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Ausbildung vor Ort: Motivation, Lernen und VerstehenLaut der McKinsey-Studie „Education to Employment”, die im April 2014 veröffentlicht wurde, klagen viele Arbeitgeber über den Nachwuchs. Jeder Vierte (26%) bemängelt die berufliche Qualifikation der Jugendlichen. Ein großes Defizit sei die fehlende Fähig-keit, Probleme systematisch zu lösen. Andererseits zeigt die Studie auch eine zuneh-mende Unzufriedenheit bei den Azubis. Nur jeder Dritte würde sich nochmals für die gewählte Ausbildung entscheiden.

Ein guter Zeitpunkt also, sich über Motivation und Lernverhalten auszutauschen. Das Seminar des Arbeitgeberverbandes Chemie Rheinland-Pfalz richtete sich an Ausbilder und Ausbildungsbeauftragte. Es wurden neue Wege aufgezeigt, wie Wissensvermitt-lung und Leistungsmotivation gestaltet werden kann. Wege, die nicht zuletzt das Ver-ständnis für die jeweils andere Seite stärken.

Tobias Göpel | Chemieverbände Rheinland-Pfalzmoderne Lernmittel, wie Wikis oder Videos werden bereits in den Betrieben verwendet.

INHALTmotivation für die Ausbildung

Die richtige motivation

Zwischen den Welten

Wie funktioniert Lernen?

Die andere Seite

6 erkenntnisse der Seminarteilnehmer

festgehaltenDie Veranstaltungen der Chemieverbände rheinland-pfalz

12 | 2015

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Motivation für die AusbildungBlick in die Betriebe

Ausbildung ist wichtig. Sie sichert den Nachwuchs an Fachkräften in den Betrieben. In der Chemie werden über 50 Berufe angeboten. Manche Un-ternehmen bilden in wenigen Berufen aus, andere in vielen. Eine effektive Ausbildung ist in allen Fällen nicht nur eine Sache der Personal- und Aus-bildungsleiter. Für die Betreuung in den Fachabteilungen sind letztlich die die Ausbildungsbeauftragten (ABB) verantwortlich. Neben ihrer beruflichen Funktion haben die ABBs die Aufgabe, betriebliches Know-how an die jun-gen Azubis zu vermitteln. Hier ist die entscheidende Stelle. Denn wenn es schlecht läuft, kann schnell Sand ins Getriebe kommen. Besonders dann, wenn Zeit und Motivation fehlen oder das Rollenverständnis im Miteinan-der nicht passt.

Bereits die Aussprache zu Beginn des Seminars ergab, dass sich viele ABBs mehr Zeit für die Ausbildungsbetreuung wünschen — ähnlich einem Sicherheitsbeauftragten im Unternehmen. Denn Ausbildung braucht das Herzblut aller Verantwortlichen und dafür braucht es den notwendigen zeit-lichen Spielraum.

Zwischen den WeltenAzubis zwischen Schule und Betrieb

Die ersten Wochen in der Ausbildung können für Ausbilder und Auszubil-dende oft sehr anstrengend sein. Die Gründe sind meist ganz simpel – die unterschiedlichen Lernumgebungen und das Verständnis über die Lehre. Die Ausbilder wünschen sich aufgeschlossene Jugendliche, die Fragen stellen und selbstständig versuchen, die gestellten Aufgaben zu erledigen. Auf der anderen Seite jedoch sitzen zunehmend junge Menschen, die An-weisungen erwarten und sich nicht trauen, Fragen zu stellen. Einer der Gründe ist, dass in dominanten gruppendynamischen Prozessen die jungen Menschen konditioniert werden, keine Fragen zu stellen. Hintergrund ist ein falsches Reputations-Verständnis der jungen Menschen. Das leben und erleben sie in der Schule und übertragen es dann auf die Ausbildung.

Das kann ganz konkrete Einflüsse auf das Lernverhalten und die Motivation haben. Der Grund ist das Limbische System: Stresssituationen entziehen dem Kopf Energie. Die Folge ist, dass sich der betroffene Mensch an vor-handenes Wissen nicht mehr erinnern kann. Es kommt zu einer sogenann-ten Zugriffsstörung. In einer solchen Situation können Jugendliche Angst haben, wenn sie ihr „Gesicht verlieren”.

