A.R. PenckDer expressive
Kosmos
A.R. PenckDer expressive
Kosmos
Mit einem Beitrag über den Künstler
ernesto marques
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A.R. PenckDer expressive Kosmos
Er wanderte durch den Eisernen Vorhang von Ost nach West, er war ein fast rastlos schöpferischer Künstler mit einer kosmopolitischen Biografie – und sein Werk eröffnet weite Dimensionen der Wahrnehmung. A.R. Pencks Œuvre ist der expressive Kosmos eines Vielseitigen von absolut außergewöhnlichem Rang. Längst wird der Maler, Grafiker und Bildhauer von der Fachwelt zu den bedeutendsten Nachkriegskünstlern Deutschlands gezählt. Und zudem war er der Wegweiser und Wegbereiter für einen kraftvollen Neoexpressionismus, der sich von den 1980er Jahren an unter dem Begriff „Die Neuen Wilden“ in die jüngere Kunstgeschichte eingeschrieben hat. Und weil Penck gleichsam als Vorbild und spiritus rector der Richtung wirkte, bekam er später den plakativen Beinamen „Vater der neuen Wilden“.
Der Mann der manchen NamenA.R. Penck ist längst nicht der einzige Name in der bewegten Vita dieses Freigeistes, der sich viele Freiheiten nahm – auch und gerade weil er seine ersten gut 40 Jahre in einem Klima der gesellschaftlichen Unfreiheit verbringen musste und sich insbesondere am SEDsozialistischen KunstDirigismus abrieb. Vergeblich war, trotz mancher Anläufe, sein Versuch, sich an zwei DDRKunstakademien einzuschreiben. Daher blieb ihm nur die Möglichkeit, sich über Abendkurse als SelfmadeMaler weiterzuentwickeln. So wurde der 1939 geborene Dresdner ein buchstäblich nonakademischer und mit Sicherheit unorthodoxer Bildner, jenseits der Begrenzungen des Sozialistischen Realismus. Ironischerweise musste er erst Hochschullehrer werden, um die universitäre Bildungswelt betreten zu dürfen: 1989 wurde A.R. Penck als Professor für Malerei an die Düsseldorfer Kunstakademie berufen – und das blieb der Autodidakt bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2003.
1969 wird A.R. Penck „geboren“A.R. Penck nahm sich viele Freiheiten – eine wichtige Freiheit genehmigte er sich vor allem in der kreativen Reaktion auf Repressalien und Zwänge von oben: Ab 1969 verwendete der Dissident zunehmend das Pseudonym A.R. Penck, unter dem er in den folgenden Jahrzehnten international bekannt werden sollte. Aber es war längst nicht der einzige Kunstname des Künstlers. Offiziell war es ihm nicht erlaubt, seine Bilder im Westen auszustellen. So wurde er sozusagen inoffizieller „Mit-ListArbeiter“ gegen die DDRStaatssicherheit. In einem Katz und MausSpiel mit der Stasi tarnte sich der Regimekritiker beispielsweise als Theodor Marx, Mickey Spillane oder schlicht „a. Y.“ oder „Y“. So schaffte er es, eigene Arbeiten undercover in WestAusstellungen einzuschleusen – und wurde 1972 sogar Teilnehmer der Documenta 5 in Kassel, seiner ersten. Später partizipierte er dann auch an den DocumentaAusstellungen 6, 7 und 9 in Kassel.
Erste West-Ausstellung in KrefeldDie Documenta war aber nicht Pencks WerkPremiere im Westen: Schon 1970 erlebte der Künstler seine erste museale Ausstellung jenseits von Mauer und Eisernem Vorhang – in Krefeld, im Haus Lange. Die diversen Pseudonyme konstituierten ein Spiel des hochproduktiven Freigeistes mit wechselnden Identitäten, das einer schöpferischen Persönlichkeit mit vielen Facetten entsprach.In der Kunstszene legendär wurde auch sein Pseudonym Mike Hammer. Es ist ein subversivironisches Konstrukt, das auf das Schlagwerkzeug im Hammer undSichelStaat ebenso anspielt wie auf den rauhbeinigen USamerikanischen Privatdetektiv Mike Hammer, dem schon mal knallige antikommunistische Sprüche über die kesse Lippe kamen. Jazz-Combo, 1989
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Mike Hammer stammt aus den Kriminalromanen des Autors Mickey Spillane, und Mickey Spillane war denn auch ein weiteres Pseudonym des Künstlers. Mike Hammer wiederum wurde Titel einer PenckWerkserie.
