STULLENSEMINARE am Geologischen Institut der TU Bergakademie Freiberg: 17. Juni 2014 ____________________________________________________________________________________________________
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Entwicklung der Genauigkeit von Zeit- Messungen
ANSELM KÜHL (TU BAF)
Als Gott die Zeit erschuf, gab er den Afrikanern die Zeit und den Europäern die Uhr. (Unbekannt) Viele hundert Jahre lang war die Grundlage unserer Zeit- Messung die Drehung der Erde
um ihre Achse. Im Altertum beruhte die Bestimmung der Uhr-Zeit auf tatsächlichen
Beobachtungen der Sonne und der Sterne mit Hilfe von Schattenuhren, Sonnenuhren,
Astrolabien und Sternuhren.
Alle Uhren sind in Wesentlichen mechanische Modelle der Erde. D.h. diese Modelle
versuchen, einen speziellen Aspekt der Anordnung von Erde, Sonne und Sternen oder
genauer von deren relativen Bewegungen untereinander nachzuahmen. Sie versuchen
nämlich, den fortlaufenden Zyklus von Tag und Nacht zu erzeugen. Die Uhrmacher-
Kunst besteht seit jeher in dem andauernden Bestreben, eine mechanische Vorrichtung
herzustellen, welche mit immer größerer Genauigkeit mit der Erde im Takt bleiben
kann.
Nach Jahrhunderte langer Entwicklung gibt es heute Uhren, welche genauer sind als die
regelmäßige Drehung der Erde selbst. Diese sind keine mechanischen Instrumente mehr,
sondern elektronische Vorrichtungen, welche die Schwingungen von Atomen verfolgen.
In Verbindung mit genauen Untersuchungen der Zeit- Punkte von Sonnen- und Mond-
Finsternissen, welche im Altertum stattfanden, haben die Atomuhren gezeigt, dass sich die
Erddrehung um ihre Achse verlangsamt, u.a. durch:
Die Abbremsung der Erdrotation erfolgt u.a. durch die Anziehungskraft von Mond
und Sonne, welche die „Gezeiten-Reibung“ in Form von Ebbe und Flut verursachen.
Die zyklisch diskontinuierlich bewegten Wassermassen des Pazifik und Indik infolge
des El Niño - Effektes.
Sogar durch den herbstlichen Blätterfall auf der Nordhalbkugel mit ihrer
disproportionalen Ballung von Landmassen bewirkt eine unmerkliche, halb-
jährliche Abbremsung der Erd-Rotation.
Aber auch die Abbrems-Rate ist nicht konstant, denn es kommt zu gelegentlichen
plötzlichen, unerwarteten Verschiebungen und Sprüngen, welche auf Grund von
Massen- Verlagerungen durch Konvektions-Walzen im oberen Erdmantel und die
Platten-Tektonik, d.h. die Drift der Lithosphären-Platten bedingt ist.
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Am einfachsten ist es, über Zeit- Messungen und Kalender der verschiedensten
kulturhistorischen Epochen zu sprechen, da diese selbst wiederum zivilisatorische
Leistungen markieren und Ausdruck der Entwicklung der Geistes- und Produktivkräfte
der Menschheit waren und sind. Dazu eine zusammenfassende: Übersicht über die
Entwicklung der Genauigkeit von Zeitmessungen:
Von der SONNEN- UHR zur ATOM- UHR
<< Am Beginn wissenschaftlicher Arbeit stehen Konfusion,
unzureichende Definitionen und Motivationen, die meist
völlig andere sind als jene, die sich später entwickeln, wenn
man der Lösung näher kommt. >>
William H. Calvin (1991) << Wie der Schamane den Mond stahl >>
Es folgt eine Kurve der Entwicklung der Genauigkeit von Zeitmessungen (nach ERIKA
SCHOW, << maßstäbe >> H. 6, 2005, PTB:
~ 17 Min./d
Uhrentypen unterschiedlichsten Zeitalters unterschiedlichster Funktions-
weise und unterschiedlichster Genauigkeit
GANG- FEHLER
GESCHICHTLICHE ZEIT n. d. Z.
ZUNAHME der GANG- GENAUIGKKEIT von UHRENin den letzten 1.000 JAHREN
d = Tag
Aufgrund der logarithmischen Ordinaten- Skala der Genauigkeiten handelt es sich um
eine Potenz-Funktion der Genauigkeits- Zunahme über die (euklidische) Linear-Skala der
Zeit. Fazit:
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Immer genauer: Die Genauigkeit von Zeit- Messungen ist in Anpassung an die
jeweiligen Bedürfnisse in den letzten 1000 Jahren nicht um das 13-fache, sondern um
13 Zehner- Potenzen gestiegen.
Zuerst tüftelten die Uhr- Macher immer bessere mechanische Uhren aus.
