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Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur
Das Feature Die Tochter des Vaters der Konkreten Poesie Über Nora und Eugen Gomringer Von Sabine Fringes Produktion: DLF 2016 Redaktion: Tina Klopp/Ulrike Bajohr Erstsendung: Freitag, 23.12.2016 , 20:10-21:00 Uhr Regie: Fabian von Freier Sprecherin: Frauke Poolman
Alle Gedichte sind von Nora und Eugen Gomringer eingesprochen
Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig.
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Musik/ Atmo: Vogelgezwitscher
Nora :
Als ich mit meinem ersten richtigen Freund zusammengekommen bin, hat er mir
gesagt: weißt du da bei euch im Dorf, wir haben oft überlegt und nachgedacht, wer
ihr seid als Familie – und dann hat er mir gesagt: ihr wart wie die Kennedys von
Wurlitz. Da hab ich gedacht: das ist ja lustig. Ich habe mir ja immer Mühe gegeben
so intensiv und deckungsgleich zu allen zu passen und ähnlich den Dorfjungs und -
mädls zu sein. Und wir waren viel in den USA- und kamen zurück und die Leute
haben das alle wahrgenommen –und die Leute sagten, die Gomringers waren wieder
im Ausland. Irgendwie schnupperte man große Welt um uns. // Mein Vater fuhr dicke
Autos – und meine Mutter wirkte vielleicht sogar ein bisschen abgehoben, hat immer
so Spitze geraucht. Das einzige Bindeglied zur Dorfgemeinschaft war ja ich. Und
später mein Vater, weil der im Gartenbauverein war. Mein Vater ist ein richtiger
Landmann, wenn man ihn lässt, dann gräbt er im Garten und baut und buddelt und
gräbt–und dieser Ausgleich zu der fragilen Arbeit mit der Sprache – die bei ihm gar
nicht so fragil ist.
Mein Vater nimmt die Wörter wie Bausteine und setzt sie zueinander in Verhältnis.
Musik
Eugen B
Ping Pong
Ping Pong Ping
Pong Ping Pong
Ping Pong
Musik
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Eugen :
Vater der konkreten Poesie wird man erst dann richtig, wenn man weltweite
Verbindungen hat - über die Sprachen hinweg eine Poesie zu gründen, das war
eigentlich die Idee.
Ansage:
Die Tochter des Vaters der konkreten Poesie.
Eugen
Und Ping Pong ist sehr international – es gibt kaum Wörter, die international
verständlich sind.
Nora
Die Tochter des Vaters der Konkreten Poesie. - Das macht mich ganz offiziell zur
Schwester der Konkreten Poesie.
Eugen
Und Sie können jeden Saal betreten und hineinrufen – Ping und Sie können sicher
sein, die Leute sagen alle Pong.
Nora
Die Schwester der Konkreten Poesie zu sein ist Erbe, ist Bürde, ist schöne Würde
und macht eine seltsame Familienaufstellung nach Hellinger.
Ansage:
Über Eugen und Nora Gomringer
Ein Feature von Sabine Fringes
Erzählerin:
Ihre Gedichte sind in mehrere Sprachen übersetzt und stehen in den Schulbüchern.
Sie ist Meisterin des spoken word –
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Nora
Mamaundpapaundkindundkindschwesterundkinderbruderundkinderonkelundhoppeh
oppeundfallefalleindengrabenundgefressenvonrabenundangesabbertvomhundundme
erschweinundseinekurzenbeinchenverschwindenimschlundundgelbervogelimkäfigun
dnachbarundnachbarsfrauundputzeundputzesmannundmamasloverundpapasblonde
undpapasblondeshellesundmamastablettenundhundehitzeundnachbarskatzeundidyll
einderreihe
Erzählerin:
er gilt als der Erfinder der Konkreten Poesie.
Eugen
kein system im fehler
kein system mir fehle
keiner fehl im system
keim in systemfehler
sein kystem im fehler
ein fehkler im system
seine kehl im fyrsten
ein symfehler im sekt
kein symmet is fehler
sey festh kleinr mime
Erzählerin:
Ihre Dichtung will gehört – seine gesehen werden.
Beide leben sie in Oberfranken und leiten ein Kunsthaus.
Er in Rehau .
Atmo: Bamberg: Vögel zwitschern, Wasser fließt
Sie in Bamberg.
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Nora
Guck, ma, da gehen wir bei den Leuten vorbei und hören mal, was die sagen über
die Villa, und da kann ich immer checken, ob die vom Tourismusamt, das richtig
sagen und den Leuten richtig beibringen.
Atmo: Ach ja, das ist die Lore, die macht das super, die macht ganz oft...für uns.
Erzählerin:
Frühsommer in Bamberg. Schon am Morgen ziehen die ersten Touristen durch die Stadt.
Eine Etappe ist stets die Villa Concordia, auch Wasserschloss genannt. Ein Barockbau aus
dem 18. Jahrhundert. Ein kleiner Fähranleger bringt von hier aus die Besucher zum anderen
Ufer der Regnitz.
Atmo: Bamberg: Vögel zwitschern, Wasser fließt
Nora
Ja, und siehst du, da sind sechs Stipendiatenwohnungen, da ist das Büro. Insgesamt
haben wir vier Wohneinheiten in der Villa selbst, den großen Saal und unten die
Empfangsräume. Ab dem ersten Tageslicht ist die Villa in herrliches goldenes
zwiebackfarbenes Licht getaucht. Schön ja. ich freu mich, dass das Wetter so gut ist.
Das hat hier viel Idylle.
Atmo: Schritte, Vogelgezwitscher
Erzählerin:
Nora Gomringer, geboren 1980, wächst im oberfränkischen Dorf Wurlitz auf. 1995 zieht sie
nach Bamberg, studiert dort Anglistik und Germanistik, und übernimmt im Frühjahr 2010 die
Leitung des Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia.
