Andreas Patzer Antisthenes Der Sokratiker. Das Literarische Werk Und Die Philosophie, Dargestellt Am...

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ANTISTHENES DER SOKRATIKER Das literarische Werk und die Philosophie, dargestellt am Katalog der Schriften (Teildruck) Inaugural-Dissertation aur Erlangung der Würde eines Doktors der Philosophie vorgelegt der Fakultät für Orientalistik und Altertumswissenschaft der Ruprecht-Karl-Universität zu Heidelberg von A n d r e a s Patzer aus Marburg .1970

Transcript of Andreas Patzer Antisthenes Der Sokratiker. Das Literarische Werk Und Die Philosophie, Dargestellt Am...

A N T I S T H E N E S D E R S O K R A T I K E R

Das literarische Werk und die Philosophie,

dargestellt am Katalog der Schriften

(Teildruck)

Inaugural-Dissertation

aur Erlangung der Würde eines Doktors der Philosophie

vorgelegt der Fakultät für

Orientalistik und Altertumswissenschaft

der Ruprecht-Karl-Universität zu Heidelberg

von A n d r e a s P a t z e r

aus Marburg

.1970

1. Gutachter: Prof. Dr. Uvo Hölscher

2. Gutachter: Prof. Dr. Franz Dirlmeier

Tag der mündlichen Prüfung: 16. Juli 197o

PATRI SEXAGENARIO

a. d . V I . Non. Iul.

A . D . MDCCCCLXX

VORWORT

Die vorliegende Dissertation hat während der Bearbei-

tung für den Druck so erheblich an Umfang zugenommen,

daß es geraten schien, vor der Veröffentlichung in

Buchform zunächst einen photomechanischen Teildruck

herauszugeben. Die Veröffentlichung dieses Teildrucks,

der ungefähr die Hälfte des gesamten Textes umfaßt,

geschieht mit freundlicher Erlaubnis des Herrn Dekans

der Fakultät für Altertumswissenschaft und Orienta-

listik der Universität Heidelberg.

An dieser Stelle gilt es vielfach Dank zu sagen.

Danken möchte ich vor allem meinem Lehrer, Herrn Pro-

fessor Uvo Hölscher, der diese Arbeit betreut hat;

ohne seine freundliche Unterstützung und hilfreiche

Kritik hätte ich das Buch gar nicht schreiben können.

Herr Professor Franz Dirlmeier hat mir im Sachli-

chen und Stilistischen wertvolle Ratschläge gegeben,

die ich dankbar aufgenommen habe.

Mein Freund Rüdiger Leimbach war immer bereit,

schwierige Fragen mit mir zu besprechen.

Danken möchte ich auch Frau Margarethe Humble,

die mir die ungedruckte Antisthenesausgabe ihres ver-

storbenen Mannes zur Einsicht überlassen hat.

Dank auch der Bibliothdque Nationale in Paris, der

Biblioteca Laurenziana in Florenz und der Biblioteca

Nazionale in Neapel für die Fotokopien aus Handschrif-

ten des Diogenes Laertius; sowie der Frankfurter

Stadt- und Universitätsbibliothek für die Beschaffung

der entlegeneren Literatur.

Die Herstellung des schwierigen Manuskripts hat

Frau Gerda Hopfner treulich besorgt.

A.P.

1

INHALTSVERZEICHNIS

EINLEITUNG S . 11

I. UBERBLICK ÜBER DIE FORSCHUNG s . 16

I I . GLIEDERUNG UND METHODE S . 45

III. DER XENOPHONTISCHE ANTISTHENES S . 55

1. Memorabilien 3.11.17 S . 55

2 . Memorabilien 2.5 S . 56

3 . Symposion S . 60

4 . Antisthenes bei Xenophon S . 87

I V . DAS LITERARISCH-PHILOSOPHISCHE WERK DES ANTISTHE-NES S . 91

1. Die antiken Zeugnisse Uber die Schriften S . 91

a . Umfang S . 91

b . Inhalt S . 92

c . Form S . 94

d . Stil S . 98

e . Echtheitskritik S . 101

2. Der Katalog S . 107

a . Text S . 107

b . Abfassungszeit und Herkunft S . 118

c . Gliederung S . 127

d . Titel S . 143

3. Die Einzelschriften S . 163

a . Die rhetorischen Schriften S . 163

a . t0|10 c, a ' S . 163

1 Ilepi \eE,euk fl ncpi xa

O<*KTnpuv S . 164

2 A"a<; fl Aiavtoq \6yoc, S . 1 9 0

3 'O&uoaeüq T] [nept] 'Obuaasux; (\6yoc.) . S. 191

4 'Opeaxou äno^oyta S. 215

5 Die Problematik der Titel rheto-risch-aktueller Thematik S. 218

6 fiept TÜV &LXOYpaq>wv S. 226

7 ' Ioofpacpn(^) HOCI A e o i a t ; S. 228

8 ripoe; TOV ' IaoHpatoiK; 'A^aptupov S . 234

9 Antisthenes bei Isokrates S . 239

p. Die Glaubwürdigkeit der Uberlieferung über eine rhetorische Periode im Leben des Antisthenes S . 246

BIBLIOGRAPHIE S . 256

APPENDIX:

Diogenis Laertii Burbonicus Parisinus Laurentianus Co-dices ad scriptorum Antisthenicorum catalogum qui per-tinent phototypice expressae proferuntur S. 271

EINLEITUNG

Eine Untersuchung über den Sokratiker Antisthenes bedarf

keiner langen Vorrede. Antisthenes wie auch die anderen

Sokratiker, deren Werk nur in Bruchstücken überkommen ist,

sind rechte Stiefkinder der Wissenschaft. Es fehlt an

gründlichen Fragmentsammlungen und Kommentaren; es fehlt

an gründlichen Interpretationen. Wer hier forscht, forscht

auf wenig bekanntem Boden, der manchen Fund verspricht.

Die Handbücher, die die wissenschaftliche communis opinio

am deutlichsten widerspiegeln, pflegen die Sokratiker in

zwei Gruppen einzuteilen: In der ersten erscheint Piaton;

in der zweiten werden Aischines, Antisthenes, Aristipp,

Eukleides, Phaidon, Xenophon und die Apokryphen unter

wechselndem Rubrum als "kleine", "einseitige" oder "un-

vollkommene" Sokratiker abgehandelt. Diese beliebte und

althergebrachte Einteilung erklärt Piaton zum einzigen

rechtmäßigen Erben sokratischen Denkens; die anderen

Sokratiker gehen leer aus, gleichsam wie schlechte Schü-

ler, die ihren Lehrer nicht richtig verstanden haben.

So nimmt es nicht wunder, daß sich die Wissenschaft mit

Piaton ausführlich, mit den anderen Sokratikern recht

wenig beschäftigt hat.

Die genannte Klassifizierung ist indes nichts weni-

ger als historisch richtig und gerecht. Niemand wird be-

streiten, daß Piaton der größte Sokratiker gewesen ist.

Aber gerade darum taugt er nicht zum Maßstab: Piatons

Größe läßt selbst das Bedeutende noch klein erscheinen.

Bedeutende Köpfe aber sind die Sokratiker allesamt ge-

wesen: Antisthenes, Aristipp, Eukleides und Phaidon waren

bedeutende Denker, Gründer namhafter Philosophenschulen,

denen die hellenistische Philosophie entscheidende Anre-

gungen verdankt; Aischines und Xenophon waren, wenn keine

- 12 -

eigenständigen Denker, so doch bedeutende Schriftsteller,

deren stilistisches Können die antike Literaturkritik

einhellig rühmt. Alle diese Männer haben sich zu ihrem

Teil bemüht, Sokrates zu verstehen, weiterzudenken und

darzustellen, und keiner von ihnen hat es verdient, ab-

seits vom wissenschaftlichen Interesse, in Piatons Schatten

zu stehen. Die antike Kritik weiß von keinem grundsätzli-

chen Unterschied zwischen Piaton und den anderen Sokratikern,

und die moderne Philosophiegeschichte täte gut, diese un-

historische Trennung, die nicht klassifiziert, sondern dis-

qualifiziert, wiederaufzugeben.

Von den sogenannten Kleinen Sokratikern hat Xenophon

immer die größte Aufmerksamkeit gefunden. Das ist ver-

ständlich; denn Xenophons Schriften sind vollständig er-

halten, so daß man hier der heiklen Mühe des Sammeins

und Kombinierens überhoben war. Unverständlich bleibt je-

doch, daß man die Aufmerksamkeit, die man Xenophon zu

schenken bereit war, den fragmentarischen Sokratikern so

lange so hartnäckig verweigert hat. Hier hat der Glaube

an die Gerechtigkeit der Tradition gewirkt: Die Uberlie-

ferung habe ihre guten Gründe gehabt, so hieß es, wenn

sie die Schriften Piatons und Xenophons erhalten habe,

nicht aber die der übrigen Sokratiker.

Dieses Urteil ist nur zum Teil richtig. Es gilt für

Piaton, nicht für Xenophon. Xenophons Schriften haben nicht

überdauert, weil man ihren Verfasser als Sokratiker schätz-

te, sondern weil er als Vertreter eines reinen Attisch

stilistisch und als Fortsetzer des Thukydides historisch

interessant gewesen ist. Im übrigen nimmt Xenophon unter

den Sokratikern auch keinen sonderlich hohen Rang ein.

Im Gegenteil: Wie wir heute wissen, hat er die sokratische

Schriftstellerei erst spät begonnen und dabei bereits

vorliegende Literatur anderer Sokratiker ausgiebig benutzt,

- 13 -

nicht immer mit Kritik und glücklicher Hand.

So ist die Auswahl, die die antike Tradition unter den

Sokratikern getroffen hat, nur zum Teil glücklich, und es

verzerrt den Blick für die richtigen Proportionen, wenn

man ihr kritiklos folgt. Das heißt: Es ist an der Zeit, die

fragmentarischen Sokratiker aus ihrem Schattendasein zu

erlösen und ihnen den Platz in Philosophie- und Literatur-

geschichte einzuräumen, der ihnen als genuinen Schülern

und Schilderern des Sokrates gebührt - eine umfangreiche

und schwierige Aufgabe, zu deren Lösung manches getan ist,

vieles aber noch zu tun bleibt. Es gilt, die Testimonien

und Fragmente vollständig zu sammeln und zu kommentieren,

am besten nach einheitlichem Plan in einem einheitlichen

Korpus; es gilt ferner, Biographie, Literatur und Philoso-

phie kritisch zu rekonstruieren, wobei auch die arg ver*-

nachlässigte anonyme Sokratestradition, die viel wertvolles

Gut altsokratischer Herkunft enthält, gebührend berücksich-

tigt werden muß; es gilt endlich, die fragmentarischen So-

kratiker unter biographischen, literarischen und philoso-

phischen Gesichtspunkten mit Piaton und Xenophon zu ver-

gleichen. So (und nur so) wird am Ende ein kritischer

Gesamtüberblick über die Sokratik möglich, ohne den vom

historischen Sokrates zu reden vergebliche Mühe ist.

Die vorliegende Arbeit möchte zur Lösung dieser Aufgabe

einen Beitrag liefern. Es geht darum, das literarische

Werk und die Philosophie des Antisthenes nach bisher noch

nicht erprobter Methode historisch-kritisch zu rekonstruieren.

Antisthenes verdient aus dreierlei Gründen besondere Auf-

merksamkeit. Erstens: Wir sind Uber Antisthenes besser un-

terrichtet als über jeden anderen fragmentarischen Sokra-

tiker, so daß man hier am ehesten hoffen darf, aus den Bruch-

stücken ein leidlich vollständiges und wahrheitsgetreues

Bild des Mannes zusammensetzen zu können; zweitens: Anti-

- 14 -

sthenes ist einer der interessantesten Sokratiker, Schöpfer

einer rigorosen Ethik und einer originellen, oft mißver-

standenen Dialektik, zugleich ein Schriftsteller von be-

trächtlicher Begabung und enormer Produktivität, als Phi-

losoph wie als Literat ein wichtiger Anreger des Kynis-

mus und des Stoizismus; drittens endlich und nicht zuletzt:

Antisthenes hat als einziger der fragmentarischen Sokrati-

ker in der Sokratesforschung eine Rolle gespielt, eine

kurze zwar nur und eine widersprüchliche dazu, indem sein

Sokrates einmal als getreues Konterfei, einmal als roman-

tische Verfälschung des historischen Sokrates gelten sollte

aber immerhin: Wo Rauch ist, da ist auch Feuer; es wäre

möglich, daß man auf der Suche nach Antisthenes auch So-

krates begegnet.

Eine solche Begegnung wäre hochwillkommen. Die Sokra-

tesforschung hat das Fragmentarische nicht minder ver-

nachlässigt als die Sokratikerforschung. Es waren immer

die erhaltenen Vier, die bei der Rekonstruktion des hi-

storischen Sokrates die entscheidende Rolle gespielt haben:

Piaton, Xenophon, Aristoteles und Aristophanes. Manche

hielten dafür, einer der Viere gebe den historischen So-

krates unverfälscht wieder; die meisten versuchten, durch

Trennen und Mischen verschiedener Zeugnisse zweier oder

dreier Gewährsmänner zum Ziele zu kommen. Ubereinstimmung

jedoch, auch nur vorläufige, zeigte sich weder so noch so,

und am Ende waren die gelehrten Ansichten über Sokrates

widersprüchlicher, als die widersprüchliche antike Über-

lieferung ist. Heute gibt es über den historischen Sokrates

nicht einmal den Ansatz einer communis opinio. Mit anderen

Worten: Die Sokratesforschung ist gescheitert, - geschei-

tert trotz der scharfsinnigen Mühe, die die Wissenschaft

seit mehr als hundertfünfzig Jahren an dieses Haupt- und

Kernproblem der antiken Philosophiegeschichte gewandt hat.

Nichts wäre jedoch verfehlter als Resignation, wie sie

gerade in neuerer Zeit Platz gegriffen hat. Die Quellen

sind noch nicht ausgeschöpft, und es wäre möglich, daß ge-

rade die fragmentarischen Sokratiker, die so lange so wenig

beachtet worden sind, der traditionellen Sokratesforschung

einen Ausweg aus ihrer Aporie zeiqen könnten. Wenn sich der

historische Sokrates hinter den Vieren nicht hat zeigen

wollen, so zeigt er sich vielleicht hinter Fünfen, Sechsen

oder Achten? Die Probe muß gemacht werden, und es ist nicht

gesagt, daß sie mißlingt - mißlänge sie aber, so wäre ge-

tan, was getan werden konnte, und die Wissenschaft müßte

und dürfte bekennen, daß sie das Problem Sokrates mit ihren

Mitteln nicht lösen kann.

Wie auch immer - das Bemühen um die Sokratiker ist

letzten Endes Bemühen um Sokrates. Und wenn im folgenden

so ausführlich die Rede von Antisthenes ist, dann eigent-

lich und vor allem um Sokrates' willen und aus Interesse

für ihn.

- 16 -

I. ÜBERBLICK ÜBER DIE FORSCHUNG

»

Eine Darstellung der Geschichte der Antisthenesforschung

fehlt bisher. So wird hier als Einleitung ein chrono-

logisch-systematischer Überblick über die einschlägige

Literatur nicht unwillkommen sein.

Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts ist die Antisthe-

nesforschung antiquarisch: Man sammelt einzelne Nachrich-

ten, kümmert sich aber nur wenig um Interpretation und

Kritik.

Einen repräsentativen Überblick über den Forschungs-

und Wissensstand jener Zeit geben einmal die philosophie-

geschichtlichen Kompendien wie T . Stanley, 'History of

philosophy'^, oder J . Brucker, 'Historia critica phlloso-

phiae' , zum anderen zwei ganz vereinzelt stehende kurze

monographische Abhandlungen: G.L. Richter, 'Dissertatio

historico-philosophica de vita, moribus ac placitis Antis-3

thenis Cynici1

, und L . Crell, 'Programma de Antisthene 4

Cynico' . Hier wie dort zeigt sich dasselbe Bild: Man über-

setzt die Antisthenesbiographie des Diogenes Laertius ins

Lateinische und fügt der Übersetzung einige Parallelstellen

bei, wie sie bei I. Casaubonus, 'Notae ad Diogenem Laerti-

1) London 1655 ff.; lateinisch Leipzig 1711, hier bes. S. 505-511.

2) Leipziq 1742 ff.; 2. Aufl., 1. Bd., ebenda 1767, bes. S. 860-871.

3) Jena 1724.

4) Leipzig 1728.

- 17 -

ura'^, oder bei A . Menagius, 'Emendationes et observationes

in Diogenem Laertium1

®, an einschlägiger Stelle leicht

zu finden waren.

So nimmt es nicht wunder, daß man Antisthenes damals

allenthalben so gesehen hat, wie ihn Diogenes Laertius

zeigt: als Begründer und Archegeten der kynischen Popular-

philosophie.

Im 19. Jahrhundert befreit man sich zunächst aus anti-

quarischer Beschränkung und übt historische Kritik, läßt

sich jedoch im Laufe der Zeit immer mehr auch zu unkriti-

schen Spekulationen verleiten.

Zuerst findet die Philosophie des Antisthenes Aufmerk-

samkeit.

Als erster hat W.G. Tennemann, 'Geschichte der Philo-

sophie' die antisthenische Philosophie gewürdigt. Tenne-

mann unterscheidet bei Antisthenes Ethik und Dialektik:

Die Ethik lasse als einzigen Zweck des Lebens das Gute

gelten und knüpfe so, wenn auch einseitig, an sokratische

Vorstellungen an: die Dialektik dagegen, die viel Scharf-

sinn verrate, mache sich sophistisch-gorgianische Sätze

zu eigen, wenn sie über Eines nur eine Aussage gelten

lasse und Widerspruch und Irrtum für unmöglich erkläre.

Sehr anders urteilt wenig später F . Schleiermacher,

5) Zuerst abgedruckt in der Diogenesausgabe des H . Ste-phanus, 2. Aufl., Paris 1593; wiederabgedruckt in: Commentarii in Diogenem Laertium, hrsg. von H.G. Huebner, 1. Bd., Leipzig 1830, S . 94-96.

6) Zuerst in der Diogenesausgabe des Menagius, London 1664; wiederabgedruckt bei Huebner, a.a.O., 2. Bd., ebenda 1833, S. 1-11.

7) 2. Bd., Leipzig 1799, S. 87-99.

- 18 -

Q

'Geschichte der Philosophie' . Er unterscheidet bei Anti-

sthenes Ethik, Dialektik und Physik: Die Ethik sei s o m a -

tischen Ursprungs; ebenso sei aber auch die Dialektik

sokratisch und nicht sophistisch, wenn auch antiplatonisch;

die Physik dagegen, von der allerdings nur wenig bekannt

sei; mache sich die Lehre Heraklits vom Flusse aller Dinge

zu eigen.

Diese beiden verschiedenen Interpretationen werden in

der Folgezeit sehr unterschiedlich aufgenommen. Schleier-

machers eigenwillige Deutung, die sich mit der Uberliefe-

rung nicht leicht in Einklang bringen ließ, findet ledig-

lieh bei H . Ritter, 'Die Philosophie der Griechen' , einigen

Beifall. Tennemanns Auffassung dagegen wird nachgerade zur

communis opinio und findet sich ebenso bei E . Zeller, 'Die

Philosophie der Griechen'^0

, wie bei F . Uberweg, 'Grundriß

8) Aus dem Nachlaß hrsg. von H . Ritter, in: Schleier-machers Gesammelte Werke, 3. Teil, 4. Bd., Berlin 1839, S. 90-93. Vgl. auch die wichtigen Bemerkungen über Antisthenes in Schleiermachers Ubersetzung der platonischen Dialoge: Piatons Werke, Berlin 1804-1828, 3. Aufl., 2. Teil,1. Bd., ebenda 1856, S . 127 f. (Theätet), S . 227 (Menon), S. 276 f. (Euthydem); 2. Bd., ebenda 1857, S. 12 (Kratylos), S . 94 f. (Sophistes); 3. Bd., ebenda 1861, S. 343 (Philebos).

9) 2. Bd., Hamburg 1830, S. 111-127, S. 160 f. Vgl. hierzu K.F. Hermann, Die philosophische Stellung der älteren Sokratiker und ihrer Schulen, Heidelberger Jahrbücher 25 (1832) S . 1041-1093, hier bes. S . 1065-1079; wiederabgedruckt in: Gesammelte Abhand-lungen und Beiträge zur classischen Litteratur und Al-tertumswissenschaft, Göttingen 1849, S . 227-255, hier bes. S. 236-241.

10) 2. Bd., Tübingen 1846; maßgeblich jetzt die 5. Aufl., Leipzig 1922 (Nachdruck der 4. Aufl. aus dem Jahre 1888), S. 280-336.

- 19 -

der Geschichte der P h i l o s o p h i e ' ^ , wobei die Akzente im

einzelnen jetzt freilich anders gesetzt werden, indem man

betont, daß die Ethik ganz im Mittelpunkt antisthenischen

Denkens stehe, während die Dialektik, die man eher für

eleatisch als für sophistisch zu halten geneigt ist, von

untergeordneter Bedeutung sei.

Nachdem die Philosophie des Antisthenes in den maßgeb-

lichen Handbüchern eine erste Würdigung gefunden hatte,

begann sich nun auch die Philologie eingehender als bisher

mit Antisthenes zu beschäftigen.

Zunächst galt es, die Bruchstücke der Uberlieferung

vollständiger zusammenzustellen, als Casaubonus und Menagius

in ihren Kommentaren zu Diogenes Laertius getan hatten.

I.C. Orelli, 'Opuscula Graecorum veterum sententiosa 1 2

et moralia' , hat eine Anzahl ethischer Fragmente zusammen-

gestellt und kurz kommentiert.

L . Preller, 'Historia philosophiae Graeco-Romanae'1

^,

gab eine chrestomathische Auswahl einiger Fragmente zur

Ethik und Dialektik.

1 4 A.G. Winckelmann, 'Antisthenis Fragmenta' , hat

11) 1. Bd., Berlin 1863; maßgeblich jetzt die 12. Aufl., überarbeitet von K . Praechter, Berlin 1926, S . 159-168.

12) 2. Bd., Leipzig 1821, S. 43-55 (Text), S. 570-574 (Kommentar).

13) Hamburg 1838; 10. Aufl., hrsg. von E . Wellmann, Gotha 1934, S . 212-220.

14) Zürich 1842. V g l . hierzu die wichtige Rezension F . Osanns, Berliner Jahrbücher 4 (1842) S . 609-619.

- 20 -

schließlich die erste Gesamtausgabe der Bruchstücke vor-

gelegt. Winckelmann hat das bisher bekannte fragmentari-

sche Material erheblich vermehren können, ohne jedoch auch

nur annähernd Vollständigkeit zu erreichen; vor allem ver-

mißt man die biographischen Zeugnisse. Die Ausgabe ver-

zeichnet in der Regel nur den Text der Bruchstücke, kommen-

tierende Anmerkungen sind selten; wo möglich, sind die

einzelnen Fragmente und Testimonien bestimmten Schriften

zugeordnet, nicht immer ohne Willkür; Stücke unbestimmter

Herkunft, Anekdoten und Apophthegmen bilden den Schluß.

F.G. Mullach, 'Fragmenta Philosophorum G r a e c o r u m1

^5

,

hat den Text der Winckelmann'sehen Ausgabe unverändert

abgedruckt und eine lateinische Ubersetzung sowie einige

textkritische Anmerkungen hinzugefügt.

J . Gildemeister und F . Bücheler, 'Themistios Ilepl

apeTrJt; und R . Münzel, 'Antisthenis F r a g m e n t u m ' ^ ,

brachten wenig später noch einmal erwünschten Zuwachs an

Fragmenten.

Nach mehr als einhundert Jahren erscheinen nun auch

wieder Monographien zu Antisthenes. Hier werden vor allem

biographische und literarische Probleme behandelt, von

denen bisher kaum die Rede war, während das Philosophische

15) 2. Bd., Paris 1867, S . 261-293. Ergänzende Anmer-kungen hierzu bei P . Meyer, Quaestiones Platonicae I, Gymnasialprogramm Gladbach, Leipzig 1889, S. 23 f.

16) Rheinisches Museum 27 (1872) S . 438-462.

17) Rheinisches Museum 40 (1885) S. 148.

- 21 -

in enger Abhängigkeit von den obengenannten philosophie-

geschichtlichen Handbüchern eher beiläufig erörtert wird.

F . Deycks, 'De Antisthenis Socratici vita et doctri-18

na' , hat sich als erster um eine Chronologie der antis-

thenischen Biographie bemüht, die allerdings recht unkri-

tisch ausfällt, weil er die Angaben des Diogenes Laertius

unbesehen als historisch gelten läßt; die antisthenischen

Schriften werden nur am Rande besprochen.

1 9

C . Chappuis, 'Antisthene' , behandelt die biographi-

schen Probleme ausführlicher und mit größerer Kritik; er

versucht sich erstmalig auch an der Rekonstruktion einiger

wichtiger antisthenischer Schriften.

A . Müller, 'De Antisthenis Cynici vita et s c r i p t i s '2 0

,

gibt einen zusammenfassenden Überblick über Biographie und

Literatur, wobei er vor allem die literarhistorischen

Probleme erheblich fördern kann. Schließlich verdient in diesem Zusammenhang Erwähnung,

21 daß F . Blaß, 'Geschichte der attischen Beredsamkeit' , die

Echtheit der antisthenischen Deklamationen Atac; und 'o&ua-

OEUI; verteidigt hat, die H.E. Foss, 'De Gorgia Leon-22

tino' , aus historischen, G.E. Benseier, 'De Hiatu in 23

Scriptoribus Graecis' , aus stilistischen Gründen zusammen

mit den Reden des Gorgias und Alkidamas als unecht ver-

worfen hatte.

18) Koblenz 1841.

19) Paris 1854.

20) Diss. Marburg 1860.

21) 2. Bd., Leipzig 1874; 2. Aufl., ebenda 1892, S . 332-344.

22) Halle 1828, S . 94.

23) 1. Bd., Freiberg 1841, S . 169.

- 22 -

Während des besprochenen Zeitraums war man überall

bemüht, bei zeitgenössischen Schriftstellern anonyme

Anspielungen auf Antisthenes zu entdecken, um so die

lückenhaften Berichte der Überlieferung zu ergänzen und

zu erweitern. Mit der Zeit hatte man so, vor allem bei

Isokrates und Piaton, eine beträchtliche Anzahl solcher

Stellen festgestellt, die K . Barlen, 'Antisthenes und 24

Plato' , und K . Urban, 'Über die Erwähnungen der Philo-25

sophie des Antisthenes in den Platonischen Schriften' ,

zusammengestellt und ausführlich besprochen haben:

Isokrates sollte demnach in der 'Sophistenrede' gegen die

Ethik, in der 'Helena' gegen die Dialektik des Antisthenes

polemisiert und im 'Panegyrikos' auf eine antisthenische

Polemik gegen eine seiner Gerichtsreden repliziert haben;

Piaton sollte sich im 'Charmides1

, im 'Lysis', im 'Menon',

im 'Symposion', im 'Staat', im 'Politikos' und im 'Phile-

bos' mit der Ethik, im 'Euthydem', im 'Parmenides', im

'Theätet' und im 'Sophistes' mit der Dialektik und im

'Kratylos' mit der Physik des Antisthenes polemisch aus-

einandergesetzt haben.

Sah man genauer hin, so zeigte sich freilich, daß

diese Anspielungen von recht unterschiedlicher Glaubwür-

digkeit waren.

An einigen Stellen wurden Ansichten erörtert, wie

sie ausdrücklich auch Antisthenes vertreten hat, so daß

die Wahrscheinlichkeit groß war, es verberge sich hier

antisthenisches Gut. Ein Beispiel mag genügen. Schleier-

24) Gymnasialprogramm Neuwied, Neuwied 1881, S . 1-16.

25) Gymnasialprogramm Königsberg, Königsberg 1882, S . 1-29. V g l . auch E . Zeller, Plato's Mittheilungen über frühere und gleichzeitige Philosophen, Archiv für Geschichte der Philosophie 5 (1892) S . 165-184, hier bes. S . 180 ff.

- 23 -

macher, der auf diesem Gebiet überhaupt bahnbrechend ge-

wirkt hat, war der Ansicht, die zweite Hälfte des platoni-

schen 'Theätet' gebe "starke Veranlassung, um eine ... 2 6

Polemik gegen den Antisthenes darin zu vermuthen"

Piaton referiert hier p . 201c

ff. die Theorie eines Un-

bekannten über die Erkenntnis, die Sokrates "im Traume"

gehört zu haben vorgibt. Diese Theorie, die Erkenntnis

als böt,a äXriS-tV, (lexa Aoyou bestimmt, entspricht nun in der Tat, wie Zeller mit Entschiedenheit betont hat, "Zug um

27

Zug" der Theorie des Antisthenes, wie sie Aristoteles,

Met. p . 1043 b 23 ff. beschreibt, so daß kaum ein Zweifel

bestehen kann, daß Piaton hier Antisthenes im Auge hat.

Die Entdeckung dieser Anspielung ist besonders wertvoll,

weil Piatons Darstellung ungewöhnlich eingehend und präzise

ist und so die knappen und schwer verständlichen Angaben

des Aristoteles auf das wünschenswerteste ergänzt und

erweitert.

An anderen Stellen wiederum fanden sich Theorien, die

als antisthenisch gelten sollten, obwohl sie nicht aus-

drücklich als solche bezeugt waren, so daß man leicht Gefahr

lief, die Überlieferung nicht zu bereichern, sondern zu

verfälschen. Auch hierfür ein Beispiel. Schleiermacher war

der Meinung, Antisthenes habe die heraklitische oder besser

heraklitisierende Lehre vom Flusse aller Dinge vertreten

und etymologisch begründet und sei so "der eigentliche 2 8

Gegenstand der Polemik" im platonischen 'Kratylos'.

26) Piatons Werke, a.a.O., 2. Teil, 1. Bd., S . 127.

27) Die Philosophie der Griechen, a.a.O., S. 294, A n m . 1.

28) A.a.O., 2. Teil, 2. Bd., S . 12.

- 24 -

Als Begründung für die ungemein folgenreiche Hypothese

sollte gelten, daß "Antisthenes als der Stifter ... auch

der Stoiker zu betrachten ist,... daß Antisthenes das

Werk des Herakleitos soll ausgelegt haben, ohne daß doch

eine besondere Schrift von ihm darüber namhaft gemacht

wird, dagegen aber mehrere, welche offenbar die Sprache 29

zum Gegenstand haben" . Diese Beweisführung ist jedoch

keineswegs stichhaltig. Die Tatsache, daß die Stoa die

heraklitische Physik rezipiert, beweist für sich genommen

ebensowenig wie die Tatsache, daß Antisthenes einige

Schriften über die Sprache verfaßt hat, und der Heraklit-

kommentator Antisthenes, den Diogenes Laertius 9.15 nennt,

ist nicht der Sokratiker, sondern vielmehr jener 'FsanXc£te»

den Diogenes 6.19 ausdrücklich vom Sokratiker unterscheidet

Aber selbst wenn man Schleiermachers Hypothese gelten

ließe, so müßte man trotzdem bestreiten, daß Piaton im

'Kratylos' gegen Antisthenes polemisiert. Anders als im

'Theätet' deutet Piaton hier nirgends an, daß er die

Theorie eines ungenannten Dritten wiedergibt? Sokrates

versucht vielmehr in einem Zuge nicht nur die heraklitische

Flußlehre, sondern auch die parmenideische Seinslehre ety-

mologisch zu begründen. Das aber heißt strenggenommen: Wenn

Antisthenes die Flußlehre vertreten hat, so kann er sie

nicht etymologisch begründet haben; oder umgekehrt: wenn

er die etymologische Erklärungsmethode befolgt haben sollte

so hat er nicht die Flußlehre vertreten.

Schließlich gab es auch eine ganze Reihe unwahrschein-

licher, ja phantastischer Vermutungen, die sich auf den

ersten Blick als unhaltbar hätten erweisen müssen. Winckel-

mann bemerkt beispielsweise zu Xen. symp. 4.43, wo Anti-

sthenes bekennt, er habe von Sokrates soviel Reichtum erhal

ten, wie er habe tragen können: "Haec verba me commovent,

29) A.a.O.

- 25 -

ut extremam Piatonis Phaedri partem et preces ibi Pani

factas hirsutum Antisthenem, qui omnem externum cultum

et divitias contemnebat, tangere existimo."3 0

Derselbe

bemerkt etwa zum "Theatet": "Vel nomen et genus Antisthe-

nis a Piatone texte indicari extistimo p . 156a

avxixunouc;

et p . 174a

eaA.fj'v aaxpovo|j.oCivxa HCCI avu ßXenovxa neaovxa elc,

tfpiaq ts ~xxa xic, . . . tef-awuvle 4nocv;S-cai XeyeTai ... "3 1

Es war für den weiteren Verlauf der Antisthenesfor-

schung verhängnisvoll, daß man es versäumte, hier recht-

zeitig Ordnung zu schaffen und das Wahrscheinliche vom

Unsicheren und Unhaltbaren zu trennen. Stattdessen ließ

man die einmal festgestellten Anspielungen, so unsicher

sie im Einzelnen auch sein mochten, allesamt unbesehen

gelten, als ob es damit überall seine unzweifelhafte Rich-

tigkeit habe. Mehr noch: Die Suche nach anonymen Anspie-

lungen, die bisher eher am Rande geübt worden war, ohne

entscheidenden Einfluß auf die Interpretation auszuüben,

wird jetzt, gegen Ende des Jahrhunderts, zur hauptsäch-

lichen, ja einzigen Methode, die in solchem Umfang und mit

solcher Unbedenklichkeit geübt wird, daß am Ende Piaton,

Isokrates und, als Dritter, nun auch noch Xenophon als

philosophisch-literarische Hauptschuldner des Antisthenes

erscheinen, die die Werke des Antisthenes bald exzerpieren

und imitieren, bald polemisch kritisieren.

überhaupt ist methodische Besonnenheit jetzt eher die

Ausnahme. Vielmehr wächst in bedenklichem Maße die Neigung,

kühne Konstruktionen und weitläufige Hypothesen zu wagen,

wobei man nicht nur anonyme Anspielungen von Zeitgenossen

30) A.a.O., S . 50, Anm. 1.

31) A.a.O., S . 35, Anm. 1.

- 26 -

heranzieht, sondern auch kynische und stoische Denk-

und Literaturformen späterer Zeit unbedenklich als anti-

sthenisch gelten läßt. Daß auf diese Weise eine Fülle

anregender und fruchtbarer Ideen zu Tage gekommen ist,

läßt sich nicht leugnen, vermag jedoch nichts an der grund-

sätzlichen Tatsache zu ändern, daß man am Ende einen hypo-

thetischen Antisthenes rekonstruiert hatte, der mit dem

Antisthenes, wie ihn die historische Uberlieferung zeigt,

kaum noch etwas gemein hatte.

32 F . Dümmler, 'Antisthenica' , dem 'De Antisthenis logi-

33

ca' vorausging, hat sich als erster dieses spekulativen

Verfahrens bedient, um in großem Stil die Philosophie des

Antisthenes zu rekonstruieren. Dümmler legt seine Auffas-

sungen in den drei Kapiteln 'De philosophia morali et

civili Piatonis et Antisthenis', 'De artium ad instituti-

onem philosophi utilitate' und 'De controversiis dialec-

ticis' folgendermaßen dar: Antisthenes halte in der Politik

den Urzustand vollkommener Bedürfnislosigkeit für wünsch-

bar und fordere die Aufhebung der Ehe sowie Weiber- und

Kindergemeinschaft; er benutze die Sprache etymologisch und

die Poesie allegorisch, um seine philosophischen Thesen

propädeutisch darzulegen; er sei Nominalist, Sensualist und

Materialist und bekämpfe folglich die platonische Ideenlehre Dümmler, 'Akademika'

3 4

, hat sich später noch einmal.

32) Diss. Bonn 1882,* wiederabgedruckt in: Kleine Schriften von F . Dümmler, hrsg. von 0 . Kern, 1. Bd., Leipzig 1901 S. 10-78. Richtig urteilt über diese vielzitierte Ar-beit F . Susemihl, Jahrbücher für classische Philolo-gie 33 (1887) S . 207, Anm. 3.

33) In: Exercitationis grammaticae specimina, Festschrift für F . Bücheler, hrsg. vom Philologischen Seminar der Universität Bonn, Bonn 1881, S . 51-61; wiederabgedruckt in: Kleine Schriften, a.a.O., S. 1-9.

34) Gießen 1889. V g l . hierzu die wichtige Rezension P . Na-torps, Philosophische Monatshefte 26 (1890) S. 458-468.

- 27 -

wenn auch nicht so ausschließlich, mit Antisthenes ausein-

andergesetzt und seine früheren Hypothesen weitergeführt

und erneuert. Von Antisthenes handeln vor allem die Kapitel

'Antisthenes' Archelaos und die olympischen Festreden1

,

'Piaton und Isokrates', 'Der Streit zwischen Piaton und

Antisthenes über die Ideenlehre' und 'Die Vorsehungslehre

der Memorabilien und die Physik des Kratylos'. Das letzt-

genannte Kapitel, das das Hauptstück des ganzen Buches bil-

det, sucht zu beweisen, daß die beiden teleologischen Dia-

loge über die Fürsorge der Götter bei Xenophon, M e m . 1.4

und 4.3 einerseits und der platonische 'Kratylos' anderer-

seits sich gemeinsam auf ein und dieselbe Quelle beziehen:

einen physiologisch-moralischen Traktat des Antisthenes,

den Xenophon ungeschickt exzerpiere, Piaton ironisch kriti-

siere.

Schließlich bleibt nachzutragen, daß Dümmler, 'Zum

Herakles des A n t i s t h e n e s '3 5

, eine eingehende Rekonstruktion

dieser wichtigen Schrift vorgelegt hat. Wie denn Dümmlers

verstreute Bemerkungen über die Rekonstruktion einzelner

antisthenischer Schriften nicht selten bedeutsamer sind

als seine Hypothesen Uber die antisthenische Philosophie,

die stets einen stark spekulativen Einschlag aufweisen.

Weit unbedenklicher als Dümmler verfuhr K . Joel,

'Der echte und der xenophontische Sokrates'3

^, mit der

35) Philologus 50 (1891) S. 288-296; wiederabgedruckt in: Kleine Schriften, a.a.O., S. 140-149.

36) 1. Bd., Berlin 1893; 2. Bd. (in 2 Teilen), ebenda 1901. V g l . hierzu die ausführlichen Rezensionen von E . Zeller, Archiv für Geschichte der Philosophie 7 (1894) S . 101-112; H . Gomperz, ebenda 19 (1906) S . 234-270. - Ergänzend heranzuziehen sind folgende Aufsätze Joels: Der \OY°<; S U N P A T IMO<; , Arch. f. Gesch. d . Philos. 8 (1895) S . 466-483, 9 (1896) S. 50-66; Piatons Laches, Hermes 41 (1906) S. 310-318, 42 (1907) S . 160; Plato's sokratische Periode und der Phaidros, in: Philosophische Abhandlungen, M . Hein-ze aewidmet. Berlin 1906. S. 78-91: sowie vor allem: ni F>

- 28 -

historischen Überlieferung. Wie der Titel lehrt, will

Joel beweisen, daß die damals gültige communis opinio

unrecht habe, wenn sie den xenophontischen Sokrates für

den historischen halte; Xenophon habe literarisch-fiktive

Dialoge über Sokrates geschrieben, nicht anders als Piaton,

keine historisch glaubwürdigen Erinnerungen, wie er selbst

glauben machen wolle, wenn er behaupte, er sei bei diesem

oder jenem Gespräch dabeigewesen; Xenophon stelle Sokrates

auch ganz unhistorisch als Willensethiker dar, wo dieser

doch in Wahrheit, wie Aristoteles bezeuge, ethischer Ratio-

nalist gewesen sei; schließlich sei Xenophon auch gar nicht

originell, er lege vielmehr in der Hauptsache, wie bereits

Dümmler ansatzweise richtig erkannt habe, Denk- und Litera-

turformen zugrunde, wie sie Antisthenes vorgeprägt habe.

Sehr im Widerspruch zu diesem Programm, das Joel im Vorwort

ankündigt, ist im weiteren Verlauf des umfangreichen Buches

vom historischen Sokrates kaum und von der Fiktivität der

xenophontischen Dialoge nur wenig die Rede, um so mehr von

Xenophons Abhängigkeit von Antisthenes und vor allem von

der Rekonstruktion der antisthenischen Schriften, so daß

das Ganze am Ende mehr einer Antisthenes- als einer Xenophon-

oder gar Sokratesmonographie gleicht. Die Abhängigkeit

Xenophons von Antisthenes kann man sich nach Joel nicht

eng genug denken: "Xenophon ohne Antisthenes begreifen 37

heißt zumeist die Copie ohne das Original begreifen".

So rühre die gedankliche Konzeption des xenophontischen

Sokrates von Antisthenes her, die Ethik ebenso wie die

allerdings wenig entwickelte Dialektik und Physik; des-

gleichen sei auch die literarische Konzeption vieler xeno-

phontischer Gespräche antisthenisch, und vielfach lasse

sich sogar noch die ursprüngliche Vorlage wiedergewinnen;

37) Der echte und der xenophontische Sokrates, a.a.O., 2 . Bd., S. V I .

- 29 -

im übrigen habe es Xenophon beim Exzerpieren des Anti-

sthenes sehr an Verständnis und Geschick fehlen lassen,

woher sich nicht zuletzt die dürftige Qualität seiner

Sokratika erkläre. Nicht minder eng muß man sich im

übrigen auch die Verbindung zwischen Antisthenes und

Piaton denken: "Piaton (in vielen Schriften) ohne Anti-

sthenes verstehen heißt einen Kämpfer, einen Gesprächs-3 8

partner ohne den anderen verstehen." Piaton habe sich

in zahlreichen Dialogen polemisch-kritisch mit Anti-

sthenes auseinandergesetzt, wobei er nicht selten die

eine oder die andere Dialogfigur oder gar mehrere auf

einmal als Maske für Antisthenes gewählt habe. Ein Bei-

spiel: "Wie amüsant wirkt es, wenn im Protagoras Anti-

sthenes gegen Antisthenes geführt wird und Sokrates sagt

(341 a): Du, Protagoras (der ja Antisthenes ist), ver-

stehst zwar Vieles, aber das verstehst du nicht, wohl

aber ich, der ich ja Schüler des Prodikos bin (nämlich

bei Antisthenes). Antisthenes-Sokrates wird von Antisthenes-

Prodikos über den Gebrauch von 6eivoc als Lobesprädicat

zurechtgewiesen (341 ab ...), Antisthenes-Prodikos aber

wird mit seiner Alles beweisenden, Begriffe umkehrenden

Onomatologie von Antisthenes-Protagoras geschlagen (341),

und dieser wird wieder mit der Voraussetzung, daß der

Verbleib der Tugend kein besonderes Problem ist neben dem

schweren Gewinn der Tugend, also mit der kynischen These

von der unerschütterlichen Tugend von Antisthenes-Prodikos

und Antisthenes-Sokrates widerlegt, der mit antiquarischen,

lakonischen und anderen Tendenzen den Dichterinterpreten

spielt."3 9

Auf ähnlich kühne Weise sucht Joel schließlich

38) A.a.O.

39) A.a.O., S . 148 f.

- 30 -

eine ganze Fülle weiterer Hypothesen zu beweisen: Aristo-

phanes habe die 'Wolken', und Polykrates die 'Anklage

gegen Sokrates' nicht gegen Sokrates, sondern vielmehr

gegen Antisthenes geschrieben; des weiteren habe der Ver-

fasser der sophistischen 'Dialexeis' antisthenische

Schriften benutzt, ebenso die Verfasser der pseudoplato-

nischen Dialoge 'Eryxias' und 'Axiochos', nicht anders

Dion Chrysostomos, Plutarch und Lukian, und der sogenannte

Anonymus Iamblichi sei gar Antisthenes selber. Es liegt

auf der Hand, daß Joel bei solch gewagter Ausdeutung

der Texte zu einer ebenso gewagten Auffassung des Anti-

sthenes gelangen mußte. Nichts, was Antisthenes nicht

gewesen wäre: Romantiker, Asket, Voluntarist, Ökonom,

Pythagoreer, Symbolist, Dynamiker, Sozialist und vieles

andere mehr. So vielseitig der Mann, so außerordentlich

seine Bedeutung: Antisthenes gilt als die zentrale Gestalt

der Sokratik, die Xenophon überall kopiert, Piaton über-

all kritisiert; mehr noch: er gilt als "Geistesbrücke

zwischen Hellas und dem Orient", ja sogar als "ahnender

Vorläufer wichtigster nachantiker, ja moderner Denk-40

und Lebenswege" . Es kann gar kein Zweifel sein, daß

es diesen vielseitig-genialen Antisthenes nicht gegeben

hat; kein Zweifel auch, daß die zahlreichen Hypothesen

und Nebenhypothesen, die diesen Antisthenes plausibel

machen sollen, übertrieben sind und genauerer Nachprüfung

nicht standhalten. Und doch: daß Xenophons sokratische

Schriften literarisch-fiktiv sind und daß zwischen Xeno-

phon und Antisthenes viele auffällige Gemeinsamkeiten

bestehen, hat Joel bündig bewiesen, und so der Antisthenes-

Xenophon- und Sokratesforschung neue Wege gewiesen. Wie

40) A.a.O., S. VIII.

- 31 -

sich denn überhaupt unter der Fülle des Unwahrscheinlichen

und Übertriebenen viele bedenkenswerte, ja ingeniöse

Einzelbeobachtungen finden, so daß, wer über Antisthenes

arbeitet, dieses Buch nicht aus der Hand legen darf.

Im übrigen hat Joel, 'Geschichte der antiken Philoso-41

phie' , seine Ansichten über Antisthenes noch einmal

zusammenfassend dargelegt und dabei einzelne Übertreibungen

gemildert, ohne daß sich seine Gesamtauffassung geändert

hätte.

In diesem Zusammenhang sind abschließend einige klei-

nere Arbeiten zu nennen, die sich inhaltlich und methodisch

eng an die Untersuchungen Joels und Dümmlers anschließen.

E . Hoettermann, 'Piatons Polemik im Menon, Euthydemos 42

und Menexenos' , 'Piatons Polemik im Euthyphron und Kra-43 44

tylos' , 'Piatons Polemik im Phaidros' , versucht in

enger Abhängigkeit von Joel vermittels der Maskendeutung

eine ebenso weitläufige wie unglaubwürdige Polemik Piatons

gegen Antisthenes aufzudecken.

45

M . Guggenheim, 'Antisthenes in Piatons Politeia' ,

greift Joels Hypothese auf, daß sich Piaton im 'Staat'

vornehmlich mit der politischen Theorie des Antisthenes

auseinandergesetzt habe.

41) 1. Bd., Tübingen 1921, S. 862-925.

42) Zeitschrift für das Gymnasialwesen 63 (1909) S . 73-102.

43) Ebenda 64 (1910) S. 65-89.

44) Ebenda 65 (1911) S. 383-410.

45) Philologus 60 (1901) S . 149-154. Vgl. ders., Studien zu Piatons Idealstaat, Neue Jahrbücher für die Antike 5 (1902) S. 521-549.

- 32 -

46 P . Hagen, 'Zu Antisthenes' »äußert die Ansicht, der

platonische 'Kleitophon' polemisiere gegen den 'Apxs/iaor,

des Antisthenes, von dem Dümmler in der 13. Rede des Dion

Chrysostomos Spuren entdeckt zu haben glaubte. H . Brünnecke, 47

'Kleitophon wider Sokrates' , vermutet dagegen bei Piaton

lediglich allgemeine Polemik gegen die antisthenische

Sokratik.

48

T . Birt, 'Zu Antisthenes und Xenophon' , vertritt

schließlich die Ansicht, das vierte Buch der xenophonti-

schen 'Memorabilien' sei ein Exzerpt der antisthenischen

Schrift flepl nat&Eia<;. J . Dahmen, 'Quaestiones Xenophon-49 teae et Antisthenicae' , hat diese wenig wahrscheinliche

These aufgegriffen und weitergeführt.

Soweit die spekulative Literatur über Antisthenes,

auf die hier ausführlicher einzugehen war, damit im folgen-

den weniger davon die Rede sein kann.

Die wenigen Arbeiten, die demgegenüber größere metho-

dische Besonnenheit verraten, sind schnell aufgezählt.

P . Natorp, 'Antisthenes'5 0

, gibt einen kurzen, aber

informativen Uberblick über die Quellen und die ältere

Literatur.

R . Hirzel, 'Der D i a l o g '5 1

, und E . Norden, "Uber einige 52

Schriften des Antisthenes' , bemühen sich vor allem um die

46) Philologus 50 (1891) S . 381-384.

47) Archiv für Geschichte der Philosophie 26 (1913) S . 449-478.

48) Rheinisches Museum 51 (1896) S. 153-157.

49) Diss. Marburg 1897.

50) Pauly-Wissowas Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, 1. Bd., 1894, Sp. 2538-2545.

51) 1. Bd., Leipzig 1895, S. 118-129.

52) In: Beiträge zur Geschichte der griechischen Philo-sophie, Jahrbücher für classische Philologie Suppl. 19 (1893) S . 368-385.

- 33 -

literarische Rekonstruktion einzelner Werke. Wichtige

Hinweise hierzu finden sich auch bei P . Natorp, 'Aischines'

A s p a s i a '5 3

, sowie bei F . Susemihl, 'Der Idealstaat des

Antisthenes und die Dialoge Archelaos, Kyros und Hera-54 55

kies' , 'Die Aspasia des Antisthenes'

Das 20. Jahrhundert bringt zunächst Kritik an der kon-

struktions- und hypothesenfreudigen Antisthenesphilologie,

wie sie in den achtziger und neunziger Jahren beinahe

unwidersprochen Platz gegriffen hatte.

H . Maier, 'Sokrates'5 6

, der im übrigen zur Interpre-

tation des Antisthenes wichtige Beiträge geliefert hat,

bemerkt: "Schon bei F . Dümmler ... überschreitet die

Antisthenesspürerei die Grenze kritischer Vorsicht, bei 57

Karl Joel ... nimmt sie abenteuerliche Dimensionen an."

Nicht minder scharf äußert sich U . v . Wilamowitz-Moellendorff, 58

'Piaton' , der ebenfalls entscheidende Bemerkungen zu

Antisthenes gemacht hat, über die "sinnlose Riecherei nach 59

Anspielungen" und das "neugierige Schnüffeln nach per-

sönlichen Seitenhieben"6 0

im Zusammenhang mit Antisthenes:

53) Philologus 51 (1892) S. 489-500.

54) Jahrbücher für classische Philologie 33 (1887) S . 207-214.

55) Philologus 59 (1900) S . 148-151, 469-471.

56) Tübingen 1913, hier bes. S . 502-516.

57) A.a.O., S . 14, Anm. 2.

58) Berlin 1919 (2 Bde.); 1. Bd., 5. Aufl., ebenda 1959, hier bes. S. 201-204; 2. Bd., 3. Aufl., ebenda 1962, bes. S. 26 ff., 113 ff.

59) A.a.O., 1. Bd., S. 251, A n m . 2.

60) A.a.O., S. 560.

- 34 -

"... der Versuch, am Ende sowohl Xenophon wie Piaton von

ihm abhängig zu machen, ist nur dazu gut, gegen die ersten

Hypothesen mißtrauisch zu machen, die zu so grotesken

Übertreibungen führten."6 1

Noch schärfer urteilt derselbe,

'Die griechische Literatur des Altertums': "Einen Denker

und Schriftsteller von besonderer Bedeutung aus ihm zu

machen ist eins der luftigsten Wahngebilde, das sich die

Philologie des letzten Jahrhunderts geschaffen hat, rein

aus blauem Dunste, denn das Altertum weiss nicht das Minde-

ste davon ... Leitend ist dabei die unerträgliche Unart,

statt die bekannten Werke und Personen zu verstehen, hin-

ter ihnen verkannte und verlorene Grössen zu suchen, die fi 7

man sich aus eigener Machtvollkommenheit konstruiert."

Diese ebenso entschiedene wie berechtigte Kritik, die

jetzt auch anderwärts vielfach laut wird, hatte zur Folge,

daß man nun größere kritische Besonnenheit walten ließ

und sich wieder mehr auf die Grundlagen der Überlieferung

besann.

Zunächst bemüht man sich erneut um die Edition der

Fragmente.

H . Dittmar, 'Aischines von S p h e t t o s '6 3

, hat die Reste

der antisthenischen Schriften Küpoc, ' HpaviXfit;, 'Aanaaia

und 'AXnißia&ric; in einem Anhang sorgfältig zusammengestellt.

Darüberhinaus enthält dieses vorbildliche Buch eine Fülle

grundlegender Beiträge zur Rekonstruktion und Interpretation

zahlreicher antisthenischer Werke.

61) A.a.O., S. 260.

62) In: Die Kultur der Gegenwart, hrsg. von P . Hinneberg, 1. Teil, 8. Abt.,Berlin/Leipzig 1905, S . 1-236, hier S. 78.

63) Philologische Untersuchungen 21, Berlin 1912, S. 299-310.

- 35 -

J . Humble, 'Antisthenes' F r a g m e n t e n '6 4

, hat eine neue

Gesamtausgabe der Fragmente unternommen, von der jedoch

lediglich ein einziges Kapitel unter dem Titel 'Antisthe-6 5

nica' , erschienen ist. Humble hat das bisher bekannte

fragmentarische Material ganz erheblich vermehren können.

Das Material wird vierfach unterteilt: I. Biographisches

(Testimonien, Anekdoten und Apophthegmen); II. Testimonien

zum Werk (Katalog, allgemeine Zeugnisse, Zeugnisse zu

bestimmten Schriften); III. Fragmente (zu bestimmten

Schriften, zu unbestimmten Schriften); IV. Incerta (Dekla-

mationen, Brief an Aristipp). Den Bruchstücken sind text-

kritische Anmerkungen, Parallelstellen, kurze Literatur-

hinweise und eine niederländische Übersetzung beigegeben;

im Anhang findet sich ein Literaturverzeichnis und Stellen-

register. Die Anordnung der Fragmente ist nicht immer

glücklich: Die strenge Trennung von Testimonien und Frag-

menten ist unpraktisch, und nicht selten ist die Zuweisung

einzelner Stücke zu den einzelnen Gruppen oder deren An-

ordnung innerhalb einer Gruppe unverständlich, so daß man

an unerwarteter Stelle findet, was man an einschlägigem

Ort vergebens gesucht hatte. Trotzdem bedeutet Humbles

Ausgabe einen erheblichen Fortschritt gegenüber allen

früheren Ausgaben, und man muß bedauern, daß diese Arbeit

nicht gedruckt wurde und so weithin unbekannt geblieben ist.

Erwähnung verdient auch, daß C . J . de Vogel, 'Greek

p h i l o s o p h y '6 6

, die philosophischen, L . Radermacher, 'Artium

64) Diss. Gent 1932.

65) Antiquite Classique 3 (1934) S. 163-171.

66) 1. Bd., Leiden 1950; 3. Aufl., ebenda 1963, S . 161-166.

- 36 -

s c r i p t o r e s ' , die rhetorischen Fragmente des Antisthenes

neu herausgegeben hat.

Neuerdings hat F . Decleva Caizzi, 'Antisthenis Frag-68

menta1

, die lange vermißte neue Gesamtausgabe der Frag-

mente vorgelegt, die nun die älteren Ausgaben in der Haupt-

sache ersetzt. Caizzi legt im großen und ganzen das Mate-

rial zugrunde, das Humble zusammengetragen hat; einige

Bruchstücke kommen neu hinzu. Das Material wird unterteilt,

wie folgt: I. Zum Werk (Katalog, allgemeine Zeugnisse zur

Literatur, Deklamationen, Testimonien und Fragmente zu

bestimmten und unbestimmten Schriften); II. Zur Biographie

(Testimonien, Anekdoten und Apophthegmen). Den Bruchstücken

ist ein durchgehender Kommentar beigegeben, der viele nütz-

liche Hinweise für die Interpretation enthält; am Anfang

findet sich ein Literaturverzeichnis, am Ende ein Stellen-

register und eine Konkordanz zu den früheren Ausgaben.

Die Anordnung der Bruchstücke innerhalb der verschiedenen

Gruppen ist geschickter als bei Humble, wenn es auch hier

nicht an gelegentlichen Mißgriffen fehlt; bedauerlich ist

auch, daß sich manches wichtige Zeugnis im Kommentar ver-

birgt, ohne im Text zu erscheinen. Gleichwohl ist Caizzis

neue Ausgabe, nach der nun zitiert werden muß, vor allem

wegen des Kommentars, ein unverzichtbares Hilfsmittel für

jede weitere Beschäftigung mit Antisthenes. Schließlich verdient in diesem Zusammenhang noch Er-

67) Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Klasse, 227. Bd., 3. Abh., Wien 1951, S . 120-127.

68) Testi e Documenti per lo Studio dell' Antichitä 13, Mailand 1966. Vgl. hierzu die eingehende Rezension F . Wehrlis, Gnomon 39 (1967) S. 541-545.

- 37 -

wähnung, daß W . Nestle, 'Die Sokratiker'6 9

, eine große

Anzahl antisthenischer Fragmente ins Deutsche übersetzt

und kurz besprochen hat.

Anschließend sind zunächst einige monographische

Arbeiten über Antisthenes zu nennen, die über allgemeine

biographische, literarische und philosophische Fragen

einen guten Uberblick bieten: G . Zuccante, 'Antistene'7 0

, 71 F . Sayre, 'Antisthenes the Socratic' , und neuerdings

72 vor allem F . Decleva Caizzi, 'Antistene' . Nützliche

Uberblicke gibt es auch anderwärts vielfach, so vor allem

bei 0 . Gigon, 'Sokrates'7 3

, und neuerdings bei J . Humbert, 7 4 'Socrate et les petits Socratiques'

Von den größeren thematischen Einzelgebieten hat in

neuerer Zeit vor allem die antisthenische Dialektik Auf-

merksamkeit gefunden.

G.M. Gillespie, 'The logic of Antisthenes'7 5

, A . Levi,

'Le teorie metafisiche, logiche e gnoseologiche di Anti-76 77

stene' , und A . Festugiere, 'Antisthenica' , geben jeweils

69) Jena 1922, S. 79-98 (Obersetzung), S. 281-289 (Kommentar).

70) Rivista di Filosofia 8 (1916) S. 157-171; abgedruckt auch in: Rendiconti dell' Istituto Lombardo di Scienze e Lettere II 49 (1916) S. 120-136.

71) Classical Journal 43 (1948) S . 237-244. Vgl. ders., Diogenes of Sinope, Baltimore 1938, S . 49-70; ders., The Greek Cynics, ebenda 1948, S . 84-96.

72) Studi Urbinati 1/2 (1964) S. 48-99.

73) Bern 1947, hier bes. S . 289-299.

74) Paris 1967, bes. S. 231-299.

75) Archiv für Geschichte der Philosophie 19 (1913) S . 479-500, 20 (1914) S. 17-38.

76) Revue d* Histoire de la Philosophie 4 (1930) S. 227-249. Vgl. ders., II problema dell' errore nella filoso-fia Greca prima di Piatone, Athenaeum 27 (1930) S.27-44.

77) Revue des Sciences Philosophiques et Theologiques 21 (1932) S . 345-376.

- 38 -

umfassende Interpretation des einschlägigen Materials,

jedoch ohne sich von der durch Tennemann begründeten tra-

ditionellen Auffassung zu lösen, daß Antisthenes seine

dialektisch-ontologischen Thesen im wesentlichen von den

Eleaten und Sophisten übernommen habe. Dagegen unternimmt

K.v. Fritz, 'Zur antisthenischen Erkenntnistheorie und 78

Logik' , den bedeutsamen Versuch, die antisthenische

Dialektik als Weiterentwicklung sokratischer Elenktik zu

verstehen, wie bereits ansatzweise Schleiermacher erwogen

hatte.

79

G.M.A. Grube, 'Antisthenes was no logician' , hat

neuerdings versucht, Antisthenes jedwedes ernsthafte Be-

mühen um die Lösung dialektisch-ontologischer Probleme 80 abzusprechen. H.D. Rankin, 'Antisthenes a "near logician"' ,

hat ihm hierin zu Recht widersprochen.

Nächst der Dialektik hat besonders die antisthenische

Rhetorik und die Homererklärung Interesse gefunden. 81 H.J. Lulolfs, 'De Antisthenis studiis rhetoricis' ,

hat das Material zu beiden Themenkreisen zusammengestellt

und kurz kommentiert. A . Rostagni, 'Un nuovo capitolo nella storia della

82 retorica e della sofistica' , versucht die antisthenische

78) Hermes 62 (1927) S. 453-484.

79) Transactions and Proceedings of the American Philo-logical Association 81 (1950) S . 16-27.

80) Antiquite Classique 39 (1970) S. 522-527.

81) Diss. Amsterdam 1900.

82) Studi Italiani di Filologia Classica N . S . 2 (1922) S. 148-201; wiederabgedruckt in: A . Rostagni, Scritti Minori, 1. Bd., Turin 1955, S . 1-59.

- 39 -

Rhetorik in den größeren Zusammenhang einer psychagogisch-

emotionalen Rhetorik pythagoreischen Ursprungs einzuord-

nen, wobei er sich vor allem auf die antisthenische

Interpretation des Odysseusepithetons noAuxponcx; stützt,

die in den Scholien zu O d . 1.1 erhalten ist.

L . Radermacher, 'Der Aias und Odysseus des Antisthe-8 3

nes' , hat versucht, die beiden erhaltenen antistheni-

schen Deklamationen wegen ihres iambischen Silbenfalls

als Prosaparaphrasen aus dem 'Aias' des Theodektes zu er-

weisen. Anknüpfend hieran will W . Altwegg, 'Der Aias 84 und Odysseus des Antisthenes' , in den Deklamationen eine

eigenständige iambisch-katalektische Früh- und Seitenform

der Kunstprosa entdecken. Gegen beide Auffassungen wendet

sich mit Recht A . Bachmann, 'Aiax et Ulixes declamationes 8 5 utrum iure tribuantur Antistheni neCne'

über die Methode der antisthenischen Homererklärung

ist es in neuerer Zeit zu einem Streit gekommen. R . Höi-8 6

stad, 'Was Antisthenes an allegorist?' , vertritt die

Ansicht, Antisthenes habe sich bei der Auslegung Homers

der Allegorese bedient, während J . Täte, 'Antisthenes 87 was not an allegorist' , behauptet, Antisthenes habe die

83) Rheinisches Museum 74 (1892) S. 569-576.

84) In: Juvenes dum sumus. Aufsätze zur klassischen Alter-tumswissenschaft der 49. Versammlung deutscher Pädagogen und Schulmänner zu Basel dargebracht von Mitgliedern des Basler klassisch-philologischen Seminars, Basel 1907, S. 52-61.

85) Diss. Münster 1911.

86) Eranos 49 (1951) S . 16-31.

87) Ebenda 51 (1953) S . 14-22.

- 40 -

Texte lediglich im Sinn seines philosophischen Stand-

punktes ausgleichend interpretiert. R . Laurent!,

'L' iponoia di Antistene1

, nimmt eine Mittelstellung

ein, indem er auf die Methode der imovoia verweist,

die sowohl ausgleichende Textinterpretation wie auch

Allegorese umfasse.

Schließlich ist in diesem Zusammenhang noch zu

nennen: V . Benedetto, 'Tracce di Antistene in alcuni 89

scole all' Odissia'

Erstaunlich geringes Interesse hat in neuerer Zeit

die antisthenische Ethik gefunden. G . Rodier, 'Conjecture 9o sur le sens de la morale d' Antisthene' , und 'Note sur

91 la politique d' Antisthene' , sowie M . Duric, 'Die

92 politischen Anschauungen des Antisthenes' , bringen

keine neuen Erkenntnisse; nützliche Bemerkungen finden

sich dagegen bei L.A. Rostagno, 'Le idee pedagogiche 93 nella filosofia Cinica e specialmente in Antistene'

Geringes Interesse findet auch die Rekonstruktion

und Interpretation der Einzelschriften. Von dem bereits

erwähnten Buche Dittmars abgesehen,ist hier vor allem

88) Rivista Critica di Storia della Filosofia 17 (1962) S. 123-132.

89) Studi Italiani di Filologia Classica N.S. 38 (1966) S. 208-228.

90) Annee Philosophique 17 (1906) S . 33-38.

91) Ebenda 22 (1911) S . 1-7.

92) Ziva Antika 5 (1955) S . 29-47 (russisch mit deutscher Inhaltsangabe).

93) 1. Bd., Turin 1904. Wichtig hierzu E . Bodrero, Rivista di Filologia 33 (1905) S. 391-394.

- 41 -

46 R . Höistad, 'Cynic hero and cynic king' , zu nennen,

der sich besonders um die Rekonstruktion der Herakles-,

Kyros- und Odysseusschriften des Antisthenes bemüht

hat.

Biographische Einzelprobleme behandeln K.v. Fritz, 95

'Antistene e Diogene' , und P . Von der Mühll, 'Inter-

pretationen biographischer Uberlieferung'9 6

, der über

Antisthenes' Teilnahme an der Schlacht beim Delion

handelt.

Was die anonymen Anspielungen auf Antisthenes be-

trifft, die lange Zeit im Vordergrund des Interesses

gestanden hatten, so läßt man jetzt im allgemeinen mehr

Vorsicht und größere Zurückhaltung walten.

97 G . Zuccante, 'Antistene nei dialoghi di Piatone' , 98

und H . Gomperz, 'Isokrates und die Sokratik' , haben

die Problematik für Piaton und Isokrates noch einmal

aufgenommen, wobei die Übertreibungen der früheren

Forschung vermieden werden, wenn auch im einzelnen immer

noch die eine oder andere Stelle auf Antisthenes bezogen

wird, ohne daß zureichende Gründe vorhanden wären.

94) Uppsalla 1948, hier bes. S . 22-102.

95) Studi Italiani di Filologia Classica N.S. 5 (1927) S . 133-149. V g l . ders., Quellen-Unter-suchungen zu Leben und Philosophie des Diogenes von Sinope, Philologus Suppl. 18 (1926).

96) Museum Helveticum 23 (1966) S . 234-239, hier bes. S . 234-236.

97) Rivista di Filosofia 8 (1916) S . 551-581; wieder-abgedruckt in: Rendiconti dell' Istituto Lombardo di Scienze e Lettere II 49 (1916) S . 340-372.

98) Wiener Studien 17 (1905) S. 163-207, 18 (1906) S . 1-42.

- 42 -

A . Delatte, 'Le troisieme livre des Souvenirs Socra-9 9

tiques de Xenophon' , und 0 . Gigon, 'Kommentar zum er-

sten Buch von Xenophons M e m o r a b i l i e n '1 0 0

, 'Kommentar zum 101 zweiten Buch von Xenophons Memorabilien' , haben die

schwierige Quellenanalyse der xenophontischen Sokratika

wiederaufgenommen. Es steht nach diesen Untersuchungen

außer Zweifel, daß Xenophon bei der Abfassung seiner

sokratischen Schriften in hohem Maße vorgeprägtes lite-

rarisches Gut verwendet hat; als Quellen hat er die ganze

Fülle der zeitgenössischen Literatur über Sokrates heran-

gezogen, vor allem natürlich die zahlreichen Schriften

der Sokratiker, von denen Gigon gerade Piaton allerdings

nicht hätte ausnehmen dürfen. Die Zuweisung einzelner

Stellen an bestimmte Sokratiker, namentlich an Antisthenes,

den Joel viel zu einseitig als alleinige oder doch

hauptsächliche Quelle Xenophons angesehen hatte, ist in

manchen Fällen gelungen, bleibt jedoch vielfach unsicher

und umstritten. An dieser Stelle sei im übrigen verwiesen auf S.F.

Zambynski, 'De ratione inter Xenophontis Convivium et 102

Antisthenem intercedente , wo vor allem quellenkritische,

99) Bibliotheque de la Facultfe de Philosophie et Lettres de 1'Universite de Liege 58, Lüttich 1933. Vgl. hierzu E.C. Marchand, Classical Review 49 (1935) S . 134-135.

100) Schweizerische Beiträge zur Altertumswissenschaft 5, Basel 1953. V g l . hierzu die kritische Rezension von H.J. Kühn, Gnomon 26 (1954) S . 512-521.

101) Schweizerische Beiträge zur Altertumswissenschaft 7, Basel 1956. Vgl. Kühn, Gnomon 29 (1957) S . 170-178.

102) Eos 25 (1921/22) S . 71-85.

- 43 -

und auf K.v. Fritz, 'Antisthenes und Sokrates in Xenophons

S y m p o s i o n '1 0 3

, wo vor allem interpretatorische Fragen be-

handelt werden.

Schließlich verdient in diesem Zusammenhang noch Er-

wähnung H . Funke, 'Antisthenes bei P a u l u s '1 0 4

.

Abschließend sind einige Arbeiten zu nennen, in denen

mehr hypothetisch-spekulativ von Antisthenes die Rede ist.

H . Rick, 'Neue Untersuchungen zu den platonischen

D i a l o g e n '1 0 5

, bemüht sich,im Stile Joels bei Piaton weit-

läufige Polemik gegen Antisthenes nachzuweisen.

A . H . Chroust, 'Socrates. Man and m y t h '1 0 6

, knüpft

ebenfalls an Anregungen Joels an, wenn er behauptet, un-

politische antisthenische Diatriben seien die Hauptquelle

für des Polykrates 'Anklage gegen Sokrates' gewesen, die

ihrerseits als das entscheidende Ereignis in der Entwick-

lung der sokratischen Literatur zu gelten habe.

H . Kesters, 'Antisthene de la d i a l e c t i q u e '1 0 7

, vertritt

die gewagte Hypothese, die 36. Rede des Themistios sei ein

Werk des Antisthenes, das Themistios für eigene Zwecke

lediglich leicht überarbeitet habe, indem er die Namen äl-

terer Philosophen durch die jüngerer ersetzt habe. Die

durchschlagende Kritik, die H . de Strycker, 'Antisthene

103) Rheinisches Museum 84 (1935) S . 19-45.

104) Hermes 98 (1970) S . 459-464.

105) Bonn 1931. Vgl. hierzu die Rezension von K.v. Fritz, Gnomon 8 (1932) S. 13-16.

106) London 1957. V g l . hierzu F . Grayeff, Gnomon 31 (1959) S . 79-81.

107) Löwen 1935.

- 44 -

1 na ou Themistios?' , an difesem Buch geübt hat, hat Kesters

bewogen, 'Plaidoyer d'un Socratique inconnu contre le

Phedre de P i a t o n '1 0 9

und 'Kerygmes de S o c r a t e '1 1 0

, nicht

mehr Antisthenes, sondern einen unbekannten Sokratiker

als Verfasser der Themistiosrede anzunehmen. Womit die

These freilich nicht an Wahrscheinlichkeit gewinnt.

K.M.T. Chrimes, 'The respublica Lacedaemoniorum

ascribed to X e n o p h o n '1 1 1

, äußert die nicht minder gewagte

Hypothese, Antisthenes sei der Verfasser der xenophon-

tischen Schrift vom Staate der Spartaner.

