweck der erhaltenen Reden gesagt w u r d e , mutatis mu-
tandis auch hier. Die 'Ocecitdu atoA.oyia ist demnach als
echtes Werk des Antisthenes anzusehen, verfaßt in den neun-
ziger Jahren, das übliche Schema der Gerichtsrede absicht-
lich vernachlässigend, in einer Mischung von Kunstprosa
und Sprechsprache gehalten, - alles in allem: ein Beispiel,
um die rhetorisch-ethische rponoq -Theorie des Antisthenes
an einem mythischen Stoff sinnfällig zu erläutern.
5. Die Problematik der Titel rhetorisch-aktueller Thematik
Die Uberlieferung bietet hier folgenden Text: I;
epi XUV JIKO-yoatpcov (--ypaquwv F ) + IAOVPA9RIR]5EAia<; + T) ' LAOE.PATTIC; noo^ TCV ' lao
'.tpaxouf, 'A|-iapTupov. Humble bemerkt treffend: "Deze titel is
tot hiertoe een kleine twistappel geweest voor de Philolo-g e n . "
1 1 1
Die Vorschläge, die man vorgebracht hat, um diese
schwierige Stelle zu erklären, sind zahlreich und diffe-
rieren untereinander erheblich, da nicht nur die Deutung
der Korruptel umstritten ist, sondern auch die Feststellung
der Titelzahl und der Titeltrennung. Als Einführung in die
komplizierte Problematik mag hier ein chronologisch-systema-
tischer Uberblick über die verschiedenen Lösungsversuche
dienen, der durch die detaillierte schematische Übersicht,
die der kritische Apparat (S.111 ff.) bietet,zu ergänzen ist.
111) Antisthenes' Fragmenten, a.a.O., S . 18; ders., Antisthenica, a.a.O., S . 168. - Humbl£ gibt a.a.O. einen kurzen schematischen Uberblick über die ver-schiedenen Erklärungsversuche, der jedoch weder voll-ständig und auch nicht in allen Punkten zuverlässig ist.
- 219 -
D . Wyttenbach, 'Animadverslones in Plutarchi Opera
Moralia', der sich als erster um eine Erklärung der um-
strittenen Stelle bemüht h a t , betrachtet die Einleitungs-
worte nep t -tüv &incYpaq>(i)v als eigenständigen Titel oder
auch als Alternativtitel des vorausgehenden Titels und
erklärt den verbleibenden Text folgendermaßen: "Haud scio
an Antisthenes ut adversarius Piatonis dialogo Phaedro op-
posuerit librum quo Isocratem Piatoni dilectum reprehende-
ret et Lysiam vindicaret et id significetur a D i o g . L a e r t .
VI 15 loco corrupto ... fortasse ita restituendo: looYpaqiii
fl Auaiat; nai ' IoonpaTr]<; • flpot; TOV ' laonpciTout; 'AnapTUpov, 112
ut hi d u o diversi Antisthenis libri recenseantur.
Mullach, der diese Argumentation ebenso akzeptierte wie
die maßgeblichen Editoren des Diogenes Laertius, schlägt
v o r , das unerklärte Wort laocppaqui durch die Neubildung
taoYpacpia zu ersetzen, bekennt jedoch: "res incerta e s t . "1 1
Deycks und Winckelmann urteilen über die Eingangsworte
wie Wyttenbach, betrachten das folgende jedoch als Einzel-
titel. Deycks konjiziert: "Audax fortassis at non prorsus
improbanda est in quam ego incldi coniectura: AinoTpaqua
alSeoeui; r] ' IaonpaTT|(; npot; TOV 'looKpaToui; 'AnapTupov.
Haec ultima 'parum testatae' orationis appellatione signi-114
ficari videtur Isocratis 'Helenae laudatio" ..." Ganz
a n d e r s , wenn auch nicht weniger kühn Winckelmann: "Infra
cum corrupta sint verba nepl V£HT)<; oInovopiKot; , malim hic
scribere 'AvTi.YPaf'n* kvoiac, RJ ' IOOHPCTTTK npo^ TOV ' looupa-
TOUC; 'ApapTupov ürclp N I M I O U . " 1 1 5
112) 1. Bd., Leipzig 1820, S . 303. - Ebenso urteilen, außer den maßgeblichen Editoren des Diogenes,auch Baiter/ Sauppe, a.a.O., S . 167, sowie Lulolfs, a.a.O., S . 15.
113) A . a . O . , S . 270.
114) A . a . O . , S . 12.
115) A . a . O . , S . 12.
- 220 -
I. Bake, 'Scholica hypomnemata', läßt statt der Ein-
gangsworte die Schlußworte Ico; tov ' oi^patouc ' A.uapxupov
als eigenständigen Titel gelten und faßt den vorausgehenden
Text folgendermaßen zusammen: "... suspicor, guum antecedat
TIEpi TWV &iH0Y0a;fov , ex hoc nomine per errorem effictum ess<
[aoYpcKjii' , et plenum istius libri titulum fuisse nepi TCV ütf.OY^a^uv ri .",uowr, Kai ' loo--.piir\c, . " ^ ®
H . Usener, 'Quaestiones Anaximeneae', begreift die vor-
liegende Stelle als einen einzigen zusammengehörenden Titel
und gibt als Erklärung gleichsam eine Zusammenfassung aller
bisherigen Verbesserungsvorschläge: "... unum tantum ...
Antisthenis librum dici puto verbaque sie emendaverim nepi
T2V 6 IKOYPAFUV T] Auoiac Kai ' LAOHPAXRIC ävTiYpa<pr| npö<; TÖV ' loo-
upaTouc; 'AnapTupov, ut verbis »VTIYP. - 'AP-apTupov explicatic
quaedam tituli c o m p r e h e n d a t u r . "1 1
' Im übrigen hat Usener,
'Abfassungszeit des Platonischen Phaidros', diesen Lösungs-118
versuch "wegen seiner Gewaltsamkeit" später selber zu-
rückgenommen; er verzichtet jetzt auf eine Gesamterklärung
und beschränkt sich auf eine neue Emendation der Korruptel:
"Konnte Antisthenes die Redeschreiber, deren Werth er auf
genauer Wage gegenseitig messen wollte, nicht vielleicht in
Nachbildung von Laopponoc taoipopo<; u . a . mit neugeprägtem
Wort taoypacpoi n e n n e n ? "1 1 9
Hierzu bemerkt L . Schmidt,
'Vermischte Bemerkungen': "Ebenso berechtigt erscheint mir
116) 3. Bd., Leiden 1844, S. 115 f. - Dieselbe Konjektur fand, unabhängig von Bake, auch L . Spengel, Isokrates und Plato, Abhandlungen der Philosophisch-Philologischen Classe der königlichen Akademie der Wissenschaften, 7. Bd., München 1855, S . 755, A n m . 2. - V g l . außerdem Mueller, a.a.O., S . 35; Blass, a.a.O., S . 336; Natorp, a.a.O., Sp. 2540 f.
117) Diss. Bonn 1856, S . 8.
118) Rheinisches Museum 35 (1880) S . 144. 119) A . a . O .
- 221 -
„ .,120 die vermuthung pioSo-ypatpoi
K . Urban, 'Über die Erwähnungen des Antisthenes in
den platonischen Schriften', erklärt ohne nähere Begründung, 121
Antisthenes habe "eine eigene Schrift" folgenden Titels
verfaßt: AuaCac -n ' Iaonpaxric; r] npoq TOV ' Apap r up ov . M . Pohlenz, 'Antisthenicum', betrachtet sowohl die Ein-
leitungs- wie die Schlußworte als eigenständigen Titel und
erklärt den Mittelteil wie folgt: "Quis autem verbo beoiciQ
admonitus dubitabit, quin Antisthenes ... Lysiam non Solu-
torem sed Ligatorem nominaverit? ... neque enim verisimile
est Lysiae nomen ab Antisthene corruptum esse, Isocratis
non esse ... faclle adducimur, ut eum ab Antisthene ' Tao-
ypaqjiiv ... vocatum esse putemus. Hoc tarnen nomine cum artis
dicendi magister indicari videatur ... Aeai'a<; rj ' acypacpnc; 1 22
apud Diogenem legerim."
123 Diese Konjektur, die Wilamowitz zu Recht als "glänzend"
bezeichnet, bildet im folgenden die Grundlage für alle wei-
teren Emendationsvorschläge.
Wilamowitz selber akzeptiert Pohlenz' Lesung Aecriai; T) ' iooypacpTK , korrigiert aber die Titeltrennung: "Ich glaube,
daß die folgenden Worte IIpo<, xöv ' laoKpaToui; 'Apapxupov
zu diesem Titel gehören; es ist doch kaum glaublich, daß 124
Antisthenes zweimal in dieselbe Kerbe gehauen hätte."
Humble, der die Schlußworte wieder als eigenständigen
120) Phllologus 40 (1881) S . 384.
121) Gymnasialprogramm Königsberg, Königsberg 1882, S . 7. Es dürfte sich hier eher um einen Lesefehler als um eine Emendation handeln.
122) Hermes 42 (1907) S . 158.
123) Piaton, 2. Bd., a.a.O., S . 114.
124) A.a.O.
- 222 -
Titel ansieht, korrigiert Pohlenz' Konjektur in Aeoiac, nai
' IooYpacpric; , greift im übrigen auf die Lesart 6 LHoypcccp tujv
des c o d . F zurück und deutet die Korruptel als hierzu ge-
höriges Adjektivum iaoYpaipwv , so daß sich insgesamt die
Titelform Ilept TWV 6 iMOYpatp iwv [aoYpaq>wv fi AeaCat; MAL ' IaoYpatpri
ergibt, die als "over de muzikale (of de goed overgeschre-125
venen, pleitredenen), of Desias en Isographes" über-
setzt w i r d .
Radermacher beschränkt sich auf die Bemerkung "Lysiae 1 0 fi
et Isocratis nomina per iocum mutantur" und liest die
vorliegende Stelle wie folgt: ITeot TWV & I K O Y P A ? W V 'IooYpacpric
fi Aeaiat; [fi ' IaOKpatT] c, ], Tip O<; TOV ' IaonpaTOui; 'A^apTupov.
Caizzi schließlich möchte die Eingangsworte NEPI TWV 6I-
Moypatptov mit dem folgenden T i t e l , den sie als Aeoiac; «al
' Iaofpacprit; liest, durch die Alternativpartikel fi verbinden
und vermutet im übrigen: "L* opera si intitolava, all'
origine, con ogni verosimiglianza, ' IooYpatpric, MOI Aea£a<; fi . ~ . , „127
nepi luv o iMOYpatpuv
Will man in die verwirrende Fülle dieser Emendations-
vorschläge Ordnung bringen, so gilt es vor allem, sich auf
den überlieferten Text zu besinnen. Legt man die Uberlie-
ferung zugrunde, so ergibt sich zunächst, daß man die
Eingangsworte NEPI TWV 6IM0YPATPWV nicht mit den folgenden
Worten + iooYpacpr|r)&eaia<; + fi ' IooHpaxric durch die Alternativ-
partikel fi zu einer Einheit verbinden d a r f . Diese Text-
125) Fragmente, a.a.O., S . 19; d e r s . , Antisthenica, a.a.O., S . 69.