Die Ästhetik der archaischen Vor-BilderDer Autodidakt Ralf Winkler studierte gleichsam auf eigene Faust und gewissermaßen in seiner sehr privaten Ich-Uni die gesamte Kunstgeschichte, sog Einflüsse auf und war auf der Suche nach etwas, das man als künstlerische Ursprache bezeichnen könnte. Und er fand sie. Penck entdeckte seine zündende Inspiration in der präantiken Eiszeit und Höhlenmalerei. Ein bahnbrechendes Faszinosum für den Künstler. Aus diesen UrDarstellungen entwickelte Penck seine individuelle Zeichen und Signalsprache. Davon beeinflusst, entstanden in den 1970er Jahren die großformatigen „StandartBilder“, eine künstlerische Symbiose von archaischer Höhlenmalerei und der Moderne des 20. Jahrhunderts, und die StandartModelle, Plastiken aus Leukoplast. Standart definierte er als Concept Art mit elementaren Formen; das Wort ist ein Kompositum von Standard und Art. Schnell hatte ihn der Kunstbetrieb als Meister der Strichmänn-chen apostrophiert. 1976 lernte A.R. Penck den WestKollegen Jörg Immendorff kennen; es war der Beginn einer intensiven Freundschaft und Zusammenarbeit. Und Immendorff förderte den DDRDissidenten nachhaltig.
1980: A.R. Penck geht in den WestenDie Repressalien der Stasi nahmen zu. Immer wieder musste der Maler Beschlagnahmungen seiner Arbeiten erleben. 1980 wurde Penck schließlich ausgebürgert und ging in den Westen, erst nach Kerpen bei Köln. Später lebte er auch lange Zeit in London und zuletzt zurück gezogen in Dublin.
In den Museen der WeltHeute finden sich seine Werke in berühmten Sammlungen rund um den Globus: z.B. im MoMa, dem Museum of Modern Art in New York, genauso wie im Stedelijk Museum Amsterdam, in der Pinakothek der Moderne in München, in der Hamburger Kunsthalle, im Städelschen Kunstinstitut Frankfurt und in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Pencks Heimatstadt.
Die Wertschätzung steigtInternational herrscht eine starke Nachfrage nach seinen Arbeiten. Pencks Schaffen hat auch bei Künstlern wie z.B. Keith Hearing und JeanMichael Basquiat eine expressive Resonanz erlebt. Und auf dem Kunstmarkt steht der „Vater der Neuen Wilden“ für eine erhebliche Wertsteigerung.A.R. Penck hat ein kraftvolles, sehr eindruckmächtiges Werk geschaffen, das von seiner charakteristischen Zeichen und Bildersprache geprägt wird. Werke, die virtuos an archaische Höhlenmalerei erinnern und opulent reich an kalligrafischen Kürzeln, GraffitiElementen und Piktogrammen sind. Übrigens hat sich der Künstler bei seinem etablierten Namen von dem Geologen und EiszeitForscher Albrecht Penck inspirieren lassen. Wirklich keine schlechte Wahl für einen der bedeutendsten deutschen Gegenwartskünstler, der mit seinen Arbeiten eine Brücke zwischen Ost und West geschaffen hat, als die Verhältnisse im geteilten Land noch eiskalt geforen waren.