Auch am Ende dieses Überblicks ein Wort über Sokrates.

H . Gomperz, 'Die sokratische Frage als geschichtliches 112

Problem' , hat die originelle Ansicht vertreten, der

historische Sokrates werde am treuesten durch die Komödie,

namentlich durch die fragmentarische Komödienüberlieferung

repräsentiert; folgerichtig bemerkt er: "Der geschicht-

liche Sokrates steht, unter allen Sokratikern, dem Anti-

sthenes am n ä c h s t e n . "1 1 3

Joel hatte seinerzeit das Gegen-

teil behauptet. Welche Auffassung die richtige ist, kann,

wenn überhaupt, nur die sorgfältige Analyse der Über-

lieferung klären.

108) Archives de Philosophie 12 (1936) S . 475-500.

109) Löwen 1959.

110) Löwen 1965.

111) Publications of the Faculty of Arts of the University of Manchester 1, Manchester 1948. Vgl. hierzu A . W . Gomme, Classical Review 63 (1949) S . 99.

112) Historische Zeitschrift 129 (1924) S . 377-423.

113) A.a.O., S . 419.

- 45 -

II. GLIEDERUNG UND METHODE

Die Geschichte der Antisthenesforschung, über die das

vorige Kapitel einen überblick g a b , ließ an vielen

Stellen erkennen, auf welche Irrwege man gerät, wenn

man beim Umgang mit Fragmenten eher Phantasie walten

läßt als Kritik und kühne Hypothesen konstruiert, anstatt

das überlieferte nüchtern zu interpretieren. Wer über

Antisthenes arbeitet, ist darum gut beraten, wenn er den

Rat befolgt, den Wilamowitz, 1

Platon',seinerzeit der

Antisthenesphilologie gegeben hat: "... von den Folge-

rungen absehen und allein die Zeugnisse ins Auge f a s s e n "1

.

Die Zeugnisse: Das ist die Darstellung des Antisthenes

bei Xenophon; das ist ferner die Biographie des Antisthe-

nes bei Diogenes Laertius, die neben einigen biographi-

schen Notizen und einer Fülle von Anekdoten einen umfang-

reichen Katalog der antisthenischen Schriften enthält;

das sind des weiteren die beiden Deklamationen Ata<; und

'O&uaoeuc , die sich in einigen Handschriften der Redner

erhalten haben; desgleichen eine Anzahl von Testimonien

und Fragmenten verlorener Schriften, die sich vor allem

bei den Grammatikern finden; außerdem eine Reihe ethischer

Sentenzen aus doxographischer Tradition; dazu die Angaben

des Aristoteles und seiner Kommentatoren über die antisthe-

nische Dialektik,sowie einige Beispiele antisthenischer

Homererklärung, die in den Homerscholien überliefert sind;

schließlich noch eine Handvoll Stellen bei Platon, Xenophon,

1) 2. B d . , 3 . A u f l . , Berlin 1962, S . 260.

- 46 -

Isokrates und späteren Autoren, an denen aller Wahr-

scheinlichkeit nach von Antisthenes die Rede ist, auch

wenn sein Name nicht ausdrücklich genannt wird. Das

ist beinahe alles. Mit diesem fragmentarischen Material

gilt es zu wirtschaften, wenn man das literarische Werk

des Antisthenes und seine Philosophie rekonstruieren w i l l ,

Oberblickt man dieses Material, so fällt zweierlei

als besonders bedeutsam in die Augen: Die xenophontische

Antisthenesdarstellung und der Katalog der antisthenischen

Schriften bei Diogenes Laertius. Die xenophontische Anti-

sthenesdarstellung, weil sie die einzige ausführliche Dar-

stellung des Antisthenes ist, die aus der Antike überkom-

men ist, verfertigt noch dazu von der Hand eines Zeitge-

nossen, der Antisthenes und seine Schriften wahrscheinlich

selber gekannt hat; der Katalog der antisthenischen Schrif-

ten, weil er einen detaillierten Oberblick über das ver-

lorene Gesamtwerk bietet, verfaßt von gelehrter Hand zu

einer Zeit, da man die antisthenischen Schriften noch las.

Hält man diese beiden Zeugnisse, das literarisch -deskriptive

und das bibliothekarisch-konstruktive, gegeneinander, der-

gestalt, daß das eine das andere ergänzt, erweitert und

ins rechte Licht setzt, so darf man wohl hoffen, ein leid-

lich wahrheitsgetreues Bild von Antisthenes zu erhalten.

Xenophon hat sich in seinen sokratischen Schriften

deutlich bemüht, von Antisthenes ein scharf umrissenes

Charakterbild und Portrait zu entwerfen, und niemand wird

leugnen, daß es ihm gelungen ist, den Mann als unverwech-

selbare Individualität und Persönlichkeit zu zeichnen.

Wie aber steht es um die historische Treue dieser Darstel-

lung? Xenophon versichert in den 'Memorabilien' 2.5, wo

Antisthenes eine kurze, und im 'Symposion', wo er eine

maßgebliche Rolle spielt, ausdrücklich, er habe jene beiden

- 47 -

Gespräche selbst mitangehört, so daß man glauben könnte

(und tatsächlich auch geglaubt hat), hier authentische

Kunde über Antisthenes vorzufinden. Aber dieser Eindruck

trügt. Die Forschung hat in langer und mühevoller Arbeit,

zu der K . Joel, 'Der echte und der xenophontische Sokra-2

tes' , Entscheidendes beigetragen hat, unwiderleglich

nachgewiesen, daß die xenophontischen Sokratika, die

äußerlich in der Form persönlicher Erinnerungen gehalten

sind, keineswegs authentische Aufzeichnungen historischer

Begebenheiten enthalten; es handelt sich vielmehr grund-

sätzlich um literarisch-fiktive Gespräche, die ihren

Stoff in vielen Stücken noch dazu aus literarisch vorge-

prägtem Quellenmaterial schöpfen. Es trifft sich merk-

würdig, daß gerade jene beiden Dialoge, in denen sich

Antisthenes und Sokrates als Gesprächspartner gegenüber-

stehen, in dieser für die Sokratesforschung entscheidend

wichtigen Diskussion eine maßgebliche Rolle gespielt

haben.

Wer die xenophontischen Sokratika als historisch ver-

läßliche Augenzeugenberichte betrachtet, weil Xenophon

immer wieder behauptet, er habe dieses oder jenes Gespräch

selber mitangehört, sieht sich nirgends so sehr getäuscht

wie im 'Symposion'. Xenophon behauptet dort 1.1, er sei

persönlich dabeigewesen, wie man im Haus des Kallias im

Piräus den Sieg des Autolykos im Pankration gefeiert habe.

Jedoch: Xenophon nennt bei den detaillierten Vorstellungen

der einzelnen Gesprächsteilnehmer weder seinen eigenen

Namen,noch ergreift er im Verlaufe der folgenden Unter-

haltung auch nur ein einziges Mal selber das Wort. Mehr noch

Bereits in der Antike hat Herodikos von Babylon in seiner

2) Berlin 1893/1901; vgl. oben S. 27-31.

- 48 -

Streitschrift npo(; TÖV $ i AoaajvtpdtTriv (frg. 2 Düring)

ausgerechnet, und K.F. Hermann, 'De tempore Convivii 3

Xenophontei pars prior quae est de Eupolidis Autolyco' ,

hat es nachgerechnet, daß Xenophon im Jahre 422, als

Autolykos siegte, allenfalls ein Kind von sieben oder

acht Jahren gewesen sein kann, wenn anders man nicht

seinen eigenen Altersangaben mißtrauen will, wie sie sich

aus der 'Anabasis' erschliessen lassen. Zusammengenommen

lassen diese Beobachtungen, die sich ähnlich auch ander-

wärts vielfach anstellen ließen, nur einen einzigen

Schluß zu: daß die Authentizitätsbezeugungen Xenophons,

denen die Sokratesforschung so lange vertraut hat, nicht

als historisch glaubhaft gelten können, ja daß sie gar

nicht als historisch verstanden werden wollen, sondern

als literarisch-fiktives, gleichsam quasihistorisches

Kolorit, wie es später auch Aristoteles und Cicero in

ihren Dialogen aufzutragen lieben.

Nachdem man die Fiktivität der Authentizitätsbezeu-

gungen einmal durchschaut hatte, entdeckte man bald auch,

daß die xenophontischen Sokratika eine Fülle von Gedan-

kensprüngen und Gedankenbrüchen aufweisen, wie sie im

übrigen Werk nicht begegnen. Dieser auffällige Befund

legte wiederum die Annahme nahe, daß Xenophon bei der

3) In: Index lectionum der Universität Göttingen 1844/45, Göttingen 1844, S . 1 - 1 4 . Vgl. ders., De tempore Convivii Xenophontei pars posterior, Ind. lect. Univ. Göttingen 1845, ebend. 1845, S. 1-16. - Aus-führlich bespricht diese vielverhandelte Frage G.J. Woldinga, Xenophons Symposium, 1. Bd., Hil-versum 1938, S . 1-3, 182-189. Abschließend jetzt H.R. Breitenbach, Xenophon von Athen, in: Pauly-Wissowas RE A 2 9 (1967) Sp. 1571 ff.

- 49 -

Abfassung seiner sokratischen Schriften nicht so sehr

eigenen Vorstellungen gefolgt ist, sondern in der

Hauptsache literarisch vorgeprägtes Quellenmaterial be-

nutzt hat, dessen gedankliche und formale Verschiedenheit

er bei seinem exzerpierend-aneignenden Bemühen nicht

vollständig unterdrücken konnte oder wollte. In dieser

Hinsicht ist das kurze Gespräch zwischen Sokrates und

Antisthenes in den 'Memorabilien' 2.5 besonders lehr-

reich. Die Sache ist die, daß einer der Gefährten seinen

Freund, der in Armut geraten ist, im Stiche gelassen hat.

Sokrates führt nun angesichts des treulosen Freundes

und vieler anderer, unter denen auch Xenophon gewesen

sein will, mit Antisthenes ein Gespräch über den Wert

der Freunde. Freunde, so heißt es, hätten ebenso ihren

Preis wie Sklaven, und einen wertvollen Freund lasse man

ebensowenig im Stich, wie man einen wertvollen Sklaven

nicht verkaufe, weshalb jeder trachten müsse, seinen

Freunden sich so wertvoll wie möglich zu machen. Selt-

samer Gedankengang 1 Am Anfang sieht es so aus, als solle

der treulose Freund für sein Verhalten getadelt werden.

Warum sonst findet das Gespräch ausgerechnet in Gegenwart

des Treulosen statt? Am Ende kommt gerade das Gegenteil

heraus: Der Treulose ist gerechtfertigt, und alle Schuld

fällt auf den Armen, der nicht Sorge getragen hat, seinem

Freunde so wertvoll zu sein, daß er nicht verlassen wurde.

Sehr richtig bemerkt hierzu 0 . Gigon, 'Kommentar zum

zweiten Buch von Xenophons Memorabilien', der sich um die

Analyse solcher Kompositionsbrüche besonders bemüht hat:

"Da liegt ein Widerspruch oder zum mindesten ein schwerer

Hiatus des Gedankens vor."4

Und solch sonderbaren Diskurs

sollten Sokrates und Antisthenes tatsächlich geführt und

4) Basel, 1956, S. 121. Vgl. Breitenbach, a.a.O., Sp. 1800.

1

- 50 -

Xenophon tatsächlich gehört haben? Wahrscheinlicher:

Xenophon hat das Gespräch aus größerem literarischen

Zusammenhang flüchtig exzerpiert, so daß nun das Para-

dox vom Geldwert der Freunde, das dort eine sinnvolle

Auflösung gefunden haben mochte, hier sinnloserweise

bis zum Schluß beibehalten wurde.

Der xenophontische Antisthenes ist also kein Bild,

das die Wirklichkeit historisch getreu wiedergibt, son-

dern eher ein Abbild jenes Bildes, das Antisthenes in

der Literatur der Zeit hinterlassen hat, verdeutlicht

allenfalls hier und da durch einige persönliche Reminis-

zenzen. Das Zeugnis verliert darum nicht gänzlich an

Wert. Es ist nichts Geringes, daß wir eine so ausführ-

liche literarische Darstellung und Deutung des Antisthe-

nes von der Hand eines Zeitgenossen besitzen, dem die

ganze Fülle des Informations- und Quellenmaterials zur

Verfügung stand, das heute verloren ist. Wenn man das

Bild, das Xenophon gezeichnet hat, in einigen Strichen

deskriptiv nachzeichnet, so erhält man, wenn nicht den

historischen Antisthenes, so doch immerhin einen recht

deutlichen Vorbegriff, den die historisch-kritische Re-

konstruktion der Fragmente hernach bestätigen, vertiefen

oder berichtigen kann, ohne daß sie ihrerseits Gefahr

liefe, sich in haltlose Spekulationen zu verlieren.

Was die Darstellung im einzelnen betrifft, so soll

zuerst von der kurzen Erwähnung des Antisthenes in den

'Memorabilien' 3.11.17 die Rede sein; sodann ist von

dem Gespräch zwischen Sokrates und Antisthenes in den

'Memorabilien' 2.5 zu sprechen; das Hauptstück des Ab-

schnittes bildet eine szenenweise Untersuchung der Rolle,

die Antisthenes als eine maßgebliche Figur im 'Symposion'

spielt; ein zusammenfassender Überblick steht am Schluß.

- 51 -

Der umfangreiche Katalog der antisthenischen Schrif-

ten, den Diogenes Laertius 6.15-18 in seiner Antisthenes-

biographie überliefert, erfreut sich in der Forschung

keiner sonderlichen Wertschätzung. Am günstigsten urteilt

noch F . Decleva Caizzi, 'Antisthenis Fragmenta', die

den Katalog "indubbiamente autorevole e degno di esame 5

nonostanto le imprecisioni nennt. Abschätziger äußert

sich A . G . Winckelmann, 'Antisthenis Fragmenta1

: "errorum

plenus"6

; ähnlich J . Humble, 'Antisthenica': "chaotisch"7

.

Am deutlichsten artikuliert die communis opinio A . Muel-

ler, 'De Antisthenis Cynici vita et scriptis': "Inquinatus

is quidem est multis librariorum mendis, ita ut saepius

vel hominum doctorum coniecturis vel nostro Marte verba Q

Diogenis emendare cogamur." ; ähnlich H.J. Lulolfs, 'De

Antisthenis studiis rhetoricis': "Scatet index vitiis,

adeo saepe inquinatus est librariorum mendis, ut in singu-

lis propemodum titulis lector offendatur; raro igitur q

titulis ipsis, vix divisionibus fidem habere possumus."

Diese negative Einschätzung hatte zur Folge, daß der

Katalog in der Forschung nur geringe Aufmerksamkeit ge-

funden hat. Wofern überhaupt einmal ausführlicher davon

die Rede ist, beschränkt man sich auf einige Bemerkungen

allgemeiner Art und bespricht dann die einzelnen Titel

kurz in der Reihenfolge, die jeweils am passendsten er-

scheint, ohne auf die überlieferte Anordnung näher ein-

zugehen.

5) Mailand 1966, S. 7.

6) Zürich 1842, S.12.

7) Antiquite Classique 3 (1934) S. 163.

8) Diss. Marburg 1860, S. 33.

9) Diss. Amsterdam 1900, S. 2.

- 52 -

Es leidet keinen Zweifel, daß die allgemeine Ge-

ringschätzung, die man gegenüber diesem Testimonium an

den Tag gelegt hat, auf einem Fehlurteil beruht. Es ge-

nügt, an H . Usener, "Analecta Theophrastea'1 0

, oder neu-

erdings an P . Moraux, 'Les listes anciennes des ouvrages

d1

A r i s t o t e '1 1

, zu erinnern, um sich zu zu vergegenwärti-

gen, welche entscheidenden neuen Erkenntnisse sich für

die Rekonstruktion und Interpretation fragmentarischer

Werke aus dergleichen Schriftenverzeichnissen gewinnen

lassen. So stellt auch der Katalog der antisthenischen

Schriften ein Zeugnis von ganz unschätzbarem Wert dar,

das eine eingehende Betrachtung verlangt.

Der Katalog gestattet einmal einen allgemeinen Über-

blick über das verlorene Gesamtwerk, so daß man einen

deutlichen Begriff davon gewinnt, worüber Antisthenes

geschrieben hat und wieviel. Ein solcher Überblick ist

immer lehrreich, bisweilen sogar lehrreicher als die

vollständige Kenntnis des einen oder anderen Werkes, das

sich mehr oder weniger zufällig erhalten hat, besonders

wenn es sich, wie hier, um einen umfangreichen literari-

schen Nachlaß handelt. So verrät der Katalog auf den

ersten Blick ungleich mehr über das literarische und

philosophische Schaffen des Antisthenes als die beiden

erhaltenen Deklamationen Alaq und 'Obuoaeut; . Zum

anderen erlauben die einzelnen Titel des Katalogs einen

vortrefflichen Einblick in Thematik, Inhalt, Absicht und

Umfang jeder einzelnen Schrift, zumal ihnen von Grammati-

kerhand nicht selten erklärende Alternativtitel, adjek-

tivische Erläuterungen oder Angaben über die Buchzahl

beigegeben sind. Entscheidend aber ist ein Drittes. Der

antisthenische Katalog ist keineswegs ein bloßes Sammel-

surium von Titeln, die irgend jemand mehr oder weniger

10) Diss. Leipzig 1858, bes. S . 1-24.

11) Löwen 1951.

- 53 -

planlos aneinandergereiht hat, wie es sich gerade traf;

es handelt sich vielmehr, wie sich zeigen wird, um die

wohldurchdachte Bestandsaufnahme eines unbekannten anti-

ken Gelehrten aus hellenistischer Zeit, der die Original-

werke womöglich vor Augen hatte, jedenfalls aber wohl

wußte, wie man einen so umfangreichen philosophischen

Nachlaß sinnvoll ordnet und zusammenstellt. Hier vor

allem liegen für die Rekonstruktion und Interpretation

des fragmentarischen Materials vielversprechende Möglich-

keiten, die bisher noch ganz ungenutzt sind. Die plan-

volle Anlage des Katalogs gibt einen trefflichen Leitfaden

an die Hand, an dem sich die Interpretation sicher durch

die disparaten Einzelnachrichten der Uberlieferung hin-

durchfinden kann, da sich unter jedem Titel und jeder Titel-

gruppe das jeweils Zugehörige angemessen und bequem bespre-

chen läßt, und zwar das Formale ebenso wie das Inhaltliche,

so daß die enge Verbindung von Philosophie und Literatur

gewahrt bleibt, die für Antisthenes ebenso kennzeichnend

ist wie für die anderen Sokratiker. Mehr noch: Hat man

einmal den Plan erkannt, den der Ordner bei der Zusammen-

stellung der Schriften im großen wie im kleinen befolgt

hat, so lassen sich aus der Stellung eines Titels inner-

halb einer Titelgruppe oder aus der Stellung einer Titel-

gruppe innerhalb des Ganzen mannigfache Erkenntnisse über

Form und Inhalt der Schriften gewinnen, die anderweitig

Bekanntes ergänzen, Erschlossenes bestätigen und vielfach

auch Neues an den Tag bringen, so daß sich auf diese Weise,

wenn man behutsam verfährt und sich vor gewaltsamer Syste-

matisierung hütet, ein genaueres und deutlicheres Bild

des verlorenen antisthenischen Gesamtwerkes entwerfen läßt,

als es bisher möglich gewesen ist.

Bei der Durchführung im einzelnen soll einleitend ein

Uberblick über jene antiken Zeugnisse gegeben werden, die

- 54 -

allgemein über Umfang, Inhalt, Form, Stil, Echtheit und

Uberlieferung des Gesamtwerks Auskunft geben. Die Inter-

pretation des Katalogs muß mit einer Neuedition des Tex-

tes beginnen, da die vorliegenden Ausgaben nicht so zu-

verlässig sind, wie es bei einem so empfindlichen Text

unabdingbar ist; sodann wird zu untersuchen sein, wann

und wo der Katalog entstanden ist; anschließend wird über

die Gliederung des Katalogs im Großen zu sprechen sein,

besonders über die Einteilung in TOHOI , für die die Buch-

wissenschaft nicht weniger als vier verschiedene Erklä-

rungen vorgebracht hat; abschließend soll von den ver-

schiedenen Titelformen die Rede sein, wobei besonders ge-

prüft werden m u ß , wie weit die im Katalog überlieferten

Titel mit den anderwärts bezeugten Titeln übereinstimmen,

woraus sich wichtige Hinweise auf die Zuverlässigkeit und

Vollständigkeit des Katalogs gewinnen lassen. Es folgt

schließlich, als Hauptstück, die Rekonstruktion und Inter-

pretation der einzelnen Schriften, die jeweils vom über-

lieferten Titel und seiner Stellung im Rahmen des Kata-

logs auszugehen hat und dann das anderweitig Bezeugte und

gedanklich Zugehörige ergänzend und vertiefend hinzuzie-

hen m u ß , um so ein möglichst genaues Bild von Form und

Inhalt des Werkes zu gewinnen; der Aufbau des Katalogs

bringt es mit sich, daß sich hierbei vier große zusammen-

hängende Themenkreise ergeben: die rhetorischen Schriften,

(deren Behandlung den vorliegenden Teildruck beschließt),

sowie die ethisch-politischen, die dialektisch-ontologischen

und die poetologischen Schriften.

- 55 -

III. DER XENOPHONTISCHE ANTISTHENES

1. Memorabilien 3.11.17

Das Gespräch zwischen Sokrates und der Hetäre Theodote

in den 'Memorabilien' 3.11, das A . Delatte, 'Le troisidme

livre des souvenirs socratiques de X e n o p h o n '1

, eingehend

gewürdigt hat, handelt von der Kuppelei oder,wie es

ironisch-witzig heißt, von der Jagd nach Freunden.

Sokrates zeigt sich auf diesem Gebiet überraschender-

weise so beschlagen, daß die Hetäre ihn bittet, er solle

sie doch öfter besuchen, um ihr bei der Freierwerbung

behilflich zu sein. Sokrates ziert sich, das fragwürdige

Angebot anzunehmen: Er sei mit privaten und öffentlichen

Verpflichtungen so überhäuft, daß ihm kaum Zeit bleibe,

und auch seine Freundinnen ließen ihm Tag und Nacht keine

Ruhe, weil sie Liebestränke und Liebessprüche von ihm

lernen w o l l t e n . Theodote ist überrascht, daß Sokrates

auch solche Künste versteht.

"'Aber weswegen', erwidert er, 'glaubst d u , verlassen mich Apollodoros hier und Antisthenes niemals? Wes-wegen sind Kebes und Simmias aus Theben gekommen? Merke wohl: So etwas ist nicht möglich ohne vielerlei Liebestränke, Liebessprüche und Zauberräder!'"2

Sogleich will Theodote ein solches Zauberrad haben, um

1) Lüttich 1933, S . 148-161. V g l . jetzt H . R . Breiten-b a c h , Xenophon von Athen, in: Pauly-Wissowas RE A2 9 (1967) S p . 1818-1821, wo weitere Literatur ver-zeichnet ist. - K . J o e l , Der echte und der xenophon-tische Sokrates, 2. B d . , Berlin 1901, S . 716-721, will dieses Gespräch auf eine sympotische Schrift des Antisthenes zurückführen. Genaueres Uber diese gewagte Hypothese wird später bei Behandlung des antistheni-schen ILPOTPETIT IKOC zu saqen sein.

2) M e m . 3.11.17.

- 56 -

Sokrates für immer an sich zu fesseln; der aber möchte

lieber, daß sie ihn besuche und verspricht, sie bei sich

einzulassen, schränkt das Angebot allerdings ironisch ein:

"wenn nicht gerade eine im Hause ist, die ich mehr liebe als dich."3

Bei aller Ironie und Kürze läßt sich aus dieser Stelle

immerhin soviel entnehmen, daß Xenophon Antisthenes als einen

der eifrigsten und glühendsten Anhänger und Bewunderer des

Sokrates gekannt hat. Es kam hier alles darauf an, solche

Sokratiker zu nennen, deren Begeisterung für Sokrates be-

kanntermaßen so groß war, daß sie sich ironisch als eroti-

sche Bezauberung und Behextheit deuten ließ. So nennt

Xenophon hier mit Vorbedacht die beiden Thebaner, die er

auch in den 'Memorabilien' 1.2.48 unter den treuesten Schü-

lern des Sokrates aufführt, Apollodor, den er in der 'Apologie'

§ 28 als heftigen, wenn auch einfältigen Verehrer des Sokra-

tes bezeichnet, und er nennt Antisthenes, von dessen enger

Freundschaft zu Sokrates vor allem das 'Symposion' Zeugnis

ablegt, aber auch das kurze Gespräch in den 'Memorabilien'

2.5, von dem zunächst die Rede sein soll.

2. Memorabilien 2.5

Das Gespräch zwischen Sokrates und

'Memorabilien' 2.5 , das 0 . Gigon, 4

Buch von Xenophons Memorabilien' ,

hat, handelt vom Wert der Freunde.

3) Ebenda 3.11.18.

4) Basel 1956, S . 124 f. Vgl. außerdem Joel, a.a.O., S. 1011-1024; F . Decleva Caizzi, Antisthenis Fragmenta, Mailand 1966, S . 113; Breitenbach, a.a.O., Sp. 1800, der weitere Literaturhinweise gibt.

Antisthenes in den

'Kommentar zum zweiten

gründlich analysiert

- 57 -

Sokrates bemerkt, daß einer der Gefährten, dessen Name

nicht genannt w i r d , sich nicht um seinen Freund, der eben-

falls ungenannt bleibt, kümmert, weil dieser in A r m u t gera-

ten ist. Angesichts des treulosen Freundes nun und vieler

anderer, unter denen fiktiverweise auch Xenophon gewesen

sein w i l l , fragt Sokrates Antisthenes, ob er nicht m e i n e ,

daß Freunde ebenso ihren Preis hätten wie Sklaven, für die

man manchmal zwei Minen bezahle, manchmal nicht einmal eine

h a l b e , bisweilen fünf oder zehn oder g a r , wie N i k i a s , ein

ganzes T a l e n t .

"' Ja beim Zeus!', erwiderte Antisthenes, 'ich jeden-falls möchte manchen lieber zum Freunde haben als zwei M i n e n , manchen würde ich nicht einmal einer hal-ben Mine vorziehen, einen anderen würde ich eher nehmen als zehn M i n e n , einen anderen wiederum möchte ich mir für alles Geld und alle Mühe zum Freunde kaufen.'"5

Wenn das so ist, fährt Sokrates fort, so muß jeder prüfen,

wieviel er seinen Freunden wert ist, und er muß danach trach-

t e n , ihnen möglichst viel wert zu sein, damit sie ihn nicht

im Stich lassen. Denn so wie man einen schlechten Sklaven

um jeden Preis verkauft, so verkauft man auch einen schlechten

5) M e m . 2.5.3.- Das letzte Kolon macht Schwierigkeiten. A überliefert npiai^riv , B e\oi|ir]v , einige der Itali npoTtUncatßlv . A hat allein das Richtige, weil nur so die im Text sorgfältig beobachtete Varia-tion der Verben erhalten bleibt, desgleichen auch die Responsion zu den vorausgehenden Worten des Sokra-tes. Liest man aber nptainriv , wie außer Hude alle Editoren getan haben, so muß man npo vor TCOVTUV streichen, wie zuerst Schneider vorgeschlagen hat und Gilbert und Marchant billigen, weil npiounriv als Verbum des Kaufens, anders als die vorhergehenden Verben des Vorziehens, den reinen Genetivus pretii als Zusatz verlangt. - Eine literarische Reminiszenz auf dieses Gespräch findet sich bei Libanios, A p o l . S o c r . 150 (p. 101 Foerster).

- 58 -

Freund, wenn man mehr bekommen kann, als er wert ist;

einen guten Freund aber läßt man ebensowenig im Stich, wie

man einen guten Sklaven nicht verkauft.

Das kurze Gespräch, von dessen merkwürdig unlogisch-

abrupter Gedankenführung bereits im vorigen Kapitel

(S.48-50 )die Rede war, gibt nur wenig Auskunft über Anti-

sthenes, - so wenig, daß man sogar zweifeln könnte, ob es

sich hier überhaupt um den Sokratiker handelt und nicht

vielmehr um den reichen Strategen und Choregen gleichen

Namens, von dem in den 'Memorabilien' 3.4 die Rede ist.

Aber es spricht doch vieles dafür, daß der Sokratiker ge-

meint ist. Es lag nahe, daß Sokrates das Gespräch mit einem

der Gefährten suchte und nicht mit einem Außenstehenden,

wenn er einen Gefährten wegen seines Verhaltens tadeln

wollte; und es lag nicht minder nahe, daß er sich hierfür

gerade Antisthenes aussuchte, der, wiewohl bekanntermaßen

arm, gleichwohl in guter Freundschaft mit ihm lebte. So

(und nur so) ergibt sich eine sinnfällige Situation, die

deutlich auf den ungenannten Dritten abzielt, dem das Ge-

späch pädagogischerweise gilt: Sokrates unterhält sich mit

seinem armen Freund Antisthenes, um einen ungetreuen Freund

zu tadeln, der seinen Freund im Stich gelassen hat, weil

er in Armut geraten ist. -Ähnlich Gigon: "Dem nachlässigen

Freund tritt der beste Freund gegenüber."6

Antisthenes beschränkt sich in diesem Gespräch darauf,

treulich, ja nachgerade pedantisch-genau zu bestätigen und

zu wiederholen, was Sokrates vorträgt: daß Freunde ebenso

ihren Preis haben wie Sklaven. So kann es nicht verwundern,

daß sich in seiner Rede weder gedankliche noch formale Be-

sonderheiten finden, die als typisch gelten könnten. Eine

Ausnahme bildet lediglich die Bemerkung HOI novuv , die

die dem Nikiasbeispiel entsprechende Wendung nn'vtuv xPiua-

6) A.a.O., S. 121. Vgl. Breitenbach, a.a.O.

- 59 -

xuv um einen neuen Aspekt erweitert. Gigon bemerkt hierzu:

"Das beigefügte xai novuv ist an sich natürlich nicht sinn-

los, nur paßt es schlecht in einen Text, der im übrigen

strikte bei Geldwerten und Geldleistungen bleibt."7

Dieses

auffällige Detail, das einige Herausgeber durch Athetese

beseitigen wollen, läßt sich am ehesten erklären, wenn man

annimmt, daß Xenophon hier den Gedanken ganz bewußt vom

Merkantilen ins Moralische umgebogen hat, um so Antisthenes

nicht ausschließlich rezeptiv, sondern, wenigstens andeu-

tungsweise, auch produktiv erscheinen zu lassen, wobei der

novoc; -Begriff, der in der antisthenischen Ethik von zentra-

ler Bedeutung ist (vgl. b e s . frg. 19, 95, sowie auch 96,

113 c.), als charakterisierendes Schlagwort leicht zur

Hand w a r .

Antisthenes erklärt sich in diesem Gespräch bereit, sich

für zwei, fünf oder zehn Minen, ja "für alles Geld" einen

Freund kaufen zu wollen. Gigon bemerkt hierzu: "... man

könnte sich etwas wundern, daß ausgerechnet Antisthenes,

der nach Symp. 3.8 IITI&' oßoAov besitzt, mit dergleichen Q

Angeboten spielt." Antisthenes führt jedoch auch hier ein-

fach einen Gedanken fort, den Sokrates vorgegeben hatte,

so daß man ihn für den Inhalt seiner Worte nicht so zur

Rechenschaft ziehen darf, als ob er dergleichen von sich

aus geäußert hätte. Im übrigen hindert nichts, daß auch

ein armer Mann bekennt, er möchte sich gerne "für alles

Geld" einen Freund kaufen.

7) A.a.O., S . 124. V g l . Breitenbach, a.a.O., der erwägt, ob die Wendung nai rcovuv nicht "die Glosse eines antiken Karl Joel" sein könnte, "der sich an der ... Aussage, daß Antisthenes Geld bezahlen will, stößt, und den mit Antisthenes verknüpften novoc -Begriff ergänzt."

8) A . a . O . V g l . Breitenbach, a.a.O.

- 60 -

3 . Symposion

Q

A . Körte, 'Aufbau und Ziel von Xenophons Symposion' , hat

vortrefflich dargelegt, wie Xenophon, nachdem er die Einladung

9) Verhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaf-ten, Phil.-hist. Klasse, 7 9 . Bd., Leipzig 1927, S . 3-48. -Von der älteren Literatur, die Körte a.a.O. eingehend bespricht, sei hier nur genannt: C . M . Wieland, Versuch über das xenophontische Gastmahl, Attisches Museum 4 (1801) S . 99-105 (jetzt wiederabgedruckt in: Xenophon. Das Gast-m a h l , hrsg. und übers, von G . P . Landmann, Hamburg 1957, S . 110-132); sowie G . F . Rettig, Xenophons symposion, ein kunstwerk griechischen Geistes, Philologus 38 (1879) S . 269-321. Grundlegend für alle Einzelfragen ist jetzt G . J . Woldinga, Xenophons Symposium 1. B d . (Prolegomena), Hilversum 1938, 2 . B d . (Kommentar), ebenda 1939. Eine kurze, aber informative Einleitung gibt F . Ollier, Xfenophon. Le Banquet, Apologie de Socrate, Paris 1961; eine großangelegte neue Analyse des gesamten Werkes bietet neuerdings Brei-tenbach, Xenophon von A t h e n , a.a.O., S p . 1872-1888, wo auch ein umfangreicher Literaturüberblick zu finden ist.-Das vielumstrittene Problem der Priorität zwischen dem xenophontischen und dem platonischen Symposion kann hier nicht behandelt w e r d e n . Nur soviel sei allgemein bemerkt, daß es wundernehmen m ü ß t e , wenn Xenophon, dessen Abhängig-keit von literarischen Vorlagen die neuere Forschung auf Schritt und Tritt nachgewiesen hat, ausgerechnet hier als erster den thematischen Wurf getan hätte, Sokrates bei einem Symposion auftreten zu lassen. So sind in neuerer Zeit die Stimmen d e r e r , die sich für die Priorität Piatons aussprechen, zu Recht immer stärker geworden. V g l . vor allem Körte, a.a.O., S . 3 ff., der die ältere Literatur bespricht; Woldinga, a.a.O., 1. B d . , S . 101 ff.; F . Dorn-seif f, Zur Zeitbestimmung von Piatons Symposion durch Xenophon, Hermes 77 (1942) S . 121; O l l i e r , a.a.O., S . 30-33; R . Flaceliere, A propos du Banquet de Xenophon, Revue des Etudes Grecques 74 (1961) S . 93-118; zuletzt Breitenbach, a.a.O., S p . 1872 f . Für die Priorität Xeno-phons plädierte seinerzeit besonders T . Hopfner, Zu Xenophons und Piatons Symposium, in: Epitymbion, H . Swo-boda dargebracht, Reichenberg 1927, S . 95-112, der auch die ältere Literatur bespricht; ebenso urteilt neuerdings wieder W . W i m m e l , Zum Verhältnis einiger Stellen des xenophontischen und des platonischen Symposions, Gymna-sium 64 (1957) S . 230-250. - Außer Betracht bleiben muß in diesem Zusammenhang auch die interessante Hypothese, die Joel, a.a.O., S . 708-949, mit ebensoviel Scharfsinn wie Kühnheit aufgestellt hat: daß das platonische und das xenophontische Symposion gemeinsam auf eine sympotische Schrift des Antisthenes zurückzuführen seien, die in Form eines Siebenweisengastmahls gehalten w a r . Hierüber wird eingehend bei der Behandlung des antisthenischen IIooTD£7ru IKOC zu sprechen sein.

- 61 -

der Gäste und die Mahlzeit im Hause des Kallias geschildert

hat, das Symposion mit einer Reihe kurzer und locker geführ-

ter Einzelgespräche über die Lehrbarkeit der äpexii beginnen

läßt, die sich zwanglos an die amüsanten Darbietungen an-

schließen, die der Syrakuser mit seinen Unterhaltungskünst-

lern vorführt (c. 1,2); wie hierauf die Gäste, nun selber

zu ihrer Unterhaltung beitragend, in kurzer Rätselrede je-

weils erklären, worauf sie besonders stolz sind, und anschlies-

send ausführlich die Auflösung des Rätsels geben, woran sich,

als Nachspiel, der Schönheitswettkampf zwischen Sokrates und

Kritobulos anschließt (c. 3/4,5); wie hierauf durch das

Schweigen des Hermogenes Verstimmung unter den Gästen Platz

greift, so daß Sokrates nach einer erneuten künstlerischen

Darbietung verlangt, deren Vorbereitung ihm Gelegenheit gibt,

seine lange Rede auf den Eros zu halten (c. 6, 7/9) . Es

bleibt im folgenden zu untersuchen, welche Rolle Antisthenes

im Rahmen dieser wohldurchdachten und recht kunstvollen drei-

teiligen Gesamtkonzeption spielt, wobei, außer Körte, vor

allem K.v. Fritz, 'Antisthenes und Sokrates im xenophonti-

schen S y m p o s i o n '1 0

, und S.F. Zambynski, 'De ratione inter 11

Xenophontis Convivium et Antisthenem intercedente' , heran-

zuziehen sind.

Zuerst Antisthenes in den einleitenden Einzelgesprächen

über die Lehrbarkeit der äpexii (c. 2).

Die Tänzerin wirft zur Flötenmusik Ringe in die Luft und

fängt sie im Takte wieder auf. Sokrates nimmt diese artisti-

sche Darbietung zum Anlaß, um darauf hinzuweisen, daß sich

hier einmal mehr zeige, daß die weibliche Natur nicht geringer

sei als die des Mannes, nur fehle es dem Weibe

10) Rheinisches Museum 84 (1935) S . 19-45.

11) Eos 25 (1921/22) S . 71-85.

- 62 -

"an Einsicht und K r a f t "1 2

.

So m ö g e jeder getrost seine Frau lehren, was sie lernen

solle. Hierauf Antisthenes:

"'Warum d e n n ' , sagte er, 'Sokrates, wenn du so denkst, erziehst nicht auch du die Xanthippe, sondern ver-kehrst mit einem W e i b e , das von a l l e n , die leben, ich glaube sogar von allen, die gelebt haben und ^ leben w e r d e n , das widerspenstigste (x<*>.enu-ra-rri) ist?'"

Worauf Sokrates antwortet, er halte es m i t Xanthippe so

wie d i e Zureiter von Pferden, die sich gerade die wildesten

Tiere aussuchten, um hernach sicher zu sein, daß sie über

alle Meister sind.

12) S y m p . 2.9 - Mosche hat geglaubt, das übereinstimmend überlieferte YVUHTK in PUHTK ändern zu m ü s s e n , weil von einer Gleichwertigkeit der natürlichen Anlage von Mann und Frau nicht mehr die Rede sein könne, wenn die Frau intellektuell und physisch als unter-legen dargestellt w e r d e . Diese Änderung, die viel Beifall gefunden hat (so zuletzt wieder bei Ollier), worüber im einzelnen Woldinga, a.a.O., 2 . B d . , S . 244 f., nachzulesen ist, ist jedoch keineswegs stichhaltig: Es handelt sich hier um den (sophistischen) Gegensatz von natürlicher Anlage ( tpuoi.<; ) und pädagogischer Bildsamkeit (HEXETT) ) die sowohl den Körper betreffen kann ( agnrioK;) als auch den Intellekt (6i6ax"n ). D i e Tänzerin hat gerade ein Beispiel körperlicher Erziehung gegeben: die intellektuelle Erziehung empfiehlt Sokrates im folgenden.

13) S y m p . 2.10. - V g l . zu dieser Szene insgesamt Rettig, a . a . O . , S . 277 ff.; Zambynski, a.a.O., S . 82; Körte, a . a . O . , S . 10 ff.; v . Fritz, a.a.O., S . 22 f.; Woldinga, a . a . O . , 1. B d . , S . 33,55, 2. Bd., S . 243 ff.; Caizzi, A n t i s t e n e , Studi Urbinati N . S . 1-2 (1964) S . 93; dies., Antisthenis Fragmenta, a.a.O., S . 112; Breitenbach, a.a.O., S p . 1875 f . - Die Geschichte kehrt in späterer Tradition wieder bei Diogenes Laertius 2.37 und bei Gellius N . A . 1.17, wobei Diogenes lediglich den Ausspruch des Sokra-tes referiert, während Gellius Alkibiades an Stelle des Antisthenes setzt, jedoch den Pferdevergleich wegläßt

und so den Witz der Antwort verfehlt. Dieser Befund hätte J o e l , a.a.O., S . 722 ff., warnen m ü s s e n , die Alkibiades-version der Geschichte für ursprünglicher zu halten als die Antisthenesfassung.

- 63 -

Es kann kein Zweifel bestehen, daß Antisthenes hier, i 4

wie v . Fritz bemerkt, "aggressiv" und "sehr rauh" redet,

selbst wenn man in Betracht zieht, daß für Ton und Takt in

der damaligen Gesellschaft andere Maßstäbe galten als heute.

Woher diese Grobheit? Antisthenes ärgert sich, daß Sokrates

im Falle der Xanthippe anders handelt, als er handeln m ü ß t e ,

wenn er m i t seinen Ansichten über die Gleichheit der Ge-

schlechter Ernst m a c h t e . Dieser Ärger wird besonders ver-

ständlich, wenn man bedenkt, daß Antisthenes selber die Uber

zeugung vertrat, Mann und Frau besässen dieselbe ÄPETTI und diese sei lehrbar (vgl. frg. 72 in Verbindung mit 69 C.)

So erscheint Antisthenes hier, gleich bei seinem ersten Auf-

treten, als moralischer Rigorist, dessen Kritik und unbe-

dingte Wahrheitsliebe keine Rücksichtnahme kennt, auch nicht

gegenüber Sokrates, und sei es selbst in persönlicher Ange-

legenheit bei geselligem Beisammensein. Sokrates, der sei-

nerseits über die einigermaßen derbe Äußerung über Xanthippe

einigen Grund zur Verärgerung gehabt haben m o c h t e , nimmt

gar nichts übel, sondern antwortet ruhig und mit überlegenem

W i t z , so daß des Antisthenes bohrende Frage, wenn nicht er-

ledigt, so doch wenigstens schlagfertig abgewehrt ist.

Es spricht im übrigen manches d a f ü r , daß Xenophon aus

literarischer Quelle geschöpft hat, wenn er Antisthenes hier

14) A . a . O . , S . 22 f. - Rettig, a.a.O., S . 277 f., dem Zam-bynski, a.a.O., folgt, schließt aus der vorliegenden Stelle irrtümlich, daß Antisthenes hier die Lehrbarkeit der HaXoMayaSia bestreite; der vermeintliche Wider-spruch zwischen Xenophon und der doxographischen Uber-lieferung soll gar eine historische Entwicklung des antisthenischen Tugendbegriffs beweisen.

- 64 -

eine so abschätzige Bemerkung über Xanthippe in den Mund

legt. Die Bemerkung des Antisthenes gilt der Gestalt der

Xanthippe morosa, die in der späteren Überlieferung eine

so reiche und vielfältige Ausformung erfahren hat, daß sie

schließlich sprichwörtlich wurde. Diese Tradition, die jetzt

H . Dörrie, 'Xanthippe'1 5

, sorgfältig dokumentiert hat, geht,

wenigstens im Kern, auf sokratische Überlieferung zurück,

wie Xenophon lehrt, der in den 'Memorabilien' 2.2 Xanthippe

gegen den Vorwurf der xa^enoTtK bereits in Schutz nehmen

zu müssen glaubt. Wenn man bedenkt, daß der größte Teil der

späteren Uberlieferung über Xanthippe kynisch-stoischer

Herkunft ist und dasselbe derb-kritische Gepräge trägt wie

die Äußerung des Antisthenes hier, so gewinnt die Vermutung

Wahrscheinlichkeit, daß es Antisthenes gewesen ist, der die

Gestalt der Xanthippe morosa, die Platon übrigens ignoriert,

in die sokratische Literatur eingeführt hat und so recht

eigentlich als Erfinder und Begründer der Xanthippelegende

gelten muß, die lehrt, wie der Weise durch heitere Gelassen-

heit und Selbstbeherrschung widriger Umstände Herr bleibt.

15) In: Pauly-Wissowas RE A2 9 (1967) Sp. 1335-1342. Von der älteren Literatur ist immer noch wichtig: J.A.C. van Heusde, Xanthippe in hare betrekking tot Socrates. Voorafgegaan van eene kritische ontleding van het vraag-stuk der digamie, Verslagen en Mededeelingen der Konin-klijke Akademie van Wetenschappen, Afdeeling Letterkunde, 4. Bd., Amsterdam 1859, S . 262-305; vgl. außerdem E . Zeller, Zur Ehrenrettung der Xanthippe, in: ders.,Vor-träge und Abhandlungen, 2. Aufl., Leipzig 1875, S. 56-67; B.L. Gildersleeve, Xanthippe and Socrates, in: ders., Essays and Studies, Baltimore 1890, S . 207-248; sowie neuerdings J.W. Fitton, 'That was no lady, that was ...', Classical Quarterly 20 (1970) S. 56-66, der sich vor allem mit dem vielumstrittenen Bigamieproblem beschäftigt, das mit der Xanthippeüberlieferung unlösbar verknüpft ist. - Der ganze Komplex bedürfte einer umfassenden quellenkritischen Neubehandlung, die von den richtungs-weisenden Bemerkungen auszugehen hätte, die Joel, a.a.O.,

5 . 271 ff., vorgetragen hat; vgl. hierzu auch H . Maier, Sokrates, Tübingen 1913, S . 87 ff.

- 65 -

Die Tänzerin schlägt Rad in einen mit Schwertern besetz-

ten Reifen. Angesichts dieser artistischen Darbietung be-

merkt Sokrates

"den Antisthenes a n r e d e n d "1 6

,

nun werde wohl keiner mehr Widerspruch dagegen erheben (ÄVTI\E-Y£iv),daß die Tapferkeit lehrbar sei,wenn sogar ein Mädchen

den Mut habe, sich in Messer zu stürzen. Darauf Antisthenes:

"Wäre es nicht für den Syrakuser hier das Beste, er führte der Stadt die Tänzerin vor und erklärte, wenn ihm die Athener Geld gäben, brächte er es dahin, d a ß ^ alle Athener gegen die feindlichen Speere angingen?"

Worauf Philippos, der Parasit, den Gedanken ins Persönliche

wendet: er sähe gerne, wie der feige Demagoge Peisandros

zur Ertüchtigung seines Mutes Purzelbäume in einen messer-

bestückten Reifen schlagen müßte.

Sokrates wendet sich hier deshalb ausdrücklich an Anti-

sthenes, weil er, wie v . Fritz richtig gesehen hat, dem

Antisthenes "als leichte R a c h e "1 8

spottend die derbe Kritik

zurückgeben will, die dieser soeben an seinem Verhältnis zu

Xanthippe geübt hatte. Um diesen Spott recht zu verstehen,

muß man sich erinnern, daß Antisthenes selber der Uberzeugung

gewesen ist, daß es keinen Widerspruch gebe (frg. 47 C.)

16) Symp. 2.12.

17) Symp. 2.13. - V g l . zur Szene Rettig, a.a.O., S. 278 f.; Zambynski, a.a.O., S . 82; Körte, a.a.O., S . 13 f.; v . Fritz, a.a.O., S . 27 ff.; Woldinga, a.a.O., 1. Bd., S . 33, 55, 2. Bd., S . 249 ff.; Caizzi, Anti-stene, a.a.O., S . 93 f.; dies., Fragmente, a.a.O., S. 111; Breitenbach, a.a.O., Sp. 1876.

18) A.a.O., S . 29. V g l . Breitenbach, a.a.O.- Rettig, a.a.O., dem Zambynski und sogar Körte, a.a.O., folgen, ist auch hier der irrigen Ansicht, Antisthenes leugne die Lehrbarkeit der HaXonaYctSia (vgl. oben S. 63, A n m . 14).

- 6 6 -

und daß die ape-cin , mithin also auch die Tapferkeit, lehr-

bar sei (frg. 69 C . ) . Der Spott der anspielenden Rede liegt

d a r i n , daß Sokrates sich stellt, als ob er tatsächlich

glaube, daß durch den Schwerttanz des Mädchens die Richtig-

keit des antisthenischen Satzes von der Unmöglichkeit des

Widerspruchs und der Lehrbarkeit der Tapferkeit bewiesen

sei. Antisthenes seinerseits nimmt diese ironische Anspie-

lung ebensowenig übel wie Sokrates vorher die Kritik an

Xanthippe und gibt den Spott schlagfertig und nicht ohne

Witz an die Athener w e i t e r , so als sei auch er seinerseits

ganz ernsthaft der Meinung, daß diese durch Übung im Schwert-

tanz bessere Soldaten werden könnten. Diese Bemerkung ist

nicht ohne Spitze gegen die militärische Tüchtigkeit der

Athener, und wenn man anderwärts liest, Antisthenes habe den

Athenern, die sich auf ihr Autochthonentum viel einbildeten,

erklärt, sie seien nicht besser als Schnecken und Heuschrek-

ken (frg. 123 C . ) , oder: sie sollten die Esel zu Strategen

m a c h e n , da sie doch jeden Dummkopf durch Handaufheben in

dieses Amt beförderten (frg. 123 C . ) , oder: wenn man von

Athen nach Sparta g e h e , so sei das wie ein Wechsel vom

Weiberhaus in die Männerhalle (frg. 195 C . ) , so zeigen sol-

che Äußerungen, daß sich Xenophon auch h i e r , wenigstens der

Tendenz n a c h , an vorgeprägtem literarischen Gut orientiert

h a t .

Soweit die einleitenden Einzelgespräche. Es folgen die

Rätselreden der G ä s t e , an denen Antisthenes ebenfalls leb-

haften Anteil nimmt (c.3/4).

Zunächst die Rätsel selber. Kallias macht den Anfang

und erklärt, er halte sich am meisten darauf zugute, daß

er die Menschen besser zu machen v e r m ö g e . Hierauf Antisthenes

"Indem du sie ein banausisches Handwerk lehrst oder die Vortrefflichkeit?"19

19) Symp. 3.6.

- 67 -

- Die Vortrefflichkeit ( MaXoMÄ-yaSLcx) , wenn anders die

Gerechtigkeit ( 6IKCIIOOUVTI ) eine Vortrefflichkeit sei.

"'Ja, beim Zeus!', erwiderte Antisthenes, 'die aller-unbestreitbarste (ävanqHXoyiijTaTr] ) ! Denn Tapferkeit und Weisheit sind bisweilen schädlich für die Freunde und für die Stadt, die Gerechtigkeit aber mischt sich in gar keiner Weise m i t Ungerechtigkeit.'"20

Antisthenes stellt hier, wie Körte bemerkt, eine 21

"inquisitorische Frage" , wenn er fragt, ob Kallias Men-

schenbesserung treibe durch Unterricht in banausischer

Tätigkeit; dergleichen stand ja bei diesem Aristokraten

am allerwenigsten zu vermuten. Kallias indes läßt sich durch

die unbekümmerte Direktheit des Tons ebensowenig beein-

drucken wie Sokrates vorher, sondern antwortet in aller

R u h e , er wisse die Gerechtigkeit zu lehren. Worauf Anti-

sthenes, recht unvermittelt, eine kurze Lobrede auf die

Gerechtigkeit hält, die in ihrer beipflichtenden Zustimmung

versöhnlich, ihrer lehrhaften Genauigkeit wegen aber auch

wieder ein wenig schulmeisterlich w i r k t .

Es findet sich in der Überlieferung kein Hinweis, daß

Antisthenes der Gerechtigkeit eine absolute Vorrangstellung

gegenüber Tapferkeit und Weisheit eingeräumt hätte, so

hoch er im übrigen auch vom Wert dieser Tugend gedacht hat

(vgl. b e s . frg. 74, 75, 101 C . ) . Desgleichen ist der Ge-

danke einer Mischung von Gut und Übel nirgends als anti-

sthenisch bezeugt. Demgegenüber läßt das in klassischer

Sprache seltene Wort avanq) i^oyot; antisthenisches Kolorit

20) Ebenda. - V g l . hierzu Rettig, a.a.O., S . 281; Körte, a.a.O., S . 22 f.; Woldinga, a.a.O., 1. Bd., S . 34, 61, 2. B d . , S . 269 f f . - Caizzi, Fragmente, hätte diese nicht unwichtige Stelle nicht übergehen dürfen.

21) A . a . O . , S . 22.

- 68 -

erkennen, weil es in nuce den Satz von der Unmöglichkeit

des Widerspruchs in sich begreift, auf den Sokrates kurz

zuvor angespielt hatte. Wie denn Antisthenes im übrigen

überhaupt eine besondere Vorliebe für die negierte Form

des adjektivischen Doppelkompositums zeigt, w i e Wendungen

wie avanoßAriToc; (frg. 23 C . ) , ävacpoup£To<; (frg. 71 C . ) ,

oder auch iinepavT0X.0Y0(;(frg. 86 C.) zeigen. Es muß dahinge-

stellt bleiben, ob diese Wortanspielung hinreichend Gewähr

bietet für die A n n a h m e , daß Xenophon auch hier authenti-

sche Sätze des Antisthenes wiedergibt. In jedem Falle ist

aber mit der Möglichkeit zu rechnen, daß die doxographi-

sche Überlieferung die antisthenische Ethik undifferen-

zierter überliefert hat,als sie w a r .

Nikeratos erklärt anschliessend, er sei besonders stolz

darauf, daß er 'Ilias' und 'Odyssee' auswendig w i s s e .

"'Dies aber, sagte Antisthenes, 'ist dir entgangen, daß auch die Rhapsoden alle diese Epen beherrschen?'"22

- N e i n .

"'Kennst d u ' , sagte er, 'ein einfältigeres Volk als die Rhapsoden?'"23

- N e i n . Worauf Sokrates bemerkt, die Einfalt der Rhapsoden

rühre daher, daß sie nicht den verborgenen Sinn der Dich-

tungen (ünovoiai ) zu deuten w ü ß t e n , worüber sich Nikeratos

bei Fachleuten wie Stesimbrotos und Anaximander unter-

richtet habe.

Auch hier fährt Antisthenes, wie Körte bemerkt, "un-24

wirsch dazwischen" und stellt inquisitorische F r a g e n .

22) Symp. 3.5.

23) Symp. 3.6. - Zur Szene v g l . Rettig, a.a.O., S . 281 f.; Zambynski, a.a.O., S . 81; Körte, a.a.O., S . 23; W o l d i n g a , a.a.O., 1. B d . , S . 34, 61 ff., 2 . B d . , S . 273 ff.; Caizzi, Fragmente, a.a.O., S . 109 f .

21) A . a . O . , S . 2 2 .

- 69 -

Anders als Kallias weiß sich aber Nikeratos nicht gegen

Antisthenes zu wehren, und so muß ihm Sokrates hilfreich

zur Seite springen, um durch eine geschickte Bemerkung zu

verhindern, daß Antisthenes in seiner unbekümmerten Direkt-

heit auch noch die Folgerungen aus des Nikeratos Antworten

zieht: daß er ebenso töricht sei wie die Rhapsoden, deren

Fertigkeiten er sich rühmt. Daß Antisthenes selber von den

Homerausdeutungs- und -auslegungskünsten der Rhapsoden nicht

höher dachte, als Platon im 'Ion' erkennen läßt, ergibt

sich aus der bloßen Tatsache, daß er mehr als achtzehn Bü-

cher über homerische Themen verfaßt hat (vgl. frg. 1 C.).

Eine Äußerung wie die vorstehende konnte Xenophon am ehe-

sten in der Schrift ncpl £&TIYTITC3V (ebd.) finden.

Nachdem Kritobulos erklärt hat, er sei besonders stolz

auf seine Schönheit, fragt Sokrates Antisthenes, worauf

er sich besonders viel zugute tue.

25 '"Auf meinen Reichtum!', erwiderte er."

Hermogenes fragt, ob er Geld besitze. Antisthenes schwört:

Nicht einen Obol! - Land?

"'Vielleicht', sagte er, 'wäre es für Autolykos hier genug, um sich beim Ringkampf einzureiben.'"26

Diese Bemerkung ist nun wieder mit Witz und gutem Humor

gesagt, und es bleibt im folgenden abzuwarten, wieso die

Armut des Antisthenes ein Gut darstellt, auf das er stolz

sein kann.

Charmides spricht im folgenden rühmend von seiner

Armut, Sokrates von seinen Kupplerfähigkeiten, Philippos

25) Symp. 3.8.

26) Ebenda. - Diese gtelle zitiert Plutarch, Phllos. esse c . princ. p . 778 .

- 70 -

von seinem Unterhaltungstalent.

"'Willst nicht auch du', sagte Antisthenes, 'erklären, Lykon, worauf du stolz bist'"27

Lykon ist stolz auf seinen Sohn, Autolykos auf seinen

Vater; Hermogenes schließlich nennt als stolzesten Besitz

seine Freunde.

Es folgt die Auflösung der Rätselreden. Kallias rühmt

sich, während die anderen über das Wesen der Gerechtigkeit

nachdächten, mache er die Menschen gerechter, indem er

ihnen Geld gebe. Antisthenes erhebt sich und stellt 28

"ganz inquisitorisch (^AXA k\tynTIHS<; )" die Frage:

"Die Menschen, Kallias, was glaubst du, tragen sie die Gerechtigkeit in der Seele oder im Beutel?"29

- In der Seele.

"Und da machst du ihre Seele gerechter, indem du ihnen Geld in den Beutel steckst?"30

- Ja.

"Wie?"3 1

- Weil sie so kaufen können, was sie brauchen, ohne sich

eines Vergehens schuldig zu machen.

'"Und geben sie dir', sagte er, 'zurück, was sie erhalten? "'32

- Nein, im Gegenteil.

"'Wunderbar', sagte Antisthenes, indem er schaute, als habe er ihn überführt (uc; l\£yx>>>v ),'daß du es

27) Symp. 3.12. - Fehlt bei Caizzi, Fragmente.

28) Symp. 4.2.

29) Ebenda.

30) Ebenda.

31) Ebenda.

32) Ebenda 4.3.

- 71 -

dahin bringst, daß sie gegen andere gerecht sind, gegen dich aber nicht.

1

"33

- Gar nicht wunderbar, auch die Architekten bauten für andere

Häuser und wohnten selber in Miete; Antisthenes, der So-

phist ( oocp IOTIK ), solle es sich gefallen lassen, widerlegt

zu werden. Ja das solle er, fällt Sokrates ein: auch die

Seher sähen ja für andere die Zukunft voraus, nicht aber

für sich selbst.

Kallias gibt hier keineswegs, wie Körte glaubt, eine 34

"kindlich naive Erklärung" , seine Worte sind vielmehr, 35

wie v . Fritz betont, "als Scherz" gesagt und verraten

die großzügige Selbstironie des reichen Aristokraten, der

Philosophie nur nebenbei betreibt. Antisthenes aber, der

Kallias schon einmal wenig freundlich unterbrochen hat,

hört diesen ironisch-scherzhaften Ton nicht oder will ihn

nicht hören und katechisiert ihn in seiner direkten und

rigorosen Art, die Xenophon hier zweimal ausdrücklich durch

den Terminus EXEYXEIV charakterisiert. Da Sokrates diesmal

nicht sogleich schlichtend eingreift, treibt Antisthenes

seine bohrend-gründliche Fragerei eine gute Weile, bis es

dem Weltmann, der es so ernst nicht gemeint hatte, zuviel

wird und er den lästigen Frager, wie v . Fritz treffend

bemerkt, "halb überlegen, halb verärgert"3 6

bescheidet,

er sei widerlegt und möge Ruhe geben. Sokrates pflichtet

33) Ebenda. - Vgl. zu dieser Szene Rettig, a.a.O., S . 286; Körte, a.a.O., S . 28; v . Fritz, S . 23 f.; Woldinga, a.a.O., 1. Bd., S . 34, 61, 2. Bd., S . 281 ff.; Caizzi, Antistene, a.a.O., S . 94 f.; d i e s F r a g m e n t e , a.a.O., S . 118; Breitenbach, a.a.O., Sp. 1878.

34) A.a.O., S. 27. Ähnlich auch Breitenbach, a.a.O.: "soll völlig naiv wirken".

35) A.a.O., S . 23.

36) A.a.O.

- 72 -

Kallias bei, und Antisthenes fragt nun nicht mehr weiter,

obwohl er im Sachlichen keineswegs widerlegt ist, wenn

anders die Gerechtigkeit nicht tatsächlich als Geldproblem

erscheinen soll.

Im übrigen parodiert Xenophon auch in dieser Szene un-

verkennbar antisthenischen Stil, wenn er den abstrakten

Begriff "Seele" mit der konkreten Bezeichnung "Beutel"

zusammenstellt. Wie sehr Antisthenes die Redeweise des ab-

stractum cum concreto schätzte, lehren Aussprüche wie: man

brauche Vernunft oder einen Strick (frg. 67 C.), oder: man

solle das Wissenswerte nicht aufs Papier, sondern in die

Seele schreiben (frg. 188 C.).

Es folgt Nikeratos. Er vermag aufgrund seiner gründ-

lichen Kenntnis Homers jedes Handwerk zu lehren und jede

Heldentugend.

"'Verstehst du dich auch auf die Königsherrschaft', fragte Antisthenes, 'da doch Homer, wie du weißt, Agamemnon lobt, daß er ein guter König sei und ein trefflicher Lanzenkämpfer?'"37

- Ja. Auch Wagenlenken will Nikeratos bei Homer gelernt

haben und daß Zwiebeln eine gute Zukost zum Trünke sind.

37) Symp. 4.6. - Anspielung auf II. 3.179. - Zur Szene vgl. Rettig, a.a.O., S . 286 f.; Körte, a.a.O., Zam-bynski, a.a.O., S . 81; Körte, a.a.O., S . 29; Wol-dinga, a.a.O., 1. Bd., S. 61 ff., 2. Bd., S. 286 ff.; Caizzi, Fragmente, a.a.O., S . 119 f.; Breitenbach, a.a.O., Sp. 1879. - Es ist auffällig, daß die meisten der in dieser Szene aufgeführten Homerzitate auch im platonischen Ion zu finden sind, worüber im einzelnen Woldinga, a.a.O., 1. Bd., S. 61 ff., nachzulesen ist. F . Dümmler, Antisthenica, in: Kleine Schriften, 1. Bd., Leipzig 1901, S. 34 ff., schließt aus diesem Befund, daß Platon und Xenophon gemeinsam eine Schrift des Antisthenes als Quelle benutzt haben. Ungleich wahrscheinlicher ist jedoch, daß Xenophon Platon im Auge hatte.

- 73 -

Worauf allerlei scherzhafte Bemerkungen seitens der anderen

Gäste folgen.

Antisthenes, der Nikeratos gerade eben nicht sehr

freundlich ausgefragt hatte, unterbricht ihn auch jetzt,

und auch diesmal ist seine Frage nach der Königsherrschaft

nicht ohne polemische Spitze, wenn man bedenkt, daß Nikera-

tos, der Sohn des Nikias, aus ältestem athenischem Adel

stammte. Aber Nikeratos geht diesmal, zu seinem Glück, auf

die Frage nicht näher ein, sondern fährt in der scherzhaf-

ten Aufzählung seiner bei Homer erlernten Kenntnisse fort,

so daß das Gespräch, wie Körte bemerkt, bald "eine bur-38

leske Wendung" nimmt.

Nachdem Kritobulos ausführlich über seine Schönheit

gesprochen hat, erklärt Charmides, wie wohl es ihm gehe,

seit er seinen Besitz verloren habe. Im Gegensatz zum ver-

armten Aristokraten hält Antisthenes, der Mann aus dem

V o l k e , anschließend eine Lobrede auf seinen Reichtum.

Wieso gerade er sich seines Reichtums rühmen könne, da

er doch weder Geld noch Land besitze?

"Weil ich der Ansicht b i n , Männer, daß die Menschen Reichtum und Armut nicht im Hause haben, sondern in der Seele. Ich sehe nämlich viele Bürger, die sehr viel besitzen und doch so arm zu sein glauben, daß sie jede Anstrengung und jede Gefahr auf sich nehmen, um ihren Besitz zu vergrößern; ich kenne auch Brüder, die dasselbe geerbt haben, aber der eine besitzt hin-reichend (TotpKouvTot ) und übergenug für seinen Lebens-unterhalt, der andere hat Mangel an allem; ich weiß auch von manchen Tyrannen, die so sehr an Geldarmut leiden, daß sie viel schlimmere Dinge tun als die Ärmsten: aus Not stehlen doch wohl m a n c h e , brechen ein oder treiben Sklavenraub, manche Tyrannen aber ruinieren ganze Häuser, morden haufenweise und schik-ken oft sogar ganze Städte des Geldes wegen in die

21) A . a . O . , S . 22.

- 74 -

Sklaverei. Diese nun bemitleide ich wegen ihrer gar so widrigen Krankheit; sie scheinen mir nämlich Ähn-liches zu erleiden, wie einer, der viel besitzt und, wiewohl er viel ißt, niemals satt wird. Ich aber be-sitze so viel, daß ich es selber nur mit Mühe finde. Dennoch habe ich genug übrig, um nicht zu hungern, wenn ich esse, nicht zu dursten, wenn ich trinke, und anzu-ziehen habe ich, daß ich draußen nicht mehr friere als der schwerreiche Kallias hier. Wenn ich mich aber im Hause aufhalte, scheinen mir die Mauern sehr warme Kleider zu sein und das Dach eine sehr dicke Decke, und mein Bett ist so zufriedenstellend (äpnoüaav ) , daß es Mühe macht, mich zu wecken. Wenn mein Leib einmal nach der Liebe verlangt, genügt mir, was gerade da ist { TO roxpöv äpHEi ), so daß die Frauen, zu denen ich gehe, mich über die Maßen freundlich empfangen, weil sonst keiner zu ihnen gehen will. Und dies alles scheint mir so lustbringend zu sein, daß ich, wenn ich etwas davon tue, nicht mehr Lust zu empfinden wünsche, sondern weniger: so sehr scheint mir manches davon lustbringender zu sein, als es zuträglich ist. Das wertvollste Stück in meinem Besitz aber ist, glaube ich, dieses: wenn mir einer nähme, was ich jetzt habe, so wüßte ich keine so niedrige Tätigkeit, daß sie mir nicht hinreichendes ( <xpKo3<jav ) Auskommen verschaffte. Und wenn ich einmal luxuriös leben will, kaufe ich das Wertvollste nicht vom Markt (denn das ist teuer), sondern nehme es aus der Vorratskammer meiner Seele. Und es macht einen großen Unterschied für die Lust, ob ich etwas zu mir nehme, nachdem ich auf das Bedürfnis gewartet habe, oder ob ich etwas Wertvolles genieße, so wie ich jetzt auch diesen Thasierwein hier trinke, obwohl ich keinen Durst habe. Natürlich sind auch jene, die mehr auf Sparsamkeit ( EUTEXEIOI ) achten als auf Geldbesitz, viel gerechter; denn wem das gerade Vor-handene aufs beste genügt ( ia napov-ra äpHEi ) , der verlangt am wenigsten nach Fremdem (äXAoTpnov) . Bemer-kenswert ist, daß ein solcher Reichtum auch Freiheit schafft. Sokrates nämlich, von dem ich ihn erworben habe, hat ihn mir nicht nach Zahl oder Gewicht zugeteilt, sondern, wieviel ich tragen konnte, soviel hat er mir mitgegeben, und ich mißgönne ihn nun keinem, sondern zeige sogar allen meinen Freunden neidlos meinen Besitz und gebe jedem, der will, Anteil am Reichtum in meiner Seele, Und auch das luxuriöseste Gut, die Muße (oxoM) ), steht mir, wie ihr seht, immer zur Verfügung, so daß ich das Sehenswerte sehen und das Hörenswerte hören und, was ich am meisten schätze, mit Sokrates zusammen den Tag in Muße verbringen kann. Und der bewundert nicht

- 75 -

die, die das meiste Geld ihr eigen nennen, sondern bleibt mit denen, die ihm gefallen, dauernd zusammen."

Diese lange Rede wird abgeschlossen durch einige scherz-

haft getönte Bemerkungen von Kallias und Nikeratos, der die

Ausführungen des Antisthenes sehr richtig als das

"nach keiner Sache Bedürfnis haben (to hti6ev?;c f o o -&e~a£ui ) "40

charakterisiert.

Antisthenes redet auch hier wieder direkt und ohne

Rücksicht auf gesellschaftliche Konventionen, wenn er sich,

gerade im Hause des reichen Kallias, über die Nichtigkeit

materiellen Besitzes ausläßt, sich jede Arbeit zu übernehmen

bereit erklärt, auch die niedrigste, und sich schließlich

auch noch drastisch über die Stillung seiner sexuellen Be-

dürfnisse vernehmen läßt, wobei er freilich überall Witz

und guten Humor beweist, was die Schroffheit seiner Ansich-

ten mildert und die Anstößigkeit seiner Äußerungen erträg-

lich macht.

Die Rede des Antisthenes ist aufgebaut auf der para-

doxen Behauptung, Reichtum sei keine Frage äußeren Besitzes,

sondern innerer Seelenverfassung. Das Streben nach äußer-

39) Symp. 4.34-44. - Zur Analyse dieser wichtigen Rede vgl. Rettig, a.a.O., S . 293 ff.; Zambynski, a.a.O., S . 79 ff.; Körte, a.a.O., S. 34 f.; Woldinga, a.a.O., 1. Bd., S. 15 f. 34 ff., 74 ff., 2. Bd., S. 320 ff.; Caizzi, Antistene, S. 95 ff.; dies.,Fragmente, a.a.O., S . 117; Breitenbach, a.a.O., Sp. 1881. - Die ganze Rede hat Hieronymus (frg. 128B; vgl. auch frg. 128A, 135 sowie 134B C.) im Auge, wenn er (wohl nach Satyros, den er kurz zuvor zitiert) behauptet, Xenophon bezeuge im Symposion, daß sich Anti-sthenes Bedürfnislosigkeit (paupertas) und Anstrengung (labor) besonders habe angelegen sein lassen; vgl. hier-zu unten S . 92-94. - Die alte Korruptel 4.37 hat jetzt nach Olliers neuem Text überzeugend verbessert G.L. Cooper, A better Solution for the text of Xenophon, Symp. 4.37, Classical Quarterly 21 (1971) S . 62-64, der uc, no-Ai<; aiio Mal lyu aütoc; aveuptoMu liest.

40) Symp. 4.45.

- 76 -

liehen Gütern, wie man es in der Gesellschaft allenthalben

beobachten könne, bei Privatleuten ebenso wie bei Gewalt-

herrschern, sei wie eine widrige Krankheit, bei der man

sein Essen nicht bei sich behalten könne: je mehr man

besitze, desto mehr wolle man haben, und schrecke schließ-

lich vor keiner Untat zurück, um den krankhaften Trieb

zu befriedigen. Ganz anders Antisthenes selber! Er ist

arm an äußeren Gütern, und doch hat er genügend zu essen

und zu trinken, ein Kleid, ein Haus, ein Bett und, wenn

nötig, ein Weib für die Liebe. Und wie gut läßt sich in

solcher Verfassung nicht leben! Angstfrei, weil man sei-

nen Besitz, wird er einem genommen, jederzeit durch Arbeit

wiedererwerben kann; lustvoll, weil die Befriedigung größer

ist, wenn man wartet, bis das Bedürfnis sich einstellt;

gerecht, weil man nicht nach fremdem Gut verlangt, wenn

man mit dem eigenen Besitz zufrieden ist; freiglebig,weil

man allen neidlos vom eigenen Gut abgeben kann; und das

kostbarste Gut: man hat immer Zeit, so daß man sich das

Leben einteilen kann, wie man mag.