126) Artium Scriptores, a.a.O., S . 120. Nach Radermachers Zeichensetzung zu urteilen, soll die Wendung nepi TWV 6iK0Ypaq>uv ' iaoYpa<pri<; fi Aeoiac; hier als ein zusammen-hängender Titel gelten.
127) Fragmente, a.a.O., S . 79.
- 223 -
änderung, die Bake erwogen, Usener gebilligt und Caizzi
neuerdings wiederaufgenommen hat, verbindet zwar zwei
zusammengehörige Themenkreise miteinander, schafft im
übrigen aber mehr Probleme, als sie löst. Der korrupt über-
lieferte Folgetitel iaoycarpTnSEc t tc, , der jetzt als
Zweittitel gelten soll, weist seinerseits bereits den Al-
ternativtitel in ' Zoo »'.pa-cTic; auf, so daß insgesamt ein Drei-
fachtitel entstünde. Dreifachtitel begegnen im Katalog
jedoch nur an zwei Stellen (III 6; IX 7),und hier ausschließ-
lich in der Form nebeneinanderstehender riept -Titel, wäh-
rend hier ein repu -Titel in Verbindung mit zwei nominativi-
schen Titeln zu stehen käme. Die Emendatoren suchen dieser
Schwierigkeit zu entgehen, indem sie noch einmal in den
Text eingreifen und entweder, wie Bake und Usener, die
Korruptel laoyoctcsTi oder, wie Radermacher und Caizzi, den
Alternativtitel ti ' TaoMpaxric delieren. Aufgrund einer Kon-
jektur weitere Konjekturen zu wagen ist jedoch methodisch
womöglich noch bedenklicher,als durch Konjektur eine hoch-
komplizierte dreifache Titelform herzustellen, wie sie im
Katalog nirgends bezeugt ist. So spricht alles dafür, daß
der überlieferte Text beizubehalten ist.
Radermacher, der auf die Einfügung einer Alternativ-
partikel richtig verzichtet, scheint der Ansicht zu sein,
der Titel Tlepl TÜV 6iHoypacpuv könne auch ohne Verbindungs-
wort als Erst- oder Haupttitel zum folgenden Text verstan-
den werden. Eine solche Titelgebung, die zu den größten
Mißverständnissen führen müßte, ist jedoch nicht nur im
antisthenischen Katalog, sondern auch in anderen antiken
Titelverzeichnissen ohne Beispiel. So ist der Schluß unum-
gänglich, daß die Eingangsworte nepl TSV b txoypacpuv als
eigenständiger Einzeltitel anzusehen sind.
Aus denselben Gründen folgt, daß auch die Schlußworte
- 224 -
Dooc TOV ' TCTOHPRXTOUT; 'AuapTuoov , anders als Wilamowitz
wollte, als eigenständiger Titel gelten müssen. Wie denn
auch die ausdrückliche Erwähnung des Verfassernamens keinen
Zweifel läßt, daß hier hauptsächlich, wenn nicht ausschließ-
lich vom 'AnanTuooc des Isokrates die Rede gewesen ist,
während im vorausgehenden Titel, wie Wyttenbach richtig
gesehen und seither niemand bestritten hat, nicht nur von
Isokrates, sondern gleichermaßen auch von Lysias die Rede
ist.
Sind die vorstehenden Überlegungen richtig, so folgt,
daß auch der korrupt überlieferte Mittelteil looYpacpririSEaiat;
ri 'iaov.paTTK als ein selbständiger Titel angesehen werden
m u ß . Es ist Pohlenz gewesen, der diese schwierige Stelle in
der Hauptsache erklärt hat, indem er erkannte, daß die rät-
selhaften Worte lao-fpacm und &ecu<xc, , die man bisher mit
mehr oder weniger Glück zu emendieren getrachtet hatte,
nichts anderes darstellen, als spottende Verdrehungen von
Eigennamen, wie Antisthenes dergleichen auch vorgenommen
hat, wenn er Platon als (frg. 36, 37 C.) bezeichnet.
So stellt das Wort äcaiac, , anders als Wyttenbach glaubte,
keine textgeschichtlich verursachte Verschreibung, sondern
vielmehr eine bewußt vorgenommene Verballhornung des Namens
Aua t ccq in sein Gegenteil dar. Desgleichen erweist sich das
Wort irroYprrcri , das Deycks als AiKOYpaqua , Winckelmann als
ävT iypoccp-n , Mullach als iTOYoacjua , Usener als Jaoynarpo i
und Schmidt als maBoYnacpo i deuten wollten, in Wahrheit als
parodische Verspottung des Namens ' IaottpaTrK in ' Iao-
yoacpric . Der Ausfall des Schlußsigmas, der die ganze
Kontroverse verschuldet hat, erklärt sich paläographisch
höchst einfach, wenn man voraussetzt, daß das Wort ' .!-jovpiiqnK
ursprünglich mit gekürzter Nominalendung als La^ynair"
geschrieben wurde. Die Handschriften, die den Sinn der
Namensneubildung nicht mehr verstanden, lösten das Kürzel
- 225 -
statt in -ric fälschlich in -i auf, wobei der Burbonicus,
der die Akzentuierung tooyparT] bietet, während P und F
tioyr OT' geben, noch eine Spur der alten richtigen Lesart
bewahrt hat.
Es ist schwer verständlich, wie Pohlenz, nachdem er eine
solch ingeniöse Erklärung des Textes gefunden hatte, für
die Titelform Aetji'ac; n ' .[acYnaqrric; plädieren konnte, da die
Oberlieferung die Neimen 'itc -'t;-: und Aeeiac doch einhel-
lig in umgekehrter Reihenfolge präsentiert. Radermacher hat
diese Inkonsequenz korrigiert, indem er M £ O l Ct C,
[ri ' [aot;raTT)<;1
zu lesen vorschlug. Aber auch diese Lesart
bedarf noch einmal der Korrektur. Die Titelform ' Tcc-'f-Ssnc
•n Aeoiocr, würde besagen, daß die vorliegende Schrift wahl-
weise entweder den Titel ' Tffcvp&jric oder den Titel Aeofac
getragen hat. Diese Vorstellung ist jedoch überaus künstlich,
da nicht einzusehen ist, wieso eine Schrift, in der glei-
chermaßen von Isokrates und Lysias die Rede gewesen ist,
statt eines einheitlichen Titels, in dem beide Namen neben-
einander aufgeführt wurden, zwei Titel geführt haben sollte,
in denen jeweils nur einer der beiden Namen genannt wurde.
Die Schwierigkeit löst sich, wenn man, wie Caizzi neuerdings
vorgeschlagen hat, die Alternativkonjunktion in nc.C
ändert. Dieser Eingriff in die Oberlieferung, der auch bei
zwei anderen Titeln des Katalogs (X 1,2) geboten ist, ist
paläographisch ebenso unbedenklich wie die vorhergehende
Ergänzung des Schlußsigmas. Die Konjunktion naC wird in der
Regel gekürzt als ~ geschrieben, und die Buchstaben « u n d TI sehen in Minuskelschrift einander zum Verwechseln ähnlich.
Es ist übrigens möglich, daß der Burbonicus, der den Buch-
staben r nicht wie P und F mit der üblichen Akzentuierung ,
sondern mit einem rechtwinkligen Häkchen (TI) versieht, auch
hier eine Spur der alten Überlieferung bewahrt hat, die nai
statt ri bot.
- 226 -
Akzeptiert man die vorgeschlagene Lesart, so fällt
schließlich auch die Notwendigkeit dahin, den folgenden
Alternativtitel fi ' TnoKpcxTrK Z
u delieren, wie Radermacher
und Caizzi tun müssen, um Dreifachtitel von der Form
'LAOYPACPRIC fi AEAIIC fi ' TAOKPAT-K b z w . ITEPl TWV b L U O Y S A W V
r| ' laOTpacprii; neu Aecuac fi ' laoiipciTTK zu vermeiden. Es ist
keine Frage, daß der schwerverständliche Titel ' iaoypacpric
nat Aeoiac einen Zweittitel tragen mußte, der über den
Sinn der kryptisch-änigmatischen Namensformen bündig Aus-
kunft gab. Der überlieferte Alternativtitel gibt eine
solche Erklärung, indem er den Neunen ' laoypaqjTic in aufge-
löster Form als IoonpaTric bietet. Es ist nicht auszu-
schließen, daß eine derartige Titelabbreviatur als aus-
reichend angesehen wurde, um über den Sinn des kryptischen
Gesamttitels Auskunft zu geben. Es bleibt jedoch zu erwä-
gen, ob der Alternativtitel ursprünglich nicht eine voll-
ständige Auflösung des Ersttitels geboten hat; nachdem die
Worte *ai Auai'ac ausgefallen waren, konnte dann in der
Oberlieferung leicht die mißverständliche Interpretation der
vorhergehenden Worte Platz greifen, deren Erklärung der
modernen Wissenschaft solche Mühe gemacht hat.
6 Ilepi TWV 5 I noypacpuv (I 5)
Eine Bemerkung zunächst zum Titelbegriff. Das seltene Wort
öiHoypacpoc , das in älterer Zeit nur bei Hypereides (frg.
234 Jensen) begegnet, steht synonym für die ungleich häufi-
ger gebrauchte Wendung XoyoYpatpoi; und bezeichnet einen
Rhetoren, der Reden für Privatleute verfaßt, die in Pro-
zesse verwickelt sind. Diese Art rhetorischer Tätigkeit,
die zumeist gegen Bezahlung ausgeübt wurde und so immer
dem Vorwurf der Banausie ausgesetzt gewesen ist, wird in
- 227 -
Athen während des Peloponnesischen Krieges durch Antiphon
begründet und erlebt dann in den folgenden Jahrzehnten ihre
große Zeit, die mit Lysias und Isokrates beginnt, durch
Isaios fortgeführt wird und schließlich in Demosthenes und
Hypereides Höhepunkt und Ende zugleich findet.
Es ist sehr wahrscheinlich, daß Antisthenes diese
"Prozesseschreiber", deren es damals in Athen laut Isokrates
o r . 15.41 "überaus viele" ( rapnXTiöeü; ) gab, wenig günstig
beurteilt hat. So läßt bereits der Titelbegriff ÖIHOYOC(<?O<;
Kritik und Verachtung spüren, indem er den allgemeinen Vor-
wurf der Banausle wiederholt. Darüberhinaus mußte Antisthe-
nes die dikanische Beredsamkeit auf das entschiedenste ab-
lehnen, weil sie als extremste Form einer rein auf Wirkung
und praktischen Erfolg ausgerichteten Rhetorik in striktem
Gegensatz zu seinem eigenen Ideal einer ethisch-philosophisch
begründeten Rhetorik stand. So spricht alles dafür, daß
Antisthenes in der vorliegenden Schrift über die Gerichts-
redner gehandelt hat, um sie zu bekämpfen und so seine ei-
genen rhetorischen Vorstellungen umso wirksamer zur Geltung
zu bringen.
