BACHELORARBEIT
Thomas Bühring, Marc Uwe Simon und Stephan Tzschoppe
Fakultät für Informatik
Institut für Softwaretechnologie
Professur für Programmierung kooperativer Systeme
Prof. Dr. Michael Koch
betreut von:
Dipl.-Inf. (FH) Sebastian Vogel
Einsatz ethnographischer Methoden zur Unterstützung der Anforderungsanalyse im
Rahmen des Projektes ELISA
Übungsprojekt zur Vorlesung„Partizipative Softwareentwicklung“
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis.................................................................................................i
1 Einführung.......................................................................................................1
2 Problembeschreibung......................................................................................1
3 Ethnographie als Mittel der partizipativen Softwareentwicklung..............2
4 Skizze eines Prozesses für eine ethnographische Untersuchung.................34.1 Vorbereitung..................................................................................................................44.2 Begleitung......................................................................................................................54.3 Auswertung....................................................................................................................7
5 Anregungen für die Umsetzung......................................................................75.1 Vorbereitung..................................................................................................................75.2 Begleitung....................................................................................................................115.3 Auswertung..................................................................................................................12
6 Bewertung......................................................................................................12
Literaturverzeichnis..........................................................................................13
Kapitel 1: Einführung 1
1 Einführung
Im Rahmen des Projektes ELISA ist es denkbar, dass mobile Endgeräte die Schnittstelle zu
den angedachten Anwendungen für ältere Menschen bereitstellen. In einem solchen Gerät
vereinen sich Eingabe- und Darstellungsfunktionen. Anwendungen, die den Benutzer bei
alltäglichen Aufgaben unterstützen, erfordern vielfach Interaktionen, die für eine entsprechend
geprägte Generation selbstverständlich erscheinen.
Ältere Menschen allerdings haben aus vielerlei Gründen Schwierigkeiten mit derartigen
Interaktionen. Ihnen fehlen Metaphern, die ein einfaches Verständnis der vorkommenden
Bedienelemente ermöglichen. Darüber hinaus können körperliche Einschränkungen die
Bedienung der Geräte weiter erschweren. In dieser Arbeit gilt es zu untersuchen, wie ältere
Benutzer in den Mittelpunkt eines Designprozesses gestellt werden können, wenn bereits
Ideen dazu vorhanden sind, welche Anwendungen umzusetzen sind. Ziel ist es, Interaktionen
mit diesen Anwendungen für ältere Menschen ergonomisch und intuitiv zu gestalten.
Grundlage dafür ist, dass bereits Anwendungskontexte und Aktivitäten bekannt sind.
2 Problembeschreibung
Zielgruppe des Projektes ELISA sind Menschen ab einem Alter von 55 Jahren, denen
computerbasierte Alltagshilfen bereitgestellt werden sollen. Bei näherer Betrachtung stellt
sich diese Altersklasse jedoch als eine sehr inhomogene Zielgruppe dar. Anhand der im
Folgenden beschriebenen Unterscheidungskriterien zeigt sich eine auf mehrere Dimensionen
erstreckende Diversität. Es gilt nicht nur Geschlecht und soziale Schicht, Mitgliedschaft in
Vereinen und Anzahl der sozialen Kontakte, sondern ebenso technische Affinität, die bisherige
Nutzung von technischen Geräten wie etwa Telefon, Handys, Automaten, Fernsehern, etc. zu
betrachten. Außerdem spielt es eine Rolle, ob die Versuchsperson in der Stadt oder auf dem
Land wohnt, ob sie noch berufstätig ist, also in einigen Fällen bereits gezwungen ist, mit
einem PC umzugehen, oder bereits in Rente oder Pension und selbst entscheidet, womit sie
sich beschäftigt. Beim Design der Software müssen mögliche Handicaps berücksichtigt
werden. Dazu zählen vor allem körperliche Einschränkungen wie Sehbehinderung, angehende
Demenz oder auch nachlassende Feinmotorik. Diese Eigenschaften können genutzt werden,
um die Testpersonen in Gruppen einzuordnen (Czaja und Lee, 2008).
Weiterhin ist das sog. generation gap (Harley et al., 2009) zu beachten, das zum einen
zwischen Designern und Versuchspersonen besteht, aber auch innerhalb der Zielgruppe
vorhanden ist, da einige bereits mit der ersten Computergeneration aufgewachsen sind.
Sowohl die Designer als auch die bereits durch Computer geprägten Mitglieder der
Zielgruppe betrachten viele Metaphern als Selbstverständlichkeit, mit denen die anderen
Kapitel 1: Einführung 2
überhaupt nichts anfangen können. Dadurch kann bei Letzteren ein gulf of execution oder ein
gulf of evaluation entstehen (Norman, 2002).