Auch wenn das Wort dpne~v nicht mehrfach im Text be-

gegnete, ließe sich unschwer erkennen, daß hier vom Prinzip

der aÜTapneia die Rede ist, jenem philosophischen Lebens-

ideal, das die Glückseligkeit durch Selbstgenügsamkeit und

Selbstbescheidung zu erreichen hofft. Daß Antisthenes die-

ses Ideal in der Tat vertreten hat, läßt sich vielfach

erweisen, am schlagendsten durch den Satz, der Weise sei

aüxapHTK (frg. 80; vgl. außerdem 70, 80, 128AB, 135 B C.).

Wie sich denn überhaupt beinahe jeder Satz der xenophonti-

schen Rede durch ein antisthenisches Fragment belegen läßt.

Gleich eingangs begegnet die typische antisthenische Denk-

form des abstractum cum concreto wieder: "nicht im Hause,

sondern in der Seele"; läßt Xenophon Antisthenes hier die

- 77 -

Geldgier bei Privatleuten und Tyrannen als abschreckendes

Beispiel vorführen, so liest man bei Antisthenes selber,

kein Geldgieriger sei ein trefflicher Mann, er möge Bür-

ger oder König sein (frg. 94 C.); bezeichnet Antisthenes

bei Xenophon die Geldgier als Krankheit, so nennt er sel-

ber anderwärts die erotische Leidenschaft eine Krankheit

der Natur (frg. 109 C.); erklärt Antisthenes hier, er sei

mit jedem Weibe zufrieden, so sagt er anderwärts, man solle

sich nur solchen Weibern nähern, die es einem zu danken

wüßten (frg. 114 C.); spricht er hier davon, daß es lust-

voller sei, wenn man warte, bis sich ein Bedürfnis ein-

stelle, so sagt er anderweitig, man müsse die Lust zusammen

mit der Anstrengung genießen und nicht vorher (frg. 113 C.).

Betrachtet man diese Übereinstimmungen, die sich leicht

noch vermehren ließen, so hat man den Eindruck, daß Xeno-

phon hier in der Art eines Cento wichtige Maximen und

Sentenzen des Antisthenes nebeneinandergestellt hat, um

so zusammenfassend einen gedrängten Uberblick über die

verschiedenen Aspekte der antisthenischen Autarkieethik

zu geben.

Was den Stil der Rede betrifft, so bedient sich Anti-

sthenes hier in reichem Maße der Schmuckmittel gorgiani-

scher Rhetorik: Antithese, Allitteration, Anapher, Variati-

on, Metapher, Homoloteleuton, Paronomasie, Isokola und

Parisa, desgleichen Sentenz, Wortspiel, Paradox und witzige

Pointe begegnen auf Schritt und Tritt, so daß es sich er-

übrigt, einzelnen Beispiele anzuführen. Im Gegensatz zu

dieser rhetorisch überhöhten Redeweise verläuft der Satz-

bau durchaus parataktisch-schlicht und scheut selbst vor

Ausdrücken der niederen Sprache nicht zurück. Es leidet

keinen Zweifel, daß dieser höchst originelle Stil, den man

als umgangssprachlich gemäßigte Kunstprosa bezeichnen könnte,

eine parodische Imitation des antisthenischen Stils dar-

- 78 -

stellen soll. So zeigen die beiden erhaltenen Deklamationen

Aiae; und 'O&uaaEut; dieselbe eigentümliche Stilprägung,

und die antike Literaturkritik konstatiert bei Antisthenes

sowohl "rhetorisches Gepräge" ( prt-ropiMov EI6O<; ) (frg. 7 C.)

wie sie ihn auch unter die "kräftigeren" ( acpo&poxEpoi )

Leute rechnet, die eine "überführend-advokatische"

vtf| Mai b iMaviMTi) Redeweise pflegen (Lukian, Pisc. 23 [p.89 C.]

Alles in allem behält Zambynski Recht, wenn er urteilt:

"Cum Antisthenis arte rhetorica, quam Xenophon, cum Anti-

sthenem loquentem facit, perspicue imitatur, apophthegmata

quoque, paradoxa omninoque facete atque sagaciter dicta

cohaerere videntur, quae in Antisthenis fragmentis passim

inveniuntur, quaeque Xenophon in Convivio si iam non citat 41

at certe imitari vldetur."

Antisthenes äußert am Ende der Rede, wie Körte bemerkt, 42

"das feste und warme Bekenntnis zu Sokrates . Sokrates

sei es gewesen, der ihm das Ideal der aüxapMEia und so

den rechten Weg zum Glück gewiesen habe. Auch hierzu läßt

sich ein bedeutsames Antistheneswort anführen: die Vor-

züglichkeit ( apExn ) sei ausreichend ( aiiapMTK ) zur Er-

langung der Glückseligkeit (Eu&ai^ovia ), sie bedürfe

allerdings des Sokrates kraftvoller Haltung (EuKpaxiM?! taxuO

(frg. 70 C.). Aus alledem geht deutlich hervor, wie tief

Antisthenes durch Sokrates' selbstbeherrschte und selbst-

genügsame Lebensführung, die auch andere Quellen rühmen,

beeindruckt und geprägt worden ist. So liegt die Vermutung

nahe, daß Antisthenes seine Autarkieethik in wesentlichen

Stücken gewonnen hat, indem er jene biographischen Züge

der Sokratesgestalt, die er am meisten bewunderte, ins

41) A.a.O., S . 81.

42) A.a.O., S. 35.

- 79 -

Theoretische umsetzte. Es wäre dies nicht der einzige

Fall, daß das vorbildhafte Leben eines Lehrers das Modell

abgäbe für die ethische Theorie eines bewundernden

Schülers.

Nachdem Hermogenes, Philippos und der Syrakuser zu

Wort gekommen sind, ist es an Sokrates zu erklären, wieso

er sich gerade auf sein Talent als Zuhälter ( ^aoTponoc )

etwas zugute tue. Sokrates führt aus, der beste Zuhälter

sei der, der seine Kunden möglichst vielen Menschen, am

besten der ganzen Stadt, angenehm zu machen wisse. Ein

solch vortrefflicher Zuhälter sei Antisthenes. Antisthenes

ist verblüfft:

"'Mir', sagte er, 'Sokrates, schreibst du diese Fähigkeit zu?'"4 3

- Ja, und auch die damit zusammenhängende Tätigkeit.

"Welche ist das?"44

- Die Kuppelei ( npoaYuyeta ).

Hierauf stellt Antisthenes

"sehr empört ( ccAa ax^eaSeir, ) "45

die Frage:

"Und woher weißt du, Sokrates, daß ich dergleichen betreibe?"46

- Weil Antisthenes Kallias mit Prodikos zusammengebracht

habe, als er sah, daß der eine Wissen, der andere Geld

brauche, und ebenso mit Hippias, von dem Kallias die

Mnemotechnik gelernt habe, so daß er jetzt gewitzt sei

in erotischen Dingen und nichts Schönes mehr vergesse, was

43) Symp. 4.61.

44) Ebenda.

45) Ebenda 4.62 .

46) Ebenda.

- 80 -

er einmal gesehen habe; desgleichen habe Antisthenes ihn

selber mit dem Fremdling aus Herakleia und mit Aischylos

aus Phleius zusammengeführt, und auch dies seien glück-

liche Vermittlungen gewesen, von denen jeweils beide Part-

ner Nutzen gehabt hätten. Wer solches vermöge, der könra

auch harmonische Ehen stiften und gute Verhältnisse unter

Städten, so daß er überall willkommen sei und hochbezahlt

werde. Und da sei Antisthenes böse, wenn man ihn einen

vortrefflichen Zuhälter nenne!

"'Aber beim Zeus!', erwiderte er, 'jetzt nicht. Denn wenn ich dergleichen vermag, habe ich meine Seele ja ganz und qar mit Reichtum vollbepackt.'"47

Es ist merkwürdig, daß Sokrates die Kupplerkunst, deren

er sich auch im Theodotegespräch M e m . 3.11 rühmt, hier

Antisthenes zuschreibt, anstatt sich ihrer, wie man er-

warte;, selber zu rühmen. Welche Gründe Xenophon für diese

47) Ebenda 4.64. - Zur Szene v g l . Rettig, a.a.O., S. 297 ff Körte, a.a.O., S. 36 ff.; v . Fritz, a.a.O., S. 25 ff.; Woldinga, a.a.O., 1. Bd., S . 36, 78 ff., 2. Bd., S. 359 ff.; Caizzi, Antistene, a.a.O., S . 97 ff.; dies., Fragmente, a.a.O., S. 115; Breitenbach, a.a.O., Sp. 1882. - Die ganze Szene hat Theopomp (frg. 3C.) im Blick, wenn e r , wohl in seiner Streitschrift Katä TTTI; nAa-ruvoc 6 iatp ißTK (FGrHist. 115 F 259), Antisthenes als ÖEIVOC bezeichnet, der es verstanden habe, fti' öiaiXiat; e iieXOCK; ünayaYEaSaI navö' övTivoüv; v g l . Diogenes Laertius (frg. 3 in Verbindung mit frg. 135B C . ) . Eine Anspielung auf diese Stelle bietet auch Plutarch, Quaest. conviv. p . 632 . - Die Korrup-tel 4.64 Mal TTO AAo U av ätioc, ETVOU + TIOXEOI Mal cpiXoic wal OUHHOXOK ; + MEMTrfadai hat mannigfache Verbesse-rungsvorschläge gefunden, worüber ausführlich Woldinga, a.a.O., 2. Bd., S. 371 ff. Ansprechender als Finckhs Ergänzung NOXECU Mal (l&IURAIC;) cpiXot; MAL ouji-tiaxoic oder Sauppes Streichung von Mal oumiaxoit,

der sich auch Ollier anschließt, erscheint die Emen-dation Mai JTOXEOI nal quXon; (ipiXoc) Mal au|inaxoi<;.

- 81 -

überraschende, ja abrupte Gesprächswendung auch gehabt

haben mag, sei es, daß er, wie Körte glaubt, aus Dis-

kretion unterlassen habe, "seinen Sokrates hier im Ernst

ein Bekenntnis über seine letzten Ziele ablegen zu las-48

sen" , sei es, daß er, wie v . Fritz meint, seiner allge-

meinen Neigung gefolgt sei, "nicht jedes einmal vorkommen-49 de Thema erschöpfend zu behandeln" , - Antisthenes erfährt

zu seiner Überraschung, daß Sokrates ausgerechnet bei ihm

jene Zuhältertalente vorfindet oder besser vorzufinden

vorgibt, deren er sich vorher selber gerühmt hatte. Dieser

Überraschung folgt sogleich die zweite, indem Sokrates

Antisthenes nun auch noch als vortrefflichen Kuppler be-

zeichnet; worauf dieser "sehr empört" reagiert. Woher

diese plötzliche Verstimmung des Antisthenes? Hier hat

v . Fritz klärend darauf hingewiesen, daß die iiaaTponeta

(hier unvollkommen durch Zuhälterei wiedergegeben) "ein

sehr anrüchiges, aber im Altertum gewissermaßen ein ehr-

liches, d.h. gesetzlich erlaubtes G e w e r b e "5 0

gewesen ist,

während die npoceruye ia (hier ebenso unvollkommen durch

Kuppelei übersetzt) besonders die Verführung freier Knaben

und Mädchen zur Unzucht bezeichnet, worauf nach attischem

Recht die Todesstrafe stand. So wenig Antisthenes, der

von sich selber gerade bekannt hat, er schrecke im Notfall

vor keiner Tätigkeit zurück, gegen den Beruf eines nopvoßoaKoc;

mochte einzuwenden haben - und tatsächlich auch nichts ein-

gewendet hat, wie seine Äußerung über einen ertappten Ehe-

brecher lehrt: der Narr hätte den Prozess um einen Obol

48) A.a.O., S . 37.

49) A.a.O., S . 26.

50) A.a.O., S . 26 f. - Zum Unterschied von naoTponeia und npoafu-feCa ausführlich Woldinga, a.a.O., 1. Bd., S. 78 ff., 2. Bd., a.a.O., S. 365 ff.; Caizzi, Antistene, a.a.O., S . 97-99.

- 82 -

vermeiden können (frg. 182 C.); so sehr konnte er sich

von dem Vorwurf getroffen fühlen, er verleite als npoayojYot;

verbrecherischerweise freie Athener gegen Bezahlung zur

Unzucht. Sokrates allerdings spricht hier ironisch-

übertragen, wie besonders die Aufzählung von des Antisthe-

nes gelungenen Kuppeltaten bei Kallias und ihm selber

zeigt, und wenn Antisthenes diesen Ton überhört und böse

wird, so beweist er in der Tat, wie Körte bemerkt, ein

gutes Stück "Begriffsstutzigkeit"5 1

. Aber es ist auch

wieder bezeichnend für ihn,daß er gleich darauf versöhnlich

einlenkt und auf Sokrates' ironische Lobesrede, seine

eigene Rede mit gutem Humor parodierend, antwortet, bei

solchen Fähigkeiten müsse seine Seele ja geradezu mit

Reichtümern vollgepackt sein.

Xenophon behauptet, Antisthenes habe Kallias erfolg-

reich mit Prodikos und Hippias verkuppelt, Sokrates mit

Aischylos aus Phleius und mit dem Fremdling aus Herakleia.

Hierzu bemerkt Körte: "Die Objekte dieser npoccruTEict 52 sind wohl in antisthenischen Werken genannte Personen."

51) A.a.O., S. 37.

52) A.a.O., S. 38. Vgl. Breitenbach, a.a.O., Sp. 1882. -Körte, a.a.O., A n m . 2, will den Fremdling aus Hera-kleia mit dem berühmten Maler Zeuxis identifizieren, den eine Anekdote bei Aellan var. hist. 14.17 in Verbindung mit Sokrates bringt. Winckelmann, Antisthe-nis Fragmenta, Zürich 1842, S . 31, Anm. 1, denkt an den Philosophen Bryson, über den p . Natorp, Bryson N r . 2, in: Pauly-Wissowas RE 3 (1897) Sp. 927-929, nachzulesen ist; Joel, a.a.O., 2. Bd., S . 480, zieht Brysons Vater Herodoros vor, der über Herakles ge-schrieben hat. - Aischylos von Phleius identifiziert Körte, a.a.O., mit dem gleichnamigen Astronomen unbe-kannter Herkunft, dessen Gestirntheorie Spuren in der Meteorologie des Aristoteles hinterlassen hat; vgl. hierzu Hultsch, RE Suppl. 1 (1903) Sp. 40. Die Iden-tifizierung paßt indes schlecht zum erotisch getönten Charakter der Stelle.

- 83 -

In der Tat dürfte Xenophon wenigstens die beiden letzt-

genannten, prosopographisch so erlesenen Namen, deren

Identifizierung Schwierigkeiten bereitet, literarischen

Quellen verdanken. Desgleichen dürfte das derbe Wort

a£aaY|i£vo<; , das mit Vorliebe in der Komödie begegnet,

in parodischer Absicht hierhergesetzt worden sein.

Nach dem Rätselspiel folgt der vorher angekündigte

Schönheitswettkampf zwischen Sokrates und Kritobul (c.5).

Antisthenes hat hieran keinen Anteil, wenn man davon ab-

sieht, daß Kritobulos einmal ironisch-anspielend von

53

"des Antisthenes Reichtum

spricht. Es folgt der Streit der Gäste (c.6).

Hermogenes, von Sokrates wegen seines Schweigens ge-

tadelt, erklärt schlagfertig, die anderen redeten soviel,

daß er gar nicht zu Worte kommen könne. Kallias schlägt

vor, man solle Flöte blasen lassen,dann seien alle still.

Hermogenes: Ob er etwa wie der Schauspieler Nlkostratos

zur Flötenbegleitung rezitieren solle? Sokrates: Ja,

dann seien seine Worte angenehmer zu hören. Kallias:

Wenn Antisthenes einen im Gespräch widerlege, welche Flö-

tenmelodie dann wohl passe? Worauf Antisthenes:

'"Für den Widerlegten, denke ich', sagte er, 'paßt die Pfeiferweise (oupiT^ot; ).'"54

53) Symp. 5.8; vgl. 3.8, 6.34 ff.

54) Symp. 6.5. - Zur Szene vgl. Rettig, a.a.O., S . 303; Zambynski, a.a.O., S . 75; Woldinga, a.a.O., 2. Bd., S. 392 ff., wo nähere Aufklärung über den Terminus aupi-ynoc zu finden ist; Breitenbach, a.a.O., Sp. 1883 Winckelmann, a.a.O., S . 50, Anm. 1, bringt diese Stelle ganz willkürlich mit dem Gebet an Pan im pla-tonischen Phaidros p . 279 zusammen; woran Joel, a.a.O. 2. Bd., S . 728 ff., weitere Spekulationen knüpft.

- 84 -

Kallias kommt hier auf Antisthenes zu sprechen, weil

er nicht vergessen hat, daß ihm Antisthenes mehrfach mit

seiner bohrenden Fragerei im Gespräch Widerstand geleistet

h a t . So humorvoll er fragt, so witzig antwortet Antisthenes,

indem er mit dem Doppelsinn des Wortes OUPIYH°I spielt,

das sowohl eine hohe Flötenmelodie bezeichnet wie auch

das Auspfeifen des Schauspielers auf dem Theater. Die gan-

ze Auseinandersetzung zwischen Kallias und Antisthenes

erhält so einen versöhnlichen Schlußakzent.

Der Syrakuser bemerkt, daß das Interesse der Gäste an

seinen Vorführungen schwindet und wird ausfällig gegen

Sokrates. Als der M a n n , wiewohl Sokrates ihn freundlich

zu beschwichtigen sucht, keine Ruhe geben w i l l , greift

Antisthenes ein:

"Du bist doch groß, Philippos, im Vergleichen ( elxa^eiv)! Meinst du nicht, daß der Mann hier einem Spötter gleicht?"55

Das findet Philippos wohl und schickt sich a n , weitere

Vergleiche zu ziehen, so daß Sokrates alle Mühe hat, ihn

zurückzuhalten.

Hier zeigt sich Antisthenes entrüstet, weil er, wie

v . Fritz bemerkt, "diesen Angriff auf seinen Lehrer und

Meister nicht ertragen k a n n "5 6

. Sogleich ist er bereit,

55) Symp. 6.8. - V g l . hierzu Rettig, a.a.O.; Körte, a.a.O., S . 19 f.; v . Fritz, a.a.O., S . 42 f.; Woldinga, a.a.O., 2. Bd., S . 402 f., der auch über das im Symposion be-liebte Spiel des eivtaSeiv näher informiert; Breiten-bach, a.a.O. - J o e l , a.a.O., S . 728 f., hält das

EIV für typisch antisthenisch, übersieht jedoch, daß Antisthenes diese Fertigkeit hier ausdrücklich Philippos zuschreibt. - Ein schönes Beispiel eines antisthenischen e 1M05 bietet im übrigen Aristoteles (frg. 157 C.): der schmächtige Kephisodotos gleiche dem Weihrauch, OTI ATIOXXIVEVCX; Eucppaivei.

56) A . a . O . , S . 24 f .

- 85 -

Sokrates gegen die vorgebrachten Anwürfe zu verteidigen,

wobei dieser einmal mehr Gelegenheit erhält, seine über-

legene Kunst der Menschenbehandlung zu beweisen.

Es folgt schließlich Sokrates1

große Rede auf den

Eros (c. 7/9).

Sokrates bittet den Syrakuser, um die aufkommende Miß-

stimmung zu beheben, eine Pantomime aufzuführen. Während die

Vorbereitungen hierfür getroffen werden, beginnt Sokrates

seine Lobrede auf den Eros. Es schicke sich wohl, gerade

jetzt diesen Gott zu preisen, dem alle miteinander verfal-

len seien: er selber sei immer verliebt; Charmides und

Kritobul liebten und würden geliebt; Nikeratos liebe seine

Frau, Hermogenes die Tugend. Ob Antisthenes als einziger

niemanden liebe?

"'Doch, bei den Göttern', erwiderte jener, 'sogar sehr: dich!'"57

Sokrates ziert sich: Antisthenes solle ihm jetzt keine

Anträge machen, er sei mit anderem beschäftigt. Hierauf

Antisthenes:

"Natürlich, du Selbstverkuppler (naoTpone ocauToö), immer machst du dergleichen Sachen: bald schiebst du das Dalmonion vor, um dich nicht mit mir zu unter-halten, bald hast du irgendetwas anderes im Sinne!"58

Sokrates erwidert, Antisthenes solle ihn nur nicht ver-

prügeln,

"deine andere Widrigkeit ( XOCAEJIOTTII; ) aber ertrage ich und werde sie freundschaftlich (nuAinEq ) ertragen."59

57) Symp. 8.4.

58) Ebenda 8.5.

59) Ebenda 8.6. - Zur Szene vgl. Rettig, a.a.O., S . 306 f.; Körte, a.a.O., S. 40 f.; Zambynski, a.a.O., S . 82 f.; v . Fritz, a.a.O., S. 29 ff.; Woldinga, a.a.O., 1. Bd., S. 100, 2. Bd., S. 422 ff.; Breitenbach, a.a.O., Sp. 1884. Unbegreiflicherweise fehlt die Stelle bei Caizzi, Fragmente

- 86 -

Jetzt aber müsse man des Antisthenes Liebe verbergen, da

sie nur seiner Süßeren Schönheit gelte und nicht seiner

Seele. Womit Sokrates' Rede auf den Eros, die Höhepunkt

und Schluß des Werkes bildet, ihren Fortgang nimmt, ohne

daß von Antisthenes noch einmal die Rede ist.

Es leidet keinen Zweifel (oder es hätte doch niemals

zweifelhaft sein sollen), daß diese Szene ihr literarisches cd

Vorbild im platonischen 'Symposion' p . 213 hat, wo Sokra-

tes sich bei Agathon ironisch beklagt, Alkibiades sei so

eifersüchtig, daß er bisweilen an sich halten müsse,um

nicht Hand an ihn zu legen. Körte fand es "sehr unerfreu-

l i c h "6 0

, wie hier die erotische Leidenschaftlichkeit des

jungen, schönen Aristokraten auf Antisthenes übertragen

werde, den man sich als armen Mann gesetzteren Alters vor-

stellen müsse: "Xenophons Nachahmung streift an Karikatur."6 1

Sehr zu Recht bemerkt jedoch v . Fritz:"... die ganze Stim-6 2 mung und der ganze Ton der Szene sind andere geworden."

In der Tat ist die Darstellung bei Xenophon unverkennbar

scherzhaft-spottend, ja humoristisch gefärbt. Gleich ein-

gangs redet Sokrates spottend, wenn er Antisthenes fragt,

ob er denn als einziger niemandem erotisch zugetan sei;

denn jedermann mußte sich hier erinnern, daß Antisthenes

den Eros als Obel der Natur erklärte (frg. 109 C.), daß

er bekannte, er verfiele lieber dem Wahnsinn als der Lust

(frg. 108 C.) und erklärte, er würde Aphrodite erschiessen,

wenn er ihrer habhaft würde (frg. 109 C . ) . Antisthenes be-

antwortet die anspielende Frage mit gutem Humor, indem er

den Spötter selber als Gegenstand seiner erotischen Leiden-

60) A.a.O., S. 40.

61) A.a.O., S. 41.

62) A.a.O., S . 30.

- 87 -

schaft nennt. Als sich Sokrates hierauf ironisch ziert,

als nähme er dieses Liebesgeständnis ernst, beklagt sich

Antisthenes, wiederum im Scherz, wohl aber auch nicht

ohne Spur tatsächlicher Eifersucht, daß Sokrates nie ge-

nügend Zeit für ihn habe, wobei es überrascht, daß hier-

bei auggerechnet das Daimonion als Entschuldigungsgrund

angeführt wird. Sokrates schließlich treibt den Spott

auf die Spitze und gibt vor, er fürchte sich vor des

Antisthenes Prügel, erklärt sich zugleich aber bereit,

seine x<*^e

't

°'rT

K zu ertragen, und zwar, wie er ausdrück-

lich sagt, "in Freundschaft". So wird hier am Schluß das

Verhältnis zwischen Sokrates und Antisthenes als ein Ver-

hältnis des Wohlwollens und der Sympathie bezeichnet,

ungeachtet des Abstands, in der die ungebärdige Direkt-

heit und Rigorosität des Schülers zur Konzilianz und

Menschenkenntnis des Lehrers steht.

4. Antisthenes bei Xenophon

Alles in allem zeichnet Xenophon von Antisthenes ein

scharf umrissenes Bild, und zwar in soziologisch-

psychologischer Hinsicht ebenso wie in stilistischer und

philosophischer. Soziologisch betrachtet erscheint Anti-

sthenes als Mann aus dem Volke, ohne Geld und Besitz, ein

Angehöriger der Unterklasse, der gezwungen ist, oder sich

doch wenigstens gezwungen sehen könnte, durch eigene Arbeit

seinen bescheidenen Lebensunterhalt zu verdienen; psycho-

logisch stellt er sich dar als leidenschaftlich-rechthaberi-

scher Charakter, der, unbekümmert um jede gesellschaftliche

Konvention, seine eigenen Ansichten zur Geltung zu bringen

und die Ansichten anderer zu widerlegen trachtet, wobei

allerdings Witz und guter Humor die Schroffheit seines

- 88 -

Wesens mildern; stilistisch bedient er sich einer Rede-

weise, die die Schmuckmittel gorgianischer Rhetorik ein-

zusetzen versteht, ohne darum doch auf umgangssprachliche

Satzfügung und konkrete Drastik des Ausdrucks zu verzich-

ten; in der Philosophie schließlich vertritt er eine zupacken-

de elenktische Ausfraaetechnik und eine Autarkieethik von

einfacher Rigorosität, die auf theoretische Fundierung

eher verzichtet und sich vor allem am biographischen Vor-

bild des Sokrates orientiert. Alle diese Züge, die sich

überzeugend zu einer Einheit zusammenfügen, kennzeichnen

Antisthenes deutlich und unverkennbar als derbe und kräf-

tige Gestalt, als Mann mit Kanten und Ecken, der es sich

und anderen nicht leicht macht; kurz: als xatenos.

Wie steht es um die historische Treue des Bildes, das

Xenophon von Antisthenes gezeichnet hat? Im Stilistischen

und im Philosophischen, wo sich die Darstellung anhand der

Fragmente überprüfen läßt, hat sich im Vorhergehenden auf

Schritt und Tritt bestätigt, was Zambynski vermutete:

"Conspicuum ... est a Xenophonte, cum Antisthenem de quavis

re loquentem faciat, scripta eius diligenter r e s p i c i "6 3

,

und: "Verlsimillimum ... est Xenophontem in Convivio suo

Antisthenis scripta respexisse eiusque genus scribendi

imprimis in oratione, quam Antistheni in Convivio tribuerit, 64

affectasse." Dies recht erwogen, wird man kaum zweifeln,

daß Xenophon auch die biographisch-psychologischen Züge

seiner Antisthenesgestalt nicht frei erfunden, sondern eben-

falls nach literarischen Vorbildern entworfen hat, wenn

auch nicht auszuschließen ist, daß er hier und dort einmal

auf eigene persönliche Erinnerungen an des Antisthenes

63) A.a.O., S. 83.

64) A.a.O., S. 85.

- 89 -

Lebensform und Charakter zurückgegriffen h a t . Alles in

allem gilt: Die xenophontische Antisthenesdarstellung

ist in wesentlichen Stücken nicht authentisch-historisch,

sondern literarisch, geformt nach dem Bilde, das Antisthenes

selber in seinen eigenen Schriften von sich und womöglich

auch andere in den ihren von ihm gegeben haben m o c h t e n .

Es besteht im übrigen durchaus kein Grund für die A n n a h m e ,

daß diese literarischen Quellen der historischen Person

nicht gerecht geworden w ä r e n , und so darf man Xenophons

Darstellung, wenigstens in den hauptsächlichen Zügen,

durchaus als glaubwürdig ansehen.

Abschließend noch einmal zurück zum 'Symposion'.

Es ist deutlich, daß Antisthenes hier eine Außenseiterrolle

spielt. Er ist der einzige, der durch sein intransigentes

Benehmen mehrfach Anstoß erregt, aber auch der einzige,

d e r , wenigstens ansatzweise, den Versuch m a c h t , ein einmal

angeschlagenes philosophisches Problem bis zum Ende durch-

zusprechen, sehr im Gegensatz zu Sokrates, der des Anti-

sthenes unhöfliches Gebaren immer wieder weltmännisch-

geschickt in gesellschaftlich erträgliche Bahnen zu lenken

v e r s t e h t , indem er aufkommende gedankliche Meinungsver-

schiedenheiten um des sozialen Friedens willen unbedenklich

beiseite schiebt. So deutlich es Xenophons Absicht ist,

Sokrates als Urbanen Weltmann und überlegenen Menschenkenner

gegenüber dem rechthaberisch-pedantischen Antisthenes in

das rechte Licht zu setzen - ist das Sokratesbild hier

nicht auf den Kopf gestellt? Körte bemerkt: "... Xenophon

schildert hier den Antisthenes so, wie weite Kreise den

Sokrates in Erinnerung haben m o c h t e n , unaufhörlich inqui-

rierend und s c h u l m e i s t e r n d . "6 5

v . Fritz korrigiert diese

21) A . a . O . , S . 22.

- 90 -

Bemerkung sehr richtig: "Oberhaupt gibt es nirgends in der

antiken Literatur ein Bild des Sokrates, das dem xenophonti-

schen Antisthenes vergleichbar wäre - ausser vielleicht in

den Dialogen des Antisthenes, aber das ist ja wieder Anti-

sthenes selbst."6 6

Und doch ist nicht zu leugnen, daß der

xenophontische Antisthenes (und also wohl auch Antisthenes

selber) als der unbedingt Fragende, der gesellschaftliche

Rücksicht der Suche nach der Wahrheit hintansetzt, ungleich

mehr vom Geiste des historischen Sokrates bewahrt hat als

der xenophontische Sokrates, der in seiner weltmännischen

Konzilianz und unproblematischen Oberflächlichkeit nur all-

zu deutlich die Züge seines redlich bemühten, aber geistig

schlichten Erfinders trägt. Vielleicht, daß Xenophon das

Bild des Antisthenes deshalb überzeugender gestalten konnte

als das des Sokrates, weil er dort hatte, was ihm hier fehlte

literarische Quellen, die ein festumrissenes und eindeutiges

Bild der Persönlichkeit zeichneten.

66) A.a.O., S . 40 f.

- 91 -

IV. DAS LITERARISCH-PHILOSOPHISCHE WERK DES ANTISTHENES

1. Die antiken Zeugnisse über die Schriften

a . Umfang

Was den äußeren Umfang des literarischen Werkes betrifft,

so bezeichnet Timon von Phleius (frg. 2 C.) Antisthenes

wegen der Menge seiner Schriften sarkastisch als "alles-

produzierenden Schwätzer" ( navToq>uff cp\e&ova ) ? Hieronymus

(frg. 128B C.) spricht bewundernd von des Antisthenes

"unzähligen Büchern" (innumerabiles libri). Beide Urteile

faßt C . Chappuis, 'Antisthene', ebenso nüchtern wie tref-

fend zusammen: "Ses ouvrages etaient fort nombreux."1

So ist es in der Tat. Die antike Uberlieferung kennt

die Titel von mehr als sechzig verschiedenen Schriften,

und diese Schriften umfassen Ihrerseits nicht selten wie-

derum mehrere Bücher. Mag dabei auch (wie üblich) das eine

oder andere unechte Werk unterlaufen, so bleibt doch die

bemerkenswerte und nicht hinreichend gewürdigte Tatsache

festzuhalten, daß Antisthenes, wenn man die Zahl der Schrif-

ten zugrundelegt, mehr geschrieben hat, als alle anderen

Sokratiker, Platon nicht ausgenommen. Mehr noch: Er war

überhaupt einer der produktivsten philosophischen Schrift-

steller seiner Zeit und wird an literarischer Fruchtbarkeit

nicht einmal von Demokrit übertroffen. Wann immer Antisthenes

zu schreiben begonnen hat, sei es noch zu Sokrates' Leb-

zeiten oder erst später, in jedem Falle muß man voraussetzen,

1) Paris 1854, S . 28.

- 92 -

daß er, um ein literarisches Werk von solch enormem

Umfang zu schaffen, über Jahrzehnte hin bis zu seinem

Tode in den sechziger oder fünfziger Jahren ununterbrochen

schriftstellerisch tätig gewesen ist.

b . Inhalt

Das Wort Timons (frg. 2 C.) vom "allesproduzierenden

Schwätzer" besagt nicht nur, daß Antisthenes sehr viel

geschrieben h a t , sondern auch, daß seine Schriften von

vielfältiger und weitläufiger Thematik gewesen sind.

Pseudo-Eudokia, s.v. 'AVT ICJ-SEVRI<; p . 96 Flach, (fehlt

bei C.) paraphrasiert ganz richtig: Antisthenes habe "über

unterschiedliche Themen" ( nepl &iaq>opu)v ÜTIO-9EO£Q)V ) geschrieben.

Auch dieses Urteil bestätigt die Überlieferung, na-

mentlich die überlieferten Schriftentitel, die sowohl

rhetorische, wie ethisch-politische, dialektisch-ontolo-

gische und poetologische Themen erkennen lassen. Chappuis: 2

"Antisthene avait ecrit sur les sujets les plus varies."

über Inhalt und Thematik der antisthenischen Schriften

geben zwei Zeugnisse genauere Auskunft, die eine eingehen-

dere Betrachtung erfordern.

Diogenes Laertius 6.14 Hieronymus, adv. Iovin. (frg. 3 C.): 2.14.344 (frg. 128 B C.):

TOÜTOV (sc. Antisthenem)ßO-vov £« rcavtuv EunpaTIKWV 0EO-notinoi; (FGrH 115 F 295)

( .

enaivEi XAI cpriai &EIVOV T ' EI - ... paupertatisque eius (sc. vai Hai 61' i^iXiac ^HEAOÜC Antisthenis) et laboris ÜNAYAYEO-&AI NAVS' ÖVTIVOOV. SRIXOV 6' EH TEV AUYYPANNATCJV et Xenophon testis est in HÖH TOO SEVOCPÜVTOC EUNNOAIOU. Symposio et innumerabiles

libri eius ...

2) A . a . O .

- 93 -

Vergleicht man diese beiden Zeugnisse, deren enge Zusammen-

gehörigkeit bisher merkwürdigerweise unbeachtet geblieben

ist, so fällt in die Augen, daß hier aufgrund derselben

Quellen zwei ganz verschiedene Aussagen gemacht werden:

Hieronymus, der hier übrigens Satyros ausschreiben dürfte,

den er wenig später zitiert, beruft sich auf die antisthe-

nischen Schriften und auf das xenophontische 'Symposion',

um zu beweisen, daß Antisthenes sich Bedürfnislosigkeit

und Anstrengung besonders habe angelegen sein lassen; Dio-

genes stützt sich auf ebendieselben Zeugnisse, um die Rich-

tigkeit von Theopomps Urteil über des Antisthenes vortreff-

liche psychagogische Fähigkeiten zu belegen. Es ist nicht

wahrscheinlich, daß diese beiden Nachrichten unabhängig

voneinander entstanden sind. Gab es eine gemeinsame Quelle,

so müßte dort das Theopompzitat ausführlich vorgeführt

worden sein, so daß es für des Antisthenes psychagogisches

Talent, von dem Diogenes spricht, wie auch für seine ethi-

schen Vorzüge, die Hieronymus nennt, gleichermaßen als Be-

leg gelten konnte. Es ist aber auch möglich, wenn nicht

gar wahrscheinlich, daß Diogenes, der in genanntem Zusammen-

hang überhaupt sehr flüchtig kompiliert, dieselbe Quelle

exzerpierte, die auch Hieronymus ausschreibt, hernach aber,

wie er öfter zu tun pflegt, den Zettel falsch einordnete,

so daß nun das Theopompzitat irrtümlich durch zwei weitere

Zitate bestätigt zu werden scheint, die für einen ganz

anderen Zusammenhang gedacht waren. So muß zum mindesten

offen bleiben, ob sich aus den antisthenischen Schriften

tatsächlich herauslesen ließ, daß Antisthenes der ge-

schickte Menschenführer und Psychologe gewesen ist, als

den ihn Sokrates bei Xenophon im 'Symposion' 4.62-64 rühmt.

In jedem Falle aber ist sicher, daß Antisthenes vielfach

von Bedürfnislosigkeit (paupertas) und Anstrengung (labor)

geschrieben hat, wovon er ja auch in seiner großen Rede

- 94 -

im 'Symposion' 4.34-45 ausführlich spricht. Wie denn

das Ethische in den antisthenischen Schriften, bei aller

Mannigfaltigkeit der inhaltlichen Thematik, überhaupt ganz

unverkennbar im Vordergrund steht. F . Deycks, 'De Anti-

sthenis Socratici vita et doctrina': " ... longe maxima

pars doctrinam de vita moribusque spectat."3

c . Form

Hieronymus (frg. 128B C.) berichtet, Antisthenes habe

seine Schriften "teils in philosophischer, teils in

rhetorischer Weise" (alios philosophico, alios rhetorico

genere) abgefaßt. Dieses Urteil, das ebenfalls auf Satyros

zurückgehen dürfte, verdient volles Vertrauen, da mehrfach

ausdrücklich bezeugt ist, daß Antisthenes in philosophi-

scher und rhetorischer Form geschrieben hat, während jeder

Hinweis fehlt, daß er sich außerdem auch in anderen Lite-

raturgattungen versucht hätte.

Was die literarische Form der philosophischen Schrif-

ten betrifft, so bezeugt Diogenes Laertius (frg. 7 C.),

daß Antisthenes Dialoge geschrieben hat. In der Tat lehrt

die Uberlieferung ausdrücklich, daß die Schriften ' AXnöeia

(frg. 7 C.), IloX it ihoc, (frg. 43 C.), npoxpETtT mo<; (frg.

7 C.) und ZaSwv (frg. 36, 37 C.) in dialogischer Form

konzipiert gewesen sind, und der Kontext bei Herodikos

(frg. 29A, 34, 42) und Persaios (frg. 5 C.) läßt kaum einen

Zweifel, daß auch die Schriften 'AXmßia&TK, 'ApxeXacx;,

'Aonaaia, 'KpauX.f|t; b ixäaauv und KOpoc; ninpoi; Dialoge ge-

wesen sind.

3) Koblenz 1841, S . 13.

- 95 -

Spricht die Uberlieferung in allen diesen Fällen

lediglich von Dialogen, so bezeugt Panaitios (frg. 5 C.)

ausdrücklich, daß Antisthenes sokratische Dialoge ge-

schrieben hat. Es ist festzuhalten, daß sich die eine

Aussage mit der anderen nicht decken muß. Es läßt sich

nicht ausschließen, daß es bei Antisthenes auch nicht-

sokratische Dialoge gegeben hat, in der Form etwa dem

'Troikos' des Hippias oder den platonischen 'Gesetzen'

vergleichbar. Die Wahrscheinlichkeit - allerdings nur

diese - spricht jedoch dafür, daß, wenn vielleicht auch

nicht in allen, so doch in der überwiegenden Mehrzahl der

antisthenischen Dialoge, Sokrates als Gesprächsführer oder

doch wenigstens als Gesprächsteilnehmer aufgetreten ist.

So wird auch am ehesten verständlich, wie Herodikos

(frg. 34 C.), nachdem er Piatons allzu panegyrische So-

kratesverherrlichung getadelt hat, von Antisthenes sagen

konnte: "Auch dieser Kyniker ist dem Sokrates vielfach

gefällig."

Die Zeugnisse über Schriften in rhetorischer Form sind

spärlich. Die beiden erhaltenen Deklamationen Aiat; und

'06UOGEU<; (frg. 14, 15 C.) sowie der Titel 'Opeaxou äno-

Aoyia (frg. 1 C.) zeigen, daß sich Antisthenes auch in

der Rede, genauer: in der Gerichtsrede mythischen Charak-

ters, versucht hat. Hermipp (frg. 127 C.) will darüber-

hinaus wissen, Antisthenes habe die Absicht gehabt, an den

Isthmien eine Lob- und Tadelrede auf Athener, Thebaner und

Spartaner zu halten, sei jedoch davon abgekommen, als sich

eine größere Anzahl von Zuhörern aus diesen Städten ein-

gefunden habe. Der Sinn dieser Geschichte ist jedoch ebenso

dunkel wie ihre Glaubwürdigkeit gering (vgl.S. 252 ff. ),

so daß es mehr als zweifelhaft ist, ob es diese panegyrisch-

panhellenische Epideixis, die Antisthenes ja auch gar nicht

vorgetragen haben soll, tatsächlich gegeben hat.

- 96 -

Es stellt sich die Frage, ob Antisthenes, außer Dialog

und Rede, andere Formen philosophischer oder rhetorischer

Mitteilung gekannt h a t . Hierzu liegt ein wichtiges Zeugnis

v o r , das genauere Betrachtung verlangt.

cd ' . . Theopompus a p . A t h e n . 1 1 p . 508 : Oeono^ttoc, o Xfoc; EV TU) Kaxa T-NC; IIXaTuvos 6iaTpißff(; iTfirfi 115 F 259 ) TOU«; noXXout;, (YNAC, TWV fuaXoyuv auxoC ( sc. Piatonis ) äxpeioui; "A! IJEU 5EF(; av Ttt; eupoi- aXXoTpiouc; BE xoüc; nXeioui;, OVTCK; EH TWV 'AoIOTirnou ( f r q . 122 Mannebach ) 6iaTpißuv, EVI'O U<; HÖH TCV ' AVT toöEvou<; ( frg. 4 C) , r.oWovc bi HÖH TWV Bpua:ovo<; TOU Up HXEC'TOU (frg. 2o7 Dörina).

Die Haltlosigkeit des Plagiatvorwurfs, über die hier kein

Wort zu verlieren ist, darf nicht darüberhinwegtäuschen,

daß Theopomp ausdrücklich bezeugt, Antisthenes, Aristipp

und Bryson hätten Diatriben verfaßt. Man pflegt dieser

Nachricht gemeinhin nur geringe Bedeutung beizumessen, weil

man voraussetzt, der Ausdruck 6ictTpi.ß-n stehe hier synonym

für &iaXoYo<; oder ouyypanna oer sehr präzise originale

Wortlaut ist einer solchen Auffassung jedoch nicht günstig,

sondern legt vielmehr die Vermutung nahe, daß Diatribe und

Dialog in diesem Zusammenhang zwei genau bestimmte und von-

einander verschiedene Formen literarischer Aussage reprä-

sentieren. Diese Vermutung gewinnt noch an Gewißheit, wenn

man Aristipp ins Auge faßt, wo sich die Uberlieferung kon-

trollieren läßt: Sotion und Panaitios verzeichnen unter

den Schriften Aristipps sechs Diatriben, und andere waren

sogar der Ansicht, Aristipp habe überhaupt nur sechs Dia-

triben verfaßt (frg. 121 Mannebach). Es dürfte hiernach

kaum zweifelhaft sein, daß die literarische Form der Dia-

tribe, die in der Regel als Erfindung der hellenistischen

Zeit gilt, bereits im Kreise der Sokratiker gepflegt, wenn

nicht gar geschaffen worden ist, wenigstens ansatzweise.

Da sich die Diatribe später vor allem bei Kynlkern und

Stoikern großer Beliebtheit erfreut h a t , so ist wenigstens

die Frage zu stellen, ob es nicht in der Hauptsache

- 97 -

Antisthenes gewesen ist, der diese populäre Form des

Philosophierens in besonderem Maße genutzt hat, um in

lebhafter Rede und eingängiger Argumentation die Richtig-

keit seiner rigorosen ethischen Grundsätze lehrhaft-

predigend vorzuführen. In jedem Falle muß als bezeugte

Tatsache festgehalten werden, daß Antisthenes ethische

Themen auch in der Form diatribenähnlicher Abhandlungen

behandelt hat, auch wenn die Uberlieferung ein Einzelwerk

solchen Charakters nirgends ausdrücklich namhaft macht.

Beachtung verdient in diesem Zusammenhang schließlich

auch, daß Julian (frg. 8 C.) bezeugt, Antisthenes habe, wie

Platon und Xenophon, "bei Behandlung ethischer Stoffe"

( ixpa"f naTEuojie vo i<; Tiöivcae; Tivoli; ünoöeoe i O " v i e l f a c h " ( no*Aax°ö)

und "nicht beiläufig, sondern mit einer gewissen künstle-

rischen Sorgfalt" ( ou napeprw«;, neta TIVOQ ia<; )

mythische Erzählungen in die Darstellungen "hineingefloch-

ten" ( EYHATANEIIE IKTOH ). Aus diesem Zeugnis läßt sich

schließen, daß der Mythos bei Antisthenes als literarisch-

philosophische Klein- und Sonderform innerhalb des grös-

seren Ganzen einer ethisch-dialogischen Darstellung eine

nicht unbedeutende Rolle gespielt hat. Daß Antisthenes

hier gegenüber Platon und Xenophon durchaus eigene Wege

gegangen ist, lehrt die folgende Bemerkung vom "antisthe-

nischen Charakter" ( ' AVT ICJSEVE IOQ TUHOC ) des Heraklesmythos,

mag hierbei auch unklar bleiben welche formale oder in-

haltliche Eigentümlichkeit antisthenischer Mythenbildung

diese Wendung zum Ausdruck bringen will.

Abschließend sei noch erwähnt, daß Phrynichos (frg.

10 C.) von "Schriften" ( Xoyoi ) des Antisthenes über Kyros

und die 'Odyssee' spricht. Der Ausdruck Xoyoc, ist jedoch

zu allgemein, als daß er irgendwelche Rückschlüsse auf

die Struktur der genannten beiden Prosawerke erlaubte.

- 98 -

Man wüßte gerne, welche Bedeutung den einzelnen lite-

rarischen Formen innerhalb des antisthenischen Gesamtwerks

jeweils zukam. Die Meinungen gehen hier weit auseinander.

A . Mueller, 'De Antisthenis Cynici vita et scriptis', be-

merkt über die Schriften: "Probabile est autem Antisthenem 4

in plurimis eorum ... dialogi genere usum esse ..." Ganz

anders urteilt U.v. Wilamowitz-Moellendorff, 'Platon':

"Antisthenes hat die Rede und die Abhandluna bevorzuot."5

Die bruchstückhafte Überlieferung erlaubt kein endgültiges

Urteil in der einen oder anderen Richtung, und so muß man

sich bei der allgemeinen Feststellung beruhigen, daß Anti-

sthenes, anders als etwa Platon, außer dem Dialog auch

nichtdialogische literarische Formen wie Rede und Diatribe

gepflegt hat, hierin am ehesten Xenophon und Aristipp

vergleichbar.

d . Stil

Longin (frg. 11 C.) berichtet, Platon, Xenophon, Aischines

und Antisthenes hätten die stilistische Ausgestaltung

ihrer Schriften "mit außerordentlicher Mühe und großer

Genauigkeit" (nepiTxSt; bianenovrixai Hai InavSc r|Hpißuxai )

vorgenommen. Daß Antisthenes hierbei Eigenständigkeit und

Originalität an den Tag legte, lehrt Epiktet 2.17.35

(p. 89 C.), der zwischen literatur- und philosophiebeflis-

senen Jünglingen folgenden Dialog fingiert: "'Wunderbar,

Freund, schreibst du.' - 'Und du großartig im Stile (sc;

TOV XAP<*HTF!PA ) Xenophons.' - 'Und du in dem Piatons.' -

'Und du in dem des Antisthenes.'" Ganz ähnlich fragt auch

4) Diss. Marburg 1860, S . 29.

5) 2. Bd., 3. Aufl., Berlin 1962, S. 26.

- 99 -

F r o n t o , De eloquentia p . 165 Mai (p. 89 C.): "Ziehst du

des Diodoros und des Alexinos Worte den Worten Piatons,

Xenophons und des Antisthenes vor?"

Wie sah dieser spezifisch antisthenische Stil aus?

Lukian, P i s c . 23 (p. 89 C . ) , reiht Antisthenes, zusammen

mit Diogenes und Chrysipp, unter die "kräftigeren Leute"

(a<po6poTEpoi ) ein, die sich nicht so sehr einer schönen

und eindrucksvollen, sondern vielmehr einer "überführenden

und gerichtsrednerischen Redeweise" ( ekeyni i,vtffc; Mal SiMa-

VIKT)<; N A P A O H E U T K ) bedienen. Cicero (frg. 13 C.) drückt das-

selbe anders aus, wenn er Antisthenes "eher scharfsinnig

als gebildet" (acutus magis quam eruditus) nennt. Diogenes

Laertius (frg. 7 C.) bezeugt ferner, Antisthenes habe in

seinen Dialogen, namentlich in den Werken 'A\-nöeia und

npotpenxVMOC; , "rhetorisches Gepräge" ( prixoptMov el&oc )

in der Manier des Gorgias aufgetragen. Demnach darf die

Verbindung von rhetorisch-gorgianisch aufgehöhter Redeweise

und umgangssprachlich-derbkräftiger Gedankenführung, die

in parodischer Form auch im xenophontischen 'Symposion'

begegnet und in den Deklamationen Alac; und 'O&uoaeu«;

(frg. 14, 15 C.) wiederbegegnen w i r d , als ein typisches

Kennzeichen antisthenischen Stils angesehen w e r d e n .

Es bleiben einige weniger bedeutsame Zeugnisse zu er-

w ä h n e n . Dionys von Halikarnaß (frg. 9 C.) m e l d e t , daß

Antisthenes anders geschrieben habe als Thukydides. Phryni-

chos (frg. 10 C.) nennt Antisthenes, von dem er allerdings

lediglich die beiden Schriften Itepl Kupou und riepl 'ü&uocrei

gelten läßt, unter den mustergültigen Vorbildern für reinen

attischen Stil. Hierzu p a ß t , daß Tzetzes, Exeg. in Iliadem

p . 115 Herrn, (fehlt bei C . ) , überliefert, Antisthenes habe

bei den Substantiven auf - eu<; im Nominativ und Akkusativ

des Plurals die altattischen Formen auf - fk verwendet. Der

Vollständigkeit halber sei schließlich erwähnt, daß Ari-

- 100 -

stoteles (frg. 157 C.) aus Antisthenes ein Beispiel für

eine gelungene Metapher anführt: Kephisodotos, der Dünne,

gleiche dem Weihrauch, "weil er dahinschwindend erfreue"

(ott anoAAÜiievoc; eücppaivei ). Ps.-Demetr ios (frg. 12 C.)

zitiert aus Antisthenes als Beispiel für die Wichtigkeit

der Schlußstellung eines Wortes folgenden Satz: "In der

Regel dürfte ein Mensch nämlich Schmerz empfinden, wenn

er sich von einem Reisighaufen erhebt." ( OXE&OV yap ö&uvn-

aeiev av övöpunoq E« (ppuyavuv ävaaxäc ) . Zutreffend faßt

die Äußerungen der antiken Stilkritik zusammen A.G. Winckel-

mann, 'Antisthenis Fragmenta': "Antisthenis libri vehementer

veteribus placuerunt."6

Abschließend ein Hinweis. E.G. Schmidt, 'Die drei Arten

des Philosophierens. Zur Geschichte einer antiken Stil-

und Methodenentscheidung'7

, hat nachgewiesen, daß bei

Ps.-Demetrios. De eloc. 296 ff., sowie bei Epiktet, Diss.

3.21.18 f. und 3.23.33 ff., in verschiedener Brechung,

Spuren einer stilistischen Theorie vorliegen, in der als

Grundarten philosophischer Aussage eine "belehrende"

( bi&acmaAvxot; ), eine "überführende" ( E XSYHT VXOC, ) und

eine "antreibende" (npoxpEnx ixo«; ) Ausdrucksweise unter-

schieden werden. In diesem Zusammenhang hat A . Carlini,

'Osservazioni sui tre EI&TI TOÜ \oyou in Ps.-Demetrio, De Q

eloc. 296 sg.' , darauf aufmerksam gemacht, daß für die

protreptische Form der Aussage bei Ps.-Dem. 297 unter dem

Stichwort "ratend" (ünoöETixü^ ) xenophon als Beispiel

angeführt wird, während bei Epiktet 3.21.19 unter dem

Stichwort "scheltend" (ETUTIATIKT IHS<; ) Diogenes erscheint;

6) Zürich 1842, S . 11 .

7) Philologus 106 (1962) S . 14-27. V g l . früher bereits A . Bonhöffer, Epictet und die Stoa. Untersuchungen zur stoischen Philosophie, Stuttgart 1890, S . 8, Anm. 1.

8) Rivista di Filologia e di Istruzione Classica 96 (1968) S. 38-46.

- 101 -

ferner: der Beispielsatz über die rechte Erziehung der

Kinder, an dem Ps.-Demetrios demonstriert, wie Aristipp,

Xenophon und Sokrates (resp. Platon und Aischines) die

drei genera philosophandi jeweils ausgedrückt h a b e n , kehrt

unter dem Stichwort "tadelnd" ( ETIIXIIICV ) im pseudoplato-

nischen 'Kleitophon' p . 407*3

in einer vierten Fassung

w i e d e r , die mit gutem Grund als zitathafte Parodie aus

Antisthenes g i l t . Die Konsequenz: "... figurava origina-

riamente ... un el&oc; npoxpEnxIHOV , articolato in due

elementi, 1' uno rappresentato da Senofonte e chiamato

el&oc IIIXOÖET IHOV , 1' altro rappresentato da Antistene e , , 9

distinto con 1' attributo d i EninXtixx IKOV ..." Diese

Beweisführung erscheint überzeugend, aber auch wer ihr

nicht zu folgen vermag, wird zugeben m ü s s e n , daß Antisthenes,

als einer der "kräftigeren Leute", sich in seinen Schriften,

w o er "antreibend" wirken w o l l t e , wie etwa im namentlich

so genannten npoxpenxLKO<; (frg. 1 C . ) , eher "scheltend"

denn "mahnend" hat vernehmen lassen.

e . Echtheitskritik

Die drei antiken Zeugnisse, an denen in antisthenischen

Schriften Echtheitskritik geübt w i r d , sind allesamt um-

stritten und bedürfen einer genaueren Prüfung.

Panaetius a p . D i o g . L a e r t . 2.64: navxwv HEVXOI TÜV ZU-HpoxiHcöv &ia\oYuv ;]avaixi.oc (frg. 126 van Straaten) i-A-NÖEII; Eivai, 6OKE1T TOU<; nAaxuvcx;, SEvoipüvxot;, ' Avx ta-ÖEvoui; (frg.5 C . ), AlaxCvou ( t e s t . 1 Dittmar), SLOTOCEI &e TtEpi x<3v $ai6uvoT KAI EÜMXEI.6OU (frg. 18 Döring ), xou<; &E ä\Xou<; ävaipsi navxac;.

Problematisch ist hier, wie man den Ausdruck akriSeTc, auf-

zufassen h a t . H . v . A r n i m , 'Leben und Werke des Dio von

21) A . a . O . , S . 22.

- 102 -

Prusa', bemerkt hierzu: "Meines Erachtens hat Panaitios

nicht von der Ächtheit, sondern von der Wahrheit des In-

halts dieser Dialoge gesprochen, von ihrer Brauchbarkeit

für die Kenntnis des S o k r a t e s . "1 0

Diese Auffassung wird

heute zu Recht allgemein abgelehnt. In der Tat lassen die

literarkritischen Fachtermini &ioTa££tv und vor allem

dvaipetv wie auch des Panaitios anderweitig bekannten

Urteile über die Echtheit literarischer Werke kaum einen

Zweifel, daß die umstrittene Wendung allein im Sinne der

schriftstellerischen Authentizität verstanden werden kann.

Es ist im übrigen nicht bekannt, worauf Panaitios sein

Urteil gründete, und so muß man sich m i t der bloßen Fest-

stellung begnügen, daß er an den sokratischen Dialogen des

Antisthenes nichts auszusetzen fand. Allzuviel Gewicht wird

man diesem an und für sich günstigen Urteil allerdings nicht

beimessen, wenn man bedenkt, daß Panaitios die Schriften

des Stoikers Ariston wider den klaren Augenschein dem gleich-

neunigen Peripatetiker zuschrieb (frg. 124 van Straaten) und

aus dogmatischen Gründen sogar die Echtheit des platoni-

schen 'Phaidon' in Zweifel zog (frg. 127/129 van Straaten).

Diogenes Laertius 2.61:Mal xCv tnxa (sc. dialogorum Aeschineorum) 6E TOLK; TIAEIOTCU<; IlEpaaTOQ (SVF I 457) <pr]AI NAAICPWVTOQ EIVOU "COU 'EpExpiwoCJ, EIQ TOU<; Aiaxivou ( test. 1 Dittmar)&E NATA-RA^AI- äXXa KAI TCV 'AVTIOSEVOUC (frc;. 6 C . ) TOV TE iHpov Küpov Kai TOV "HpaKXsa TOV fAaaaoi Kai AXKIEI-abriv Kai TOI; TBV äXXuv + &EEOMEUUPR)Tai + .

Jede Interpretation dieser schwerverständlichen Stelle muß

10) Leipzig 1898, S . 31; gebilligt von Wilamowitz, a.a.O., S . 27, und K . J o e l , Geschichte der antiken Philosophie, Tübingen 1921, S . 932, A n m . 1. - E . Zeller, Die Philo-sophie der Griechen, 2. Bd., 5. A u f l . , Leipzig 1922, S . 344, A n m . 1, läßt die Frage unentschieden.

- 103 -

davon ausgehen, daß der überlieferte Text, wie ihn die

Ausgaben bieten, korrupt ist. Es ist wider alle Regeln

der Syntax, daß die Verbindungspartikel b£ vor einem

Verbura am Ende eines längeren Satzes zu stehen kommt,

zumal dieser Satz noch dazu durch die Wendung &AAoc xai

eingeleitet w i r d . F . Susemihl, "Der Idealstaat des Anti-

sthenes und die Dialoge Archelaos, Kyros und H e r a k l e s '1 1

,

hat diese Korruptel schlagend verbessert, indem er erkann-

te, daß sich hinter dem syntaktisch sinnlosen Wort b£ das

Verbalpräfix &i(ot) verbirgt. Der Schreiber kannte offen-

bar das geläufige Simplex aKeuupeiv , nicht aber das sel-

tene Kompositum 6laaKEuupetv ; so behielt er die beiden

Buchstaben 5e übrig, die e r , wollte er ihnen einen Sinn

abgewinnen, unschwer als änderungsbedürftige VerSchreibung

der häufig vorkommenden Partikel b£ mißverstehen konnte.

Folgt man Susemihls überzeugender Emendation, von der

die Ausgaben zu Unrecht keine Notiz genommen h a b e n , so

erscheint die Verbalform 5i£aKeuwpr|Tai als Prädikat des durch

ä\\a neu eingeleiteten Satzes. Sogleich stellt sich die

Frage, wen man sich als Subjekt dieses Prädikates vorzu-

stellen hat. Das Verbum btaaKeuwpeiv bzw. öiaaxeuwpErcjöai

bedeutet in literarkritischem Zusammenhang, in dem es auch

im 3 . platonischen Brief p . 3 1 6a

gebraucht w i r d , soviel

wie: "zum Schaden anderer etwas zurechtmachen", "unerlaubte

Eingriffe vornehmen", "fingieren", "plagiieren".Hieraus

folgt, daß Deycks irrt, wenn er sagt: "Quin etiam Antisthenis

Cyrum parvum, Herculem minorem et Alcibiadem slbi arrogarat

11) Jahrbücher für classische Philologie 33 (1887) S . 209; v g l . ders., Geschichte der griechischen Litteratur in der Alexandrinerzeit, 1. Bd., Leipzig 1891, S . 21.

- 104 -

1 2 Aeschines ..." Nicht von Aischines, sondern allein von

Pasiphon, dem Persaios im vorhergehenden Satze die Fäl-

schung aischineischer Dialoge vorqeworfen hatte, ließ sich

behaupten, er habe "auch" (äXXa wai ) antisthenische

Schriften gefälscht. Wie denn Diogenes anders auch schwer-

lich mit den Worten o i b' ouv t ov AICXLVOU t o luvtpat IKOV II-Sor, ano^euaYiievoi ejaiv eitta ... hätte fortfahren können.

Richtig Chappuis: "Pasiphon d' Erfetrie ... publia sous le

nom d' Antistene le Petit Cyrus, le Petit Hercule et 1'

Alcibiade."1 3

Die Lösung dieser Frage wirft sogleich neue Probleme

auf. Der Wechsel des Subjekts zwischen Persaios und Pasiphon

in den beiden durch äkka HOII verbundenen Sätzen wirkt

überaus abrupt, und dies umso mehr,als auch die beiden zu-

gehörigen Prädikate 'fnot und f>ieaKeuwpr|tai ohne ersicht-

lichen Grund die Tempora wechseln. Mehr noch: Der Wechsel

der Subjekte zwingt, strenggenommen, zu der Annahme, daß

die Nachricht von den Antisthenesplagiaten des Pasiphon

nicht auf Persaios, sondern auf eine unbekannte zweite

Quelle zurückgeht, die Diogenes in Form eines Nachtrags an

den Bericht des Persaios über die Aischinesplagiate des

Pasiphon angehängt hat. Alle diese Anstöße lassen es zum

12) A.a.O., S . 27. Ebenso urteilen u.a. Winckelmann, a.a.O., S. 11; G . Roeper, Emendationen zu Diogenes Laertius, Philologus 3 (1848) S. 61 f.; Mueller, a.a.O., S . 29; F.G. Mullach, Fragmenta Philosophorum Graecorum, 2.Bd., Paris 1867, S . 268; neuerdings leider wieder F . Decleva Caizzi, Antisthenis Fragmenta, Mailand 1966, S. 88: "... Eschine avrebbe saccheggiato opere di Antistene e di altri."

13) A.a.O., S . 27. - So richtig u.a. auch K.F. Hermann, De Aeschinis Socratici reliquiis, Progr. Göttingen 1850, S. 8, Anm. 19; Susemihl, Der Idealstaat etc., a.a.O., S. 208 f.; F . Blass, Die attische Beredsamkeit, 2. Bd., 2. Aufl., Leipzig 1892, S. 337, A n m . 1; H . Krauss, Aeschinis Socratici reliquiae, Leipzig 1911, S . 3.

- 105 -

mindesten zweifelhaft erscheinen, ob es mit der Lesart

&ieaMEuupriTat seine Richtigkeit hat. Susemihl hat bei-

läufig erwogen, statt des Verbum finitum den Infinitiv

6laoKeuup'rfaSai in den Text zu setzen. In der Tat läßt

sich durch diese leichte Korrektur der Oberlieferung mit

einem Schlag ein befriedigendes Verständnis des Textes

erreichen. Persaios erscheint nun, wie natürlich, als Ge-

währsmann sowohl für die Nachricht von den Aischines- wie

von den Antisthenesplagiaten, weil der Infinitiv 6IEOHEU-upffoöai wie Mataxa^ai von cprioi als Hauptverb abhängt.

Fraglich ist jetzt allenfalls, ob man das Verbum JHEOHEU-upf[aSai passivisch oder medial auffassen soll. Da die

ganze Stelle sichtlich darauf abzielt, Pasiphon als Fäl-

scher sokratischer Schriften hinzustellen, wird man nicht

zögern, den Infinitiv medial zu verstehen und wie zu

Hocta-ca^ai so auch zu & i£OK£uupffa-8ou Pasiphon als Subjekts-

akkusativ zu ergänzen, zumal der Wortgebrauch des Simplex

oKEuupEiodai , den wir lexikalisch kontrollieren können,

durchaus den medialen Infinitiv des Perfekts kennt (vgl.

etwa Dem. or. 32. 9 u . 11). So ergibt sich, daß Persaios

behauptete, Pasiphon von Eretria habe Dialoge des Aischines

d e n Kupoc jiLKpöc; ,'KpoMXfiQ eXacnuv u n d ' AAniß ia&ric; d e s A n t i

sthenes und andere sokratische Schriften gefälscht.

Wir wissen nicht, was Persaios bewogen hat, Pasiphon

der Fälschung so zahlreicher sokratischer Schriften zu

beschuldigen. A . Dyroff, 'Die Ethik der Alten S t o a '1 4

, hat

vermutet, Pasiphon sei, als 'Epetp moc , Schüler des Menedem

14) Berliner Studien für classische Philologie und Archaeo-logie, N.F. 2, Berlin 1897, S . 350. - Die spärlichen Zeugnisse über Pasiphon bespricht K.v. Fritz, Pasiphon N r . 2, in: Pauly-Wissowas RE 18 (1949) Sp. 2084. über Persaios vgl. K . Deichgräber, Persaios N r . 1, ebenda 19 (1937) Sp. 926-931.

- 106 -

gewesen, mit dem Persaios wegen der Restitution der

Demokratie in Eretria schwere politische Differenzen

hatte; möglicherweise habe Persaios, um den Lehrer zu

treffen, den Schüler als Dieb am literarischen Nachlass

der Sokratesschüler hingestellt. Richtig ist an dieser

ansprechenden, wenn auch nicht beweisbaren Vermutung

jedenfalls soviel, daß Persaios für seine Behauptungen

eher persönlich-polemische als historisch-kritische

Gründe gehabt h a t . Der Vorwurf des Plagiats gehört ja

zu den beliebtesten Mitteln der Verleumdung im Philosophen-

und Literatengezänk der hellenistischen Zeit. Wie denn

auch Theopomp (frg. 4 C.) verleumderischerweise behauptet

h a t , Platon habe einige seiner Dialoge aus Schriften des

Antisthenes abgeschrieben.

Phrynichus a p . Phot. bibl. p . 101 b 9: e i Ainp ivoüc 5E na! M a d a p o ü H a i 'ATTIHOÜ xavo vac, H a i axa§|iac; na £ rtapa&E iTJia qrpaiv

apiaTOv nXaxwva XE Hai ATIHOC$EVT|V ... nai ' Avx ICJÖEVTIV ( f r g . 1c G.) |iExa x<3v yVT|CTi(*)v aüxoü &uo Xo-fuv xoü ^del. TTatorp, for-t a s s s r e c t e ) nspi Kupou nai xoü nep i O&uaoEiai;.

Diese Stelle wird gemeinhin so verstanden, als habe Phryni-

chos, abgesehen von jenen beiden Schriften, die er allein

als Musterbeispiele reinattischen Stils anerkannte, alle

Werke des Antisthenes als unecht verworfen. Hierzu bemerkt

Mueller: "Quae verba cave ita Interpreteris, ut Phrynichum

illos tantummodo duo libros germanos, reliquos ab Anti-

sthene allenos iudicasse. nam nihil aliud ex Iis colligen-

dum esse videtur, nlsi grammatlcus alios quosdam habuisse

s u b d i t o s . "1 5

In der Tat: So naheliegend es ist, daß Phryni-

chos, als einer der strengsten attizistischen Puristen der

Zweiten Sophistik, aus dem umfangreichen Gesamtwerk des

Antisthenes lediglich zwei Werke als Musterbeispiele des

15) A . a . O . , S . 28. V g l . auch Chappuis, a.a.O., S . 27 f. Unentschieden äußert sich Caizzi, a.a.O., S . 8 8 .

- 107 -

allerbesten attischen Stils auswählte, so wenig glaublich

erscheint es, daß er dieses ohnehin strenge Stilurteil auch

als Echtheitsurteil verstanden wissen wollte, das nahezu

allen Schriften des Antisthenes die Authentizität genommen

hätte. Ist diese Überlegung richtig, so macht die echtheits-

kritische Bemerkung Schwierigkeiten. Wenn Phrynichos aus

der Schriftenmasse des Antisthenes unter dem Gesichtspunkt

reinen attischen Stils eine so strenge Auswahl traf, so

verstand sich von selbst und bedurfte keiner Erwähnung,

daß er nur solche Schriften auswählen würde, deren Authen-

tizität außer allem Zweifel stand. So bleibt zum mindesten

zu erwägen, ob P . Natorp, 'Antisthenes'1 6

, nicht recht hat,

wenn er vorschlägt, vor dem Titel ^epi Kupou den Artikel

•toO zu delieren. In diesem Falle bezöge sich die echt-

heitskritische Bemerkung lediglich auf die beiden Kyros-

schriften (frg. 1, 29A C.), und daß hier eine echtheits-

kritische Stellungnahme nötig war, lehrt Persaios (frg.

6 C.), der die Authentizität des Küpoc; nmp6<; bestritt.

2. Der Katalog

a . Der Text

Schriftenkataloge, zumal so umfangreiche wie der anti-

sthenische, sind in der Überlieferung besonders leicht

Mißverständnissen und Verderbnissen ausgesetzt, weil hier

mechanisch Titel an Titel gereiht wird, wobei auch noch

Eigennamen, Zahlzeichen und Partikeln in Fülle vorkommen,

16) In: Pauly-Wissowas RE 1 (1894) Sp. 2541.

- 108 -

ohne daß das Ganze einen in sich verständlichen eindeutigen

Sinnzusammenhang ergibt.

So leicht sich in einen solchen Text Fehler einschlei-

chen, so erheblich sind dann die Folgen: Ein verschriebener

Eigenname - und ein Titel leitet in die Irre; ein verschrie-

benes Zahlzeichen - und ein umfangreiches Werk erscheint als

kurzes Buch oder ein kurzes Buch als umfangreiches Werk;

eine Alternativpartikel weggelassen - und aus einem Titel

werden zwei, so wie aus zwei verschiedenen Titeln ein ein-

ziger wird, wenn dieselbe Partikel an die falsche Stelle

gesetzt wird.

So kommt es hier, wenn irgendwo, auf die genaue Kenntnis

der Uberlieferung an; anders ist die Interpretation eines

so empfindlichen Textes vergebliche Mühe.

Ein genauer Text des antisthenischen Schriftenkatalogs

fehlt bisher. Aus zweierlei Gründen: Einmal ist die Uber-

lieferung des Diogenes Laertius noch nicht endgültig ge-

klärt; zum anderen sind die vorliegenden Ausgaben nicht so

zuverlässig, wie sie nach dem Stande der gegenwärtigen Er-

kenntnis sein könnten.

A . Biedl, 'Das grosse Exzerpt® . Zur Überlieferungsge-

schichte des Laertios Diogenes', bemerkt: "Es gibt wohl nicht

viele griechische Werke, deren Uberlieferung so wenig klar

zu überblicken ist und bei denen darum die Herstellung einer

kritischen Ausgabe auf wissenschaftlich gesicherter Grund-

lage auf solche Schwierigkeiten stösst wie die Philosophen-1 7

biographien des Laertios Diogenes." ; und nachdem er die

vielfältigen textkritischen Erklärungsversuche eingehend

gemustert hat,resümiert er: "Die gesicherten Ergebnisse sind,

17) Studi e Testi 184, Vatikanstadt 1955, S . 7.

