Fallvorstellung - Station 3 Nord vorne -
36 Jahre alte Patientin, verheiratet, 2 Kinder
• Erst-Vorstellung in der Neurologischen Poliklinik
• Tetraparese– proximal betont, symmetrisch– aufsteigend, schlaff
• obere Extremität: min. KG 3-4/5• untere Extremität: min. KG 2/5
• keine Sensibilitätsstörungen
Untersuchungsbefund
Gewicht 61 kg, Körpergröße 178 cmBody-Mass-Index 19
Cor, Pulmo, Abdomen mit unauffälligen Untersuchungsbefunden
Aufnahmelabor
• Kalium 1,6 mmol/l Phosphat 0,2 mmol/l
• CK 673 U/l
• MCV 79,4 fl, Eisen 45 µg/dl, Ferritin < 0,5 µg/dl
• fT4 10 pmol/l, TSH basal 9,45 mU/l
Aufnahmelabor
Normwerte für:• Blutbild• Gerinnungswerte• Retentionsparameter• Transaminasen, Cholestaseparameter• Eiweiß/Albumin, Eiweißelektrophorese, Immunglobuline• CRP, BSG• Serumosmolalität (286 mOsm/kg)• Urinstatus
Anamnese• seit 7 Monaten Diarrhoen
– Stuhlfrequenz 4 – 5 x/die– im Tagesverlauf an Häufigkeit zunehmend– nachts kein Stuhlgang
• allmählicher Beginn
• Gewichtsverlust von insgesamt 10 kg innerhalb der letzten 7 Monate
Anamnese• Stuhlcharakteristika: wässrig, kein Blut, kein Fett
• Keine begleitenden Schmerzen / • Krämpfe
• Kein Fieber oder andere Infektzeichen
• Keine Gelenkbeschwerden, keine Hautveränderungen
• Unabhängig von der Nahrungsaufnahme
• Unter Loperamideinnahme keine Besserung
Anamnese
• Keine Laxantieneinnahme
• Keine regelmäßige Medikamtenteneinnahme
• Kein Auslandsaufenthalt
• Keine abdominellen Voroperationen
• Keine Inkontinenzproblematik
Auswärtige Diagnostik• Gastro-/Koloskopie:
- chronische Antrumgastritis- unauffällige Duodenalschleimhaut ohne Entzündung- kein Anhalt für Sprue, Morbus Whipple, Amyloidose- typische Ileumschleimhaut ohne Entzündung oder lymphatische Hyperplasie
- unspezifische Entzündung der Dickdarmschleimhaut mäßigen Grades
• Laktulose-Atemtest: kein Hinweis auf Laktose-intoleranz
• Labordiagnostik: Gliadin-Antikörper negativ, Transglutaminase-Ak negativ
Diarrhoe• Stuhlfrequenz > dreimal/Tag oder
Stuhlgewicht > 200 g/Tag
• Chronisch: > vier Wochen Dauerpathophysiologisch:• osmotisch• sekretorisch• entzündlich• motilitätsstörungsbedingt • selbstinduziert
Osmotische Diarrhoe• Durch Übertritt osmotisch wirksamer Substanzen aus dem Dünndarm in
den Dickdarm, z.B.:� mangelhaft zersetzte und daher nicht vollständig resorbierte
Nahrungsbestandteile bei Pankreasinsuffizienz oder bakterieller Fehlbesiedelung des Dünndarms oder bei Dünndarmerkrankungen (Sprue, Morbus Whipple)
� beschleunigte Dünndarmpassage bei Hyperthyreose � Kurzdarmsyndrom
• Sistieren bei Nahrungskarenz (Fasten/Fastentest). • Die Elektrolytkonzentration im Stuhl ist gering (ca. 30 mval/l).
Sekretorische Diarrhoe• Durch fehlende Resorption von Elektrolyten oder fehlerhafte Sekretion von
Elektrolyten kommt es zur vermehrten Bindung von Wasser im Darmlumen, z.B. durch
� Darmreizende Laxantien� Toxine (beispielsweise Arsen, Pilzgifte, Koffein), � Medikamente (beispielsweise Theophyllin, Chinidin,
Colchicin, Thiazide, Furosemid) � Bakterientoxine � Nahrungsmittelallergene� Gallensäuren (Gallensäure-spill-over in das Kolon,
chologene Diarrhoe)
• Sekretorische Diarrhoe sistiert nicht bei Nahrungskarenz.