Mit viel Empathie sind die Ausbildungsbeauftragten gefordert, dieses sen-sible Thema anzusprechen, um eine neue Kultur des Fragenstellens und Lernens zu schaffen. So stellten sich die Seminar-Teilnehmer der Frage, welchen Typ Ausbilder sich die Jugendlichen wünschen und wie man mit Stresssituationen umgehen kann. Die Gruppe stellte darin Ansätze vor, die in den Betrieben bereits funktioniert haben.

Tipp: „Manche Funktionen, wie das Erkennen von Emotionen am Gesichts-ausdruck, sind in der Pubertät abgeschaltet”,erklärte Karolina Lüft. Diese und andere Veränderungen im Körper der Jugendlichen sollten die Ausbil-der im Umgang mit den Azubis beachten.

Bedürfnis-pyramide nach maslow:

Die richtige Ernährung und ausreichend Schlaf sind wichtig für den Erfolg in der Ausbildung. Für eine sichere Arbeits- und Lernumgebung ist der ABB verantwortlich. Der respektvolle Umgang im Betrieb hat maßgeblichen Ein-fluss auf die Motivation und das Lernverhalten der Jugendlichen. Die zeit-nahe Anerkennung für Lernfortschritte sowie eine aufrichtige Unterstüt-zung bei der Wissensaneignung helfen den Azubis dabei, ihr Selbstwertge-fühl zu entwickeln. Der Wunsch, sich selbstverwirklichen zu wollen, geht nur, wenn alle anderen Ebenen „erfüllt” sind. Selbstverwirklichung meint hier selbstgesteuertes Lernen.

Die richtige MotivationDie perspektive wechseln

In einem kurzen Rollenspiel untersuchten die Seminarteilnehmer das Ver-hältnis von Ausbilder und Auszubildenden. Der Ausbilder hatte die Aufgabe, den Auszubildenden zu motivieren, vom Stuhl aufzustehen. In dieser Situation befindet sich der Ausbilder unversehens in einer unterlegenen Verhandlungsposition. Schnell wurde deutlich, dass klassische Mittel wie Belohnungen oder auch lautes Sprechen nicht zum Ziel führen. Erfolg-reicher sind Lösungen, die klar und unmissverständlich sind und die beide Seiten das „Gesicht wahren” lassen.

Tipp: Es besteht in der Ausbildung durchaus die Möglichkeit, dass sich ein Azubi weigert, Aufgabenstellungen zu lösen oder am Unterricht teilzuha-ben. Hier kann die Verdeutlichung des gemeinsamen Zieles helfen. Denn wenn sich ein Azubi andauernd verweigert, untergräbt er seinen eigenen Wunsch, den Beruf zu erlernen. Die logische Konsequenz seines Tuns oder Nichttuns wäre, dass der Ausbildungsvertrag aufgehoben werden sollte. Dieses sollte mit dem Auszubildenden besprochen werden. Im Dialog kann geklärt werden, was ihn an der Mitarbeit hindert. So lernt der Auszubilden-de Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen.

Ausbildung vor Ort | St. Goar

Selbst-verwirklichung

Anerkennung

soziale Kontakte

Sicherheit

Ernährung, Schlaf

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Wie funktioniert Lernen?Viele Wege führen ins Gehirn

Menschen lernen auf unterschiedliche Art und Weise. Bei der Bildung von Wissensnetzwerken verbindet sich altes und neues Wissen. Diese Netz-werke verstärken sich, wenn die Informationen in der Lernphase wiederholt werden. Die Lernkurve selbst, also die „Menge an Gelerntem”, steigt erst zu einem späteren Zeitpunkt steil an. Dies bedeutet, dass dieser Lernweg viel Geduld erfordert. Junge Menschen lassen sich dann oft entmutigen, brechen vorher ab und begründen dies damit, dass sie nicht lernen können.

Eine andere Art, sich Wissen anzueignen, ist die Bildung von „Chunks”, bei der das Gehirn die Informationen in Bedeutungsgruppen ordnet. So können In-formationen schneller erfasst und verarbeitet werden. Täglich wenden wir dies bei Einkaufslisten, Telefonnummern oder Wegbeschreibungen an. Das kann auch in der betrieblichen Ausbildung genutzt werden. Im Seminar wurde dies am Beispiel der Namen der US-amerikanischen Präsidenten erlebbar ge-macht. Innerhalb von drei Minuten konnten die Teilnehmer alle Präsidenten der letzten Jahrzehnte in der richtigen Reihenfolge nennen. Und das konnten sie auch noch am zweiten Tag, bei nur drei Wiederholungen in der Lernphase.