über die literarische Form der vorliegenden Schrift
lassen sich lediglich Vermutungen anstellen. Für den Fall,
daß es sich um eine Rede gehandelt haben sollte, bietet
sich als Vergleichsmodell am ehesten die 'Sophistenrede'
an, in der Isokrates sein rhetorisches Ideal ja ebenfalls
im wesentlichen polemisch begründet, so daß einige antike
Beurteiler (Rh.Gr. III p . 468 Spengel) meinten, das Werk
trüge statt des Titels flepl aotpiatüv besser den Titel
Woyot; oocptoTÜv. Es ist jedoch auch keineswegs auszuschlies-
sen, daß sich Antisthenes hier der dialogischen Form be-
dient hat, um auf ähnliche Weise mit der dikanischen Bered-
samkeit abzurechnen, wie dies der platonische 'Gorgias'
- 228 -
mit der politischen Beredsamkeit tut. In jedem Falle muß
man den Verlust dieser rhetorischen Streitschrift, die
unsere Kenntnis der frühen attischen Beredsamkeit wohl
erheblich erweitern würde, sehr bedauern.
7 ' Lcoyvarpr)(c,) Mal Aeaiai; r ' iao^paTric; (I 6)
Die ältere communis opinio über diese Schrift formuliert
Wyttenbach folgendermaßen: "Haud scio an Antisthenes ut
adversarius Piatonis dialogo Phaedro opposuerit librum
quo Isocratem dilectum reprehenderet et Lysiam vindica-128
ret',' Diese Auffassung läßt sich heute nicht mehr auf-
rechterhalten. Abgesehen davon, daß die Spätdatierung des
'Phaidros', die 0 . Regenbogen, 'Bemerkungen zur Deutung 129 des platonischen Phaidros' , wahrscheinlich gemacht hat,
eine Einwirkung der platonischen auf die antisthenische
Schrift von vornherein ausschließt, zeigt die Deutung der
Namen ' laoYoacprK und Accumr, , mit denen der Titel parodisch
auf Isokrates und Lysias anspielt, daß Antisthenes in der
vorliegenden Schrift keineswegs einen der beiden Redner
auf Kosten des anderen lobend herausstellte, wie Platon
tut, sondern vielmehr beide gleichermaßen polemisch angriff
128) A.a.O. - Ebenso urteilen Usener, Quaestiones Anaxi-meneae, a.a.O., S . 8; ders., Abfassungszeit des plato-nischen Phaidros, a.a.O., S. 144 f.; Urban, über die Erwähnungen der Philosophie des Antisthenes in den platonischen Schriften, a.a.O., S . 7; Natorp, a.a.O., Sp. 2540 f.; Joel, 1. Bd., a.a.O., S . 481 ff., 2. Bd., a.a.O., S . 645 f. Vgl. auch Wilamowitz, Platon, 2. Bd., a.a.O., S . 114.
129) Miscellanea Academiae Berolinensis 2 (1950) S . 198-219 wiederabgedruckt in: 0 . Regenbogen, Kleine Schriften, hrsg. von F . Dirlmeier, Berlin 1961, S. 248-269.-Zum Phaidros v g l . zuletzt G . J . de Vries, A commentary on the Phaedrus of Plato, Amsterdam 1969.
- 229 -
Den erstgenannten Namen erklärt Pohlenz folgendermaßen:
"Nam cum posteriores non modo in r.apä ' [acKpaiei loa lau-
dent (cf. Hermog. II p . 437 Sp.), sed etiam Isocrates ipse
in Panathenaici § 2 se TOPIOUOEI; adhibuisse glorietur eam-
que ipsam ob rem a Piatone irrideatur (Rep. II p . 498 E),
facile adducimur, ut eum ab Antisthene 'Tcrv-^xnv ... vocatum
esse putemus.1 , 1
Diese Erklärung hat in der Forschung ein-
helligen Beifall gefunden, kann jedoch nicht vollends Uber-
zeugen, da eine solche Anspielung auf einen stilistischen
Teilaspekt der Kunstprosa, den Isokrates weder erfunden noch
auch als einziger gepflegt hat, einigermaßen künstlich er-
scheint und durchaus die schlagende Prägnanz und Signifikanz
vermissen läßt, wie man sie bei einer solchen parodisch-
spottenden Namensverformung erwartet. Ein besseres Ver-
ständnis läßt sich gewinnen, wenn man das lexikalische Um-
feld des Wortes 'iacypajprK näher betrachtet. Das Substantiv
selber ist, als ad hoc erfundenes Kunstwort, anderwärts
nirgends bezeugt, wohl aber begegnet, wenn auch höchst sel-
ten, das nahverwandte Adjektiv laoypacpo<; , das nach Analogie
zu den zahlreichen Komposita vom Typ TioXuYpacpoc; regelrecht
gebildet ist. Timon, der Sillograph (frg. 30 Diels), be-
merkt zu Piaton, er sei RI&UEMIT; gewesen, TE'TTI^.V laoypaqior,
Die Stelle lehrt, daß das Wort loo-ypaipoc, nicht als Bezeich-
nung für den isokolischen Stil der Kunstprosa gebraucht wur-
de, sondern vielmehr (wie auch natürlicher ist) ausdrückte,
daß einer dasselbe oder ebenso schreibt wie ein anderer.
Wer aber dasselbe wie andere schreibt,ist nichts anderes als
ein "Abschreiber", und so kann der frühbyzantinische Histo-
riker Menander Protiktor (HGM II p . 24 Dind.Jdie Abschriften
eines schriftlich konzipierten Vertrages als tooypacpot be-
130) A.a.O., S . 158 f. - V g l . Wilamowitz, a.a.O.; Caizzi, Fragmente, a.a.O., S . 78.
- 230 -
zeichnen. Läßt man die Bedeutung des immerhin zweimal
bezeugten Adjektivs auch für das parodische Kunstsubstantiv
'TaoYoacpric, g e l t e n , so ergibt sich, daß Antisthenes Isokra-
tes nicht als isokolischen Stilisten, sondern als "Abschrei-
ber" denunzieren w o l l t e , wobei der Begriff zwischen "Kopist"
und "Plagiator" geschillert haben d ü r f t e . Es ist keine Frage
daß Antisthenes mit diesem ebenso witzigen wie boshaften
Einfall, der erhebliches polemisches Talent und Temperament
verrät, den selbstbewußten Isokrates, der sich auf die for-
male und gedankliche Qualität und Originalität seiner Schrif
ten etwas zugutetat, auf das wirksamste und nachhaltigste
getroffen h a t .
Zur Erklärung des Wortes A E s i n d zwei verschiedene
Vorschläge gemacht w o r d e n . Pohlenz ist der Meinung, Anti-
sthenes habe diese Wortform gewählt, "ut oratorem reos
circumvenientem atque vincientem c a v i l l a r e t u r "1
. Wilamo-
witz hat diese Deutung bestritten: "Diesen metaphorischen
Gebrauch von 6eiv wird Pohlenz wohl schwerlich belegen
können. Wohl aber redet man schon früh von dem Binden
durch einen A f f e k t , &E&ETUI eAnC&I yiua Pindar, 6E5ETO:I. IUNA ifux» Euripides, und das schöne VIHUHEVOI äypvlia bedevxzc,
Pindars führt uns schon näher. Endlich Platon Gorg. 508e,
eine Behauptung 6E5ETCXI ai&ripo~<; Aoyou; , besonders passend,
weil es als äypomoTepov bezeichnet wird ... Geadelt hat
es Platon im Menon 98 a . Also der 'Binder' redet bündig:
er ist den stilistischen Künsteleien ü b e r l e g e n . "1 3 2
Es ist
nicht wahrscheinlich, daß Wilamowitz mit dieser Polemik
gegen Pohlenz recht h a t . Die angeführten Parallelstellen
131) A . a . O . - V g l . C a i z z i , a.a.O., d i e , obwohl sie Pohlenz' Erklärung akzeptiert, merkwürdigerweise dennoch be-hauptet: "I rapporti tra Lisia ed Antistene restano oscuri, benchS v i sia stato chi pensö ad un' amicizia fra i due ..."
132) A . a . O .
- 231 -
beweisen nicht mehr, als daß das Verbum beiv in logischem
und psychologischem Sinne gebraucht werden kann, und auch
wenn sich der stilistische Wortgebrauch nachweisen ließe,
so würde eine solche Anspielung doch außerordentlich nichts-
sagend und blaß wirken, da sie lobend ausfiele. Wer einen
loben will, verdreht nicht seinen Neimen. Pohlenz bemerkt
sehr richtig: "abicienda omnis de Antisthene Lysiae amico 133
suspicio. So erscheint die erstgenannte Erklärung, die
statt einer stilistischen eine juristische Deutung des Na-
mens gibt, ungleich treffender und wirkungsvoller. Lyslas,
der seinen Lebensunterhalt verdiente, indem er für andere
Gerichtsreden schrieb, trägt in seinem Namen ja gewisser-
maßen eine werbewirksame Berufsempfehlung, weil das Wort
Aue iv in der Gerichtssprache die Befreiung des Verurteil-
ten aus dem Gefängnis bezeichnet (vgl. z.B. Plat. Rep.
p . 360°). Antisthenes verkehrt diese Zufälligkeit bewußt
in ihr Gegenteil, da 6e"v als terminus technicus die Ver-
haftung des Angeklagten oder Verurteilten ausdrückt (vgl.
z.B. Plat. Legg. p . 864°). So erscheint der Gerichtsreden-
schreiber AuoCac , der "Befreier", bei Antisthenes als
Aeaiac , der "Verhafter" - auch dies ein Einfall, dem man
Witz und polemische Wirksamkeit nicht absprechen kann.
Ein genauerer Einblick in Form, Inhalt und Absicht der
vorliegenden Schrift läßt sich gewinnen, wenn man den
antisthenischen £ra$uv (VI 3) zum Vergleich heranzieht, der
ja eine ganz ähnliche, auf parodischer Namensverspottung
beruhende polemisch-aggressive Titelgebung aufweist.
Zunächst die Form. So wie der säöuv nachweislich ein
133) A.a.O. - So übrigens, wenn auch ohne die richtige Erklärung des Namens, früher schon Mueller, a.a.O., S . 35, dem Lulolfs, a.a.O., S. 15, 39 beipflichtet: "... Lysiam propter quaestum, quem in conscribendis orationibus faciebat, exagitasse conjicio."
- 2 3 2 -
Dialog gewesen ist (frg. 35,36, 37 C.), so dürfte auch die
vorliegende Schrift in dialogischer Form gehalten gewesen
sein. Ob die Titelpersonen selber als Gesprächsteilnehmer
auftraten oder ob sie lediglich den Gegenstand von Gesprä-
chen anderer bildeten, läßt sich hier leider ebensowenig
entscheiden wie dort.