Dann kamen die Quarz-Uhren, bei denen auch ein mechanischer Körper schwingt. Aber
hier werden die Schwingungen elektrisch angeregt und ausgezählt. Zudem schwingt
der Quarz viel schneller als ein einfaches Schwing- Pendel oder ein Dreh- Pendel, eine
Unruh.
Dann verlassen die Uhren-Bauer die Welt die klassischen Physik und tauchen
gewissermaßen in die Quanten-Welt ein: Dabei nutzen sie die noch viel schnelleren
Vorgänge im Innern von Atomuhren. Infolge dessen schnellt die Genauigkeit der
Uhren exponentiell in die Höhe: Die derzeit besten Atomuhren, die Cäsium- Fontänen,
müßten 30 Mio Jahre laufen, bis eine Gangfehler von einer Sekunde eingeschlichen
hätte.
Frage: Was ist eigentlich eine Uhr? Sie ist etwas, das einen periodischen Vorgang zählt. Ein
solcher periodischer Vorgang ist die Drehung der Erde um sich selbst. Zunächst glaubte man,
die Drehung sei absolut regelmäßig. Das stimmt - bezogen auf die absolute Genauigkeit der
Zeit- Messung - nicht!
Die Sonnenuhren haben ihren eindeutigen Nachteil, dass sie bei Wolken und Nacht nicht
funktionieren. Aber sie sind - neben wenigen einfachen technischen Hilfsmitteln - die einzigen,
welche die Drehung der Erde direkt zählen.
Durch sie wurde die Tages- Länge festgelegt, woraus später - als Grund- Einheit der
Zeit - die Länge der Sekunde abgeleitet wurde.
Eine Sekunde ist - nach kultureller Absprache - der 86.400te Teil des Tages.
Die Entwicklung der Uhren lief gewissermaßen daneben ab: Man versuchte, die
„irdische“ Sekundenlänge möglichst gut zu treffen, indem man andere fassbare
periodische Abläufe zählte, z. B. das Tropfen von Wasser von einem Gefäß in ein anderes.
Zu den zivilisatorischen Zeit- Marken, welche die Zeitmess-Geräte selbst darstellen:
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Wasseruhr China
Pendeluhr von Christian Huygens(Pendelschwinger)
Räderuhr(horizontaler
Federschwinger)
(1) Wasser- Uhr, Zeitpunkt 1094 v. d. Z.:
Ab etwa 1500 v. Z. gibt es Wasser-Uhren in den verschiedensten Formen: Von den ganz
schlichten Wassergefäßen bis hin zu der riesigen chinesischen Wasseruhr, welche im Jahre
1094 v. u. Z. von SU SONG gebaut wurde. Doch die Genauigkeit der Wasser-Uhren ist
nicht allzu groß: Sie gehen pro Tag etwa eine Viertelstunde falsch.
(2) Dann kommt eine geniale Erfindung in die Welt: Die Hemmung: Sie ist ein trickreicher
Mechanismus, um die gleichmäßige Drehung eines Rades zu stoppen. Dabei werden
das kontinuierlich angetriebene Rad in regelmäßigen Abständen kurz gestoppt und die
Umlauf- Perioden gezählt. Die mechanische Räder-Uhr ist geboren.
(3) Pendeluhr von CHRISTIAN HUYGENS 1673:
CHRISTIAN HUYGENS konstruierte eine Pendeluhr auf der Grundlage einer Idee von
GALILEO GALILEI, welche er noch wesentlich verbesserte. Mit jeder neuen Idee eines
pfiffigen Uhrmachers steigt die Genauigkeits-Kurve etwas weiter an.
(4) Harrison-Chronometer 1759:
Das Problem der Längengrad-Bestimmung - ein Kardinal- Problem für die
koordinatenmäßige Orientierung bei dem sich entwickelnden Welt- Schiffs-Verkehr -
kann, so glaubten Newton und andere Wissenschaftler, nur von einem Astronomen gelöst
werden, weil die Uhren nicht genau genug sind. Dies stimmt nicht, wie ein Tischler bewies,
welcher sich die Uhrmacher-Kunst selbst beigebracht hatte:
JOHN HARRISON baute die ersten Uhren, welche an Bord eines Schiffes pro Tag weniger
als eine Sekunde falsch gehen. Sein HARRISON-Chronometer No. 4 ging nach einer
Jamaika-Segelreise nur 5 Sekunden falsch. Damit gewinnt Harrison letztlich den von der
britischen Regierung ausgesetzten Preis von 20.000 Pfund (= 400.000 Goldmark).