• Die Elektrolytkonzentration im Stuhl liegt sehr viel höher als bei der osmotischen Diarrhoe.
Fastentest
Fastentest für 3 Tage:
• Kein Sistieren der Diarrhoe
• keine Änderung von Stuhlgewicht und -volumen
���� Sekretorische Diarrhoe
Stuhlanalyse
• Gewicht: 1240 g/die bzw. 1350 ml/die
• Elektrolyte: ���������������, Natrium 43 mmol/l
• Zellzahl: Leukozyten +++, Erythrozyten +
• Pankreaselastase: 82 µg/g
�����������������������������������������
Ausschluß GI-Infektion• Mikrobiologische Stuhlanalyse:
Kein Nachweis von Salmonellen, Shigellen, Campylo-bacter, Yersinien
• Mikroskopisch kein Nachweis von Parasiten
• Mikrobiologische Analyse von Schleimhaut-biopsaten aus Ileum/Colon:– Enterotoxin bildende Bacillus fragilis 2 x positiv. – Kein Nachweis von Enterohämorrhagischen E. coli
�Therapieversuch mit Metronidazol über 7 Tage; kein Effekt
Ausschluß strukturelle Darmerkrankung
• Gastroskopie: makroskopisch: unauffälliger Befundhistologisch: geringradige chronische Antrumgastritis, keine Hinweise für Sprue oder M. Whipple, keine H.p.-Besiedelung, keine Dysplasien, keine Malignität.
• Koloskopie:makroskopisch: unauffälliger Befundhistologisch: diskretes Schleimhautödem und Zeichen der gesteigerten Sekretion, kein Hinweis für kollagene Colitis oder CED, keine infektiöse Colitis, keine Dysplasie, keine Malignität.
Sekretorische Diarrhoe
• Kein Sistieren unter Nahrungskarenz
• Stuhlvolumen > 1000 ml/Tag
• Wässrige, großvolumige Diarrhoe ohne Beimengung von Blut oder Schleim
• Erhöhte Stuhl-Elektrolyte:Kalium 236 mmol/l, Natrium 43 mmol/l
• „Faecal osmotic gap“ < 50 mOsm/kg
DD sekretorische Diarrhoe• Infektion / Bakterientoxine• Strukturelle Erkrankung• Nahrungsmittelallergene• Steatorrhoe (Fett inhibiert die Elektrolytresorption im
Colon)• Laxantien • Toxine (beispielsweise Arsen, Pilzgifte, Koffein) • Medikamente (z.B.Thiazide, Furosemid)• Gallensäuren (sekretagoge Wirkung)• villöses Adenom • neuroendokriner Tumor
Zusatzuntersuchungen
• Serotonin im Serum:57,7 µg/l (Norm: - 350 µg/l)
• 5-Hydroxyindolessigsäure im 24h-Urin:3,6 mg/24h (Norm: - 8 mg/24h)
• Dopamin im 24h-Urin:415 µg/24h (Norm: - 450 µg/24h)
ZusatzuntersuchungenGastrointestinale Hormone (Plasmakonzentrationen):
• VIP: 90 pM (Norm: < 6 pM)
• PP: 265 pM (Norm: < 60 pM)
• Gastrin: 10 pM (Norm: < 50 pM)
• Chromogranin A: 68 U/l (Norm: -18 U/l)
Bildgebung
NMR-Leber/-Pankreas:
• Pankreaskorpus: 3,5 x 2,6 cm große, ovalär konfigu-rierte, partiell solide Raumforderung; randständiges KM-Enhancement; keine lokoregionären Lymphknoten
• Leber: multiple, disseminiert in beiden Leberlappen lokalisierte Raumforderungen (5 mm – 18 mm)
� diffus hepatisch metastasiertes neuroendokrines KarzinomPrimarius im Bereich des Pankreasschwanzes;keine lymphogene oder ossäre Filialisierung
Spezielle Bildgebung
DOTATOC-PET-CT:
Deutlich erhöhte Somatostatinrezeptorexpression im Randbereich der Raumforderung im Pankreas sowie der multiplen Lebermetastasen
