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28 WISSEN & CAMPUS Frankfurter Rundschau Dienstag, 19. Mai 2015 71. Jahrgang Nr. 114

Die Faszination für mathema-tisches Denken ist in uns

Menschen angelegt. Als Kultur-technik reicht sie zurück bis inuralte Gesellschaften. Mathema-tik ist auch sehr nützlich, aus un-serem Alltag ist sie nicht mehrwegzudenken: Die gesamte Com-putertechnologie basiert auf ma-thematischen Methoden – keinHandy, kein Auto, keine Wasch-maschine kommt ohne sie aus.Mathematiker sind in der RegelAnalytiker, die komplizierte Pro-bleme knacken – ganz andersals Künstler, denen esnicht um den Alltags-nutzen ihrer Werkegeht. Doch immerwieder habensich KünstlerAnregungen inder Mathema-tik geholt, wieetwa Leonar-do da Vinci,Albrecht Dü-rer oder M.C.Escher. Ganzneue Möglich-keiten zu Vi-sualisierungeröffnet heuteder Computer.

Konrad Pol-thier, Mathematik-Professor an derFreien UniversitätBerlin, erklärt: „Früherging es bei der Mathema-tik immer darum, ganzkonkrete Probleme des All-tags zu lösen. So hat Archime-des die Flugbahnen von Kanonen-kugeln berechnet, und der großeMathematiker Carl FriedrichGauß hat im 19. Jahrhundert dasKönigreich Hannover vermes-sen.“ Zu Beginn des 20. Jahrhun-derts hätten sich die Mathemati-ker dann auf fundamentale ma-thematische Theorien besonnen.Sie machten sich bewusst vonder Anschauung frei, und leite-ten die ganze mathematischeTheorie aus einigen wenigen defi-nierten Axiomen her. Nur sokonnten sie sicher sein, dass dasGedankengebäude keine Lückenhat und es ohne Begründungenwie „das sieht man doch“ aus-kommt. Die Anschauung kann ei-nen nämlich auch ganz schnell zufalschen Schlüssen verleiten.

Diese sehr theorielastige Sicht-weise der Mathematik wurdeauch in den Schulen übernom-men. Waren vorher noch an-schauliche Gipsmodelle gang undgäbe, verstaubten diese nun inden Vitrinen. Doch gab es immereinen gewissen Anteil von Schüle-rinnen und Schülern, die sich fürdas logische Denken begeisterten.„Eigentlich lernt man schon inder Schule eine ganze Menge ma-thematisches Handwerkszeug“,meint Polthier. „Aber es fehlt oftder letzte Schritt, bei dem dieSchüler sehen, was man damitanfangen kann.“ Konrad Polthierhat das abstrakte mathematischeDenken zwar immer großen Spaßgemacht, aber ihm lag auch dasVisuelle, im Nebenfach studierteer Computergraphik. Um diesebeiden Neigungen zu verbinden,ging er schon in den 1980er Jah-ren in die Mathematik-Bibliothekund suchte in den Büchern nachAbbildungen mit der Frage: Wassind die Formen der Mathematik?Ernüchtert stellte er fest: SelbstGeometrie-Bücher bestanden fastnur aus Text und Formeln, nursporadisch gab es mal eine Sche-ma-Zeichnung. Sehr früh hat Pol-thier daher Computeranimatio-nen erstellt: „Von den Formen,

die ich in Gedanken sah,konnte ich nun auch Bildermachen – aber umgekehrtkonnte ich aus den Grafikenetwas lernen und kam zu neu-en Resultaten, die meine For-schung weiterbrachten.“ Anfangder 1980er Jahre waren dieseComputergrafiken noch neu, undsie stießen nicht überall auf Be-geisterung. Viele angestammteMathematiker waren der Mei-nung, damit lenke man sich nurab. „Dabei machten wir es nichtder Ästhetik wegen“, betont Pol-thier. „Wir wollten in erster Liniemathematische Inhalte transpor-tieren.“

Gemeinsam mit seinem Kolle-gen Georg Glaeser, Mathematik-Professor an der Universität fürangewandte Kunst in Wien, hat erdas Buch „Bilder der Mathema-tik“ veröffentlicht. Auf jeder Dop-pelseite gibt es eine zentrale ma-thematische Visualisierung, diedem Leser ein bedeutendes ma-thematisches Thema anschaulich

vor-stelltund ihnin seinenBann zieht.„Wir wolltendamit den glei-chen Effekt erreichenwie die Bilder von Escher.“ Werzum Beispiel dessen Bild von derTreppe sehe, die immer nur nachoben führt, fange sofort an zuanalysieren – ganz ohne dazuaufgefordert zu werden. Wer esgenauer wissen will, findet Litera-turangaben und Internetlinks

zumVertie-

fen.Nicht

nur anse-hen, sondern

mathematischeOrnamente selbst

zeichnen können dieNutzer der App „iOrna-

ment“. Jürgen Richter-Gebertvon der Technischen UniversitätMünchen trieb schon lange dieFrage um, wie sich Mathematikvermitteln lässt, so dass es Spaßmacht. Mit „iOrnament“ hat erwahre Begeisterungsstürme aus-gelöst. Auf der ganzen Welt kreie-ren Menschen damit wunder-

schöne Bilder. Hinter den Mus-tern steckt eine starke mathema-tische Struktur, die auf Drehun-gen, Spiegelungen und Verschie-bungen beruht. Schon durch ein-faches Darauf-Loskritzeln könnenfaszinierende Ornamente entste-hen. Will man jedoch ein Kunst-werk zielgerichtet gestalten, mussman die Symmetrieregeln dahin-ter durchschauen – dann wirdMathematik zum kreativen Pro-zess. Jürgen Richert-Gebert sagt:„Ich war erstaunt, wer alles unse-re App nutzt – vom dreijährigenKind über den Professor, der dieOrnamente für die Lehre nutzt,bis hin zu Künstlern.“