Der Ea-Suv spielt im Titel vordergründig auf Piatons
Sexualverhalten an, hatte jedoch in der Hauptsache eine
Verteidigung des antisthenischen Satzes von der Unmöglich-
keit des Widerspruchs (frg. 36 C.) zum Inhalt. Dementspre-
chend dürfte auch in der vorliegenden Schrift die persön-
liche Polemik gegen Lysias und Isokrates, wie sie in den
Spottnamen zum Ausdruck kommt, nicht die Hauptsache gewe-
sen sein, sondern vielmehr im Dienste eines sachlich-
überpersönlichen Argumentationszusammenhanges gestanden
haben, in dem Antisthenes die zeitgenössische Rhetorik von
seinem philosophischen Standpunkt aus betrachtete und
kritisierte.
Will man Absicht und Tendenz dieser Kritik näher be-
stimmen, so muß man sich vergegenwärtigen, daß Isokrates
nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges zunächst, wie
Lysias, als Verfasser von Gerichtsreden tätig war, diese
Tätigkeit jedoch, anders als dieser, nach einem Jahrzehnt
aufgab und eine höchst erfolgreiche Schule für Rhetorik
eröffnete, deren philosophisch-theoretisch getöntes Mani-
fest die im Jahre 390 erschienene 'Sophistenrede' formu-
liert. Je nachdem welche dieser beiden Epochen aus dem
Leben des Isokrates man für die vorliegende Schrift in An-
spruch nimmt, fällt die Interpretation der vorliegenden
Schrift jeweils höchst verschieden aus. Gesetzt daß Iso-
krates als Gerichtsredner erschien, so erschien er als
Pendant des Lysias, und wenn Antisthenes so die beiden nam-
haftesten Vertreter der dikanischen Beredsamkeit nebenein-
- 2 3 3 -
anderstellte, so muß sich die Schrift in der Grundtendenz
vor allem gegen die Gerichtsrhetorik gerichtet haben.
Hatte Antisthenes dagegen den späteren Isokrates im Auge,
so standen sich Lysias und Isokrates gewissermaßen als
Antipoden gegenüber, der eine als Repräsentant der ge-
richtlichen Beredsamkeit, der es vor allem um Augenblicks-
wirkung und praktischen Erfolg zu tun ist, der andere als
Repräsentant eines epideiktisch ausgerichteten rhetorischen
Lehrprogramms, das einen allgemeinen Bildungs- und Erzie-
hungsanspruch erhebt. In diesem Falle enthielt die Schrift
einen Angriff auf die gesamte zeitgenössische Rhetorik.
Die Entscheidung zwischen diesen beiden Alternativen
kann nicht zweifelhaft sein, wenn man noch einmal den Spott-
namen 'iaoyp'gric; ins Auge faßt. Der in der Bezeichnung
"Abschreiber" intendierte Vorwurf literarisch-intellektueller
Unselbständigkeit und Inferiorität paßt ungleich besser,
ja eigentlich überhaupt nur, wenn man voraussetzt, daß
Isokrates nicht mehr als Verfasser von Gerichtsreden tätig
war, sondern bereits erfolgreich Rhetorik lehrte und das
anspruchsvolle Manifest und Programm der 'Sophistenrede'
bereits veröffentlicht hatte. Wie denn anders auch gar nicht
einzusehen wäre, wodurch sich die vorliegende Schrift
thematisch von der vorhergehenden Schrift HEO! TUV &iKoypa-
tpwv (I 5) unterschieden haben sollte.
Sind die vorstehenden Überlegungen richtig, so gab
Antisthenes in der vorliegenden Schrift nicht weniger als
eine Generalabrechnung mit der Rhetorik: er griff Lysias
und Isokrates, die beiden namhaftesten Rhetoren seiner Zeit,
persönlich-polemisch an und traf so zugleich die beiden
wichtigsten Hauptrichtungen der damaligen Rhetorik, die
praktisch-dikanische und die epideiktisch-pädagoglsche, die
er beide von Standpunkt seiner eigenen philosophisch be-
- 234 -
gründeten rhetorischen Theorie von den tponoi als unzu-
länglich verwerfen mußte.
So erweist sich die vorliegende Schrift des Antisthenes,
mehr noch als die vorhergehende, ihrer Grundabsicht nach
als rechtes Gegenstück zum platonischen 'Gorgias', mit
dem sie die Abfassungszeit in den späten neunziger Jahren
teilt; sie kann zugleich aber auch als Pendant zum 'Phai-
dros' betrachtet werden, in dem Platon die Gestalten des
Lysias und Isokrates, die hier bei Antisthenes im Mittel-
punkt stehen, sehr viel später noch einmal beschworen hat.
8 ripoc; tov 'ioowpaTOut, 'ApapTupov (I 7)
Der sehr präzise Titel lehrt, daß die vorliegende Schrift
eine Gegenschrift gegen eine Schrift des Isokrates gewe-
sen ist, die den Titel 'A^apTupoi; führte. Diese Schrift,
die Philostrat V i t . soph. 1. 17.3 sowie Apsines (Rh.Gr.
i p . 482 Walz) und Schol. in Hermog. (Rh.Gr. v p . 292,
vii p . 364) ebenso wie der Katalog mit dem Titel 'A|iapTupo<;
zitieren, hat sich glücklicherweise erhalten. Es handelt
sich um die 21. Rede des Isokrates, die der Cod. Vaticanus
68 (A) unter der superscriptio npoc Eiauvouv 4napTupoi;über-
liefert.
Diese Rede, auf die hier kurz einzugehen ist, ist die
früheste der sechs erhaltenen Gerichtsreden des Isokrates,
verfaßt kurz nach Eintritt der Amnestie im Jahre 403 oder
402. Es handelt sich formal um eine Deuterologie, in der
der Redner, der im übrigen ungenannt bleibt, als Nebenklä-
ger (auvfiyopoc) die Anklage seines Freundes Nikias unter-
stützt, die dieser wegen Veruntreuung eines Depositums
- 235 -
(TiapaKaTaSiiKTK) gegen seinen Neffen Euthynus angestrengt
hatte (§1). Die besondere Schwierigkeit des Falles liegt
d a r i n , daß sowohl die Übergabe wie auch die Rückgabe des
Depositums ohne Zeugen vor sich gegangen ist, so daß der
Redner die Beweisführung weder durch Folter noch Zeugen
(|!TIT' £M ßaoavuv pi^x' EH papxupuv) sondern allein aufgrund
von Indizien (EH xenpripiuv ) zu führen gezwungen ist (§ 4).
Der Redner führt diesen Indizienbeweis so, daß er in der
Form mehrerer aufeinander aufbauender und sich steigernder
Epicheireme darlegt, daß es in jedem Betracht wahrschein-
licher ist ( EIHOC ) , daß Euthynus unrecht gegen Nikias
gehandelt hat, als daß Nikias gegen Euthynus eine falsche
Klage eingebracht hätte (§§ 5-7; 8-10; 11-15; 16-19;
20-21).
Die Rede gegen Euthynus weist in der Komposition man-
cherlei Besonderheiten a u f . So werden Hiate und Gorgianismen
hier weniger streng gemieden und die Gesamtdarstellung ist
weniger wortreich und ausführlich, als sonst bei Isokrates
ü b l i c h . Benseier schloß daraus: "Hanc orationem Isocrati 1 34 abiudicandam esse puto." Das Vorkommen von Hiaten und
134) De hiatu etc., 1. B d . , a.a.O., S . 56. - Die Athetese der Rede vertritt m i t Nachdruck E . Drerup, De Isocratis orationibus iudicalibus quaestiones selectae, Jahr-bücher für classlsche Philologie Suppl. 22 (1896) S . 335-371 , bes. S . 364 ff., der den 'Apapxupoi; mit dem TpanEi; ix IHO<; (or. 17) identifiziert; v g l . d e r s . , Iso-cratis opera omnia, 1. B d . , Leipzig 1906, S . CXIX-CXXI, wo die Identifikation mit dem TpanEt;ixIHOC , nicht jedoch die Athetese zurückgenommen w i r d . K . Münscher, Isokrates N r . 2 , in: Pauly-Wissowas RE 9 (1916) S p . 2146-2227, b e s . S p . 2156-2158, hält die Rede ebenfalls für unecht; es handele sich um die Stilübung eines Isokratesschülers.-Wilamowitz, Piaton, 2 . B d . , a.a.O., S . 114, urteilt: "... viel spricht d a f ü r , daß es ein Versuch ist, die verlorene, d . h . von Isokrates unterdrückte Rede aus den Gegenschriften herzustellen."
- 236 -
Gorgianismen berechtigt jedoch keineswegs zur Athetese, zumal
es sich hier um eine sehr frühe Rede des Isokrates handelt,
die noch dazu höchst mangelhaft überliefert ist. Schwierig-
keiten macht allein die außerordentliche Kürze der Kompo-
sition. Blass, der im übrigen die Echtheit der Rede schla-
gend verteidigt hat, folgerte hieraus, daß es sich nicht um
eine wirkliche Gerichtsrede, sondern lediglich um einen 135
"Auszug" oder eine "Studie" handeln könne. Es ist jedoch
auch durchaus möglich, daß Isokrates die kompositorische
Knappheit bewußt gewählt hat, um den Charakter der Rede als
Deuterologie zu unterstreichen. In jedem Falle bleibt fest-
zuhalten, daß die erhaltene Rede des Isokrates in den Grund-
linien und Hauptzügen mit jener Rede übereinstimmt, gegen die
Antisthenes seine Gegenschrift schrieb.
Es ist im übrigen wohlbekannt, wer der Gegner des Iso-
krates im Depositenprozess gewesen ist. Es war kein geringe-
rer als Lysias, von dem eine Rede mit dem Titel npot; Nmiav
nepi napaMaxaSfihti<; (frg. 70 Thalheim) bezeugt ist, die mit
der R e d e ' Ynep EuSuvou (frg. 37 Th.) identisch sein dürfte.
Der Prozess war demnach eine cause celebre: die beiden nam-
haftesten Logographen der Zeit standen sich als Konkurrenten
135) Attische Beredsamkeit, 2. Bd., a.a.O., S. 223. -Ähnlich urteilt B . Keil, Analecta Isocratea, Leipzig 1885, S. 7, Anm. 1. - Die Echtheit der Rede hat vor Blass schon Sauppe, Oratores Attici, 2. Bd., a.a.O., S . 227, entschieden verteidigt: "Ego mihi in hac oratione nihil nisi Isocratem audire videor." Vgl. außerdem bes. Usener, Lectiones Graecae, Rheinisches Museum 25 (1870) S . 574-616, bes. S. 603. Desgleichen treten neuerdings entschieden für die Echtheit ein G . Mathieu und E . Bremond, Isocrate. Discours, 1. Bd., 3. Aufl., Paris 1963, S . 3-5, die die vorliegende Rede für die tatsächlich gehaltene Gerichtsrede halten.
