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STORIES OF LIFE PORTRAIT NO. 1SOL
SOL STORIES OF LIFE PORTRAIT NO. 1
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ROBERTO SPADONI
Titel: Roberto in
seinem Atelier im
Juni 2012
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Wer zu Roberto will, muss im Eppendofer Weg
den Durchgang unter der Nummer 69 nehmen. Er muss einen Hinterhof überqueren, in einem
dunklen Gang an
altersschwachen
Gartenmöbeln,
Fahrrädern, Kinderwagen
und Blumentöpfen
vorbei, um in einen
zweiten Hof zu gelangen,
in dem sich, hinter einer dunkelblauen Metalltür, Roberto‘s Zuhause, seine
Werkstatt verbirgt. ‚Spadoni’ steht in etwas ungelenker Schrift unter der Hausnummer. Und
auf der Metalltür steht es noch einmal, wie, um es zu bestätigen, dass man
kurz davor ist, ihn
gefunden zu haben:
Roberto Spadoni und
eine Handynummer. Keine Klingel.„Roberto!“
„Komm rein!“
Trübes Licht schimmert durch die Scheiben. Die
Tür geht schwer. Kühle
Luft drängt mir entgegen.
Kellergeruch vermischt mit Werkstattatem..
Meine Augen gewöhnen
sich langsam an die
Dunkelheit.Eine fantastische Welt tritt aus dem Schatten.
Ich bin inmitten eines Sammelsuriums ausrangierter Dinge aus Metall und Holz. Kein
Friedhof, eher so etwas wie eine Geburtsstation:
Lächelnde
Spatenschaufeln,
glücklich glänzende
Flugobjekte, Autos, armreckende
Hampelmänner mit Schaufelgesichtern,
grinsende Blechkacheln.
Am Rand eines Regals tummeln sich Gruppen
mürrischer Kneifzangen,
staunende Hacken,
Gesichter aus fingerdicken Ketten,
Winkeln, Schrauben. Ein
rostiger Eulenvogel beobachtet mich aus hohlem Auge. Eingekeilt zwischen Armeen
metallischer Gegenstände steht ein
Pferd, das mich an Troja
denken lässt, den Hals gestreckt, die Mähne ein
alter Feger, der Bauch aus Obst-kistenholz, im
Innern eine erloschene
Glühbirne. Und zwischen
diesen ganzen Dingen
unzählige Figuren, von
winzig klein bis überlebensgroß, die
Gewänder, verbogene,
zerknitterte Metallteile, in
der Bewegung erstarrt. Madonnen-Statuen mit Jesuskind, biblische
Gestalten mit Wanderstab, gesichtslose Mönche, Helden und
Heilige, von einer Eleganz und Ausdrucksstärke, die
mich fasziniert. Es scheint, als hätten diese
alten, ungeliebten Dinge
hier ein zweites Leben
begonnen, ein neues Gesicht, eine andere
Gestalt ihnen die
vielleicht wahre
Bestimmung gegeben.
„Ich habe den Großteil vom Schrottplatz,“ sagt Roberto auf meine Frage,
woher all die Teile
stammen, die sich in den
drei verschachtelten
Werkstatträumen in den
letzten über 20 Jahren
gesammelt haben.
„Früher konnte man mit dem Auto hineinfahren,
heute ist es verboten,
man muss den Schrott stehlen. Selbst das Zurückbringen ist schwierig.“ Das meiste
stammt von Robertos
Der Mann, der gefunden werden
muss
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Lieblingsschrottplatz unter der Köhlbrandtbrücke, wo er vor einigen Jahren noch mit einem
befreundeten Künstler oft ganze Nächte verbrachte.
Es ist, sagt Roberto, die Kunst des Sehens, die ihn die Teile
finden lässt, in denen
letztendlich seine Figuren
verborgen sind. Es gibt noch
viel daran zu arbeiten, wenn er sie mit in die Werkstatt nimmt. Er dreht sie tausendmal, er schaut und bewegt, betrachtet sie im Licht und Schatten und
schneidet hier und dort etwas weg, bis das Wesen, das er beim Finden gesehen hat, übrig bleibt. „Doch die Falten,
die Gestalt selbst, die hat am
Ende der Zufall gemacht.“ Es gibt auch Leute, die etwas vorbeibringen. Pedale zum
Beispiel, Scharniere,
Werkzeuge, alles mögliche.