Atmo: Wasser, Vogelgezwitscher
Nora
dududu. .. und nachts im Sommer schwimmen die Paare, hier im Fluss, und dann
sieht man nackte Menschen, die den Fluten entsteigen und den Weg zurück Hand in
Hand laufen. Wir haben richtige Adam- und -Eva-Momente. Und ich habe einen Text
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gemacht über den Irrsinn, über Bamberg im Sommer. Und dann hat man mich
gebeten, den Text schön fränkisch zu sprechen. Eigentlich ist das ja nicht mein
Idiom, aber sie ist mir schon im Ohr, sie hat auch was Putziges, ja, da ist so viel
Urkraft da drin, weil auch viele Menschen das sprechen.
Nora (Bamberger Irrsinn, aus der CD „Stimmen Bayerns“ von Trikont)
„So voller Schäufala, Weckla, Bierla. Bamberg zaubert. Die Leit san alle a weng
eigen und a wenig eradisch. Was von erodisch weit weg is. Außer man is in am
südländischen Szenario, wo a Fraa scho amol a weng a Furie sei derf ohne gleich a
Kripl genannt zu werden, in Bamberg is aber trotz der sieben Hügel nur im Sommer a
römisch katholische Stimmung.
Atmo: Vogelgezwitscher, Natur
Nora
Ja, das ist alles so ein bisschen Idylle, ne? (Schritte) Autorin: Wie man sich so ein
Poetenleben vorstellt! Nora: Lacht. Ja, genau. Also, ich bin schon beschenkt, dass
ich nicht in Berlin leben muss, ehrlich gesagt. Und ich halte es auch für ein, fast ein
Geheimrezept: willst du als Autor von der Kunst leben, musst du dahin gehen, wo
nicht alle so sind wie du. Und dann bist du zwar ein Exot und manchmal einsamer.
Aber...Autorin: Aber? Nora: Ja, so habe ich bisher überlebt. (Schritte) Weil ich auch
merke, als wir zwanzig waren, wir jungen Dichter, da haben ja alle das belächelt,
dass ich so verwurzelt bin mit Bamberg und in dieser kleinen Stadt studiere..(Tür
wird geöffnet)
Atmo: Treppenhaus (Schritte, Gemurmel)
Erzählerin:
Wie die Stipendiaten arbeitet Nora Gomringer nicht nur in der Villa, sie lebt dort auch. Die
Villa Concordia ist das einzige Künstlerhaus Bayerns, das komplett staatlich gefördert wird.
Jährlich vergibt es 12 Stipendien an Künstler aller Couleur: Musiker, Schriftsteller, bildende
Künstler aus Deutschland und einem weiteren Land.
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Nora
(Tür. Schritte) Und jetzt war die Entscheidung gar nicht schlecht, ich kann hier sehr
geradlinig konzentriert auf die Sache leben. Und sie hat wirtschaftlichen Ertrag, (Tür)
das ist wichtig.
Atmo: Treppenhaus (Schritte, Gemurmel)
Erzählerin:
Über einen herrschaftlichen Aufgang - die dreiteilige Treppe ist ein Vorläufer des berühmten
Treppenaufgangs der Würzburger Residenz - geht es in die Dienstwohnung der Dichterin
Nora
(Schritte) Hier ist immer ein bisschen was los. Hallo. Hallo.
Bitteschön, (schließt Tür) das ist richtig Backstage. Hier sind meine Laufschuhe. –Ich
hab auch so LED-Schuhe, guck, da leuchten die Sohlen. Total geil. Da kann man so
mit tapsen, mag ich ganz gerne.(Tür)
Erzählerin:
Bücherregale wachsen der prächtigen Stuckdecke entgegen – und Bücher lagern auch auf dem
Couchtisch, neben einem Totenkopf aus Strass. Nora legt ihr stummes, aber stets aktives
Handy mit der Hello-Kitty-Schutzhülle daneben und greift zu einem Stapel Papiere.
Nora/ Gespräch mit Assistenten:
„Das ist alles Steuer. Das ist alles Presse. Hm. Also hier drin... Ja, schön, ja. Hier,
es kam einer in Klagenfurt und hat die ganze Presse gesammelt. Vom Bachmann.
Mann: vom Bachmann Preis. Toll. Nora: und hier Gomringer, da Gomringer. Mann:
Lacht. Hier Gomringer, hier ein super Bild mit der Mama. (weiter unter Erzählerin)
Erzählerin:
Hier, in ihrem Wohnzimmer, trifft sich Nora Gomringer während der Mittagspause mit ihrem
Assistenten Helmut Reuschlein, der ihr bei der Buchhaltung und der Organisation ihrer
Lesungen und Vorträge hilft. Seit sie 2015 den Ingeborg-Bachmann-Preis gewann, ist die
Autorin gefragter denn je:
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Nora
Ich merke, ich funktioniere am besten unter Druck. Dann habe ich die Ideen, und
habe den Output, den ich akzeptiere und von dem ich sage, das bin ich. Ich muss
ganz ehrlich sagen, ich hab ganz viele Stipendien gehabt, wo ich nur lag und starrte.
Und klar, ich hab dann gelesen, ich hab viel Fernsehen geguckt, ich hab dann so
versucht, einen Alltag zu leben, ich hab dann gekocht. (lacht). Was ich in meinem
normalen Leben nie mache.
Und das ist auch so, dass dieses tägliche Arbeiten an der großen Sache, sprich
wirklich hier für andere Künstler zu sorgen und mir Gedanken darüber zu machen,
wie man Steuergelder sinnvoll einsetzt, für die Kunst, das informiert die andere, die
dichterische Arbeit sehr. ich glaube, mein Ton ist dadurch pragmatisch, klar,
menschenfreundlich. Ganz gut (lacht). Es gibt auch so, Gedichte, die aus diesem
speziellen Lexikon der Verwaltung schon entstanden sind. Haushaltsjahr und solche
Sachen.