- 237 -
gegenüber in einem Fall, der gänzlich ohne Zeugen rein
nach Indizien geführt werden mußte, so daß der Erfolg
allein von der rhetorischen Qualität und Wirksamkeit der
Reden abhing. Die Popularität dieses Prozesses, der in
die politisch bewegte Zeit der Amnestie fiel, ist es ge-
wesen, die Antisthenes bewogen hat, gegen die Rede des
Isokrates eine Gegenschrift zu verfassen. Die Sache zog
schließlich so weite Kreise, daß der Akademiker Speusipp
es noch eine Generation nach Antisthenes für nötig erach-
tete,eine Schrift npoc TOV 'Apäpxupov (test. 1 Lang)
zu verfassen, in der er die sogenannten änoppnTa des
Isokrates publik gemacht haben dürfte (frg. 63 L.).
Es ist nicht bekannt, in welcher Form die Gegenschrift
des Antisthenes, die in den frühen neunziger Jahren entstan-
den sein dürfte und natürlich rein literarisches Gepräge
trug, gehalten war. Gleichviel aber ob es sich um einen
Dialog, eine Rede oder eine Abhandlung gehandelt hat, es
spricht alles dafür, daß Antisthenes die Rede des Isokrates
höchst genau und eingehend durchgenommen hat, womöglich
Satz für Satz, ähnlich wie es Piaton im 'Phaidros' mit dem
'Erotikos' des Lysias tut. Daß das Ergebnis dieser Prü-
fung mit einer vernichtenden Kritik des Isokrates endete,
liegt auf der Hand.
Die Schrift des Antisthenes hat Wirkung gezeigt. Iso-
krates sagt am Ende des 1
Panegyrikos', der im Jahre 38o
erschien: "... diejenigen aber, die Anspruch auf die
Reden erheben ( ol T CV AOYWV dp<pLOßRITOÜVTEC ) sollen auf-
hören gegen das Depositum ( npo<; TT|V NAPAK<ITA-&II«TIV ) und
über das andere, worüber sie jetzt schwätzen, zu schreiben,
sondern gegen diese Rede hier ihren Wetteifer richten
und zusehen, daß sie besser als ich Uber dasselbe The-
ma reden, bedenkend, daß, wer große Dinge verspricht ( TOVC neyaX' ün LAXVOUPEVO K; ) , sich nicht mit Kleinigkeiten be-
- 238 -
schäftigen ( nepi ^tvipä Sicxtpißeiv ) und nicht solche Dinge
sagen darf, die das Leben derer, die ihm glauben, nicht
fördern ..." (§§ 188.189). Die Wendung npoc tr|v napaHaTotSfiKTiv >
die R.J. Bonner, 'Note on Isocrates' Panegyricus 188', nie-136
mals als "general topic for rhetorical exercises"
hätte bezeichnen dürfen, lehrt ganz eindeutig, daß Isokrates
hier vor allem die antisthenische Schrift gegen den 'Anap-rupo<;
im Auge hat. Der empörte, ja grollende Ton dieser Äußerung
am Ende einer Schrift, die mehr als zwanzig Jahre nach dem
Ende der Affäre um den Depositenprozess erschienen ist,
läßt etwas davon ahnen, wie tief die polemisch-aggressive
Streitschrift des Antisthenes Isokrates getroffen hat. Es
muß sich hier um ein Meisterstück literarischer Polemik
gehandelt haben, dessen Verlust man nicht genug bedauern kann.
9 Antisthenes bei Isokrates
Die Anspielung im 'Panegyrikos' gibt Gelegenheit, ab-
schließend einen Blick auf einige andere Reden zu wer-
fen, in denen sich Isokrates mit Antisthenes auseinan-
dergesetzt hat.
136) Classical Philology 15 (1920) S . 386. - Die Bezie-hung auf Antisthenes hat bereits richtig gesehen H . Wolf, IEOKPATOYI AI1ANTA , Basel 1570, den I.G. Baiter, Isocratis Oratio Panegyrica, Lelzlg 1831, S . 118 f., zitiert. V g l . außerdem bes. Winckelmann, Antisthenis Fragmenta, a.a.O., S. 12, Anm. 13; Usener, Quaest. Anaxim, a.a.O., S. 9; ders., Abfassungszeit des plat. Phaidros, a.a.O., S . 143; Mueller, De Antisthenis Cynici vita et scriptis, a.a.O., S . 36; Blass, a.a.O., S . 220; Wilamowitz, a.a.O., S . 115; Caizzi, Fragmente, a.a.O., S . 79.
- 239 -
An erster Stelle ist hier die 'Sophistenrede1
zu
nennen, die Isokrates um 390 erscheinen ließ, als er
seine Schule eröffnete. Isokrates polemisiert hier ein-
gangs gegen diejenigen seiner pädagogischen Konkurrenten,
"die sich mit den Streitreden beschäftigen" ( ol TCEPI Tai;
Epi∾ 6 taxp CßovTEt; ) (§§ 1-8): Diese Leute geben v o r ,
die Wahrheit ( äx-nöeia ) zu suchen, bringen jedoch gleich
zu Beginn ihrer Ankündigungsprogramme (k n a y y iA^axa )
gleichsam als falsche Wahrsager die lügnerische Behaup-
tung v o r , die Juqend könne bei ihnen lernen, wie man han-
deln müsse ( a npawxeov Eaxi ), und durch dieses Wissen
( in LOTtinri ) glückselig (eü&acCn wv ) werden; wiewohl
sie sich so als Lehrer der gesamten Vorzüglichkeit
( äpExfi ) aufspielen, verlangen sie doch für ihren Un-
terricht nicht mehr als drei oder vier Minen, indem sie
Verachtung des Reichtums zur Schau tragen und von Sil-
ber- und Goldmünzchen ( äpYupibiov Kai xpucuöiov )
sprechen; für das Lehrgeld lassen sie sich von ihren
Schülern, denen sie doch Gerechtigkeit ( ätnaioauvn )
und Besonnenheit ( aucppoauvri ) anerziehen wollen,
Bürgschaft leisten und setzen sich so zu ihrem eigenen
Erziehungsprogramm in Widerspruch; - nach alledem kann
man sich nicht wundern, wenn das Publikum solcherlei Päda-
gogik, die für das praktische Handeln nichts leistet, als
Schwätzerei ( a&oXeaxta ) und pedantische Kleinigkeits-
krämerei (MDtpoXoYia ), nicht aber als Fürsorge für die
Seele ( EHIIIEXEIO M/UXTK ) bezeichnet.
So präzise diese Schilderung auf den ersten Blick er-
scheint, so schwierig ist es, die von Isokrates als "Eri-
stiker" bezeichnete Personengruppe historisch genauer zu
identifizieren. Nachdem man bald auf Platon, auf Euklei-
des oder Aischines geraten hatte, bald auf die eigentlichen
Eristiker vom Schlage des Euthydem und Dionysodor, ver-
- 240 -
trat Usener mit Entschiedenheit die Ansicht, Isokrates 1 37
habe hier "nur den Antisthenes" im Auge gehabt: Anti-
sthenes habe eine Schrift mit dem Titel 'A^Seia ver-
faßt (frg. 1,7 C.); er habe die Vortrefflichkeit für
lehrbar gehalten (frg. 69 C.); er sei arm gewesen und habe
für seinen Unterricht Geld genommen (frg. 184, 190 C.).
Diese Argumentation, die großen Beifall gefunden hat, ist
jedoch keineswegs stichhaltig. Das Dringen auf Wahrheit
und die These von der Lehrbarkeit der äpe-rii sind Vor-
stellungen, die den Sokratikern und den Eristikern gemein-
sam sind, und Honorarforderungen haben die Eristiker sowohl
wie auch Aristipp (frg. 3-8 Mannebach) und Aischines
(test. 1 Dittmar) gestellt, und von den Eristikern wie
von Aischines ließ sich zum mindesten auch behaupten, daß
sie arm waren und sich den Unterricht billig bezahlen lie-
ßen. Aus alledem ergibt sich, daß Isokrates an der vorlie-
genden Stelle keineswegs ausschließlich Antisthenes ange-
griffen hat; er hat überhaupt keine Einzelpersönlichkeit
im Auge, sondern polemisiert gegen die beiden Personen-
gruppen der Sokratiker und der Eristiker, die hier wie-
137) Abfassungszeit des plat. Phaidros, a.a.O., S. 137; vgl. ders., Quaest. Anaxim., a.a.O., S. 12 f. -Ähnlich urteilen später F . Ueberweg, Untersuchungen über die Echtheit und Zeitfolge der platonischen Schriften, Wien 1861, S. 257 ff.; ders., Zu Isokra-tes, Philologus 27 (1868) S. 175-180; C . Reinhardt, De Isocratis aemulis, Diss. Bonn 1871, S. 25; J . Zy-cha, Bemerkungen zu den Anspielungen und Beziehungen in der XIII. und X . Rede des Isokrates, Gymnasialpro-gramm Wien, Wien 1880, S. 4 ff.; Urban, über die Er-wähnungen der Philosophie des Antisthenes in den pla-tonischen Schriften, a.a.O., S. 7; Münscher, Isokrates, a.a.O., Sp. 2172 ff.; Wilamowitz, Piaton, a.a.O., S. 108 f. - Einen ausgezeichneten Überblick Uber die ver-wickelte Geschichte der Forschung gibt K . Ries, Iso-krates und Piaton im Ringen um die Philosophia, Diss. München 1959, S. 25-35. Vgl. außerdem bes. H. Gomperz, Isokrates und die Sokratik I., Wiener Studien 17 (1905) S. 162-207, bes. S. 168 ff.
- 241 -
wohl höchst verschieden, nicht unterschieden werden (und
wohl auch gar nicht unterschieden werden sollen), weil sie
sich bei ihrem pädagogischen Bemühen gemeinsam der dia-
lektisch-dialogischen Form der sogenannten "Streitreden"
( epi&ec ) bedienen. Daß diese Auffassung, die heute all-
gemein akzeptiert wird, richtig ist, lehrt ein Blick auf
die 'Helena'.
Die 'Helena', die Isokrates zusammen mit dem 'Busiris'
in den achtziger Jahren veröffentlichte, als er am 'Panegy-
rikos' arbeitete, enthält ebenfalls eine ausführliche Aus-
einandersetzung mit der pädagogischen Konkurrenz. Es gibt
Leute, heißt es im Proömium (§§ 1-13), die bilden sich et-
was ein, wenn sie über irgendein absurdes oder paradoxes
Thema leidlich zu reden wissen. Weiter heißt es: "Und so
sind die einen ( oi hev ) alt geworden ( HaTayerTipaKaaiv ) ,
indem sie behaupten, daß es nicht möglich sei, zu lügen
( yeu&ff Aeyetv ), zu widersprechen ( avTiAeyeiv ) oder zwei
einander entgegengesetzte Behauptungen über ein und den-
selben Sachverhalt vorzubringen ( 6üu Aoyu nEpi TWV auxwv npayiaaTuv avTeinefv ) , die anderen ( oi &e ) , indem
sie ausführen, daß Tapferkeit ( ctv&ptct ), Weisheit ( ooqua )
und Gerechtigkeit ( & ixa IOOUVTI ) dasselbe sind und daß wir
von Natur aus (tpuoei ) zwar nichts davon besitzen, es aber
eine einzige Wissenschaft ( H^« Enia-rfijiri ) v o n
alledem gibt;
andere wiederum ( ä U o i &e ) beschäftigen sich mit den
Streitreden ( epiSeq ), die keinerlei Nutzen bringen,
sondern die Zuhörer nur verwirren."