Kein Hinweis auf weitere Somatostatinrezeptor-exprimierende Tumormanifestationen außerhalb von Pankreas und Leber
Neuroendokrine Tumoren des Gastroentero-Pankreatischen Systems
Phänotypisch: GEP-NET sind Teil der disseminierten neuroendokrinen Zellen
Expression von bestimmten Proteinen wie Synaptophysin, neuronspezifische Enolase, Pankreatisches Polypeptid und Chromogranin-A
(Historisch: APUDome, Karzinoid)
Aufgrund morphologischer, biologischer Heterogenität; prognostischer Aspekte:
WHO-Klassifikation des Jahres 2000: 1a Hoch differenzierter neuroendokriner Tumor 1b Hoch differenziertes neuroendokrines Karzinom2 Niedrig differenziertes neuroendokrines Karzinom
+ Differenzierung nach Lokalisation (GEP-NET)+ morphologisch biologische Klassifikation:
Tumorgröße, Angioinvasion, proliferative Aktivität, funktionelle Aktivität
Neuroendokrine Tumoren des Pankreas
Zumeist hoch differenziert
> 50% funktionell aktiv (Insulin, Gastrin, vasoaktives intestinales Polypeptid, Glukagon)
Kriterien zur Erfassung der Prognose:-histopathologische Klassifizierung-Primärlokalisation, funktionelle Aktivität, Tumorgröße (>2cm), Angioinvasion, proliferative Aktivität (>2% Ki-67-positive Zellen),Mitoseindex, Metastasierung
VIPom
• sehr seltene, neuroendokrine Tumoren• Inzidenz: 1:10.000.000/Jahr• Sekretion von VIP und anderen pankreatischen
Polypeptiden (VIP > 75 pg/ml)• Hauptlokalisation: Pankreas
selten: Bronchialsystem, Kolon, ZNS, NNR• Pankreas-VIPom:
- solitäre Raumforderung, häufig > 3 cm- in 75% im Pankreasschwanz- 60 – 80% haben bei Erstdiagnose bereits metastasiert
VIPomPathophysiologie
• VIP = Polypeptid aus 28 Aminosäuren• Bindung an Rezeptoren intestinaler Epithelzellen
� Aktivierung der zellulären Adenylatzyklase� cAMP-Produktion �
• Sekretion von K+, Na+, Cl- und H2O:� sekretorische Diarrhoe, Hypokaliämie, Dehydra-tation, Gewichtsverlust
• Magensäuresekretion �� Hypochlorhydrie (75%)• Vasodilatation � Flush (20%)• Stimulation d. Knochenresorption � Hypercalcämie• Steigerung d. Glykogenolyse � Hyperglykämie
VIPomKlinik
• Erwachsene: Alter 30 – 50 JahreKinder: 2 – 4 Jahre
• VIPom-Syndrom Syn.: Verner-Morrison-Syndrom, WDHA-Syndrom
• Stuhlvolumen > 700 ml/Tag (in 70% > 3 Liter/Tag)• selten abdominelle Schmerzen• hohe Stuhlelektrolyte• erniedrigte „feacal osmotic gap“• Persistenz der Diarrhoe im Fastentest
VIPomTherapie
• Symptomatisch: Flüssigkeitssubstitution, Ausgleich von Elektrolytstörungen
• Octreotid (Somatostatinanalogon) � Abnahme der VIP-SekretionWirkmechanismus?
• z. B. 50 – 100 µg s.c. alle 8 h, ggf. Umstellung auf lang wirksame Präparate; Sandostatin-LAR™-Monatsdepot 20 mg
• Nebenwirkungen: Übelkeit, abdominelles Völlegefühl, Meteorismus, Fettmalabsorption, Glukoseintoleranz
Therapie
• Therapie mit Sandostatin 200 µg 3 x täglich s.c.
• Rückgang von Stuhlfrequenz (auf nur noch 1 x täglich)
• Normalisierung von Stuhlvolumen und -gewicht
• Normokaliämie (keine weitere Substitutionspflichtigkeit)
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