Nora/Gedicht
(blättert, murmelt) Haushaltsjahr.
Am Ende sind wir bei Null,
im besten Falle beide,
in den Armen anderer sicher und warm,
deren Tücher getrocknet in den Stuben
beheizt mit den Hölzern fremder Wälder.
Was dann noch brennt,
wird übers neue Jahr verschwinden.
Um uns die Borke,
in uns die Käfer schleichen ein,
in unser Dach.
Damit wir einjährig abgehandelt. (Atmo)
Nora
Ich bin ziemlich anarchisch in meinem Privatleben glaub ich, ich leb wie ich mag. Das
ist auch manchmal ein umgekehrter Tages-Nacht-Rhythmus oder so, ja, obwohl ich
achte schon sehr drauf, dass ich gut schlafe. Und ich will meine Gesundheit auch
nicht in Gefahr bringen, ich bin sehr konzentriert darauf, meine ganzen vielen
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Aufträge durchzukriegen und Auftrag heißt für mich auch, Schreibeauftrag. (...) Ich
plane das immer nach langen Zugfahrten, je nachdem, wenn ich weiß, oh, da bin ich
länger unterwegs, da hab ich mal ne Strecke von vier Stunden, da kann ich drei, vier
Texte schreiben in der Zeit, und dann bearbeitet die meine Assistentin oder auch
meine Lektorin, je nachdem, und dann kommen die schon raus, ne?
Musik
Nora/Gedicht
Du baust einen Tisch
Tisch unter den du dann Füße streckst
Tisch für den du Bretter über die Kreuzung trägst
Du baust für sie
Und dich einen Tisch
Einen Tisch für zwei unter den sich
Vier Füße strecken können
Einen Tisch an dem du sitzt mit ihr
Ich habe dich Bretter über eine Kreuzung tragen sehen
Bretter für einen Tisch
Den du baust mit ihr
Für ihre Füße zum Darunterstrecken
Tisch für vier Ellbogen
Vier Füße
Vier Unterarme
Zwei Töpfe
Einen Tisch für euch zwei
Für den schleppst du Bretter über eine Kreuzung
An der ich stehe mit meinem Auto
Erzählerin:
Nora ist 19, als ihr erster Lyrikband herauskommt und sie beginnt, mit ihren Gedichten auf
Tour zu gehen. Als Studentin ist sie im Poetry-Slam aktiv und etabliert zusammen mit
anderen Slammern eine Poetry-Bühne in Bamberg: Der „Morph-Club“ macht aus Bamberg
„Slamberg“. Inzwischen ist sie der Szene entwachsen, pflegt aber weiterhin einen expressiven
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Vortragsstil. Spoken word nennt sich das Genre, in dem sich Nora Gomringer bewegt, Lyrik,
die nah am Leben ist und gesprochen werden will.
Einen Tisch baust du
Tisch für sie und Tisch für dich
Einen Scheißtisch für euch zwei
Unter den ihr eure Füße streckt
Entgegenstreckt
Euch entgegenstreckt
Tisch unter und an dem alles gesagt ist
So einen Tisch einen Tisch für zwei
Für den Bretter über eine Kreuzung geschleppt werden
An mir vorbei
Baust du einen Tisch
Unter dem ich jedem auf die Zehen trete
Einen Tisch an dem ich kein Gespräch mehr bin
So einen Tisch baust du für sie
So lange sie ihre Füße unter ihn streckt
Isst sie,
was du auf den Tisch bringst
den du baust
dessen Bretter du schleppst
an mir vorbei
im Scheinwerfer
gingst du vorbei mit Brettern für einen Tisch
ich wünschte
du bautest einen für...
Nora
Ich kann im wahrsten Sinne nicht formulierend denken, also nichts schreiben, wenn
ich nicht sprechen kann. Wenn ich also eine Stimmkrankheit habe oder so ne
Laryngitis oder so, kann ich nicht denken, dann brauche ich gar nicht anfangen zu
schreiben. Dann sagen immer alle, ah, das ist auch mal gut, da biste mal krank und
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liegst im Bett und kannst arbeiten. Aber wenn ich das Pech habe und was im Hals
habe, kann ich auch nicht denken.
Musik
Nora
Mein Vater ist ein sehr guter Sprecher und meine Mutter ist eine sehr einfühlende
Sprechende, und ich hab davon viel mitgenommen und auch meine Vorstellung von
schauspielerischer Kraft und Dramatik hat sich eher so durch das Abgleichen und
das Beobachten anderer Schauspieler für mich ergeben.
Nora/Gedicht Heimat
Du schluckst die Heimat wie einen Stein,
der dich gerundet, so dass kein Wanken dir den Weg verrenkt.
Der Gründerstein senkt sich im Inneren
Bis sich die Erde erinnert und ihn heimwärts lenkt.
Atmo: Bamberg: Vogelgezwitscher, Wasser
Nora
Mit zwei Jahren bin ich nach Wurlitz nach Oberfranken mit meiner Mutter gezogen,
mein Vater hat meine Mutter dann auch geheiratet als ich zwei war, und ab da fing
mein Landkindleben an.
Nora /Gedicht
Taschendorf
Wo man ein Leben
Lang wohnt,
schon vor der Geburt
ein Leben lang
da gibt man allem
einen Namen.
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Nora
Wo ich bin ist nicht mein Thema. Bamberg ist gar nicht so tief in mir drin, ich bin das
Dorfkind, in Wurlitz bei Rehau bei Hof, da gibt es Gedichte über das Landleben. Da
hab ich 16 Jahre gelebt und dann habe ich darüber geschrieben, als ich zwei, drei
Jahre da weg war. Von daher es gibt halt eine Verarbeitungszeit auch von
Eindrücken.