Die historische Identität der beiden erst genannten Per-
sonen hat L . Spengel, 'Artium scriptores', als erster
richtig erkannt: "Antisthenem et ... Platonem intelligit
- 242 -
118 his primis verbis." In der Tat lassen die Formulie-
rungen des Isokrates nicht den geringsten Zweifel, daß
hier an erster Stelle Antisthenes gemeint ist, der be-
hauptete, man könne nicht widersprechen (ävx vXe-ye iv ),
ja nicht einmal lügen (veubeaöai ) (frg. 47A C.; vgl.
auch frg. 47 BC, 48, 49 sowie 36, 37 C.). Nicht ganz so
deutlich, aber immer noch deutlich genug ist die folgende
Anspielung auf Piaton, der in seinen aporetisch-definito-
rischen Frühdialogen, namentlich im 1
Protagoras', die
Tugend ( apExii ) auf den Begriff der Erkenntnis (erua-
xiipri ) zurückzuführen versucht. Die letztgenannte Perso-
nengruppe der sogenannten "Streitredner" schließlich zielt
unverkennbar auf die eigentlichen Eristiker vom Schlage
des Euthydem und Dionysodor ab.
Die Tatsache, daß Isokrates an der vorliegenden Stelle
Sokratiker und Eristiker unterscheidet, darf nicht zu der
Vorstellung verführen, als ob er hier eine andere Begriff-
lichkeit anwende als in der 1
Sophistenrede', wo er beide
138) Stuttgart 1828, S . 73, Anm. 98; ders., Piaton und Isokrates, a.a.O., S . 755. - V g l . außerdem bes. Usener, Quaest. Anaxim., a.a.O., S. 9; Mueller, a.a.O., S . 18, Anm. 2; Mullach, a.a.O., S. 266 ff.; Blass, a.a.O., S . 25 f., 33 f . , 242 ff.; Natorp, Antisthenes, a.a.O., Sp. 2539; Gomperz, a.a.O., S . 174-177; Münscher, a.a.O., Sp. 2180 f.; Wilamowitz, a.a.O., S . 118; Ries, a.a.O., S. 47-51; Mathieu-Bre-mond, a.a.O., S. 155 ff. - F . Ueberweg, Zu Isokrates, Philologus 27 (1868) S. 178, Äußert die Ansicht, daß alle drei Personengruppen "Gesinnungsgenossen des Antisthenes" bezeichnen sollten, was allein schon wegen der antithetischen Formulierungen ol psv, ol be, aAA.01 be unmöglich ist. Ebenso verfehlt urteilt Use-ner, Lectiones Graecae, a.a.O., S . 592, der die dritte, d u r c h « U o i be eingeleitete Personengruppe durch Athe-tese eliminieren will.
- 243 -
Gruppen ununterschieden als "Eristiker" bezeichnet. Hier
wie dort erscheinen Sokratiker und Eristiker in einer ge-
meinsamen Gruppe, und wenn diese Gruppe hier genauer in
Sokratiker und Eristiker differenziert wird, so wird diese
Differenzierung wenig später wieder aufgehoben, wenn die
Tätigkeit sowohl von Sokratikern wie von Eristikern mit
demselben Schlagwort, das auch die 'Sophistenrede1
ge-
braucht, als "Philosophie durch Streitreden" (h nepi tat;
epi&ac <piAoaoqita ) (Hei. § 6 = Soph. §§ 1,20) charak-
terisiert wird. Wie denn auch die Hauptvorwürfe hier die-
selben sind wie dort: daß die sogenannte eristische Philo-
sophie allein nach Gelderwerb trachte und, statt die Zu-
hörer zum praktischen Handeln anzuleiten, nichts als
fruchtlose Begriffsverwirrung hervorrufe.
So zeigt sich, daß Isokrates in der 'Sophistenrede1
und in der 'Helena' unter dem Stichwort der "Streitreden"
( E P I & E T ; ) gemeinsam gegen Sokratiker und Eristiker pole-
misiert. Die differenziertere Ausdrucksweise der 'Helena'
lehrt darüberhinaus, daß unter den Sokratikern vor allem
Antisthenes und Platon zu verstehen sind. Der Grund liegt
auf der Hand: Antisthenes und Platon waren die beiden
einzigen Sokratiker, die in Athen Schule oder doch schul-
artigen Unterricht hielten, der eine im Kynosarges, der
andere in der Akademie; sie allein waren für Isokrates
als pädagogische Konkurrenten zu fürchten, während Aischi-
nes, der privatisierte, und Aristipp, Eukleides und
Phaidon, die sich im Ausland aufhielten, außer Betracht
bleiben konnten.
Antisthenes wird in der 'Helena' an erster Stelle ge-
nannt, Platon an zweiter. Man darf aus dieser Reihenfolge
schließen, daß Antisthenes damals durchaus als der bekann-
tere und bedeutendere Sokratiker galt. Hierzu paßt, daß
Antisthenes recht ausführlich als Dialektiker charakteri-
- 244 -
siert wird, während Piaton kürzer als Ethiker abgetan
wird. Aus alledem folgt, daß Antisthenes als Denker offen-
bar früher fertig gewesen ist als Piaton: seine Philosophie
lag in den Hauptzügen bereits vor, als Piaton zu philoso-
phieren begann. Diese Tatsache, die für die Geschichte der
Sokratik von größter Bedeutung ist, legt die Vermutung
nahe, daß Antisthenes auch älter gewesen ist als Piaton.
Hierauf führt das Verbum naTaYeYlP<*Haoiv , das nicht ei-
gentlich auf Piaton abzielt, der damals erst in den Vier-
zigern stand, sondern auf Antisthenes, der "im Greisen-
alter" noch an solchen gedanklichen Kindereien festhält,
wie der Satz von der Unmöglichkeit des Widerspruchs eine
ist.
Abschliessend gilt es, einen weitverbreiteten Irrtum
zu korrigieren. Isokrates erklärt im Proömium der 'Helena'
weiter, durch die unverantwortliche Tätigkeit der Sokrati-
ker und Eristiker sei das "Lügenreden" ( yeuboKoyEiv ) so
sehr in Mode gekommen, daß "neuerdings" ( ri6TI ) manche zu
behaupten wagten, das Leben der Bettler und der Verbannten
sei erstrebenswerter als das der übrigen Menschen (§ 8);
paradoxe Themen wie etwa das Lob der engen Trinkgefäße
((JoußuXioi ) oder das Lob des Salzes ließen sich unschwer
behandeln, viel schwieriger sei es, über allgemein anerkann-
te Gegenstände etwas Neues und Richtiges zu sagen (§ 12).
Uber die erste Bemerkung urteilt Usener: "Ad Cynicorum 139 sectam ... referenda sunt verba." Winckelmann bemerkt
139) Quaest. Anaxim., a.a.O., S . 9. Vgl. außerdem vor allem Mueller, a.a.O., S . 18, A n m . 2; Mullach, a.a.O., S . 266; Gomperz, a.a.O., S . 175.
- 245 -
zur zweiten Stelle: "Antisthenis Protrepticum Isocrates 1 40
... reprehendere videtur." Es ist ohne weiteres zuzu-
geben, daß das Lob des Bettler- und Verbanntenlebens gut
zur Autarkieethik des Antisthenes paßt; desgleichen ist
das seltene Wort ßonPuAioc ausdrücklich für den Ilpo-tpem i-
koc des Antisthenes bezeugt (frg. 18 C.). Daß man an bei-
den Stellen gleichwohl nicht an Antisthenes denken darf,
lehrt der Zusammenhang. Isokrates unterscheidet die Sokra-
tiker und Eristiker als Gruppe ausdrücklich von den jün-
geren Paradoxographen, die, ermutigt durch jene, erst
"neuerdings" ( TI&TI ) hervorgetreten sind, und wenn Anti-
sthenes unzweifelhaft zur ersten Gruppe gehört, so kann
er in der zweiten Gruppe nicht gemeint sein. Isokrates
denkt hier nicht an Philosophen, sondern an paradoxogra-
phische Rhetoren vom Schlage des Polykrates, der unter
anderem eine Lobrede auf die Mäuse und auf die Rechenstei-
ne verfaßte (frg. 9 Radermacher).
Nach der 'Helena' und dem 'Buslris', der sich ausschließ-
lich mit Polykrates auseinandersetzt, folgt der im Jahre
38o erschienene 'Panegyrikos', der noch einmal eine bittere
Polemik gegen Antisthenes enthält, wenn am Ende von jenen
gesprochen wird, die "gegen das Depositum" ( npo<; TTIV rtapa-
KaxaöfiHTiv ) schreiben, statt sich mit der vorliegenden
140) A.a.O., S . 21, A n m . 1. V g l . außerdem die oben in Anm. 139 genannten Stellen, denen noch Caizzi, Fragmente, a.a.O., S. 92 hinzuzufügen ist. - Gegen eine Zuwei-sung beider Stellen an Antisthenes polemisieren zu Recht Münscher, a.a.O., Sp. 2182, sowie neuerdings auch Mathieu-Bremond, a.a.O., S . 157; richtig auch Blass, a.a.O., S . 336, A n m . 7, S . 370, Anm. 7; sowie Wilamowitz, a.a.O., S . 117 ff.
- 246 -
epideiktisch-politischen Mahnrede zu messen (§§ 188 f.).
Diese Anspielung, von der bereits ausführlich die Rede
war (vgl. S. 237 f.) markiert zugleich das Ende der Pole-
mik zwischen Isokrates und Antisthenes. Die folgenden
großen epideiktischen Reden geben kaum Raum für persönli-
che Polemik, und als Isokrates nach beinahe einem Viertel-
jahrhundert in der 'Antidosis' und, noch später, im 1
Panathenaikos' seine "Philosophie" auf Neue gegen die
"Eristiker" verteidigen zu müssen glaubt, da ist es nur-
mehr der jetzt übermächtige Piaton und sein Schüler Ari-
stoteles, die in den Blick geraten. Diese Debatte, die
K. Ries, 'Isokrates und Piaton im Ringen um die Philoso-141
phia' , eingehend verfolgt hat, kann hier außer Be-
tracht bleiben, weil Antisthenes an ihr keinen Teil mehr
hat. Er war damals tot und, wahrscheinlich, auch schon
vergessen.
ß- Die Glaubwürdigkeit der Überlieferung über eine rhetorische Periode im Leben des Antisthenes
Die Untersuchung der rhetorischen Schriften hat immer wie-
der ergeben, daß Rhetorik und Philosophie bei Antisthenes
nicht zwei voneinander geschiedene oder gar gegensätzliche
Bereiche darstellen, sondern daß die Rhetorik als Teil des
antisthenischen Denkens philosophisch begründet wird. In
striktem Gegensatz hierzu behauptet die antike Uberlieferung,
Antisthenes habe zuerst Rhetorik gelernt und gelehrt, habe
141) Diss. München; dort auch eine Ubersicht über die reichhaltige einschlägige Literatur, der jetzt noch hinzuzufügen ist: H . Erbse, Piatons Urteil über Iso-krates, Hermes 99 (1971) S. 183-197; G.J. de Vries, Isocrates in the Phaedrus. A reply, Mnemosyne 24 (1971) S . 387-390.