- 109 -

misst man sie an der aufgewandten Mühe, erstaunlich gering

g e b l i e b e n . ®

Um zunächst das Gesicherte zu referieren: Die gesamte

Oberlieferung, repräsentiert durch mehr als dreissig Hand-

schriften des 12. bis 16. Jahrhunderts, geht auf einen ge-

meinsamen Archetypus des 9. Jahrhunderts zurück, der seiner-

seits bereits erhebliche Lücken und Fehler aufzuweisen hatte;

von allen Handschriften sind der Burbonicus III B 29 (B),

der Parisinus gr. 1759 (P) und der Laurentianus g r . plut.

69.13 (F) die ältesten und zugleich auch die besten Textzeu-

gen, von denen der Kodex B den ursprünglichen Text in der

Regel am zuverlässigsten bewahrt, F durch eigenmächtiges

Eingreifen am meisten verändert, während P eine Mittelstellung

18) A.a.O., S . 40. - Einen ausführlichen Oberblick über die handschriftliche Überlieferung des Diogenes gibt E . Martini, Analecta Laertiana, Leipziger Studien 19, Leipzig 1899, S . 73-117; vergl. ders., Zur handschrift-lichen Uberlieferung des Laertios Diogenes, Rheinisches Museum 55 (1900) S . 612-624. Gegen Martinis These, daß die recentiores gegenüber BPF einen eigenständigen Über-lieferungsstrang repräsentieren, wenden sich vor allem A . Gercke, Die Überlieferung des Diogenes Laertius, Hermes 37 (1902) S . 401-434, sowie E . Schwartz, Diogenes Laertius, in: Pauly-Wissowas RE 5 (1903) Sp. 738-745. -über die äußerst verwickelte Forschungsgeschichte unter-richtet ausführlich Biedl, Die Bemühungen um eine kriti-sche Ausgabe und die Erforschung der Überlieferung des Laertios Diogenes seit 1850, a.a.O., S . 7-41. - Zur Überlieferung äußert sich neuerdings G . Donzelli, Per un edizione critica di Diogene Laerzio. I codici VUDGS, Bolletino di Comitato per la Preparazione dell' Edizi-one Nazionale dei Classic! Greci e Latin! 8 (1960) S . 93-132; ders., I codici PQWCoHIEYJb nella tradizione di Diogene Laerzio, Studi Italiani di Filologia Classi-ca 32 (1960) S . 156-199. Die neueste Diskussion der Uberlieferungsgeschichte findet sich in den zahlreichen Rezensionen zu der umstrittenen Ausgabe von H.S. Long, Diogenis Laertii Vitae Philosophorum, 2 Bde. , Oxford 1964. Hier sei lediglich verwiesen auf: 0 . Gigon, Deut-sche Literaturzeitung 86 (1965) S . 101-105; E . Mensching, Archiv für Geschichte der Philosophie 47 (1965) S . 313-318.

- 110 -

einnimmt. Alles andere ist umstritten. So bleibt unklar,

wie sich BPF untereinander verhalten: ob sie jeweils einen

unabhängigen Strang der Überlieferung bilden, ob BP einer-

seits und F andererseits zwei verschiedene Uberlieferungs-

zweige repräsentieren oder ob, da der Archetypus bereits

Varianten enthielt, Kontamination vorliegt. Unklar ist des-

gleichen, wie die Masse der jüngeren Handschriften und die

reiche Sekundärüberlieferung einzuordnen ist: Ob die Vulgat-

tradition als eigenständiger Uberlieferungszweig gegenüber

BPF gelten darf oder ob sie ihrerseits bereits von BPF ab-

hängig ist, so daß, wo sie einen besseren Text bietet, mit

konjekturalen Eingriffen der Byzantiner und Humanisten zu

rechnen ist.

Solange diese Fragen nicht geklärt sind, läßt sich

vorderhand lediglich ein vorläufiger Text herstellen.

Grundlage dieses Textes müssen die drei Haupthandschriften

BPF bilden, deren Lesarten grundsätzlich allesamt zu ver-

zeichnen sind; die Lesarten der jüngeren Handschriften

dürfen dagegen, soweit bekannt, nur hilfsweise und mit Vor-

sicht herangezogen werden.

Es liegen bisher drei kritische Ausgaben des antisthe-

nischen Katalogs vor, die die Handschriften BPF bei der

Textgestaltung zugrundegelegt haben:

a) J . Humblfe, 'Antisthenica1

, Antiquite Classique 3 (1934) S . 163-167

b) H.S. Long, 'Diogenis Laertii Vitae Philosophorum', Oxford 1964, S . 252-255

c) F . Decleva Caizzi, 'Antisthenis Fragmenta', Mailand 1966, S. 17-20

Ein genauer Blick auf die Handschriften, deren Fotoko-

pien im Anhang dieses Buches zu finden sind, lehrt, daß

diese Ausgaben keinen so zuverlässigen Text bieten, wie er

gerade hier erforderlich ist.

- 1 1 1 -

Einige Beispiele müssen genügen:

Diog. Laert. 6.16:

l lepi vo|iou fl n e p t naAoü ua i 6iv.aiou B P o m . F

- Humble läßt diesen Titel weg, ohne die handschriftliche Oberlieferung zu erwähnen.

Ebenda:

Zaöuv (-ri ( c o n i . K u e h n ) ) nept TOÜ ÖCVT i. ( 6 la P )k£ye i v B P F

- Kühns Konjektur erscheint bei Humble als Lesart von PF, bei Long als Lesart von B; bei Humble vermißt man die Variante von F .

Ebenda:

nepl TOÜ äno-aaveTv Iiepl OpTjc, v.a! Snvatou bis vario loco BPF - Long läßt beide Titel an erster Stelle fort, ohne anzu-merken, daß die Handschriften sie hier übereinstimmend überliefern.

Ebenda:

'Epu>-tr||ia nept (puaEooc, a', epwTr]|ia nspl tpuceuc ß' BP om. F - Long setzt die unverbürgte Kurzfassung nspi (puaeut; a'ß' in den Text, ohne die überlieferte längere Fassung zu erwähnen.

Ebenda 6.18:

riepi TOÜ 'O&uooewc »«i IITIVEÄOTITK; BP in margine F - Long und Caizzi behaupten, der Titel fehle in F; bei Humble fehlt der Hinweis, daß F den Titel am Rand nach-getragen hat.

Ebenda:

Ilept TOÜ hvvoc, BPF - Long und Caizzi behaupten, P überliefere xa i NEPL TOÜ HUVOC; ; Long setzt diese Lesart sogar in den Text und behauptet, der Titel fehle in F .

So schien es geboten, den antisthenischen Schriftenkata-

log hier neu herauszugeben, um für die Interpretation

dieses wichtigen Zeugnisses eine möglichst sichere Grundlage

zu schaffen.

Diogenes Laertius 6.15-18 (frg. 1 C.):

4>epo»Tcu &' auToü (sc. Antisthenis) auyypannaTa TO^OI dexa-

Codd. B P F

Testimonla:

Suda s.v. ' AVT icSevrc, 1 p . 243 Adler (p. 86 C.): OUTOC; OUV-EypaiyE TOIJOUC &£Ka. Ps.-Eudocia s.v. ' AVT IO SEVTH; p. 96 Flach: q>E'povTai 6' auToü

- 1 1 2 -

I npüxoc ev u

1 Itepi Xe^euc ri nepl x«P««tTipuv,

2 Alac r) AiavTOi; Xoyoc, 3 'O&UOOEUC ri [ttEpi] ' ObuoaEuc (AOYOS ) ,

4 'OpEaTOU änoXoYia, 5 IlEpl TSV 6iKOYpafuv, 6 ' looYpacpri(q) nai Aeaiac; ri 'laoMpaxric, 7 IIDOC TOV ' laoKpaTouc 'A|iapTupov

Testimonia I Suda s.v. ' AVT IOSEVTK 1 p. 24-3 Adler (p. 8 6 C . ) : OUTOC O U V -

EYpaye Tonout; bena- NPÜTOV Maytuov (nai TOV Mayinov coni. Duemm— ler ) * acpriYETTai 6e TtEpi ZcopoaoTpou Tivoq nayou EÜpovToc Triv aoqiiav TOUTO 6E TIVE<; 'APIOTOTEXEI ( f r g . 32 Rose ). OI be "Po&iw (coni. Bernhardy; po&uvi vel oo&uv codd.) ÄVOT iSEaoiv.

I 2 extat oratio sub titulo Atat; in codice Palatino 88 (X), quj Lysiae quoque orationes continet.

I 3 extat oratio sub titulo '0&UOOEU(; in cod. Palat. 88.

I npÜTOq BP a' F

I 3 titulus corruptus. nEpi '06ucoEia<; coni. Menagius; ünep '0&uaaeu<; Casaubonus; [nspt] 'Obuaoeui; (x6yo<;) idem Casau-bonus recte, ut oratio ipsa quae ab Ulixe habetur et qui praecedit titulus I 2 satis declarant.

I 5 & iHOYpacpuv BP 6 iKOirpaqi luv F I 4/5 'OPECTTOU anoXoyia (fl) HEpi TWV biMOYpatpwv coni. Kuehtl, proba-

verunt plerique edd. Winckelmann Mullach Wilamowitz a l i i . sed ad orationum iudicalium scriptores quid Orestis de-fensio?

I 6 looYpa<pr) TJ&Eaiat; fl .. IaoHpaTri«; B [ooYpaqifi fl beaiaQ T) 'iaoHp<XTT]<; PF I 5/7 locus pe rd i f f i c i l i s . et de titulorum distinctione et de

corruptelae laoypacpriTibEaiaa restitutione a l i i a l ia conie-Cerunt: Itepi TÜV biKOYpaqpuv ' laoypacpri r) Auoia«; nai ' IaonpaTTic • npoc TOV 'iaoMpaToui; 'A^apTupov WyttenljacK; T?V 6LH0"CP°'-tpuv AiHOYpacpia ai&EOEut ri ' IaonpaTTic npoi; TOV 'iaoHpaTOuc 'A^ap-Tupov Deycks J TI TtEpi TWV f>iKOYpa<puv ' AVT I Ypa'C'L T) Auoiai; R)

IoovtpaTTit npot; TOV ' IaoHpctTouQ 'A opTupov ünsp N I H I O U Winckel-mann; nEpl TKV & iHoypaqiwv ri Auoiac nai ' l'aoKpaTTi«; • Ilpo<; TOV IooHpaTouq A apTupov Bake; IlEpi TÜV 6 I H O Y P A Q > W V ri Auoiae; nai

' IooHpaTric ivTiYpacpfi rtpot; TOV 'ioonpaTouc 'A|iapTupov Usener, qui posteaquam de totius loci restitutione desperavit pro corruptela laoYpa<pr) looYpacpoi legendum esse ex is t i -mavit, quam emendationem in (iiaöoYpaipoi mutare voluit Schmidt; ri nEpl TWV & iHOYpacpuv 'iaoypaqiia ri Auoiat nai ' IAO-Hp otti Cf • flpo<; TOV 'iaoMpaToui; 'A apTupov Mullach; riepi TÜV 6IHO-Ypaspuv Auaiat; ti ' I O O N P A T T I ^ ri npot; TOV Ä M I P T U P O V Urbai^; Ilepi T5V & iHOYpa<piov Aeaiat; ri ' IooYpaqni«; • IIpö«; TOV ' IaonpaTOut 'A^iap-

Tupov Pohlenz; fl nEpl TÜV 6iHOYpa<puv AecCai; ri ' IooYpaq>Ti<; npoi; TOV ' IaonpaTouc 'AuapT upov Wilamowitz: Ü E P I TÜV 6iHOYpamiuv ( s i e )

- 113 -

I TOHOC 6euTEpo<; EV £

nspi Cciuv (pUCTEUt;,

Ilepl na I&OTIO I tac, fl nspi Y<*|IOU EpuTixot;,

Ilepi TWV aocpioTUV <puoioyvuiiovivtoc;, RIE p L 6 iMa Loauvri^ Mal <xv&pEia<; npoTpenT IMOC npiÖTOi; &EUTEpo<; xpiTOC, nEpi ÖEOYVIÖOI; 6'e'*

II TO|K>q TplTOi; ev <5

IlEpi (XYaSoij,

riep i äv&pE tat;,

ÜEp i vonou r) rcepi noXiTEiac,

IlEpi vojxou ri nEpl MaXoü nai öiMaiou,

IlEpi EÄ.Eu-9ep ia<; Hai bouA-eiat;,

'estimonia — —

;i 3 Athenaeus p . 6 5 6 F (frg. 1 6 C . ) : 'AVTIODEV-PT; &' EV T Ü « U O I O -YVUM-OHi«?' «ai Y&P Eneivat xa SeXtpaMia npoQ ßiav x°P

Ta

t°uol

'v

«

:i 4 Diogenes Laertius 6.1 (frg. 7 C.); (sc. Antisthenes) KOT ' äpxck JiEV T1KOUOE Topriou TOU pT|TOpO<;' OÖEV TO pTJTOplMOV 61-

&OC Iv TOIC 6iaA.6yoit imspspei Mai naXicnra iv xff 'AXriÖEia (cf. V I 1) Mai t o k npoTpEttrmoic. c f . Ps.-Eudocia p . 95 F l a c h . A t h e n a e u s p . 656 P (frg. 17 C.)s Mai EV TÜ> NPOTPENTIHU ( S C . scripsit Antisthenes)* 4VTI &EX<paKiwv xpetpeodai. P o l l u x O n o m . 1o.68 (frg. 18A C . ) : TO &e MaA.ou^Evov mipiUiov npot; TWV 'Aaiavwv ßoußuXiov ^ev ' AVT IO&EVIK; eipr]M£v iv TW IIpo-TpEtw 1 HÜ)

Q C f . i b i d . 6 . 9 8 (frg. 1 8 B C . ) .

[II 3 Herodicus a p . A t h e n , p . 22o D (frg.^ 4 3 C . ) : 6 &E noXiTinot aÜTOÜ ( s c . Antisthenis ) &iaXoyo<; anavTwv MaTa&po(ifiv rtEpiexei Twv 'AdT)vriaiv bTiuaYUYÜv.

I I &E UTEpOC B P ß F

EI 2 ri B P o m . P Ilepi n a i & o n o i i a t ; t) n E p i 'EpwTiMOt; dis-tinxerunt falso plerique e d d . a l i i .

[ I 2 / 3 E pWT l H O Q -ri n E p i B E p U T l M O i ; ' T tEpi P F

[I 3 ootpicrrwv B P aoquaTiMwv F NEPL TSV aocpiOTwv $UOIOYVUJIOvl-not; falso distinxerunt m u l t i .

I I 4 n p w T o q &£UTEpo< ; T p i T O t ; B P Y ' F 6 e

' B P e

F

locus varie t e m p t a t u s . verba n E p i b i M a i o c u v r i t ; nai ä v & p E i a < ;

o m . Ambrosius C i v e n i u s , d e l . Huebner Winckelmann alii; IlEpi 6 iMa IOCTUVT|(; M a i iv&peiat; n p o T p E n T IMOI; a ß Y ' riepi ÖEOYVI-6O<; E ' v e l Ilepi 6 IMA LOAUVRIT MAI avSpEia«;' IlpOTpEnT IMO<; a'ß'Y'* ÜEpi eeo-jvi&ot; v e l similiter plerique e d d . alii; npoTpEmri-Moq • n E p i & iMa loauvric; M a i (iv&peiat; n p w T o i ; Ö E u T E p o t ; T p i T o t ; , n e p i SeoyviSoi; TETapToi; nE|irtTo<; c o n i . C a i z z i . unum tan tum titulum extitisae librorum numeri quos exhibent c o d d . B P demons-t r a n t .

III xpi'-to«; B P y ' F

- 114 -

6 Ilepi TUOTSÜK; T1 " s p i i n n p o n o u fl n e p t TOÜ n e i ö e a ö a i ,

7 nepl VIHTK OIHOVOIIUOI;-

IV TOIIOI; TETapTOc, EV u

1 Küpoc,,

^ ' Hpa«X.Tic ö \±Eir<j>v r] nepi laxuot;-

V TO^OQ NEJLTCTO C EV <i

1 Küpot; ri nepi ßaoi\£ia<;,

Testimonia

IV 1 Diogenes Laertius 6.2 (frg. 19 C.)jKai OTI Ö NOVO; ÄYA-döv ouvEOT-riaE ( s c . Antisthenes )

T 0

" HEY^AOU 'Hpa-MXEOUC (ef. IV 2) Hat TOÜ Kupou. O f . P s . - E u d . p . 95 Flach. Herodicus a p . A t h e n , p . 22o C (frg. 29A C.): 'AVTIOSEVIK; 6' EV SOITEPU TWV Kupwv (cf. V 1 ) MaMoXoywv ' AXH tß IA6RI v MAL napavonov Eivai ÄEyEi auTOv Hat e L <; Tfuvat"Ha<; Mai elq Trjv aXXriv SiaiTav MTX. Phrynichus a p . P h o t . b i b l . p . 1o1 b 9 (frg. 1o G . ) :

eU i -

Mpivoüt; 6E MAI M a S a p o ü M a i 'ATTIMOÜ \6-you Mavovat; M a i aTaö(ici(;

M a i n a p a Ö E IY(J.a cprioiv ( s c . Phrynichus ) . . . M a i AVTI3-9EVT|V (IETA TWV YVTICTICJV a u T o ü 6uo Xoyuv TOÜ (TOÜ d e l , N a t o r p , for-tasse r e c t e ; vide p . 1o6s.) NEPI Kupou (cf. V 1 ) MAI TOÜ nepi 'o&uaaeiai; (cf. IX 1 ) .

IV 2 Diogenes Laertius 6 . 2 (cf. supra ad IV 1 ) . Diogenes Laertius 6 , 1 o 4 (frg. 22 C . ) : äpeanEi 5' aÜToic (sc. CyniciS ) «

a

i TEXOI; Eivai TO mot ' äpETriv Cffv, ü<; ' A V T I -

aÖEvrn; op-notv EV TW 'HpanXEi* (cf. X 1 , 2 ) , Diogenes L a e r t i u s 6 . 1 o 5 (frg. 23 C . ) : äpEUMEiö' auTofc (sc. C y n i c i s ) nai TTIV apETTjv &i&aMTr|V eivai, na-&a qirioiv 'Av-T i(7-9EVTit ev tu 'HpanXEi (cf. X 1 , 2 ) . , Ps.-Eratosthenes c a t a s t e r . c.^ 4o (frg. 24A C . ) : Mai au-TOC &e b 'HpaMXffc &OMEI npöc auTOv ( s c . C h i r o p e m _ ) EXSEfv 61' Epura, w Mai ouvEivai iv TW avTpw, Tinwv TOV üffva. iiovov 6e TWV KEvTaupuv OUM <XVE~XEV, ä \ X * ^MOUEV auTOÜ xa-SanEp AVTI -OÖEVTK (prioiv Ö SUMPATIMOQ EV TÜ 1 HPAM\£ i" (cf. X 1

td ) . C f ,

P s . - E u d . p . 732 s . F l a c h .

V 1 Herodicus a p . A t h e n , p . 22o C (cf. supra ad IV 1 ) . Phrynichus a p . P h o t . b i b l . p . 1o1 b 9 (cf. supra ad IV 1), Persaeus a p . D i o g . L a e r t . 2.61 (frg. 6 C.):

Mai TWV e m a

( s c . d i a l o g o r u m A e s c h i n e o r u m ) bi T o u q n X s i a T o u q nepaaföt;

(|SVF I 4 5 7 ) f1

!"1

naaitpwvTOc; e i v a i TOÜ ' E p ^ E T p i M o ü , ei; TOUC, AIOXIVOU 6E M O T a T a ^ a i * a X A a M a i TWV 'AVTIOSEVOUI; TOV TE n i M p o v

K ü p o v ( C f . I V 1 ) M a i TOV * H p a M \ E a TOV ixäaau ( c f , X 1 , 2 )

M a i A X M i ß i a & r i v ( c f , X 6 ) K a

i t o u ; TWV a X X w v & l E a H e u w p r i a ö a 1

( c o n i . S u s e m i h l ; &£ iaMsuwpriTai c o d d . plerique edd.; vide p . 1 o2 s s . ) .

III 6 nEpi nioTEw«; fl nEpi IniTponou JJ nEpi N IOT EU<; • nsp i eniTponouPF nEpi TOÜ nEiOEaSai B P TOÜ nEi$£a9ai F nepi niaTEuc fl nEpi feniTponou- IlEpi TOÜ nEt3£a-9ai Ambrosius

Hermann Winckelmann alii.

III 7 rieoi VI'mtk- oiMovomMoc distinxerunt nonnulli e d d . sub voce VIMTK mendum latere suspicatus est M u e l l e r , fortasse rec-

- 115 -

2 Aanaaia-

VI TOM-OC; EHTOI; EV (*

1 ' AXIISE la, 2 ÜEpi TOÜ 6TAXEFEOÖAi avx i Xoy i HOC ,

3 Eaöuv (R|) nEpl TOÜ ÖVTIXEYEIV a'ß'y'i

4 nepi 5 laXEHTou'

VII TO|JO<; Iß&o^oc EV <5

1 ITEpl nai&£ia<; ri nepi &vo\ic.twv a'ß'Y'&'e'

[2] [ üEp l TOÜ Ä n o S a v e T v ]

[3] [ÜEpi t ufft nai SavaTou]

4 ÜEpl OVOJIATUV XP*laeb>

£ [FI ] ^PLOTLHOC,

5 IlEpi EptüTrioEuc na i anoHp ioEuc ,

6 I lepi öo rii; Hai EHIOTTIHTH; a ' ß ' y ' ö ' ,

7 n e p i TOÜ a n o f i a v E f v ,

Testimonia

V 2 Athenaeus p. 22o D (frg. 34 C.): rt 'Aonacia TSV riepi-HXEOUI; uitöv HavSircnou NAI üapaAou biaßoXiiv (sc, contitiet),

VI 1 Diogenes Laertius 6.1 (cf. supra ad II 4).

VI 3 Herodicus ap. Athen, p. 22o DK (frg. 37A C.): Mal nxa-

Tuva 6e NETOVONACAI; EaSwva äaupu«; M a l cpopTiKwi; TOV TOUTTIV exov-Ta TTIV Eniypa<p^v 6iaXoYov EE,E6CJHE (sc. Antisthenes) naT' au-Toü.Cf. i b i d . p. 5o7 A (frg. 37B C . ) . Diogenes Laertius 3.35 (frg. 36 C.): XeyeTai 6' ÖTI nai ' AVT loSevrit p.EXXuv avay I VCOOME I v TI TWV YEypannevuv AUTW n a p e -

HaXeaev auTOv (sc. Platonem ) napaTuxefv. Mal nuSoiiEvu, i! HEXXEt ava-f LVUOME IV , E ITIEV , OTI n E p l TOÜ |ITI Eivai A V T I X E R E I V TOÜ 6' E t n o v T O f nw<; ouv au n E p l a u T o ü TOUTOU ypacpEic;; M a l 6i-6 aaHovToi;, OTI n e p ITPENETA I ,e y p a y E 6taXoyov MATA IlXaTuvo; £a-Juva iniypäyac, • e£ ou SIETEXOUV AXXOTPIMC IxovTEt; npot; aXXr)Xou<;.

VI IMT O<; B <;' PF

VI 1/2 'AXiiÖEia (ri) nEpl TOÜ 6 iaXeY£cr-S>a I 4VT iXoyIHOC coni. Hirzel, fortasse recte.

VI 2 riEpl TOÜ 6tax£-YECT-9ai• 'AVTiXoyIMOI; distinxerunt nonnulli edd.

V I 3 avTiXe-yeiv B P biaXE-yeiv F a'ß'y' g p y' p Eaöuv <RI> nEpl TOÜ avTiXerEiv a ' ß V coni. Kuehn, cui adsen-tiet quicumque quae Diog. Laert. 3 . 3 5 narrat inspiciat.

VII Iß&onoe BP X,' F

VII 1 a ' ß V b ' e ' BP E' F

VII [2] idem titulus et infra VII 7 legitur quo loco melius se habere inspecto titulo VII 9 negari non potest.

V I I ft 1 « i r TT Q 1 ~ 4 1 T J i_.i_.j_

- 116 -

8 ITept Surfc Kai Savaxou,

9 ÜEpi TCJV ev a&oo,

10 Ilecl cpuaEuc a'ß',

11 'Spütrina NEPI -pvoewc, a', EPÜXTUIA NEPL tzvaEUQ ß',

'Iii äolat r| £Ol'7tmö(,

1 j ÜEpi TOÜ nav-&ävEiv npoßXTijiaxa'

VIII xo^o<; OY&OO<; £V <T>

1 ÜEpi IIOUOIKTK,

2 ÜEpi Et,riYr|T£3v,

3 IJE pl 'Oßfipou,

4 ÜEpi a&iHiae; Hai AaeßEiac;,

5 ÜEpi KaXxavxoi;, 6 Ilepi Kaxaanonou,

7 ITEpl r)öovff<;'

IX TOHOI; !vaxo<; iv <5

1 Ilepi 'Obuaaeiac, 2 nepi ttk paß&ou,

3 ' ASrivo rj rteo i Tr|XEnaxoU|

Testimonia

VI -lo Philodemus De piet. 7 (frg. ^9A#C.): n]ap' 'AvxiaSEVEi

5' EV (x)5 $UCTIKS XEYETAI xo Haxa vo^IOV eivai noXAouc öeoui;, naxa ÖE q>uaiv £v(a), Cicero De nat. deor. 1.13.32 (frg. 39B C.): atque iam Antisthenes in eo libro qui Physicus insoribitur p pulares deos multos naturalem deum unum esse dicens tollit vim et naturam deorum. Lactantius De ira üei 11.14 (frg. 39E C.)s Antisthe-nes autem in Physico unum esse naturalem deum dixit, quamvis gentes et urbes suos habeant populäres deos.

VI 11 Philodemus De piet. 7 (cf. supra ad VI 1o). Cicero De nat. deor. 1.13.32 (cf. supra ad IV 1o). Lactantius De ira Dei 11.14 (cf, supra ad IV 1o).

IX 1 Phrynichus ap. Phot. bibl. p. 1o1 b 9 (cf. supra ad IV 1).

VI 1o a'ß' BP om. P

VI 11 BP om. F epux-rma nEpl cpuaEu<; a'ß'vel EpuxTina nEpl cpu-OEUC ß' plerique edd.

VI 1 ti BP om. F vocem fi del. Susemihl,fortasse recte.

VIII 6r&oo<; B TI' PF

vIII 5 / 6 nspl KaXxavxo; <fi> nepi xepaxoaKonou coni. Winckelmann.

VIII 6 / 7 nepi Kaxaanonou (ri) nepi 'EXevrK Coni. Osann.

VIII 7 nepi 'EXEVTK coni. Mueller.

- 117 -

JJ. nepi 'EXEVTII; Hai NRIVEX-ONTIC ,

^ ü£pi IlpuTEuc,

g KUHXUV ri TIEp i 'O&UÖOEUI;,

If ÜEpi olvou XP1

1aeoJ<

; fi nEpi fi nEpl TOÜ KunXunoc , g riEpl KipHTi<;,

g ÜEpi 'Ajicplapaou,

ÜEP i [TOÜ] ' O&UOOEUC HAT ILTIVEXORTTK ,

11 ÜEP L TOÜ M U V O C

X TO|IO<; &E x a T o c , iv U

1 'HpanXrfi; nai Mi&at;,

2 'HpaHXfiic fi nEpi <ppovfia£u<; Hai laxüoc,

3 Kupioq fi EpujiEvo«;,

4 Kupioi; fi HaTaaHonoi,

5 MEVEE,EVO<; TI ITEPI TOÜ apxeiv,

6 ' AXniß ta&TI<;, 7 'ApxE\aot; fi nEpi ßaaiXEiai;-

nai xaÜTa IJEV EOTIV a AUVEYPAYEV.

Testimonia

IX 7 Aelius Aristides or. 49,i>o ss. Keil (frg. 41 C . ): ßißxi'ov TI TUV onou&aiuv e6oE,a (30, Aristides ) äva-y LYVUOHE iv , ou Ta HEV naS' EKaaTOV ... OUH av exoini EinEiv ... aXXa npoq TU TEXEI TOÜ ßißAiou TOKX&E iiaXiaTa Evnv. - riv 6E ü<; ENI TIVO<; TUV äyuvioTÜv XEyo^Eva - . . . E V T a ü ö a EXTIYEV ... nai TO ßißXiov aÜTÖ TOÜTO E&OHEL EIVAI ' A VT L CJÖE VOUC nEpi XPTlOEWe;, £<p£p E V &£ EIC, olvov nai iiiovuaiu npoaffv Tiva auußoXa.

X 1/2 Persaeus ap, Diog, Laert. 2.61 (of. supra ad IV ü). Diogenes Laertius 6.'lo4, 105 Cef. supra ad I» 2j. Ps.-Eratosthenea catasfcer. c. 4o (of. supra ad IV ü).

X 6 Persaeus ap. Diog. Laert. 2.61 (fr. supra ad V 1).

X 7 Herodicus ap. Athen, p. 22oD (frg. 42 C.)s b &' ' A P X E -Xaoc ropyi'ou TOÜ pfitopo«; (

B c < obtrectationem continet).

IX 7 Verba fi nepi TOÜ KunAunot; IX 1

0 BP in margine P vocem TOÜ del. Duemmler

X bEHOTOC B l' PF

X 1 'HpanX-pi; B 'HpaHXffi; ri Mi&a<; PF "HpanXTK Hai Mi&a<; coni. Welcker recte, si eiusmodi titulos inspicias.

^ 2 'HpanXfit; TI nEpi <ppovnoEu<; fi iaxuo«; BP om.Pnai ioxuoc Caizzi. x

3 Hup io<; BP HÜpo«; P Kupvo; coni. Winckelmann.

X 4 HUPIOC BP HÜpo<; P Hup ioi nonnulli edd.

X 3/4 fortasse pro voce nupioc quae explicari vix potest Kupaäc legendum est.(vide D. SS.1

- 1 1 8 -

b . Abfassungszeit und Herkunft

Man wüßte gerne, wer das antisthenische Schriftenverzeichnis er-

stellt hat, weil sich hieraus wichtige Schlüsse auf Absicht und

Qualität dieses Zeugnisses ziehen ließen, das für unsere Kenntnis

der antisthenischen Literatur von so großer Wichtigkeit ist. Aber

Diogenes Laertius nennt keinen Gewährsmann, und es verschlägt we-

nig, auf diesen oder jenen Namen zu raten. Stattdessen können

einige allgemeine Überlegungen weiterführen.

Bücherverzeichnisse setzen Buchausgaben, Buchhandel und Bücher-

sammlungen voraus, und so ist die Geschichte der antiken Bücher-

kataloge aufs engste mit der Geschichte des antiken Buch- und

Bibliothekswesens verknüpft, über das F . Milkau, 'Handbuch der 1 9

Bibliothekswissenschaft' , zuverlässig informiert. Büchersamm-

19) 2. Aufl., hrsg. von G . Leyh, 1. Bd. (Buch und Schriftwesen), Wiesbaden 1952; 2. Bd. (Bibliotheksverwaltung), ebenda 1953; 3. Bd. (Bibliotheken), ebenda 1955-1957. - Von der überaus umfangreichen Literatur seien hier nur einige der wichtigsten Werke genannt. - Zu Buch- und Schriftwesen: T . Birt, Das an-tike Buchwesen in seinem Verhältnis zur Litteratur, Berlin 1882; ders., Die Buchrolle in der Kunst, Leipzig 1907; ders., Kritik und Hermeneutik nebst Abriß der Klassischen Altertums-wissenschaft, 1. Bd., 3. Abt.,3. Aufl., München 1913; K . Dziatz-ko. Buch, in: Pauly-Wissowas RE 3 (1897) Sp. 939-971; ders., Untersuchungen über ausgewählte Kapitel des antiken Buchwesens, Leipzig 1900; W . Schubart, Das Buch bei den Griechen und Rö-mern, 2. Aufl., Leipzig-Berlin 1921; C . Wendel, Die griechisch-römische Buchbeschreibung verglichen mit der des Vorderen Ori-ents, Halle 1949; F.G. Kenyon, Books and readers in Ancient Greece and Rome, 2. Aufl., Oxford 1951; E.G. Turner, Athe-nian books in the fifth and fourth centuries B.C., London 1952; H.L. Pinner, The world of books in Classical Antiguity, 2. Aufl., Leiden 1958; H . Hunger, Antikes und mittelalterli-ches Buch- und Schriftwesen, in: Geschichte der Textüberliefe-rung der antiken und mittelalterlichen Literatur, hrsg. von H . Hunger u.a., 1. Bd., Zürich 1961, S . 25-147. - Zum antiken Bibliothekswesen: F . Ritsehl, Die alexandrinischen Bibliotheken unter den ersten Ptolemäern und die Sammlung der Homerischen Gedichte durch Plsistratus, Breslau 1838, wiederabgedruckt in: F . Ritsehl, Kleine Schriften, 1. Bd., Leipzig 1866, S. 1-47; K . Dziatzko, Bibliotheken, in: Pauly-Wissowas RE 3 (1897) Sp. 405-434; A . Herschel, Geschichte der Bibliotheken, Göt-tingen 1925; E . Re, La biblioteca Alessandrina, Rom 1945; E.A. Parsons, The Alexandrian library, Amsterdam-London-New York 1952; J . Platthy, Sources on the earliest Greek libraries, 2. Aufl., London 1962. - Zu Buchhandel und Verlagswesen: E .

- 1 1 9 -

lungen und Buchhandel begegnen in Griechenland, allerdings

in bescheidenem Rahmen, zuerst in den letzten Jahrzehnten

des fünften Jahrhunderts, nachdem die Sophistik, besonders

in Athen, in breiteren Schichten Interesse für literarische

Bildung geweckt hatte. Mit der Ausbreitung der Wissenschaft

und Literatur entstehen im vierten Jahrhundert neben den

eher bescheidenen Privatsammlungen die ersten halböffent-

lichen Bibliotheken, besonders in den Philosophenschulen

der Akademie und des Peripatos, wo bereits Büchersammlungen

beträchtlichen Umfangs zusammengetragen werden. Zur Zeit

der Diadochen beginnt dann, vermittelt durch den Peripatos,

die bibliothekarische Erfassung und kritische Edition der

überlieferten Literatur nach wissenschaftlicher Methode,

zuerst und am eindrucksvollsten in Alexandria unter den

ersten Ptolemäern, wo hunderttausende von Buchrollen von

qualifiziertem Fachpersonal angekauft, magaziniert, gesich-

tet, qeordnet, abgeschrieben und ediert werden. Die Maßstä-

b e , die in Alexandria gesetzt wurden, werden hernach auch

für die anderen hellenistischen Großbibliotheken in Perga-

mon, Antiochia, Pella, Athen, Prusa und später auch für Rom

vorbildlich, desgleichen für jede anspruchsvollere Stadt-

und Privatbibliothek, allerdings ohne daß die bibliotheka-

rische Hochleistung Alexandrias jemals irgendwo erreicht

worden wäre.

Bibliotheken, zumal öffentliche Großbibliotheken wie

jene in Alexandria, sind nur dann funktionsfähig, wenn sie

Kataloge besitzen, die zuverlässig und bequem über die vor-

handenen Bücherbestände unterrichteten. 0 . Regenbogen,

' niNAE , 2

°, hat darauf aufmerksam gemacht, daß der antike

20) In: Pauly-Wissowas RE A2 20 (195) Sp. 1410-1482, wo Hinweise auf die spärliche weitere Literatur zu finden sind.

- 120 -

terminus technicus ival erkennen läßt, daß die antiken

Bibliotheksverzeichnisse in Tafelform gehalten gewesen

sind. Diese Tafeln dürften in der Regel aus Holz oder Stein

bestanden haben und waren in den Bibliotheksräumen wohl

an gut sichtbarer Stelle plaziert, so daß der Benutzer sich

auf einen Blick informieren konnte, wo er was zu suchen

hatte. Es liegt auf der Hand, daß solche Gebrauchsschilder

nur sehr schwer überdauern, und so haben sich auch nur ge-

ringe Reste originaler Bibliothekskataloge erhalten, aus-

nahmslos Verzeichnisse kleinerer Stadt- und Privatbiblio-

theken .

Glücklicherweise wird die bibliothekarische m'vaE, in

hellenistischer Zeit zu einer Literaturform, die, mannig-

fach gebrochen und vielfach verstreut, in der Uberlieferung

zahlreiche Spuren hinterlassen hat. Kallimachos, der an der

großen Bibliothek in Alexandria als Bibliothekar tätig war,

hat in seinem hundertzwanzig Bücher umfassenden Riesenwerk

llivaE, nravtuv Ev itäcrj natteict 6 iaAa|_ut avxuv f ausgehend von

den Beständen der Bibliothek, die ihm größtenteils bereits

gesichtet und katalogisiert vorgelegen haben werden, die ge

samte Literatur,deren man damals habhaft geworden war, kata

logartig zusammengefaßt und so ein enzyklopädisches Nach-

schlagewerk geschaffen, das zuverlässig über jedes Buch

unterrichtete, das man bibliothekarisch erfaßt hatte. Im

einzelnen war das Werk, wie F . Schmidt, 'Die Pinakes des 21

Kallimachos' , nachgewiesen hat, zunächst formal in Poesie

21) Klassisch-Philologische Studien 1, Berlin 1922, wo auch die Fragmente und die ältere Literatur verzeich-net sind. Vgl. neuerdings H . Herter, Kallimachos, in: Pauly-Wissowas RE A2 5 (1931) Sp. 386-452; Regenbogen, a.a.O., Sp. 1418-1428; Parsons, a.a.O., S. 204-218; F.J. Witty, The Pinakes of Callimachus, Library Quarterly 28 (1958) S. 132-136.

- 121 -

und Prosa unterteilt; es folgten inhaltliche Untergruppen,

von denen ' Prixop ista , No^oi und navTobana auYyoajinaTa

bezeugt sind, während sich Epiker, Iambiker, Meliker, Tra-

giker und Komiker, Philosophen und Ärzte mit Wahrschein-

lichkeit erschließen lassen; innerhalb dieser Untergruppen

waren die einzelnen Autoren alphabetisch geordnet; am An-

fang stand eine kurze Biographie des jeweiligen Autors,

dann wurden die einzelnen Buchtitel aufgeführt, gefolgt

von Anfangszeile und Stichenzahl, wobei sich bei den Tragi-

kern alphabetische, bei den Rednern inhaltliche Anordnungs-

prinzipien wahrscheinlich machen lassen, während sich für

die Philosophen kein bestimmtes Anordnungsschema nachweisen

läßt.

Das pinakographische Werk des Kallimachos, das Aristo-

phanes von Byzanz verbesserte und ergänzte, machte Epoche.

Auch in Pergamon (und wahrscheinlich auch anderwärts) ver-

faßte man nun nach diesem Vorbild literarische Schriften-

verzeichnisse. Mehr noch: Die kallimacheischen Pinakes

werden nachgerade zur Keimzelle der hellenistischen Bio-

graphie. Schmidt: "Auf der grundlage der pinakes erwächst

in Alexandria noch zu lebzeiten des Kallimachos die biogra-22

phische literatur und die Chronographie." Ebendies ist

der Grund, weshalb die antike Lebensbeschreibung, deren

geschichtliche Entwicklung F . Leo, 'Die griechisch-römische 23

Biographie' , grundlegend untersucht hat, sofern sie anti-

22) A.a.O., S. 99. V g l . Regenbogen, a.a.O., Sp. 1423 ff.

23) Leipzig 1901. - Zur Geschichte der antiken Biographie vgl neuerdings W . Steidle, Sueton und die antike Biographie, Zetemata 1, München 1951; A . Dihle, Studien zur griechi-schen Biographie, Abhandlungen der Akademie der Wissen-schaften in Göttingen, Phil.-hist. Klasse,37. Bd., Göt-tingen 1956. - über Persönlichkeit und Werk der einzelnen hellenistischen Biographen unterrichten, außer den ein-schlägigen Artikeln bei Pauly-Wissowa, vorzüglich F . Suse m i h i , Geschichte der Litteratur in der Alexandrinerzeit, 1. Bd., Leipzig 1891, 2. Bd., ebenda 1892; J . E . Sandys, A History of Classical Scholarship, 1. Bd., 3. Aufl., Cam bridoe 1928: R . Pfeiffer. Historv of Classical Scholar-

- 122 -

quarisch-gelehrt verfährt, das pinakographische Element

als einen wichtigen Bestandteil stets beibehalten hat: So

die frühen alexandrinischen Biographen wie Satyros, Her-

mipp und Sotion, deren Werke für die Folgezeit vorbildlich

werden; so die zahlreichen späteren Literaten, die in der

Hauptsache exzerpieren und komplettieren; so schließlich,

auf dem Teilgebiet der Philosophie, Diogenes Laertius,

dessen zahlreiche Schriftenverzeichnisse sich, wie Regen-24

bogen bemerkt, "letztlich mit Zuversicht" auf die pina-

kographische Tätigkeit der hellenistischen Biographie zu-

rückführen lassen.

Es darf nach diesen allgemeinen Überlegungen als wahr-

scheinlich gelten, daß der Katalog der antisthenischen

Schriften, den Diogenes Laertius 6.15-18 überliefert, letz-

ten Endes auf die Gelehrsamkeit der hellenistischen Gram-

matik zurückgeht. Diese Annahme gewinnt noch an Gewißheit,

wenn man ins Auge faßt, wie eingehend sich die hellenisti-

sche Biographie mit Antisthenes auseinandergesetzt hat.

Von den bedeutenden alexandrinischen Biographen, die das

Werk des Kallimachos fortführten, hat sich, soweit wir

wissen, als erster Satyros über Antisthenes geäußert. Er

zitiert aus einer unbekannten antisthenischen Schrift

(frg. 30 C.) einen Satz,der Schönheit und Stärke des Al-

kibiades rühmt. Abgesehen von diesem wörtlichen Zitat,

das aus einer längeren Passage über das Leben des Alkibi-

ades herrührt, hat sich Satyros in seinen Btoi (FHG III

159-166) unzweifelhaft auch unmittelbar mit Antisthenes

beschäftigt. Es ist möglich, ja sogar wahrscheinlich, daß

der kurze biographische Abriß über Antisthenes, den Hie-

ronymus (frg. 128A C.) überliefert, aus Satyros geschöpft

ist, der wenig später, immer noch in demselben Zusammenhang,

24) A.a.O., Sp. 1426.

- 123 -

ausdrücklich als Quelle genannt wird. Satyros hätte

demnach - und dies ist hier von besonderer Bedeutung -

Angaben über Anzahl und Form der antisthenischen Schriften

gemacht; er hätte außerdem Uber des Antisthenes Bekehrung

von der Rhetorik zur Philosophie gesprochen, woraus folgt,

daß er auch die Zweiteilung der antisthenischen Vita in

eine rhetorisch-gorgianische und eine philosophisch-

sokratische Epoche, die in der späteren Überlieferung

(frg. 125-128 C.) festsitzt, aufgebracht haben dürfte.

Nächst Satyros hat sich Hermipp in seinen Biot (FHG III

35-54) mit Antisthenes auseinandergesetzt. Hermipp

(frg. 127 C.) berichtet, Antisthenes habe an den Isthmien

eine panegyrische Lob- und Tadelrede auf Athener, The-

baner und Spartaner halten wollen, sei jedoch davon ab-

gekommen, als er sah, daß die Mehrzahl der Zuhörer aus

ebendiesen Städten gekommen seien. Diese Geschichte, die

die rhetorisch-philosophische Zweiteilung der Vita bereits

voraussetzt, erweckt ganz den Eindruck, als sei sie er-

funden worden, um die kargen Nachrichten über die rheto-

rische Lebensepoche des Antisthenes aufzufüllen. Hermipp

scheint demnach so verfahren zu sein, daß er die Angaben

über Antisthenes, die er bei Satyros fand, übernahm und

ausschmückend erweiterte. Sotion schließlich, der in seinen

«iXoaotpuv öiaSoxat (DoxGr 147-153) die antike Philosophie-

geschichte in ein lückenloses Deszendenzsystem brachte,

dürfte als erster die Behauptung aufgebracht haben, die

sich später in der Überlieferung (frg. 134-136 C.) durch-

gesetzt hat, obwohl ihr Hippobotos (b. Diog. Laert. 1.19)

widersprach: Antisthenes sei das Oberhaupt der kynischen

Schule gewesen und müsse so, über Diogenes und Krates,

als Stammvater auch der Stoiker angesehen werden. Sotion

dürfte demnach auch als erster Antisthenes als kynischen

Bettelphilosophen mit langem Bart, grobem Mantel, Stock

- 124 -

und Ranzen dargestellt haben, worin ihm Neanthes (frg.

136A C.) und später Diokles (frcr. 136A C.) beistimmten,

während Hermipp (FHG III 42), dem wiederum Sosikrates

(frg. 136A C.) folgte, den Pythagoreer Diodoros von As-

pendos als Erfinder der kynischen Tracht und Lebensweise

namhaft qemacht hatte.

Außer der alexandrinischen scheint sich im übrigen

auch die pergamenische Grammatik mit Antisthenes befaßt

zu haben. Panaitios, der seine philologisch-grammatische

Ausbildung bei Krates von Mallos erhielt, hat sich, wahr-

scheinlich in seiner Schrift JlepI aipeaeuv (frg. 49 van

Straaten) , bzw. Uepl ZuKpaTout; (frg. 50 van Straaten)

über die Echtheit der sokratischen Dialoge des Antisthenes

(frg. 5 C.) geäußert. Vor allem aber verrät der Krateteer

Herodikos von Babylon in seiner ebenso gelehrten wie ge-

hässigen Streitschrift npoq TOV SIXOOUHPCITTIV genaue Kennt-

nisse über Form und Inhalt der antisthenischen Schriften 1 AanaaCa (frg. 34 C.), 'ApxeXooc; (frg. 42 C.), Küpoi;

(frg. 29A C.), rioXiTiMÖt; (frg. 42 C.) und Zaöuv (frg. 37 C .

Es kann nach alledem kaum einen Zweifel geben, daß

die alexandrinisch-pergamenischen Grammatiker, deren Er-

gebnisse über Zwischenstufen, die hier außer Acht bleiben

dürfen, in die Antisthenesvita des Diogenes Laertius Ein-

gang gefunden haben, in ihren Bioi auch pinakographische

Listen und Verzeichnisse der antisthenischen Schriften auf-

geführt haben, und dies umso eher,als der literarische

Nachlaß des Antisthenes wegen seines enormen Umfangs ganz

besonders nach einer katalogisierenden Bestandsaufnahme

verlangte.

Wie verhält sich der Katalog des Diogenes Laertius

(frg. 1 C.) zu den pinakographischen Schriftenlisten, wie

sie sich für die hellenistische Grammatik erschließen

- 125 -

ließen? Um diese Frage zu beantworten, ist noch einmal eine

allgemeine Überlegung erforderlich. Es liegt auf der Hand,

daß sich die pinakographischen Listen, wie sie Kallimachos

und seine Nachfolger boten, nicht ungebrochen erhalten

haben, nachdem sie einmal Bestandteil der hellenistischen

Biographie geworden waren. Hierin liegt der Grund für die

große formale Mannigfaltigkeit der philosophischen Schrif-

tenkataloge, die Diogenes Laertius überliefert. Echte Pina-

kographie im Sinne des Kallimachos liegt, wie die beige-

fügten Stichenzahlen beweisen, am ehesten in den locker

alphabetisch-inhaltlich geordneten Verzeichnissen vor, wie

sie für Speusipp (4.4-5) und Xenokrates (4.11-15) oder

für Aristoteles (5.22-27), Theophrast (4.42-50) und Stra-

ton (5.58-60) bezeugt sind. Dasselbe dürfte auch für die

ähnlich angeordneten Verzeichnisse gelten, die für Deme-

trios Phalereus (5.80-81), für Epikur (10.27-29) oder für

Zenon (7.4), Ariston (7.163), Kleanthes (7.174-175) und

Sphairos (7.178) überliefert sind, auch wenn hier Stichen-

angaben fehlen. Häufig sind jedoch größere Brechungen in

der Überlieferung festzustellen. So sind die Schriftenka-

taloge der Sokratiker Xenophon (2.56-57), Aischines (2.60),

Phaidon (2.105) und Aristipp (2.85) unter echtheitskriti-

schen Gesichtspunkten überarbeitet worden, wobei sich im

Falle Aristipps auch eine unüberarbeitete Katalogfassung

(2.84) erhalten hat. Noch stärkere Eingriffe muß man vor-

aussetzen bei den streng thematisch-systematisch angeord-

neten Verzeichnissen, wie sie für Platon (3.57-61), für

Herakleides Pontikos (5.86-88) und für Chrysipp (7.189-202)

vorliegen, wobei im Falle Chrysipps die inhaltliche An-

ordnung durch ouvTa^eic , im Falle Demokrits und Piatons

durch TeTpaX.oyiai noch einmal gliedernd unterteilt wird.

Hierbei handelt es sich nicht um pinakographische Listen

oder noch auch nur um die Überarbeitung pinakographischer

- 126 -

Listen, sondern vielmehr um die Kataloge gelehrter kri-

tischer Ausgaben, die vorwiegend nach philosophisch-

systematischen Gesichtspunkten erstellt wurden. Wo solche

editorischen Kataloge in die Biographie Eingang fanden,

haben sie, wie nicht anders zu erwarten, die pinakographi-

schen Verzeichnisse verdrängt. Allein, da eine kritische

Ausgabe in der Regel nicht erstellt wurde, ja wohl nicht

einmal erstellt werden konnte, ohne daß man die einschlä-

gigen gelehrten Vorarbeiten der hellenistischen Bibliothe-

kare und Grammatiker heranzoq, so hat sich auch hier, wenig

stens mittelbar, Uberall ein Stück pinakographischer Ge-

lehrsamkeit erhalten.

Blickt man an dieser Stelle noch einmal zurück auf

den Katalog der antisthenischen Schriften (frg. 1 C.), so

kann kein Zweifel bestehen, daß es sich hier nicht um eine

pinakographische Liste, sondern um das Verzeichnis einer

gelehrten Ausgabe handelt. Hierfür spricht nicht nur die

streng systematisch-inhaltliche Anordnung der Schriften,

sondern vor allem die Einteilung der inhaltlich angeord-

neten Schriften in zehn TOJIOI , die, wie sie bei einer

Ausgabe nötig, so bei einer bloßen Schriftenliste über-

flüssig ist. Wie denn Porphyrius Vit. Plot. 138 bezeugt,

daß der Grammatiker Apollodor von Athen eine Ausgabe der Ko

mödien Epicharms in zehn TO ^OI veranstaltet habe. Sehr

richtig bemerkt demnach Regenbogen über den Katalog der

antisthenischen Schriften: "Dies ist nicht sowohl ein bi-

bliothekarisches Verzeichnis als die Inhaltsangabe einer

maßgebend gewordenen gelehrten oder buchhändlerischen Aus-25

gäbe." Was die letztgenannte Alternative betrifft, so

darf man wohl ausschließen, daß der Herausgeber ein Buch-

25) A.a.O., Sp. 1426.

- 1 2 7 -

händler oder Verleger gewesen ist, der mit den Schriften

des Antisthenes ein Geschäft zu machen hoffte, auch wenn

bezeugt wird, daß diese zur Zeit Ciceros (frg. 13 C.) und

noch zur Zeit der Antonine (Lukian, adv. indoct. 23

[p.89 C.]) im Buchhandel zu haben gewesen sind. Eher wird

man an einen Gelehrten denken, womöglich an einen stoischen

Philosophen oder Grammatiker wahrscheinlich des zweiten

oder ersten vorchristlichen Jahrhunderts, dem das Riesen-

werk des Antisthenes interessant genug war, daß er, fußend

auf der Gelehrsamkeit der hellenistischen Grammatik, die

Mühe einer kritischen Ausgabe auf sich nahm. Der Name die-

ses Mannes, dem die Antisthenesphilologie so viel verdankt,

läßt sich nicht einmal erraten, und so muß es bei diesen

allgemeinen Bemerkungen sein Bewenden haben.

c . Gliederung

Der diogenianische Katalog (frg. 1 C.) ordnet die Schrif-

ten des Antisthenes im Großen auf zweierlei Weise an:

einmal inhaltlich, indem Schriften gleicher oder verwandter

Thematik zusammengestellt werden; zum anderen formal, in-

dem die Schriften auf zehn TOHOI verteilt werden, wobei

Schriften verwandter Thematik auf mehrere xotioi entfallen

können, während Schriften unterschiedlicher Thematik in-

nerhalb ein und desselben TO|IO<; nicht begegnen.

Ober die inhaltliche Gliederung des Katalogs, die um-

fassender ist als die formale, urteilt Susemihl: "Das

Verzeichnis der Schriften bei La. Diog. VI 15 ff. zeigt

bekanntlich eine sachliche O r d n u n g , im ersten bände stan-

den die reden und rhetorischen Schriften, den anfang des

zweiten füllten die wenigen physischen aus, dann folgten

- 128 -

bis zum ende des fünften die ethischen und politischen,

im sechsten und im ersten teil des siebten die dialekti-

schen bis I'Epl BOTNC Mal ^RUCTI'IIRIC • hierauf tritt eine

V e r w i r r u n g ein, indem auf fünf titel heterogener art

Ilepi T O O änoSaveTv, Ilepi £U>FK Mal S A V A T O U , üepl TUV ev

"Aibou, Ilepi (puaeox; a'ß', 'EpuTnua nepi tpuaewc; a'ß'

wiederum zwei dialektische Ao^ai. [RJ ] epiatiMÖc; und liepl

TOÜ pavSavetv itpoßxfijiata folgen, mir scheint, es kann

keinen zweifei leiden, dasz hier die ursprüngliche Ordnung

gestört ist, und dasz in Wahrheit diese zwei vor jenen fünf

standen, gleichviel ob Diogenes diesen fehler schon vor-

fand oder erst seine abschreiber ihn verschuldet haben,

aber, wird man einwenden, waren denn nicht jene fünf oder,

wenn man mit KF Hermann und Winckelmann die beiden letzten

von ihnen in eine schrift zusammenziehen will, jene vier

S c h r i f t e n physische und hätten also vielmehr schon im zwei-

ten bände ihren richtigen platz gehabt? gewisz waren es

physische, aber doch vielleicht in einem sinne, welcher

den Urheber dieser anordnung nicht abzuhalten brauchte sie

von den eigentlichen physischen zu trennen und aus ihnen

eine besondere gruppe zu bilden, der dritte jener titel

bezieht sich auf das jenseitige leben, von dem ersten und

zweiten ist wenigstens ein gleiches sehr wohl möglich; dasz

endlich H e p l q>uaeu<; dasselbe werk war, welches bei Cicero

de nat. d . I 13,32 physicus heiszt und die lehre von gott

enthielt, bezweifelt heute wohl niemand, es ist also wohl

keine zu kühne V e r m u t u n g , wenn ich diese gruppe als die

der teleologischen und eschatologischen werke bezeichne,

der achte und neunte band endlich umfaszte die Homerischen

S c h r i f t e n , und zwar in sehr systematischer folge, derge-

stalt dasz die allgemeinern inhalts den anfang machten und

dann die über die Ilias, im neunten aber die weit zahlrei-

chern über die Odyssee sich anschlössen , und zwar allem

- 129 -

anscheine nach durchweg nach der abfolge der partien in

beiden gedichten, auf welche sie sich bezogen, was konnte

nach diesem allem für den zehnten und letzten band, in

welchem sich auch der Archelaos befand, noch übrig bleiben?

ich dächte, man könnte schon von vorn herein keine andere

antwort geben als: ein anhang unechter oder wenigstens 2 6

zweifelhafter und unechter schriften."

Dieses Urteil, das nahezu einhelligen Beifall gefunden

hat, trifft im großen und ganzen das Richtige, bedarf aber

einiger Korrekturen.

Susemihl glaubt, am Anfang des zweiten TOHO<; Schriften

physischer Thematik feststellen zu können. Aber die Titel

f l E n l TO I&OTTO i i a< ; ri i t e p i Y A N O U e p u T i n ö c ; ( I I 2 ) u n d r i E p i

TÜSV a o q u a x C v c p u a l o y v u j i o v I H O C (II 3) tragen unverkennbar ethi

sches Gepräge, und der Titel L.ECL Ü.'XJV ?UOE<J<; (II 1), der

beiden vorausgeht, bezeichnet schwerlich ein zoologisches

Werk, wie es Aristoteles in seinem Buch I'EOI Jiyuv T O T O P I A

hinterlassen hat, sondern vielmehr eine gleichfalls ethische

Schrift, in der das Tier in seiner unverdorbenen Natürlich-

keit als Vorbild für den Menschen hingestellt wurde, wie

es später bei Kynikern und Stoikern, wahrscheinlich aber

auch schon bei Antisthenes der Brauch gewesen ist, worüber

noch genauer zu reden sein wird. Es standen demnach auch

26) Idealstaat des Antisthenes etc., a.a.O., S. 207 f. (die Anmerkungen sind weggelassen, um das Zitat zu kürzen). -Ähnlich, wenn auch weniger dezidiert, urteilten schon früher Deycks, De Antisthenis Cynici vita et doctrina, a.a.O., S . 12 ff.; Chappuis, Antisthene, a.a.O., S . 23 ff Mueller, De Antisthenis Cynici vita et scriptis, a.a.O., S . 34 ff.; Mullach, Fragmenta Philosophorum Graecorum, a.a.O., S . 269 ff. V g l . später bes. Natorp, Antisthenes, a.O., Sp. 2541 f., sowie H . Lulolfs, De Antisthenis stu-diis rhetoricis, Diss. Amsterdam 1900, S. 2 ff., der Suse mihi fast wörtlich ausschreibt. - Zu kurz greifen die Be-merkungen bei Caizzi, Antisthenis Fragmenta, a.a.O., S . 77 f.

- 130 -

im zweiten TO^OC; ausschließlich Schriften ethischer

Thematik, nicht anders als es im dritten, vierten und

fünften der Fall ist, so daß sich ein einheitlicher

Block zu vier TO^IOI ergibt, die allesamt ethische

Schriften enthalten.

Größere Schwierigkeiten bereitet dem Verständnis die

Anordnung der Titel im siebten T O ^ O I; . Die Titel nepi xou

öcno-9avetv (VII 2 ) und Kepi Surfc nai davatou (VII 3 )

erscheinen innerhalb desselben zo\ioc, weiter unten noch

einmal in derselben Reihenfolge (VII 7,8); diesmal an

der richtigen Stelle, wie der nachfolgende Titel nepi TWV ev "Ai&ou (VII 9) lehrt, der thematisch eng mit den

beiden erstgenannten Titeln zusammenhängt. Susemihl konn-

te von dieser Dittographie nichts wissen, weil ihm keine

kritische Ausgabe des Textes vorlag; gesetzt aber, er

hätte davon gewußt, so hätte ihn auch diese rein mecha-

nische Störung der Überlieferung nicht berechtigt, so

weitreichende Umstellungen im überlieferten Text vorzu-

nehmen, wie er vorschlägt. Es ist ohne weiteres zuzugeben,

daß jene fünf Titel von nepi TOÜ änoSaveiv (VII 7) bis

'fipuTrina nepi ipuaewt; a', eptoTTina nepi cpuceui; ß' (VII 11) ,

die man im Übrigen eher als physische oder ontologische

denn als teleologisch-eschatologische bezeichnen sollte,

den Zusammenhang der dialektischen Titel, die vorausgehen

und folgen, zu stören scheinen. Aber der letztgenannte

Titel (VII 11) läßt in der Formulierung eputTina immerhin

deutlich auch dialektische Problematik erkennen, und bei

den vier vorausgehenden Werken mag es sich ähnlich verhal-

ten haben, ohne daß es sich dort an den Titeln ablesen

ließe. Wie denn überhaupt festzuhalten ist (worüber eben-

falls noch genauer zu reden sein wird),daß bei Antisthenes

Dialektik und Physik, bzw. Ontologie auf das engste zu-

- 131 -

sammenhängen. So hatte es in jedem Fall einen guten Sinn,

die Schriften dialektischer und ontologischer Thematik

im sechsten und siebten -ro oc; zu einer Einheit zusammen-

zufassen .

Der zehnte to|io<; fällt aus der klaren inhaltlichen

Gliederung heraus, weil er ethische Schriften enthält,

wiewohl der Katalog Schriften dieser Thematik bereits im

zweiten bis fünften TO^OC einen Platz angewiesen hat.

Susemihl war der Ansicht, es handele sich hier um einen

Anhang unechter oder doch zweifelhafter Schriften: "Wer

das nicht zugeben will, der erkläre doch erst, warum alle

diese Schriften nicht unter die ethischen gestellt waren,

unter welche sie doch dem Inhalt nach gehörten, sondern

einen eignen anhang bildeten, wenn nicht eben deshalb,

weil man sie nicht für wirkliche werke des Antisthenes 27

hielt." F . Dümmler, 'Akademika', hat sich um eine sol-

che Erklärung gemüht: "Wie, wenn ein Bibliothekar in den

neun Bänden die systematisch geordnete Bibliothek eines

Philosophen erwarb, welchem es in erster Linie auf den

dogmatischen Lehrgehalt ankam, und nun noch einige dort

fehlende Schriften populären Inhalts aus anderer Quelle

erworben, in einem zehnten Bande zusammenfaßte? Oder wenn

der zehnte Band von einem Grammatiker zusammengestellt

war in Rücksicht auf die reine Atthis? Dann mußte ihn

jeder Bibliothekar anschaffen wegen der recensio, selbst

wenn, was sehr wahrscheinlich ist, seine Dialoge zum

grossen Theil auch schon in den andern Bänden erhalten 28

waren." Diese höchst komplizierten Überlegungen haben

27) A.a.O., S. 210. - Ebenso urteilt vor allem auch Wila-mowitz, Platon, 2. Bd., a.a.O., S. 26: "... im zehn-ten Bande, der nicht ohne Grund im Verdacht steht vo«a zu enthalten."

28) Glessen 1889, S . 13 f.

- 132 -

jedoch ungleich weniger Wahrscheinlichkeit für sich als

Susemihls einleuchtende Hypothese, für die sich eine

Reihe beweiskräftiger Argumente geltend machen läßt.

Susemihl selber hat darauf hingewiesen, daß sich zwei

jener drei Schriften, die Persaios für Fälschungen des

Pasiphon erklärte, im zehnten TOHOC wiederfinden: der

' AXKI;j ia&rK (X 6) und der 'HpctviXffc 6 IXaaouv (X 1 oder 2).

Diese Ubereinstimmung ist schwerlich zufällig, sie erweckt

vielmehr den Eindruck, als sei der zehnte TOnot des Kata-

logs nicht ohne Rücksicht auf das Verwerfungsurteil des

Persaios zusammengestellt worden. Es finden sich weitere

Merkwürdigkeiten. Am Anfang des zehnten TOHO<; stehen zwei

Titel, die von Herakles handeln: 'HpaKAffc; neu Mt&ac (X 1)

u n d I'pocHJirft; r] n e p i cppovi^aeui; n a i taxucx; (X 2) . D i e s e

Doppelheit von Titeln derselben Thematik erscheint ver-

dächtig; und dies umso mehr, wenn man bedenkt, daß im

vierten TO^O; noch einmal ein Titel 'HPOCKXTK o (iei!;uv nepi Icjxuor, (IV 2) begegnet. Mag Antisthenes die He-

raklesthematik auch besonders am Herzen gelegen haben,

so erscheint es doch kaum glaublich, daß er das eine Thema

dreimal in verschiedenen Schriften behandelt haben sollte.

Wie es denn auch unerfindlich bleibt, wie von einem klei-

neren und einem größeren 'KpomMK die Rede sein konnte,

wenn es deren insgesamt drei gab. Der Verdacht liegt

nahe, daß es sich zum mindesten bei einem der beiden ge-

nannten Titel im zehnten TO^OC um eine apokryphe Dublette

gehandelt hat, in der das Thema dieser berühmten antisthe-

nischen Schrift noch einmal auf eigene Weise abgehandelt

wurde. Und schließlich: Daß unechte oder zweifelhafte

Schriften an den Schluß verwiesen werden,entspricht aufs

beste der antiken Editionspraxis, wie sie etwa auch beim

Katalog der xenophontischen Schriften (Diog. Laert, 2.56-57)

oder im Corpus Platonicum (Diog. Laert. 3.57-62) zu beobach-

- 133 -

ten ist.

Es kann nach alledem kaum ein Zweifel darüber bestehen,

daß Susemihl Recht hatte, wenn er vermutete, der zehnte

•toiioc, enthalte Schriften, die der Herausgeber für unecht

oder zweifelhaft angesehen habe. Wenn sich diese wohlbe-

gründete Ansicht in der Folgezeit dennoch nicht überall

hat durchsetzen können, so vor allem deshalb, weil Suse-

mihl das kritische Urteil des antiken Herausgebers unbe-

denklich übernahm und kurzerhand alle Schriften des zehnten

TOJJ.O<; für unecht erklärte. Aber die Athetesen der antiken

Echtheitskritik sind grundsätzlich mit Vorsicht aufzuneh-

men und bedürfen genauer Überprüfung. Wie sich denn auch

wahrscheinlich machen ließ, daß das Verwerfungsurteil des

Persaios (frg. 6 C.), das der Herausgeber sich zu eigen

gemacht zu haben scheint, eher auf subjektiv-polemische

denn auf kritisch-objektive Gründe zurückzuführen ist.

Faßt man alles zusammen, so läßt sich die inhaltliche

Gliederung des Katalogs im Schema folgendermaßen darstellen

y v i c i a Thema TO|IO<;

Rhetorisch I

Ethisch/Politisch II III IV V

Dialektisch/Ontologisch VI VII

Poetologisch VIII IX

än<j>iaßr)Tou^Eva

Ethisch/Politisch X

Es stellt sich die Frage, welche Gründe den antiken

Herausgeber bewogen haben mögen, gerade diese inhaltliche

Gliederung zu wählen. Die antike Uberlieferung (frg.

125-128 C.) berichtet, Antisthenes sei Schüler des Gorgias

- 134 -

gewesen und habe selber Unterricht in Rhetorik erteilt,

bevor er, durch seine Bekanntschaft mit Sokrates, zur

Philosophie gefunden habe. Der Herausgeber dürfte diese

Tradition, die nachweislich auf Hermipp (frg. 127 C.),

wahrscheinlich sogar auf Satyros (frg. 128A C.) zurückgeht,

gekannt haben, und so mochte er die rhetorischen Schrif-

ten an den Anfang seiner Ausgabe gestellt haben, weil er

des Glaubens war, sie repräsentierten das gorgianisch-

rhetorische Frühwerk des Antisthenes. Was das sokratisch-

philosophische Hauptwerk des Antisthenes betrifft, das

den weitaus größten Teil der Schriften umfaßte, so scheint

sich der Herausgeber entschlossen zu haben, die ethischen

Schriften an die erste Stelle zu setzen, weil er der Mei-

nung war, die Ethik bilde das Kernstück der antisthenischen

Philosophie, hierin ebenfalls in Übereinstimmung mit der

biographischen Überlieferung, wie sie vor allem bei Dio-

genes Laertius 6.1-19 Niederschlag gefunden hat. Wie denn

die ethischen Schriften auch rein zahlenmäßig das Über-

gewicht haben. Kamen die ethischen Werke an den Anfang

der Philosophica zu stehen, so ergab sich von selbst, daß

die dialektisch-ontologischen Schriften an die zweite

Stelle rücken mußten, obwohl sie, da sie die Grundprinzi-

pien der antisthenischen Philosophie enthielten, ihrer-

seits ebenfalls Anspruch auf den ersten Platz gehabt hät-

ten. Die poetologischen Werke ließ der Herausgeber dann

an dritter Stelle folgen, weil hier die ethische und

wohl auch die dialektisch-ontologische Problematik, die

in den vorausgehenden Schriftengruppen behandelt wurde,

noch einmal diskutiert wurde, diesmal vor allem am Bei-

spiel der homerischen Dichtung. Den Abschluß bildeten

schließlich, wie allgemein üblich, jene Schriften, die

der Herausgeber für unecht oder zweifelhaft hielt, sei es

daß er sich hierbei auf das Urteil anderer verließ, sei

- 135 -

es daß er selber eine kritische Auswahl treffen zu können

glaubte. Man wird nach alledem nicht leugnen können, daß

die inhaltliche Gliederung der antisthenischen Werke mit

Umsicht und kundiger Hand durchgeführt ist und so dem Sach-

verstand des Herausgebers ein gutes Zeugnis ausstellt.

Es hätte nahegelegen, die fünf Themenkreise Rhetorik,

Ethik, Dialektik, Poesie und Spuria, in die die antisthe-

nischen Schriften eingeteilt sind, mit erklärenden Über-

schriften zu versehen und hierbei haltzumachen. So wäre

ein Katalog entstanden, wie jener des Herakleides Ponti-

kos (Diog. Laert. 5.86-88), wo die inhaltlichen Themen-

gruppen die Uberschriften 'HÖLHCC, SUCUKIX, rpa|I|iaT Uta, Mou-

aivta, 'PriTopina u n d ' IaTopina t r a g e n . D e r H e r a u s g e b e r

des Antisthenes ist einen anderen Weg gegangen. Er hat

auf erklärende Überschriften verzichtet und stattdessen

die thematisch fünffach gegliederten Schriften noch ein-

mal in zehn xoiioi unterteilt, dergestalt, daß die rheto-

rischen und die zweifelhaften Schriften jeweils auf einen

TOIIOQ entfallen (I und X) , während die dialektisch-onto-

logischen und die poetologischen Schriften auf jeweils

zwei (VI, VII und VIII, IX), die ethisch-politischen

Schriften auf vier (II, III, IV, V) T O H O I zu stehen kom-

men. Auch diese Einteilung ist nicht ohne Bedacht vorge-

nommen. Im Falle der Rhetorica und der Spuria deckt sich

die T O H O C -Gliederung mit der Themeneinteilung. Bei den

Ethica enthalten die beiden ersten TO I IO I ( I I , III) die

Schriften allgemeiner Thematik, die beiden folgenden

T O H O I (IV, V) führen jene Schriften, die bestimmten Per-

sonen gelten. Der erste TOH-OC; (VI) der Dialectica umfaßt

die im engeren Sinne dialektischen Werke, während der

folgende TO^OI; (VII) die dialektisch-ontologischen Titel

enthält. Bei den poetologischen Schriften schließlich

stehen im ersten TOI_LO<; (VIII) die allgemeinen und zur

- 136 -

'Ilias' gehörenden Schriften, während sich im folgenden

xop.oc (IX) die Schriften zur 'Odyssee' finden.