Daher gilt es, eine Methode der Partizipation zu wählen, die klären kann, wie Interaktionen im
Rahmen eines Anwendungskontextes gestaltet werden könnten. Als Beispiele für
Anwendungskontexte sind hier Kalender oder Adressbücher zu nennen. Hier kommt es
besonders darauf an, Aktivitäten in der natürlichen Umgebung der älteren Menschen zu
beobachten. Dabei können existierende Metaphern und benutzte Artefakte aus dem Alltag der
Zielgruppe identifiziert und für den anschließenden Designprozess nutzbringend analysiert
werden.
3 Ethnographie als Mittel der partizipativen Softwareentwicklung
Blomberg und Burrell (2008) geben einen guten Überblick über Möglichkeiten, die
ursprünglich im Umfeld der Anthropologie entwickelten ethnographischen Methoden im
Rahmen des partizipativen Designs einzusetzen. Grundprinzip der Ethnographie ist ihrer
Darstellung nach, in natürlichen Umgebungen der zu untersuchenden Personengruppe
ganzheitliche Beschreibungen alltäglicher Aktivitäten zu erhalten. Dabei bedeutet ganzheitlich
im Kontext des Designs, dass die Betrachtung von Aktivitäten möglichst im Rahmen anderer,
mit ihnen zusammenhängender Aktivitäten erfolgen soll. Produkte der Ethnographie sind
damit üblicherweise keine Schlussfolgerungen oder Bewertungen, vor allem liefert sie keine
quantitativen, sondern qualitative Ergebnisse. Im Folgenden werden einige übliche Methoden
nach Blomberg und Burrell (2008) beschrieben und im Hinblick auf ihre Eignung für die
Untersuchung der zuvor beschriebenen Fragestellung abgewogen.
Ein naheliegendes, aber auch aufwendiges Mittel der Ethnographie ist die direkte
Beobachtung. Dabei bewegt sich die Rolle des wissenschaftlichen Beobachters auf einem
Kontinuum zwischen dem teilnehmenden Beobachter (observer-participant), der so wenig
wie möglich in das beobachtete System eingreift, und dem beobachtenden Teilnehmer
(participant-observer), der aktiv in die beobachteten Abläufe eingebunden ist. Die Flexibilität
dieses Instrumentes kann vorteilhaft sein, ist allerdings gleichzeitig seine Schwäche, da bei
einem zu freien Vorgehen die Ergebnisse stark vom Beobachter abhängen. Daher muss die
Beobachtung strukturiert und fokussiert werden. Eine mögliche Struktur besteht darin, gezielt
Personen zu begleiten (auch bekannt als shadowing, Wasson, 2000). Die Beobachtung kann
sich aber auch auf bestimmte, zeitlich beschränkte Ereignisse fokussieren oder in der
Verfolgung des Lebens- und Transformationsprozess eines Artefakts (z. B. eines Dokuments)
bestehen.
Kapitel 1: Einführung 3
Ein weiteres Mittel der Ethnographie sind Interviews. Sie sind weniger darauf ausgerichtet,
Fakten aufzudecken, sondern darauf, ein erstes Verständnis der Aktivitäten und der daran
beteiligten Personen zu bekommen. Ethnographische Interviews sollen offen gestaltet werden
und in der natürlichen Umgebung der zu untersuchenden Abläufe durchgeführt werden.
Eine andere Möglichkeit, einen Eindruck einer zu untersuchenden Umgebung zu gewinnen,
besteht darin, Versuchsteilnehmer Aufzeichnungen führen zu lassen. Beispiel hierfür sind
diary studies, in denen die Teilnehmer ihren Tagesablauf eigenverantwortlich festhalten.
Problematisch an dieser Herangehensweise ist jedoch, dass die Teilnehmer den Fokus der
Untersuchung unbewusst selbst bestimmen. Diese Eigenverantwortlichkeit ist bei
beschränkten Ressourcen nützlich, setzt aber voraus, dass die betrachteten Personen sich in
die Ziele der Untersuchung hineinversetzen können.
Die Einbindung älterer Menschen in den Designprozess versucht eine Brücke zu den
mehrheitlich jungen und technikaffinen Entwicklern zu schlagen. Eigenständige
Aufzeichnungen erscheinen vor diesem Hintergrund nicht angemessen, da die betrachteten
Personen die Bedeutung einzelner Interaktionen für die Untersuchung möglicherweise nicht
erkennen. Eine reine Tagebuch-Methode würde zum Beispiel keinen Erfolg bringen, da viele
Alltagshandlungen diesen Menschen so geläufig sind (nachsehen im Kalender, Telefonbuch,
Bedienen der Waschmaschine), dass sie die eingefahrenen „Bedien-Muster“ nicht mehr
erkennen würden. Interviews in der natürlichen Umgebung der älteren Menschen sind in
Bezug auf die Aussagekraft ihrer Ergebnisse sehr aufwendig. Die direkte Beobachtung liefert
im Vergleich belastbarere Ergebnisse. Gleichzeitig kann ihr Umfang in Abhängigkeit von zur
Verfügung stehenden Zeit- und Personalressourcen angepasst werden, wobei allerdings
Schritte zu unternehmen sind um die Intensität der Beobachtung zu erhöhen (vgl. Millen,
2000).