- 247 -
diese Beschäftigung jedoch später, nachdem er Sokrates be-
gegnet sei, aufgegeben und sich ganz der Philosophie zuge-
wandt. Der auffällige Widerspruch zwischen literarischer
und biographischer Überlieferung löst sich auf, wenn man
die biographische Tradition genauer auf ihre Glaubwürdig-
keit hin untersucht.
Diogenes Laertius 6.1-2 (frg. 125, 7, 127, 128A C.): OUTOC; (sc. Antisthenes) K<XT' äpx<*<; finouoE Fopyiou toü p1^Topoc;• oöev TO Ö T I T O P I H O V E I&O< ; EV TO~c, &taX0Y0i<; ETiiq>£pEi N A I n « X L O T A EV Trj" 'AXriÖEia H A I TO Tq npOTpEHT IHO~<; (cf. Ps.-Eudocia s.v.' AVT laöEvricp. 96 Flach). q>TTAL 6' "EpiiiJiTtot; (FHG III 45 ), O T I RCPOEIXETO EV xfT TCV ' I O O H I U V navriYupEi \|/E^ai TE vtai enaivEoai ' AÖTiva louq , 0r|-ßai'ouq, AaHEÖa i p.o v touq • E iTa H E V T O I rcapa iTriaacx-Sa i t&ovTa T IXE I O U <; EH T Ü V TCOXEUV äep I YH£ vouq. uuTEpov 6E napeßaXE EtonpaTEi nai T O O O U T O V U V O T O a u T o ü , u>o-TE napfivEi Tofi; ti^^TatTc; yEvEa-9ai a u T Ü npöc, EcunpaTTiv oufi-l_ia$r|Td(, (cf. Ps.-Eud. I.e.) .
Hieronymus adv. Jovin. 2.14.344 (frg. 128B C.): Hie certe est Antisthenes, qui cum gloriose do-cuisset rhetoricam, audissetque Socratem, dixisse fertur ad diseipulos suos: "abite et magistrum quaerite, ego enim repperi". statimque venditis quae habebat et publice distri-butis nihil sibi amplius quam palliolum reservavit.
Gnomologium Vaticanum 4 (frg. 128C C.): o aÜToq (sc. Antisthenes) npoTepov priTopinriv E & I & O O H E V ,
E TIE IT a SoiKpOTCUC EITTOVTO C, (JETEßaXETO* EVTUXUV &E TOK ETaipOlt;, TTpOTEpOV, ELFT), T|T E ßOU ß a-SriTa i , vüv 6 * av voüv E X N T E , EOEOÖE O U H H A Ö R I T A I .
Suda s.v. ' AV T I O SE ' V T X ; 1 p. 243 Adler (frg. 126 C.): ' A V T LA^EVTN; ... äno priTopuv ipiXoaocpot; F.wv.nax IH6<; .
überblickt man diese Uberlieferung, so zeigt sich, daß hier
in verschiedener Ausführlichkeit und verschiedener Brechung
viermal dieselbe Geschichte erzählt wird: Antisthenes treibt
Rhetorik, gibt diese Tätigkeit jedoch auf, nachdem er So-
krates kennengelernt hat, um sich der Philosophie zuzuwenden.
- 248 -
Daß diese Geschichte im Kern auf die frühhellenisti-
sche Biographie zurückgeht, lehrt die Tatsache, daß
Hermipp (FHG III 45) sie bereits voraussetzt, indem
er sie um ein Detail erweitert. Caizzi will die Her-
kunft der Erzählung chronologisch noch weiter hinaus-
rücken, indem sie die Quellen als "forse giä peripa-142
tetiche, certamente stoiche" bezeichnet. Dieses
Urteil ist jedoch zuversichtlicher, als die Überlie-
ferung erlaubt, und selbst wenn sich der peripatetisch-
stoische Ursprung der Antisthenesbiographie erweisen
ließe, so würde diese Tatsache noch nichts über die
Glaubwürdigkeit dieser Tradition aussagen, auf die
es in diesem Zusammenhang allein ankommt.
Die Glaubwürdigkeit der biographischen Uberlie-
ferung ist in der Forschung niemals ernsthaft in
Zweifel gezogen worden, nicht einmal im 19. Jahrhun-
dert, das Antisthenes mit soviel analytischer Kritik
bedacht hat. Diese Tatsache ist umso merkwürdiger,
als die biographische Tradition über Antisthenes alle
Merkmale antiquarisch-hellenistischer Lebensbeschrei-
bung aufweist, die durch Erfindung und Ausdeutung
des Literarischen die karge tatsächliche Uberlieferung
phantasievoll, aber ohne Kritik zu erweitern und zu
bereichern trachtet.
142) Fragmente, a.a.O., S . 119. - Zur Antisthenes-biographie vgl. außerdem bes. Deycks, a.a.O., S . 4-14; Chappuis, a.a.O., S. 1-22, S . 169-183; Mueller, a.a.O., S. 3-24; Mullach, a.a.O., S. 261-167; Natorp, a.a.O., Sp. 1894-95; K.v. Fritz, Antistene e Diogene, Studi Italiani di Filolo-gia ed Istruzione Classica N.S. 5 (1927) S . 133-149; P . Von der Mühll, Untersuchungen biographischer Uberlieferung, Museum Helveticum 23 (1966) S . 234-239.
- 249 -
So bietet sogleich die Erzählung von des Antisthenes
Schülerschaft bei Gorgias, von der allein Diogenes (frg.
125, 7 C.) berichtet, ein klassisches Beispiel dafür, wie
sich die antike Biographie Tatsachen erfindet. Antisthenes,
so heißt es, habe bei Gorgias "gehört" (fixouoev); in-
folgedessen habe er in seinen Dialogen auch "rhetorisches
Gepräge" ( pTi-rcpixov EI&OC ) aufgetragen, besonders in der
'AXfiöeia und im npoxpEirr iv<6q. Akzeptiert man diese Notiz
als historisch glaubwürdige Information, so gerät man
unversehens in Schwierigkeiten, weil nicht einzusehen ist,
wie Antisthenes bei seiner notorischen Armut das exor-
bitant hohe Honorar bezahlen konnte, das Gorgias verlang-
te (VS 82 A 2, 4 , 18). Wilamowitz behauptet: "Antisthenes,
so arm er später w a r , hat zuerst die Mittel besessen, bei 143
Gorgias zu studieren." In der Tat berichtet Hieronymus
(frg. 128B C.), Antisthenes h a b e , als er Sokrates kennen-
lernte, seinen Besitz öffentlich verteilt und für sich nur
ein "Mäntelchen" ( p a l l i d u m ) zurückbehalten. Diese Ge-
schichte ist jedoch hier fehl am Platze, sie ist von
Krates, in dessen Biographie sie festsitzt (vgl. b e s .
Diog. Laert. 6.87), irrtümlich auf Antisthenes über-
tragen worden, der nun, bevor er noch Sokratiker gewor-
den ist, bereits als manteltragender kynischer Bettel-
philosoph erscheint. Daß Antisthenes jemals reich genug
gewesen ist, für eine rhetorische Ausbildung hundert
Drachmen zu bezahlen, erscheint ganz und gar ausgeschlos-
sen, wenn anders man nicht die ebenso glaubwürdig wie
einhellig überlieferten Berichte von seiner großen Armut
und Genügsamkeit in Zweifel ziehen w i l l .
Indes sind dergleichen Überlegungen im Grunde m ü ß i g .
143) Platon, 1. Bd., a.a.O., S . 260.
- 250 -
Der Bericht des Diogenes läßt keinen Zweifel daran, daß
das "rhetorische Gepräge", das man in den Schriften des
Antisthenes diagnostizierte, das einzige Zeugnis gewe-
sen ist, das man besaß, um die Schülerschaft des Anti-
sthenes bei Gorgias zu beweisen. Dieses ohnehin schwache
Beweismittel wird vollends gegenstandslos, wenn man
bedenkt, daß man, um den rhetorisch-gorgianischen Stil
des Antisthenes zu demonstrieren, offenbar keine anderen
Schriften namhaft zu machen vermochte als die Dialoge,
und hier im Grunde auch wieder nur die 'AVpOeia und den
npoTpeiiT imoc , die Antisthenes nach Lage der Dinge doch
nur als Sokratiker verfaßt haben konnte, nachdem er
sich von Gorgias und der Rhetorik radikal abgewandt hat-
te. Die antike Biographie liebt es, solcherart stil-
und literarkritische Beobachtungen ins Biographisch-
Faktische umzudeuten. So hat etwa (um nur ein Beispiel
von vielen zu nennen) der Epikureer Idomeneus (FGrHist
338 F 17) aus der Tatsache, daß Aischines alle seine
Dialoge Sokrates in den Mund legt, den Schluß gezogen,
Sokrates sei der eigentliche Verfasser dieser Schriften;
Aischines habe sie nach Sokrates' Tode von Xanthippe
zum Geschenk erhalten und dann betrügerischerweise
als die seinen ausgegeben. Daß dergleichen Schlüsse
vom Literarischen aufs Biographische, bei denen sich
jedesmal der Grund in die Folge verkehrt, keinerlei
historische Beweiskraft besitzen, liegt auf der Hand.
Nachdem die antike Biographie Antisthenes dergestalt
zum Schüler des Gorgias gemacht hatte, mußte sie nun auch
erzählen, wie Antisthenes zum Sokratiker wurde, als der
er in der Überlieferung bekannt war. Diesen Zweck erfüllt
eine Bekehrungsgeschichte, die Diogenes, das Gnomologium
- 251 -
Vaticanum und Hieronymus, der allerdings leicht vari-
iert, gemeinsam überliefern (frg. 128BC C.): Nachdem
Antisthenes mit Sokrates bekannt geworden sei, habe er
seine Schüler, die er in der Rhetorik unterrichtete,
aufgefordert, mit ihm Schüler bei Sokrates zu werden.
Abgesehen davon, daß diese Geschichte die erfundene
Schülerschaft des Antisthenes bei Gorgias voraussetzt,
ist sie auch für sich genommen von höchst zweifelhafter
Historizität. Zunächst wird Antisthenes hier, ohne daß
man erführe wie, zum Lehrer der Rhetorik, nachdem er
eben noch ihr Schüler gewesen ist. Nimmt man diese Über-
lieferung ernst, so ergäben sich für die Geschichte
der frühen attischen Beredsamkeit ganz neue Aspekte,
indem Antisthenes, dessen Schule man sich nicht anders
als in den zwanziger Jahren des fünften Jahrhunderts
denken kann, als einer der frühesten, wenn nicht über-
haupt als der frühste Rhetoriklehrer in Athen anzu-
sehen wäre. Indes wird man sich hüten, aufgrund einer
solch beiläufigen Anekdote die Uberlieferung über die
frühattische Beredsamkeit, die Antiphon als ersten
athenischen Lehrer der Rhetorik kennt, so tiefgreifend
zu verändern. Zu Recht bemerkt Blass: "Die rhetorische
Schule, die er bis zur Bekanntschaft mit Sokrates 143
selbst gehabt haben soll, lasse ich auf sich beruhen."