Läßt die xoiioc, -Gliederung einerseits die Absicht er-

kennen, die thematisch-inhaltliche Gliederung der Schrif-

ten, wenn auch nach unterschiedlichen Gesichtspunkten, zu

verfeinern und zu präzisieren, so wirft sie andererseits

auch eine Reihe von Problemen auf. Warum fiel im Falle

der Rhetorica und der Spuria die xoy.oc; -Einteilung mit

der Themeneinteilung zusammen, während die ethisch-poli-

tischen, die dialektisch-ontologischen und die poetolo-

gischen Schriften durch die TOH°<; -Gliederung jeweils mehr

fach unterteilt wurden? Warum zerfielen die Ethica in

vier, die dialektischen und die poetologischen Schriften

aber nur in jeweils zwei TO ^OI ? Warum ist die Anzahl der

Titel in den einzelnen to^oi so unterschiedlich, daß sich,

bei einem Mittel von ungefähr 6,5 Titeln pro TOHOC , in

tohoi; IV und V nur jeweils zwei, in Top.o<; VII und IX je-

doch jeweils elf Titel finden? Alle diese Fragen hängen

letztlich von der Beantwortung der Frage ab, wie man

sich die TOIJOI der Antisthenesausgabe konkret vorzustel-

len hat.

Die Buchwissenschaft hat nicht weniger als vier ver-

schiedene Lösungsvorschläge zur Beantwortung dieser wich-

tigen Frage vorgebracht.

F . Ritsehl, 'Die Alexandrinischen Bibliotheken unter

den ersten Ptolemäern', bemerkt: "Ein anderer Ausdruck,

TOJIOC, wird in ganz verschiedener Bedeutung von verschiede

nen Schriftstellern gebraucht ... für Bände, Teuxn , von

Diogenes, VI 15: t p e p o v T a i 6 ' au-uoü ( 'AVT IOÖEVOUC;) a u Y Y p a n n « T A ,

TOM.01 beita ... Schriftenverzeichnisse nach TO ^OI , wie

vom Antisthenes, mögen übrigens zuerst von Pergamum ausge-

- 137 -

gangen sein."

Diese Auffassung läßt sich nicht halten. C.H. Roberts,

'The C o d e x '3 0

, hat nachgewiesen, daß die Kodexform des

Buches erst im zweiten nachchristlichen Jahrhundert häufiger

begegnet und sich für heidnische Literatur sogar erst

im vierten Jahrhundert allgemein durchsetzt. In der vor-

ausgehenden Zeit ist die Rolle die vorherrschende Form des

Buches, auch in Pergamon, wo als Neuheit Pergamentrollen,

nicht Pergamentkodizes eingeführt wurden. Anders als in

Rollenform kann man sich demnach die vorliegende Ausgabe

der antisthenischen Schriften, die wahrscheinlich in helle-

nistischer, allerspätestens in frühkaiserzeitlicher Zeit

entstanden ist, in keinem Fall vorstellen.

Akzeptiert man, daß die antisthenischen Schriften in

Rollenform ediert wurden, so ergeben sich für die co^oi

der Ausgabe zweierlei Erklärungsmöglichkeiten: Entweder

war ein TOIIOC identisch mit einer Papyrusrolle, oder er

stellte eine konvolutartige Zusammenfassung mehrerer Rol-

len d a r .

A . Menagius, 'Observationes in Diogenem Laertium', war

ersterer Ansicht:"rößoc autem hic nihil aliud est quam

xaptTi<; . Folgt man dieser Annahme, so ließe sich der

Umfang des antisthenischen Gesamtwerks auf umgerechnet

29) In: F . Ritsehl, Kleine Schriften, 1. Bd., Leipzig 1866, S . 111 f. - Ebenso urteilen u.a. Mueller, a.a.O., S. 33 f.; Mullach, a.a.O., S. 269.

30) Proceedings of the British Academy 40 (1954) S . 169-204, wo weiterführende Literatur verzeichnet ist. Vgl. außer-dem auch die Literaturangaben in Anm. 19.

31) In: Commentarii in Diogenem Laertium, hrsg. von H.G. Huebner, 2. Bd., Leipzig 1838, S. 10. - Vgl. u.a. auch Blass, Attische Beredsamkeit, 2. Bd., a.a.O., S. 336, A n m . 2: "einzelne Papyrusrollen".

- 138 -

1000-1200 Druckseiten eines Oxford-Textes berechnen,

wenn man voraussetzt, daß es sich um größere Rollen von

jeweils 100-120 Druckseiten Umfang gehandelt habe, wie

sie etwa auch für den platonischen 'Phaidon' oder den

'Gorgias' vorauszusetzen sind. Das wäre immerhin ein re-

spektables Oeuvre, das sich an Umfang nahezu mit Xeno-

phons Opera omnia messen könnte. Und doch ergeben sich bei

näherem Hinsehen Schwierigkeiten. Antisthenes hat mehr als

sechzig Werke verfaßt, und bei einem Gesamtumfang von

1200 Druckseiten könnte jede Schrift im Mittel günstig-

stenfalls zwanzig Druckseiten umfaßt haben, ungefähr so

viel wie der platonische 'Kriton'. Dieser bereits groß-

zügig berechnete Durchschnittswert für den Umfang eines

antisthenischen Werkes erscheint jedoch in jedem Falle

entschieden als zu gering, auch wenn man in Rechnung

stellt, daß die Deklamationen A"a<; (i 2) und 'o&uaaeut;

(I 3), die zusammen kaum fünf Druckseiten umfassen, die-

sen Durchschnitt unterschreiten. Noch schwerer wiegt ein

zweiter Einwand, in den toiioi Ii, vi und vor allem VII

finden sich einige Titel, die Zahlenangaben tragen: nepl

6 IKOS IOOUVTK xal av6peia<; nporpen-r IHO<; npürtoc,, beuTepo;, Tpi-

TO<,, nepl eeofviboc; 6'e' (II 4); Ea-3uv (rj) nepi toü avii-

Aeyeiv a'ß'y' (VI 3); nept naibeia«; ri nepi ÖVOHOTWV a'

ß'f'b'e' (VII 1); nepi 6OE,TK uai SnioTiiHTK a'ß'-y'

6' (VII 6); nepi <pucjecj<; a ' ß' (VII 10); ' Epuxr\fi.a nepi

qjuaeuc a', epcjxrma nepi tpuoeuc; ß' (VII 11). Läßt man

die Gleichsetzung von TOHOC; und Rolle gelten, so können

diese Zahlen hier nicht, wie in ähnlichen Verzeichnissen

üblich, die Einteilung eines Werkes in so und so viele

Buchrollen anzeigen, sie müßten vielmehr Abschnitts- oder

Kapiteleinteilung innerhalb eines Werkes markieren, das

in einer Rolle stand, in der außerdem noch eine Reihe

anderer Schriften Platz fanden. Diese Auffassung ist je-

- 139 -

doch unhaltbar. Ganz abgesehen davon, daß Kapitelein-

teilung erst später bei Büchern in Kodexform üblich wird -

auch wenn man voraussetzen dürfte, daß hier bei Rollen-

büchern Kapiteleinteilung statthätte, so geht die Rech-

nung nicht auf. In -co^oc VII begegnen elf Titel, die im

Durchschnitt nicht mehr als elf oder zwölf Druckseiten

Umfang gehabt haben können, so viel wie der pseudoplato-

nische 'Axiochos'. Nimmt man an, daß vier dieser elf

Werke Kapiteleinteilung aufwiesen, dergestalt, daß zwei

Schriften in je zwei, eine in vier und eine in fünf Ka-

pitel eingeteilt wurden, so folgt, daß ein Kapitel im

Durchschnitt günstigstenfalls ein oder zwei Seiten Um-

fang gehabt haben könnte. Es darf als gänzlich ausge-

schlossen gelten, daß der Herausgeber die ohnehin kurzen

Schriften in derart winzige Kleinabschnitte eingeteilt

hätte. So behält Wilamowitz Recht, der anläßlich des

Saöuv (VI 3) bemerkt: "Die Zahlen a ß j hinter dem Ti-

tel können nach der Praxis dieser Verzeichnisse nur Bü-32

eher desselben Werkes bezeichnen." Mit anderen Worten:

Die Gleichsetzung von TO(io<; und Rolle ist unhaltbar.

Am Rande sei in diesem Zusammenhang erwähnt, daß 33

T . Birt, 'Das antike Buchwesen' , die Auffassung ver-

treten hat, es handele sich bei den TOIIOI des antisthe-

nischen Katalogs um Großrollen von 1000 oder mehr Seiten

Umfang. Wäre diese Auffassung richtig, so würden die vor-

stehenden Berechnungen ungleich günstiger ausfallen, auch

32) A.a.O., S . 26.

33) Berlin 1882, S. 449 f.; vergl. ders., Die Buchrolle in der Kunst, a.a.O., S. 19 f.; Kritik und Hermeneutik, a.a.O., S. 274. - Durchschlagende Kritik an Birts Groß-rollenhypothese übte bereits E . Rohde, Göttingsche Gelehrte Anzeigen 127 (1882) S . 1537-1563; jetzt wieder-abgedruckt in: E . Rohde, Kleine Schriften, 2. Bd., Tübingen-Leipzig 1901, S. 428-448. Vgl. außerdem die Literatur in Anm. 19.

- 140 -

wenn immer noch die Nötigunq bestünde, bei Rollenbüchern

Kapiteleinteilung anzunehmen. Allein, Birt hätte seine

Großrollenhypothese, die für das voralexandrinische Buch-

wesen kennzeichnend sein sollte, niemals auf einen Kata-

log anwenden dürfen, der, wie er selber zugibt, erst aus

alexandrinischer Zeit herrührt. Wie denn die Großrollen-

hypothese überhaupt zu so vielen Widersprüchen und Unge-

reimtheiten führt, daß sie heute längst allgemein aufge-

geben ist.

Nach alledem bleibt keine andere Wahl, als die TOHOI

der Antisthenesausgabe als Rollenkonvolute aufzufassen,

das heißt als Zusammenstellungen mehrerer Rollen. In die-

sem Sinne hat sich C . Wendel, 'Die griechisch-römische

Buchbeschreibung, verglichen mit der des Vorderen Orient',

geäußert: "Die TOHOI des Antisthenes können diesen Na-

men also nur deshalb tragen, weil sie Teile eines größe-

ren Ganzen, nämlich der Gesamtausgabe seiner Werke, sind ...

der Kyniker, der die Schriften des Antisthenes gesammelt

herausgab, hatte diese in 10 Gruppen aufgeteilt, und der

Bibliothekskatalog, der die Ausgabe zu verzeichnen hatte,

fügte wie üblich jeder einzelnen Schrift die Zahl der

ßtßXia bei, die der Gewährsmann des Diogenes nur dann

zu übernehmen für nötig hielt, wenn es sich um eine Mehr-

zahl handelte ... In der Sache entsprechen die xo^oi des

Antisthenes etwa den 6 Enneaden, zu denen Porphyrios die

54 Schriften aus dem Nachlaß seines Lehrers Plotin zusam-

mengefaßt hat, und auch die 10 TO ^OI m

i t den Komödien

Epicharms, durch deren Sammlung und Gruppierung Apollodoros

von Athen Porphyrios ein Vorbild gegeben hatte, sind zu-

nächst als sachlich bestimmte Abteilungen gemeint, wenn

auch in diesem Falle jede Abteilung gerade in einer Rolle 34 Platz gefunden haben mag."

34) Halle 1949, S . 52 f. Ähnlich vorher Susemihl, Litteratur der Alexandriner-Zeit, 1. Bd., a.a.O., S. 343. Vgl. Caizzi, a.a.O., S. 77.

- 141 -

So überzeugend die allgemeine Annahme ist, daß der

Begriff -touot; hier nur die mehrere Rollen umfassende Ab-

teilung der Gesamtausgabe meinen kann, so sehr bedürfen

die weitergehenden Einzelerklärungen der Uberprüfung.

Wendel scheint der Ansicht zu sein, daß jedes Werk zum

mindesten eine Rolle umfaßt habe. Da Antisthenes mehr als

sechzig Werke verfaßt hat, von denen sechs noch einmal in

insgesamt einundzwanzig Bücher aufgeteilt waren, so be-

liefe sich das Gesamtwerk auf mehr als 7 5 Rollen oder auf

mehr als 5000 Druckseiten Umfang, die Rolle auf das üb-

liche Maß von 70 Druckseiten gerechnet. Das wäre ein

schier unglaublich umfangreicher literarischer Nachlaß,

nicht weniger als das Doppelte dessen, was Piaton geschrie-

ben hat. Erweckt dieses Ergebnis bereits Bedenken, so

lehrt ein Blick auf die beiden erhaltenen Deklamationen

Ata; (I 2) und 'ObvaoeuQ (I 3), daß die Gleichsetzung

von Werk und Rolle nicht in jedem Falle gegolten haben

kann. Es muß als ausgeschlossen angesehen werden, daß die-

se beiden kurzen Schriften, die zusammen nicht einmal

fünf Druckseiten Umfang hatten, jeweils auf eine eigene

Rolle zu stehen gekommen wären. Dasselbe dürfte zum min-

desten für einen Teil der ethischen Traktate in TOHOC III

und einen Teil der poetologischen Schriften in den to^oi

VIII und IX gelten. Man muß demnach voraussetzen, daß es,

abgesehen von einrolligen und mehrrolligen Werken, inner-

halb der xonoi auch Miszellanrollen gegeben hat, in de-

nen jene Schriften gesammelt Platz fanden, die zu kurz wa-

ren, als daß sie jeweils eine Rolle hätten füllen können.

Da der Herausgeber darauf verzichtet hat, Miszellanrollen

und Einrollenwerke bibliothekarisch zu markieren, läßt

sich beider Anteil am Gesamtwerk nicht bestimmen. Wendel

vergleicht im weiteren die T O J I O I der Antisthenesausgabe

mit den Enneaden Plotins. Auch dieser Vergleich ist mit

- 142 -

Vorsicht aufzunehmen. Die Enneaden Plotins, denen sich

die Tetralogien Piatons und Demokrits vergleichen lassen,

sind größere Werkabteilungen, in denen jeweils die Anzahl

der Einzelwerke konstant war, während der Umfang und so

auch die Bruchzahl schwanken konnte. Bei Antisthenes kann

jedoch keine Rede davon sein, daß jede Abteilung jeweils

dieselbe Anzahl von Werken umfaßt hätte, und wenn der

Begriff ro ioe, , über die bloße inhaltliche Gliederung hin-

aus, einen buchtechnischen Sinn haben soll, so nur den,

daß hier nicht die Anzahl der Werke, sondern, umgekehrt,

die Anzahl der Rollen je Abteilung konstant gehalten wur-

d e . Allein, auch bei dieser Annahme ergeben sich erheb-

liche Schwierigkeiten. In TO OI; VII sind elf Werke ver-

zeichnet, von denen vier, wie die beigefügten Zahlenanga-

ben lehren, auf insgesamt dreizehn Rollen verteilt waren.

Für den Fall, daß die verbleibenden sieben Werke allesamt

auf Miszellanrollen standen, müßte diese Abteilung ins-

gesamt mindestens siebzehn Rollen umfaßt haben. Anderer-

seits enthalten die T O I I O I IV und V jeweils nur zwei Werke,

und da hier Buchzahlen fehlen, können diese Werke jeweils

höchstens den Umfang einer Rolle gehabt haben, so daß die-

se beiden Abteilungen insgesamt jeweils nicht mehr als

zwei Rollen enthalten haben können. Diese beiden Zahlen

differieren untereinander so sehr, daß von einer auch nur

annähernd konstanten Anzahl von Rollen je TO^Oc, offenbar

nicht die geringste Rede sein kann. Davon abgesehen er-

scheint die Anzahl von siebzehn Rollen je TOHCK; als Durch-

schnittswert für die gesamte Ausgabe entschieden als zu

hoch, während zwei Rollen je TOHO<; entschieden zu wenig

Raum einnehmen. Will man einen buchtechnisch plausiblen

Mittelwert von fünf oder sechs Rollen je TOHOI; erreichen,

so müßte man in die Oberlieferung eingreifen. Daß in den

To(ioi IV und V , die die beliebtesten und bekanntesten

- 143 -

Schriften des Antisthenes enthielten, die Buchzahlen im

Laufe der Uberlieferung ausgefallen sind, ließe sich

hören. Allein, in TO IO; VII hätte man immer noch mit

siebzehn Rollen zu rechnen, und wenn man diese Zahl auch

auf fünfzehn reduzieren könnte, indem man die aufein-

anderfolgenden ähnlich lautenden Titel I l E p i cpua£.u< a ' ß '

(VII 10) und 'KpuTTina nepl (puaeuc; aj £p(5xrina rcEpi tpu-

aeu<; ß' (VII 11) miteinander identifiziert, so ver-

bietet sich doch jeder weitere Eingriff in die überein-

stimmend überlieferten Buchzahlen, wenn anders man nicht

den Boden des Wißbaren verlassen will.

So bleibt nichts anderes übrig, als auch diese Hypo-

these aufzugeben und sich bei der Annahme zu beruhigen,

daß die xonoi der Antisthenesausgabe innerhalb der in-

haltlichen Großgliederung des Katalogs gliedernde Unter-

abteilungen darstellen, deren buchtechnische Bedeutung

sich mit unseren Mitteln nicht bestimmen läßt.

d . Titel

Hier stellt sich zunächst die Frage, ob Antisthenes seine

Schriften selber mit Titeln versehen hat, so daß diese

als authentischer Teil des Werkes interpretiert werden

dürften. E . Schmalzriedt, 'Peri physeos. Zur Frühgeschich-

te der B u c h t i t e l '3 5

, hat überzeugend dargelegt, daß die

Prosawerke in älterer Zeit grundsätzlich ohne Titel er-

schienen. Erst gegen Ende des fünften Jahrhunderts, als

die Autoren, namentlich die Sophisten, jeweils eine grös-

sere Anzahl von Büchern verfaßten, denen der jetzt auf-

35) München 1970; dort ein ausführlicher Oberblick über die sehr disparate weiterführende Literatur.

- 144 -

blühende Buchhandel erstmals einen Markt eröffnete,

scheint man angefangen zu haben, auch Prosawerke mit

Titeln zu versehen, wie es, aus praktischen Gründen,

bei Tragödie und Komödie schon länger der Brauch war.

So ist es gewiß kein Zufall, daß es sich bei der früh-

esten Prosaschrift, für die wir wenigstens einen an-

nähernd gleichzeitigen Titel namhaft machen können,um

die 'AXifaem des Protagoras (VS 80 B 1) handelt. Das

erste authentische Titelzitat findet sich bekanntlich

bei Platon, der im 'Politikos' p . 284b

(vgl. 286b

) mit

der Wendung ev TU Eoquaxff unverkennbar auf den Titel

seines früher publizierten Dialogs 'Sophistes' anspielt.

Allein, aus dieser Einzeltatsache darf man, wie E . Nach-

manson, 'Der griechische B u c h t i t e l '3 6

, betont hat, kei-

neswegs folgern, daß Platon alle seine Schriften mit

Titeln versehen habe. Die Variabilität und Instabilität,

mit der später, namentlich bei Aristoteles, die plato-

nischen Schriften zitiert werden, zwingt vielmehr zu dem

Schluß, daß von einer durch den Autor kanonisierten durch-

gehenden authentischen Titelgebung offenbar keine Rede

sein konnte. Was für Platon gilt, gilt, mehr noch, auch

für Antisthenes. Die Überlieferung (frg. 36, 37 C.) will

wissen, Antisthenes habe den EaSwv selber betitelt. Es

ist durchaus nicht sicher, ob diese Nachricht historisch

glaubwürdig ist, aber selbst wenn sie glaubwürdig wäre,

so bewiese sie ebensowenig, daß Antisthenes alle seine

Schriften mit Titeln versehen hat, wie dies das Selbstzitat

36) Göteborgs Högskolas Ärsskrift 47 (1941) S . 5-52, hier bes. S . 10 f. - V g l . außerdem H . Zilliakus, Boktiteln i antik literatur, Eranos 36 (1938) S. 1-42. Eine Über-sicht über die wichtigsten älteren Titel gibt E . Lohan, De librorum titulis apud classicos scriptores nobis occurrentibus, Diss. Marburg 1890.-Eine umfassende neue Untersuchung über Ursprung, Authentizität, Form und Ab-sicht der antiken Buchtitel wäre wünschenswert.

- 145 -

des 'Sophistes' im Falle Piatons beweisen konnte. So

muß dahingestellt bleiben, ob, wie und in welchem Umfang

die antisthenischen Schriften authentische Titel getragen

haben.

Einen kleinen Einblick in die Uberlieferungsgeschichte

der Titel in voralexandrinischer Zeit gestattet Persaios

(frg. 6 C.}, der die Titel 'AA.witi ca&nc;. Kupoe ninpo<;

und 'HpanX-ffc; 4 i^aoauv zitiert. Dieses Zitat, das leider

ganz vereinzelt steht, beweist, daß bereits in der ersten

Hälfte des dritten Jahrhunderts für einzelne antistheni-

sche Schriften bestimmte Titel in Gebrauch gewesen sind

und daß in manchen Fällen ein und derselbe Titel für ver-

schiedene Werke gebraucht wurde, so daß man zur Unter-

scheidung adjektivische Umfangsbezeichnungen hinzusetzte,

um das eine Werk bequem vom anderen unterscheiden zu können.

Auf voralexandrinischen Ursprung weisen auch die ad-

jektivischen Zusatz- und Mehrfachtitel hin, wie sie im

Katalog der antisthenischen Schriften bei einem Drittel al-

ler Titel begegnen. Solche Mehrfachtitel dürften in der

Regel daher rühren, daß die Grammatiker bei der pinako-

graphischen Bestandsaufnahme zwei, bisweilen sogar drei

verschiedene Titel für ein und dasselbe Werk vorfanden,

die sie, wohl aus kritischer Rücksicht, allesamt aufzu-

nehmen für gut erachteten.

Es konnte natürlich auch vorkommen, daß eine Schrift

vorlag, die gar keinen oder einen nichtssagenden Titel

trug. In diesem Falle war die Grammatik gezwungen, Titel

bzw. Alternativtitel oder adjektivische Zusätze selber

zu erfinden. Ob ein Titel voralexandrinischen oder gram-

matischen Ursprungs ist, läßt sich, abgesehen von den oben-

genannten drei Titeln, die Persaios zitiert, im Einzel-

fall nicht mehr ausmachen.

- 146 -

Der Katalog der antisthenischen Schriften (frg. 1 C.),

den der Herausgeber, wie sich wahrscheinlich machen ließ,

aufgrund der Gelehrsamkeit der hellenistischen Grammatik

erstellt hat, zeigt Titel von unterschiedlicher Form und

mannigfachen Variationen.

Aufs ganze gesehen finden sich drei verschiedene

Grundformen von Titeln: Sachtitel, die durch die Präpo-

sition nepi das Hauptthema einer Schrift wiedergeben

(I 1,5; II 1,2,3,4; III 1,2,3,4,5,6,7; VI 2,4; VII 1,2,3,

4,5,6,7,8,9,10,11; VIII 1,2,3,4,5,6,7; IX 1,2,4,5,7,8,9,10,

11); Namentitel, die substantivisch die Person nennen,

von der oder Uber die in einer Schrift hauptsächlich gere-

det wurde (I 2,3; IV 1,2; V 1,2; VI 3; IX 3,6; X 1,2,3,4,

5,6,7); schließlich, gewissermaßen als vermittelnde Zwi-

schenform, substantivische Sachtitel, die Inhalt, Form oder

Absicht einer Schrift schlagwortartig zusammenfassen (I 4;

VI 1; VII 11,12).

Diese Grundformen erscheinen jeweils in mannigfaltigen

Variationen. Die durch die Präposition nepi gebildeten

Sachtitel, die nahezu zwei Drittel aller Titel repräsen-

tieren, drücken teils die Sache (II 1; III 1,2; VI 4;

VII 7,9,10; VIII 1,2,7; IX 2,11), teils die Person (I 5;

VIII 3,5,6; IX 1,5,8,10) aus, von der maßgeblich die Rede

ist, wobei in beiden Fällen auch Doppelbegriffe, meist

gegensätzlicher Art, vorkommen können (III 5; VII 5,6,8;

VIII 4 bzw. IX 4,10). Diese einfachen Varianten können er-

weitert werden. Entweder nehmen sie einen gleichartigen

Zweittitel (I 1; III 3,4; VII 1) oder auch Drittitel (III

6; IX 7) zu sich, der dann durch die Alternativpartikel fi

beigefügt wird, oder sie erhalten einen substantivischen

(VII 13) oder, häufiger, adjektivischen Zusatz (II 3;

III 7; VI 1; VII 4), der das Thema noch einmal genauer prä-

- 147 -

zisiert; einmal begegnet auch ein Doppeltitel mit adjek-

tivischer Beifügung (II 2). Die komplizierteste Variante

dieses Typus bietet schließlich der einigermaßen monströ-

se Titel rfept B I X A T O C U V I I « ; xai ävbpeiai; npoxpenT LMCX; npuxoi;, SeuTSpot;, TptToi;, nepl eeoicviboi; 6' e' (II 4) .

Die Namenstitel, die ungefähr ein Viertel aller Titel

ausmachen, treten einmal in einfacher Form auf (IV 1;

V 2; X 6); es kommt auch v o r , daß zwei Namen nebeneinander

stehen (I 6; X 1) oder auch alternativ aufgeführt werden

(X 3,4) . Eine Erweiterung dieser Varianten geschieht, in-

dem den Namentiteln alternativ ein nepi-Titel beigegeben

wird, der entweder das Thema (V 1; VI 3; X 2,5,7), eine

weitere Hauptperson (IX 3, 6) oder auch die Form der Schrift

(I 2 , 3) nennt; einmal tritt hierzu noch eine adjektivische

Beifügung, die über den Umfang der Schrift Auskunft gibt

(IV 2) .

Die substantivischen Sachtitel schließlich, die knapp

ein Zehntel aller Titel umfassen, erscheinen ebenfalls in

einfacher Form (I 4; VI 1). Auch hier gibt es Erweiterun-

g e n . Hierher gehört der Titel 'EpuTinja nepl ipuaeut a ' , epuTtiixa nepi tpuaeu«; ß ' (VII 11) und der merkwürdige

und vielleicht korrupte Titel Ao£ou ri £p icrt I,K6<; (VII 12).

Endlich ist in diesem Zusammenhang noch auf den Titel

IIpo<; TOv ' IoonpaToui; 'Anaptupov (I 7) zu verweisen, der die

Titelpraxis der Anklagereden aufnimmt.

Es läßt sich nicht mehr mit Sicherheit entscheiden,

wie der große Variantenreichtum und die disparate Vielfalt

der Buchtitel, wie sie der Katalog bietet, zu erklären ist.

Die Wahrscheinlichkeit spricht jedoch d a f ü r , daß die Unbe-

ständigkeit der Titelgebung zum größten Teil aus der vor-

alexandrinischen Epoche datiert, in der die Schriften des

Antisthenes mehr als ein Jahrhundert lang ungeschützt der

- 1 4 8 -

Willkür der Uberlieferung ausgesetzt gewesen sind. Es gab

ja niemanden, der die Bewahrung und wissenschaftliche

Pflege dieses so umfangreichen Nachlasses sich hätte ange-

legen sein lassen; Diogenes und die frühen Kyniker, die

Antisthenes noch am nächsten standen, waren nach Temperament

und geistigem Zuschnitt zu allerletzt geeignet und gewillt,

eine solche Aufgabe auf sich zu nehmen. So zeigt etwa auch

das umfangreiche Verzeichnis der Schriften Demokrits (Diog.

Laert. 9.46-49), die ebenfalls lange Zeit ungeschützt um-

liefen, eine überaus große Vielfalt und Unbeständigkeit

der Titel, während der Katalog der platonischen Schriften

(Diog. Laert. 3.58-61), denen die Akademie früh eine sorg-

fältige Pflege angedeihen ließ, eine bis ins Letzte durch-

geführte systematische Ordnung in der Titelgebung aufweist.

Demgegenüber wird man die Störungen, die der Katalog

der antisthenischen Schriften im Laufe der Überlieferung

erlitten hat, eher gering ansetzen. Abgesehen von einigen

paläographisch leicht erklärbaren Auslassungen, Verschrei-

bungen oder Wiederholungen, von denen in jedem Einzelfall

zu reden sein wird, fällt in diesem Zusammenhang vor allem

auf, daß die beiden Titel 'HpaKAiK ö eAaaauv und Küpo<;

Hixpcx;, die schon die voralexandrinische Überlieferung

(frg. 6 C.) kennt, im Katalog fehlen. Dies ist besonders

auffällig im Falle des 'HpauXfii; . Wenn der Katalog einmal

den Titel ' HpanÄrK o HEI^UV ri nepi taxuoc (IV 2) bietet,

so erwartet man, dementsprechend auch einen Titel des Typs

'HpocnA.ffi; 6 tXauouv vorzufinden. Stattdessen gibt der Ka-

talog die beiden Titel "HpanXtK fi "epl q>povnaeu<; Mal ia-

(X 1) und 'HpanXfit; xai Mtöai; (X 2). Dieser Be-

fund befremdet doppelt: nicht nur, weil der erwartete Ti-

telzusatz 6 ikaoaiav fehlt, sondern, mehr noch, weil der

überlieferte Zusatztitelö nei^uv im Grunde sinnlos wird,

da von einer "größeren" Schrift eines Titels nicht gut

- 149 -

die Rede sein kann, wenn es hierzu nicht nur ein einziges,

"kleineres" Pendant gegeben h a t , sondern deren zwei. Daß

es hier in der Tat mit der Überlieferung nicht seine Rich-

tigkeit haben kann, lehren die beiden Alternativtitel ri rteoi

laxuoc (IV 2) und ri repi (ppovnceox; xctl inxuoi; (X 1) . Daß

die "größere" Heraklesschrift lediglich über die Stärke

gehandelt haben sollte, während eine andere, jedenfalls

weniger umfangreiche Schrift gleichen Titels über die Stär-

ke und Einsicht handelte, erscheint wenig wahrscheinlich.

Wie denn überhaupt das Thema "Stärke" als Thema des ' Hpavaffi;

6 entschieden als zu eng erscheint und nachgerade

nach jener komplementären Ergänzung durch das Thema "Ein-

sicht" verlangt, wie sie der Titel X 1 bietet. Offenbar

liegt hier eine tiefergehende Störung der Oberlieferung v o r ,

deren Ursache sich nicht mehr ergründen läßt. Womöglich

repräsentieren die beiden Titel 'HpauAffc; o pei^wv rj nepi

laxuo<; (IV 2) und 'HPOMXRK r\ NEOL >T-POVIIAEUT; «at ic-

(X 1) ein und dieselbe Schrift, deren Originaltitel

'HpaMA.ff(; ö HE iCuv r) nept cpoovnccwc, Kai Icy^uoc, lautete und

im Katalog irrtümlich doppelt aufgeführt wurde und so in

der Überlieferung jeweils eine andere Verkürzung erlitt.

In diesem Falle wäre der ' HpcmXrfc i EACXOCTCÜV der indirek-

ten Überlieferung (frg. 6 C.) mit dem Titel ' HpauXfit; nal

Mi&ac; (X 2) zu identifizieren.

Wenn der Katalog im Falle des ' HpaxXiK identische Ti-

tel durch adjektivische Größenangaben differenzierte, so

dürfte dies auch im Falle des Küpo<; gegolten haben. Die

Oberlieferung hat hiervon allerdings keine Spuren hinter-

lassen; sie bietet die Titel Küpo<; ( i v 1) und Küpoc; ri nepi

ßaaLXElax, (v 1) ohne jedwede differenzierende Größenangabe.

Daß der erstgenannte Titel, der mit dem "größeren" ' HpaxXfK

in demselben TOHOC steht, die umfangreichere Schrift re-

präsentiert, während der Titel KOpoc ^ "Epi ßaaiAeiat; (V 1)

- 150 -

mit dem Küpoc, nvtcpoc; der indirekten Überlieferung

(frg. 6 C.) identisch ist, liegt auf der Hand. So liegt

die Vermutung nahe, daß der auffällig kurze und informati-

onsarme Titel Küpoc (IV 1), dem folgenden 'HpanArK -Pendant

entsprechend, im Katalog ursprünglich den Zusatz o Meyac

oder b HEICWV samt folgender Themaangabe trug.

Mit diesen Überlegungen ist die Grenze des Vermutbaren

bereits erreicht. Hier gilt es innezuhalten, um nicht Ge-

fahr zu laufen, die rezeptionsgeschichtlich bedingte In-

konstanz und Inkonsequenz der Titelgebung, wie sie der Ka-

talog bietet, durch willkürliches Systematisieren künst-

lich zu glätten und so gewaltsam zu ändern und zu ver-

fälschen.

Die indirekte Überlieferung, die erstaunlich reich-

haltig ist, bestätigt im großen und ganzen die Titelgebung

des Katalogs, wenn auch die Zitate im Einzelnen von höchst

unterschiedlicher Form und Genauigkeit sind.

Eine Reihe von Titeln werden exakt in der Form aufge-

führt, wie sie auch der Katalog zeigt. So zitiert Persaios

(frg. 6 C . ) den Titel 'AXnißia&Ti<; (x 6); Herodikos (frg.

34, 42 C . ) bietet die Titel ' Kanaaia (v 2) und 'ApxeXaoc

(X 7); Phrynichos (frg. 1o C . ) führt den Titel nepi 'o&va-

aeiac (IX 1) auf; Diogenes Laertius (frg. 7 C . ) schließlich

gibt den Titel 'AXfiaeia (VI 1) durch die präpositionale

Wendung ev "rff 'AXriSeia w i e d e r . Ebenfalls in genauer Uberein-

stimmung mit dem Katalog zitieren Herodikos (frg. 37AB C . )

und Diogenes Laertius (frg. 36 C . ) den Titel EaSuv (V I 3

) .

jedoch ist hier die Überlieferung des Katalogs dahingehend

zu korrigieren, daß der folgende Titel als Alternativti-

tel des vorhergehenden Titels erscheint: EaOuv (ri) nepi TOÜ ävTiXeyeiv a'ß'y'.

Das letztgenannte Beispiel leitet Uber zu jenen Titel-

- 151 -

Zitaten, die die Katalogtitel zwar korrekt, jedoch, wie

in antiker Praxis üblich, in handlich verkürzter Form

wiedergeben. Der C o d . Palat. 88 (X) zitiert in der super-

scriptio den Titel Atac, r} Alavxoc; koyoc, (I 2) als AIOK;,

den Titel '06uoaeü<; fi fnepl] '06UOO£OJ(; (koyof,} (I 3) als

'O&uacreut; ; Athenaios (frg. 16 C.) gibt den Titel nepl tüv OCXJHOXWV IPUA T OYVUHOV LKOQ (II 3) durch die Wendung EV

T? q>uai.o-rvu(ioviMÜ wieder; derselbe Athenaios (frg. 17 C.)

und Pollux (frg. 18AB C.) führen dementsprechend den Titel

Ilept 6 tuet ioauvT)<; «at äv6peta<; rcpoxpEirt IKO<; npüxoc;, SeuTEpot;,

Tp iioc,, nepl eeöyviboQ b' E' (II 4) durch die Wendung EV Tip itpoTpEnx IHS a n .

Abgesehen von diesen präzisen Zitaten finden sich in

der indirekten Uberlieferung auch freiere Umschreibungen

der im Katalog aufgeführten T i t e l . Aelius Aristides (frg.

41 C.) paraphrasiert den Titel IlEpl oivou xpvo^ac, f) nepl

ueÖTK ri nEpi TOU KUHA.WTCO(; (IX 7) mit den Worten: ... xo

ßlßAiov ... E&OHEI EIVOU ' AVT IO-9EVOU<; nEpi XP^OE^C I e<P£pev bk

EIc, olvov. Herodikos (frg. 43 C.) bezeichnet den Titel

nepl vopou rj nEpi noXiTEiat (III 4) umschreibend als no\i

X IH&<; &iaXoyo<; ; dementsprechend geben Philodem (frg.

39A C . ) , Cicero (frg. 39B C.) und Laktanz (frg. 39E C.)

den Titel NSPI <J>UOEW<; A' ß' (VII 10) adjektivisch umschrei

bend als yvoiyioc, b z w . als "physicus" wieder. Schwerer als

diese leicht erklärbaren Zitatabweichungen wiegt es, wenn

Diogenes Laertlus (frg. 7 C.) einmal den Titel nepi 6i-

MaioouvT|<; Hat av&pEiat; npoxpenx ixot; npCxoc, &Eux£po<; , xpixo <;,

nepl eeoyvibot; 6' E' (II 4) durch den Ausdruck EV XOK npoxpErtxuot<; wiedergibt. Der Sprachgebrauch erklärt

sich wohl so, daß diese Schrift, wie der vollständige Ti-

tel zeigt, offenbar in zwei voneinander deutlich geschie-

dene Teile zerfiel, deren einer Uber Gerechtigkeit und

Tapferkeit handelte, der andere über Theognis, so daß man

- 152 -

das G a n z e , wenn man w o l l t e , auch pluralisch als eine

Mehrzahl protreptischer Schriften betrachten konnte.

Einen Fall für sich bilden schließlich die Titel vom

Typ ' HpaMÄrf«; und KCpoq , deren genaue Bestimmung und

Unterscheidung im Katalog so große Schwierigkeiten berei-

tete.

Diogenes Laertius (frg. 19 C.) gebraucht einmal die

Wendung 6ta toO HeyaXou 'HpauXEour, , w o b e i er ohne Frage

jene Schrift im Auge hat, die der Katalog als 'Hpav.Affc &

heu'UV fi üEpi (I v

2) aufführt. Dasselbe Werk dürfte

gemeint sein, wenn Diogenes (frcr. 22, 23 C.) und Ps.-

Eratosthenes (frg. 24AB C.) das einfache Titelzitat iv tw

'HpanXet gebrauchen. Persaios zitiert einmal den Titel

'KpaHXfft; o ^Aaaowv ; dieser Titel, der im Katalog fehlt,

wiewohl er ein notwendiges Komplement zum Titel ' HPOHXTK b IJECL'UV b i l d e t , ließ sich aus überlieferungsgeschicht-

lichen Erwäaungen mit einiger Wahrscheinlichkeit mit dem

Titel 'Hpa^Xfic nat r.u&aq (X 2) identifizieren, während der

Titel 'HpanXrit; ri nepi cppovficrEui; Mal laxuoc (X 1) als

Doublette des Titels 'HpaMXffc ö pxi^wv fi nEpl loxuot;

(IV 2) erschien.

Anders stellt sich die indirekte Oberlieferung dar im

Falle der Küpoq-Titel. Herodikos (frg. 29A C.) bietet das

Zitat £v öa-repu TÜV Kupuv und bezeugt so, in voller Über-

einstimmung mit dem Katalog, daß es zwei Schriften dieses

Titels gegeben hat. Diogenes Laertius (frg. 19 C.) ge-

braucht einmal die Wendung ^LA TOÜ Kupou und Phrynichos

(frg. 10 C.) spricht umschreibend von einem Xoyoc nspi

Kupou; in beiden Fällen dürfte der Titel Küpoc; ( i v 1) ge-

meint sein, der im Katalog vielleicht ursprünglich den Zu-

satz ö HE Cr,uv trug. Persaios (frg. 6 C.) zitiert schließlich

den Titel Küpoc niHpoc ; dieser Titel ließ sich mit eini-

- 153 -

g e r W a h r s c h e i n l i c h k e i t m i t d e m T i t e l Küpor, ri nepi l i a o U s u i ;

(V 1) identifizieren, der im Katalog allerdings ebenso-

wenig eine adjektivische Größenangabe trägt wie sein um-

fangreicheres Pendant.

Abschließend muß von jener Handvoll von Titeln die

Rede sein, die im Katalog fehlen oder zu fehlen scheinen.

Die Stellen bedürfen allesamt genauerer Betrachtung.

Cicero, Epist. ad Att. 12.38 (frg. 13 C.):KYPXA2 mihi sie placuit ut cetera Antisthenis, hominis acuti magis quam eruditi.

Hier hat das griechische Wort KYP£AE Schwierigkeiten be-

reitet und eine Fülle von Verbesserungsvorschlägen her-

vorgerufen. Nur der Vollständigkeit halber sei eingangs

ein Einfall zitiert, den Birt geäußert hat: "Ist dies * 37

vielleicht (nepl ) KIPHTK ?" S. Bosius, 'Animadversiones 3 8

in Epistulas Ciceronis ad Atticum' , schlug vor, den über-

lieferten Text in Küpoc &'e' zu ändern; Cicero habe mit

den Zahlenangaben 6'e' auf die beiden TO^OI IV und V der

Ausgabe verweisen wollen, in denen die beiden Küpen aufge-

führt wurden. Diese Konjektur, die nahezu einhelligen Bei-

fall gefunden hat, ist jedoch keineswegs überzeugend. Wenn

Cicero zwei Schriften im Auge hatte, so ist nicht einzu-

sehen, wieso er das Verbum "placuit" in den Singular ge-

37) Das antike Buchwesen, a.a.O., S. 449, Anm. 1.

38) Antwerpen 1585, S. 171. - Diese alte Humanistenkonjektur hat in der Mehrzahl der maßgeblichen Ausgaben der Atti-cusbriefe Beifall gefunden. Vgl. außerdem u.a. Menagius, Observationes et emendationes in Diogenem Laertium, in: Commentarii in Diogenem Laertium, 2. Bd., a.a.O., S. 10; Chappuis, Antisthene, a.a.O., S . 33, A n m . 2; Mueller, De Antisthenis Cynici vita et scriptis, a.a.O., S . 44; Mullach, Fragmenta Philosophorum Graecorum, 2. Bd., a.a.O., S. 275; zuletzt Humble, Antisthenes' Fragmenten, a.a.O., S. 56.

- 154 -

setzt hat. Diesem Einwand trägt D.R. Shackleton Bailey, 39

•Cicero's Letters to Atticus' , Rechnung, der die Lesung

Küpoc ß' vorschlägt; Cicero habe auf den zweiten Küpot;

in TOHOC V verweisen wollen. Gegen diese wie auch gegen

die vorhergehende Konjektur läßt sich jedoch einwenden,

daß Zahlenangaben hinter einem Titel nach antikem Usus weder

die TOHOI innerhalb einer Ausgabe noch die Rangfolge zweier

Schriften desselben Titels bezeichnen, sondern stets das

jeweils in Frage stehende Buch ein und desselben Werkes.

Außerdem ist es auch kaum glaublich, daß sich Cicero gegen-

über Atticus auf eine so pedantisch-gelehrte Weise ausge-

drückt haben sollte. I. Cazzaniga, den F . Decleva Caizzi, 40 'Antisthenis Fragmenta' , zitiert, hat neuerdings vorge-

schlagen, Küpoc 6E ZU lesen; Cicero habe den Satz grie-

chisch begonnen und sei dann spielerisch ins Lateinische

gefallen. Allein, diese Vermutung ist geistvoller als die

Stelle erfordert und findet überdies an der ciceroniani-

schen Sprachpraxis keine Stütze. Wenn man überhaupt kon-

jizieren will, so empfiehlt sich am ehesten die einfache

und zwanglose Lesung K0po<;. Aber auch für diese Konjektur

gilt, wie für alle anderen, der schlagenden Einwand, den

Wilamowitz vorgebracht hat: "Kyros würde Cicero nicht mit 41 griechischen Buchstaben geschrieben haben.

In der Tat bedarf es keiner Konjekturen, weil es mit

der Uberlieferung seine Richtigkeit hat. Der Name Kupoffc ist ein seltener, aber regelrecht gebildeter Eigenname;

der Komiker Antiphanes (frg. 220 Kock) bezeugt die analoge

Bildung M-riTpfft; . Mehr noch: Der Name kehrt wieder in einer Ge-

schichte, die die Suda s.v. Ewnpa-cric (4 p . 405 Adler) er-

39) 5. Bd., Cambridge 1966, S . 331.

40) Mailand 1966, S . 89.

41) Platon, 2. Bd., a.a.O., S . 27, A n m . 2.

- 155 -

zählt: Kupacü; &E Tic ovopa, Xfo<; to y£vo$, üc auveao|i£voi; £u-

upaTEi, u HO J E u S ^ A A V T i napi T O V -ratpov ovap CXJ-SEIC; ijx i K,\T)CTE v • nai

eu$ü<; SHETVCK; 6.k£ti\evo£V , T O C T O HOVOV anoXauacn; T O Ü <piX.6ao<pou,

Nicht nur, daß hier die Namensform, die Cicero bietet,

auf das genaueste wiederkehrt und so vor allem Verdacht

geschützt ist - die Seltenheit dieses Namens, der nur an

den beiden genannten Stellen vorkommt, legt die Vermutung

nahe, ja zwingt recht eigentlich zu dem Schluß, daß die

Geschichte, die die Suda erzählt, ein kurzes Exzerpt aus

ebenjener Schrift des Antisthenes ist, deren Titel Cicero

zitiert. So, vollkommen überzeugend, Wilamowitz: "Der

Name ... ist selten genug, um damit eine Anekdote zu ver-

binden, die bei Suidas aus unbekannter Quelle am Schlüsse

des Artikels SunpaTiK steht, und in der ein Chier Kupa5<; 4 2

den Sokrates aufzusuchen kommt, ihn aber tot findet.

Antisthenes erzählte demnach, wie der Chier Kyrsas

nach Athen kam, um Sokrates kennenzulernen; in Athen, so

darf man ergänzen, erfuhr er, daß man Sokrates hingerich-

tet habe; voller Trauer legte sich Kyrsas an Sokrates' Gra-

be zum Schlafen nieder,und nun wird ihm die ersehnte Be-

gegnung mit dem verehrten Manne im Traum zuteil; tags da-

rauf reiste er unverzüglich ab. Die Grundtendenz dieser

leider nur sehr knapp überlieferten Geschichte liegt auf

der Hand: Sokrates lebt und wirkt im Tode fort, eine hero-

isierte Gestalt gleichsam,die dem gläubigen Anhänger im

Inkubationsschlafe Erkenntnis und belehrende Unterweisung

schenkt. Man wüßte gerne, in welcher Form Antisthenes diese

eigentümliche Sokratesgeschichte, von der weder Piaton noch

42) A.a.O. - Als erster hat Dittmar, Aischines von Sphettos, a.a.O., S . 63 und 69, A n m . 14, auf die Kyrsasgeschich-te hingewiesen, ohne jedoch den naheliegenden Schluß auf Antisthenes zu ziehen; er hält die Geschichte für entstanden "im Kreise des Herakleides Pontikos".

- 156 -

Xenophon wissen, dargeboten hat. Wilamowitz: "So etwas

paßt besser für den Xoyoc von einer apetfi des Sokrates 43

als für einen Dialog." Allein, das kurze Referat der

Suda kann nicht darüberhinwegtäuschen, daß das Kernstück

der ganzen Erzählung das Traumgespräch zwischen Sokrates

und Kyrsas gewesen ist, in dem, der Situation entsprechend,

von der Problematik des Todes und dem Leben im Jenseits die

Rede gewesen sein dürfte. Ein solches Gespräch aber, dessen

Thematik auffällig an den platonischen 'Phaidon' und den

'Eudemos' des Aristoteles gemahnt, ließ sich ungleich bes-

ser in dialogischer denn in dihegematischer Form darstellen

Abschließend ist darauf hinzuweisen, daß der Katalog

der antisthenischen Schriften von einer Schrift mit dem

Titel Kupaac; nichts w e i ß . Dieser Befund darf nicht über-

raschen; es wäre beim Umfang des antisthenischen Nachlas-

ses durchaus nicht zu verwundern, wenn der Herausgeber die

eine oder die andere Schrift übersehen oder vergessen hätte

43) A.a.O. - Dittmar, a.a.O., S. 63 f., und Wilamowitz, a.a.O., machen auf eine merkwürdige Parallele zur Kyr-sasgeschichte aufmerksam. Epist. Socr. 17.2 berichtet: Ein lakedämonischer Jüngling will Sokrates besuchen; vor den Toren Athens erfährt er, daß Sokrates tot ist; unverzüglich begibt er sich zu Sokrates' Grab, redet mit dem Grabmal,und weint bis ihn der Schlaf übermannt; am Morgen küßt er den Boden, grüßt pietät-voll die Grabstätte und fährt nach Megara zurück. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß diese Geschichte eben-falls auf einen sokratischen Dialog zurückgeht. Wo-möglich erhielt das Original, dessen lebhaften Stil das Exzerpt noch spüren läßt, auch ein Traumgespräch, in dem Sokrates erschien. Daß mehrfach Geschichten in Umlauf waren, die erzählten, wie Fremde Sokrates' Grab besuchen, nachdem sie erfahren haben, daß er tot ist, bezeugt ausdrücklich Libanios, A p o l . Socr. 5 (p. 114, 10 Förster): OTOCV ol £evoi vtaTanXeuai nev £><; auveaonevoi Tav&pl, TeSveuxa 6e supovTEi; £irroCai TOV xa<pov ..

- 157 -

Womöglich verbirgt sich der Titel Kupoät; aber auch hinter

einem der überlieferten T i t e l . Der Katalog bietet in Topot; X folgende Titel: H U P I O C (BP uüpoc; F)r| spc'pevoc (x 3) und

Kupioc (BP HUpo«; F ) T) uaTaanoiio i (x 4 ) . D a ß b e i d e M a l e

die Lesart nupioc als lectio difficilior vor der im übrigen

auch schlechter bezeugten Lesart «upoq den Vorzug haben

m u ß , versteht sich von selbst. Das Wort uupioc; bereitet

jedoch dem Verständnis erhebliche Schwierigkeiten, weil es

als Eigenname, als der es nach Analogie zu den vorhergehen-

den und nachfolgenden Namentiteln verstanden werden m u ß ,

nur spät und schlecht beglaubigt ist. So ist wenigstens die

Frage zu stellen, ob sich hinter der Uberlieferung wupiot;

nicht eine paläographisch leicht zu erklärende Verschrei-

bung des seltenen Namens Kupoäc verbirgt. In diesem Falle

müßte es allerdings zwei Schriften dieses Titels gegeben

h a b e n .

Suda, s.v. 'AVT tadevTK 1 p . 243 Adler j.p. 86 C.) : ouxoc, auveypa\ye TOM-OUC bena- npütov Maymov ( xa l TOV Ma-Y I , H O V coni.Duemmler )• AcpriyeTTai 6e nepl ZupoaaTpou T L V O « ;

payou eüpovTO^ xriv aoqiiav. T O U T O 6e xivet; ' Ap LaToxeXe i (frg, ,32 Rose ), o! 6e 'Po6iu(coni, Bernhardy; po&wvi v e l po6uv c o d d . ) ävaT i.äeaa i v .

H . Dittmar, 'Aischines von Sphettos', urteilt über diese

Stelle folgendermaßen: "der kurze artikel gibt ein Stück-

chen eines antisthenischen Schriftenkatalogs, dieser no-

tierte die ergebnisse der literarischen kritik. er war in 44

anordnung und inhalt verschieden von dem bei Diogenes."

Diese Interpretation, die auf die Uberlieferungsgeschichte

der antisthenischen Schriften ein ganz neues Licht werfen

w ü r d e , hält genauerer Nachprüfung nicht stand. Es ist von

44) Berlin 1912, S . 167, A n m . 14.

- 158 -

vornherein höchst unwahrscheinlich, daß es zwei Ausgaben

der antisthenischen Schriften gegeben haben sollte, die,

wiewohl verschieden, doch übereinstimmend beide den Nach-

laß in zehn TOHOI angeordnet hätten. Nicht minder unwahr-

scheinlich ist, daß der Marinoc, für sich allein den ge-

samten ersten TOM.OC; der Ausgabe beansprucht haben könnte,

wie der Wortlaut der Suda anzunehmen zwingt. Schließlich

bleibt es ganz unbegreiflich, wieso ausgerechnet diese um-

strittene Schrift an den Anfana zu stehen gekommen sein

sollte, wenn doch ä|j.q>iaßTiTouHBv

<* aus gutem Grund stets

am Ende einer Ausgabe Platz finden. Alle diese Schwierig-

keiten lösen sich mit einem Schlag, wenn man annimmt, daß

die Suda dieselbe Ausgabe des Antisthenes im Auge gehabt

hat, die auch Diogenes Laertius (frg. 1 C.) zitiert. Suda

dürfte Diogenes, wie so oft, einfach ausgeschrieben haben.

Es bleibt zu fragen, wie der Marino; in die viele

10(101 umfassende Ausgabe der Werke des Antisthenes geraten

konnte. Die Suda bemerkt zu Anfang des oben zitierten Ar-

tikels: ' A V T IA-8EVR)<; • ' A-SRIVATo; • Anb P T I T O P U V q>iAoaoq>o<; £uxpa-

T IM 6 ; , Ö O T I C Ilep inaTT)T IMO<; ^ H A I ^ T I npwTov, E I T O £ M U V I O E V .

Diesen konfusen Bericht hat bereits J . Jonsius, 'De scrip-

toribus historiae philosophicae', schlagend erklärt:

"... dicendum est duos fuisse Antisthenes philosophos ...

quos Suidas confuderit unum faciens Antisthenem eundemque 45

et Peripateticum et Cynicum." Einen Peripatetiker Anti-

sthenes zitiert Phlegon, De mirab. 3 als Gewährsmann für

allerlei Wundergeschichten, die sich nach dem Siege der

Römer über Antiochos bei Thermopylai zugetragen haben sollen.

45) Frankfurt 1659, S. 40.

- 159 -

46 G.J. Vossius, 'De historicis Graecis' , hat überzeugend

nachgewiesen, daß dieser Peripatetiker identisch ist so-

wohl mit dem gleichnamigen Historiker aus Rhodos, der eine

Geschichte seiner Vaterstadt (FGrHist 508 F 1-2) schrieb,

wie auch mit dem gleichnamigen Philosophieschriftsteller,

der <$ i Aoaötpuv ?-o:5oxa' (FGrHist 508 F 3-14) verfaßte.

Es dürfte demnach in der Quelle der Suda zwei Lemmata ge-

geben haben: ' Avx TOÖEVRN; • ' ASTIVCUCX; • ZUNPA TIKOC; und 'A V T I O S E -

vtk- 'Pobioi;' Hep maxirc iKot. Die Suda hat diese beiden Lem-

mata, wie so oft, kontaminiert, so daß nun dem Sokratiker

Antisthenes zugeschrieben werden mußte, was für den Peri-

patetiker galt. So erhält der Sokratiker den absurden Bei-

namen Hep i naxr|T ivtot; . So gerät auch der Ma^inot; fälschlich

unter die Werke des Sokratikers. Diese Schrift war strittig

zwischen Aristoteles (frg. 33 Rose) und dem Peripatetiker

Antisthenes, dessen Patronymikon 'Poötoi; G . Bernhardy, 47

'Suidae lexicon Graace et Latine' , aus der Korruptel

pobuvi zwingend heraestellt hat. Um das Werk jetzt auch

mit dem Sokratiker in Verbindung zu bringen, wußte man

sich, ungeschickt genug, nicht anders zu helfen, als den

46) Frankfurt 1677; 3. Aufl., hrsg. von A . Westermann, Leipzig 1838, S . 393. - Zu der verwickelten Frage vgl. vor allem Zeller, Uber Antisthenes aus Rhodos,Sitzungs-berichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Jahrgang 1883, München 1883, S. 1067-1073; Susemihl, Litteratur der Alexandrinerzeit, 1. Bd., a.a.O., S. 500; E . Schwartz, Antisthenes von Rhodos, in: Pauly-Wissowas RE 1 (1894) Sp. 2537-2538; zuletzt J . Janda, D'Anti-sthene, d'auteur des Successions des Philosophes, Listy Filologicke 89 (1966) S . 78-91, der die Gesamtproble-matik noch einmal gründlich durchspricht. - Uber die zahlreichen Antistheneshomonyme handeln ausführlich Chappuis, a.a.O., S. 169-171; Mueller, a.a.O., S . 54-58; Mullach, a.a.O., S. 273.

47) 1. Bd., Halle 1853, S. 487. Vgl. Chappuis, a.a.O., S. 170. Anm. 5; Mueller, a.a.O., S. 56 f.

- 160 -

MayiHoc des Peripatetikers mit dem ersten to^o; der

Schriften des Sokratikers zusammenfallen zu lassen. F . Dtimm 48 »

ler, 'Antisthenica' , der die Emendation x a l TSV May inov

vorschlägt, wird dem kompilatorischen Charakter der Stelle

nicht gerecht, abgesehen davon, daß auch nicht einzusehen

ist, wieso der UaymoQ als einziges Werk des Antisthenes

außerhalb der TOHO; -Gliederung der Ausgabe gestanden haben

sollte.

Es kann nach alledem kaum einen Zweifel geben, daß K .

Joel, 'Der echte und der xenophontische Sokrates', diese

Schrift zu Unrecht herangezogen hat, um weitläufig den "Ein 49

fluß des Orients auf Antisthenes" zu beweisen. Der Sokra-

tiker Antisthenes hat niemals ein Buch mit dem Titel MOYIXO ;

geschrieben. Deycks: "Magicus U b e r de Zoroastre sapientiae

inventore ... non est nostri Antisthenis."^0

Weitere Bemer-

kungen über Verfasser, Inhalt und Form dieser interessanten

Schrift erübrigen sich an dieser Stelle.

Diog. Laert. 6.19{p. 87 C.): np&c 6E TOV CPAOHOVTOT w; TA n o U ä aÜTcö ' AVT ICTÖEVT); oux apEaxoi, xPETOV EotpoxAeou«; npoo-evEYxanevo; fipwTriaEv (sc. Zeno Stoicus ), EI Tiva xal xa-A.a EJJEIV aÜTÜ 6OHEI"- TOÜ 6' oux ET&svai qpfiaavTo;, EIT ' oüw aioxuvri, 2cpr|, EI HEV TI xaxov EITI EIPTUIEVOV un' ' AVT IOÖE VOU; (del. Wilamowitz), T O Ü T ' EXA.EY6P.EVO; xal ^VTHJOVEUMV, EI 6E TI xaAov, ou6* InißaAAotiEVo; XATEXEIV;

Diese Stelle wird in der Regel mißverstanden. Caizzi will

48) Diss. Bonn 1882; wiederabgedruckt in: F.Dümmler, Kleine Schriften, 1. Bd., Leipzig 1901, S . 18.

49) 2. Bd., Berlin 1901, S . 950; v g l . S . 165 ff.

50) De Antisthenis Cynici vita et doctrina, a.a.O., S . 13.-Ebenso urteilen Winckelmann, Antisthenis Fragmenta, a.a.O., S . 12, A n m . 1; Chappuis, a.a.O., S. 170, A n m . 5 Mueller, a.a.O., S . 56 f.; Natorp, Antisthenes, a.a.O., Sp. 2543.

- 161 -

hier "un" ... opera di Antistene, altrimenti sconosciuta"5

^

erkennen. Menagius schlug die Emendation X P E I A V ' AV T I O Ö E V O I X ;

vor: "non enim, puto,xpEi'av £0q>0KA£0u<; scripserat Anti-

sthenes; at vero de libris Antisthenis hic sermo esse vi-

52

detur." Beide Ansichten gehen davon aus, daß das Wort

xpeia soviel wie "Spruchsammlung" bedeute. Diese Auffassung

ist jedoch irrig. In der Bedeutung von "Spruchsammlung" wird

xpeia ausschließlich im Plural gebraucht; der Singular meint

stets das einzelne Wort oder den einzelnen V e r s , der im

Gespräch nützlicherweise angeführt werden kann. Es ist dem-

nach kein Buch des Antisthenes über Sophokles, das Zenon

hier dem Tadler des Antisthenes vorlegt, es ist überhaupt

kein Buch, sondern vielmehr ein zitathafte Gnome aus einer

Sophoklestragödie, die dahingehend gelautet haben m u ß , daß

man nicht tadeln solle, wenn man nicht auch bereit sei, das

Gute anzuerkennen. Womöglich bietet frg. adesp. 388 (Nauck)

diesen Spruch oder doch wenigstens seine eine Hälfte: 0A.010

SVTITÜV enXe-yuv TAT; ounq)opa<; . Aus dem Verzeichnis der Anti-

sthenesschriften ist diese Stelle zu streichen. D i o g . Laert. 9.15: nXeioTot xi etaiv oaoi £^"HTnvTa 1 auToü (sc. Heracliti ) T O A U F I P A I ^ I I A (VS 22 A 1 )• «ai yäp 'Av-t i o S s v t k m ! "HpauXetSin; 4 nov-tmo«; ( f r g . 26 W e h r l i ) K X e -avO-rii; T E . . . «at £<palpo<; 6 ET U I K O C ; , npoi; 6c TlavaavCai; 6 kA.T)-Setc "HpavtXE IT iaTii<;, NiMopii6r|<; TE nal AiovuaiOf T<3» 6e TPa-P P A T I M Ü V A I O & O T O C . . .

51) A . a . O . , S . 8 7 . - Ähnlich die meisten Kommentatoren und Ubersetzer des Diogenes. V g l . etwa 0 . A p e l t , Diogenes Laertius. Leben und Meinungen berühmter Philosophen, 2. A u f l . , neu hrsg. von K . Reich, 2. B d . , Hamburg 1967, S . 16: "Als einer zu ihm bemerkte, Antisthenes mißfalle ihm fast durchweg, las er ihm dessen Abhandlung über Sophokles vor ..."

52) A . a . O . , S . 110. - Das Zitat dürfte im übrigen aus Anti-gonos stammen; v g l . v . Wilamowitz, Antigonos von Kaystros, Philologische Untersuchungen 4, Berlin 1881, S . 120.

- 162 -

Die Aufzählunq der Heraklitkommentatoren ist chronologisch,

und so liegt die Vermutung nahe, der hier erwähnte Anti-

sthenes sei identisch mit dem Sokratiker. So hat F.W. Schlei-

ermacher, 'Piatons Werke', angenommen, "dass Antisthenes

das Werk des Herakleitos ausgelegt habe, ohne dass doch eine

besondere Schrift darüber namhaft gemacht wird

Diogenes Laertius 6.19 führt jedoch unter den Homonymen des

Sokratikers Antisthenes, die er aus Demetrios Hagnes ge-

schöpft hat, auch einen ' HpctuXe ixe tot; auf. Hieraus hat

A.B. Krische, 'Die theologischen Lehren der griechischen

Denker', überzeugend geschlossen, "dass der gemeinte Mann

zu den Anhängern des Heraklit gehörte, die sich nach des 54

Ephesiers Schrift gebildet hatten." Auch der Kommentar

zu Heraklit ist demnach aus den Schriften des Sokratikers

zu streichen.

Ober die Authentizität des 8. Sokratikerbriefes (p.

1 2 4 s . C.) schließlich, den Antisthenes an Aristipp geschrie-

ben haben will, braucht nach R . Bentley, 'A dissertation

upon the epistles of Phalaris, Themistocles, Socrates, Euri-

pides'"^, kein einziges Wort mehr verloren zu werden.

53) 2. Teil, 2. Bd., 3. Aufl., Berlin 1857, S. 12; vgl. dors., Geschichte der Philosophie, in: Gesammelte Werke, hrsg. von H . Ritter, 3. Teil, 4. Bd., Berlin 1839, S. 91.

54) Göttingen 1840, S. 239. - Ebenso urteilen Zeller, Die Philosophie der Griechen, 1. Bd., 5. Aufl., Leipzig 1922, S. 527, sowie 2. Bd., ebenda S. 250, Anm. 7; Chappuis, a.a.O., S. 169; bes. Mueller, a.a.O., S. 55 f.; Mullach, a.a.O., S . 273; Natorp, a.a.O., Sp. 2543.

55) London 1697, S . 410-434. - Zu den Sokratikerbriefen vgl. außerdem W . Obens, Qua aetate Socratis et Socraticorum epistulae quae dicuntur, scriptae sint, Diss. Münster 1912; L . Kohler, Die Briefe des Sokrates und der Sokratiker, Philologus Suppl. 20 (1928); J . Sykutris, Die Briefe des Sokrates und der Sokratiker, Studien zur Geschichte und Kultur des Altertums 18, Paderborn 1933. - Eine gründliche Quellenuntersuchung der Sokratikerbriefe bleibt ein Desiderat der Sokratesforschung.

- 163 -

Faßt man alles zusammen, so muß man sagen, daß die recht

umfangreiche indirekte Oberlieferung die Glaubwürdigkeit des

Schriftenkatalogs auf das wünschenswerteste und genaueste be-

stätigt hat. Abgesehen von dem Titel Kvpuäc, , ließen sich

die Titel aller Schriften zwanglos im Katalog verifizieren

oder aber als unantisthenisch erweisen. Wenn man die Viel-

zahl der Schriften bedenkt, die von Antisthenes in Umlauf

gewesen sind, so kann man die sorgfältige Arbeit des Heraus-

gebers nur bewundern.

3. Die Einzelschriften

a . Die rhetorischen Schriften

a . TOM-OC; a '

Mueller bemerkt sehr richtig: "Scripta rhetorica exstabant

omnia in primo t o m o . "5 6

Es bleibt nachzutragen, wie die-

se Schriften im Einzelnen angeordnet sind. Am Anfang des

TOHO<; steht die einzige Schrift theoretischen Charakters:

Hepi äe^euc r] n£pt xapccKTiipuv (I 1); es folgt eine Grup-

pe von sechs Schriften, die allesamt eine spezielle und

konkrete Thematik aufweisen. Diese Gruppe zerfällt wiederum

in zwei Untergruppen, deren eine Schriften mythischen In-

halts (I 2,3,4) umfaßt, während die andere Werke aktueller

Thematik (I 5,6,7) enthält. Auch diese beiden Untergruppen

sind in sich jeweils noch einmal gegliedert. Bei den mythi-

56) De Antisthenis Cynici vita et scriptis, a.a.O., S. 34.-Vgl. Deycks, De Antisthenis Cynici vita et doctrina, a.a.O., S . 270; Mullach, Philosophorum Graecorum Frag-menta, 2. Bd., a.a.O., S . 270; Susemihl, Der Idealstaat des Antisthenes etc., a.a.O., S . 207; Natorp, Antisthe-nes, a.a.O., Sp. 2542.

- 164 -

sehen Schriften stehen die beiden Deklamationen Alex;

und 'O&uaaeu; (I 2,3), die aufs engste zusammengehören,

in der Reihenfolge hintereinander, die vom Inhalt her

geboten ist; der Titel 'Opecrcou drtoAoyici (I 4) , der

der mythischen Chronologie nach auch später fällt, bildet

den Schluß. An der Spitze der aktuellen Schriften steht

wiederum der Titel mit der allgemeinsten Thematik Ilepi

TSV SiKOYpacpuv (I 5); es folgt der Titel ' Ioofpacpri; nai

Aeaiac (I 6 ) , u n d d i e S c h r i f t lipo<; TOV 'ioonpaTouc *Anap-

Tupov (I 7) steht als speziellstes Werk folgerich-

tig am Schluß. Alles in allem muß diese mit Bedacht und

Konsequenz durchgeführte Anordnung der Titel als muster-

gültig gelten.

1 Ilepi Ae^eioq ri nepi xa

PaK

TiipQ)V (I 1)

Aus dieser Schrift hat sich kein einziges Fragment erhal-

ten, so daß die Rekonstruktion zunächst auf den Titel an-

gewiesen ist.

Die beiden Titelbegriffe Xe^ic und xa

pa"Tiip

sind der antiken Rhetorik wohlbekannt. Als xapanTri'pei;

TTK \tt,£u>s oder"genera elocutionisH

pflegt die antike

Theorie die drei kanonischen Grundformen des schlichten

(loxvov ; subtile) , des mittleren ( iieaov ; medium) und

des erhabenen ( (ie-yaA.oitpenec ; grande) Stils zu bezeich-

nen. So erscheint es auf den ersten Blick überzeugend,

wenn R . Volkmann, 'Rhetorik der Griechen und Römer' ver-

mutet, Antisthenes habe in der vorliegenden Schrift die

- 165 -

46 "Lehre von den drei Stilarten begründet. Bei nähe-

rem Hinsehen erweist sich die Vermutung jedoch als

höchst problematisch. Die voraristotelische Rhetorik

weiß von dieser so folgenreichen und vielbenutzten

Stiltheorie ebensowenig wie die frühsten erhaltenen

rhetorischen Handbücher des Anaximenes und Aristoteles.

Mehr noch: Anaximenes, Rhet. c . 2 2-25, und Aristoteles,

Rhet. p . 1403b6 - 1414a28, behandeln den gesamten Be-

reich der XEE,IC; S O kurz und beiläufig, daß sich der

Schluß aufdrängt, die Theorie der Stilistik habe damals

noch in den Anfängen gesteckt. Nach allem, was wir wis-

sen, ist es Theophrast gewesen, der als erster eine um-

fassende und systematische Analyse einer Theorie des

Stils vorgelegt hat. Er entwarf in seiner Schrift flepl

Xetewc a' , die J . Stroux, 'De Theophrasti virtutibus

57) In: Rhetorik und Metrik der Griechen und Römer, Handbuch der Klassischen Altertumswissenschaft, hrsg. von I. Müller, 2. Bd., 3. Abtl.,3. Aufl., München 1901, S. 6; v g l . auch S. 4, 54. - Ebenso urteilen Mueller, a.a.O., S . 34, sowie Mullach, a.a.O., S . 270, wenn sie den Titel mit den Worten "De generibus dicendi" übersetzen. - J . Classen, De grammaticae Graecae primordiis, Diss. Ham-burg 1828, S. 25, und H . Usener, Quaestiones Anaximeneae, Bonn 1858, S . 13, irren, wenn sie den Titel mit der Wendung nepi axtinatuv Xe£eu<; paraphrasieren. XapaHTiqp bezeichnet in der rhe-torischen Fachterminologie stets das Gesamtge-präge eines Stils ( yivoz iffe Xe^eut;; genus elo-cutionis), niemals die einzelnen stilistischen Schmuckmittel ( A X N ^ O T A TTK XEE,E&H;; figurae elo-cutionis). Vgl. zum Wortgebrauch A . Körte, Xapa«-ir\p , Hermes 64 (1929) S. 69-86.

- 166 -

C o dicendi' , rekonstruiert hat, die bekannte Lehre von

den vier Hauptmerkmalen des guten Stils (opExai TTK AE-E,EU<; ; virtutes dicendi) , als welche er Sprachrichtigkeit

( EAARI v i ; Latinitas) , Deutlichkeit ( o a q j T t v E i a ;

perspicuitas) , Schmuck ( XOOHOC; ; ornatus) und Angemessen-

heit { npenov; aptum) namhaft machte. Ob er außerdem auch

die Lehre von den drei Grundarten des Stils ( xapanT?ipe<;

TTK A ) aufgestellt hat, oder ob diese Lehre, die

die eingehende Analyse der theophrastischen Kategorie

der Angemessenheit voraussetzt, erst späteren, vielleicht

stoischen Ursprungs ist, darf, als strittig, hier außer

Betracht bleiben. In jedem Falle läßt die überlieferte

Geschichte der antiken Stilistik mit aller Deutlichkeit

erkennen, daß Antisthenes die Lehre von den drei genera

dicendi weder erfunden noch auch nur gekannt haben

kann.

Dieser Befund erlaubt zweierlei Schlußfolgerungen.