Ich habe Dorf als Ort erlebt wo viele Menschen auf ihre Weise existieren dürfen. Ich
kenne aber auch viele Menschen, die extrem gefangen waren und sich befreien
mussten. Für mich war Dorf ein Ort, an dem ich sehr exzentrisch sein durfte. Weil wir
so angefangen haben.
Nora /Gedicht Fortsetzung
..da gibt man allem
einen Namen.
Der Stein heißt Grauer,
der Baum Versteck
der Bach Säusler und
jeder Hund Rex.
Und wenn man
Fortzieht von allem,
was Namen trägt,
hat man
sein Dorf in den Taschen.
Atmo: Vogelgezwitscher, Flugzeug
Ja, das sind so meine Dorfweisheiten.
Atmo hoch
Nora
Was macht ein Professor auf dem Dorf. Das war ja auch immer komisch. Wir waren
seltsam für die Leute. Merke ich auch jetzt noch. Aber meine Mamma und ich
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wurden gut aufgenommen. Weil das war `ne junge Frau mit nem Kind. Und mein
Vater ist in den Gartenbauverein gegangen. Der sagte: Das gehört dazu, ich wohne
hier, ich hab auch einen Garten. So sind meine Eltern, die sind sehr pragmatisch und
eigentlich immer klar in diesen Handlungsschritten. Das fand ich gut. Wir Gomringers
sind immer so ein bisschen die Exoten, wo wir auftauchen. Vielleicht ist exotisch
sein, die große Freiheit, die man sich bewahren muss wenn man wohin zieht, dann
wird die Provinz nicht zu eng und die große Stadt nicht zu weit.
Musik
Nora/Gedicht
Mamaundpapaundkindundkindschwesterundkinderbruderundkinderonkelundhoppeh
oppeundfallefalleindengrabenundgefressenvonrabenundangesabbertvomhundundme
erschweinundseinekurzenbeinchenverschwindenimschlundundgelbervogelimkäfigun
dnachbarundnachbarsfrauundputzeundputzesmannundmamasloverundpapasblonde
undpapasblondeshellesundmamastablettenundhundehitzeundnachbarskatzeundidyll
einderreihe
Musik
30 Atmo Ankunft:
Kirchenglocken, ein Lachen von Nora, Sprachfetzen Gomringers klingen auf:
„Auffassung von Konkretem, das sagt einer der ganz in Weite... konstruktivem
Denken vorhanden ist, ganz anderen Sinn hat...Also das ist wieder ein Künstler, der
verlangt, dass man sich für eine Struktur hinstellt, einen
Wahrnehmungsgegenstand...“
Gemurmel von Nora, Auto fährt vorbei...
Erzählerin:
Nora besucht ihre Eltern in Rehau, einer kleinen oberfränkischen Stadt nahe der
tschechischen Grenze.
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Seit 2000 wohnen Eugen und seine Frau Nortrud gegenüber der Kirche in dem ehemaligen
Schulhaus, das der damalige Rehauer Bürgermeister Edgar Pöpel zum Kunsthaus umbauen
ließ. Hier leitet Eugen Gomringer das Institut für Konstruktive Kunst und Konkrete Poesie.
Atmo: Ausstellungsbesucher
Erzählerin:
Ein mächtiger Kubus aus zwölf Balken steht im Skulpturengarten vor dem Kunsthaus mitten
in der Altstadt von Rehau. Entworfen hat ihn der Bildhauer und Architekt Max Bill,
Mitbegründer der Hochschule für Gestaltung Ulm. Bei ihm arbeitete Eugen Gomringer in den
50er Jahren als Assistent.
Eugen/ Gedicht
Einander zudrehen und aufeinander einstellen / ineinander greifen und einander
mitteilen / Miteinander drehen und voneinander lösen / Auseinanderkreisen und
einander zudrehen / Aufeinander einstellen und ineinander greifen / Einander
mitteilen und miteinander drehen / voneinander lösen und auseinander kreisen/
Einander zudrehen/.
Erzählerin:
Je nach Tageslicht umspielen Schatten den Würfel. Sie sind Bestandteil der Skulptur, Symbol
für die Erde. - Begeistert von dieser Kunst, die mit minimalen Mitteln eine große Weite und
Symbolkraft erschafft, entwickelt Eugen Gomringer in den 50er Jahren eine Gedichtform: die
Konkrete Poesie.
Musik endet/Atmo: Ausstellung
Erzählerin:
An die 30 Männer und Frauen stehen an diesem sonnigen Sonntagmorgen im
Skulpturengarten. – Auf Noras Initiative ist der Rotary Club aus Bamberg zu Besuch. Nora
ist Rotarierin, wie ihr Vater, Eugen Gomringer, auch.
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Eugen
Und jetzt, muss ich aber doch noch ganz kurz, weil wir alle schön beisammen sind,
erklären, (Auto fährt leise vorbei) wie ich überhaupt hierher gekommen bin, ich
glaube das ist nicht unwichtig: Philipp Rosenthal hat mich im Jahr 1967 entdeckt, und
hat gesagt: so einen wie Sie könnten wir brauchen im Rosenthal-Konzern. Nach
kurzer Überlegung bin ich also nach Selb, ins Porzellangebiet, und bin dann
Kulturbeauftragter des Konzerns geworden, eine wunderschöne Stellung. Ich hatte
nur den Auftrag, hundert Künstler für Rosenthal zu gewinnen, also hinzureisen, mit
ihnen zu sprechen und ihnen zu sagen: komm doch, hier kannst du etwas
entwickeln. Und ich habe dann versucht, hundert Künstler zu gewinnen, fünfzig
konnte ich gewinnen, darunter Henry Moore.
Erzählerin:
...und Andy Warhol, Otto Pine, Friedensreich Hundertwasser und Victor Vasarely - mit ihnen
werden die Künstlereditionen des Porzellanherstellers weltberühmt.