4 Skizze eines Prozesses für eine ethnographische Untersuchung
Der in dieser Arbeit skizzierte Prozess besteht aus drei Phasen (siehe Abbildung 1). In einer
der eigentlichen ethnographischen Beobachtung vorangestellten Vorbereitungsphase müssen
die zur Durchführung des Prozesses benötigten Akteure ausgewählt werden. Weiterhin gilt es,
Forschungsziele, die durch die ethnographische Untersuchung erreicht werden sollen, zu
definieren. Im Rahmen von Briefings werden den Akteuren die Forschungsziele vermittelt, zu
deren Erfüllung sie einen wesentlichen Beitrag leisten sollen. Die zeitintensivste Phase
besteht in der eigentlichen Begleitung. Sie dient dazu, für die zuvor definierten
Fragestellungen relevante Interaktionen im Alltag der Probanden zu erkennen, zu beobachten
und zu dokumentieren. In Auswertungsgesprächen werden abschließend die Erkenntnisse der
Kapitel 1: Einführung 4
Untersuchung zusammengetragen. Diese Ergebnisse werden zusammen mit ersten
Schlussfolgerungen in einer Abschlussdokumentation festgehalten. Nachfolgend werden die
zentralen Bestandteile der einzelnen Phasen im Detail erläutert.
Vorbereitung
• Auswahl der Akteure• Klären der
Forschungsziele• Briefings
Begleitung
• Erkennen und Festhalten von relevanten Aktivitäten
Auswertung
• Auswertungsgespräch• Abschlussdokumentation
Abbildung 1:Übersicht des Ablaufs der ethnographischen Untersuchung
4.1 VorbereitungEine wesentliche Voraussetzung für die erfolgreiche Durchführung der Untersuchung ist die
Spezifikation von Forschungszielen. Diese können als zu klärende Fragestellungen in offener
oder geschlossener Form festgelegt werden. Geschlossene Fragestellungen ergeben sich bei
der Evaluation gegebener Gestaltungsrichtlinien. Ein Beispiel für eine Gestaltungsrichtlinie
ist „Vermeide kleine Zielflächen und kleine Schriftzeichen (Schriftarten < 12)“ (vgl. Czaja
und Lee, 2008) und eine daraus abgeleitete geschlossene Fragestellung ist, ob die Umsetzung
dieser Gestaltungsrichtlinie die Benutzbarkeit eines Produktes verbessert. Eine solche
geschlossene Frage verlangt keine deskriptive Antwort, sondern einen möglichst quantitativen
Schluss. Ethnographische Untersuchungen sind daher aufgrund ihres informativen und
qualitativen Charakters (siehe Abschnitt 3) zur Beantwortung solcher Fragen ungeeignet. Ist
es wie in diesem Fall möglich, die Fragestellungen in Prototypen zu veranschaulichen, bieten
sich hier Methoden des Usability Testings an. Ethnographie liefert jedoch Antworten auf
offene Fragestellungen, wie zum Beispiel „Wie verwalten die Benutzer bisher ihre Termine,
welche Mittel verwenden sie dafür und wie gehen sie damit um?“. Diese Fragestellung legt
auf der einen Seite einen Kontext fest (Terminverwaltung) und fragt auf der anderen Seite
nach darin vorkommenden Aktivitäten und Artefakten.
Neben den zu klärenden Fragestellungen müssen Probanden aus der Zielgruppe des Projektes
ausgewählt werden. Blomberg und Burrell (2008) beschreiben verschiedene Strategien, um
aus der Grundgesamtheit einer Zielgruppe mögliche Probanden auszuwählen (sampling
strategies), von denen zwei für das Projekt geeignet scheinen. Zum einen ist es möglich,
wahllos verfügbare Personen, die bereit sind an der Untersuchung mitzuwirken und zur
Zielgruppe gehören, zu beteiligen (convenience). Mit höherem Aufwand ist es möglich,
Fraktionen innerhalb der Zielgruppe zu identifizieren, die alle, wenn auch nicht anteilsgetreu,
in der Untersuchungsgruppe vertreten sein sollen (purposive). Letztere Auswahlstrategie
liefert ein querschnittlicheres Ergebnis, benötigt allerdings eine vorherige Untersuchung der
Kapitel 1: Einführung 5
Zielgruppe und eine Einordnung der Kandidaten in die identifizierten Fraktionen, zum
Beispiel anhand eines Fragebogens. Welche Strategie gewählt wird, sollte vor allem anhand
der zur Verfügung stehenden Ressourcen, der Fragestellung und nicht zuletzt des Anspruchs
an die Ergebnisse entschieden werden.