Entweder: Die vorliegende Schrift ist unecht. So bemerkt

etwa W . Kroll, 'Rhetorik': "... daß Antisthenes ein

58) Leipzig 1910. - Die vielumstrittene Frage nach dem Ursprung der genera dicendi hängt davon ab, wie man Dionys von Halikarnaß, De Dem. 3 p . 132,3 (Us.-Rad.) beurteilt, der behauptet, Theophrast habe Thrasyma-chos als Vorbild für eine aus dem schlichten und er-habenen Stil gemischte (HIXT-H) Ausdrucksweise ge-nannt. V g l . hierzu J . Lücke, Beiträge zur Entwicklung der genera dicendi und genera compositionis, Diss. Hamburg 1952, der die ältere Literatur aufarbeitet; C . Augustyniak, De tribus et quattuor dicendi gene-ribus quid docuerint antiqui, Warschau 1957; zuletzt F . Quadlbauer, Die genera dicendi bis Plinius d.J., Wiener Studien 71 (1958) S. 55-115. - Uber die Stellung und Einteilung der elocutio im System der antiken Rhetorik informiert vortrefflich H . Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik, 1. Bd., 2. Aufl., München 1960, S . 248-524.

- 167 -

Buch nepl Xe^ewc, ri nepi xa

Pa K

't 1

lPu v

qeschrieben habe

erscheint kaum glaublich, und mindestens ist die Fassung 59

des Titels verdächtig." Allein, von der Formulierung

eines Titels auf die ünechtheit einer noch dazu unbekannten

Schrift zu schließen, ist mißlich. Größere Wahrscheinlich-

keit hat demgegenüber zweifellos die entgegengesetzte An-

nahme für sich: daß der vorliegende Titel sich der später

gebräuchlichen rhetorischen Fachterminologie nur bedient

hat, um eine spezifisch antisthenische Theorie der Rede

möglichst einfach zu beschreiben. In der Tat gibt es in

der Uberlieferung Spuren einer Theorie des Antisthenes

über die x p i l 0 K n o i v u X r i T O Ü A o y o u und die rponoi r o ü

Xoyou , die, wenn nicht alles täuscht, niraends anders

als in der vorliegenden Schrift entwickelt worden sein

dürfte.

Diese Theorie ist in Überlegungen enthalten, die Anti-

sthenes angestellt hat, um den Sinn des Odysseusepithe-

tons "ToXÜxponoc, zu erklären. Es ist nicht bekannt und

läßt sich auch nicht erschließen, in welcher Schrift die-

se Ausführuncren standen. So mag das ganze Bruchstück

(frg. 51 C.), das zu den wichtigsten antisthenischen Tex-

ten zählt, hier, an gedanklich und sachlich einschlägiger

Stelle, seinen Platz finden.

Der Text des Bruchstücks (frg. 51 C.) ist überliefert

im Scholion L zu II. 9.308 und in den Scholien HMQR zu

O d . 1.1. Das Lemma noptpupCou , das allein Schol. L be-

wahrt hat, beweist, daß hier ein Exzerpt aus den 'Otmpiw«

Cnxripaxa des Neuplatonikers Porphyrios vorliegt, der

59) In: Pauly-Wissowas RE A2 7 (1940) Sp. 1051. - Zweifel an der Echtheit der Schrift auch bei Blass, Die atti-sche Beredsamkeit, 2. Bd., a.a.O., S. 336, und bei Usener, a.a.O.

- 168 -

seinerseits nicht unmittelbar aus Antisthenes, sondern

aus einer Zwischenquelle (Aristoteles?) geschöpft haben

dürfte. Diese mehrfach gebrochene Oberlieferung, die H .

Schräder, 'Porphyrii Quaestionum Homericarum ad Iliadem

pertinentium r e l i q u i a e '6 0

, aufgeklärt hat, stellt die

Interpretation vor außerordentliche Schwierigkeiten, da

sich im einzelnen nicht überall mit letzter Sicherheit

entscheiden läßt, ob und wieweit Porphyrios (oder seine

Quelle) den Text des Antisthenes und die Scholien wiederum

den Text des Porphyrios jeweils eigenmächtig gekürzt, er-

gänzt oder umgeformt haben. So ist eine genaue Analyse

der Oberlieferung unumgänglich.

Hier zunächst der Text mit kritischen Anmerkungen,

soweit sie für die Interpretation von Wichtigkeit sind.

Porphyrlus, Quaest. Horn. ap. Schol. L ad II. 9.308, Schol. HMQR a d . Od. 1.1 (frg. 51 C.):

60) Leipzig 1880, S . 386-388, wo die für die Quellen-kritik entscheidend wichtigen Lesarten des cod. Leidensis erstmals vollständig mitgeteilt werden.-Eine erste Ausgabe des Scholientextes aufgrund des cod. Q gab P . Buttmann, Scholia antiqua in Homeri Odysseam, Berlin 1821; G . Dindorf, Scholia in Homeri Odysseam, Oxford 1855, zog zur Texther-stellung HMQ heran. Eine Neuedition des Textes aufgrund der codd. HLMQR gibt A . Ludwich, Scholia in Homeri Odysseae A 1-43, auctiora et emendatiora, Index lectionum Königsberg 1888; jetzt wiederabge-druckt in: A . Ludwich, Scholia in Odysseae A 1-309, auctiora et emendatiora, hrsg. von H . Erbse, Hildes-heim 1966. V g l . außerdem Schräder, Porphyrii Quaesti-onum Homericarum ad Odysseam pertinentium reliquiae, Leipzig 1890, der jedoch nur HLM herangezogen hat. -Daß alle diese Ausgaben modernen Erfordernissen nicht mehr genügen, ist bekannt. Die dringend erwünschte neue Ausgabe der Porphyriusfragmente liegt jetzt zum Teil vor bei A . R . Sodano, Porphyrii Quaestionum Homericarum liber I, Neapel 1970, wo auch eine aus-führliche Obersicht über die einschlägige Literatur zu finden ist.

- 169 -

IlopqjupCou-

änopia, itoXuTponov ]

oüu enaiveTv q>r|aiv 'AVTKJ SEVTK "Optipov TOV 'O&uoaea (ictXXov r) yeyeiv \tyovia auTov noXuTponov.

5 OUHOUV tov 'AxiWia ('AyapEpvova Schräder, ex suo ut vide-t u r ) nai TOV Aiavia noXuTponouc , nenoiTinevai, &XX' anXOÜG nai f£vva6ac, oü6e TOV NeaTopa TOV ooipov oü pa Aia boXiov nai naXipißoXov TO r|-9o(, äXX' änXü(; TÜ ' A-j-apepvov I auvovTa nai TOTC äXXoi<; Snaoi nai elt; TO oTpaTonE&ov, ei TI i-yaOov

1o E!X EI ouixßouXeuovTa nai OUH inoMpunTopEvov. Hai TOOOÜTOV dneTxE T O Ü TOV TOIOÜTOV Tponov (ovTa add. H , ex quo TOV TO LOUTOTPONOV OVTA coni. Ludwich ) 4no5execi9ai 0 'AxiXXsuq, üc sx^POV Tiyefaöai ö(IOIUQ T Ü SAVATU ineivov, 05 x' ?TEPOV (IEV HEuftfl EVI QIPEOI, aXXo slren ( II. 9,

15 313 ).

XUAIC.

Xuuv oöv Ö ' AVT IOSEVTIC cpr|a F • TI OUVJ äpa YE novnpö«; o * 0 -6uao£uc, OTI noXuTponoc sppe&n (INXRIFRN M Q

R

)> «ai FIT), ÖIOTI ooqio<;, ouTut; auTov npoaEipTiHE (npot; auTov EIPRINE H ,

2o auTov npoE iprine LMQR; corr. Buttmann); HiirtoTE ouv Tponot; TO psv TI armaivei TO i-ftoc * TO 6e TI TTJV TOÜ Xoyou ^pffciv. EUTpono«; yap hvfip o TO 77 05 Ixuv ei? TO EÖ TETpannevov, Tpoitoi (Tponov Q Ludwich ) 6e Xoyuv (\o-you MLQ ) ai noial nXaoEi<; (aiTioi ai nXaaEK; codd. Lud-

25 wich; corr. Buttmann, post vocem nXaoEic; verba TOÜ aviToü inser. cod. L manus recentior) . nai XP'TT

011 T 5 T p o n u nai Eni tptovfft; nai £nl JIEXGv e^aXXafffc

ü<; Eni Tffc iribovoc, ri TE Sapa T p u n ü a a 1 noXutixEQ q>uvT)v (XEEI M£Xiii&EA T^lpuv äoibiiv L ) ( O d . 1 9 . 5 2 1 ) .

3 o e'I 6E o l ooipoi &EIVOI EIOI 6IAXEYEO®AI, n a i INIOTAVTAI TO auTO votjpa «aTa noXXout; Tponou<; X E Y E I V fcniaTapEvoi &E noX-Xouc Tponouc Xoyuv nEpi TOÜ auToü noXuTponoi äv sie», st &J 01 aoq>oi nai (äv-9pwno ic OPIXETV ) (inser. Schräder ex lulian. or. 1 p. 12 d) iyaöoi eiai, 61a TOÜTO cpTjoi TOV ' 06uooea "0-

35 PT1P0<; 0090V OVTO noXuTponov Eivai, OTI 6T\ TO TC ävöpo»noi<; r)nia-TITO noXXoit; Tponou; ouvefvai. OUTW Hai IIu©ayopa<; XE^ETOI NPOT nat6a<; ä^iuÖEic noiincaaöai Xoyou<; biaSEfvai npoc auTou^ Xoyou<; naibinoui; nai npo<; yu-vafKat; y-uvai^iv apnoSuouc Kai npoe; apxovTac dpxovTinouc Hai

4 ° NPO^ EIPRIßOUC kipr/ß IMOIK; . TOV yap EHOOTOK ; (ENAOTTIc, MQ ) npoocpopov Tponov TFLFI; ooiyiat; H E U P I O H E I V (009ia<; EOTIV add. Q )j &NAÖ£AC 6E elvai (om. H ) npoc; TOU<; ävo(loi«<; ?X°VTA<; T Ü TOÜ XO^OU xpT?°^

a

i H0V0TP0H<() (npo<; Toue; 4vopoiou<; EVTUYXOVOVTO T O Ü Xoyou TO uovoTponovLMQ ).

- 170 -

4 5 EXELV (EXEI L ) &E TOÜTO «A! T-QV LATPIKRIV EV tfT xt\c, TEx

V T

K K A T O P Ö U A E I , ri°KTiMuCa<; trft; OEpaneiac; TO noAu-tporcov biä TRIV TÜV \>£pan£uo|i£I/OJV noiKiAnv OUAIAOIV. xponot; JIEV ouv TO naAinßoAov to T O Ü f|$ou<;, tö noAuHEtä-ßoAov nai aatatov. Aoyou 6E noAutpoma Mal TIOIMIATI

5o Aoyou El<; fioiniAa; ä*oä; Hovotpoiua yivEtai- £v yap TO EH-AO TU O I H E T O V , 6IO Mal TO äp^öbiov Enaotw TT]V noiHiAiav toü Aoyou E I ; EV auvayEipEi- TO ENAOTU (TOV EHJOTU L , T O V Enao-TOU HMQR;Corr. Dindorf) npoa<?opov, TO 6' au HOVOEi&e<;, ÄVAPHACJTOV ov (TOV Q om.H ) npo; otMoat; öiacpopou;, noAu-

55 Tponov TTO i£ t" tov üno noAAüv an6ßA.r|TOV ü; auTOXc, änpoo-ipopov (änoßATjTov codd.; corr. Ludwich qui etiam de lectione anoxpotrov cogitavit) Aoyov.

Jede Interpretation dieses Scholions, um die sich vor

allem A . Rostagni, 'Un nuovo capitolo nella storia della

retorica e della s o f i s t i c a '6 1

, eingehend bemüht h a t , muß

von der Tatsache ausgehen, daß dem Text das Gliederungs-

schema von IVCTTOOK; und Auru; zugrundeliegt, wie es in

der ZTiTiinaTa -Literatur seit Aristoteles gebräuchlich ist

Die EvaTaoi; (Zeile 2-15), hier als änopia (Z. 2 ) be-

zeichnet, interpretiert das Odysseusepitheton JTOAUTPonoc,

tadelnd im Sinne eines Charakterfehlers als Synonym für

7iovT5po<; ; die Auoi; (Z. 16-57) stellt den Begriff dagegen

61) Studi Italiani d i Filologia Classica N . S . 2 (1922) S . 148-201; wiederabgedruckt in: A . Rostagni, Scritti M i n o r i , 1. B d . , Aesthetica, Turin 1955, S . 1 - 5 9 , wo-nach im folgenden zitiert w i r d . - Wichtig für die In-terpretation außerdem: H.J. Polak, Ad Odysseam eius-que scholiastas curae secundae, Leiden 1881, S . 12-17 Dümmler, Antisthenica, a.a.O., S . 26-45; C a i z z i , Anti stene, Studi Urbinati N . S . 1/2 (1964) S . 48-99, b e s . S . 74-80; d i e s . , Antisthenis Fragmenta, a.a.O., S . 105-107.

- 171 -

lobend im Sinne von Redegewandtheit als Synonym für cotpoi;

d a r . Beide Auffassungen faßt die Xuaic; in Form eines

Fragesatzes zusammen, den Porphyrios wörtlich aus Anti-

sthenes zitiert haben dürfte: acä ye ?tovr)po<; o 'O&uaoeüc,

6T T noXirtporcot; eppeöri, Mal , 5IOTI oo<po<;, OUTU <; auTov npoa-

EipriMEVj (Z. 17-20) .

Diese antithetische Gliederung, so klar sie ist, wird

gemeinhin verkannt, weil der Anfangssatz des Schollons miß-

verstanden w i r d . Dort heißt es OUH tnaivEtv CPRIAIV ' A V T IOSEVTK

"Opripov TOV ' Obuaaia päXXov TI VEYE IV XEYOVTOI OUTOV noXuTponov

(Z. 3 - 4 ) . Rostagni ist der Meinung, Porphyrios habe hier 6 2

"quasi per titolo" die Auffassung des Antisthenes refe-

riert; er übersetzt: "Antistene dice che Omero ne loda, ne

anche biasima Ulisse, chiamandolo noXuTponoc . und fol-

gert: "La posizione di Antistene e dunque una poslzione 64

d i neutralitä e , q u a s i , d i indifferenza morale." Diese

Interpretation ist irrig. Die Wendung ou iiSXXov .. . rj

wird niemals im ausschließenden Sinne von 'weder ... noch'

gebraucht, sondern bedeutet, entsprechend dem lateinischen

Ausdruck 'non magis ... quam', soviel wie: 'nicht sowohl ...

als vielmehr' (Locus classicus: Thukydides 2.87). Porphy-

rios referiert hier also nicht die These des Antisthenes,

sondern die These der ävoTocoK , die die Xuoiq dann wider-

legt: daß Homer Odysseus nicht sowohl lobe als vielmehr

tadle, wenn er ihn als noXuTponoc bezeichne.

62) A . a . O . , S . 8 . - V g l . C a i z z i , Antistene, a.a.O., S . 74, und Fragmente, a.a.O., S . 105, die urteilt: "... una breve introduzione riassuntiva d i Porfirio ..."

63) A . a . O . , S . 5. Ebenso C a i z z i , Antistene, a.a.O., S . 74.

64) A.a.O., S . 8. V g l . Caizzi, Fragmente, a.a.O., S . 105.

- 172 -

Es fällt auf, daß die beiden einander widerspre-

chenden Auffassungen des Wortes noXutponoc; gleichermaßen

als Auffassungen des Antisthenes referiert werden. Die

evotaan; beginnt: O6K ^ncuvEfv cpriotv 'AVT laöevri«; "Opripov •tov 'O&uacea |iä\Aov r\ ... (Z. 3-4); entsprechend

heißt es in der Vjaic : Au UV ouv o ' Avt IA$E vric qvriat ...

(Z. 17) Hierzu bemerkt Schräder sehr richtig: "Neque ...

inutile est monere quaestionem a Porphyrio servatam cer-

tissima dialogi vestigia prodere; vix enim aliter expli-

candum est, quod evotatiHoü ... et AuttnoC ... sustinere

personam idem Antisthenes videtur."®^ In der Tat hat der

Text auch noch einzelne Spuren mündlich-dialogischer Rede-

weise bewahrt. Hierher gehören die kolloquialen Wunsch-

und Beteuerungsformeln oü |ia Aia (Z. 7) und JUITIOTE (Z. 21)

sowie die nicht minder kolloquiale Frageformel TI OUV ; (Z. 17), der ein durch apo y£ (Z. 17) eingeleiteter Frage-

satz folgt, der ebenfalls noch die Lebhaftigkeit mündlicher

Rede spüren läßt. Es darf hiernach als wahrscheinlich gel-

ten, daß Antisthenes in einem Dialog zwei ünterredner auf-

treten ließ, die gesprächsweise verschiedene Ansichten über

den Sinn des Wortes noXutponoc entwickelten.

Die evotacric (Z. 2-15) will beweisen, daß Homer Odys-

seus nicht lobe, sondern tadle, wenn er ihn "vielgewandt"

(noXutponoc ) nenne (Z. 3-4).

Homer, so heißt es eingangs, habe Achill und Aias nicht

65) Porphyrii Quaestionum Homericarum ad Odysseam per-tinentium reliquiae, a.a.O., S . 175. - Ebenso urteilt Rostagni, a.a.O., S . 7: "Porfirio ... conserva le tracce della forma dlalogica in cui 1' opera di Antistene era evidentemente composta ...". Vgl. außerdem Caizzi, Antistene, a.a.O., S. 74; dies., Fragmente, a.a.O., S . 105.

- 173 -

als "vielgewandt" ( noXuTpono,; ) dargestellt, sondern als

"offenherzig" { arcAoüc ) und "edelmütig" ( Y£vväSe<; ) (Z. 5-7)

desgleichen werde Nestor, "der Weise" (o 00901; ) nicht als

"listig" (EioXioc ) oder "schwankend in seiner Sinnesart"

(naXipßoXot; TO rföoc; ) charakterisiert, er verkehre viel-

mehr "offenherzig" ( dnX5<; ) mit Agamemnon und den anderen

Helden und gebe, wenn er könne, seinen guten Rat, "ohne

etwas zu verbergen" ( OUM ANONPUTITOPEVOT; ) (Z. 7-11).

Die Beweisführung, die offenbar nach dem Prinzip der

steigernden Reihung angelegt war, so daß von Nestor ein-

gehender gesprochen wurde als von Aias und Achill, geht

aus von der Beobachtung, daß von allen homerischen Helden

einzig Odysseus das Beiwort noXuTpono<; führt. Um die Rich-

tigkeit dieser Beobachtung zu beweisen, führt Antisthenes,

sehr geschickt, Beispiele an: einmal Aias und Achill, die,

als "edelmütige" Helden, das Ideal aristokratischer Tapfer-

keit verkörpern, zum anderen Nestor, der, als "Weiser",

das Ideal heroischer Klugheit repräsentiert. Diese beiden

Grundtypen heroischer Vorzüglichkeit werden bei Homer ge-

meinsam als "offenherzig" charakterisiert. Hieraus ergibt

sich, ohne daß es ausgesprochen wird oder auch nur ausge-

sprochen werden müßte, daß Odysseus, wenn er, als Einziger,

"vielgewandt" genannt wird, als Gegenstück eines "offen-

herzigen" Helden dargestellt werden soll; er ist, was Nestor

nicht ist: "listig", "schwankend in seiner Sinnesart",

stets bereit, "etwas zu verbergen".

Es folgt die Bemerkung, daß Achill eine solche "Wendung

des Charakters" (Tponoc ) so sehr verabscheue, daß er sage,

ihm sei verhaßt wie der Tod, "wer eines in seinem Herzen

verberge, etwas anderes sage" ( Ö<; X' ETEPOV pev HEU-STI evi

9PEoi'v, aXXo Etnn [II. 9.313] ) (Z. 11-15).

Diese Bemerkung ergänzt die vorausgehende indirekte

- 174 -

Beweisführung durch einen direkten Beweis, der die Aversion

des aristokratischen Heldentums gegenüber jeder Art charak-

terlicher Verstellung dokumentiert. Darüberhinaus brauchte

auch hier nicht eigens betont zu werden, was ohnehin jeder

wußte: daß die starken Worte des Abscheus bei Homer nicht

nur ein allgemeines Bekenntnis formulieren, sondern auch

persönlich gegen Odysseus gerichtet sind, der soeben ver-

sucht hat, Achill durch eine geschickte Schmeichelrede zur

Wiederaufnahme des Kampfes zu überreden. So wird Odysseus

hier noch einmal indirekt als derselbe unaufrichtige und

verschlagene Charakter gezeichnet, als der er bereits vor-

her erschienen w a r .

Man könnte geneigt sein, diese ergänzende Bemerkung

für einen Einschub des Porphyrios zu halten, weil das Refe-

rat hier, anders als vorher, nicht in indirekter, sondern

in direkter Rede gehalten ist. Die prononcierte Verwendung

des Ausdrucks xpono<; (z 12), der im folgenden die Diskussion

beherrscht, läßt jedoch kaum einen Zweifel daran, daß auch

diese Passage antisthenischer Herkunft ist. Wie denn die

ganze Argumentation auch nur durch die Verbindung von direk-

tem und indirektem Beweis vollständig und in sich geschlos-

sen wirkt.

Die antisthenische Beweisführung findet eine überraschen-

de Parallele im platonischen 'Hippias minor'. Sokrates be-

ginnt dort das Gespräch mit der Frage, ob Achill oder Odys-

seus als der bessere Held anzusehen sei (p. 363b

; 3 6 4b c

) .

Hippias erklärt, Homer habe Achill als den "besten" (äpicxoi; ),

Nestor als den "weisesten" ( acxpJnraxoi; ) und Odysseus als den

"vielgewandtesten" (noAuxponcjxaxcx; ) Helden dargestellt

(p. 3 6 4c

) . Sokrates gibt vor, den Sinn des letztgenannten

Wortes nicht zu verstehen. Ob Achill etwa nicht als "viel-

gewandt" ( noAuxponc; ) dargestellt werde (p. 3 6 4c e

) ? Keines-

- 175 -

w e g s , antwortet Hippias, in den AITOU sage Achill zu

Odysseus, man müsse offen reden, verhaßt wie der Hades sei

i h m , "wer eines in seinem Herzen verberge, etwas anderes

sage" ( öc, x' ftepov päv KEuSn £vl <jp£0iv, äAAo bi eIutj

[ I I . 9.313]). Demnach habe Homer die "Charakterwendung"

(xponot;) Achills als "offenherzig" ( änAout; ) und "wahrhaftig"

( ocAr)c, ) charakterisiert, die des Odysseus aber als "viel-

gewandt" ( noAuTpono<; ) und "lügnerisch" ( \|/£U5T'(; ) (p. 3 6 4e

-

3 6 5 ^ ) . Womit das Gespräch Homer verläßt, um das Problem von

Wahrheit und Lüge allgemein zu behandeln (p. 3 6 5c

ff.).

Es leidet keinen Zweifel, daß diese Passage, die J . J .

Mulhern,' Tpono<; and rcoAmpoiua in Plato's Hippias mi-

nor' eingehend besprochen h a t , in engstem Zusammenhang

m i t den vorliegenden Ausführungen des Antisthenes steht.

Hier wie dort findet sich dieselbe Argumentationstendenz,

derselbe Homervers (II. 9.313) wird zitiert, und es g a b ,

soweit erkenntlich, auch einzelne Berührungen im Wortlaut

(Tpottoc;, ärcXouc; ). Daß es bei Antisthenes ebenfalls Hippias

gewesen ist, der die These vom lügnerischen Odysseus vor-

brachte, läßt sich nach alledem mit einiger Wahrscheinlich-

keit vermuten.

Die Frage nach der Priorität beider Stellen, die sich

sofort aufdrängt, ist nicht leicht zu beantworten. Rostagni

äußert sich unentschieden: "... non credo possiblle sta-

bilire la prioritä d e l l ' uno piuttosto che d e l l ' altro au-

t o r e . "6

' Anders Wilamowitz: "Wenn Antisthenes in den Scho-

lien zu dem Verse sich mit der Erklärung abmüht, so zeigt

66) Phoenix 22 (1968) S . 283-288. - Zum Dialog insgesamt v g l . zuletzt R . G . Hoerber, Plato's Lesser Hippias, Phronesis 7 (1962) S . 121-131, der die ältere Literatur verzeichnet.

73) A.a.O., S . 17.

- 176 -

seine Beziehung auf dieselben Homerstellen und auch die

Erwähnung des weisen Nestor (364c) , daß er Platon vor 68

Augen hat." Gerade das Beispiel Nestors spricht jedoch

eher dafür, daß die Priorität bei Antisthenes liegt. Anti-

sthenes nennt Nestor als ein Beispiel heroischen Heldentums,

damit sich der fragwürdige Charakter der Odysseusgestalt

umso deutlicher dagegen abheben kann; Platon hingegen, dem

alles an dem Gegensatz zwischen Achill und Odysseus gelegen

Ist, erwähnt Nestor nur beiläufig, ohne daß der Argumenta-

tionszusammenhang hierfür einen Anlaß geboten hätte. Platon

dürfte die Ausführungen des Antisthenes spielerisch aufge-

griffen haben, um seinen Dialog einzuleiten, unbekümmert

darum, daß die Erwähnung Nestors jetzt ihre argumentative

Bedeutung verlieren mußte.

Wie immer man auch die Frage der Priorität entscheiden

mag - daß die beiden vorliegenden,einander so ähnlichen

Textstellen in engem zeitlichen Abstand voneinander ent-

standen sein müssen, liegt auf der Hand. Da der 'Hippias

minor' nach übereinstimmender Ansicht zu den frühesten pla-

tonischen Dialogen gehört, so kann die vorliegende Schrift

des Antisthenes schwerlich anders als in die neunziger Jahre

des vierten Jahrhunderts datiert werden. Es handelt sich

hier um das früheste Beispiel einer literarischen Ausein-

andersetzung zwischen zwei Sokratikern, von der wir wissen.

Die Auai<; (Z. 16-57) will beweisen, daß Homer Odysseus

nicht als "schlecht" ( novnpo<; ) , sondern vielmehr als

68) Platon, 1. Bd., a.a.O., S . 134, A n m . 2. - Ebenso urteilt Caizzi, Fragmente, a.a.O., S . 105: "Piatone precede forse 1' opera di Antistene; certo, pare ignorarne com-pletamente 1' interpretazione." - Als Kuriosum sei an-gemerkt, daß Winckelmann, den Dümmler, a.a.O., S . 38, zitiert, die Ansicht geäußert hat, Antisthenes sei der Verfasser des platonischen Hippias minor.

- 177 -

"weise" (oo«poq ) darstelle, wenn er ihn "vielgewandt"

( no\uTpoJio(; ) nenne (Z. 17-20) .

Der Begriff "Wendung" (Tpono<; ) , heißt es eingangs,

bezeichne einmal "die Sinnesart" (iiSot; ), zum anderen den

"Gebrauch der Rede" ( XP'NCRIC TOC AOYOU) (Z. 21.22). Dem-

nach bezeichne man als "gutgewandt" (euTponoi; ) einen Men-

schen, dessen Sinnesart "dem Guten zugewandt sei" ( el<;

TO eu TETpappevov ) ; die "Wendungen der Rede" ( Tpönoi TOÜ \OYOU ) seien deren "so und so beschaffene Bildungen"

( ai Ttoifxi n\aae ic, [corr. Buttmann] ) (Z. 22-25).

Die Beweisführung exponiert einleitend die Lösung

des Problems mit sicherem Griff, indem sie der moralisie-

renden Auffassung des Wortes TIOA.UTPOTIO<; , die die evaTaaic; als selbstverständlich vorausgesetzt hatte, eine rhetori-

sche Interpretation entgegensetzt. Die beiden Bedeutungs-

aspekte werden am Begriff Tpono<; entwickelt, den W . Thimme,

'4TTIS-, H90E, TP0II0E'69

, eingehend untersucht hat. Der

ethisch-charakterologische Aspekt wird im folgenden durch

das Adjektiv eÜTponot; paradigmatisch rekapituliert, der

rhetorisch-rednerische Bedeutungsaspekt, der die weitere

Diskussion beherrscht, wird hier vorderhand durch das wohl

unmittelbar von Antisthenes herrührende Synonym ai noiat

n\aoei<; umschrleben, dessen genauere Bestimmung die Be-

weisführung noch zu erbringen hat.

Diese einleitenden Ausführungen werden ergänzt durch

die Bemerkung, daß Homer den Begriff "Wendung" (Tponoe )

auch verwende, "um die Stimme und den Wechsel der Melodien

69) Diss. Göttingen 1935. Vgl. außerdem Caizzi, Antistene, a.a.O., S . 76; dies.,Fragmente, S . 105 f.

- 178 -

auszudrücken" (knl raoivffr ueXiöv e£a?.>aY'k ) ; er sage

beispielsweise von der Nachtigall, daß sie ihren Gesang

"vielfach wendend" ( S a ^ TpwnSoa [Od 19.521 ]) ertönen

lasse (Z. 27-29).

Schol. L hebt diese Bemerkung durch das Lemma TOU aüxoü (Z. 25-26) aus dem Kontext hervor, um die porphyriani-

sche Herkunft auch dieses Stückes zu kennzeichnen. In

der Tat läßt sich nicht leugnen, daß die vorliegende

Passage den Gedankengang formal und inhaltlich unter-

bricht. So bereitet es Schwierigkeiten, den Namen Homers,

wie man m u ß , als Subjekt des Verbums xPf

)Ta

>' (Z. 27) zu

ergänzen, nachdem er weiter oben schon einmal als Sub-

jekt zu npooe Jprjv.E (Z. 19-20) ergänzt werden m u ß t e . Noch

befremdender wirkt e s , daß der phonetisch-musikalische

Aspekt des Begriffs, der hier an einem Odysseevers

(19.521) eingehend expliziert wird, im weiteren Verlauf

der Beweisführung neben dem ethischen und dem rhetori-

schen Bedeutungsaspekt nicht die geringste Rolle spielt.

Dieser Befund erlaubt mehrere Deutungen, die aufzuzäh-

len man sich begnügen m u ß . So könnten die Scholien eine

Bemerkung des Porphyrios aus ihrem ursprünglichen Zusam-

menhang gelöst und hier an sachlich einschlägiger Stelle

eingefügt haben; Porphyrios könnte die Bemerkung aber

auch aus eigenen Stücken in den Gedankengang des Antisthenes

eingefügt haben, um dessen Ausführungen über den Begriff

xponoc, gelehrt zu komplettieren; schließlich wäre es auch

noch möglich, daß Antisthenes sich selber auf solche Weise

unterbrochen hat, um hier, bei passender Gelegenheit, bei-

läufig Uber den musikalischen xpono<; anzumerken, was er

in seiner Schrift ÜEPI IIOUCUHTK (VIII 1) näher ausgeführt

haben mochte.

- 179 -

Nach dieser kurzen Unterbrechung, deren Herkunft zwei-

felhaft bleibt, nimmt die Argumentation mit derselben ge-

danklichen Strenge ihren Fortgang, mit der sie begonnen hat-

te. Gesetzt, "die Weisen sind groß in der Führung eines dia-

lektischen Gesprächs" "0901 Icivot clcriv £ i^XEyioüa. 1 ),

so verstünden sie auch, ein und denselben Gedanken "durch

vielerlei Wendungen" ( HOT« nok\ovc, xponouc; ) auszudrücken,

und dürften so zu Recht "vielgewandt" ( no>u-tpo-*.oi ) genannt

werden (Z. 30-32). Und weiter: Gesetzt, "die Weisen sind

auch vortrefflich im Umgang mit Menschen" (ol ao<?oi nai

(avöpJSno ic, öpiAetv) [inser. Schräder] ayadoC elaiv ), so habe

Homer Odysseus "vielgewandt" ( noXuxponoc, ) genannt, da er,

"weise, wie er ist" ( ootpov OVT<X ) , es verstanden habe, mit

den Menschen "durch vielerlei Wendungen" ( noXXoit; TPOML ; )

zu verkehren (Z. 32-36).

Die Beweisführung verläuft in zwei kurzen Gängen, die,

einander ergänzend, jeweils den rhetorischen Aspekt des Be-

griffes Tporcoc, zugrundelegen, der eingangs expliziert wur-

d e . Beide Beweisgänge gehen von Bestimmungen menschlicher

Weisheit aus, die, als selbstverständlich, nicht weiter dis-

kutiert werden. Die erste Bestimmung setzt Weisheit ineins

mit dialektischem Ausdrucksvermögen, die zweite mit psy-

chologischem Einfühlungsvermögen, so daß einmal mehr die

objektiv-technische, einmal mehr die subjektiv-psychagogische

Seite des rhetorischen xponot; betont wird. Folgerichtig

ist der erste Beweisgang allgemein gehalten, während der

zweite die konkrete Anwendung auf Odysseus bringt, mit der

das eigentliche Beweisziel erreicht ist. Man geht schwerlich

fehl, wenn man in dieser doppelt gehaltenen, stufenförmigen

Argumentationsstruktur einen Reflex dialogischer Gedanken-

führung erblickt.

Es folgen einige erläuternde Anmerkungen. Zunächst ein

- 180 -

historisches Exempel: Pythagoras, aufgefordert, für Kinder

Reden zu verfassen, habe spezifische Kinderreden entworfen

und entsprechend auch für Frauen Frauen-,für Herrscher

Herrscher- und für Epheben Ephebenreden geschrieben (Z. 37—4i

Es ist fraglich, ob hier Antisthenes oder Porphyrios

spricht. Auszugehen ist von der Tatsache, daß Porphyrios

dieselbe Geschichte, mit einer leichten Variante, auch in

seiner Vita des Pythagoras c. 18 erzählt, dort aber nicht

Antisthenes, sondern Diakaiarch (frg. 33 Wehrli) als Quelle

nennt. Dieser Befund ist nicht leicht zu deuten. Schräder

urteilt: "Adducor, ut haec Porphyrio quam Antistheni tri-

buere malim."^° In der Tat erscheint es glaubhafter, daß

Porphyrios eine peripatetische Quellenreminiszenz, die ihm

aus seinen Pythagorasstudien gewärtig sein mußte, als gelehr

tes Apercu in den Text des Antisthenes eingefügt hat, als

daß Antisthenes von sich aus in dialogisch-philosophischem

Zusammenhang, in dem das historische Detail eher fremd wirkt

einen Einzelzug aus der Pythagoraslegende als Beispiel ange-

führt haben sollte.

7o) A.a.O., S . 2. V g l . Buttmann, a.a.O., S . 562.-Ebenso urteilt auch A . Delatte, Essai sur la politique pythagoricienne, Paris-Lüttich 1922, S . 39.; L . Rader-macher, Artium Scriptores, Sitzungsberichte der Wie-ner Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Klasse, 227. Bd., Wien 1951, S . 121; neuerdings F . Buffi^re, Les mythes d' HomSre et la pensee Grecque, Paris 1956, S . 368, A n m . 9.- Zur Stellung der Pythagorasreden innerhalb der komplizierten Überlieferung der Pythago-raslegende vgl. vor allem E . Rohde, Die Quellen des Jamblichus in seiner Biographie des Pythagoras [Schluß], Rheinisches Museum 27 (1872) S . 23-61, hier bes. S . 26-29; J . Jäger, Die Quellen des Porphyrios in seiner Pythagoras-Biographie, Diss. Zürich 1919, S. 39 ff.; Rostagni, a.a.O., S . 35-56; G . Rathmann, Quaestiones Pythagorae, Orphicae, Empedocleae, Diss. Halle 1933, S . 3-5, 146.

- 181 -

Diese Vermutung gewinnt an Gewißheit, wenn man die

folgenden Ausführungen näher betrachtet. Es heißt d o r t ,

daß es ein Zeichen von "Weisheit" ( o o y i a ) sei, "die für

jeden angemessene Wendung herauszufinden" ( T O V I N A O T O I ;

npoocpopov T p o n o v ^ ^ E u p i c K E t v ), ein Zeichen von "Unbelehrt-

heit" (ä|j.a9ia ) dagegen, "sich gegenüber ungleichen Menschen

nur einer einzigen Wendung der Rede zu bedienen" ( npoc xouc

ivopoiu^ ex°vTa<; TÜ TO& XÖyov xpn°-3<*i (xovOTponu ) (Z. 41-44).

Hierauf folgt ein Beispiel: Auch die Medizin handele, "bei

sachgemäßem Vorgehen" ( ev TFF Trfc TEXVII<; naTopSwosi ), nach

dieser M a x i m e , "indem die Therapie das Vielgewandte beobach-

te, wegen der verschiedenartigen Verfassung der Patienten"

( ^oMTiHuiac T T S E p a n E i a i ; TO no\uxponov 6ia TTJV TUV OEpanEuo^evuv

noiHtA.T)V aucrraaiv) (Z. 4 5 - 4 7 ) .

Rostagni bemerkt zu diesen Sätzen, die gedanklich zu-

sammengehören und auch formal durch Indirekte Rede eng

miteinander verknüpft sind: "Queste parole hanno solo 1'

apparenza d i essere u n ' osservazione generale, non dettata

dalla considerazione d i alcun caso particolare. Invece, e

per la forma ( top ) e per il concetto, risulta c h ' essa si

applicano prima di tutto al c a s o , particolare, d i Pitagora.

£ Pitagora che impartisce ... il grado d i 009Ca conveniente

a ciascuno; e pitagorica infatti, 1' antitesi d i oo<pta

ed äp.aSia ... II confronto che segue ... fra 1' arte della

parola e la medicIna ... £ pure d i origine pitagorica."^1

71) A . a . O . , S . 14 f . - Ähnlich urteilt J o e l , Der echte und der xenophontische Sokrates, 2. B d . , a.a.O., S . 209, der glaubt, Dikaiarch habe aus Antisthenes geschöpft. V g l . neuerdings auch M . Dfetienne, Homere, Hesiode et Pythagore, Collection Latomus 57, Brüssel 1962, S . 54 f . - Unentschieden in der Quellen-frage Polak, a.a.O., S . 15; Caizzi, Antistene, a . a . O . , S . 75 f.; d i e s . , Fragmente, a.a.O., S . 105 f f .

- 182 -

Hieran ist soviel richtig, daß, wer die vorstehende Er-

zählung über Pythagoras für antisthenisch hält, nicht um-

hin kann, die hier in Frage stehenden Bemerkungen für py-

thagorischer Herkunft zu halten. Einer solchen Anname ste-

hen aber erhebliche Schwierigkeiten entgegen. Die Anti-

these von Weisheit und Unbelehrtheit und die paradigmatische

Erwähnung der Medizin sind allzu gängige Vorstellungen

griechischen Denkens, als daß man sie speziell für Pytha-

goras i n

Anspruch nehmen dürfte. Antisthenes verwendet bei-

de Begriffe denn auch, sogar in Verbindung miteinander, im

'O&uoaeu; (I 4) , wo es von Aias heißt: qiSovov nai atiaövav

voaeic; (frg. 15 § 13 C.). Wie denn überhaupt die Verwen-

dung der Ausdrücke 6 E H M T O K ; npoocpopoc; xpono«; ( z . 41)

und noiHiXri OÜÖTOOK; (Z. 47) und mehr noch der Gebrauch

der Wendung TO novoxponov (Z. 43) in rhetorischem statt in

charakterologischem Sinne so ungewöhnlich und so eng mit

der gesamten Argumentation verknüpft sind, daß der Schluß

nicht von der Hand zu weisen ist, daß es sich hier um wört-

liche Zitate einer spezifisch antisthenischen Nomenklatur

handelt. Es kommt hinzu, daß die Begründungspartikel -yap

(Z. 41), die die vorliegende Passage einleitet, gar nicht

an die Pythagorasgeschichte anknüpft, sondern vielmehr die

vorausgehende Beweisführung gedanklich neu begründet, in

der dargelegt wurde, daß die "Weisen" sich gegenüber den

Menschen auf "vielerlei Wendungen" der Rede verstehen müß-

ten. Aus alledem ergibt sich, daß es höchstwahrscheinlich

Porphyrios gewesen ist, der die Pythagorasreminiszenz in den

antisthenischen Gedankengang eingefügt hat. Womit auch alle

Spekulationen über den Einfluß pythagoreischen Denkens auf

die Philosophie des Antisthenes hinfällig werden.

Es ist zweierlei, was hier neu in den Blick kommt. Ein-

mal der Gedanke, daß die rednerische "Weisheit" nach Analogie

- 183 -

zur Medizin durchaus als technisches Wissen zu gelten hat,

das "sachgemäßes Vorgehen" erfordert. Zum anderen rückt

das Verhältnis zwischen Redner und Zuhörer, das bisher nur

am Rande eine Rolle spielte, jetzt in den Mittelpunkt der

Argumentation, indem als selbstverständlich vorausgesetzt

wird, daß die Menschen "ungleich" sind. Es wird nicht gesagt,

worin diese Ungleichheit besteht, aber der medizinische Ana-

logiebegriff ixoihiXt) ouotcccit; (Z. 47) legt nahe, daß an die

ethische Befindlichkeit gedacht ist, die prinzipielle cha-

rakterliche Unterschiede zwischen den Menschen setzt wie

auch momentane psychologische Veränderungen im Menschen be-

wirkt. Jede kunstgemäße Rhetorik muß dieser Tatsache Rech-

nung tragen, indem sie nicht "Eingewandtheit" der Rede wal-

ten läßt, sondern das "Vielgewandte", so daß jedem Menschen

"die ihm jeweils angemessene Wendung" der Rede zuteil werden

kann. Kurz: die sprachliche "Vielgewandtheit" des Redners

hat ihren Ursprung in der ethischen Vielgewandtheit der Zu-

hörer. Mit anderen Worten: Es zeigt sich, daß die beiden As-

pekte des Tponcx; -Begriffes, die eingangs unterschieden wur-

den, in einem engen Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen

Die Beweisführung kommt zum Ende. "Wendung" (xponot; )

bezeichnet also "das Schwankende der Sinnesart" (TO NAXIP-

ßoAov TOÜ riöoui; ) , "das sich vielfach Ändernde" (TO NO\V-PETaßoXov ) und das "Unbeständige" ( aaTciTov ) (Z. 48-49).

Die "Vielgewandtheit der Rede" ( \OTO» rtoXtiTporua ) und der

"verschiedenartige Gebrauch der Rede" (XPIT°I<; TIOIKIXTI T O Ü \o-fou

erscheine jedoch gegenüber verschiedenartigen Zuhörern als

"Eingewandtheit" (povoTporua ) (Z. 49-50). Denn: "Eines ist

es, was jeglichem von Hause aus zukommt." ( EV yap T5 enacr-

TW OIHEIOV ) (z. 50-51). So ergibt sich: "Das für jeden

Passende läßt die Verschiedenartigkeit der Rede in eins zu

saimnenfallen: in das für jeden Angemessene" ( TO ÄPFIOSIOV

EXAOTÜ) TR,v JtoiHiXiav TOÜ Aoyou EI<; ev CUVAYEIPEI* TO INAOTW

- 184 -

jtpooqjopov ) (Z. 51-53). Und umgekehrt: "Das Eingestaltige,

da unpassend für verschiedene Zuhörer, macht die Rede viel-

gewandt, so daß sie von vielen verworfen wird, weil sie für

diese unangemessen ist." ( TO 6' au tiovoet&e;, avapHoaxov

ov rtpoq ÄKoa; & iaq>opou<;, noXuTporcov noiei TOV üno tioXXüv äno-ßXT)Tov u; auxoTc änpoaqpopov [corr. Ludwich ] Xoyov )

(Z. 53-57).

Schräder ist der Ansicht, "haec alterum esse scholium 72

ex eadem guaestlone longe guidem peius excerptum ...

Die Stelle ist jedoch alles andere als eine Doublette. Rich-

tig ist, daß der Unterschied zwischen ethischem und rheto-

rischem Aspekt des iponoc, -Begriffes, der eingangs expliziert

wurde, hier noch einmal rekapituliert wird. Diese Rekapitula-

tion, die im übrigen durch die Partikel ouv (Z. 48) deutlich

gekennzeichnet ist, leitet jedoch einen ganz neuen Gedanken

ein, ohne den die gesamte Argumentation unvollständig wäre:

daß sich die "Vielgewandtheit" der Rede als "Eingewandtheit"

darstellt. Es ist der Satz: "Eines kommt jeglichem von Hause

aus zu", der diese Vorstellung plausibel machen soll. Gilt

dieser Satz, der hier ohne nähere Begründung nachgerade for-

melhaft eingeführt wird, so ergibt sich, daß die "Vielgewandt-

heit" der Rede von ethisch unterschiedlich disponierten Zu-

hörern als "einheitlich" aufgefasst wird, well jeder Einzel-

ne jeweils die Wendung der Rede vorfindet, die für ihn "an-

gemessen" und "passend" ist, während eine "eingestaltige"

Rede nicht als einheitlich, sondern als "vielgewandt" empfun-

den werden m u ß , weil die unterschiedlich disponierte Zuhörer-

72) A.a.O., S . 2. - Noch radikaler urteilt Polak, a.a.O., S . 16, der den resümierenden Eingangssatz dieser Stelle als Einschub "cuiusdam grammatici ... an lectoris" betrachtet.

- 185 -

schaft nur eine einzige Wendung der Rede vorfindet, die

folgerichtig als unangemessen "verworfen" w i r d .

Die Begrifflichkeit dieser Schlußbetrachtung, der man

eine paradoxe, ja gewaltsame Logizität nicht absprechen

kann, ist so eigentümlich, daß man sie ohne Bedenken auf

Antisthenes zurückführen d a r f . Abgesehen von so auffälligen

Wendungen wie rtoAup.£Taßo\ov (Z. 4 8 ) , TO ä p p o & i o v emÄotu

(Z. 5 1 ) oder p o v o £ i & s < ; (Z. 5 3 ) , ist vor allem auf die beiden

Substantive n o \ u T p o n t a (Z. 4 9 ) und p o v o T p o n i a (Z. 5 0 ) hinzu-

w e i s e n , die hier statt der üblichen charakterologischen ei-

ne rhetorisch-sprachliche Bedeutung besitzen, die ganz sin-

gulär ist. Noch lehrreicher sind die Ausdrücke ANOßXRITOC

(Z. 5 5 ) und O U E I O V (Z. 5 0 - 5 1 ) , weil es sich hier nachweis-

lich um terminologisch feststehende Begriffe antisthenischen

Denkens handelt. So spielt das Adjektiv anoßAntos , das hier

eher beiläufig verwendet w i r d , eine nicht unwichtige Rolle

in der Ethik des Antisthenes, in der der Grundsatz gilt:

Triv ap£TT|v ... ävanoßXt|Tov ünapxe iv ( f r g . 23 C . ) . D e r B e -

griff des O I H E I O V , der hier für die gesamte Beweisführung

die Schlußpointe liefert, ist von größter Bedeutung für die

Dialektik, wo die einzig richtige, durch strenge Notwendig-

keit gekennzeichnete Verbindung zwischen Wort und Ding als

O I H E T O C Ao-fot; bezeichnet wird (frg. 4 7 C . ) , und liegt glei-

chermaßen auch der Ethik zugrunde, d i e , wie noch näher zu

zeigen sein w i r d , indem sie das Schlechte als £evov bezeich-

n e t , das Gute als o£HE tov bestimmt (frg. 73, 81 C . ) . Aus

alledem ergibt sich nicht nur, daß die vorliegende Passage

den Wortlaut des antisthenischen Originals im wesentlichen

treu bewahrt hat, sondern auch, was ungleich wichtiger ist,

daß Rhetorik und Philosophie bei Antisthenes keine vonein-

ander geschiedenen oder gar gegensätzlichen Bereiche dar-

stellen; beide Bereiche gehören vielmehr eng zusammen, der-

gestalt, daß die Philosophie die Begründung auch für die

- 186 -

Rhetorik liefert. Ebendarum wird auch der Redner mit dem-

selben Ausdruck wie der Philosoph als oocpo; bezeichnet.

Dieser Sachverhalt erlaubt wiederum Schlüsse auf den ge-

danklichen Ursprung der antisthenischen Rhetorik. Rostagni

war der Meinung, Antisthenes habe hier nicht mehr als "una

riproduzione delle dottrina d i Gorgia"^3

gegeben. Aber in

diesem Falle müßte m a n , konsequenterweise, auch die gesamte

Philosophie des Antisthenes in ihren Grundzügen als gorgi-

anisch oder doch wenigstens als sophistisch betrachten.

Womit denn Antisthenes unversehens vom Sokratiker zum So-

phisten w ü r d e . In Wahrheit dürfte es sich umgekehrt verhal-

ten: Die Philosophie des Antisthenes ist aus sokratischen

Denkansätzen entstanden,und folglich ist auch die rhetori-

sche Theorie sokratischem Denken verpflichtet. Das heißt:

Antisthenes hat sich mit Rhetorik beschäftigt nicht bevor

oder obwohl er Sokratiker w a r , sondern als Sokratiker.

Diese Überlegung gewinnt noch an Gewißheit, wenn man

die Frage stellt, wer die These der A U O K im Rahmen des

antisthenischen Dialogs vorgetragen hat. Daß Antisthenes

selber als Sprecher auftrat, darf als unwahrscheinlich aus-

ser Betracht bleiben, auch wenn die vorgetragenen Ansichten

ohne Zweifel die seinen gewesen sind. Auf die richtige

Spur führt ein Zeugnis, das bisher noch nicht die nötige

Aufmerksamkeit gefunden hat. Xenophon bemerkt M e m . 4.6.15,

Sokrates habe behauptet, Homer stelle Odysseus als "un-

fehlbaren Redner" ( pfi-ropa äaspaArf ) d a r , weil er es verstan-

den habe, seine Reden "durch für die Menschen plausible

Erwägungen" ( 610 TWV 6CWOUVTUV T O K avSpwrco H; ) überzeu-

gend zu gestalten. Caizzi bemerkt hierzu: " ... difficile

73) A . a . O . , S . 17.

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46 di non pensare a questo testo antistenico" . In der Tat,

wer mit der exzerpierenden Arbeitsweise Xenophons vertraut

ist, wird nicht zögern, diese Bemerkung, die ohne jede

Vorbereitung ganz unvermittelt und unverbunden im Kontext

erscheint, als eine zitathafte literarische Anspielung auf

den antisthenischen Odysseus zu verstehen. Dann aber ist

der Schluß unumgänglich, daß bei Antisthenes kein anderer

als Sokrates es gewesen ist, der Odysseus als weisen Redner

gegen den Vorwurf der Lügenhaftigkeit so geschickt und

scharfsinnig zu verteidigen wußte, wie es die Auoic demon-

striert.

Hier gilt es innezuhalten und zusammenzufassen. Es hat

sich als wahrscheinlich herausgestellt, daß die unbekannte

antisthenische Schrift, die Porphyrios exzerpiert hat, ein

Dialog gewesen ist, der in den frühen neunziger Jahren ent-

standen ist: in diesem Dialog stellte ein Gesprächsteilnehmer

vielleicht der Sophist Hippias, die Behauptung auf, Homer ha-

be Odysseus durch das Beiwort noXuTportoi; als moralisch frag-

würdigen Charakter darstellen wollen; Sokrates verwies dem-

gegenüber auf die rhetorische Bedeutung des Beiwortes und

entwickelte eine philosophisch begründete rhetorische The-

orie, aus der sich ergab, daß Homer Odysseus nicht als Lüg-

ner, sondern als Idealbild des guten Redners dargestellt

habe.

74) Fragmente, a.a.O., S . 107; dies., Antistene, a.a.O., S . 78. - Anspielungen auf die vorliegende Schrift des Antisthenes dürften vorliegen auch bei Dlo, o r . 71 und bei Julian, or. 1 und 2, wo Odysseus als Idealbild des Redners gerühmt wird; v g l . hierzu im Einzelnen E . Heber, De Dione Chrysostomo Cynicorum sectatore, Leipziger Studien 10 (1887) S. 79-268, hier bes. S . 227f. 262. - Nachzutragen zu Z. 27-29 ist noch Eusthat. p . 1381, 45-47, wo ebenfalls von der noXuxponia der Nachtigall die Rede ist.

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Gesetzt, daß diese Vermutungen das Richtige treffen,

so ergeben sich bedeutsame Konsequenzen nicht nur für

Antisthenes, sondern auch für die Sokratik im allgemeinen.

Einige Andeutungen müssen genügen. Einmal: Antisthenes ist,

neben Platon, der früheste Vertreter des sokratischen Dia-

logs, von dem wir wissen. Wilamowitz' apodiktisches Urteil:

"Es ist nicht der Schatten eines Grundes, die Xoyoi Suxpa-

TiHOt für eine Erfindung dieses Sophisten zu halten."^5

,

bedarf zum mindesten der Uberprüfung. Zweitens: Antisthenes

hat die neue literarische Kunstform des sokratischen Dia-

logs, die er womöglich mitgeschaffen hat, in derselben Wei-

se zur Darstellung eigener Gedanken benutzt, wie es Platon

und Xenophon getan haben. Womit der quasihistorisch-fiktive

Charakter dieser Literaturgattung einmal mehr deutlich wird

Drittens endlich: Antisthenes hat seine rhetorisch-philoso-

phischen Thesen sehr früh literarisch fixiert, so daß die

übrigen Sokratiker, namentlich Platon, die Grundzüge anti-

sthenischen Denkens bereits vor Augen hatten, als sie ihre

eigenen Entwürfe schriftlich an die Öffentlichkeit zu brin-

gen begannen.

Zurück zum Titel Ilepi Ae^eu; fi nepi xapaKtfipwv, von dem

die Diskussion ihren Ausgang genommen hat.

Es ist nicht gewiß, wenn auch keineswegs ausgeschlos-

sen, daß die Schrift, die diesen Titel trug, dieselbe ge-

wesen ist, wie jene, deren Rekonstruktion im vorhergehenden

versucht wurde. Außer Zweifel steht aber in jedem Fall, daß

75) Platon, 2. Bd., a.a.O., S. 27. - Gegen die oft wie-derholte Behauptung, daß kein anderer als Platon als Erfinder des sokratischen Dialogs in Frage kom-men könne, wendet sich zu Recht 0 . Gigon, Sokrates, Bern 1947, S . 29 ff.

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Antisthenes in dieser Schrift die Grundzüge ebenjener rhe-torischen Theorie entwickelt hat, deren er sich bediente, um Odysseus als guten Redner gegen den Vorwurf der Lügen-haftigkeit zu verteidigen: daß Rhetorik, wofern sie fach-gerecht ausgeübt werde, v ie le r le i verschiedene Formen red-nerischer Ausdrucksmittel beherrschen müsse, um so jeden einzelnen Zuhörer in seiner jeweils unterschiedlichen ethisch-psychologischen Disposition angemessen und passend ansprechen können. Von hier aus erschließt sich auch die Bedeutung der Tite lbegri f fe , deren Erklärung anders nicht befriedigend gelingen wollte. Wenn der Titel von xi^ic, spricht, so meint er dasselbe, was Antisthenes, offenbar älterem Sprachgebrauch folgend, als X P ^ O I C ; T O Ü A O Y O U be-zeichnet hat. Nicht ganz so eindeutig läßt sich der Begriff \apanxf\p£c, bestimmen, den der Titel an zweiter Stelle nennt. Es ist wahrscheinlich, daß hiermit die verschiedenen Formen der Rede bezeichnet wurden, die Antisthenes rponot oder auch noial nXaoen; nannte; möglich wäre jedoch auch, dafi die verschiedenen ethisch-psychologischen Dispositionen der Zuhörer gemeint waren. Die Differenz ist nicht von gros-ser Bedeutung, da die Redeformen ja den ethischen Disposi-tionen genau entsprachen. Entscheidend ist , daß einmal mehr klar wird, daß Antisthenes hier nicht, wie Rostagni glaubt, die "classificazione dei tre s t i l i " 7 6 vorgelegt haben kann,

76) A.a.O., S. 7 f . Vgl. oben, S. 152, Anm. 57. - Rostagni weist, a.a.O., darauf hin, daß Odysseus, Menelaos und Nestor in stoischen Handbüchern als heroische Arche-geten der drei klassischen genera dlcendi erscheinen. Allein, diese Tatsache beweist nichts, da bei Anti-sthenes Odysseus nicht als ein Beispiel eines guten Redners unter anderen gefeiert wird, sondern als Ideal- und Musterbild des perfekten Redners schlecht-hin.

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sondern eine ganz andere rhetorisch-ethische Typologie ent-

wickelt haben muß, die, da die Formen der Rede "vielfältig"

waren, sehr viel ausführlicher und eingehender gewesen sein

muß, als die kanonische Dreiteilung der Stilarten. Man

wüßte gerne Genaueres über dieses Klassifikationsschema,

aber die Uberlieferung schweigt zu diesem Punkte, und so

lassen sich die Einzelheiten nicht einmal erraten. Aber

auch so steht außer Zweifel, daß es sich bei der vorliegen-

den Schrift um ein hochbedeutsames Werk gehandelt haben muß:

Antisthenes gab hier nichts Geringeres als einen Entwurf ei-

ner Theorie der Rede, die er aus dem Geist der Sokratik phi-

sosophisch begründete - ein frühes und jedenfalls achtbares

Gegenstück zum platonischen 'Gorgias' und 'Phaidros'.

2 AÜcic; fi Aiavtoc (I 2)

Dümmler fand, daß der Herausgeber diesen Titel " i n e p t i u s " ^

zusammengestellt habe. Sehr zu Unrecht. Denn während der

bloße Namentitel Atoe, den Benutzer des Katalogs im Unkla-

ren lassen mußte, was er hier zu erwarten hatte, etwa eine

Rede des Aias oder eine über Aias oder eine Abhandlung oder

einen Dialog, in dem Aias eine Hauptrolle spielte, läßt der

Alternativtitel Atav-ror, Koyoc auf den ersten Blick erken-

nen, daß es sich hier um nichts anderes handelt als um eine

Rede, die Aias in eigenem Namen vorgetragen hat.

Die Rede selber ist erhalten im berühmten Kodex Pala-

tinus 88 (X), der die superscriptio ' Avt icöevric• Ata;

bietet.

77) Antisthenica, a.a.O., S. 25.

3 'O&uaoEuc r] [ n e p l ] *05uooEue, \AOYO<;) (I 3)

Die überlieferte Fassung dieses Titels darf mit Recht als

"töricht" bezeichnet werden. Denn daß eine Schrift, die

d e n T i t e l 'o&uaoeuc t r ä g t , a u c h nepl 'o&uaa£w<; h a n d e l t ,

versteht sich von selbst und bedarf keiner besonderen No-

tierung. So ist die Vermutung nicht von der Hand zu weisen,

daß die Überlieferung des Alternativtitels korrupt ist. Me-

nagius empfahl als Verbesserung: "Scripserat, puto, Laerti-« , , 78

u s , nEpi '06uaaeta<; ." ; I . C a s a u b o n u s , ' N o t a e a d D i o g e n e m

Laertium', schlug vor: "Nimis certe est legendum esse ünEp

'Obvaaiwc, aut certe ' 0 & U O O E W < ; \6yoc, , ut modo dixit Aiaq

ri Alavtcx; A6yo<; Welcher dieser drei Vorschläge das

Richtige trifft, lehrt der Palatinus X , der die vorliegende

Schrift unter dem Lemma 'Obuaaeu<; erhalten hat: es handelt

sich hierbei weder um eine Rede für Odysseus noch gar um

eine Abhandlung über die 'Odyssee', Odysseus spricht vielmehr

78) Observationes et emendationes in Diogenem Laertium, in: Commentaril in Diogenem Laertium, 2. Bd., a.a.O., S . 9. - Menagius scheint hierbei an den Titel nepl '0&uaaeCa<; (ix 1) gedacht zu haben; dieser Titel wird jedoch nicht als Alternativtitel zum Titel (I 3) gebraucht, sondern steht absolut.

79) In: Commentarii in Diogenem Laertium, 1. Bd., Leipzig 1830, S . 95. - Die Konjektur unep 'o&uaoEui; fand Beifall bei Deycks, De Antisthenis Cynici vita et doctrina, a.a.O. S . 12, A n m . 1, sowie bei I.G. Baiter/H. Sauppe, Oratores Attici, 2. Bd., Zürich 1850, S . 167. - Dagegen wird die Emendation 'Obvoaeas (Xoyoc) zu Recht verteidigt von Mueller, De Antisthenis Cynici vita et scriptis, a.a.O., S . 34, dem sich Mullach, Philosophorum Graecorum Frag-m e n t a , 2. Bd., a.a.O., S . 270 anschließt. V g l . außerdem die gründliche Beweisführung bei H . J . Lulolfs, De Anti-sthenis studiis rhetoricls, Diss. Amsterdam 1900, S . 66 ff und neuerdings Caizzi, Antisthenis Fragmenta, a.a.O.,

S . 17, 78.

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selber in eigenem Neimen, um sich zu verteidigen, nicht anders

als vorher Aias. Es kann demnach nicht der geringste Zweifel

bestehen, daß der Alternativtitel nach dem Vorbild des vorher-

gehenden Titels zu emendieren ist: die Präposition nepi ist

zu streichen und das Substantiv Xoyo*; zun Ende des Titels ein-

zufügen. Die Textverderbnis dürfte dadurch entstanden sein,

daß das abschließende Substantiv, das vielleicht als Kürzel

geschrieben wurde, ausfiel; worauf man sich den nun sinn-

losen Genetiv ' 0&uaaeu<; nicht anders zu erklären wußte als

durch die Einfügung der Präposition nepi, wie sie bei jeder

Titelgebung geläufig ist.

Es stellt sich die Frage, wieso sich gerade die beiden vor-

genannten Deklamationen Ala<; und '0&uaaeu<; als einzige Schrif-

ten aus dem umfangreichen literarischen Nachlaß des Antisthenes

erhalten konnten. F . Blass, 'Die attische Beredsamkeit', hat

diese auffällige Tatsache zu erklären versucht: "Irgend ein

Rhetor der byzantinischen Zeit ... hat für Schulzwecke eine

Auswahl von je zwei Reden verschiedener Verfasser veranstaltet;

er beschränkte sich nicht auf die kanonischen zehn, sondern

nahm ... auch Gorgias, Antisthenes und Alkidamas mit je zwei

Reden auf. Dem Palatinus des Lysias ist ein Fragment dieser Aus-

wahl, die beiden letzteren Sophisten und zwei lysianische Reden

sammt dem Fragment des Demades umfassend, angefügt worden; die

Helena folgt an anderer Stelle nach; im Crippsianus des Antiphon

Andokides u.s.f. stehen die beiden des Gorgias und der Odysseus

des sogenannten Alkidamas ••• Die Auswahl scheint bei den So-

phisten durch das Interesse der Späteren für mythische Stoffe Q _ beeinflusst ..." Diese Erklärung trifft ohne Zweifel im we-

sentlichen das Richtige. Allerdings ist kaum glaublich, daß

man in byzantinischer Zeit noch über das Gesauntwerk von Gorgias,

Alkidamas oder Antisthenes verfügt hat. Die Auswahl dürfte viel-

mehr bereits in der Antike veranstaltet worden sein, vielleicht

im zweiten, spätestens aber im vierten nachchristlichen Jahr-

hundert, in dem Julian (frg. 8 C.) und Themistios (frg. 27 C.)

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das Werk des Antisthenes noch einmal, ein letztes Mal im

Original eingesehen zu haben scheinen.

Die beiden Reden sind die einzigen Schriften des Anti-

sthenes, die sich vollständig erhalten haben, und da sie

bisher noch nicht ins Deutsche Ubersetzt worden sind, so

mag hier, als Einführung in die Interpretation, zunächst

eine Ubersetzung Platz finden, die auf Glätte und bequeme

Lesbarkeit verzichtet, um Antisthenes möglichst genau zu

Wort kommen zu lassen. Als Grundlage dient die maßgebliche

kritische Ausgabe des Textes, die F . Blass, 'Antiphontis

Orationes et Fragmenta adiunctis Gorgiae Antisthenis Alci-81

damantis declamationibus' , vorgelegt hat.

81) 1. A u f l . , Leipzig 1871; 2 . A u f l . , ebenda 1881, S . 175-182.- Blass weist in der Präfatio der 2. A u f l . p . XXVIII—XXXI überzeugend nach, daß die Uberlieferung der Deklamation allein durch den Palatinus 88(X) re-präsentiert w i r d , demgegenüber alle anderen Handschrif-ten ohne eigenständigen Wert sind, auch der Laurentianus plut. 57,4, dem die 1. A u f l . p . XVI-XVIII noch eine Sonderstellung einräumen zu müssen glaubte. - Die De-klamationen des Antisthenes wurden zuerst ediert von Aldus Manutlus, Orationes horum rhetorum: ... Antisthenis ..., Venedig 1513; es folgen; H . Stephanus, Oratorum veterum orationes, Paris 1575, S . 181-183; J . J . Reiske, Oratores Graeci, 8 . B d . , Leipzig 1778, S . 52-63; N . Du-k a s , OL XOYOT Ttov ' A T T L K ~ V PR)Tor-WV , 9. Bd., Leipzig 1813, S . 319-325; I. Bekker, Oratores Attici, 5. B d . , Berlin 1824, S. 663-667 (erste brauchbare Ausgabe); G . S . Dob-son, Oratores A t t i c i , 4 . B d . , London 1828, S . 642-648, 689; Winckelmann, Antisthenis Fragmenta, a.a.O., S . 38-44; I.G. Baiter/H. Sauppe, Oratores A t t i c i , 2 . Bd., Zürich 1850,S. 167-169; C . Müller, Oratores A t t i c i , 2 . B d . , Paris 1858, S . 193-197; Blass, a.a.O.; Lulolfs, De Antisthenis studiis rhetoricis, a.a.O., S . 62-77; Radermacher, Artium Scrlptores, a.a.O., S . 122-126; C a i z z i , Antisthenis Fragmenta, a.a.O., S . 24-28 (frg. 14,15). - Nachzutragen bleibt, daß Dobson, a.a.O., 14. Bd., S . 500-503, eine lateinische Übersetzung bei-der Stücke vorgelegt h a t , die Müller, a.a.O., unver-ändert abdruckt; J . Humble, Antisthenes'Fragmenten, D i s s . Gent 1932, S . 91-98, gibt eine niederländische Übersetzung.

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Aias oder des Aias Rede (frg. 14 C.):

(1) "Ich wollte, dieselben Leute richteten Uber uns, die auch bei den Vorgängen dabeigewesen sind. Denn ich weiß, daß ich dann schweigen könnte, dem aber brächte sein Reden keinen Vorteil. Jetzt aber sind diejenigen, die bei den Taten selbst ( T O T C Epyo ic auxofc coni. Reiske; T O T C au-rolc epr°ic X) anwesend waren, abwesend, und ihr, die ihr von nichts wißt, richtet. Aber welch ein Richtspruch kann wohl von Richtern ergehen, die nichts wissen? Und dies durch Reden? Der Vorgang geschah durch die Tatl

(2) Den Körper Achills habe also ich in Sicherheit gebracht, indem ich ihn trug, die Waffen der da, well er wußte, daß die Troer nicht so sehr der Waffen, sondern des Leichnams sich zu bemächtigen trachteten. Denn hätten sie sich dessen bemächtigt, so hätten sie den Körper mißhandelt und sich die Auslösung Hektors gesichert; die Waffen hier aber hätten sie nicht den Göttern

(3) aufgestellt, sondern versteckt, aus Furcht vor diesem vortrefflichen Manne d a , der schon früher ihr Kult-bild der Göttin bei Nacht aus dem Tempel geraubt hat und sich dann, als habe er etwas Schönes vollbracht, vör den Achaiern präsentierte. Und ich beanspruche nun, die Waffen zu erhalten, um sie den Angehörigen weiterzugeben, der aber, um sie für Geld wegzugeben, da er wohl kaum wagen wird, sie zu benutzen. Kein Feigling benutzt nämlich ausgezeichnete Waffen, weil er weiß, daß die Waffen seine Feigheit an den Tag bringen.

(4) Es ist nun beinahe alles ähnlich (axe&ov uev ouv t a u anavia opoia X , vix recte; desideratur adhuc emen-datlo): diejenigen nämlich, die den Rechtsstreit ver-anstaltet haben, die von sich behaupten, Könige zu sein ((paoKov-tEc eivai ßaoiXeic coni. Jernstedt; alii aliter: obu ovtec, Inavol ßaaiXeTc Reiske, ßaaiXeic e>tovTec eivai Bekker, ewov-rec eivai [ßaoiXeic] Sauppe; OUH ovxec eivai ßaaiAefc X), haben es anderen Uberlassen, Uber die Vortrefflichkeit zu entscheiden, und ihr, die ihr von nichts wißt, versprecht, zu richten, worüber ihr nichts wißt. Ich aber verstehe dies: kein König, der etwas taugt, wird es anderen Uberlassen, über die Vortrefflichkeit zu entscheiden, nicht mehr als ein guter Arzt einem anderen anheim-stellen wird, Krankheiten zu erkennen.

(5) Und wenn ich es nun mit einem gleichgearteten Manne zu tun hätte, so würde es für mich keinen Unterschied

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machen zu unterliegen. Jetzt aber gibt es nichts, was sich mehr unterscheidet als ich und der da. Er tut nichts öffentlich, ich wage nichts heimlich zu tun. Und ich könnte es nicht ertragen, daß man schlecht über mich redete oder mich gar (y'av coni. Blass; Y<«P X ) schlecht behandelte, der da sogar, daß man ihn aufhinge,

(6) wenn nur irgendein Gewinn zu erwarten ist. Hat er sich doch den Sklaven zum Auspeitschen dargeboten und sich den Rücken mit Knüppeln und das Gesicht mit Fäusten schlagen lassen, und hat sich dann Lumpen umgeworfen, ist nachts in die Festung der Feinde eingedrungen, hat den Tempel beraubt und ist verschwunden. Und nun beansprucht dieser von der Peitsche gezeichnete Tempelräuber, die Waffen Achills zu erhalten?

(7) Ich sage euch nun, euch unwissenden Schiedsmännern und Richtern: Schaut nicht auf die Reden, wenn ihr über die Vorzüglichkeit entscheidet, sondern lieber auf die Taten! Denn auch der Krieg wird nicht durch die Rede entschieden, sondern durch die Tat, und man kann gegenüber den Feinden keine Widerrede vorbringen, sondern muß kämpfend siegen oder schweigend als Sklave leben. Dies faßt ins Auge und bedenkt: Wenn ihr nicht gut richtet, werdet ihr merken, daß die Rede keine

(8) Kraft hat im Vergleich zur Tat, und daß euch ein Mann, der redet, nicht helfen kann, und werdet begreifen, daß aus Unfähigkeit zu Taten viele lange Reden gehal-ten werden. Also: sagt entweder, daß ihr nicht ver-steht, was gesprochen wird, und erhebt euch, oder richtet richtig. Und dies tut nicht versteckt, sondern offen, damit ihr merkt, daß auch die Richtenden sel-ber Rechenschaft geben müssen, wenn sie nicht richtig richten. Und dann werdet ihr vielleicht merken, daß ihr nicht als Schiedsrichter von Gesagtem, sondern

(9) als Mutmaßende dasitzt. Ich gestatte euch, Uber mich und meine Taten Erkenntnisse vorzubringen, Mutmaßungen anzustellen verbiete ich jedoch allen, zumal über einen Mann, der nicht freiwillig, sondern unfreiwillig nach Troja gekommen ist, und über mich, der ich stets als erster und einziger und ohne Mauer die Stellung halte."