Vieles hat er aus seiner Heimat mitgebracht. Aus Ravenna. Der Stadt am Meer, in der er aufgewachsen ist, wo seine
Lust, etwas entstehen zu
lassen aus einer Tragödie
heraus geboren wurde.
„Der Grund, warum ich
Künstler geworden bin,“ erklärt Roberto, „ist ein Bild, das hier hängt.“ Wir betreten einen winzigen,
dunklen Raum, der von der Werkstatt abgeht. In der hintersten Ecke ein Bett, die
Wände übersät mit gerahmten
Bildern, der Großteil von ihm,
einige von befreundeten
Künstlern. Es fühlt sich ein
bisschen an, in einer
modernen Version von
Spitzwegs Welt des armen
Poeten. Hier lebt jemand, dem
bürgerliches Besitztum und
konventionelle Lebensform
nichts bedeuten. Der Raum ist
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einfach, bescheiden, fast mönchisch. Roberto tippt auf ein
Kinderbild neben dem Fenster. In
einem bewegten Meer liegen ein
großes rotes und ein kleines gelbes Fischerboot, ganz rechts schwimmt ein dicker Walfisch,
nur seine Flosse ist sichtbar.
Angler stehen auf einem
schwarzen Felsen, lange Schnüre
hängen von den aufgerichteten
Ruten ins Wasser. Und über allem spannt sich ein blauer, windiger Himmel, in dem dunkle
Möwen treiben. Mit vier, vielleicht fünf verliert Roberto
durch einen Glassplitter das linke Auge. Seine Mutter, unfähig
dem kleinen Jungen ihre
Zuneigung zu zeigen, verbirgt diese hinter einer übergroßen
Vorsicht. Während Gleichaltrige
beim Sport brillieren, bleibt Roberto behütet zu Hause,
immer im Gefühl, dass von ihm
nichts erwartet wird, weil etwas an ihm kaputt ist. Er ist ein
ausgezeichneter Schüler, aber das interessiert niemanden.
Das Bild jedoch wird zu Hause
aufgehängt und „ich hörte
immer wenn Gäste kamen, dass
meine Eltern von dem Bild
begeistert waren, dass die Gäste
davon begeistert waren... da
habe ich zum ersten Mal ein
positives Feed-Back bekommen.
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Ich konnte offenbar doch etwas,
auf das mein Umfeld mit
Begeisterung reagierte. Und
diese Begeisterung wurde
meine Droge.“ Die
kunstinteressierten Eltern und
Freunde nehmen den kleinen
Roberto mit auf Biennalen, er
bekommt Geschenke, die
immer etwas mit dem Malen zu
tun haben. Und Roberto malt.
Trotzdem beschließt er nach
dem Abitur, sich nicht der
Kunst zu widmen, sondern
Medizin zu studieren. Er
braucht gesellschaftliche
Anerkennung, er will beweisen,
dass er normal ist, dass mit ihm
doch alles stimmt, bevor er, mit
30, als fertiger Kardiologe, für
sich weiß, dass dies nicht der
Anfang einer großartigen
Karriere, sondern das Ende
eines langen Kapitels seines
Lebens ist.
Es ist 1988, als Roberto mit
seiner Vergangenheit bricht
und beschließt, als Künstler zu
leben. Zeitgleich wird eine
besondere Begegnung für ihn
der Beweggrund, Italien zu
verlassen. „Ich habe damals,
Gott sei Dank, diese Frau
kennengelernt, die Mutter
meiner Tochter, zufällig, in
Bologna. Sie war eine richtige
Muse. Sie lebte in Hamburg, ich
bin ihr gefolgt. Dann zog sie
nach London. Ich hatte immer
irgendwelche Reste gesammelt.
Ich hatte Kisten davon. Auch als
ich umgezogen bin, hatte ich
im Auto Kisten von Schrott
dabei, die ich in Italien
gesammelt hatte. Und dann
bastelte ich kleine Objekte aus
Abfall und Schrott und
schenkte sie ihr. Sie war
„Ich konnte
offenbar doch
etwas, auf das mein Umfeld
mit Begeisterung
reagierte.“
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fasziniert von ihnen.
Und wenn ich sie
besuchte, hatte ich die
besondere Freude,
meine Werke in
London zu sehen!“
Nach und nach
interessieren sich auch
ihre Freunde für
Robertos Kunstwerke,
Freunde von Freunden,
der Kreis wird größer.