Egon Heidefeld
Die Galerie Heidefeld & Partner vertritt wechselnde Werkevon A.R. Penck in ihrem permanenten Portfolio.Greetings from her, 1993. Unikat, Probedruck
Das ist meine Hand, 1994
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Strike, 1985. Holzschnitt, 121,3 x 187,5
Die Ossis kommen, 1991. 111,5 x 91,5
Westsprung, 1990. 96 x 123
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Standart 34, Skulptur
Standart, 1990
Expedition to the holy land, 1983
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So viel Anfang war nie, 1990
You and me 2, 1990
Operator, 1990
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Torso, violett, 1992
Skorpion schwarz blau, 1995
Künstlerfreunde blau, 1993
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Mino, 1993. Unikatdruck
Minotaurus, 1992
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Lenins Tod, 1992 Pentagon X, 1995
Stasi-Spitzel rot-grau, 1993. Unikat Stasi-Spitzel rot-rot, 1993. UnikatSpeerkämpfer, 1993
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Homer Ilias I, 1993
Homer Ilias II, 1993
Homer Ilias III, 1993
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Schicksal. Die Erynnen, gelb, 1993
Schicksal. Die Erynnen, rot, 1993
Mondblume, 1993
Universelles Schriftbild, 1993
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A.R. Penck und Gottfried Bräunling, Feuerwehr, 1993
A.R. Penck und Gottfried Bräunling, Im Atelier, 1993
A.R. Penck und Gottfried Bräunling, Kommunikation, 1993
A.R. Penck und Gottfried Bräunling, Traumbild, 1993
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Verhandlung, 1993. Unikat
Zivilisation, 2000Weltbild, violett, 1993
Weltbild, gelb, 1993
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Free Jazz, 1996
Konzert Dresden, 1995
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A.R. Penckstationen seiner vita
ernesto Marquesmarkante skulpturen als verkörperung menschlicher Befindlichkeiten
Am 5. Oktober 1939 als Ralf Winkler in Dresden geboren. Erlebt als Kind den verheerenden, traumatisierenden Bombenangriff auf seine Heimatstadt.1955 Beginn einer Lehre als Werbezeichner, die er nach zwei Jahren abbricht.1963 erste Arbeiten in seinem signifikanten StrichmännchenStilAb Ende der 1960er Jahre erste StandartArbeiten 1969 legt sich der Künstler das prägende Pseudonym A.R. Penck zu.1971 Mitbegründer der DDRKünstlergruppe „Lücke“Ab den 1970er Jahren Hinwendung zum (auch großflächigen) Neoexpressionismus1970: A.R. Pencks erste museale Ausstellung in Westdeutschland – Haus Lange in Krefeld 1972 erste Teilnahme an der Documenta1976 Beginn der Freundschaft mit Jörg Immendorff1980 Ausbürgerung aus der DDR und Übersiedlung in die Bundesrepublik
1983 längere Zeit in Israel lebend, danach Übersiedlung nach LondonSeit 1989 Professor an der Kunstakademie Düsseldorf – bis zu seiner Emeritierung 20031992 längerer JapanAufenthaltAb 2003 lebt und arbeitet A.R. Penck in Dublin.Zahlreiche Ausstellungen in berühmten Museen weltweit, Träger diverser Kunstpreise2. Mai 2017: A.R. Penck stirbt nach längerer, schwerer Krankheit in Zürich. Er hinterläßt seine Frau und Kinder.
Die Zwei sind augenscheinlich verwandt, aber keine Verwandten. Es gibt allerdings eine Linie, die A.R. Penck und Ernesto Marques, bei aller Unterschiedlichkeit, evident verbindet: die Passion für Abstraktion, speziell die Passion für abstrahierte Figuren in der Dynamik von Bewegungen. Salopp und augenzwinkernd könnte man konstatieren: Beide Künstler sind über die Großfamilie stilisierter Strichmännchen verwandt. Nicht von ungefähr wurden Arbeiten von Penck und Marques schon in gemeinsamen Ausstellungen präsentiert – so vom Kunstmuseum Heylshof in Worms. Doch im Unterschied zu A.R. Penck, dessen Figuren in der Regel autonom für sich stehen, gestaltet Ernesto Marques gerne allegorische Motive, speziell Motive aus der antiken Mythologie. Auch am Krefelder Ostwall gibt es ein Beieinander der beiden visuellen Ausdruckswelten: Die Galerie Heidefeld & Partner vertritt Werke von A.R. Penck und Ernesto Marques in ihrem permanenten Portfolio.