Begleitung Auswertung
Vorbereitung
Identifizieren von Fragestellungen
Briefing /Vorstellungsrunde
Auswahl der Probanden
Auswahl der Begleiter
Kontexte mit Aktivitäten
Handlungsanweisung
Abbildung 2:Ablauf der Vorbereitungsphase
Begleiter sollten im Rahmen der Möglichkeiten anhand ihrer fachlichen Qualifikation und
ihrer empathischen Fähigkeiten ausgewählt werden. Umsetzungsvorschläge dazu werden in
Abschnitt 5 genannt.
In der in Abbildung 2 dargestellten Vorbereitung auf die eigentliche Begleitung sind zwei
unterschiedliche Treffen vorgesehen. Zum einen werden die Begleiter in einem Briefing auf
ihre Aufgabe vorbereitet. Dabei wird ihnen vermittelt, welche Fragestellungen geklärt werden
sollen und worauf sie während der Begleitung besonders achten müssen. Diese Punkte werden
in Anlehnung an die in Abschnitt 4.2 geschilderten Verhaltensregeln schriftlich festgehalten
und den Begleitern als Handlungsanweisungen zur Verfügung gestellt. Zum anderen werden
die Begleiter den Probanden im Zuge einer Vorstellungsrunde bekannt gemacht. Dieses
Treffen soll primär die Akzeptanz der Probanden für die Untersuchung erhöhen und Vertrauen
in die Begleiter erzeugen. Es zielt darauf ab, Kommunikationsbarrieren abzubauen.
4.2 BegleitungDie eigentliche Beobachtung muss aufgrund der zur Verfügung stehenden Zeit- und
Personalressourcen entgegen ethnographischer Idealvorstellungen kurz ausfallen. Es kann
Kapitel 1: Einführung 6
allerdings vorkommen, dass in einem kurzen Beobachtungszeitraum weniger für die
Untersuchung relevante Aktivitäten auftreten. Daher muss die Beobachtung intensiv erfolgen
(vgl. Millen, 2000). Die Beobachtungszeit kann einerseits effektiver genutzt werden, indem
beispielsweise mehrere Beobachter eingesetzt werden. Unter Rücksichtnahme auf die
besondere Zielgruppe des Projektes sollte die Zahl der Beobachter auf höchstens zwei
beschränkt werden. Andererseits kann der Gehalt der Beobachtung erhöht werden, indem
Aktivitäten unmittelbar mit den Probanden nachbesprochen werden und potentielle
Aktivitäten gezielt angeregt werden. Aus diesem Grund wird diese Phase im Prozess in klarer
Abgrenzung vom reinen shadowing als Begleitung bezeichnet.
Die Begleiter haben in dieser Phase eine entscheidende Aufgabe, die in Abbildung 3
veranschaulicht wird. Sie müssen aufmerksam nach relevanten Aktivitäten suchen, das
Stattfinden ebensolcher erkennen sowie dokumentieren und potentielle Aktivitäten
vorhersehen und anregen. Bei der Dokumentation der Aktivitäten kommt es darauf an,
benutzte oder entstandene Artefakte fotographisch festzuhalten.
Vorbereitung Auswertung
Begleitung
Erkennen von Aktivitäten
Anregen von Aktivitäten
Beobachten
Festhalten
Beschreiben
Besprechen
Artefakte dokumentieren(z.B. mit Fotos)
BenutzteArtefakte
Bericht mit Aktivitäts-beschreibungen
Abbildung 3:Ablauf der Begleitungsphase
Die Ergebnisse der Begleitung werden in einem Bericht dokumentiert. Zum einen werden die
Aufzeichnungen zu den beobachteten Aktivitäten unverändert und ungefiltert
zusammengeführt. Es ist die Aufgabe des Berichtes, das Erlebte in auch für die Designer
verständliche Begrifflichkeiten zu übersetzen, nicht aber zu interpretieren oder zu folgern.
Zusätzlich jedoch soll der Begleiter im Nachhinein den beobachteten Probanden aus seiner
Kapitel 1: Einführung 7
eigenen Wahrnehmung im Hinblick auf Unterscheidungsmerkmale innerhalb der Zielgruppe
(siehe Abschnitt 2) beschreiben und einschätzen.