Odysseus oder des Odysseus Rede (frg. 15 C.):

(1) "Nicht an dich allein geht die Rede, derentwegen ich mich erhoben habe, sondern auch an alle anderen. Denn ich habe dem Heere mehr Guttaten erwiesen als ihr alle. Und dies würde ich sagen, wenn Achill noch

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lebte, und sage es jetzt zu euch, wo er tot ist. Ihr nämlich habt keinen anderen Kampf gekämpft, den nicht auch ich mit euch bestanden habe, von meinen eigenen gefahrvollen Unternehmungen aber ist keiner von euch

(2) jemals Zeuge gewesen. Jedoch, bei den gemeinsamen Kämpfen konnte sich kein Vorteil ergeben, auch nicht wenn ( o v b l ei coni.Reiske; °ÜTE E! X) ihr gut strittet, - bei meinen gefährlichen Unternehmungen aber, die ich allein bestanden habe, wenn ich da Erfolg hatte, so war euch alles erfüllt, weswegen ihr nach Troja gekommen seid, wenn ich aber scheitern sollte, so hättet ihr nur mich, einen einzigen Mann verloren. Nicht nämlich um mit den Troern zu kämpfen, sind wir hierher gekommen, sondern um Helena zu holen

(3) und Troja einzunehmen. Dies alles aber lag in meinen Unternehmungen beschlossen. Denn da geweissagt worden war, Troja sei uneinnehmbar, bevor wir nicht das Kultbild der Göttin holten, das man von uns gestohlen hat - wer anders hat das Kultbild hierher gebracht als ich? Den du des Tempelraubes bezichtigst! Du weißt gar nichts, wenn du den Mann, der das Bild der Göttin geborgen hat, nicht aber den, der es heimlich

(4) von uns entwendet hat, Alexandros, als Tempelräuber beschimpfst. Und daß Troja genommen wird, darum betet ihr alle, mich aber, der herausgefunden hat, wie das geschehen kann, beschimpfst du als Tempelräuber? Aber wenn es schön war, Ilion einzunehmen, so auch, die Ursache hierfür zu finden. Und die anderen sind dank-bar, du aber machst mir sogar noch Vorwürfel Aus Unwissenheit nämlich weißt du nichts von den Guttaten,

(5) die man dir erwiesen hat. Und ich mache dir nicht die Unwissenheit zum Vorwurf (unfreiwillig nämlich erleidest du dies und alle anderen), sondern daß du nicht zugeben kannst, durch meine Schandtaten gerettet worden zu sein, vielmehr auch noch drohst, diesen Leuten hier einen Schaden zuzufügen (bpctau^ TI coni. Reiske; SpoaavTi X), wenn sie bei der Abstimmung die Waffen mir zusprechen sollten. Vielfach und viel-mals wirst du drohen, bevor du auch nur eine Kleinig-keit tust; wenn man aber aus der Wahrscheinlichkeit Schlüsse ziehen darf, so wirst du, glaube ich, auf-grund deiner schlimmen Zornmütigkeit dir selber noch etwas Schlimmes antun ( epyaoeoOai coni. Blass; epyäoaoSaT X) .

(6) Und mir wirfst du nun Feigheit vor, weil ich den Feinden heimlich (Kadpa inser. Blass) Schaden zuge-fügt habe, du aber bist töricht gewesen, weil du dich vor aller Augen und erfolglos abgemüht hast. Oder (fi inser. Blass e d . I) glaubst d u , ein besserer Mann

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Mann zu sein, weil du dies im Verein mit allen getan hast ( TOCT' E6paoa<; corr. codd. dett.,touTo bpaaac, X) ? Und dann redest du zu mir über die Vor-trefflichkeit? Du weißt ja zunächst nicht einmal, wie man kämpfen m u ß , sondern schießt im Zorne dahin wie ein wilder Eber und wirst dich womöglich noch einmal selber auf üble Weise töten, indem du In dein Schwert (E,lq>ei inser. Blass) stürzt. Weißt du nicht, daß ein vortrefflicher Mann weder durch sich selbst (ü<p' aütou coni. Reiske ün' aüxou X) noch durch einen anderen noch durch seine Feinde Irgendein Übel erlei-

(7) den kann? Du aber freust dich wie ein Kind, weil diese Leute hier sagen, du seiest tapfer; ich hingegen sage, daß du der feigste von allen bist und der am meisten todesfürchtige. Besitzt du doch zunächst einmal ( Tip COT o v corr. c o d . d e t . , ÖTPUTOV X) unzerstörbare und unverwundbare Waffen, durch die d u , wie man sagt, unverwundbar bist. Aber was könntest du ausrichten, wenn dir einer der Feinde m i t solchen Waffen entgegen-träte? Wahrhaftig, das wäre eine schöne und bewunderns-werte Sache, wenn keiner von euch Irgendetwas ausrich-ten könnte! Zum anderen: glaubst d u , daß es einen Unterschied macht, solche Waffen zu besitzen ( E X E I V coni Reiske, ex^v X) oder innerhalb einer Mauer zu sitzen? Und du brauchst als einziger keine Mauer, wie du sagst. Du gehst ja als einziger herum, eine sie-

(8) benhäutige Mauer vor dir hertragend, ich aber gehe waffenlos nicht an die Mauer der Feinde heran, son-dern durch die Mauern selber hindurch, nehme die Wäch-ter der Feinde wachend mitsamt ihren Waffen gefangen, bin Feldherr und Wächter von dir und allen anderen und weiß, was hier und was bei den Feinden geschieht, nicht weil ich einen anderen auf Kundschaft schicke (ncpnuv corr. c o d . d e t . , n e u m X), sondern selber gehe ( luv inser. Blass; ov.oniöv Reiske) . Wie die Steuerleute Tag und Nacht darauf schauen, wie sie die Schiffsbesatzung vor Unheil bewahren, so bewahre auch

(9) ich dich und alle anderen vor Unheil. Es gibt kein ge-fährliches Unternehmen, in dem ich den Feinden irgend-welchen Schaden zufügen konnte, das ich gemieden habe, weil ich es für schimpflich hielt, und ich wäre auch nicht wagemutig, wenn man mich sehen könnte, weil mich nach äußerem Schein gelüstete, sondern wenn ich als Sklave oder als ausgepeitschter Bettler den Feinden irgendein Übel zufügen könnte, so würde ich den Ver-such machen, auch wenn es keiner sähe. Denn nicht nach äußerem Schein, sondern nach der Tat verlangt der Krieg, allemal, Tag und N a c h t . Ich besitze auch keine bestimm-ten Waffen, in denen ich die Feinde auffordere zu kämpfen, sondern bin, auf welche Weise man w i l l , gegen

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(10) einen und gegen viele stets bereit. Auch gebe ich nicht, wenn ich erschöpft bin vom Kämpfen, die Waffen, wie du, an einen anderen, sondern wenn die Feinde sich ausruhen, dann greife ich sie in :der Nacht an mit solchen Waffen, die ihnen am meisten schaden. Und mich hat noch niemals (nai ovbi coni. Sauppe; MOI OUTE X) die Nacht abgehalten, so wie sie dir beim Kampfe oftmals erwünschte Ruhe gewährt hat, sondern wenn du schnarchst, dann sorge ich für dein Heil und füge den Feinden immer wieder irgendwelchen Schaden zu mit diesen sklavenmäßigen Waffen, den Lumpen und den Peitschenstriemen, derentwegen du sicher schläfst.

(11) Du glaubst, tapfer zu sein, weil du den Leichnam ge-tragen und geborgen hast? Wenn du ihn nicht zu tragen vermochtest, so würden ihn zwei Männer tragen. Und hernach würden auch jene womöglich ( ICTUQ coni.Blass; nüt; X) mit uns über die Vortrefflichkeit streiten. Ich könnte ihnen gegenüber dieselbe Rede halten, was aber würdest du sagen, wenn du mit ihnen streiten müßtest? Oder magst du dich um Zweie nicht kümmern,

(12) schämst dich aber zuzugeben, daß du feiger gewesen bist als Einer? Weißt du nicht, daß den Troern nicht an dem Leichnam, sondern an den Waffen lag ( E H EA E V corr. codd. dett., E J I EXXE V X), daß sie sie bekämen? Den nämlich mußten sie zurückgeben, die Waffen aber konnten sie in ihren Heiligtümern für die Götter auf-stellen. Denn es ist nicht schimpflich, wenn man eine Leiche nicht bestattet ( ävaipou^Evotc corr. codd. dett., ava ipouHEvout; X),sondern wenn man sie nicht zum Begraben herausgibt. Du also hast geborgen, was ohne-hin sicher war, ich aber habe ihnen weggenommen, was uns Schande gebracht hätte.

(13) Du krankst an Neid und an Unwissenheit, den beiden ein-ander am meisten entgegengesetzten Übeln: jener läßt dich nach schönen Dingen verlangen, diese hält dich davon zurück. Dir ist etwas Menschenübliches wider-fahren: weil ( 6L6TL corr. cod. det., & O T I X) du stark bist, glaubst du auch tapfer zu sein. Du weißt nicht, daß Klugheit im Kriege und Tapferkeit nicht dasselbe sind wie Stärke; Unwissenheit ist jedoch das größte

(14) Übel für die, die sie besitzen. Ich glaube, wenn es einmal einen Dichter gibt, der weise ist in Sachen der Vortrefflichkeit, so wird er mich darstellen als viel-duldend, vielplanend, vielerlei Listen wissend, als Städtezerstörer und einzigen Eroberer Trojas, dich aber, wie ich glaube, wird er in deitier Natur verglei-chen mit störrischen Eseln und weidenden Rindern, die sich selbst anderen anbieten ( tapExouoi coni. Reiske; ünopxouai X), um gebunden und unter das Joch gebracht zu werden."

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Die beiden vorliegenden Reden sind von F . Blass, 'Die atti-82

sehe Beredsamkeit' , grundlegend analysiert, und von 83

H . J . Lulolfs, 'De Antisthenis studiis rhetoricis' , und

A . Bachmann, 'Aias et Ulixes declamationes utrum iure attri-84

buantur Antistheni necne' , ausführlich kommentiert w o r d e n ,

so daß sich die Darstellung im folgenden auf einige wesent-

liche Punkte beschränken kann.

Zunächst der Mythos, der den äußeren Rahmen für beide

Reden abgibt. Die berühmte Geschichte vom 'Streit um die

Waffen' wird in der antiken Überlieferung, deren Quellen 85

C . Robert, 'Die griechische Heldensage' , eingehend unter-

82) 2. Bd., 2. A u f l . , Leipzig 1892, S . 337-344; d e r s . , Antiphontis Orationes, a.a.O. - V g l . außerdem J . D a h m e n , Quaestiones Xenophonteae et Antisthenicae, D i s s . Mar-burg 1897, S . 56-60; neuerdings vor allem R . Hölstad, Cynic Hero and Cynic King, Diss. Uppsala 1948, S . 94-102 G . Kennedy, The art of persuasion in G r e e c e , Prlnceton 1963, S . 170-172; Caizzi, Antistene, a.a.O., S . 66-74.

83) D i s s . Amsterdam 1900, S . 60-118.

84) D i s s . Münster 1911. - V g l . neuerdings den kurzen Kommen-tar bei Caizzi, Antisthenis Fragmenta, a.a.O., S . 89-92.

85) 3 . B u c h , 2 . A b t . , 1. Hälfte, Berlin 1923, S . 1198-1207; d e r s . , Bild und L i e d , Philologische Untersuchungen 5 , Berlin 1881, S . 213-221. V g l . neuerdings F . V i a n , Quintus de Smyrne, La Suite d ' Homere, 2 . B d . , Paris 1966, S . 7 - 1 7 . - Eine Bemerkung zur Quellenkritik der otiXuv KpiJic; . Die älteste Erwähnung dieser GeBchichte findet sich in der 'Odyssee' 11.543 ff.: Odysseus er-zählt, wie Aias ihm in der Unterwelt gezürnt habe

E I v£HCT V CH I I C / T I IV LUV iy&> VIHT|OA 6 iK<X£OJIEvot; napa vriuot/ TEU'/Eaiv ap(p' 'Ax^-rioc- E ^ h e 6e noTvia p^trip,/ nat&Et; 6e Tpwtov btnaoav Mal TlaAXar. 'Aöiivr)Robert, Bild und L i e d , a.a.O S . 221, Heldensage, a.a.O., S . 1199, ist der Ansicht, es handele sich hier um eine mißverstandene oder miß-verständliche Anspielung auf die 'Kleine Ilias' (frg. 2 Kinkel), in der erzählt wurde, man habe auf Nestors Rat Späher nach Troja geschickt, die heimlich belauschten, wie troische Mädchen, die Athene beeinflußte, die Taten des Odysseus bei der Bergung Achills mehr lobten als je-n e , die Aias vollbracht hatte. Diese Annahme, der u . a . v . Wilamowitz, Homerische Untersuchungen, Philologische

- 200 -

sucht hat, höchst unterschiedlich dargestellt. So wird

Untersuchungen 7, Berlin 1884, S . 153 f., und E . Bethe, Homer, 2. Bd., Berlin 1922, S . 245, beipflichten, hält genauerer Nachprüfung nicht stand. Die 'Odyssee' weiß von einem förmlichen Prozess, der "bei den Schiffen" stattgefunden hat, die 'Kleine Ilias' kennt dagegen nur eine Belauschung "bei den Mauern" Trojas; im übrigen muß die Wendung nai&Et; Tpuwv (Od. 11 .547) nach Analogie zu Ausdrücken wie ulec 'Axaiwveher als poetischer Ausdruck für TpÜE<; aufgefaßt werden denn als Synonym für Tputnai napÖEvoi. Nach alledem kann kein Zweifel sein, daß die 'Odyssee' nicht die 'Kleine Ilias' im Auge hat, sondern eine ganz andere Version der Erzählung, die später in den Odysseescholien HQV z.St. und bei Apollodor 5.6 mythographisch, bei Quintus von Smyrna 5. 106 ff. poe-tisch fixiert wird: daß die Griechen, um ein möglichst unparteiisches Urteil zu gewährleisten, die Entscheidung über den Besitz der Waffen trolschen Kriegsgefangenen überlassen haben. Die Anspielung der 'Odyssee' ist im übrigen von so voraussetzungsreicher Kürze und Knappheit, daß sich der Eindruck aufdrängt, der Dichter habe eine konkrete, poetisch fixierte Darstellung im Auge gehabt. Am ehesten käme hierfür^die 'Aithiopis' (frg. 2 Kinkel) in Frage, in der die uploii; ausführlich dargestellt wurde. Diese Vermutung, die zuerst G.F. Welcker, Der epische Cyclus, 2. Bd., 2. Aufl., Bonn 1882,S. 177 f., geäußert hat, dem Vian, a.a.O., S . 8 jetzt folgt, ver-liert allerdings an Überzeugungskraft, wenn man die dritte Version der Geschichte in Betracht zieht, die auf frühen Vasenbildern sowie bei Pindar, Nem. 8.26 f. und Sophokles, Aias v . 1135 vorausgesetzt ist und später kanonisch wird: daß es die achäischen Helden selber gewesen sind, die durch Abstimmung die Entschei-dung über den Besitz der Waffen herbeiführten. Diese einfache und rezeptionsgeschichtlich maßgebliche Version der Geschichte dürfte es gewesen sein, die in der 'Aithiopis' erzählt wurde, nicht die komplizierte und wenig bekannte Fassung der 'Odyssee'. In diesem Falle bleibt freilich rätselhaft, woher der Odyssee-dichter seine Anspielung genommen hat; wie umgekehrt die Herkunft der kanonischen Version rätselhaft bleiben müßte, wenn man die Fassung der 'Odyssee' für die 'Aithiopis' in Anspruch nähme. Aber das Verhältnis der 'Odyssee' zu den außeriliadischen Mythen und Epen über Troja gibt ja ohnehin die größten Rätsel auf.

- 201 -

allein die Entscheidung über den Besitz der Waffen, die

hier im Mittelpunkt steht, in drei verschiedenen Versionen

erzählt, die allesamt früh bezeugt sind: Einmal sind es die

achäischen Helden, die die Entscheidung durch eine Abstim-

mung herbeiführen; dann wieder sind es troische Kriegsge-

fangene, denen man die Abstimmung überläßt, um ein möglichst

unparteiisches Urteil zu gewährleisten; schließlich gibt

die Aussage troischer Mädchen den Ausschlag, die man helm-

lich in der Stadt belauscht hat. Es stellt sich die Frage,

welche dieser Versionen Antisthenes im Auge gehabt hat. Die

Reden gehen davon aus, daß die Könige die Entscheidung zur

Abstimmung an ein Gremium von Richtern delegiert haben, die

selber am Kampf um Achills Leiche nicht teilgenommen haben

(Ai. § 4, Od. §5; vgl. A i . §§ 1, 7f.). Diese Voraussetzung

trifft sowohl auf die erste wie auf die zweite Version der

Erzählung zu, die beide von einer regelrechten Gerichtsver-

handlung wissen, die die dritte Version nicht kennt. Blass

entschied sich für die zweite Variante, in der erzählt wurde,

daß troische Kriegsgefangene das Urteil fällen: "Ai. 1. 4.

7f. werden die Richter ou&ev e i & o T e < , (Gegensatz: i tapayevoiievoi ) 86

genannt, was nur zu dieser Version des Mythus paßt." Es

spricht indes nichts dagegen, daß auch die achäischen Helden

als "unwissend" bezeichnet werden konnten, da der Kampf »im

Achills Leiche mythischer Tradition zufolge im wesentlichen

allein von Aias und Odysseus geführt wurde. Wie denn auch

Aias die Atriden und das von ihnen eingesetzte Gericht mit

ganz anderen, ungleich stärkeren Argumenten hätte angreifen

können, ja müssen, wenn er tatsächlich troische Kriegsgefangene

86) A.a.O., S . 338, Anm. 1. V g l . außerdem Lulolfs, a.a.O., S . 85 f., der im übrigen die Verse O d . 11.543 ff. für die unmittelbare Quelle des Antisthenes hält; Caizzi, Antistene, a.a.O., S . 66. - Ein beiläufiger Widerspruch gegen Blass bei Robert, Heldensage, a.a.O., S . 1199, Anm. 5; vgl. jetzt Vian, a.a.O., S . 8, Anm. 1.

- 202 -

vor sich gehabt hätte. So ergibt sich der Schluß, daß Anti-

sthenes bei Abfassung der Reden die erstgenannte Fassung

der Geschichte im Auge gehabt hat, die voraussetzt, daß

ein Schiedsgericht achäischer Helden einberufen wurde, vor

dem Aias und Odysseus ihre Ansprüche auf den Besitz der

göttlichen Waffen des toten Achill möglichst überzeugend

und beweiskräftig vortragen mußten.

Im Rahmen dieser allgemeinen Erzählsituation, die auf

die 'Aithiopis1

zurückgehen dürfte und früh kanonisch wird,

nehmen die Reden vielfach Gelegenheit, auf andere Begeben-

heiten der Trojasage einzugehen. So wird erzählt, daß Aias

unzerstörbare Waffen besitze (Od. § 7); daß Odysseus nur

unter Zwang nach Troja gekommen sei (Ai. § 8) und daß er

das Palladion geraubt habe (Ai. § 3; O d . §§ 3 f., 8, vgl.

10); daß beim Kampf um den toten Achill Aias die Leiche,

Odysseus die Waffen gerettet habe (Ai. §§ 2, 6; O d . § 11 f.);

schließlich wird voraussagend angedeutet, daß Aias durch

Selbstmord enden werde (Od. § 5 f.). Es fällt auf, daß

diese Anspielungen und Andeutungen zum größeren Teil andere

Versionen des Mythos bieten, als die traditionelle Überlie-

ferung kennt. So wird etwa der Raub des Palladions seit dem

kyklischen Epos gemeinhin nicht vor, sondern nach dem Waf-

fenstreit erzählt; so weiß die Uberlieferung seit der Tra-

gödie wohl von der körperlichen Unverwundbarkeit des Aias,

nicht aber von unzerstörbaren Waffen; desgleichen wird nir-

gends anders als hier berichtet, daß Aias die Leiche, Odys-

seus die Waffen Achills geborgen habe. Gleichviel, ob diese

auffälligen Abweichungen von der traditionellen Überlieferung

auf unbekannte Nebenquellen zurückzuführen sind oder ob es

sich, ungleich wahrscheinlicher, um Autoschediasmen handelt,

die im Verlauf der rednerischen Argumentation ad hoc er-

funden sind, - in jedem Fall zeigt sich, daß Antisthenes mit

- 203 -

den überlieferten Mythen höchst kenntnisreich und höchst

eigenständig umgegangen ist.

In auffälligem Gegensatz zu dieser souveränen Behand-

lung der mythischen Stoffe steht eine höchst kenntnisreiche

und detaillierte Benutzung Homers, der einmal in Form eines

vaticinium ex eventu als "weiser Dichter in Sachen der aper^"

(Od. § 14) gepriesen wird. Hierher gehört vor allem die

Aufzählung der lobenden Odysseusepitheta noxüiki;, noXuiaffxic,

noXuii-nxovot; und irro\inopdoc , die so philologisch exakt ist,

daß das Fehlen des Beiwortes noxC-vponoc, der Erklärung be-

darf; in dieselbe Richtung weist der Vergleich des Aias

mit Esel und Rind (Od. § 14), der eine unverkennbare, wenn

auch höchst eigenwillige Anspielung auf das berühmte Gleich-

nis II. 11.558 ff. darstellt; schließlich ist in diesem

Zusammenhang auch die Erwähnung des en-toßoEtov oaxot (Od. § 7)

zu nennen, die ganz zitathaft auf II. 7.219 ff. Bezug nimmt.

Die freie Behandlung des mythischen Stoffes, verknüpft

mit der akribisch genauen Benutzung Homers, gibt den Reden

ein so eigentümliches und originelles Gepräge, daß man sie

nur ungern für das Werk eines Nachahmers oder Fälschers

halten möchte. Und doch ist die Echtheit der antisthenischen

DeklamatIonen im 19. Jahrhundert mehrfach in Zweifel gezogen

worden.

87 H.E. Foss, 'De Gorgia Leontino' , machte den Anfang:

Die antike Literaturkritik, die vor allem durch Quintilian,

Inst. o r . 4.2.41 glaubhaft repräsentiert werde, sei überein-

stimmend der Überzeugung, daß man erst zur Zeit des Demetrlos

von Phaleron begonnen habe, fingierte Rechtsfälle rhetorisch

zu behandeln; demnach müsse man den 'Palamedes' des Gorgias,

87) Halle 1828, S . 92 ff. - Ebenso urteilen u.a. Baiter/Sauppe, a.a.O., S . 167; Mueller, a.a.O., S . 30 ff., dem Mullach, a.a.O., S . 269, folgt.

- 204 -

den 'Odysseus' des Alkidamas und auch den Aia<; und den

'o&uaaeu; des Antisthenes, die allesamt fingierte Prozess-

verhandlungen voraussetzen, als unechte Machwerke späterer

Zeit ansehen. Blass bemerkt zu dieser Argumentationsführung

sehr richtig: "... eben diese Reden und dazu die ' O p e a x o u

anoXoyta bei Diogenes liefern, wenn man umgedreht schlies-88

sen will, den Gegenbeweis." In der Tat, wenn die antike

Tatsachenbehauptung in so eklatantem Widerspruch zu den

überlieferten Texten steht, denen, außer der ' O p e c r r o u i r c o -

XoyCa des Antisthenes (I 4), noch der anonyme 'Alexandros'

(frg. C 74 Radermacher) hinzuzufügen ist, so müssen die

Texte den Ausschlag geben, nicht die Handbuchgelehrsamkeit

der antiken Grammatiker. Wie denn auch gar nicht einzusehen

ist, warum die älteren Rhetoren, die doch die epideiktische

Rede nach fingiertem Thema (Beispiel: Gorgias' und Isokrates'

'Helena') und die fiktive Gerichtsrede nach konkretem Thema

(Beispiel: Piatons 'Apologie des Sokrates'; Polykrates'

'Anklage des Sokrates') nachweislich gepflegt haben, sich

nicht auch das nahverwandte Genus der Gerichtsrede fingier-

ter Thematik, wenigstens beiläufig, sollten angelegen haben

sein lassen. Im Grunde will die antike Literaturkritik,

deren Aussage Quintllian im übrigen durch die Wendung "fere

constat" einschränkt, auch gar nicht behaupten, daß man in

der Zeit vor Demetrios niemals fingierte Rechtsfälle rhe-

torisch behandelt habe, sondern nur, daß es erst zu dieser

Zeit allgemein üblich geworden sei, dergleichen Reden im

rhetorischen Unterricht zu Übungszwecken vorzuführen und

halten zu lassen.

Anders als Foss suchte wenig später H.E. Benseier, 'De

88) Attische Beredsamkeit, a.a.O., S . 339. - Vgl. außerdem Dahmen, a.a.O., S. 56; Lulolfs, a.a.O., S . 37 f.; Bachmann, a.a.O., S . 3 f.

- 205 -

89 hiatu in scriptoribus Graecis' , die Athetese zu begründen:

In den Reden werde mit einer gewissen Sorgfalt der Hiat ver-

mieden; auf Hiatvermeidung aber habe zur Zeit des Antisthenes

allein Isokrates geachtet; die Reden seien demnach als Pro-

dukte nachisokrateischer Zeit anzusehen, die man fälschlich

Antisthenes zugeschrieben habe. Auch diese Argumentation ist

keineswegs stichhaltig. Die Reden vermeiden den Hiat nicht

grundsätzlich, wie dies Isokrates tat; sie lassen leichte

Hiate vielmehr nahezu unbeschränkt zu und bemühen sich ledig-

lich, die schweren Fälle möglichst zu unterdrücken. Daß eben-

dieser Sprachgebrauch antisthenisch ist, hat wiederum Blass

gesehen: "... in den Fragmenten des Antisthenes, die freilich

spärlich genug sind, ergibt sich bei wörtlicher Anführung qr>

kein anderes Verhältnis." In der Tat kann auch nicht wun-

dernehmen, daß Antisthenes, der auf die stilistische Ausge-

staltung seiner Schriften nachweislich Wert legte, auf die

Vermeidung schwerer Hiate bedacht war. Thukydides und nament-

lich der spätere Piaton verfahren ebenso.

Wieder anders begründet L . Radermacher, 'Der Aias und 91

Odysseus des Antisthenes' ,die Athetese: In den Reden be-

gegneten mehrfach iambische Trimeter, deren Anzahl sich durch

leichte Änderungen des Textes unschwer vervielfachen ließe;

es handele sich um nichts anderes als um die noch dazu wenig

geschickt gemachte Prosaparaphrase zweier tragischer piiatu;.

89) 1. Bd., Freiberg 1841, S . 169.

90) A.a.O., S . 342, wo auch die wichtigsten Belege ver-zeichnet sind. - V g l . außerdem Dahmen, a.a.O., und vor allem Lulolfs, a.a.O., S . 103-106, und Bachmann, a.a.O., S . 37-40, die den Hlatgebrauch des Antisthenes voll-ständig dokumentleren und eingehend untersuchen.

91) Rheinisches Museum 74 (1892) S . 569-576.

- 206 -

deren Vorbild, wie die laxe Versbildung und die sophistische

Gedankenführung erkennen lasse, eine nacheuripideische Tra-

gödie gewesen sei, womöglich der 'Aias' des Theodektes (p.

801 Nauck). Auch diese Beweisführung hält genauerer Nach-

prüfung nicht stand. Lulolfs bemerkt treffend: "... investi-

gandi ratio, qua Radermacherus usus, ne dicam abusus est,

si in huiusmodi disquisitionibus valebit, vereor ne permulta

quae prosa oratlone conscripta sunt mox poematum ~apaq>paae i; 92

multis videantur." In der Tat hat die antike Kunstprosa,

die ja in Konkurrenz zur Poesie entstanden ist, grundsätzlich

die Tendenz, die Sprache nach metrischen Gesetzmäßigkeiten

zu rhythmisieren, so daß sich jeder rhetorisch durchstili-

sierte Text, wenn man entsprechende Veränderungen vornähme,

ohne allzu große Mühe in leidliche Verse bringen ließe. Daß

sich die Reden auf solche Weise iambisch versifizieren lassen,

beweist demnach nicht mehr, als daß sie in einer iambisch

rhythmisierten Kunstsprache geschrieben sind. Verzichtet man

auf jeden Eingriff in den überlieferten Text, so bleibt die

auffällige Tatsache bestehen, daß sich die iambisch getönte

Sprache der Reden an einigen Stellen zu trimeterartigen oder

auch trimetrischen Versgebilden verdichtet. Ebendieser Be-

fund beweist jedoch nicht die Unechtheit, sondern gerade das

Alter und somit die Echtheit der Reden, da die Kunstprosa nur

in der Frühzeit der Neigung zum Vers nachgegeben hat, während

92) A.a.O., S . 106. - Vgl. außerdem Dahmen, a.a.O., S . 56 f.; Bachmann, a.a.O., S . 7 ff., 35 ff. - Das Allgemeine bespricht E . Norden, Die antike Kunst-prosa, 1. Bd., 3. Aufl., Leipzig 1915, S . 50-63, wo auch die einschlägigen antiken Zeugnisse aufge-führt sind. - Eine minutiöse Untersuchung der tri-metrischen Iambengebilde in den Reden, die Blass, Antiphontis orationes etc., a.a.O., S . 176 ff., als erster konstatiert hat (vgl. ders., Beredsamkeit, a.a.O., S . 341, A n m . 2), gibt Lulolfs, a.a.O., S . 109-115, dem sich Bachmann, a.a.O., S . 8 f., im wesentlichen anschließt.

- 207 -

seit Isokrates jede Versifizierung der rhythmischen Sprache

als unangemessen vermieden wird.

Zweifel an der Echtheit der Reden hat schließlich auch 93

W . Altwegg, 'Zum Aias und Odysseus des Antisthenes' ge-

äußert: Die Satz- und Kolaausgänge seien in der überwiegen-

den Mehrzahl der Fälle iambisch-katalektisch gehalten, wäh-

rend die Fragmente zumeist Endbetonung aufwiesen. Gegen diese

Betrachtungsweise hat Bachmann sehr zu recht erinnert: "Si

clausulis catalecticis oratores esse usos fingeremus, quem-libet numerum in quavis oratione statuere nobis esset facil-

94

limum." In Wahrheit weisen die Reden wie auch die Fragmen-

te in der Hauptsache eine trochäisch-kretische Klauseltech-

nik auf, wie sie auch Isokrate3 bevorzugt hat, der hierin

vielleicht dem Vorbild des Thrasymachos gefolgt ist.

So erweisen sich alle Argumente, die man vorgebracht hat,

um die Unechtheit der Reden zu beweisen, als nicht stich-

haltig. Umgekehrt werden auch die letzten Authentizitätsbe-

denken gegenstandslos, wenn man Stil und Inhalt der beiden

Stücke genauer betrachtet und mit dem anderweitig Uberlie-

ferten vergleicht.

Der Stil der Reden, der durchaus einheitlich ausgefallen

ist, gemahnt unverkennbar an den Stil der Kunstprosa, wie

er von Gorgias inauguriert worden ist. So finden sich in

großer Fülle rhetorische Schmuck- und Stilmittel wie Anti-

these, Paronomasie, Parison, Homoioteleuton, Sperrung und

Endstellung des betonten Wortes; darüberhinaus fließt die

Sprache, wie bereits erwähnt, nach rhythmisch geordneter

Gesetzmäßigkeit und bemüht sich, schwere Hiate nach Möglich-

93) In: Juvenes dum sumus, Basel 1907, S . 52-61.

94) A.a.O., S . 11. - Ders. gibt a.a.O., S . 14-37, 45-52, eine eingehende Ubersicht Uber die Klausel-technik der Deklamationen und Fragmente.

- 208 -

keit zu vermeiden. Lulolfs resümiert treffend: "... Gorgianae

artis non adest eiusmodi tantum imitatio, ut hic illic ag-

noscatur, sed vestigia adeo sunt impressa, ut haud semel aut

figurarum cumulus aut verborum delectus aut sententiarum di-

thyrambica forma nos in memoriam revocent ipsius Gorgiae 95

Helenam et Palamedem." In auffälligem Gegensatz zu diesem

gorgianischen Kolorit steht die Uberaus einfache Satzbildung,

die die logische Unterordnung meidet und stattdessen die

Parataxe bevorzugt. Blass: "Der Redefluss, der machmal her-Q £

vortritt, entsteht durch Anhängen einzelner Glieder."

Zu dieser parataktisch-schlichten Satzführung, die an die

Umgangssprache erinnert, paßt wiederum der gelegentlich her-

vortretende Gebrauch alltäglicher, ja derber Ausdrücke, von

denen das Verbum Ö£YX£

IV (Od. § 10) wohl am meisten in die

Augen fällt. Alles zusammengenommen läßt sich der Stil der

Reden als umgangssprachlich gemilderte und gebändigte Kunst-

prosa beschreiben. Ebendieser Stil, der durchaus individu-

elles Gepräge trägt, wird Antisthenes von der antiken Litera-

turkritik zugeschrieben und findet sich wieder in der langen

Rede, die Xenophon Antisthenes im 'Symposion' 4.34-44 halten

läßt, wo die parodische Absicht unverkennbar ist. Ein schla-

genderer Beweis für die Echtheit der Reden läßt sich kaum

denken.

Nicht minder eindrucksvoll sind die Ubereinstimmungen

im Gedanklichen. Lulolfs bemerkt sehr richtig, daß in den

Reden auf Schritt und Tritt "vestigia doctrinae Antisthe-

95) A.a.O., S . 79 f . - Ausführliche Stilbeschreibungen und Stilvergleiche bei Blass, a.a.O., S . 342 f.; Dahmen, a.a.O., S . 57-60; Lulolfs, a.a.O., S . 21-31, 80-84; Bachmann, a.a.O., S . 40-52; Caizzi, Fragmente, a.a.O., S . 90-92.

96) A.a.O., S . 343.

- 209 - v

97 nicae" begegnen. So ist etwa die Rede des Aias auf der

Grundüberzeugung aufgebaut, daß es in Fragen der Vortreff-

lichkeit ( äpetTi ) nicht auf Worte (Xoyoi ), sondern auf

Taten ("pya ) ankomme (§§ 1.7 f.); Antisthenes bekennt sich

zu dieser Uberzeugung mit fast denselben Worten: die Vor-

trefflichkeit bestehe in Taten und bedürfe nicht vieler

Worte (frg. 70 C.; vgl. auch 86, 160 C.). Aias argumentiert

mehrfach mit dem Gegensatz von Meinen ( fcof/rsiv ) und Wissen

( y Lyvc'av.e iv ) (§§ 1,4,8 f.); Antisthenes hat diese Thematik

in seiner Schrift hepi bnfjic, vtal et-iotiiptk, (VII 6) mono-

graphisch behandelt. Aias vergleicht den König mit einem

Arzt (§ 4); Antisthenes bevorzugt Arztvergleiche (frg. 51,

185, 186 C.). Schließlich erinnert Aias' Bemerkung, gegen-

über den Feinden gebe es keinen Widerspruch ( ovv. E ^EOTI

OIVTLAEYEIV ) ( § 7 ) , wenigstens von ferne, an den bekannten

antisthenischen Satz, daß Widerspruch unmöglich sei (frg. 47,

48, 49 C.). Noch zahlreicher sind die gedanklichen Parallelen

in der Rede des Odysseus. Odysseus erklärt wiederholt, der

Handelnde dürfe die Schande ( orlcvpov ) nicht fürchten und

auf anderer Leute Meinung (Er'-xTv ) keine Rücksicht nehmen

(§§ 9 f.); Antisthenes erklärt dementsprechend, es sei ein

Gut, einen schlechten Ruf zu besitzen (frg. 95 C.; vgl.

frg. 20, 118, 150 C.). Odysseus unterscheidet auf das genau-

este zwischen bloßer physischer Kraft (laxuc ) und Tapfer-

keit (ry.vbpEia ), die auf Einsicht (ao(pia) beruht (§ 13);

Antisthenes hat dieselbe Problematik in Schriften wie nepl

97) A.a.O., S . 90. - Eine eingehende Behandlung der in-haltlichen und gedanklichen Parallelen bei Blass, a.a.O., S . 339-343; Dahmen, a.a.O.; Lulolfs, a.a.O., S . 86-103; Bachmann, a.a.O.; Höistad, Cynic hero and Cynic king, a.a.O., S . 98-101; Caizzi, a.a.O. -V g l . außerdem J . Geffcken, Zwei Sokratesworte,Rheini-sches Museum 84 (1935) S. 241-249, der besonderes Ge-wicht auf die gemeinsokratischen Gedanken der Reden legt.

- 210 -

ävbpeCat; (III 2; v g l . XI 4) und'HpoMXffc o HEL^UV r! nepi [axucx;

(IV 2; vgl. X 2) ausführlich behandelt. Odysseus bezeichnet

Neid und Unwissenheit als Krankheit ( (pöovov nat änadiav

voaetc ) (§13); Antisthenes bezeichnet ganz ähnlich das

Streben nach Tyrannenmacht und Lust als Krankheit der Seele

(frg. 117, 109 C.). Schließlich äußert Odysseus einige

Sätze, die, wenn auch nicht ausdrücklich als antisthenisch,

so doch jedenfalls als gemeinsokratisch bezeugt sind: einem

vortrefflichen Manne (äya-ao; ) könne niemals irgendein Obel

widerfahren (§ 6) ; Unwissenheit ( änaöfa) sei das größte aller

Übel (§ 13); unwissend sei jedermann nur unfreiwillig ( änuv )

(§ 5). Wie denn Odysseus hier Uberhaupt ganz als sokratischer

Weiser erscheint, als den ihn Antisthenes auch anderwärts

mehrfach gezeichnet hat (frg. 51, 52, 54 C.; vgl. auch 1,

6, 10 C. )

Alle diese stilistischen und gedanklichen Übereinstim-

mungen, deren sich unschwer noch weitere aufführen ließen,

recht bedacht, wird man nicht zögern, zu urteilen wie Blass:

"Hiernach, glaube ich, sind ohne Bedenken die Reden als 98

echte Werke des Antisthenes anzusehen."

98) A.a.O., S . 343 f.- In neuerer Zeit sind lediglich zwei Stimmen gegen die Echtheit der Reden laut geworden: v . Wilamowitz, Die griechische Literatur des Altertums, in: Die griechische und lateinische Literatur und Sprache, hrsg. von U.v. Wilamowitz-Moellendorff u.a. (Die Kultur der Gegenwart, 1. Teil, 8 . Abt.), Berlin 1905, S . 78, der merkwürdigerweise nur von einem Werk spricht, befürwortet die Athetese: "... die einzige ... erhaltene Schrift, eine Deklamation, die freilich wenig taugt, mußte athetiert werden." J . Humble, Antisthenes' Fragmenten, Diss. Gent 1932 (ungedr.), S . 91 ff., setzt die Deklamationen zu-sammen mit dem apokryphen Brief an Aristipp (p. 124 C.) unter die "Incerta" und läßt so die Echtheitsfrage unent-schieden. So urteilten im übrigen früher u.a. schon Zeller, Die Philosophie der Griechen, 2. Bd., a.a.O., S. 282, A n m . 5; Chappuis, a.a.O., S . 40; Natorp, a.a.O., Sp. 2541.

- 211 -

Abschließend stellt sich die Frage nach Zweck und Absicht

beider Schriften. Gemeinhin herrscht die Ansicht, es handele

sich hier um rhetorische Ubungs- und Musterreden, in denen

Antisthenes habe demonstrieren wollen, wie nach vorgegebenem

Thema eine regelrechte Gerichtsrede in utramque partem er-

folgreich zu komponieren sei. So urteilt etwa Chappuis:

* 99

"Ce sont ... des neXexai sur un theme donne." Diese Auf-

fassung geht von der Tatsache aus, daß der Ataz und der 'Obuo-

aeuc, des Antisthenes in derselben rhetorischen Exzerpten-

sammlung überliefert sind, in der auch der 'Palamedes' und

die 'Helena' des Gorgias sowie der (wahrscheinlich unechte)

'Odysseus' des Alkidamas standen. Vergleicht man jedoch die-

se fünf gemeinsam überlieferten Reden miteinander, so zeigt

sich, daß die beiden antisthenischen Stücke im Rahmen der

Sammlung unverkennbar eine Sonderstellung einnehmen. Gorgias

und Alkidamas geben jeweils regelrechte Musterstücke, die in

Aufbau, Beweisführung und Ethopoiie alle Erfordernisse er-

füllen, wie sie an eine Gerichtsrede gestellt werden konnten.

Ganz anders Antisthenes. Hier gibt es weder Beweisverfahren

noch ethopoietische Differenzierung, und das traditionelle

Gliederungsschema der Gerichtsrede ist so vernachlässigt,

daß nicht einmal Proömium und Epilog gehörig hervortreten.

Blass: "Es sind durch keine Technik geregelte Ergüsse, daher 100 ohne Ordnung und ohne durchgehenden Zusammenhang." Diese

99) A.a.O., S . 45. - Ebenso urteilt bereits H . Stephanus, Oratorum veterum orationes, a.a.O., S . 181, der, offen-bar aus eigener Gelehrsamkeit, vor seine Ausgabe

t der

Reden folgende interessante Vorbemerkung setzt:__' I O X E O V ,

8 T I ot E£TI<; Xoyoi xüv H O I A O U H E V U V eiai P E X E X Ü V , Kakeitai 6e 0 *Avx taöe vou<; Aiac; n Aiavxoc; A.oyo<; uanep vn auxoü xou Aiavxoc; XE^O^EVOC' Äpoiuc 6£ nai ' Avx toSe vouc 'ObuaoEu<;. V g l . außerdem Deycks, a.a.O., S . 13;Mueller, a.a.O., S . 32; Mullach, a.a.O., S . 269; Lulolfs, a.a.O., S . 63.

100) A.a.O., S . 344. - Zu Gliederung und Ethopoiie der Reden v g l . außerdem bes. Lulolfs, a.a.O., S . 86-88; Caizzi, Antistene, a.a.O., S . 68-74.

- 212 -

Gleichgültigkeit gegenüber der äußeren Form und den prak-

tischen Erfordernissen der Gerichtsrede kann keinen Zweifel

daran lassen, daß Antisthenes hier keine rhetorisch-paradig-

matischen HEXETCU in der Art des Gorgias oder Alkidamas hat

geben wollen - es sei denn, er wäre ein Rhetor von nachge-

rade unglaublich schwachen Fähigkeiten gewesen.

So stellt sich die Frage nach dem Zweck beider Schriften

aufs Neue. Blass, der sehr richtig bemerkt, daß hier ein

"mehr dialektisches Interesse"1 0 1

vorwaltet, urteilt folgen-

dermaßen: "Antisthenes wollte den Gegensatz von roher Stär-

ke und überlegener Einsicht, wie ihn der Mythus in den Ge-

stalten des Aias und Odysseus bot, nach dem Vorbilde der 1 o?

Tragödie in Reden beider darstellen ..." R. Höistad,

'Was Antisthenes an allegorist?', der ebenfalls bemerkt,

daß es sich bei den Reden um "something more than purely

rhetoric e x e r c i s e s "1 0 3

handelt, erklärt die Reden anders:

"Antisthenes had a definite purpose with them, that is pro-104 paganda of Odysseus representing some Cynic virtues."

Beide Erklärungsversuche tragen dem ersichtlich unrhetori-

schen Charakter der Reden zwar Rechnung, sind jedoch, wenn

nicht falsch, so doch unbefriedigend, weil sie im Unklaren

lassen, was Antisthenes bewogen haben könnte, für die Dar-

stellung einer ethisch-dialektischen oder auch ethisch-pro-

pagandistischen Thematik die nicht nur ungewöhnliche, son-

dern, recht beachtet, auch ungeeignete rhetorische Form von

Rede und Gegenrede zu wählen.

101) A.a.O.

102) A.a.O.

103) Eranos 49 (1951) S . 23.

104) A.a.O. Vgl. ders., Cynic hero and Cynic king, a.a.O., S . 94-102.

- 2 1 3 -

Ein besseres Verständnis läßt sich gewinnen, wenn man

die beiden Stücke, ihrer Stellung innerhalb des xopot;

entsprechend, in nähere Beziehung zu der vorausgehenden

Schrift liepi Xe^euc ri nepl X»P<*HT7IPÜ>V (I 1) setzt. Anti-

sthenes legte dort den Entwurf einer philosophisch begrün-

deten Theorie der Rede vor, in deren Mittelpunkt die Vor-

stellung verschiedener rhetorisch-ethisch bestimmter "Wen-

dungen" ( TSOTTOI ) stand; der "Weise" ( aocpot ) f so hieß es,

verfüge als "Vielgewandter" ( rcoXuTponot; ) über viele Wen-

dungen der Rede, während der "Unwissende" («ntxOr'c; ) als

"Eingewandter" (povoTponot; ) gegenüber den verschiedenen

Zuhörern nur eine einzige Wendung vorzubringen wisse. Eben-

diese Theorie wollen die Reden offenbar sinnfällig illustrie-

ren, dergestalt daß Aias die Rolle des "unwissenden", "ein-

gewandten" Redners übernimmt, während Odysseus den "weisen"

und "vielgewandten" Redner repräsentiert, als der er auch

in der vorausgehenden theoretischen Schrift erschienen war.

So sagt Odysseus in seiner Rede: "Welche Wendung (Tponoc )

auch immer einer will, ich bin stets bereit ..." (§ 9),

und eben weil er den Typus des "Vielgewandten" selber ver-

körpert, darf er bei der detaillierten Aufzählung der rüh-

menden Homerepitheta am Schlüsse seiner Rede (§ 14) das

Beiwort noXu-cponoq nicht aussprechen. Aias seinerseits be-

merkt ausdrücklich, daß er nicht "gleichgewandt" ( öpo toxponoc;

wie Odysseus sei (Ai § 5) und bekennt sich so, indirekt,

selber als "Eingewandter", dem der "Vielgewandte" dann fol-

gerichtig immer wieder "Unwissenheit" ( äpaSia ) vorwerfen

kann (Od. §§ 4,6,13). In der Tat vermag Aias in seiner Rede

auch nicht mehr als einen einzigen Gedanken vorzubringen:

daß Handeln besser sei als Reden, und diesen einen Gedanken

verficht er mit solch einseitiger Rücksichtslosigkeit und

Hartnäckigkeit, daß er seinem Gegner die Widerlegung nach-

gerade in den Mund legt und außerdem die zuhörende Richter-

- 214 -

schaft, statt sie für sich zu gewinnen, beleidigt und

schließlich sogar bedroht (Ai. §§ 1,7,8). Odysseus

dagegen läßt sich auf die von Aias vorgegebene starre

Alternative nicht ein, sondern vertritt stattdessen

den ungleich offeneren Standpunkt, daß es beim Handeln

nicht auf den äußeren Schein, sondern auf den Erfolg

ankomme, der allein durch Einsicht und Klugheit zu er-

reichen sei; auf diese Weise gelingt es ihm unschwer,

die von Aias prätendierte Stärke als bloße Fehlform

wahrhafter Tapferkeit zu entlarven und so die beleidig-

te Richterschaft für sich zu gewinnen (Od. §§ 4 f.,

8 ff., 13 f.). Betrachtet man die Reden dergestalt als

sinnfällige Illustration zur antisthenischen xponoc-Theorie,

so lösen sich mit einem Schlag alle Schwierigkeiten,

vor die sich die Interpretation bisher gestellt sah.

Antisthenes stand vor einem Dilemma. Um den doppelten,

rhetorisch-ethischen Aspekt des xponoc, -Begriffes dar-

stellen zu können, mußte er einerseits auf die Form der

Rede zurückgreifen, andererseits konnte, ja durfte er

keines der traditionell regelgebundenen Redeschemata

benutzen, weil so das Rhetorisch-Technische alle Aufmerk-

samkeit auf sich gezogen und so die Darstellung des

ethischen Aspekts unmöglich gemacht hätte. So sind die

vorliegenden Reden entstanden, die in ihrer souveränen

Gleichgültigkeit gegenüber den Regeln und Gesetzmässig-

keiten der rhetorischen Form Zeugnis davon ablegen, daß

Antisthenes Rhetorik nicht anders hat denken können als

in Verbindung mit Ethik, oder anders: daß für ihn der

gute Redner und der Philosoph in eines zusammenfielen.

Zum Schluß noch ein Wort zur Datierung. Caizzi be-

- 215 -

merkt richtig: "E difficile Stabilire una d a t a . "1 0 5

In

der Tat läßt sich allgemein nicht mehr behaupten, als daß

die Reden zu einer Zeit entstanden sind, als die antisthe-

nische Ethik, die sie voraussetzen, in den Grundzügen be-

reits vorlag. Erkennt man jedoch den engen Zusammenhang

zwischen den Reden und der Schrift nepi \eteuc, r] nepl xa

Pa M

-

TTipuv (I 1) an, so wird man darüberhinaus nicht zögern, jene

wie diese in die frühen neunziger Jahre zu datieren.

Opeoxou txTIo\oyia (I 4)

I. Kühn, 'Observationes in Diogenem Laertium', wollte diesen

Titel durch die Alternativpartikel fl mit dem folgenden

Titel nepl TÜV 61Koypatyuv (I 5) zu einer Einheit verbinden:

"Nam defensio lila Orestis sine dubio ad formam normamque

8LKoypacptat composita e r a t . "1 0 6

Diese Emendation, die viel

105) Fragmente, a.a.O., S . 89. - Die vorgeschlagenen Da-tierungsversuche sind dementsprechend zurückhaltend und unsicher. Altwegg, a.a.O., S . 61, spricht vage von Frühschriften; Höistad, Cynic hero etc., a.a.O., S. 96 f., denkt an die Zeit um 411, da Antisthenes eine ganz ähn-liche Charaktergegenüberstellung gebe, wie sie Sopho-kles im 'Philoktet' mit Neoptolemos und Odysseus gegeben habe. Die Parallele ist jedoch keineswegs einleuchtend, vor allem darum nicht, weil die Zeichnung des Odysseus dort ungleich negativer ausgefallen ist als hier.

106) In: Commentaril in Diogenem Laertium, 2. Bd., a.a.O., S . 648.- Diese verfehlte Textänderung findet im fol-genden Eingang in alle maßgeblichen Ausgaben des Dio-genes, so neuerdings leider auch wieder in die Edition von H.S. Long, Diogenis Laertii Vitae Philosophorum, a.a.O., S. 253. - V g l . außerdem auch Winckelmann, a.a.O., S. 12; Chappuis, a.a.O., S. 44; Usener, Quaesti-ones Anaximeneae, a.a.O., S . 7; Mullach, a.a.O., S . 270; Lulolfs, a.a.O., S . 3; Wilamowitz, Piaton, 2. Bd., a.a.O., S. 113, der allerdings einschränkend hinzusetzt: "Wenn das fj bezeugt ist, braucht es nicht entfernt zu werden".

- 216 -

Beifall gefunden hat, ist keineswegs stichhaltig. Einmal

läßt sich kein plausibler Zusammenhang zwischen beiden

Themenkreisen herstellen. Mueller fragt zu Recht: "Nam quo

tandem modo ea declamatio ad illos homines pertineret, qui 107

pro aliis orationes iudiciales conscribebant." Joel, der

im übrigen Kühns Konjektur als den authentischen Text be-

trachtet, hat gleichwohl eine Erklärung versucht: "... es gibt wirklich einen fetKo-ypacpot; , der für Orest in Frage

i ofi

kommt: Antiphon." In Antiphons Rede Kot-ca xffq (impuiSc

werde auf den Präzedenzfall des Orestes angespielt,und so

stehe zu vermuten, daß diese Rede die vorliegende Rede des 109 Antisthenes "kritisch angeregt" habe. Dieser Erklärungs-

versuch kann jedoch nicht Uberzeugen. Es ist nicht einzu-

sehen, wieso die ganz und gar beiläufige Erwähnung der Kly-

tämnestra als einer schlechten Stiefmutter bei Antiphon

or. 1.13 Antisthenes zu einer Gegenschrift veranlaßt haben

sollte - nicht davon zu reden, daß auch in diesem Falle

unerklärt bliebe, wieso der Zweittitel nepi xSv &tvtoyoacpuv

im Plural stünde. Es kommt hinzu, daß ein solch erklärender

Zweittitel, wie er bei den bei den beiden vorausgehenden

107) A.a.O., S. 34 f. - Vgl. außerdem Deycks, a.a.O., S . 12; Baiter/Sauppe, a.a.O., S . 167; Blass, a.a.O., S . 336; Humblfe, Antisthenes' Fragmenten, a.a.O., S . 47; ders., Antisthenica, a.a.O., S . 164; Radermacher, Artium Scriptores, a.a.O., S . 120; zuletzt bes. Caizzi, Fragmente, a.a.O., S . 78.

108) 2. Bd., a.a.O., S . 647.

109) A.a.O., S . 648. - Dieser Einfall wird neuerdings wieder-aufgenommen von A.H. Chroust, Socrates. Man and myth, London 1957, S . 129: "The so called 'forensic wri-ters' are no eise than Antiphon who in his Kaxa TTK nr)Tpuiä<; takes up the 'case' of Orestes ... We could surmise, therefore, that the Antisthenian 'Apologie of Orestes' makes reference to the oratlon of Antiphon, as may be inferred from the subtitle."

- 217 -

Namentiteln kiac, (I 2) und ' Ü&uaaeüc, (I 3) notwendig war,

hier fehl am Platz wäre, weil das Substantiv änoXoYCa

von sich aus mit hinreichender Deutlichkeit erkennen läßt,

daß die vorliegende Schrift eine Verteidigungsrede gewesen

ist. Dementsprechend steht etwa auch der Titel ZwKpaxout;

änokoyia im Katalog der platonischen Schriften bei Diogenes

Laertius 3.57-61 allein für sich, während allen anderen Ti-

teln ohne Ausnahme erklärende Zusatztitel beigegeben sind.

So spricht alles dafür, daß die überlieferte einfache Form

des Titels beizubehalten ist.

Der Titel selber lehrt, daß die vorliegende Schrift ei-

ne Rede gewesen ist, die Orestes in eigenem Namen vortrug,

um sich zu verteidigen. Daß dies vor dem Areopag geschah,

um die Anklage wegen Muttermord zu widerlegen, darf man

aus der übereinstimmenden mythologischen Tradition unbedenk-

lich erschliessen. Was den vorliegenden Rechtsstreit be-

trifft, so bildet der antisthenische Satz (frg. 73 C.), daß

man die Gerechtigkeit (TO btuaiov ) höher achten müsse als

die Verwandschaft (to ovyytvtc, ) , hierzu nachgerade einen

allgemeinen Kommentar. Orestes dürfte demnach geltend ge-

macht haben, daß die Gerechtigkeit unteilbar sei und keine

Ausnahme dulde, auch nicht im Falle eines Konfliktes zwischen

Mutter und Sohn, wo die alte Blutsethik eine Unrechtssüh-

nung in jedem, auch dem äußersten Falle untersagte.

Alle diese Einzelbeobachtungen und mehr noch die Stel-

lung des Titels im Rahmen des gesamten Tößoc, legen die

Annahme nahe, daß die vorliegende Rede nach Analogie der

beiden vorausgehenden Reden konzipiert worden ist. So ver-

mutet Mueller: "Hanc declamationem eiusdem generis fuisse,

cuius orationes Aiacis et Ulixis sunt ... a r b i t r o r . "1 1 0

11O) A.a.O., S. 34. - Vgl. außerdem bes. Blass, a.a.O., S. 344 Radermacher, a.a.O., S. 126; Caizzi, Fragmente, a.a.O., S. 78: "L' ipotesi piu verosimile e che sl tratasse di un' orazione fittizia sul tipo delle precedente."

- 218 -

Ist diese plausible Vermutung richtig, so gilt alles, was

im vorhergehenden über Echtheit, Abfassungszeit, Form, Stil

und Zweck der erhaltenen Reden gesagt w u r d e , mutatis mu-

tandis auch hier. Die 'Ocecitdu atoA.oyia ist demnach als

echtes Werk des Antisthenes anzusehen, verfaßt in den neun-

ziger Jahren, das übliche Schema der Gerichtsrede absicht-

lich vernachlässigend, in einer Mischung von Kunstprosa

und Sprechsprache gehalten, - alles in allem: ein Beispiel,

um die rhetorisch-ethische rponoq -Theorie des Antisthenes

an einem mythischen Stoff sinnfällig zu erläutern.

5. Die Problematik der Titel rhetorisch-aktueller Thematik

Die Uberlieferung bietet hier folgenden Text: I;

epi XUV JIKO-yoatpcov (--ypaquwv F ) + IAOVPA9RIR]5EAia<; + T) ' LAOE.PATTIC; noo^ TCV ' lao

'.tpaxouf, 'A|-iapTupov. Humble bemerkt treffend: "Deze titel is

tot hiertoe een kleine twistappel geweest voor de Philolo-g e n . "

1 1 1

Die Vorschläge, die man vorgebracht hat, um diese

schwierige Stelle zu erklären, sind zahlreich und diffe-

rieren untereinander erheblich, da nicht nur die Deutung

der Korruptel umstritten ist, sondern auch die Feststellung

der Titelzahl und der Titeltrennung. Als Einführung in die

komplizierte Problematik mag hier ein chronologisch-systema-

tischer Uberblick über die verschiedenen Lösungsversuche

dienen, der durch die detaillierte schematische Übersicht,

die der kritische Apparat (S.111 ff.) bietet,zu ergänzen ist.

111) Antisthenes' Fragmenten, a.a.O., S . 18; ders., Antisthenica, a.a.O., S . 168. - Humbl£ gibt a.a.O. einen kurzen schematischen Uberblick über die ver-schiedenen Erklärungsversuche, der jedoch weder voll-ständig und auch nicht in allen Punkten zuverlässig ist.

- 219 -

D . Wyttenbach, 'Animadverslones in Plutarchi Opera

Moralia', der sich als erster um eine Erklärung der um-

strittenen Stelle bemüht h a t , betrachtet die Einleitungs-

worte nep t -tüv &incYpaq>(i)v als eigenständigen Titel oder

auch als Alternativtitel des vorausgehenden Titels und

erklärt den verbleibenden Text folgendermaßen: "Haud scio

an Antisthenes ut adversarius Piatonis dialogo Phaedro op-

posuerit librum quo Isocratem Piatoni dilectum reprehende-

ret et Lysiam vindicaret et id significetur a D i o g . L a e r t .

VI 15 loco corrupto ... fortasse ita restituendo: looYpaqiii

fl Auaiat; nai ' IoonpaTr]<; • flpot; TOV ' laonpciTout; 'AnapTUpov, 112

ut hi d u o diversi Antisthenis libri recenseantur.

Mullach, der diese Argumentation ebenso akzeptierte wie

die maßgeblichen Editoren des Diogenes Laertius, schlägt

v o r , das unerklärte Wort laocppaqui durch die Neubildung

taoYpacpia zu ersetzen, bekennt jedoch: "res incerta e s t . "1 1

Deycks und Winckelmann urteilen über die Eingangsworte

wie Wyttenbach, betrachten das folgende jedoch als Einzel-

titel. Deycks konjiziert: "Audax fortassis at non prorsus

improbanda est in quam ego incldi coniectura: AinoTpaqua

alSeoeui; r] ' IaonpaTT|(; npot; TOV 'looKpaToui; 'AnapTupov.

Haec ultima 'parum testatae' orationis appellatione signi-114

ficari videtur Isocratis 'Helenae laudatio" ..." Ganz

a n d e r s , wenn auch nicht weniger kühn Winckelmann: "Infra

cum corrupta sint verba nepl V£HT)<; oInovopiKot; , malim hic

scribere 'AvTi.YPaf'n* kvoiac, RJ ' IOOHPCTTTK npo^ TOV ' looupa-

TOUC; 'ApapTupov ürclp N I M I O U . " 1 1 5

112) 1. Bd., Leipzig 1820, S . 303. - Ebenso urteilen, außer den maßgeblichen Editoren des Diogenes,auch Baiter/ Sauppe, a.a.O., S . 167, sowie Lulolfs, a.a.O., S . 15.

113) A . a . O . , S . 270.

114) A . a . O . , S . 12.

115) A . a . O . , S . 12.

- 220 -

I. Bake, 'Scholica hypomnemata', läßt statt der Ein-

gangsworte die Schlußworte Ico; tov ' oi^patouc ' A.uapxupov

als eigenständigen Titel gelten und faßt den vorausgehenden

Text folgendermaßen zusammen: "... suspicor, guum antecedat

TIEpi TWV &iH0Y0a;fov , ex hoc nomine per errorem effictum ess<

[aoYpcKjii' , et plenum istius libri titulum fuisse nepi TCV ütf.OY^a^uv ri .",uowr, Kai ' loo--.piir\c, . " ^ ®

H . Usener, 'Quaestiones Anaximeneae', begreift die vor-

liegende Stelle als einen einzigen zusammengehörenden Titel

und gibt als Erklärung gleichsam eine Zusammenfassung aller

bisherigen Verbesserungsvorschläge: "... unum tantum ...

Antisthenis librum dici puto verbaque sie emendaverim nepi

T2V 6 IKOYPAFUV T] Auoiac Kai ' LAOHPAXRIC ävTiYpa<pr| npö<; TÖV ' loo-

upaTouc; 'AnapTupov, ut verbis »VTIYP. - 'AP-apTupov explicatic

quaedam tituli c o m p r e h e n d a t u r . "1 1

' Im übrigen hat Usener,

'Abfassungszeit des Platonischen Phaidros', diesen Lösungs-118

versuch "wegen seiner Gewaltsamkeit" später selber zu-

rückgenommen; er verzichtet jetzt auf eine Gesamterklärung

und beschränkt sich auf eine neue Emendation der Korruptel:

"Konnte Antisthenes die Redeschreiber, deren Werth er auf

genauer Wage gegenseitig messen wollte, nicht vielleicht in

Nachbildung von Laopponoc taoipopo<; u . a . mit neugeprägtem

Wort taoypacpoi n e n n e n ? "1 1 9

Hierzu bemerkt L . Schmidt,

'Vermischte Bemerkungen': "Ebenso berechtigt erscheint mir

116) 3. Bd., Leiden 1844, S. 115 f. - Dieselbe Konjektur fand, unabhängig von Bake, auch L . Spengel, Isokrates und Plato, Abhandlungen der Philosophisch-Philologischen Classe der königlichen Akademie der Wissenschaften, 7. Bd., München 1855, S . 755, A n m . 2. - V g l . außerdem Mueller, a.a.O., S . 35; Blass, a.a.O., S . 336; Natorp, a.a.O., Sp. 2540 f.

117) Diss. Bonn 1856, S . 8.

118) Rheinisches Museum 35 (1880) S . 144. 119) A . a . O .

- 221 -

„ .,120 die vermuthung pioSo-ypatpoi

K . Urban, 'Über die Erwähnungen des Antisthenes in

den platonischen Schriften', erklärt ohne nähere Begründung, 121

Antisthenes habe "eine eigene Schrift" folgenden Titels

verfaßt: AuaCac -n ' Iaonpaxric; r] npoq TOV ' Apap r up ov . M . Pohlenz, 'Antisthenicum', betrachtet sowohl die Ein-

leitungs- wie die Schlußworte als eigenständigen Titel und

erklärt den Mittelteil wie folgt: "Quis autem verbo beoiciQ

admonitus dubitabit, quin Antisthenes ... Lysiam non Solu-

torem sed Ligatorem nominaverit? ... neque enim verisimile

est Lysiae nomen ab Antisthene corruptum esse, Isocratis

non esse ... faclle adducimur, ut eum ab Antisthene ' Tao-

ypaqjiiv ... vocatum esse putemus. Hoc tarnen nomine cum artis

dicendi magister indicari videatur ... Aeai'a<; rj ' acypacpnc; 1 22

apud Diogenem legerim."

123 Diese Konjektur, die Wilamowitz zu Recht als "glänzend"

bezeichnet, bildet im folgenden die Grundlage für alle wei-

teren Emendationsvorschläge.

Wilamowitz selber akzeptiert Pohlenz' Lesung Aecriai; T) ' iooypacpTK , korrigiert aber die Titeltrennung: "Ich glaube,

daß die folgenden Worte IIpo<, xöv ' laoKpaToui; 'Apapxupov

zu diesem Titel gehören; es ist doch kaum glaublich, daß 124

Antisthenes zweimal in dieselbe Kerbe gehauen hätte."

Humble, der die Schlußworte wieder als eigenständigen

120) Phllologus 40 (1881) S . 384.

121) Gymnasialprogramm Königsberg, Königsberg 1882, S . 7. Es dürfte sich hier eher um einen Lesefehler als um eine Emendation handeln.

122) Hermes 42 (1907) S . 158.

123) Piaton, 2. Bd., a.a.O., S . 114.

124) A.a.O.

- 222 -

Titel ansieht, korrigiert Pohlenz' Konjektur in Aeoiac, nai

' IooYpacpric; , greift im übrigen auf die Lesart 6 LHoypcccp tujv

des c o d . F zurück und deutet die Korruptel als hierzu ge-

höriges Adjektivum iaoYpaipwv , so daß sich insgesamt die

Titelform Ilept TWV 6 iMOYpatp iwv [aoYpaq>wv fi AeaCat; MAL ' IaoYpatpri

ergibt, die als "over de muzikale (of de goed overgeschre-125

venen, pleitredenen), of Desias en Isographes" über-

setzt w i r d .

Radermacher beschränkt sich auf die Bemerkung "Lysiae 1 0 fi

et Isocratis nomina per iocum mutantur" und liest die

vorliegende Stelle wie folgt: ITeot TWV & I K O Y P A ? W V 'IooYpacpric

fi Aeaiat; [fi ' IaOKpatT] c, ], Tip O<; TOV ' IaonpaTOui; 'A^apTupov.

Caizzi schließlich möchte die Eingangsworte NEPI TWV 6I-

Moypatptov mit dem folgenden T i t e l , den sie als Aeoiac; «al

' Iaofpacprit; liest, durch die Alternativpartikel fi verbinden

und vermutet im übrigen: "L* opera si intitolava, all'

origine, con ogni verosimiglianza, ' IooYpatpric, MOI Aea£a<; fi . ~ . , „127

nepi luv o iMOYpatpuv

Will man in die verwirrende Fülle dieser Emendations-

vorschläge Ordnung bringen, so gilt es vor allem, sich auf

den überlieferten Text zu besinnen. Legt man die Uberlie-

ferung zugrunde, so ergibt sich zunächst, daß man die

Eingangsworte NEPI TWV 6IM0YPATPWV nicht mit den folgenden

Worten + iooYpacpr|r)&eaia<; + fi ' IooHpaxric durch die Alternativ-

partikel fi zu einer Einheit verbinden d a r f . Diese Text-

125) Fragmente, a.a.O., S . 19; d e r s . , Antisthenica, a.a.O., S . 69.

126) Artium Scriptores, a.a.O., S . 120. Nach Radermachers Zeichensetzung zu urteilen, soll die Wendung nepi TWV 6iK0Ypaq>uv ' iaoYpa<pri<; fi Aeoiac; hier als ein zusammen-hängender Titel gelten.

127) Fragmente, a.a.O., S . 79.

- 223 -

änderung, die Bake erwogen, Usener gebilligt und Caizzi

neuerdings wiederaufgenommen hat, verbindet zwar zwei

zusammengehörige Themenkreise miteinander, schafft im

übrigen aber mehr Probleme, als sie löst. Der korrupt über-

lieferte Folgetitel iaoycarpTnSEc t tc, , der jetzt als

Zweittitel gelten soll, weist seinerseits bereits den Al-

ternativtitel in ' Zoo »'.pa-cTic; auf, so daß insgesamt ein Drei-

fachtitel entstünde. Dreifachtitel begegnen im Katalog

jedoch nur an zwei Stellen (III 6; IX 7),und hier ausschließ-

lich in der Form nebeneinanderstehender riept -Titel, wäh-

rend hier ein repu -Titel in Verbindung mit zwei nominativi-

schen Titeln zu stehen käme. Die Emendatoren suchen dieser

Schwierigkeit zu entgehen, indem sie noch einmal in den

Text eingreifen und entweder, wie Bake und Usener, die

Korruptel laoyoctcsTi oder, wie Radermacher und Caizzi, den

Alternativtitel ti ' TaoMpaxric delieren. Aufgrund einer Kon-

jektur weitere Konjekturen zu wagen ist jedoch methodisch

womöglich noch bedenklicher,als durch Konjektur eine hoch-

komplizierte dreifache Titelform herzustellen, wie sie im

Katalog nirgends bezeugt ist. So spricht alles dafür, daß

der überlieferte Text beizubehalten ist.

Radermacher, der auf die Einfügung einer Alternativ-

partikel richtig verzichtet, scheint der Ansicht zu sein,

der Titel Tlepl TÜV 6iHoypacpuv könne auch ohne Verbindungs-

wort als Erst- oder Haupttitel zum folgenden Text verstan-

den werden. Eine solche Titelgebung, die zu den größten

Mißverständnissen führen müßte, ist jedoch nicht nur im

antisthenischen Katalog, sondern auch in anderen antiken

Titelverzeichnissen ohne Beispiel. So ist der Schluß unum-

gänglich, daß die Eingangsworte nepl TSV b txoypacpuv als

eigenständiger Einzeltitel anzusehen sind.

Aus denselben Gründen folgt, daß auch die Schlußworte

- 224 -

Dooc TOV ' TCTOHPRXTOUT; 'AuapTuoov , anders als Wilamowitz

wollte, als eigenständiger Titel gelten müssen. Wie denn

auch die ausdrückliche Erwähnung des Verfassernamens keinen

Zweifel läßt, daß hier hauptsächlich, wenn nicht ausschließ-

lich vom 'AnanTuooc des Isokrates die Rede gewesen ist,

während im vorausgehenden Titel, wie Wyttenbach richtig

gesehen und seither niemand bestritten hat, nicht nur von

Isokrates, sondern gleichermaßen auch von Lysias die Rede

ist.

Sind die vorstehenden Überlegungen richtig, so folgt,

daß auch der korrupt überlieferte Mittelteil looYpacpririSEaiat;

ri 'iaov.paTTK als ein selbständiger Titel angesehen werden

m u ß . Es ist Pohlenz gewesen, der diese schwierige Stelle in

der Hauptsache erklärt hat, indem er erkannte, daß die rät-

selhaften Worte lao-fpacm und &ecu<xc, , die man bisher mit

mehr oder weniger Glück zu emendieren getrachtet hatte,

nichts anderes darstellen, als spottende Verdrehungen von

Eigennamen, wie Antisthenes dergleichen auch vorgenommen

hat, wenn er Platon als (frg. 36, 37 C.) bezeichnet.