Von Mythen und Menschen In Marques‘ weitläufigem Atelier im rheinischen Jülich entstehen seine markanten Skulpturen aus Stein und Metall. Obwohl das etwas unscharf formuliert ist. Denn faktisch arbeitet der Künstler in zwei nahe zusammenliegenden Ateliers: Einem für kleine Plastiken, das andere für die großen, mitunter mannshohen Kreationen. Zentrales Thema des Bildhauers ist die Abbildbarkeit von Menschen und Ensembles von Gestalten im Raum. Und diese erscheinen in seinen Skulpturen als hyperschlanke, ja dürre Figuren – eine Reduktion auf den WesensKern im Erscheinungsbild des homo sapiens. Aus der altgriechischen Mythologie hat den Bildhauer beispielsweise die SisyphosGeschichte inspiriert, ein Sujet, dem sich in der Literatur etwa auch Albert Camus gewidmet hat. Es ist ein MenschheitsMythos. Ebenso wie Marques‘ Atlas, jener Titan, der dazu verdammt ist, das Himmelsgewölbe am westlichen Rand der damals bekannten Welt mit seinem Körper zu stützen. Und in der Werkgruppe The Boy inszeniert der Künstler mit EinzelSkulpturen ganze Ensembles von Jugendlichen, deren Eindruck je nach Blickwinkel variiert. Diese KunstKonstellationen sind Darstellungen von sozialen Strukturen und zwischenmenschlicher Kommunikation.
Offenheit als Kunst-PrinzipDer Kunsthistoriker und Schriftsteller Dr. Helmut Orpel ist ein Kenner des Werks von Ernesto Marques. Er schreibt: „Ernesto Marques ist ein Künstler, der über die Gesellschaft nachdenkt, über die Entfremdung und den Mangel an Liebe. Seine bildnerischen Aussagen sind bewusst offen gehalten. Seine Werke regen zum Nachdenken über die Grundeinstellung zum Leben an.“ Neben seinem SkulpturenSchaffen widmet sich der Jülicher auch intensiv der Malerei.Ernesto Marques, Jahrgang 1975, kam schon als junger KunstStudent aus Portugal nach Deutschland, weniger um hier zu studieren – er wollte vielmehr in den Semesterferien Geld verdienen, um sein Studium im Heimatland zu finanzieren. Aus der Ferienreise wurde dauerhaft eine neue Heimat. Zusammen mit seiner Familie lebt und arbeitet der Bildhauer und Maler als freischaffender Künstler in Jülich. Seine Bekanntheit und Beachtung auf dem Kunstmarkt wachsen, was insbesondere auch seiner regen Ausstellungstätigkeit zu verdanken ist – nicht nur in Deutschland, sondern beispielsweise auch in Luxemburg, Portugal, Österreich, den Niedrerlanden und der Schweiz. Marques kommt.
Egon Heidefeld
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The Boy. Metallguss, 20 x 7 x 7 cm. Auflage 250 HOMO. Metallguss, 40 x 35 x 11 cm. Auflage 10 HOMO. Metallguss, 27 x 20 x 50 cm. Auflage 10 HOMO. Metallguss, 15 x 50 x 40 cm. Auflage 10
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Dieser Katalog entstand im März 2018 anlässlich der A.R. PenckWerkschau in der Galerie Heidefeld & Partner in Krefeld. Arbeiten von A.R. Penck und Ernesto Marques gehören zum permanenten Portfolio der Galerie und wurden im März 2018 auch gemeinsam ausgestellt.
Galerie Heidefeld & PartnerOstwall 6466 47798 KrefeldTel. +49 (2151) 267 52www.galerie-heidefeld.de
Öffnungszeiten:Mo bis Fr 15–18 Uhr, Sa 11–15 Uhr und nach Vereinbarung
Redaktionelle Mitarbeit: HansJosef BirkerFotos: Bildarchive Gottfried Bräunling, Ernesto Marques, Galerie Heidefeld Design: Claudia Frey
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