Die Leute sind
begeistert. Es ist nicht
mehr einfach nur
Bastelkram, die
Reaktionen zeigen ihm,
es ist jetzt ernst. Es ist
Kunst. Die Leute
nennen ihn nicht
mehr ,dottore‘, was ihm
bereits ziemlich
unangenehm war,
sie sagen
jetzt ,maestro‘,
das ist ihm
extrem peinlich.
Bei seiner ersten
Ausstellung, in
der er Skulpturen zeigt,
die er mit
S e k u n d e n k l e b e r
zusammengefügt hat,
begegnet Roberto Karl-
Heinz Reese. Reese ist
Schlossermeister, er
hat eine eigene
Werkstatt. Und Roberto
sucht ihn auf, um jetzt
etwas Neues
auszuprobieren: Er
lässt einzelne Teile aus
M e t a l l
zusammenschweißen -
und ist begeistert, von
dem Material und der
neuen Art der
Verbindung. Er möchte
selbst lernen zu
Schweißen und Reese
lässt ihn, wie mit
Lehrlingen üblich, erst
einmal „... die Bude
fegen, er hat mir
immer den stumpfsten
Bohrer, die älteste Feile
gegeben. Ich habe für
ihn poliert und er hat
ein bisschen was für
mich geschweißt und -
irgendwann war es mir
einfach zu lästig, ihn
immer zu überzeugen.“
Aus dem Meister-
Lehrling-Verhältnis
wird eine Freundschaft.
Die ersten
Ausstellungen folgen,
Galerien werden auf
ihn aufmerksam, im
NDR gibt es einen
Beitrag über ihn. „Die
ersten acht Jahre
waren wie ein Film, ich
musste nicht ins Kino
gehen...“ Robertos
Gesichtsausdruck
spiegelt, wie aufregend
und glücklich diese
Zeit war. Und dann fügt
er hinzu: „Ich bereue
nichts..., es war immer
spannend.“
Es ist ein lauer
Sommerabend und
ruhig in Robertos
Hinterhof. Manchmal
hören wir ein fernes
Motorenbrummen vom
Eppendorfer Weg, ein
kurzes Topfklappern
aus einer der oberen
Wohnungen, eine
Stimme, weit weg. Wir
sitzen vor seiner Tür.
Von oben kommt
jemand die Stufen
herab und grüßt.
Roberto grüßt zurück.
Sie kennen ihn alle
hier, in den
Hinterhöfen, im Viertel.
Aber sie kommen viel
zu selten.
Es gab nie einen
Sammler, aber zu der
Zeit, als Roberto noch
„Ich habe damals, Gott sei Dank, diese Frau kennengelernt.“
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regelmäßig eine Ausstellung
im Jahr in Italien und in
Deutschland machte, gab es
Leute, die regelmäßig kamen
und etwas gekauft haben. Jetzt,
sagt er, sei er vielleicht ein
bisschen bequem geworden. Er
zieht geräuschvoll an seiner
elektrischen Zigarette, starrt
nachdenklich auf das wilde
Pflanzenarrangement in den
bemoosten Töpfen vor uns.
Letztlich geht es auch nicht
ums Verkaufen. Es geht um
das, was für ihn als kleiner
Junge eine so große Wichtigkeit
hatte, vielleicht
lebensbestimmend war. Es
geht um die Resonanz, um das
Wahrgenommenwerden, und
mit dem Älterwerden um noch
weitaus mehr: Es geht darum,
dass er mit anderen über seine
Arbeit sprechen, sich
intellektuell auseinandersetzen
möchte, um weiterzukommen,
sich weiter zu entwickeln. Ob
er sich etwas wünscht, frage
ich ihn, ob er irgendwelche
Visionen hat, für die Zukunft.
„Nein“, sagt er, „keine Visionen,
nur, dass hin und wieder mal
jemand hier vorbeikommt.“ Ich
muss daran denken, wie ich
hierher gekommen bin. Ohne
Schild, ohne Pfeil, ohne einen
Hinweis. „Irgendwie, sage ich,
werde ich den Eindruck nicht
los, dass Du, wie Deine
verborgenen Skulpturen,
gefunden werden musst.“
„Ja,“ lächelt Roberto leise, „ja,
das wäre schön.“
„Die ersten acht Jahre waren wie ein Film.“
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„Ich glaube, in meiner
Person ist eine
harmonische Einheit. Der
Erwachsene und das Kind.
Als Kardiologe war ich nur
der Erwachsene. Jetzt
spielen der Erwachsene und
das Kind zusammen.“
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SAISON 2012-2013
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