Eugen
Das als kurze Begründung, warum ich also hier bin und ich fühle mich eigentlich
ganz wohl, Rehau ist ein sehr guter Ausgangspunkt, man ist eine halbe Stunde von
hier gar nicht weit, Selb und über die Grenze.....So, das war meine kurze Einführung
…Darf ich Sie bitten, mit meiner Frau ins Poema... Nora: vielleicht alle Frauen. Erst
die Frauen...
Atmo weiter, darüber:
Erzählerin:
Der Familienbetrieb Gomringer läuft. Während Eugen die Männer durch die Ausstellung im
Kunsthaus führt, begleitet seine Frau die weibliche Besucherschaft ins „Poema“, einen
Pavillon, in dem die wichtigsten Arbeiten Eugen Gomringers versammelt sind.
Poema – das spanische Wort für Gedicht - erinnert an seine Herkunft: Er wurde 1925 in
Bolivien als Kind einer Bolivianerin und eines Schweizer Kaufmanns geboren. Gomringer,
der oberfränkische Weltbürger, ist Schweizer.
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Atmo Schritte, Vogelgezwitscher
Nortrud
Wir wollten nicht poem machen oder Gedicht wäre zu lang gewesen, Poema ist
eigentlich schön (Lachen, Atmo, Menschengemurmel, Schritte) Hier passt immer gut
eine Schulklasse rein, das ist immer praktisch.
So, hier sehen sie also die urkonkreten Dinge, sozusagen ein heiliger Raum, und da
sehen sie eben die Formen, die man benutzen kann in der Konkreten Poesie. Das
erste Buch der Konkreten Poesie von 1953- weshalb der Eugen Gomringer auch
Vater der Konkreten Poesie heißt- ist das hier....(als Atmo weiter)
Erzählerin:
Noras Mutter ist studierte Germanistin und hat über die Konkrete Poesie von Eugen
Gomringer promoviert. Bei dieser Arbeit lernte sie ihren späteren Mann kennen, der Ende der
70er Jahre eine Professur für Theorie der Ästhetik in Düsseldorf innehatte.
Nortrud
Und eine besondere Machart der Konkreten Poesie ist die Permutation, dass man
Worte verändert und umstellt und manchmal ergibt sich auch eine semantische
Bedeutung, manchmal auch nicht und es ist interessant, was dabei rauskommt. Und
so ist der Satz: Kein Fehler im System (alle: hmhm),
Der ist mit dem ersten Computer, der ja so groß war wie ein Wohnzimmer, gedruckt
worden und das ist ein kilometerlanger Text, der ist in einer Box drin, also ewig lang.
Und der Fehler ergibt sich dadurch, dass das F im „Fehler“ immer eine Stelle weiter
im Text wandert. Dann stellenweise sehr schwierig zu lesen. Und irgendwann kommt
er an seinen Ursprung zurück. Und das heißt aber auch: das ist das Gedicht: Eine
Methode wird durchgespielt, damit ist dieses Gedicht fertig. ...
Eugen/ Gedicht
kein fehler im system
kein efhler im system
kein ehfler im system
kein ehlfer im system
kein ehlefr im system
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kein ehlerf im system
kein ehleri fm system
kein ehleri mf system
kein ehleri ms fystem
kein ehleri ms yfstem
Erzählerin:
Alle 17 Buchstaben wandern durch die vier Wörter “kein Fehler im System“ , danach rücken
die Wörter systematisch um eine Stelle nach – das geht lange. - So lange, bis alles wieder an
seinem Platz ist. …So weit ist der Weg des Fehlers, sich selbst zu beheben.
kein ehleri ms ysftem
kein ehleri ms ystfem
kein ehleri ms ystefm
kein ehleri ms ystemf
fkei nehler im system
kfei nehler im system
kefi nehler im system
keif nehler im system
kein fehler im system
Fortsetzung: Nortrud
Dieses Gedicht haben sich Banken in der Schweiz für ihren Geschäftsbericht
ausgedruckt. (lachen, süß, ne?) Entweder schluckt ein System einen Fehler - ohne
dass man das merkt oder aber es produziert selber Fehler, auch ohne dass man das
merkt. Frau: Aber beruhigend, dass es sich dann wieder auflöst. Wenn man lange
genug wartet. (lachen) Am Ende ist alles gut.
Erzählerin:
Mit der Konkreten Poesie ist Gomringer in den 50er Jahren etwas geglückt, das nur wenigen
Dichtern beschieden ist: Die Entwicklung einer neuen Poesie. Einer Poesie, die mit wenigen
Buchstaben, Worten oder kurzen Sätzen arbeitet. Durch Anordnung oder Umgruppierung der
einzelnen Elemente ergeben sich Bezüge und Bedeutungen.
Konstellationen nennt Eugen Gomringer seine Schöpfungen.
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Ein anderes Beispiel: Die Konstellation Vokale: senkrecht übereinander stehen die Vokale U
A E O.
Von einem I gleichsam aufgespießt, sehen sie aus wie ein chinesisches Zeichen:
Nortrud
Das ist auch chinesisch, das würde Berg heißen, und das Mitte –Land. Und das i ist
die durchgehende Linie. Und die Nora war so wahnsinnig und wollte sich das mal
tätowieren lassen. Leute: uuuuh!!! Lachen. Frau: das ist konkret. Nora: Ich habe es
mal gesehen bei einem jungen Mann, der sich das komplett auf die Wirbelsäule hat
drucken lassen. Und ich hätte es gerne hier, da sagt die Psychiaterin: Bist du
verrückt, dir den Vater dir auf die Haut zu tätowieren? (deftiges Lachen) Nortrud: Da
bin ich ganz zuversichtlich, weil die Nora schmerzempfindlich ist. (lachen)–// Aber
eines der ersten konkreten Gedichte war Ping Pong. Und das war natürlich ein
Schock, wenn jemand hingeht und sagt: ping Pong, ping pong ping, Ping pong - ist
ein Gedicht. Da können sie sich vorstellen, in den 50er Jahren sagen die Leute, das
ist verrückt. Nora: Das sagen die heute noch. (lachen) Nortrud: Ja genau. Und dieses
Ping Pong hat große Verbreitung gefunden. Und Kinder in der Schule lieben das
sehr, die machen daraus CDU, SPD oder stark – schwach, so gegensätzliche Worte.