4.3 AuswertungIn der Auswertung sollen die Ergebnisse der einzelnen Begleitungen zusammengetragen und
gemeinsam analysiert werden. Ziel ist es, basierend auf dieser Analyse Vorschläge zur
späteren Ausgestaltung der untersuchten Aktivitäten im Produkt zu entwickeln. Während des
bisherigen Prozesses haben die Begleiter einen Eindruck der mentalen Modelle und
Metaphern, die einzelne Probanden mit den untersuchten Aktivitäten verbinden, gewonnen.
Es gilt, aus diesen Erkenntnissen ein Modell abzuleiten, das die identifizierten mentalen
Modelle und Metaphern bei den Benutzern auslöst beziehungsweise bedient.
Dazu wertet der Untersuchungsleiter die einzelnen Berichte der Begleiter aus und extrahiert
Auffälligkeiten oder Unklarheiten für eine gemeinsame Besprechung mit allen Begleitern und
den Produktentwicklern. Sollte die Menge der durch die Begleitung zu beantwortenden
Fragestellungen oder die Menge der gesammelten Informationen zu umfangreich sein, werden
einzelne Berichte zuvor mit den jeweiligen Begleitern ausgewertet und zusammengefasst. Die
eigentliche Analyse erfolgt dann im Rahmen eines Workshops, bei dem sich Designer,
Begleiter und der Untersuchungsleiter austauschen. Die entwickelten Vorstellungen eines
möglichen Modells werden gemeinsam mit den verdichteten Beobachtungsergebnissen in
einem Abschlussbericht dokumentiert.
5 Anregungen für die Umsetzung
Im nachfolgenden Abschnitt wird der vorgestellte Prozess für die Anwendung im Projekt
ELISA an der Universität der Bundeswehr München konkretisiert.
5.1 VorbereitungAn dieser Stelle werden die im Vorfeld einer Untersuchung im beschriebenen Rahmen zu
leistenden Aufgaben dargelegt. Dabei werden aus den vorläufigen Projektzielen
exemplarische Fragestellungen entwickelt. Neben den daraus abgeleiteten
Anwendungskontexten und Aktivitäten sollen im Folgenden Vorschläge für die Auswahl von
Probanden und deren Begleitern erörtert werden.
Fragestellung
Auch wenn im Projekt ELISA noch keine konkreten technischen Anwendungen feststehen,
die auf dem Gerät realisiert werden sollen, wurden bereits einige Ziele für das Gerät
vorgeschlagen. Diese sind unter anderem:
Kapitel 1: Einführung 8
Kommunikation und Interaktion mit Freunden und Familie
Finden neuer Freunde, Sportpartner, Gleichgesinnter
Bereitstellen nützlicher Funktionen (Organizer, TVProgramm, News, Wetter, ...)
Aufgrund des vorläufigen Charakters dieser Anwendungsideen werden hier exemplarisch drei
Fragestellungen entworfen, die aus den für das Projekt ELISA vorgeschlagenen
Anwendungskontexten abgeleitet wurden. In einer an der Universität der Bundeswehr
München durchgeführten Untersuchung könnten damit folgende Fragen geklärt werden:
Wie können bestehende soziale Netzwerke mit Kommunikations- und
Kontaktdatenverwaltung für ältere Menschen intuitiv nutzbar gestaltet werden?
Wie kann die Suche nach neuen Freunden und die aus sozialen Netzwerken bekannte
Darstellung von Interessen und Gruppenzugehörigkeiten für ältere Menschen
verständlich umgesetzt werden?
Wie können zeitbezogene Informationen und Planungsaufgaben (Organizer, TV-
Programm, etc.), die älteren Menschen bereits aus dem Alltag bekannt sind, eingängig
gehandhabt werden?
Diese Fragestellungen bilden die Grundlage für eine überblicksartige Aufstellung von
Anwendungskontexten und darin vorkommenden Aktivitäten in Abbildung 4. Allen diesen
Anwendungskontexten ist gemein, dass die älteren Menschen sie bereits in ihrem Alltag auf
verschiedene Weise bewältigen. Eine Umsetzung der dargestellten Anwendungskontexte im
Projekt ELISA sollte die bestehenden Herangehensweisen der älteren Menschen
berücksichtigen. Eine gelungene Bedienung vorhandener Metaphern in diesen Bereichen baut
Barrieren im Umgang mit dem zu entwickelnden Gerät ab und schafft intuitive Benutzbarkeit.
Identifizierte Anwendungskontexte Zu untersuchende Aktivitäten
Freundesliste Personen mit ähnlichen Interessen suchen
Oberflächliche Bekanntschaften suchen
Art und Umfang der Einordnung von Bekannten in
Gruppen
Kommunikation Nachrichten schreiben
Sprachkommunikation (mit Bekannten telefonieren)
Alte Nachrichten suchen und Art und Umfang der
Aufbewahrung alter Kommunikation
Kontaktverwaltung Anschrift, Kontaktdaten zu Personen erfassen
Kontaktmöglichkeiten suchen
Personen lokalisieren
Kapitel 1: Einführung 9
Terminplanung Termine mit Freunden/Familie abstimmen
Arzttermine oder ähnliches ausmachen
An Geburtstage erinnern lassen
Abbildung 4:Anwendungskontexte und zu untersuchende Aktivitäten für die abgeleiteten
Fragestellungen
Die beschriebenen Aktivitäten sind als ein hilfreicher Anhalt für die Begleiter zu verstehen.