Aber dann muß man die ganze Anekdote, die anders nicht
zu erzählen ist, auf sich beruhen lassen.
Im übrigen handelt es sich hier um eine jener typi-
schen Berufungs- und Erweckungsgeschichten, wie sie die
antike Biographie mit Vorliebe zu erfinden pflegt, um
sinnfällig zu beschreiben, wie ein bekannter Mann eines
- 252 -
bekannten Mannes Schüler oder Anhänger geworden ist.
Wie wenig Historizität dergleichen Geschichten zuzu-
billigen ist, lehrt besonders eindrücklich die Piaton-
biographie, die gleich zwei einander ausschließende
Varianten solcher Art erhalten hat: Diogenes Laertius
3.5 erzählt, Piaton sei ursprünglich Dichter gewesen,
habe jedoch, nachdem er an den Dionysien mit Sokrates
bekanntgeworden sei, seine bereits fertiggestellte tra-
gische Tetralogie verbrannt, um nur noch der Philosophie
zu leben; demgegenüber berichtet Aelian var. hist. 3. 27,
Piaton habe sich wegen drückender Armut als Söldner ins
Ausland verdingen wollen, sei jedoch beim Waffenkauf
Sokrates begegnet, der ihn zur Philosophie bekehrt habe.
Es ist müßig, solche Geschichten auf ihre Historizität
zu befragen; es handelt sich um sinnfällige Erfindungen
der antiken Biographie, und ebensowenig wie Piaton je-
mals Tragödiendichter oder Söldner gewesen ist, ebenso-
wenig hat Antisthenes jemals in Athen eine Schule für
Rhetorik unterhalten.
Abschließend bleibt noch jene Geschichte zu bespre-
chen, die Diogenes (frg. 127 C.) aus Hermipp (FHG III 45)
geschöpft hat: daß Antisthenes an den Isthmien eine Lob-
und Tadelrede auf Athener, Thebaner und Spartaner habe
halten wollen, dieses Vorhaben jedoch aufgegeben habe,
als er gesehen habe, daß die Mehrzahl der Zuhörer aus
diesen Städten gekommen sei.
Der Sinn dieser Geschichte ist überaus dunkel. Wenn
Antisthenes Athener, Thebaner und Spartaner in einer pan-
egyrischen Rede loben und tadeln wollte, wie konnte es
ihn stören, daß die Mehrheit der Zuhörer aus ebendiesen
Städten kam? Und wenn ihm an einem möglichst unpartei-
ischen und objektiven Publikum lag, wie konnte er über-
- 253 -
sehen, daß an einem der panhellenischen Spiele die Ein-
wohner der drei größten und mächtigsten Städte des Mutter-
landes sich in der Überzahl oder doch zummindesten in
überaus großer Zahl einfinden würden? Kein Geringerer
als G.E. Lessing hat diese Ungereimtheiten zu beheben
versucht: "Diese Stelle bedarf offenbar einer Verbesse-
rung ... Diogenes will sagen, Hermippus melde, daß Anti-
sthenes bei den isthmischen Spielen einst die Athenienser
in einer öffentlichen Rede habe tadeln und bestrafen, die
Thebaner und Lakedämonier aber loben wollen, da er aber
gesehen, daß von den beiden letzteren allzu viele zugegen
gewesen, so habe er es unterlassen, aus Beisorge ohne
Zweifel, nicht sowohl für einen Sittenrichter der ersteren
als vielmehr für einen Schmeichler der letzteren gehal-144
ten zu werden." Es ist nicht zu leugnen, daß die Ge-
schichte, so verstanden, zum mindesten einen Sinn erhält.
Es ist jedoch höchst unwahrscheinlich, daß ein solcher
Verbesserungsvorschlag, der im übrigen nicht ohne tief-
gehende Eingriffe in den überlieferten Text möglich wäre,
hier am Platz ist. Daß die Erzählung bar jeder Histori-
zität ist, lehrt allein schon die Tatsache, daß sie die
erfundene Geschichte von der Gründung einer Rhetorik-
schule voraussetzt, weil Antisthenes hier in der Manier
des Gorgias als gewerbsmäßiger Sophist auftritt. Im
übrigen konnte Theben in den zwanziger Jahren des fünften
Jahrhunderts, in denen Antisthenes allenfalls Rhetor ge-
wesen sein könnte, schwerlich als gleichrangige Stadt
neben Athen und Sparta genannt werden, sondern allenfalls
nach der Niederlage Athens im Peloponnesischen Kriege,
recht eigentlich überhaupt erst nach Leuktra im Jahre 370.
144) Philologischer Nachlaß, 13. Bd., S. 295 f. (Hempel); zitiert bei 0 . Apel, Diogenes Laertius. Leben und Meinungen berühmter Männer, a.a.O., S . 324 f .
- 254 -
So liegt der Schluß nahe, daß Hermipp die ganze Bege-
benheit erfunden hat, um die rhetorische Epoche im
Leben des Antisthenes, die die antike Biographie sich aus
einem Stilurteil rekonstruiert hatte, durch ein konkretes
Detail zu beleben und auszuschmücken, damit sie nicht so
völlig ereignislos bliebe, wie sie in der ihm vorliegenden
Uberlieferung erscheinen mußte. Daß die so erfundene Ge-
schichte nicht recht sinnvoll ausfiel, war hierbei ohne
Belang.
Schließlich lehrt auch die Chronologie, daß die Über-
lieferung über die rhetorische Epoche im Leben des Anti-
sthenes hinfällig ist. Gorgias kam zum ersten Male im
Jahre 427 nach Athen (VS 82 A 4), so daß Antisthenes
seine Rhetorikschule allerfrühestens im Jahre 426 er-
öffnet haben könnte. Demgegenüber läßt Xenophon Anti-
sthenes im 'Symposion', das im Jahre 422 spielt, bereits
als Sokratiker auftreten. Die bekannte Anekdote, Sokrates
habe nach der Schlacht bei Tanagra über Antisthenes ge-
sagt, ein so tapferer Mann könne nicht von zwei Athenern
abstammen (frg. 123 C.), führt auf das Jahr 424 als
spätesten Termin für Antisthenes" Konversion zu Sokrates,
wenn man die Schlacht bei Tanagra mit der Schlacht beim
Delion identifizieren darf, die allerdings nie so genannt
wird; wenn das Gefecht gemeint sein sollte, das Thuky-
dides 3.91 erwähnt, so gerät man gar ins Jahr 426. So
bleibt im ungünstigsten Falle überhaupt keine Zeit, in
der Antisthenes rhetorisch tätig gewesen sein kann; im
günstigsten Falle sind es nicht mehr als knapp vier Jahre.
Und weiter: Diodor (frg. 140 C.) berichtet glaubwür-
dig, daß Antisthenes im Jahre 366 als angesehener Philo-
soph in Athen lebte, so daß man seinen Tod schwerlich
früher als um das Jahr 360 anzusetzen berechtigt ist.
- 255 -
Ps.- Eudokia (frg. 141 C.) nennt als Lebensalter sieb-
zig Jahre, was auf das Jahr 430 als Geburtsjahr führen
würde, wenn man dieser modernen Schwindelquelle nicht
mißtrauen müßte. Rechnet man großzügiger mit einer
Lebensspanne von achtzig, ja von fünfundachtzig Jahren,
so muß Antisthenes im Jahre 440, bzw. 445 geboren worden
sein.
Legt man überall nur die jeweils allergünstigsten
Daten zugrunde, so ergibt sich folgende Rechnung:
Antisthenes war im Jahre 427 als Achtzehnjähriger Schü-
ler des Gorgias; als Neunzehnjähriger eröffnete er eine
Schule für Rhetorik, die er über vier Jahre hin mit sol-
chem Erfolg führte, daß er als gerade Zwanzigjähriger
an einem panhellenischen Fest eine panegyrische Rede
halten konnte; als Dreiundzwanzigjähriger gab er diese
erfolgreiche Tätigkeit auf, um Schüler und Anhänger des
Sokrates zu werden. Aber diese Rechnung widerlegt sich
selbst, und so beweist die Chronologie dasselbe, was
auch die historisch-kritische Analyse der biographischen
Tradition bewiesen hatte: daß Antisthenes niemals als
Rhetor tätig gewesen ist. Der vorsokratische Antisthenes
hat nie existiert.
- 256 -
BIBLIOGRAPHIE
Vorbemerkung:
Das vorliegende Literaturverzeichnis führt der größeren Übersichtlichkeit halber lediglich die unmittelbar ein-schlägigen sowie die im Haupttext zitierten Werke auf; alle anderen Titel sind jeweils an ihrem Ort in den Anmerkungen bibliographisch erfaßt.
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APPENDIX:
Diogenis Laertii Burbonicus Parisinus Laurentianus codices ad scriptorum Antisthenicorum catalogum qui pertinent pho-totypice expressae proferuntur.
C o d . Neapolitanus Burbonicus Iii B 29 (s. xil)
112 v (Diog. Laert. 6.15-17)
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p . 116 r (Diog. Laert. 6.14-16)
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Cod. Laurentianus 69.13 (s. xili)
p . 65 v (Diog. Laert. 6.14-18)
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LEBENSLAUF
Ich, Andreas Patzer, wurde am 1. Januar 1943 als Sohn
des Universitätsprofessors Dr. Harald Patzer und seiner
Ehefrau Annemarie, geb. Becker, in Marburg/Lahn (Hessen)
geboren.
In Marburg besuchte ich von Ostern 1949 bis zum
Frühjahr 1953 die Volksschule. Im April 1953 trat ich in
das dortige Gymnasium Philippinum ein, das ich im Herbst
1957 verließ, weil meine Eltern nach Frankfurt/Main um-
zogen. In Frankfurt besuchte ich von Herbst 19 57 das
Lessing-Gymnasium, an dem ich im März 1962 die Reife-
prüfung ablegte.
In Frankfurt studierte ich vom Sommer-Semester 1962
bis zum Winter-Semester 1963/64 an der Johann-Wolfgang-
Goethe-Universität die Fächer Griechisch, Lateinisch,
Philosophie und Alte Geschichte; für dieselben Fächer
war ich vom Sommer-Semester 1964 bis zum Sommer-Semester
1969 an der Rupprecht-Karl-Universität in Heidelberg
eingeschrieben, wo ich am 16.7.1970 mit einer Arbeit
über den Sokratiker Antisthenes zum Dr. phil. promoviert
wurde.
Seit Herbst 1970 bin ich hauptberuflich am Institut
für Klassische Philologie der Universität München tätig,
zuletzt als Akademischer Rat.
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