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Präzisionsuhr von Clemens Riefler
Quarzuhr von Adolf Scheibe und Ulrich Adelsberger
erste Atomuhr von Harold Lyons (Ammoniak-Moleküluhr)
(5) Präzisions-Uhr von CLEMENS RIEFLER 1920
Sie gehört mit einer Abweichung von wenigen tausendstel Sekunden pro Tag zu den
besten mechanischen Uhren, welche jemals gebaut wurden. Nun ist das Prinzip der
mechanischen Uhren ausgereizt. Wie auf anderen Gebieten der Technik auch, bricht das
elektrische Zeit-Alter an.
(6) Quarz-Uhr von Adolf Scheibe und Ulrich Adelsberger 1932.
Die Quarzuhr wird geboren. Schwang das Pendel der Riefler-Uhr einmal pro Sekunde, so
schwingt ein Quarz-Piezo-Kristall 33.000- mal pro Sekunde. Diese wurde gebaut in der
Physikalisch-Technischen Reichsanstalt Berlin, der Vorgängerin der Physika-lisch-
Technischen Bundessanstalt Braunschweig(PTB). Quarzuhren gehen pro Tag nur etwa
200 Mikrosekunden (= 2* 10-6 s) falsch. Mit diesen Uhren gelingt es erstmals, die
Schwankungen der astronomischen Tageslänge nachzuweisen: Die Erd-Rotation liefert
kein genügend genaues Zeitmaß. Es werden erste Überlegungen angestellt, ob man nicht
die Definition der Sekunde verändern sollte.
(7) Erste Atom-Uhr von Harold Lyons am NBS, USA 1949
Währenddessen werden folgende Überlegungen angestellt: Die Nutzung noch schnellere
periodische Vorgänge, um die Zeit zu quanteln z. B. die Vorgänge im Innern von
Molekülen und Atomen. Lyons baut die erste Atomuhr der Welt. Genau genommen ist es
eine Ammoniak-Molekül-Uhr. Sie brachte jedoch nicht den erhofften Genauigkeits-
Gewinn, denn sie ist kaum besser als eine Quarz-Uhr.
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erste Cäsium- Uhr von Louis Essen und John Parry 1955
Atomuhren - Entwicklungin der Physikalisch-
Technischen VersuchsanstaltBraunschweig (PBT)
1969 bis 1992
Cäsium- Fontänenuhr der PTB 1999
erste Cäsium- Fontänenuhrdes Laboratoire Primaire du
Temps de Frequences (LPTF) in Paris 1994
(8) Erste Cäsium-Uhr von Louis Essen und John Parry 1955
LOUIS ESSEN UND JOHN PARRY vom englischen National Physical Laboratory (NPL) bauen
die weltweit erste funktionierende Cäsium- Atomuhr. Trotzdem wird die Sekunde
paradoxerweise noch einmal nach astronomischen Gegebenheiten definiert: Die
Ephemeriden-Zeit ist definitionsgemäß eine streng gleichförmig ablaufende Zeit
entsprechend den Gesetzen der Himmels-Mechanik. Man erhält sie aus einem
Vergleich der beobachteten scheinbaren Örter der Sonne und des Mondes mit den auf
Grund der Bewegungs-Gleichungen der Himmels- Mechanik berechneten Örtern, also
den Ephemeriden der Sonne und des Mondes.
1967 passt man dann die Definition der Basis-Einheit Sekunde der technischen Uhren-
Entwicklung an: Danach ist die Sekunde das 9.192.631.770-fache der Perioden-Dauer
des Grundzustandes von Atomen der dem 133Cs-Nuklid entsprechenden Strahlung.
Und das gilt bis heute.
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Grobschema einer Atomuhr
ELEKTROMAGNETISCESWECHSEL- FELD
EINKOPPELN
~ f0
Nachweis-Signal
Regel-Signal
Normalfrequenz (5 MHz)
(3)
(1)
(2)
(4)
(5)
(6)
fp = Frequenz des
elektromagnetischen
Wechsel- Feldes
f0 ist die abgestrahlte
Typus- Frequenz des Atoms
beim Übergang zwischen
zwei Energie- Zuständen im
Frequenz- Generator.