Während der Begleitung sollten alle stattfindenden Tätigkeiten der Probanden, die aus Sicht
der Begleiter einen Bezug zu einer der Fragestellungen haben könnten, dokumentiert werden.
Gewinnen von Teilnehmern aus der Zielgruppe
Die Gewinnung von geeigneten Probanden ist entscheidend für die erfolgreiche Durchführung
des oben beschriebenen Prozesses. Da dies aber nicht Auftrag des von der Universität der
Bundeswehr München geleisteten Anteils ist, sollte die Auswahl von Probanden nach
Möglichkeit über die Projektpartner erfolgen. Die am Projekt beteiligte Federació
d'Associacions de Gent Gran de Catalunya (FATEC) käme für eine Auswahl von Probanden
im größeren Maßstab mittels eines purposive-Samplings in Betracht. Im Rahmen einer
Durchführung an der Universität der Bundeswehr München wird hier jedoch ein Sampling
nach Verfügbarkeit (convenience) unter ortsansässigen Mitgliedern der Zielgruppe
vorgeschlagen. Da die Begleiter während der Untersuchung unbewusst Schwerpunkte setzen
werden, sollten hier mindestens sechs Probanden gewonnen werden, also doppelt so viele
Probanden, wie Fragestellungen ergründet werden sollen.
Personal für die Begleitung
An das Personal, das die ethnographischen Untersuchungen durchführt, gibt es eine Reihe von
Anforderungen. Grundsätzlich stellen sich bei der Auswahl des Personals für die Begleitung
die Fragen: Wer wird ausgewählt? In welchem Rahmen wird er eingesetzt? Was ist seine
Motivation, die gestellte Aufgabe in einem gewünschten Qualitätsgrad zu erfüllen? Klar ist,
dass sich die Anzahl der Begleiter nach der Zahl der gewonnenen Probanden richtet. Wie in
Abschnitt 4 geschildert, sollten zwei Begleiter einen Probanden besuchen.
Eine Antwort auf die erste Frage scheint naheliegend. Schon aus monetären Gründen bietet es
sich an unserer Universität an, für die Durchführung auf Studenten zurückzugreifen. Diese
sollten in Bezug auf ethnographische Untersuchungen sowie Human Computer Interaction
über ein gewisses Grundwissen verfügen. An der Universität der Bundeswehr München bietet
das Institut für Softwaretechnologie zwei Vorlesungen an, die ein derartiges Wissen
vermitteln: Softwareergonomie als Wahlpflichtvorlesung für Bachelor- und Masterstudenten
der (Wirtschafts-)Informatik, gelesen von apl. Prof. Lothar Schmitz, sowie Partizipative
Kapitel 1: Einführung 10
Softwareentwicklung als Wahlpflichtvorlesung für Masterstudenten der
(Wirtschafts-)Informatik, gelesen von Prof. Michael Koch. Hörer von mindestens einer dieser
Vorlesungen kommen für die Durchführung von Untersuchungen in Frage.
Durch die Festlegung auf Studenten der (Wirtschafts-)Informatik können drei
unterschiedliche Einbettungen der Tätigkeit als Beobachter in das Studium identifiziert
werden. Eine eher lose mit dem Studium verbundene Möglichkeit ist die Anstellung der
Studenten als studentische Hilfskraft. Bedingt durch die rechtlichen Rahmenbedingungen sind
Arbeitszeiten von höchstens sieben Stunden pro Woche (91 Stunden pro Trimester) für eine
Anstellung als studentische Hilfskraft zulässig. Dies begrenzt den Nutzen dieses Vorgehens
ebenso wie auch die anfallende Bezahlung und der hohe bürokratische Aufwand.
Eine zweite Möglichkeit ist die Einbettung der Beobachtertätigkeit in eine Vorlesung. Da das
Projekt ELISA am Lehrstuhl von Prof. Koch angesiedelt ist, bietet sich die oben genannte
Vorlesung PSE an. In diesem Rahmen ist auch diese Arbeit entstanden. Das Wissen aus der
Vorlesung kann dabei angewendet und vertieft werden. Durch die Gewichtung der Vorlesung
mit drei ECTS-Punkten ist eine praktische Arbeit in diesem Rahmen auf höchstens 60
Stunden pro Trimester beschränkt. Im Vergleich zur ersten Möglichkeit ist der Zeitraum
eingeschränkter, jedoch entfallen Bezahlung und bürokratischer Aufwand. Zusätzlich besteht
die Chance, dass eingesetzte Studenten im Vorhinein die Vorlesung zur Softwareergonomie
gehört haben.