Wie man überhaupt sagen muss, dass die Konkrete Poesie sehr anregt zum
Nachmachen, das lieben die Schüler sehr.
Atmo Poema Geraschel/ Stimmengemurmel/ Applaus
Besucherin: Ganz lieben Dank, sehr beeindruckend, wie sie das berichten. Da weiß
man erst was Konkrete Poesie ist, da hat man keine Vorstellung. (weiters Gemurmel-
ebbt ab) Schritte, Besucherstimmen: Das kann man sich gar nicht vorstellen, dass
die beiden sich in die Ecke setzen und nichts tun, wenn beide sich so geistig
bewegen.
Eugen/Gedicht
Einander zudrehen und aufeinander einstellen / ineinander greifen und einander
mitteilen / Miteinander drehen und voneinander lösen / Auseinanderkreisen und
einander zudrehen / Aufeinander einstellen und ineinander greifen / Einander
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mitteilen und miteinander drehen / voneinander lösen und auseinander kreisen/
Einander zudrehen/.
Musik
Eugen/ Nora/ Nortrud (Nortrud abgekürzt als O):
Nora: Hier zu Eurem Hochzeitstag habe ich auf Facebook gesetzt: Heute, vor 34
Jahren heiratete Eugen Gomringer die Germanistin Nortrud Klein, geborene
Ottenhausen. Zur Feier des Tages: das schönste Bildgedicht von Gerhard Rühm,
das ich kenne: (weiter als Atmo) das ist dieses DU-Bild, kannst Du dich? Eugen aus
off: Ach, so, das ist schön.
Erzählerin:
Obgleich Rehau nur eine Fahrstunde von Bamberg entfernt ist, sieht sich die Familie eher
selten. Außer Weihnachten sind es meist berufliche Anlässe, die sie zusammenführt.
Wie Nora leben auch die Eltern im Kunsthaus.
Nora/Eugen/Nortrud:
... E: Also du hast das gemacht? O: zu spät. N: Das ist die Nachricht, die ich quasi
angeschlagen habe auf das große Brett bei Facebook. Nä. Man ist wie ein Herold
unterwegs bei Facebook, man reitet mit dem Pferd herein in die Arena und sagt: (mit
verstellter Stimme) Hört, Ihr Leute, meine Eltern haben vor 34 Jahren geheiratet, hier
ist ein schönes Bild dazu! ...Und Herr X hat sogar geschrieben: "auf einen schönen
Hochzeitstag" Ausrufezeichen. (Geschmunzel im Raum) . Nora: schön, oder? Ich find
das gut. (Skepsis im Raum) .Eugen: Ja, macht mal eure Geschäfte. Nortrud aus
off: du bist in jedem Fall ein analoger Mensch. E aus off: ich bin analog, ja.
Erzählerin:
Bücher tapezieren die Wand des Wohnzimmers, in dem alte Ledermöbel im Bauhaus-Stil
Platz für mehr als ein Dutzend Besucher bieten. Im Esszimmer hängen Gemälde und
Zeichnungen befreundeter Künstler. Und eine Uhr mit Vogelbildchen zwitschert in zwölf
verschiedenen Gesängen die Stunde.
Atmo: Uhr zwitschert
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Erzählerin:
Nora kümmert sich nicht nur auf ihrer Facebook-Seite um das sprachliche Erbe ihres Vaters.
Sie dreht auch Filme über ihn und die Konkrete Poesie. Auch Stefan, einer ihrer sieben
Halbbrüder, ist eingebunden in die Arbeit des Kunsthauses in Rehau.
Musik
Nora
Wir alle sind mit dem schönen nominalen Erbe aufgewachsen, verwandt zu sein mit
dieser Textgattung, fast schon Genre, eigentlich. Und ich wünschte, das würde
weiter so genial erfasst werden wie es war und ist, zeitlos genial. Autorin: Was ist
das Geniale daran?
Nora: Dass es einen über dieses Sprachmaterial nachdenken lässt, dass es sehr
humorvoll ist und welthaltig. Also in so einer einfachen Konstellation ist viel Welt
vorhanden, die der andere und lyrisch arbeitende Dichter erst evozieren oder durch
Gestus herausrufen muss. Da ist das in der konkreten Poesie schon direkt benannt:
Baum Kind Hund Haus – das ist doch alles, was wir Menschen kennen und was jeder
im wahrsten Sinne als Welt begreift.
Eugen/ Gedicht
baum / baum kind / kind / kind hund / hund /
hund haus / haus / haus baum / baum kind hund haus.
Nora
Mein Vater, der ist ein Konstrukteur und Erbauer und nimmt die Sprache oder die
Sprachbestandteile wie Bausteine – und ich komme vom Hören, komme stärker vom
akustischen Eindruck der Sprache und nehme sie daher eher wie etwas
Transzendiertes war. Und arbeite eher mit ihr im Kopf wie mit Gesang und eben
Stimme./
Nora /Gedicht
Haus
Auffahrt Eingang Flur
Zimmer Zimmer Zimmer
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Küche Bad Zimmer Treppe
Zimmer oben Zimmer oben
Bad oben
Treppe
Dachboden Kisten
Geheimnis!
Stille!
Schiefes Bild an der Wand
Endspiel
Im Keller
andere
wartend.