So stellt das Wort äcaiac, , anders als Wyttenbach glaubte,

keine textgeschichtlich verursachte Verschreibung, sondern

vielmehr eine bewußt vorgenommene Verballhornung des Namens

Aua t ccq in sein Gegenteil dar. Desgleichen erweist sich das

Wort irroYprrcri , das Deycks als AiKOYpaqua , Winckelmann als

ävT iypoccp-n , Mullach als iTOYoacjua , Usener als Jaoynarpo i

und Schmidt als maBoYnacpo i deuten wollten, in Wahrheit als

parodische Verspottung des Namens ' IaottpaTrK in ' Iao-

yoacpric . Der Ausfall des Schlußsigmas, der die ganze

Kontroverse verschuldet hat, erklärt sich paläographisch

höchst einfach, wenn man voraussetzt, daß das Wort ' .!-jovpiiqnK

ursprünglich mit gekürzter Nominalendung als La^ynair"

geschrieben wurde. Die Handschriften, die den Sinn der

Namensneubildung nicht mehr verstanden, lösten das Kürzel

- 225 -

statt in -ric fälschlich in -i auf, wobei der Burbonicus,

der die Akzentuierung tooyparT] bietet, während P und F

tioyr OT' geben, noch eine Spur der alten richtigen Lesart

bewahrt hat.

Es ist schwer verständlich, wie Pohlenz, nachdem er eine

solch ingeniöse Erklärung des Textes gefunden hatte, für

die Titelform Aetji'ac; n ' .[acYnaqrric; plädieren konnte, da die

Oberlieferung die Neimen 'itc -'t;-: und Aeeiac doch einhel-

lig in umgekehrter Reihenfolge präsentiert. Radermacher hat

diese Inkonsequenz korrigiert, indem er M £ O l Ct C,

[ri ' [aot;raTT)<;1

zu lesen vorschlug. Aber auch diese Lesart

bedarf noch einmal der Korrektur. Die Titelform ' Tcc-'f-Ssnc

•n Aeoiocr, würde besagen, daß die vorliegende Schrift wahl-

weise entweder den Titel ' Tffcvp&jric oder den Titel Aeofac

getragen hat. Diese Vorstellung ist jedoch überaus künstlich,

da nicht einzusehen ist, wieso eine Schrift, in der glei-

chermaßen von Isokrates und Lysias die Rede gewesen ist,

statt eines einheitlichen Titels, in dem beide Namen neben-

einander aufgeführt wurden, zwei Titel geführt haben sollte,

in denen jeweils nur einer der beiden Namen genannt wurde.

Die Schwierigkeit löst sich, wenn man, wie Caizzi neuerdings

vorgeschlagen hat, die Alternativkonjunktion in nc.C

ändert. Dieser Eingriff in die Oberlieferung, der auch bei

zwei anderen Titeln des Katalogs (X 1,2) geboten ist, ist

paläographisch ebenso unbedenklich wie die vorhergehende

Ergänzung des Schlußsigmas. Die Konjunktion naC wird in der

Regel gekürzt als ~ geschrieben, und die Buchstaben « u n d TI sehen in Minuskelschrift einander zum Verwechseln ähnlich.

Es ist übrigens möglich, daß der Burbonicus, der den Buch-

staben r nicht wie P und F mit der üblichen Akzentuierung ,

sondern mit einem rechtwinkligen Häkchen (TI) versieht, auch

hier eine Spur der alten Überlieferung bewahrt hat, die nai

statt ri bot.

- 226 -

Akzeptiert man die vorgeschlagene Lesart, so fällt

schließlich auch die Notwendigkeit dahin, den folgenden

Alternativtitel fi ' TnoKpcxTrK Z

u delieren, wie Radermacher

und Caizzi tun müssen, um Dreifachtitel von der Form

'LAOYPACPRIC fi AEAIIC fi ' TAOKPAT-K b z w . ITEPl TWV b L U O Y S A W V

r| ' laOTpacprii; neu Aecuac fi ' laoiipciTTK zu vermeiden. Es ist

keine Frage, daß der schwerverständliche Titel ' iaoypacpric

nat Aeoiac einen Zweittitel tragen mußte, der über den

Sinn der kryptisch-änigmatischen Namensformen bündig Aus-

kunft gab. Der überlieferte Alternativtitel gibt eine

solche Erklärung, indem er den Neunen ' laoypaqjTic in aufge-

löster Form als IoonpaTric bietet. Es ist nicht auszu-

schließen, daß eine derartige Titelabbreviatur als aus-

reichend angesehen wurde, um über den Sinn des kryptischen

Gesamttitels Auskunft zu geben. Es bleibt jedoch zu erwä-

gen, ob der Alternativtitel ursprünglich nicht eine voll-

ständige Auflösung des Ersttitels geboten hat; nachdem die

Worte *ai Auai'ac ausgefallen waren, konnte dann in der

Oberlieferung leicht die mißverständliche Interpretation der

vorhergehenden Worte Platz greifen, deren Erklärung der

modernen Wissenschaft solche Mühe gemacht hat.

6 Ilepi TWV 5 I noypacpuv (I 5)

Eine Bemerkung zunächst zum Titelbegriff. Das seltene Wort

öiHoypacpoc , das in älterer Zeit nur bei Hypereides (frg.

234 Jensen) begegnet, steht synonym für die ungleich häufi-

ger gebrauchte Wendung XoyoYpatpoi; und bezeichnet einen

Rhetoren, der Reden für Privatleute verfaßt, die in Pro-

zesse verwickelt sind. Diese Art rhetorischer Tätigkeit,

die zumeist gegen Bezahlung ausgeübt wurde und so immer

dem Vorwurf der Banausie ausgesetzt gewesen ist, wird in

- 227 -

Athen während des Peloponnesischen Krieges durch Antiphon

begründet und erlebt dann in den folgenden Jahrzehnten ihre

große Zeit, die mit Lysias und Isokrates beginnt, durch

Isaios fortgeführt wird und schließlich in Demosthenes und

Hypereides Höhepunkt und Ende zugleich findet.

Es ist sehr wahrscheinlich, daß Antisthenes diese

"Prozesseschreiber", deren es damals in Athen laut Isokrates

o r . 15.41 "überaus viele" ( rapnXTiöeü; ) gab, wenig günstig

beurteilt hat. So läßt bereits der Titelbegriff ÖIHOYOC(<?O<;

Kritik und Verachtung spüren, indem er den allgemeinen Vor-

wurf der Banausle wiederholt. Darüberhinaus mußte Antisthe-

nes die dikanische Beredsamkeit auf das entschiedenste ab-

lehnen, weil sie als extremste Form einer rein auf Wirkung

und praktischen Erfolg ausgerichteten Rhetorik in striktem

Gegensatz zu seinem eigenen Ideal einer ethisch-philosophisch

begründeten Rhetorik stand. So spricht alles dafür, daß

Antisthenes in der vorliegenden Schrift über die Gerichts-

redner gehandelt hat, um sie zu bekämpfen und so seine ei-

genen rhetorischen Vorstellungen umso wirksamer zur Geltung

zu bringen.

über die literarische Form der vorliegenden Schrift

lassen sich lediglich Vermutungen anstellen. Für den Fall,

daß es sich um eine Rede gehandelt haben sollte, bietet

sich als Vergleichsmodell am ehesten die 'Sophistenrede'

an, in der Isokrates sein rhetorisches Ideal ja ebenfalls

im wesentlichen polemisch begründet, so daß einige antike

Beurteiler (Rh.Gr. III p . 468 Spengel) meinten, das Werk

trüge statt des Titels flepl aotpiatüv besser den Titel

Woyot; oocptoTÜv. Es ist jedoch auch keineswegs auszuschlies-

sen, daß sich Antisthenes hier der dialogischen Form be-

dient hat, um auf ähnliche Weise mit der dikanischen Bered-

samkeit abzurechnen, wie dies der platonische 'Gorgias'

- 228 -

mit der politischen Beredsamkeit tut. In jedem Falle muß

man den Verlust dieser rhetorischen Streitschrift, die

unsere Kenntnis der frühen attischen Beredsamkeit wohl

erheblich erweitern würde, sehr bedauern.

7 ' Lcoyvarpr)(c,) Mal Aeaiai; r ' iao^paTric; (I 6)

Die ältere communis opinio über diese Schrift formuliert

Wyttenbach folgendermaßen: "Haud scio an Antisthenes ut

adversarius Piatonis dialogo Phaedro opposuerit librum

quo Isocratem dilectum reprehenderet et Lysiam vindica-128

ret',' Diese Auffassung läßt sich heute nicht mehr auf-

rechterhalten. Abgesehen davon, daß die Spätdatierung des

'Phaidros', die 0 . Regenbogen, 'Bemerkungen zur Deutung 129 des platonischen Phaidros' , wahrscheinlich gemacht hat,

eine Einwirkung der platonischen auf die antisthenische

Schrift von vornherein ausschließt, zeigt die Deutung der

Namen ' laoYoacprK und Accumr, , mit denen der Titel parodisch

auf Isokrates und Lysias anspielt, daß Antisthenes in der

vorliegenden Schrift keineswegs einen der beiden Redner

auf Kosten des anderen lobend herausstellte, wie Platon

tut, sondern vielmehr beide gleichermaßen polemisch angriff

128) A.a.O. - Ebenso urteilen Usener, Quaestiones Anaxi-meneae, a.a.O., S . 8; ders., Abfassungszeit des plato-nischen Phaidros, a.a.O., S. 144 f.; Urban, über die Erwähnungen der Philosophie des Antisthenes in den platonischen Schriften, a.a.O., S . 7; Natorp, a.a.O., Sp. 2540 f.; Joel, 1. Bd., a.a.O., S . 481 ff., 2. Bd., a.a.O., S . 645 f. Vgl. auch Wilamowitz, Platon, 2. Bd., a.a.O., S . 114.

129) Miscellanea Academiae Berolinensis 2 (1950) S . 198-219 wiederabgedruckt in: 0 . Regenbogen, Kleine Schriften, hrsg. von F . Dirlmeier, Berlin 1961, S. 248-269.-Zum Phaidros v g l . zuletzt G . J . de Vries, A commentary on the Phaedrus of Plato, Amsterdam 1969.

- 229 -

Den erstgenannten Namen erklärt Pohlenz folgendermaßen:

"Nam cum posteriores non modo in r.apä ' [acKpaiei loa lau-

dent (cf. Hermog. II p . 437 Sp.), sed etiam Isocrates ipse

in Panathenaici § 2 se TOPIOUOEI; adhibuisse glorietur eam-

que ipsam ob rem a Piatone irrideatur (Rep. II p . 498 E),

facile adducimur, ut eum ab Antisthene 'Tcrv-^xnv ... vocatum

esse putemus.1 , 1

Diese Erklärung hat in der Forschung ein-

helligen Beifall gefunden, kann jedoch nicht vollends Uber-

zeugen, da eine solche Anspielung auf einen stilistischen

Teilaspekt der Kunstprosa, den Isokrates weder erfunden noch

auch als einziger gepflegt hat, einigermaßen künstlich er-

scheint und durchaus die schlagende Prägnanz und Signifikanz

vermissen läßt, wie man sie bei einer solchen parodisch-

spottenden Namensverformung erwartet. Ein besseres Ver-

ständnis läßt sich gewinnen, wenn man das lexikalische Um-

feld des Wortes 'iacypajprK näher betrachtet. Das Substantiv

selber ist, als ad hoc erfundenes Kunstwort, anderwärts

nirgends bezeugt, wohl aber begegnet, wenn auch höchst sel-

ten, das nahverwandte Adjektiv laoypacpo<; , das nach Analogie

zu den zahlreichen Komposita vom Typ TioXuYpacpoc; regelrecht

gebildet ist. Timon, der Sillograph (frg. 30 Diels), be-

merkt zu Piaton, er sei RI&UEMIT; gewesen, TE'TTI^.V laoypaqior,

Die Stelle lehrt, daß das Wort loo-ypaipoc, nicht als Bezeich-

nung für den isokolischen Stil der Kunstprosa gebraucht wur-

de, sondern vielmehr (wie auch natürlicher ist) ausdrückte,

daß einer dasselbe oder ebenso schreibt wie ein anderer.

Wer aber dasselbe wie andere schreibt,ist nichts anderes als

ein "Abschreiber", und so kann der frühbyzantinische Histo-

riker Menander Protiktor (HGM II p . 24 Dind.Jdie Abschriften

eines schriftlich konzipierten Vertrages als tooypacpot be-

130) A.a.O., S . 158 f. - V g l . Wilamowitz, a.a.O.; Caizzi, Fragmente, a.a.O., S . 78.

- 230 -

zeichnen. Läßt man die Bedeutung des immerhin zweimal

bezeugten Adjektivs auch für das parodische Kunstsubstantiv

'TaoYoacpric, g e l t e n , so ergibt sich, daß Antisthenes Isokra-

tes nicht als isokolischen Stilisten, sondern als "Abschrei-

ber" denunzieren w o l l t e , wobei der Begriff zwischen "Kopist"

und "Plagiator" geschillert haben d ü r f t e . Es ist keine Frage

daß Antisthenes mit diesem ebenso witzigen wie boshaften

Einfall, der erhebliches polemisches Talent und Temperament

verrät, den selbstbewußten Isokrates, der sich auf die for-

male und gedankliche Qualität und Originalität seiner Schrif

ten etwas zugutetat, auf das wirksamste und nachhaltigste

getroffen h a t .

Zur Erklärung des Wortes A E s i n d zwei verschiedene

Vorschläge gemacht w o r d e n . Pohlenz ist der Meinung, Anti-

sthenes habe diese Wortform gewählt, "ut oratorem reos

circumvenientem atque vincientem c a v i l l a r e t u r "1

. Wilamo-

witz hat diese Deutung bestritten: "Diesen metaphorischen

Gebrauch von 6eiv wird Pohlenz wohl schwerlich belegen

können. Wohl aber redet man schon früh von dem Binden

durch einen A f f e k t , &E&ETUI eAnC&I yiua Pindar, 6E5ETO:I. IUNA ifux» Euripides, und das schöne VIHUHEVOI äypvlia bedevxzc,

Pindars führt uns schon näher. Endlich Platon Gorg. 508e,

eine Behauptung 6E5ETCXI ai&ripo~<; Aoyou; , besonders passend,

weil es als äypomoTepov bezeichnet wird ... Geadelt hat

es Platon im Menon 98 a . Also der 'Binder' redet bündig:

er ist den stilistischen Künsteleien ü b e r l e g e n . "1 3 2

Es ist

nicht wahrscheinlich, daß Wilamowitz mit dieser Polemik

gegen Pohlenz recht h a t . Die angeführten Parallelstellen

131) A . a . O . - V g l . C a i z z i , a.a.O., d i e , obwohl sie Pohlenz' Erklärung akzeptiert, merkwürdigerweise dennoch be-hauptet: "I rapporti tra Lisia ed Antistene restano oscuri, benchS v i sia stato chi pensö ad un' amicizia fra i due ..."

132) A . a . O .

- 231 -

beweisen nicht mehr, als daß das Verbum beiv in logischem

und psychologischem Sinne gebraucht werden kann, und auch

wenn sich der stilistische Wortgebrauch nachweisen ließe,

so würde eine solche Anspielung doch außerordentlich nichts-

sagend und blaß wirken, da sie lobend ausfiele. Wer einen

loben will, verdreht nicht seinen Neimen. Pohlenz bemerkt

sehr richtig: "abicienda omnis de Antisthene Lysiae amico 133

suspicio. So erscheint die erstgenannte Erklärung, die

statt einer stilistischen eine juristische Deutung des Na-

mens gibt, ungleich treffender und wirkungsvoller. Lyslas,

der seinen Lebensunterhalt verdiente, indem er für andere

Gerichtsreden schrieb, trägt in seinem Namen ja gewisser-

maßen eine werbewirksame Berufsempfehlung, weil das Wort

Aue iv in der Gerichtssprache die Befreiung des Verurteil-

ten aus dem Gefängnis bezeichnet (vgl. z.B. Plat. Rep.

p . 360°). Antisthenes verkehrt diese Zufälligkeit bewußt

in ihr Gegenteil, da 6e"v als terminus technicus die Ver-

haftung des Angeklagten oder Verurteilten ausdrückt (vgl.

z.B. Plat. Legg. p . 864°). So erscheint der Gerichtsreden-

schreiber AuoCac , der "Befreier", bei Antisthenes als

Aeaiac , der "Verhafter" - auch dies ein Einfall, dem man

Witz und polemische Wirksamkeit nicht absprechen kann.

Ein genauerer Einblick in Form, Inhalt und Absicht der

vorliegenden Schrift läßt sich gewinnen, wenn man den

antisthenischen £ra$uv (VI 3) zum Vergleich heranzieht, der

ja eine ganz ähnliche, auf parodischer Namensverspottung

beruhende polemisch-aggressive Titelgebung aufweist.

Zunächst die Form. So wie der säöuv nachweislich ein

133) A.a.O. - So übrigens, wenn auch ohne die richtige Erklärung des Namens, früher schon Mueller, a.a.O., S . 35, dem Lulolfs, a.a.O., S. 15, 39 beipflichtet: "... Lysiam propter quaestum, quem in conscribendis orationibus faciebat, exagitasse conjicio."

- 2 3 2 -

Dialog gewesen ist (frg. 35,36, 37 C.), so dürfte auch die

vorliegende Schrift in dialogischer Form gehalten gewesen

sein. Ob die Titelpersonen selber als Gesprächsteilnehmer

auftraten oder ob sie lediglich den Gegenstand von Gesprä-

chen anderer bildeten, läßt sich hier leider ebensowenig

entscheiden wie dort.

Der Ea-Suv spielt im Titel vordergründig auf Piatons

Sexualverhalten an, hatte jedoch in der Hauptsache eine

Verteidigung des antisthenischen Satzes von der Unmöglich-

keit des Widerspruchs (frg. 36 C.) zum Inhalt. Dementspre-

chend dürfte auch in der vorliegenden Schrift die persön-

liche Polemik gegen Lysias und Isokrates, wie sie in den

Spottnamen zum Ausdruck kommt, nicht die Hauptsache gewe-

sen sein, sondern vielmehr im Dienste eines sachlich-

überpersönlichen Argumentationszusammenhanges gestanden

haben, in dem Antisthenes die zeitgenössische Rhetorik von

seinem philosophischen Standpunkt aus betrachtete und

kritisierte.

Will man Absicht und Tendenz dieser Kritik näher be-

stimmen, so muß man sich vergegenwärtigen, daß Isokrates

nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges zunächst, wie

Lysias, als Verfasser von Gerichtsreden tätig war, diese

Tätigkeit jedoch, anders als dieser, nach einem Jahrzehnt

aufgab und eine höchst erfolgreiche Schule für Rhetorik

eröffnete, deren philosophisch-theoretisch getöntes Mani-

fest die im Jahre 390 erschienene 'Sophistenrede' formu-

liert. Je nachdem welche dieser beiden Epochen aus dem

Leben des Isokrates man für die vorliegende Schrift in An-

spruch nimmt, fällt die Interpretation der vorliegenden

Schrift jeweils höchst verschieden aus. Gesetzt daß Iso-

krates als Gerichtsredner erschien, so erschien er als

Pendant des Lysias, und wenn Antisthenes so die beiden nam-

haftesten Vertreter der dikanischen Beredsamkeit nebenein-

- 2 3 3 -

anderstellte, so muß sich die Schrift in der Grundtendenz

vor allem gegen die Gerichtsrhetorik gerichtet haben.

Hatte Antisthenes dagegen den späteren Isokrates im Auge,

so standen sich Lysias und Isokrates gewissermaßen als

Antipoden gegenüber, der eine als Repräsentant der ge-

richtlichen Beredsamkeit, der es vor allem um Augenblicks-

wirkung und praktischen Erfolg zu tun ist, der andere als

Repräsentant eines epideiktisch ausgerichteten rhetorischen

Lehrprogramms, das einen allgemeinen Bildungs- und Erzie-

hungsanspruch erhebt. In diesem Falle enthielt die Schrift

einen Angriff auf die gesamte zeitgenössische Rhetorik.

Die Entscheidung zwischen diesen beiden Alternativen

kann nicht zweifelhaft sein, wenn man noch einmal den Spott-

namen 'iaoyp'gric; ins Auge faßt. Der in der Bezeichnung

"Abschreiber" intendierte Vorwurf literarisch-intellektueller

Unselbständigkeit und Inferiorität paßt ungleich besser,

ja eigentlich überhaupt nur, wenn man voraussetzt, daß

Isokrates nicht mehr als Verfasser von Gerichtsreden tätig

war, sondern bereits erfolgreich Rhetorik lehrte und das

anspruchsvolle Manifest und Programm der 'Sophistenrede'

bereits veröffentlicht hatte. Wie denn anders auch gar nicht

einzusehen wäre, wodurch sich die vorliegende Schrift

thematisch von der vorhergehenden Schrift HEO! TUV &iKoypa-

tpwv (I 5) unterschieden haben sollte.

Sind die vorstehenden Überlegungen richtig, so gab

Antisthenes in der vorliegenden Schrift nicht weniger als

eine Generalabrechnung mit der Rhetorik: er griff Lysias

und Isokrates, die beiden namhaftesten Rhetoren seiner Zeit,

persönlich-polemisch an und traf so zugleich die beiden

wichtigsten Hauptrichtungen der damaligen Rhetorik, die

praktisch-dikanische und die epideiktisch-pädagoglsche, die

er beide von Standpunkt seiner eigenen philosophisch be-

- 234 -

gründeten rhetorischen Theorie von den tponoi als unzu-

länglich verwerfen mußte.

So erweist sich die vorliegende Schrift des Antisthenes,

mehr noch als die vorhergehende, ihrer Grundabsicht nach

als rechtes Gegenstück zum platonischen 'Gorgias', mit

dem sie die Abfassungszeit in den späten neunziger Jahren

teilt; sie kann zugleich aber auch als Pendant zum 'Phai-

dros' betrachtet werden, in dem Platon die Gestalten des

Lysias und Isokrates, die hier bei Antisthenes im Mittel-

punkt stehen, sehr viel später noch einmal beschworen hat.

8 ripoc; tov 'ioowpaTOut, 'ApapTupov (I 7)

Der sehr präzise Titel lehrt, daß die vorliegende Schrift

eine Gegenschrift gegen eine Schrift des Isokrates gewe-

sen ist, die den Titel 'A^apTupoi; führte. Diese Schrift,

die Philostrat V i t . soph. 1. 17.3 sowie Apsines (Rh.Gr.

i p . 482 Walz) und Schol. in Hermog. (Rh.Gr. v p . 292,

vii p . 364) ebenso wie der Katalog mit dem Titel 'A|iapTupo<;

zitieren, hat sich glücklicherweise erhalten. Es handelt

sich um die 21. Rede des Isokrates, die der Cod. Vaticanus

68 (A) unter der superscriptio npoc Eiauvouv 4napTupoi;über-

liefert.

Diese Rede, auf die hier kurz einzugehen ist, ist die

früheste der sechs erhaltenen Gerichtsreden des Isokrates,

verfaßt kurz nach Eintritt der Amnestie im Jahre 403 oder

402. Es handelt sich formal um eine Deuterologie, in der

der Redner, der im übrigen ungenannt bleibt, als Nebenklä-

ger (auvfiyopoc) die Anklage seines Freundes Nikias unter-

stützt, die dieser wegen Veruntreuung eines Depositums

- 235 -

(TiapaKaTaSiiKTK) gegen seinen Neffen Euthynus angestrengt

hatte (§1). Die besondere Schwierigkeit des Falles liegt

d a r i n , daß sowohl die Übergabe wie auch die Rückgabe des

Depositums ohne Zeugen vor sich gegangen ist, so daß der

Redner die Beweisführung weder durch Folter noch Zeugen

(|!TIT' £M ßaoavuv pi^x' EH papxupuv) sondern allein aufgrund

von Indizien (EH xenpripiuv ) zu führen gezwungen ist (§ 4).

Der Redner führt diesen Indizienbeweis so, daß er in der

Form mehrerer aufeinander aufbauender und sich steigernder

Epicheireme darlegt, daß es in jedem Betracht wahrschein-

licher ist ( EIHOC ) , daß Euthynus unrecht gegen Nikias

gehandelt hat, als daß Nikias gegen Euthynus eine falsche

Klage eingebracht hätte (§§ 5-7; 8-10; 11-15; 16-19;

20-21).

Die Rede gegen Euthynus weist in der Komposition man-

cherlei Besonderheiten a u f . So werden Hiate und Gorgianismen

hier weniger streng gemieden und die Gesamtdarstellung ist

weniger wortreich und ausführlich, als sonst bei Isokrates

ü b l i c h . Benseier schloß daraus: "Hanc orationem Isocrati 1 34 abiudicandam esse puto." Das Vorkommen von Hiaten und

134) De hiatu etc., 1. B d . , a.a.O., S . 56. - Die Athetese der Rede vertritt m i t Nachdruck E . Drerup, De Isocratis orationibus iudicalibus quaestiones selectae, Jahr-bücher für classlsche Philologie Suppl. 22 (1896) S . 335-371 , bes. S . 364 ff., der den 'Apapxupoi; mit dem TpanEi; ix IHO<; (or. 17) identifiziert; v g l . d e r s . , Iso-cratis opera omnia, 1. B d . , Leipzig 1906, S . CXIX-CXXI, wo die Identifikation mit dem TpanEt;ixIHOC , nicht jedoch die Athetese zurückgenommen w i r d . K . Münscher, Isokrates N r . 2 , in: Pauly-Wissowas RE 9 (1916) S p . 2146-2227, b e s . S p . 2156-2158, hält die Rede ebenfalls für unecht; es handele sich um die Stilübung eines Isokratesschülers.-Wilamowitz, Piaton, 2 . B d . , a.a.O., S . 114, urteilt: "... viel spricht d a f ü r , daß es ein Versuch ist, die verlorene, d . h . von Isokrates unterdrückte Rede aus den Gegenschriften herzustellen."

- 236 -

Gorgianismen berechtigt jedoch keineswegs zur Athetese, zumal

es sich hier um eine sehr frühe Rede des Isokrates handelt,

die noch dazu höchst mangelhaft überliefert ist. Schwierig-

keiten macht allein die außerordentliche Kürze der Kompo-

sition. Blass, der im übrigen die Echtheit der Rede schla-

gend verteidigt hat, folgerte hieraus, daß es sich nicht um

eine wirkliche Gerichtsrede, sondern lediglich um einen 135

"Auszug" oder eine "Studie" handeln könne. Es ist jedoch

auch durchaus möglich, daß Isokrates die kompositorische

Knappheit bewußt gewählt hat, um den Charakter der Rede als

Deuterologie zu unterstreichen. In jedem Falle bleibt fest-

zuhalten, daß die erhaltene Rede des Isokrates in den Grund-

linien und Hauptzügen mit jener Rede übereinstimmt, gegen die

Antisthenes seine Gegenschrift schrieb.

Es ist im übrigen wohlbekannt, wer der Gegner des Iso-

krates im Depositenprozess gewesen ist. Es war kein geringe-

rer als Lysias, von dem eine Rede mit dem Titel npot; Nmiav

nepi napaMaxaSfihti<; (frg. 70 Thalheim) bezeugt ist, die mit

der R e d e ' Ynep EuSuvou (frg. 37 Th.) identisch sein dürfte.

Der Prozess war demnach eine cause celebre: die beiden nam-

haftesten Logographen der Zeit standen sich als Konkurrenten

135) Attische Beredsamkeit, 2. Bd., a.a.O., S. 223. -Ähnlich urteilt B . Keil, Analecta Isocratea, Leipzig 1885, S. 7, Anm. 1. - Die Echtheit der Rede hat vor Blass schon Sauppe, Oratores Attici, 2. Bd., a.a.O., S . 227, entschieden verteidigt: "Ego mihi in hac oratione nihil nisi Isocratem audire videor." Vgl. außerdem bes. Usener, Lectiones Graecae, Rheinisches Museum 25 (1870) S . 574-616, bes. S. 603. Desgleichen treten neuerdings entschieden für die Echtheit ein G . Mathieu und E . Bremond, Isocrate. Discours, 1. Bd., 3. Aufl., Paris 1963, S . 3-5, die die vorliegende Rede für die tatsächlich gehaltene Gerichtsrede halten.

- 237 -

gegenüber in einem Fall, der gänzlich ohne Zeugen rein

nach Indizien geführt werden mußte, so daß der Erfolg

allein von der rhetorischen Qualität und Wirksamkeit der

Reden abhing. Die Popularität dieses Prozesses, der in

die politisch bewegte Zeit der Amnestie fiel, ist es ge-

wesen, die Antisthenes bewogen hat, gegen die Rede des

Isokrates eine Gegenschrift zu verfassen. Die Sache zog

schließlich so weite Kreise, daß der Akademiker Speusipp

es noch eine Generation nach Antisthenes für nötig erach-

tete,eine Schrift npoc TOV 'Apäpxupov (test. 1 Lang)

zu verfassen, in der er die sogenannten änoppnTa des

Isokrates publik gemacht haben dürfte (frg. 63 L.).

Es ist nicht bekannt, in welcher Form die Gegenschrift

des Antisthenes, die in den frühen neunziger Jahren entstan-

den sein dürfte und natürlich rein literarisches Gepräge

trug, gehalten war. Gleichviel aber ob es sich um einen

Dialog, eine Rede oder eine Abhandlung gehandelt hat, es

spricht alles dafür, daß Antisthenes die Rede des Isokrates

höchst genau und eingehend durchgenommen hat, womöglich

Satz für Satz, ähnlich wie es Piaton im 'Phaidros' mit dem

'Erotikos' des Lysias tut. Daß das Ergebnis dieser Prü-

fung mit einer vernichtenden Kritik des Isokrates endete,

liegt auf der Hand.

Die Schrift des Antisthenes hat Wirkung gezeigt. Iso-

krates sagt am Ende des 1

Panegyrikos', der im Jahre 38o

erschien: "... diejenigen aber, die Anspruch auf die

Reden erheben ( ol T CV AOYWV dp<pLOßRITOÜVTEC ) sollen auf-

hören gegen das Depositum ( npo<; TT|V NAPAK<ITA-&II«TIV ) und

über das andere, worüber sie jetzt schwätzen, zu schreiben,

sondern gegen diese Rede hier ihren Wetteifer richten

und zusehen, daß sie besser als ich Uber dasselbe The-

ma reden, bedenkend, daß, wer große Dinge verspricht ( TOVC neyaX' ün LAXVOUPEVO K; ) , sich nicht mit Kleinigkeiten be-

- 238 -

schäftigen ( nepi ^tvipä Sicxtpißeiv ) und nicht solche Dinge

sagen darf, die das Leben derer, die ihm glauben, nicht

fördern ..." (§§ 188.189). Die Wendung npoc tr|v napaHaTotSfiKTiv >

die R.J. Bonner, 'Note on Isocrates' Panegyricus 188', nie-136

mals als "general topic for rhetorical exercises"

hätte bezeichnen dürfen, lehrt ganz eindeutig, daß Isokrates

hier vor allem die antisthenische Schrift gegen den 'Anap-rupo<;

im Auge hat. Der empörte, ja grollende Ton dieser Äußerung

am Ende einer Schrift, die mehr als zwanzig Jahre nach dem

Ende der Affäre um den Depositenprozess erschienen ist,

läßt etwas davon ahnen, wie tief die polemisch-aggressive

Streitschrift des Antisthenes Isokrates getroffen hat. Es

muß sich hier um ein Meisterstück literarischer Polemik

gehandelt haben, dessen Verlust man nicht genug bedauern kann.

9 Antisthenes bei Isokrates

Die Anspielung im 'Panegyrikos' gibt Gelegenheit, ab-

schließend einen Blick auf einige andere Reden zu wer-

fen, in denen sich Isokrates mit Antisthenes auseinan-

dergesetzt hat.

136) Classical Philology 15 (1920) S . 386. - Die Bezie-hung auf Antisthenes hat bereits richtig gesehen H . Wolf, IEOKPATOYI AI1ANTA , Basel 1570, den I.G. Baiter, Isocratis Oratio Panegyrica, Lelzlg 1831, S . 118 f., zitiert. V g l . außerdem bes. Winckelmann, Antisthenis Fragmenta, a.a.O., S. 12, Anm. 13; Usener, Quaest. Anaxim, a.a.O., S. 9; ders., Abfassungszeit des plat. Phaidros, a.a.O., S . 143; Mueller, De Antisthenis Cynici vita et scriptis, a.a.O., S . 36; Blass, a.a.O., S . 220; Wilamowitz, a.a.O., S . 115; Caizzi, Fragmente, a.a.O., S . 79.

- 239 -

An erster Stelle ist hier die 'Sophistenrede1

zu

nennen, die Isokrates um 390 erscheinen ließ, als er

seine Schule eröffnete. Isokrates polemisiert hier ein-

gangs gegen diejenigen seiner pädagogischen Konkurrenten,

"die sich mit den Streitreden beschäftigen" ( ol TCEPI Tai;

Epi&ac; 6 taxp CßovTEt; ) (§§ 1-8): Diese Leute geben v o r ,

die Wahrheit ( äx-nöeia ) zu suchen, bringen jedoch gleich

zu Beginn ihrer Ankündigungsprogramme (k n a y y iA^axa )

gleichsam als falsche Wahrsager die lügnerische Behaup-

tung v o r , die Juqend könne bei ihnen lernen, wie man han-

deln müsse ( a npawxeov Eaxi ), und durch dieses Wissen

( in LOTtinri ) glückselig (eü&acCn wv ) werden; wiewohl

sie sich so als Lehrer der gesamten Vorzüglichkeit

( äpExfi ) aufspielen, verlangen sie doch für ihren Un-

terricht nicht mehr als drei oder vier Minen, indem sie

Verachtung des Reichtums zur Schau tragen und von Sil-

ber- und Goldmünzchen ( äpYupibiov Kai xpucuöiov )

sprechen; für das Lehrgeld lassen sie sich von ihren

Schülern, denen sie doch Gerechtigkeit ( ätnaioauvn )

und Besonnenheit ( aucppoauvri ) anerziehen wollen,

Bürgschaft leisten und setzen sich so zu ihrem eigenen

Erziehungsprogramm in Widerspruch; - nach alledem kann

man sich nicht wundern, wenn das Publikum solcherlei Päda-

gogik, die für das praktische Handeln nichts leistet, als

Schwätzerei ( a&oXeaxta ) und pedantische Kleinigkeits-

krämerei (MDtpoXoYia ), nicht aber als Fürsorge für die

Seele ( EHIIIEXEIO M/UXTK ) bezeichnet.

So präzise diese Schilderung auf den ersten Blick er-

scheint, so schwierig ist es, die von Isokrates als "Eri-

stiker" bezeichnete Personengruppe historisch genauer zu

identifizieren. Nachdem man bald auf Platon, auf Euklei-

des oder Aischines geraten hatte, bald auf die eigentlichen

Eristiker vom Schlage des Euthydem und Dionysodor, ver-

- 240 -

trat Usener mit Entschiedenheit die Ansicht, Isokrates 1 37

habe hier "nur den Antisthenes" im Auge gehabt: Anti-

sthenes habe eine Schrift mit dem Titel 'A^Seia ver-

faßt (frg. 1,7 C.); er habe die Vortrefflichkeit für

lehrbar gehalten (frg. 69 C.); er sei arm gewesen und habe

für seinen Unterricht Geld genommen (frg. 184, 190 C.).

Diese Argumentation, die großen Beifall gefunden hat, ist

jedoch keineswegs stichhaltig. Das Dringen auf Wahrheit

und die These von der Lehrbarkeit der äpe-rii sind Vor-

stellungen, die den Sokratikern und den Eristikern gemein-

sam sind, und Honorarforderungen haben die Eristiker sowohl

wie auch Aristipp (frg. 3-8 Mannebach) und Aischines

(test. 1 Dittmar) gestellt, und von den Eristikern wie

von Aischines ließ sich zum mindesten auch behaupten, daß

sie arm waren und sich den Unterricht billig bezahlen lie-

ßen. Aus alledem ergibt sich, daß Isokrates an der vorlie-

genden Stelle keineswegs ausschließlich Antisthenes ange-

griffen hat; er hat überhaupt keine Einzelpersönlichkeit

im Auge, sondern polemisiert gegen die beiden Personen-

gruppen der Sokratiker und der Eristiker, die hier wie-

137) Abfassungszeit des plat. Phaidros, a.a.O., S. 137; vgl. ders., Quaest. Anaxim., a.a.O., S. 12 f. -Ähnlich urteilen später F . Ueberweg, Untersuchungen über die Echtheit und Zeitfolge der platonischen Schriften, Wien 1861, S. 257 ff.; ders., Zu Isokra-tes, Philologus 27 (1868) S. 175-180; C . Reinhardt, De Isocratis aemulis, Diss. Bonn 1871, S. 25; J . Zy-cha, Bemerkungen zu den Anspielungen und Beziehungen in der XIII. und X . Rede des Isokrates, Gymnasialpro-gramm Wien, Wien 1880, S. 4 ff.; Urban, über die Er-wähnungen der Philosophie des Antisthenes in den pla-tonischen Schriften, a.a.O., S. 7; Münscher, Isokrates, a.a.O., Sp. 2172 ff.; Wilamowitz, Piaton, a.a.O., S. 108 f. - Einen ausgezeichneten Überblick Uber die ver-wickelte Geschichte der Forschung gibt K . Ries, Iso-krates und Piaton im Ringen um die Philosophia, Diss. München 1959, S. 25-35. Vgl. außerdem bes. H. Gomperz, Isokrates und die Sokratik I., Wiener Studien 17 (1905) S. 162-207, bes. S. 168 ff.

- 241 -

wohl höchst verschieden, nicht unterschieden werden (und

wohl auch gar nicht unterschieden werden sollen), weil sie

sich bei ihrem pädagogischen Bemühen gemeinsam der dia-

lektisch-dialogischen Form der sogenannten "Streitreden"

( epi&ec ) bedienen. Daß diese Auffassung, die heute all-

gemein akzeptiert wird, richtig ist, lehrt ein Blick auf

die 'Helena'.

Die 'Helena', die Isokrates zusammen mit dem 'Busiris'

in den achtziger Jahren veröffentlichte, als er am 'Panegy-

rikos' arbeitete, enthält ebenfalls eine ausführliche Aus-

einandersetzung mit der pädagogischen Konkurrenz. Es gibt

Leute, heißt es im Proömium (§§ 1-13), die bilden sich et-

was ein, wenn sie über irgendein absurdes oder paradoxes

Thema leidlich zu reden wissen. Weiter heißt es: "Und so

sind die einen ( oi hev ) alt geworden ( HaTayerTipaKaaiv ) ,

indem sie behaupten, daß es nicht möglich sei, zu lügen

( yeu&ff Aeyetv ), zu widersprechen ( avTiAeyeiv ) oder zwei

einander entgegengesetzte Behauptungen über ein und den-

selben Sachverhalt vorzubringen ( 6üu Aoyu nEpi TWV auxwv npayiaaTuv avTeinefv ) , die anderen ( oi &e ) , indem

sie ausführen, daß Tapferkeit ( ctv&ptct ), Weisheit ( ooqua )

und Gerechtigkeit ( & ixa IOOUVTI ) dasselbe sind und daß wir

von Natur aus (tpuoei ) zwar nichts davon besitzen, es aber

eine einzige Wissenschaft ( H^« Enia-rfijiri ) v o n

alledem gibt;

andere wiederum ( ä U o i &e ) beschäftigen sich mit den

Streitreden ( epiSeq ), die keinerlei Nutzen bringen,

sondern die Zuhörer nur verwirren."

Die historische Identität der beiden erst genannten Per-

sonen hat L . Spengel, 'Artium scriptores', als erster

richtig erkannt: "Antisthenem et ... Platonem intelligit

- 242 -

118 his primis verbis." In der Tat lassen die Formulie-

rungen des Isokrates nicht den geringsten Zweifel, daß

hier an erster Stelle Antisthenes gemeint ist, der be-

hauptete, man könne nicht widersprechen (ävx vXe-ye iv ),

ja nicht einmal lügen (veubeaöai ) (frg. 47A C.; vgl.

auch frg. 47 BC, 48, 49 sowie 36, 37 C.). Nicht ganz so

deutlich, aber immer noch deutlich genug ist die folgende

Anspielung auf Piaton, der in seinen aporetisch-definito-

rischen Frühdialogen, namentlich im 1

Protagoras', die

Tugend ( apExii ) auf den Begriff der Erkenntnis (erua-

xiipri ) zurückzuführen versucht. Die letztgenannte Perso-

nengruppe der sogenannten "Streitredner" schließlich zielt

unverkennbar auf die eigentlichen Eristiker vom Schlage

des Euthydem und Dionysodor ab.

Die Tatsache, daß Isokrates an der vorliegenden Stelle

Sokratiker und Eristiker unterscheidet, darf nicht zu der

Vorstellung verführen, als ob er hier eine andere Begriff-

lichkeit anwende als in der 1

Sophistenrede', wo er beide

138) Stuttgart 1828, S . 73, Anm. 98; ders., Piaton und Isokrates, a.a.O., S . 755. - V g l . außerdem bes. Usener, Quaest. Anaxim., a.a.O., S. 9; Mueller, a.a.O., S . 18, Anm. 2; Mullach, a.a.O., S. 266 ff.; Blass, a.a.O., S . 25 f., 33 f . , 242 ff.; Natorp, Antisthenes, a.a.O., Sp. 2539; Gomperz, a.a.O., S . 174-177; Münscher, a.a.O., Sp. 2180 f.; Wilamowitz, a.a.O., S . 118; Ries, a.a.O., S. 47-51; Mathieu-Bre-mond, a.a.O., S. 155 ff. - F . Ueberweg, Zu Isokrates, Philologus 27 (1868) S. 178, Äußert die Ansicht, daß alle drei Personengruppen "Gesinnungsgenossen des Antisthenes" bezeichnen sollten, was allein schon wegen der antithetischen Formulierungen ol psv, ol be, aAA.01 be unmöglich ist. Ebenso verfehlt urteilt Use-ner, Lectiones Graecae, a.a.O., S . 592, der die dritte, d u r c h « U o i be eingeleitete Personengruppe durch Athe-tese eliminieren will.

- 243 -

Gruppen ununterschieden als "Eristiker" bezeichnet. Hier

wie dort erscheinen Sokratiker und Eristiker in einer ge-

meinsamen Gruppe, und wenn diese Gruppe hier genauer in

Sokratiker und Eristiker differenziert wird, so wird diese

Differenzierung wenig später wieder aufgehoben, wenn die

Tätigkeit sowohl von Sokratikern wie von Eristikern mit

demselben Schlagwort, das auch die 'Sophistenrede1

ge-

braucht, als "Philosophie durch Streitreden" (h nepi tat;

epi&ac <piAoaoqita ) (Hei. § 6 = Soph. §§ 1,20) charak-

terisiert wird. Wie denn auch die Hauptvorwürfe hier die-

selben sind wie dort: daß die sogenannte eristische Philo-

sophie allein nach Gelderwerb trachte und, statt die Zu-

hörer zum praktischen Handeln anzuleiten, nichts als

fruchtlose Begriffsverwirrung hervorrufe.

So zeigt sich, daß Isokrates in der 'Sophistenrede1

und in der 'Helena' unter dem Stichwort der "Streitreden"

( E P I & E T ; ) gemeinsam gegen Sokratiker und Eristiker pole-

misiert. Die differenziertere Ausdrucksweise der 'Helena'

lehrt darüberhinaus, daß unter den Sokratikern vor allem

Antisthenes und Platon zu verstehen sind. Der Grund liegt

auf der Hand: Antisthenes und Platon waren die beiden

einzigen Sokratiker, die in Athen Schule oder doch schul-

artigen Unterricht hielten, der eine im Kynosarges, der

andere in der Akademie; sie allein waren für Isokrates

als pädagogische Konkurrenten zu fürchten, während Aischi-

nes, der privatisierte, und Aristipp, Eukleides und

Phaidon, die sich im Ausland aufhielten, außer Betracht

bleiben konnten.

Antisthenes wird in der 'Helena' an erster Stelle ge-

nannt, Platon an zweiter. Man darf aus dieser Reihenfolge

schließen, daß Antisthenes damals durchaus als der bekann-

tere und bedeutendere Sokratiker galt. Hierzu paßt, daß

Antisthenes recht ausführlich als Dialektiker charakteri-

- 244 -

siert wird, während Piaton kürzer als Ethiker abgetan

wird. Aus alledem folgt, daß Antisthenes als Denker offen-

bar früher fertig gewesen ist als Piaton: seine Philosophie

lag in den Hauptzügen bereits vor, als Piaton zu philoso-

phieren begann. Diese Tatsache, die für die Geschichte der

Sokratik von größter Bedeutung ist, legt die Vermutung

nahe, daß Antisthenes auch älter gewesen ist als Piaton.

Hierauf führt das Verbum naTaYeYlP<*Haoiv , das nicht ei-

gentlich auf Piaton abzielt, der damals erst in den Vier-

zigern stand, sondern auf Antisthenes, der "im Greisen-

alter" noch an solchen gedanklichen Kindereien festhält,

wie der Satz von der Unmöglichkeit des Widerspruchs eine

ist.

Abschliessend gilt es, einen weitverbreiteten Irrtum

zu korrigieren. Isokrates erklärt im Proömium der 'Helena'

weiter, durch die unverantwortliche Tätigkeit der Sokrati-

ker und Eristiker sei das "Lügenreden" ( yeuboKoyEiv ) so

sehr in Mode gekommen, daß "neuerdings" ( ri6TI ) manche zu

behaupten wagten, das Leben der Bettler und der Verbannten

sei erstrebenswerter als das der übrigen Menschen (§ 8);

paradoxe Themen wie etwa das Lob der engen Trinkgefäße

((JoußuXioi ) oder das Lob des Salzes ließen sich unschwer

behandeln, viel schwieriger sei es, über allgemein anerkann-

te Gegenstände etwas Neues und Richtiges zu sagen (§ 12).

Uber die erste Bemerkung urteilt Usener: "Ad Cynicorum 139 sectam ... referenda sunt verba." Winckelmann bemerkt

139) Quaest. Anaxim., a.a.O., S . 9. Vgl. außerdem vor allem Mueller, a.a.O., S . 18, A n m . 2; Mullach, a.a.O., S . 266; Gomperz, a.a.O., S . 175.

- 245 -

zur zweiten Stelle: "Antisthenis Protrepticum Isocrates 1 40

... reprehendere videtur." Es ist ohne weiteres zuzu-

geben, daß das Lob des Bettler- und Verbanntenlebens gut

zur Autarkieethik des Antisthenes paßt; desgleichen ist

das seltene Wort ßonPuAioc ausdrücklich für den Ilpo-tpem i-

koc des Antisthenes bezeugt (frg. 18 C.). Daß man an bei-

den Stellen gleichwohl nicht an Antisthenes denken darf,

lehrt der Zusammenhang. Isokrates unterscheidet die Sokra-

tiker und Eristiker als Gruppe ausdrücklich von den jün-

geren Paradoxographen, die, ermutigt durch jene, erst

"neuerdings" ( TI&TI ) hervorgetreten sind, und wenn Anti-

sthenes unzweifelhaft zur ersten Gruppe gehört, so kann

er in der zweiten Gruppe nicht gemeint sein. Isokrates

denkt hier nicht an Philosophen, sondern an paradoxogra-

phische Rhetoren vom Schlage des Polykrates, der unter

anderem eine Lobrede auf die Mäuse und auf die Rechenstei-

ne verfaßte (frg. 9 Radermacher).

Nach der 'Helena' und dem 'Buslris', der sich ausschließ-

lich mit Polykrates auseinandersetzt, folgt der im Jahre

38o erschienene 'Panegyrikos', der noch einmal eine bittere

Polemik gegen Antisthenes enthält, wenn am Ende von jenen

gesprochen wird, die "gegen das Depositum" ( npo<; TTIV rtapa-

KaxaöfiHTiv ) schreiben, statt sich mit der vorliegenden

140) A.a.O., S . 21, A n m . 1. V g l . außerdem die oben in Anm. 139 genannten Stellen, denen noch Caizzi, Fragmente, a.a.O., S. 92 hinzuzufügen ist. - Gegen eine Zuwei-sung beider Stellen an Antisthenes polemisieren zu Recht Münscher, a.a.O., Sp. 2182, sowie neuerdings auch Mathieu-Bremond, a.a.O., S . 157; richtig auch Blass, a.a.O., S . 336, A n m . 7, S . 370, Anm. 7; sowie Wilamowitz, a.a.O., S . 117 ff.

- 246 -

epideiktisch-politischen Mahnrede zu messen (§§ 188 f.).

Diese Anspielung, von der bereits ausführlich die Rede

war (vgl. S. 237 f.) markiert zugleich das Ende der Pole-

mik zwischen Isokrates und Antisthenes. Die folgenden

großen epideiktischen Reden geben kaum Raum für persönli-

che Polemik, und als Isokrates nach beinahe einem Viertel-

jahrhundert in der 'Antidosis' und, noch später, im 1

Panathenaikos' seine "Philosophie" auf Neue gegen die

"Eristiker" verteidigen zu müssen glaubt, da ist es nur-

mehr der jetzt übermächtige Piaton und sein Schüler Ari-

stoteles, die in den Blick geraten. Diese Debatte, die

K. Ries, 'Isokrates und Piaton im Ringen um die Philoso-141

phia' , eingehend verfolgt hat, kann hier außer Be-

tracht bleiben, weil Antisthenes an ihr keinen Teil mehr

hat. Er war damals tot und, wahrscheinlich, auch schon

vergessen.

ß- Die Glaubwürdigkeit der Überlieferung über eine rhetorische Periode im Leben des Antisthenes

Die Untersuchung der rhetorischen Schriften hat immer wie-

der ergeben, daß Rhetorik und Philosophie bei Antisthenes

nicht zwei voneinander geschiedene oder gar gegensätzliche

Bereiche darstellen, sondern daß die Rhetorik als Teil des

antisthenischen Denkens philosophisch begründet wird. In

striktem Gegensatz hierzu behauptet die antike Uberlieferung,

Antisthenes habe zuerst Rhetorik gelernt und gelehrt, habe

141) Diss. München; dort auch eine Ubersicht über die reichhaltige einschlägige Literatur, der jetzt noch hinzuzufügen ist: H . Erbse, Piatons Urteil über Iso-krates, Hermes 99 (1971) S. 183-197; G.J. de Vries, Isocrates in the Phaedrus. A reply, Mnemosyne 24 (1971) S . 387-390.

- 247 -

diese Beschäftigung jedoch später, nachdem er Sokrates be-

gegnet sei, aufgegeben und sich ganz der Philosophie zuge-

wandt. Der auffällige Widerspruch zwischen literarischer

und biographischer Überlieferung löst sich auf, wenn man

die biographische Tradition genauer auf ihre Glaubwürdig-

keit hin untersucht.

Diogenes Laertius 6.1-2 (frg. 125, 7, 127, 128A C.): OUTOC; (sc. Antisthenes) K<XT' äpx<*<; finouoE Fopyiou toü p1^Topoc;• oöev TO Ö T I T O P I H O V E I&O< ; EV TO~c, &taX0Y0i<; ETiiq>£pEi N A I n « X L O T A EV Trj" 'AXriÖEia H A I TO Tq npOTpEHT IHO~<; (cf. Ps.-Eudocia s.v.' AVT laöEvricp. 96 Flach). q>TTAL 6' "EpiiiJiTtot; (FHG III 45 ), O T I RCPOEIXETO EV xfT TCV ' I O O H I U V navriYupEi \|/E^ai TE vtai enaivEoai ' AÖTiva louq , 0r|-ßai'ouq, AaHEÖa i p.o v touq • E iTa H E V T O I rcapa iTriaacx-Sa i t&ovTa T IXE I O U <; EH T Ü V TCOXEUV äep I YH£ vouq. uuTEpov 6E napeßaXE EtonpaTEi nai T O O O U T O V U V O T O a u T o ü , u>o-TE napfivEi Tofi; ti^^TatTc; yEvEa-9ai a u T Ü npöc, EcunpaTTiv oufi-l_ia$r|Td(, (cf. Ps.-Eud. I.e.) .

Hieronymus adv. Jovin. 2.14.344 (frg. 128B C.): Hie certe est Antisthenes, qui cum gloriose do-cuisset rhetoricam, audissetque Socratem, dixisse fertur ad diseipulos suos: "abite et magistrum quaerite, ego enim repperi". statimque venditis quae habebat et publice distri-butis nihil sibi amplius quam palliolum reservavit.

Gnomologium Vaticanum 4 (frg. 128C C.): o aÜToq (sc. Antisthenes) npoTepov priTopinriv E & I & O O H E V ,

E TIE IT a SoiKpOTCUC EITTOVTO C, (JETEßaXETO* EVTUXUV &E TOK ETaipOlt;, TTpOTEpOV, ELFT), T|T E ßOU ß a-SriTa i , vüv 6 * av voüv E X N T E , EOEOÖE O U H H A Ö R I T A I .

Suda s.v. ' AV T I O SE ' V T X ; 1 p. 243 Adler (frg. 126 C.): ' A V T LA^EVTN; ... äno priTopuv ipiXoaocpot; F.wv.nax IH6<; .

überblickt man diese Uberlieferung, so zeigt sich, daß hier

in verschiedener Ausführlichkeit und verschiedener Brechung

viermal dieselbe Geschichte erzählt wird: Antisthenes treibt

Rhetorik, gibt diese Tätigkeit jedoch auf, nachdem er So-

krates kennengelernt hat, um sich der Philosophie zuzuwenden.

- 248 -

Daß diese Geschichte im Kern auf die frühhellenisti-

sche Biographie zurückgeht, lehrt die Tatsache, daß

Hermipp (FHG III 45) sie bereits voraussetzt, indem

er sie um ein Detail erweitert. Caizzi will die Her-

kunft der Erzählung chronologisch noch weiter hinaus-

rücken, indem sie die Quellen als "forse giä peripa-142

tetiche, certamente stoiche" bezeichnet. Dieses

Urteil ist jedoch zuversichtlicher, als die Überlie-

ferung erlaubt, und selbst wenn sich der peripatetisch-

stoische Ursprung der Antisthenesbiographie erweisen

ließe, so würde diese Tatsache noch nichts über die

Glaubwürdigkeit dieser Tradition aussagen, auf die

es in diesem Zusammenhang allein ankommt.

Die Glaubwürdigkeit der biographischen Uberlie-

ferung ist in der Forschung niemals ernsthaft in

Zweifel gezogen worden, nicht einmal im 19. Jahrhun-

dert, das Antisthenes mit soviel analytischer Kritik

bedacht hat. Diese Tatsache ist umso merkwürdiger,

als die biographische Tradition über Antisthenes alle

Merkmale antiquarisch-hellenistischer Lebensbeschrei-

bung aufweist, die durch Erfindung und Ausdeutung

des Literarischen die karge tatsächliche Uberlieferung

phantasievoll, aber ohne Kritik zu erweitern und zu

bereichern trachtet.

142) Fragmente, a.a.O., S . 119. - Zur Antisthenes-biographie vgl. außerdem bes. Deycks, a.a.O., S . 4-14; Chappuis, a.a.O., S. 1-22, S . 169-183; Mueller, a.a.O., S. 3-24; Mullach, a.a.O., S. 261-167; Natorp, a.a.O., Sp. 1894-95; K.v. Fritz, Antistene e Diogene, Studi Italiani di Filolo-gia ed Istruzione Classica N.S. 5 (1927) S . 133-149; P . Von der Mühll, Untersuchungen biographischer Uberlieferung, Museum Helveticum 23 (1966) S . 234-239.

- 249 -

So bietet sogleich die Erzählung von des Antisthenes

Schülerschaft bei Gorgias, von der allein Diogenes (frg.

125, 7 C.) berichtet, ein klassisches Beispiel dafür, wie

sich die antike Biographie Tatsachen erfindet. Antisthenes,

so heißt es, habe bei Gorgias "gehört" (fixouoev); in-

folgedessen habe er in seinen Dialogen auch "rhetorisches

Gepräge" ( pTi-rcpixov EI&OC ) aufgetragen, besonders in der

'AXfiöeia und im npoxpEirr iv<6q. Akzeptiert man diese Notiz

als historisch glaubwürdige Information, so gerät man

unversehens in Schwierigkeiten, weil nicht einzusehen ist,

wie Antisthenes bei seiner notorischen Armut das exor-

bitant hohe Honorar bezahlen konnte, das Gorgias verlang-

te (VS 82 A 2, 4 , 18). Wilamowitz behauptet: "Antisthenes,

so arm er später w a r , hat zuerst die Mittel besessen, bei 143

Gorgias zu studieren." In der Tat berichtet Hieronymus

(frg. 128B C.), Antisthenes h a b e , als er Sokrates kennen-

lernte, seinen Besitz öffentlich verteilt und für sich nur

ein "Mäntelchen" ( p a l l i d u m ) zurückbehalten. Diese Ge-

schichte ist jedoch hier fehl am Platze, sie ist von

Krates, in dessen Biographie sie festsitzt (vgl. b e s .

Diog. Laert. 6.87), irrtümlich auf Antisthenes über-

tragen worden, der nun, bevor er noch Sokratiker gewor-

den ist, bereits als manteltragender kynischer Bettel-

philosoph erscheint. Daß Antisthenes jemals reich genug

gewesen ist, für eine rhetorische Ausbildung hundert

Drachmen zu bezahlen, erscheint ganz und gar ausgeschlos-

sen, wenn anders man nicht die ebenso glaubwürdig wie

einhellig überlieferten Berichte von seiner großen Armut

und Genügsamkeit in Zweifel ziehen w i l l .

Indes sind dergleichen Überlegungen im Grunde m ü ß i g .

143) Platon, 1. Bd., a.a.O., S . 260.

- 250 -

Der Bericht des Diogenes läßt keinen Zweifel daran, daß

das "rhetorische Gepräge", das man in den Schriften des

Antisthenes diagnostizierte, das einzige Zeugnis gewe-

sen ist, das man besaß, um die Schülerschaft des Anti-

sthenes bei Gorgias zu beweisen. Dieses ohnehin schwache

Beweismittel wird vollends gegenstandslos, wenn man

bedenkt, daß man, um den rhetorisch-gorgianischen Stil

des Antisthenes zu demonstrieren, offenbar keine anderen

Schriften namhaft zu machen vermochte als die Dialoge,

und hier im Grunde auch wieder nur die 'AVpOeia und den

npoTpeiiT imoc , die Antisthenes nach Lage der Dinge doch

nur als Sokratiker verfaßt haben konnte, nachdem er

sich von Gorgias und der Rhetorik radikal abgewandt hat-

te. Die antike Biographie liebt es, solcherart stil-

und literarkritische Beobachtungen ins Biographisch-

Faktische umzudeuten. So hat etwa (um nur ein Beispiel

von vielen zu nennen) der Epikureer Idomeneus (FGrHist

338 F 17) aus der Tatsache, daß Aischines alle seine

Dialoge Sokrates in den Mund legt, den Schluß gezogen,

Sokrates sei der eigentliche Verfasser dieser Schriften;

Aischines habe sie nach Sokrates' Tode von Xanthippe

zum Geschenk erhalten und dann betrügerischerweise

als die seinen ausgegeben. Daß dergleichen Schlüsse

vom Literarischen aufs Biographische, bei denen sich

jedesmal der Grund in die Folge verkehrt, keinerlei

historische Beweiskraft besitzen, liegt auf der Hand.

Nachdem die antike Biographie Antisthenes dergestalt

zum Schüler des Gorgias gemacht hatte, mußte sie nun auch

erzählen, wie Antisthenes zum Sokratiker wurde, als der

er in der Überlieferung bekannt war. Diesen Zweck erfüllt

eine Bekehrungsgeschichte, die Diogenes, das Gnomologium

- 251 -

Vaticanum und Hieronymus, der allerdings leicht vari-

iert, gemeinsam überliefern (frg. 128BC C.): Nachdem

Antisthenes mit Sokrates bekannt geworden sei, habe er

seine Schüler, die er in der Rhetorik unterrichtete,

aufgefordert, mit ihm Schüler bei Sokrates zu werden.

Abgesehen davon, daß diese Geschichte die erfundene

Schülerschaft des Antisthenes bei Gorgias voraussetzt,

ist sie auch für sich genommen von höchst zweifelhafter

Historizität. Zunächst wird Antisthenes hier, ohne daß

man erführe wie, zum Lehrer der Rhetorik, nachdem er

eben noch ihr Schüler gewesen ist. Nimmt man diese Über-

lieferung ernst, so ergäben sich für die Geschichte

der frühen attischen Beredsamkeit ganz neue Aspekte,

indem Antisthenes, dessen Schule man sich nicht anders

als in den zwanziger Jahren des fünften Jahrhunderts

denken kann, als einer der frühesten, wenn nicht über-

haupt als der frühste Rhetoriklehrer in Athen anzu-

sehen wäre. Indes wird man sich hüten, aufgrund einer

solch beiläufigen Anekdote die Uberlieferung über die

frühattische Beredsamkeit, die Antiphon als ersten

athenischen Lehrer der Rhetorik kennt, so tiefgreifend

zu verändern. Zu Recht bemerkt Blass: "Die rhetorische

Schule, die er bis zur Bekanntschaft mit Sokrates 143

selbst gehabt haben soll, lasse ich auf sich beruhen."

Aber dann muß man die ganze Anekdote, die anders nicht

zu erzählen ist, auf sich beruhen lassen.

Im übrigen handelt es sich hier um eine jener typi-

schen Berufungs- und Erweckungsgeschichten, wie sie die

antike Biographie mit Vorliebe zu erfinden pflegt, um

sinnfällig zu beschreiben, wie ein bekannter Mann eines

- 252 -

bekannten Mannes Schüler oder Anhänger geworden ist.

Wie wenig Historizität dergleichen Geschichten zuzu-

billigen ist, lehrt besonders eindrücklich die Piaton-

biographie, die gleich zwei einander ausschließende

Varianten solcher Art erhalten hat: Diogenes Laertius

3.5 erzählt, Piaton sei ursprünglich Dichter gewesen,

habe jedoch, nachdem er an den Dionysien mit Sokrates

bekanntgeworden sei, seine bereits fertiggestellte tra-

gische Tetralogie verbrannt, um nur noch der Philosophie

zu leben; demgegenüber berichtet Aelian var. hist. 3. 27,

Piaton habe sich wegen drückender Armut als Söldner ins

Ausland verdingen wollen, sei jedoch beim Waffenkauf

Sokrates begegnet, der ihn zur Philosophie bekehrt habe.

Es ist müßig, solche Geschichten auf ihre Historizität

zu befragen; es handelt sich um sinnfällige Erfindungen

der antiken Biographie, und ebensowenig wie Piaton je-

mals Tragödiendichter oder Söldner gewesen ist, ebenso-

wenig hat Antisthenes jemals in Athen eine Schule für

Rhetorik unterhalten.

Abschließend bleibt noch jene Geschichte zu bespre-

chen, die Diogenes (frg. 127 C.) aus Hermipp (FHG III 45)

geschöpft hat: daß Antisthenes an den Isthmien eine Lob-

und Tadelrede auf Athener, Thebaner und Spartaner habe

halten wollen, dieses Vorhaben jedoch aufgegeben habe,

als er gesehen habe, daß die Mehrzahl der Zuhörer aus

diesen Städten gekommen sei.

Der Sinn dieser Geschichte ist überaus dunkel. Wenn

Antisthenes Athener, Thebaner und Spartaner in einer pan-

egyrischen Rede loben und tadeln wollte, wie konnte es

ihn stören, daß die Mehrheit der Zuhörer aus ebendiesen

Städten kam? Und wenn ihm an einem möglichst unpartei-

ischen und objektiven Publikum lag, wie konnte er über-

- 253 -

sehen, daß an einem der panhellenischen Spiele die Ein-

wohner der drei größten und mächtigsten Städte des Mutter-

landes sich in der Überzahl oder doch zummindesten in

überaus großer Zahl einfinden würden? Kein Geringerer

als G.E. Lessing hat diese Ungereimtheiten zu beheben

versucht: "Diese Stelle bedarf offenbar einer Verbesse-

rung ... Diogenes will sagen, Hermippus melde, daß Anti-

sthenes bei den isthmischen Spielen einst die Athenienser

in einer öffentlichen Rede habe tadeln und bestrafen, die

Thebaner und Lakedämonier aber loben wollen, da er aber

gesehen, daß von den beiden letzteren allzu viele zugegen

gewesen, so habe er es unterlassen, aus Beisorge ohne

Zweifel, nicht sowohl für einen Sittenrichter der ersteren

als vielmehr für einen Schmeichler der letzteren gehal-144

ten zu werden." Es ist nicht zu leugnen, daß die Ge-

schichte, so verstanden, zum mindesten einen Sinn erhält.

Es ist jedoch höchst unwahrscheinlich, daß ein solcher

Verbesserungsvorschlag, der im übrigen nicht ohne tief-

gehende Eingriffe in den überlieferten Text möglich wäre,

hier am Platz ist. Daß die Erzählung bar jeder Histori-

zität ist, lehrt allein schon die Tatsache, daß sie die

erfundene Geschichte von der Gründung einer Rhetorik-

schule voraussetzt, weil Antisthenes hier in der Manier

des Gorgias als gewerbsmäßiger Sophist auftritt. Im

übrigen konnte Theben in den zwanziger Jahren des fünften

Jahrhunderts, in denen Antisthenes allenfalls Rhetor ge-

wesen sein könnte, schwerlich als gleichrangige Stadt

neben Athen und Sparta genannt werden, sondern allenfalls

nach der Niederlage Athens im Peloponnesischen Kriege,

recht eigentlich überhaupt erst nach Leuktra im Jahre 370.

144) Philologischer Nachlaß, 13. Bd., S. 295 f. (Hempel); zitiert bei 0 . Apel, Diogenes Laertius. Leben und Meinungen berühmter Männer, a.a.O., S . 324 f .

- 254 -

So liegt der Schluß nahe, daß Hermipp die ganze Bege-

benheit erfunden hat, um die rhetorische Epoche im

Leben des Antisthenes, die die antike Biographie sich aus

einem Stilurteil rekonstruiert hatte, durch ein konkretes

Detail zu beleben und auszuschmücken, damit sie nicht so

völlig ereignislos bliebe, wie sie in der ihm vorliegenden

Uberlieferung erscheinen mußte. Daß die so erfundene Ge-

schichte nicht recht sinnvoll ausfiel, war hierbei ohne

Belang.

Schließlich lehrt auch die Chronologie, daß die Über-

lieferung über die rhetorische Epoche im Leben des Anti-

sthenes hinfällig ist. Gorgias kam zum ersten Male im

Jahre 427 nach Athen (VS 82 A 4), so daß Antisthenes

seine Rhetorikschule allerfrühestens im Jahre 426 er-

öffnet haben könnte. Demgegenüber läßt Xenophon Anti-

sthenes im 'Symposion', das im Jahre 422 spielt, bereits

als Sokratiker auftreten. Die bekannte Anekdote, Sokrates

habe nach der Schlacht bei Tanagra über Antisthenes ge-

sagt, ein so tapferer Mann könne nicht von zwei Athenern

abstammen (frg. 123 C.), führt auf das Jahr 424 als

spätesten Termin für Antisthenes" Konversion zu Sokrates,

wenn man die Schlacht bei Tanagra mit der Schlacht beim

Delion identifizieren darf, die allerdings nie so genannt

wird; wenn das Gefecht gemeint sein sollte, das Thuky-

dides 3.91 erwähnt, so gerät man gar ins Jahr 426. So

bleibt im ungünstigsten Falle überhaupt keine Zeit, in

der Antisthenes rhetorisch tätig gewesen sein kann; im

günstigsten Falle sind es nicht mehr als knapp vier Jahre.

Und weiter: Diodor (frg. 140 C.) berichtet glaubwür-

dig, daß Antisthenes im Jahre 366 als angesehener Philo-

soph in Athen lebte, so daß man seinen Tod schwerlich

früher als um das Jahr 360 anzusetzen berechtigt ist.

- 255 -

Ps.- Eudokia (frg. 141 C.) nennt als Lebensalter sieb-

zig Jahre, was auf das Jahr 430 als Geburtsjahr führen

würde, wenn man dieser modernen Schwindelquelle nicht

mißtrauen müßte. Rechnet man großzügiger mit einer

Lebensspanne von achtzig, ja von fünfundachtzig Jahren,

so muß Antisthenes im Jahre 440, bzw. 445 geboren worden

sein.

Legt man überall nur die jeweils allergünstigsten

Daten zugrunde, so ergibt sich folgende Rechnung:

Antisthenes war im Jahre 427 als Achtzehnjähriger Schü-

ler des Gorgias; als Neunzehnjähriger eröffnete er eine

Schule für Rhetorik, die er über vier Jahre hin mit sol-

chem Erfolg führte, daß er als gerade Zwanzigjähriger

an einem panhellenischen Fest eine panegyrische Rede

halten konnte; als Dreiundzwanzigjähriger gab er diese

erfolgreiche Tätigkeit auf, um Schüler und Anhänger des

Sokrates zu werden. Aber diese Rechnung widerlegt sich

selbst, und so beweist die Chronologie dasselbe, was

auch die historisch-kritische Analyse der biographischen

Tradition bewiesen hatte: daß Antisthenes niemals als

Rhetor tätig gewesen ist. Der vorsokratische Antisthenes

hat nie existiert.

- 256 -

BIBLIOGRAPHIE

Vorbemerkung:

Das vorliegende Literaturverzeichnis führt der größeren Übersichtlichkeit halber lediglich die unmittelbar ein-schlägigen sowie die im Haupttext zitierten Werke auf; alle anderen Titel sind jeweils an ihrem Ort in den Anmerkungen bibliographisch erfaßt.

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APPENDIX:

Diogenis Laertii Burbonicus Parisinus Laurentianus codices ad scriptorum Antisthenicorum catalogum qui pertinent pho-totypice expressae proferuntur.

C o d . Neapolitanus Burbonicus Iii B 29 (s. xil)

112 v (Diog. Laert. 6.15-17)

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p . 116 r (Diog. Laert. 6.14-16)

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Cod. Laurentianus 69.13 (s. xili)

p . 65 v (Diog. Laert. 6.14-18)

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- 277 -

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LEBENSLAUF

Ich, Andreas Patzer, wurde am 1. Januar 1943 als Sohn

des Universitätsprofessors Dr. Harald Patzer und seiner

Ehefrau Annemarie, geb. Becker, in Marburg/Lahn (Hessen)

geboren.

In Marburg besuchte ich von Ostern 1949 bis zum

Frühjahr 1953 die Volksschule. Im April 1953 trat ich in

das dortige Gymnasium Philippinum ein, das ich im Herbst

1957 verließ, weil meine Eltern nach Frankfurt/Main um-

zogen. In Frankfurt besuchte ich von Herbst 19 57 das

Lessing-Gymnasium, an dem ich im März 1962 die Reife-

prüfung ablegte.

In Frankfurt studierte ich vom Sommer-Semester 1962

bis zum Winter-Semester 1963/64 an der Johann-Wolfgang-

Goethe-Universität die Fächer Griechisch, Lateinisch,

Philosophie und Alte Geschichte; für dieselben Fächer

war ich vom Sommer-Semester 1964 bis zum Sommer-Semester

1969 an der Rupprecht-Karl-Universität in Heidelberg

eingeschrieben, wo ich am 16.7.1970 mit einer Arbeit

über den Sokratiker Antisthenes zum Dr. phil. promoviert

wurde.

Seit Herbst 1970 bin ich hauptberuflich am Institut

für Klassische Philologie der Universität München tätig,

zuletzt als Akademischer Rat.