Die dritte Möglichkeit der Einbettung der Beobachtungstätigkeit ins Studium besteht über das
Kompetenztraining im Bachelorstudium Informatik. Der Umfang beträgt zwei ECTS-Punkte,
also 60 Stunden pro Trimester, die im Vergleich zur PSE Vorlesung voll ausgeschöpft werden
können und nicht mit einer Präsenzvorlesung konkurrieren. Aus dem Modulhandbuch für den
Bachelorstudiengang Informatik ergibt sich für den Inhalt des Kompetenztrainings: "Im
Kompetenztraining erlernen die Studierenden berufspraktische Fertigkeiten. Dazu gehören so
unterschiedliche Dinge wie eine Einführung in wissenschaftliche Arbeitstechniken,
sprachliche und kommunikative Fähigkeiten..." (Modulhandbuch). Diese Beschreibung bietet
einen großen Spielraum, der auch für eine ethnographische Untersuchung genutzt werden
kann.
Bei der Frage nach der Motivation können die oben aufgezeigten Möglichkeiten in zwei
Gruppen eingeteilt werden. Auf der einen Seite steht die Anstellung als studentische
Hilfskraft. Die extrinsische Motivation besteht hier aus der Bezahlung. Auf der anderen Seite
steht die Einbettung in akademische Veranstaltungen. Die Motivation besteht hier im Erwerb
von ECTS-Punkten, die in beiden Fällen benotet sind. Allen Möglichkeiten sind Anreize
durch Reputationsgewinn am Lehrstuhl gemein.
Kapitel 1: Einführung 11
5.2 BegleitungDie Begleitung der Probanden sollte sich an den in Abschnitt 4 geschilderten Grundsätzen
orientieren. Aufgrund der beschränkten zeitlichen Möglichkeiten im Projekt ELISA wird
vorgeschlagen, die Probanden über einen Zeitraum von einem Tag (sechs bis acht Stunden) in
ihrem Alltag zu begleiten.
Die grundlegende Aufgabe der Begleiter ist es dabei, im Alltag der älteren Menschen
vorkommende Aktivitäten mit Bezug zu den zuvor beschriebenen Anwendungskontexten zu
erkennen. Die Herausforderung ist, dass Handlungen wie zum Beispiel bei der
Kommunikation oder der Terminplanung sehr alltäglich sein können. Auch die dabei
verwendeten Mittel können auf den ersten Blick naheliegend erscheinen. Daher sollte die
grundlegende Einstellung der Begleiter sein, nichts für selbstverständlich zu halten.
Bei der Dokumentation der stattgefundenen Aktivitäten kommt es darauf an, auch benutzte
Artefakte wie zum Beispiel Wandkalender oder Adressbücher mit dem Einverständnis der
älteren Menschen zu dokumentieren. Die Wahrung der Privatsphäre der Probanden muss den
Untersuchungszielen selbstverständlich übergeordnet werden. Daher müssen die Begleiter
sich bei ihrem Handeln des Einverständnisses der Probanden versichern. Diese
Dokumentation kann geschickt mit einer Nachbesprechung der Handlung verbunden werden.
Der Begleiter sollte dabei eine naive Grundhaltung einnehmen und Fragen im offenen Stil
(„Wie?“, „Warum?“, etc.) und mit offenem Ausgang, das heißt ohne eine vorgefasste
Erwartung, stellen. Dies bedeutet insbesondere, Entscheidungs- und Suggestivfragen zu
vermeiden.
Kapitel 1: Einführung 12
Abbildung 5:Grundregeln für den Begleiter im Projekt ELISA
In Abbildung 5 wird eine Liste von zu beachtenden Grundregeln für die Begleiter gezeigt, die
auf diesen allgemeinen Prinzipien beruhen.
5.3 AuswertungDa hier nur eine begrenzte Anzahl Fragestellungen für eine Untersuchung im Projekt ELISA
vorgeschlagen wurde, ist für die in Abschnitt 4.3 beschriebene Auswertung keine Verdichtung
der Berichte durch den Untersuchungsleiter, die zu einer Selektion der Inhalte führen würde,
notwendig. Neben den Beteiligten der Universität der Bundeswehr sollten spätestens beim
abschließenden Workshop auch verfügbare Projektpartner mit eingebunden werden.