Eugen / Nora / Nortrud
Autorin: und die Nora, wann war jetzt das erste Gedicht von der Nora? E: Das kann
ich nicht sagen. (etwas aus off) ich weiß nicht (durcheinander). Das kann vielleicht -
(aus off: O: Das war sehr früh. Nora war in der vierten Klasse, glaube ich) E (leise):
Ach, so viel alt? ja? O: Da kam der Schulrat zu mir, (E: aha) ich war ja in einer
anderen Schule als Nora, und dann sagt er - ja sagen sie mal, wieso hängen denn
Gedichte von Ihnen in Rehau in der Schule. E: aha. O: Wie sag ich, Gedichte von
mir, ich hab noch nie ein Gedicht geschrieben (lacht). Ja, sagt er, das verstehe ich
nicht, da hängen Gedichte im Flur. E: Das hab ich nicht mitbekommen, das - O: Das
fing also alles in der Schule hingen die Texte aus (E: ja.) Das hat mit ner Tanne zu
tun, dunkler Tanne. Ich war dann ganz überrascht, ich bin dann auch hingefahren
und hab mir das angeguckt, und hab gedacht, ja, hört sich eigentlich gut an, ist sehr
verwandt mit konkreter Poesie. lacht. E: Diesen Moment habe ich nicht gesehen.
Also vielleicht hat man drüber gesprochen, aber. O: Doch, das war ja auch die Zeit,
wo du andauernd auf Reisen warst, ne? E. ja. O: da gehen einem schon mal so
Entwicklungsmomente der eigenen Kinder. E: Ja. Hm.
Musik
Nora /Gedicht
Wie der große G nach I
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Runterfahren und die Füße in R. und V. wandern
Lassen. Dabei aber viel
An den Leib denken und sich
Sehnen. Klagend Lieder singen
Von noch Unerfülltem.
Ich komme nach.
Nora
Ich glaube dadurch, dass mein Vater so ein ausgeprägt, eine männliche Version
dieses Dichterlebens gelebt hat, die bestand im Reisen, die Art Lebensversion, die
ich jetzt auch lebe: ich lebe quasi reisend! Und ich hab es als ganz leisen Wunsch in
mir gehabt, mit dem Schreiben leben zu können und vom Schreiben leben zu dürfen.
(lacht) Finanziell und wirtschaftlich. Ja.
Musik
Autorin/ Eugen/ Nora/ Nortrud
Autorin: Was hat dich in der Kindheit inspiriert, selbst zu dichten?
N: Meine Mutter! Und vor allem auch die Lektüre, die meine Mutter mir so vorgelegt
hat. Ich hab ganz viel so Märchen vorgelesen bekommen, und ich hab viele Gedichte
gelesen und ich weiß, was die erste Lektüre war, an die ich mich so bewusst
erinnern kann, das sind zwei Gedichte, und zwar das Gedicht „Janusz Korczak und
die Kinder“ und Ladislaus „Komm Kaninchen“. Also beides Gedichte, die mit Krieg zu
tun haben, und beide sehr gereimte Texte, balladesk und unheimlich bewegend.
//Und ich weiß, ich hab die stundenlang vor mich hingesagt, und dann eben auch mit
dir angefangen zu reden, was das bedeutet, also mit der Mama dann Gespräche
über den Krieg und die mir bis dahin ja auch chiffrierte Sprachsituation geführt, und
dadurch wusste ich ziemlich früh, was so passiert. und ich war dann mit 11 Jahren in
Auschwitz gestanden, da hast du mich (dann hingestellt, vor die Haarvitrinen, und die
Zähne und die Brillengestelle (Mutter: Brillengestelle) und ich weiß gar nicht, ob du
mal drüber nachgedacht hast, ob's vielleicht zu früh war?! Nee. Nä. Nortrud: nee, hab
ich nicht drüber nachgedacht, ich finde da gibt es gar keinen richtigen Zeitpunkt.
Eugen: Hmhm. Nora: Ja, insofern kann ich nur sagen,- mir hat Lyrik immer auch eine
Stellvertreterposition in der Welt bedeutet und zwar für die für das "echte"
23
Warnehmen. Also ich hab einfach Lyrik auch um mich und an mir geführt und
gehabt, immer so mit kleinen Reclam-Heften, um auch so eine Art Schutzsituation
auch gegen die Welt zu haben, wie Bannsprüche waren mir manche Gedichte und
ich hab ja dann viel auswendig gelernt, mit dir auch. Nortrud: mich hat's gerettet in
vielen Situationen, die Literatur. N: Das kann ich genauso. O: Dass ich mich, ja, ich
konnte mich ausklinken aus der Realität und hab Trost und Hilfe gehabt, in der
Literatur.
Autorin: War das bei Ihnen auch so? Eugen: Nein. Völlig anders. O: Lacht. E: Ich
hab immer in der Realität gelebt, ich hab es nicht gern, wenn man abschweift und
Illusionen hat, dann frage ich nach. Nein, ich hab eigentlich gelebt nach meiner
eigenen Vitalität und ich hatte sehr gute Großeltern, ganz auch Realisten, so richtig
nach Zürcher Art. Den konnte man nicht viel bringen, die haben auch gefragt, was ist
denn das? Ich bin eigentlich in einer ganz normalen bürgerlichen Familie
aufgewachsen mit den Großeltern.. Meine ersten Gedichte, die waren sehr traurig,
meistens, Herbstgedichte, vor allem sentimentale Gedichte, traurig muss mein Blick
sich wenden usw. so in diesem Stil. Und kam mir selbst wie ein vertrocknetes Blatt
vor im Herbst. Das sich so zusammenzieht. Ich hab das mitgespürt, dass die Blätter
so sich verknistern usw. - Die kamen alles in den Tagesanzeiger. Ich hatte früh
Kontakt. Und das ich hab immer noch das Gefühl, dass starke Naturen, wenn sie mit
der Natur leben, naturerfahren sind, ach, der Baum, der wird ja schon wieder gelb.
Das macht traurig.