Begeisterte Nutzer habenRichter-Gebert immer wieder ihreschönsten Werke zugesandt. Umdiese zu teilen, hat der Mathema-tiker die Ornamente der Öffent-

lichkeit in einer digitalen Orna-mente-Weltausstellung zu-gänglich gemacht. „Beson-

ders überrascht war ich,dass man vielen Bildern

den kulturellen Hinter-grund ansehen kann.

Das gilt besonders fürOrnamente aus exoti-schen Kulturkreisen,

in denen Traditionenim Alltag noch einegrößere Rolle spie-len als bei uns, wiezum Beispiel Mexikooder Korea.“

Mathe ist schön –gilt das nur für dieBilder der Mathe-matik oder auch fürdie Mathematikselbst, mit ihrer abs-trakten Formelspra-

che? Der Direktordes Bonner Max-Planck-Instituts für

Mathematik, Don Za-gier, merkt an: „DieMathematiker benut-

zen Wörter wie schönund elegant sogar häufi-

ger als wissenschaftlicheBegriffe wie überzeugend

und korrekt. Und, was nochinteressanter ist: Dieses Gefühlfür mathematische Schönheit

stellt sich sehr häufig als der si-cherste Führer bei der Wahl desbesten Weges durch das Laby-rinth der Mathematik heraus, alseine Art Ariadnefaden.“ Warumkönnen das so viele Menschennicht nachempfinden? Don Za-gier meint, dass die meisten Men-schen nie echte Mathematik gese-hen haben. Das zeigt vielleichtfolgende Geschichte von CarlFriedrich Gauß, von dem obenschon die Rede war: Als neunjäh-riger Schüler bekam er die Aufga-be, die Zahlen von 1 bis 100 zuaddieren. Eine lästige Fleißaufga-be, die keinerlei Schönheit derMathematik erahnen lässt. Derkleine Carl Friedrich ließ aberschon damals sein Genie aufblit-zen. Er schrieb die Zahlen von 1bis 100 in eine Reihe, in der Reihedarunter schrieb er sie in umge-kehrter Reihenfolge von 100 bis1. Nun addierte er jeweils die bei-den untereinander stehendenZahlen, also 1+100=101,2+99=101, 3+98=101, usw. bis100+1=101. Er hatte 100 Maldie Summe 101 erhalten, und daer die Reihe doppelt aufaddierthatte, musste er das Ergebnis nurnoch halbieren. Die Lösung ist soschön und elegant, dass sie sichganz einfach verallgemeinernlässt: Ist n eine beliebige natürli-che Zahl, so ist die Summe von 1bis n gleich n x (n+1)/2. Das istdoch eine schöne Lösung – findenSie nicht?

Reise ins Reich derFormen: die Spiralflächen

des Wiener Geometrie-und MathematikprofessorsGeorg Glaeser. G.GLAESER

Mathematik ist schönZwei Hochschullehrer visualisieren das Fach – und lassen es so

besser begreifbar werden / Von Gesine Wiemer

PRIMZAHLENUnendlich viele Primzahlen gibt es.Das lernt jeder in der Schule. Aber wiebeweist man das? Es kann doch sein,dass es irgendwo ab Hunderttrillionen-trillarden plötzlich keine Primzahlenmehr gibt? Ein wirklich schöner Beweisgeht auf Euklid zurück: Wir nehmenan, es gäbe nur endlich viele Prim-zahlen, sagen wir n Stück, diesebenennen wir als p1, p2, p3, … pn.Diese n Primzahlen multiplizieren wirmiteinander und addieren eine 1, alsop1 x p2 x p3 x … x pn+1 und nennen

diese Zahl z. Die Zahl z lässt sich durchkeine der Primzahlen p1 bis pn teilen.Das hieße aber, dass z selbst einePrimzahl ist. Und das ist ein Wider-spruch zu unserer Annahme, dass esnur die Primzahlen p1 bis pn gibt.

Dieser Trick wird bei vielen mathe-matischen Beweisen angewendet:Wenn man etwas nicht direkt zeigenkann, nimmt man einfach das Gegen-teil an und beweist, dass dies nichtmöglich ist. Manchmal sind so auf den

ersten Blick komplizierte Probleme ganzeinfach zu lösen.

Fundgrube für schöne Mathematik:Georg Glaeser, Konrad Polthier: Bilderder Mathematik. – 2. Auflage in voll-ständig überarbeiteter Softcover-Ver-sion, Heidelberg 2014.http://www.bilder-der-mathematik.de/ (mit freien Downloads) iOrnament –App erhältlich im Apple App Store.Ornamente-Weltausstellung:http://www.science-to-touch.com/