6 Bewertung
Das vorgestellte Verfahren erscheint geeignet, das beschriebene generation gap zu
überwinden, da es eine Möglichkeit zur Begegnung zwischen Designern und der Zielgruppe
schafft. Damit ermöglicht es die mittelbare Einbindung der älteren Menschen in den
Designprozess des zu gestaltenden Produkts. Die gewonnenen qualitativen Erkenntnisse zu
den mentalen Modellen der Probanden helfen dabei, Interaktionen zu modellieren, die für
einen Querschnitt der Zielgruppe intuitiv benutzbar sind. Die Begleiter erleben während der
Beobachtung auftretende Konsequenzen des generation gap und leisten Übersetzungsarbeit
zwischen den Welten der Produktdesigner und der späteren Nutzer.
1. Nichts ist selbstverständlich. Sei bewusst naiv und versuche die Welt deines Gegenübers zu
begreifen.
2. Würde und Privatsphäre des älteren Menschen stehen über den Untersuchungszielen. Hole
stets das Einverständnis deines Gegenübers ein und begleite ihn oder sie höchstens soweit,
wie du es selbst dulden würdest.
3. Lebensalter und deine Rolle als Gast gebieten Achtung und Zurückhaltung. Tritt höflich und
besonnen auf.
4. Dein Gegenüber wird unbewusst seinen Tag nach dir ausrichten. Vermeide, Zentrum des
Tages zu werden, aber wenn es sich nicht vermeiden lässt, nutze die Aufmerksamkeit, um im
Gespräch die Fragestellungen zu ergründen.
5. Viele wichtige Aktivitäten werden dir kaum auffallen. Sei wachsam und erkenne
vorkommende Handlungen mit Bezug zur Fragestellung.
6. Oft fehlt nur der richtige Anlass, damit eine Aktivität ausgelöst wird. Nutze die beschränkte
Zeit in der Begleitung und fordere dein Gegenüber auch zu naheliegenden Handlungen auf.
7. Dein Bericht ist die wichtigste Grundlage für die Vorbereitung des anschließenden
Workshops. Wenn du dich entscheidest eine Handlung zu dokumentieren, beschreibe sie
umfassend und gründlich, vermeide es aber zu folgern oder zu bewerten.
Kapitel 1: Einführung 13
Dennoch ist auch der reduzierte ethnographische Ansatz eine vergleichsweise aufwendige
Methode der Benutzerbeobachtung. Gleichzeitig sind die gewonnenen Ergebnisse von rein
informativem Charakter und erlauben nicht zwangsläufig begründete Schlüsse mit
quantitativem Anspruch. Da die Untersuchung im Alltag der Probanden stattfindet und es
vorkommen kann, dass keine interessierenden Aktivitäten auftreten, ist trotz der fokussierten,
interaktiven Beobachtung keine Garantie für verwertbare Ergebnisse gegeben.
Im Rahmen des Projektes ELISA ergeben sich durch die Zusammenarbeit mit einer in der
Vergangenheit im Softwaredesign wenig berücksichtigten Zielgruppe besondere
Schwierigkeiten. Diese Arbeit hat gezeigt, dass ethnographische Methoden trotz gewisser
Schwächen eine vielversprechende Möglichkeit zur Lösung der beschriebenen
Herausforderungen darstellen.
Literaturverzeichnis 14
Literaturverzeichnis
Jeanette Blomberg und Mark Burrell: An ethnographic approach to design. In Andrew Sears
und Julie A. Jacko (Hrsg.): The Human-Computer Interaction Handbook – Fundamentals,
Evolving Technologies and Emerging Applications (Second Edition). Lawrence Erlbaum As-
sociates, New York, 2008.
Sara J. Czaja und Chin Chin Lee: Information Technology and Older Adults. In Andrew Sears
und Julie A. Jacko (Hrsg.): The Human-Computer Interaction Handbook – Fundamentals,
Evolving Technologies and Emerging Applications (Second Edition). Lawrence Erlbaum As-
sociates, New York, 2008.
David Harley, Sri Hastuti Kurniawan, Geraldine Fitzpatrick und Frank Vetere: Age Matters:
Bridging the Generation Gap through Technology-Mediated Interaction. Proceedings of the
27th International Conference on Human Factors in Computing Systems. Boston, Massachu-
setts, USA, 2009.
David R. Millen: Rapid Ethnography: Time Deepening Strategies for HCI. In Daniel Boyarski
und Wendy A. Kellogg (Hrsg.): Proceedings of the 3rd conference on Designing interactive
systems: processes, practices, methods, and techniques, ACM, New York, 2000.
Donald A. Norman: The Design of Everyday Things. Basic Books, New York, 2002.
Christina Wasson: Ethnography in the Field of Desgin. In Human Organization, Jahrgang 59,
Ausgabe 4. Society for Applied Anthropology, 2000.
Ohne Verfasser: Modulhandbuch des universitären Studiengangs Bachelor of Science
Informatik an der Universität der Bundeswehr München, 2010.
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