(9) 1969, 1986, 1988 und 1992 Atom-Uhren-Entwicklung der PTB
Erste Inbetriebnahmen einer Atom- Uhr in der PTB CS1 mit Verfeinerungen bis CS4.
Sie bekommen beim Vergleich mit den weltweit besten Uhren regelmäßig gute Noten
und tragen daher entscheidend zu Internationalen Atomzeitskala TAI bei.
(10) 1994: Im Laboratoire Primaire du Temps de Frequences (LPTF) in Paris wird die erste
Cäsium-Fontänen-Uhr (FO1) der Welt in Betrieb genommen.
(11) 1999: Die erste Cäsium-Fontänen-Uhr der PTB geht in Betrieb und bekam 2005
eine weiter entwickelte Uhr. Und die Optischen Atomuhren auf Laser-Basis - werden
noch genauer:
(12) 2012 entwickelten die Nobelpreis-Träger DAVID WINELAND vom US-amerikanischen
National Institute of Standards and Technology (NIST) und SERGE HAROCHE aus
Paris zusammen mit der Universität von Colorado eine Strontium-Gitter-Uhr, welche
sowohl die größte punktuelle Genauigkeit als auch die Gleichmäßigkeit im Dauer-
Betrieb besitzt. Die in der Uhr angeregten Strontium- Atome schwingen 430 Billionen
Mal in der Sekunde, wodurch ein Gang- Fehler von einer Sekunde Abweichung in 5
Milliarden Jahren erreicht wird.
ALTERNATIVEN zu den Atom- Uhren sind die
(13) Pulsar-Uhren: Es sind Zeitmess-Geräte, welche die Gamma- Strahlen- Signale eines
Neutronen-Sterns (Pulsars) nutzen. Für die Zeit- Messungen ist folgende
Eigenschaft der Pulsare von entscheidender Bedeutung: Pulsare besitzen eine hohe
Rotations-Stabilität, d.h. sie halten die Dauer einer Drehung um ihre Achse mit
extremer Genauigkeit ein. Für die Eichung der Mess-Ergebnisse der Signale
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verschiedener Pulsare mit Normierung und Abgleich mit den Atom- Uhren sind
noch umfangreiche Forschungs- Arbeiten notwendig, siehe
Detail- SPEKTRUM der emittierten GAMMA- STRAHLUNG(Tscherenkow- Impulse) eines MILLISEKUNDEN- PULSARS
HINTERGRUND
MAGIG = Major Atmospheric Gamma Imaging Cherenkov= energiereichste kosmische (Gamma-) Tscherenkow- Strahlung
MARKANTE PIKS gegenüber dem Strahlungs- Hintergrund► mit signifikanten HALBEN ROTATIONS- PERIODEN DES PULSARS
Ganze Rotations- Periode des Pulsars
Halbe Rotations- Periode des Pulsars
(14) Optische Quanten-Atom-Uhren: Diese funktionieren nach WINELANDS Prinzip:
Einzelne Magnesium- Ionen werden isoliert. Dann werden sie in einer tiefgekühlten
Vakuum-Kammer mit Hilfe von elektrischen Feldern fixiert und aufgereiht. Durch
gezielten Beschuß mittels Laser- Strahl wird bei einzelnen Ionen eine Überlagerung
von zwei unterschiedlichen Energie- Zuständen erreicht und registriert.
Durch einen schwachen Impuls wird der Zustand eines solcherart angeregten Ions
auf ein benachbartes Teilchen übertragen, ohne dass ein direkter Kontakt zwischen
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beiden besteht. Durch diese Verschränkung beider Ionen als Zwillings-Paar werden
erreicht: Eine Schwingungs- Messung an einzelnen Atomen, welche zu einer
Erhöhung der Schwingungs-Anzahl und einer weiterer Verkleinerung Zeitmess-
Gerätes führt. Nach diesem Prinzip unter Verwendung von Aluminium-Ionen will
PIET SCHMIDT vom QUEST - Institut (Center for Quantum Engineering and Space-
Time Forschung) der PTB eine Atom-Uhr bauen, welche in 14 Mrd. Jahren nur eine
Sekunde „falsch“ geht.
Literatur: Ztschr. << maßstäbe >> Magazin der PTB (2005) - Autorenkollektiv: Zeitgeschichten, S. 6 - 57;
Ztschr. << Der Spiegel >> 42/2012 - Hilmar Schmundt: Eine Sekunde seit dem Urknall
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