Erfassen. Begreifen. Verstehen. Viele Lernbegriffe kommen aus dem Räum-lichen. Das hat seinen Ursprung darin, wie wir Menschen am besten Ler-nen. Diese Tatsache können Ausbilder auf einfache Weise nutzen. So kön-nen Azubis zum Beispiel Haftnotizen an den Einzelfunktionen einer Maschi-ne anbringen, die sie noch nicht verstanden haben. So setzt sich der Azubi mit der Maschine auseinander und der Ausbilder kann fehlendes Wissen besser aufarbeiten. Denkbar ist auch, dass Azubis eine Dokumentation für nachfolgende Azubis in eigenen Worten formulieren. Viele Betriebe lassen die kaufmännischen Azubis auch durch die Produktion gehen, um zu ver-deutlichen, was ein Storno-Klick in der Software für Folgen haben kann.

Tipp: Lassen Sie Ihre Azubis Ideen sammeln, wie diese den Lernstoff noch besser verstehen können.

„In der Regel braucht ein neuer, unerwarteter Gedanke 15 –20 Sekunden, bis er sich ins Gedächtnis eingeprägt hat.”Karolina Lüft.

motivation sollte nicht zur machtfrage werden

Auf die Dosis achten

Wiederholen befördert das Lernen. ein mehrmaliges Sprechen und Lesen der Informationen erleichtert es, diese besser im Ge-dächtnis zu behalten. Aber Achtung: Wer es übertreibt, erreicht das Gegenteil. Zu häufige Wiederholungen führen zur automa-tischen Blockade im Gehirn. Wer über einen längeren Zeitraum zwei Wiederholungen pro Tag vornimmt, lernt am effektivsten. Dafür können die Lerninhalte abgewechselt werden.

Lesetipp

Im festgehalten „Die Arbeit mit jungen erwachsenen” lesen Sie mehr über die Arbeit mit den Azubis.

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ImpreSSum Herausgeber: Chemieverbände Rheinland-Pfalz – eine Dachmarke von Arbeitgeberverband Chemie Rheinland-Pfalz e.V. und Verband der Chemischen Industrie e.V. Landesverband Rheinland-Pfalz e.V., Bahnhofstraße 48, 67059 Ludwigshafen, Telefon 06 21-520 56-0, Telefax 06 21-520 56-20, [email protected], www.chemie-rp.de, redaktion: Tobias Göpel, Fotos: Marcel Hasübert, mh-foto.de, Gestaltung: [email protected], Köln, Druck: Chroma Druck & Verlag GmbH, Römerberg-Berghausen, Auflage: 400, Stand: Dezember 2015. Die Veranstaltung fand am 5. & 6. Oktober 2015 in St. Goar statt.

Die andere SeiteVerstehen und verstanden werden

Unsere Beobachtung ist geprägt durch die eigenen Erfahrungen. Es ent-steht im Laufe der Zeit eine Filterfunktion im Gehirn, die uns hilft, die vie-len auf uns einwirkenden Informationen zu verarbeiten. Das führt dazu, dass wir Situationen und Menschen immer subjektiv beurteilen. Auch die Leistungen der Azubis. Daher sind immer mehrere Meinungen aus dem Betrieb wichtig, um ein möglichst objektives Bild zu erhalten.

Ein weiterer Aspekt ist das differenzierte Verhalten eines Menschen – abhängig davon, ob er als Einzelperson oder in der Gruppe auftritt. In der Gruppe nimmt der Mensch die Rolle an, die ihm die Gruppe gibt. Vorverur-teilungen und Stereotypen haben so einen nachhaltigen Einfluss auf die handelnden Personen und deren Beurteilungsvermögen. Abhilfe schafft hier der Förderbogen, der für mehr Objektivität sorgt.

Grundsätzlich gilt, dass die Zeit, die der Ausbildungsbeauftragte zu Beginn mehr in die Ausbildung investiert, sich am Ende auszahlt. Zum Beispiel durch weniger Aufwand für die Ausbildungsmotivation. Verbunden mit der Wertschätzung des Gegenübers wird hier bereits der Grundstein für eine langfristige Mitarbeiterbindung gelegt.

6 Erkenntnisse der Seminarteilnehmer

„Azubis auf Augenhöhe begegnen.”

„ABBs in den Abteilungen nach Fach- und Sozialkompetenz auswählen.”

„ABBs besser fortbilden, zum Beispiel im Arbeitsrecht.” „Videodokumentationen für Azubis einführen.”

„‚FirmenWiki’ für den Wissenstranfer”

„Lehren durch Verknüpfen vereinfachen.”