Erzählerin:
Der junge Eugen Gomringer schickt seine Sonette an Hermann Hesse, der die Verse lobt.
Doch dann, 1944 in Zürich, entdeckt Gomringer in einer Ausstellung die Konkrete Kunst.
Eugen
Ich habe Bilder gesehen, die waren, bestanden aus ganz einfachen Zeichen, aus
Geometrie, geometrischen Formen usw, und habe gedacht, (...) kann man das nicht
auch mit Worte machen?
Eugen /Gedichtg
Hängen und schwingend hängen und schwingend hängen und wachsen.
Und schwingend hängen und hinunterwachsen und schwingend hängen und
hinunterwachsen
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Und den Boden berühren.
und den Boden berühren und darüber den Weg suchen und schwingend hängen und
hinunterwachsen Und darüber den Weg suchen und darüber den Weg suchen und
keine Stelle finden. Und schwingend wachsen und den Boden berühren und darüber
den Weg suchen und keine Stelle finden. Und wachsen und schwingend wachsen
und den Boden berühren und darüber den Weg suchen und keine Stelle finden...//.
Nachwuchs treiben. Und hängen und schwingend wachsen und hinaufwachsen und
den Nachwuchs treiben und schwingend hängen.
Eugen über Gedicht oben
...Das ist ein trauriger Vorgang von einer Pflanze, die unten nicht ankommt, aber sie
schwingt dauernd, das „Schwingend hängen“ ist das Positive, das Optimistische an
dieser Pflanze, das Immer Schwingende, und „schwingend hängen“ heißt’ s am
Schluss, nicht?
Erzählerin:
Anstelle von Versen beginnt Eugen Gomringer in den fünfziger Jahren an seinen
Konstellationen zu arbeiten. Manche von ihnen, wie „das schwarze Geheimnis“ oder
„Schweigen“ gehören längst zum Kanon deutscher Gedichte.
Eugen:
Das kann man nicht sprechen. Das haben Schauspielerinnen gesprochen,
Schweigen, schweigen, schweigen … 14 mal schweigen … schweigen …
Erzählerin:
Und dann gibt es noch:
Eugen
Ah, das da (blättert, lacht und trägt vor):
Ping Pong
Ping Pong Ping
Pong Ping Pong
Ping Pong
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Man kann auch sagen, ja – nein, yang- ying. Diese Formen gibt es schon. Und Ping
pong ist sehr international. Es gibt kaum Wörter, die international verständlich sind.
Ping - i- ist ein männlicher Vokal, o ist ein weiblicher Vokal, runde Form schon, das
andere männliche Form. Also gegensätzliche Vokale, aber eingehüllt in gleiche
Konsonanten. Und sie können jeden Saal betreten und hineinrufen –Ping und sie
können sicher sein, die Leute sagen Pong. /Also so versteht sich das gut./ Das ist für
mich die internationale Begegnung mit zwei Wörtern./
Autorin: Dann könnte man doch auch sagen, die Konkrete Poesie - so wie Sie sie
betreiben - ist Reduzierung der Welt auf ganz wenige Wörter, die Sie wie Archetypen
dann verwenden.- Eugen: Bestimmt. Ganz genau. Das hab ich schon bei Meister
Eckhart wiedergefunden, nicht? Er hat mit Gott gekämpft und das Sein. Ist Gott das
Sein - ist das Sein Gott? Dieser große Kampf. Also diese ganzen Fragestellungen
um Gott und das Sein, das ist wie ping pong, nicht? Sind einfache Grundwörter.
Musik
Eugen /Gedicht
Alles ruht / Einzelnes bewegt sich / bewegt sich einzelnes? / Alles ruht/ Ruht Alles? /
Einzelnes bewegt sich/ Bewegt sich Einzelnes? / Ruht Alles? / Alles ruht/ Einzelnes
bewegt sich.
Atmo Rehau/ Bamberg
Nora
Was mir sehr gut gefällt, und was ich genauso auch erfühle ist: ein
Gedicht ist eine Realität und ist da. Egal, ob’s gesprochen wird oder ob's da
schriftlich steht. Es ist gefasst und fertig und wird Teil der Gesamtschöpfung. Und
das empfinde ich auch als sehr schöne Haltung gegen diese Melancholie. Also, wer
melancholisch ist, hat ein erweitertes Wahrnehmungsspektrum und kann auf einer
erweiterten Tastatur quasi arbeiten und auf ihr spielen. Und ich glaub, ich hab das
auf jeden Fall vom Vater sehr geerbt, und ich glaube auch, dass ich so arbeite. Ja.
Musik
Atmo: Vogelzwitschern, Wasser -
26
Musik
Nora
Autorin: Ist eigentlich erstaunlich, dass du eigentlich ein ähnliches Leben wie dein
Vater führst. Nora: Total. Und oft muss ich es ihm sagen, und sagen: Wir sind uns
sehr ähnlich. Zur selben Lebenszeit und Etappen, also als er in seinen 30er Jahren
war, genau dasselbe, nur nicht diese Familiengründungsgeschichte. Und das.... Ja.
Aber dieses früh sich Selbst-Versorgen, auf eigenen Füßen Stehen und
Geldverdienen. Ja.
Atmo: Vogelzwitschern, Wasser, Schritte, Passanten
Nora
WIR WOLLEN MITFAHREN!! (Schritte) Das ist eine Gierseilfähre. Die schaltet ohne
Motorkraft, nur durch eine Anbringung im Wasser ,wird das Seil umgelegt, und dann
geht’s zurück. Hallo. Mann: Hallo: Nora: Wir möchten gerne übersetzen mit ihnen
Vertrauensvoll...Mann: ja, ich hoffe, dass wir das vertrauensvoll
schaffen....(Gemurmel)
Nora: So, hier haben wir den besten Blick.
Atmo: Plätschern
Nora/ Gedicht
Ich trage dich fort
in der hohlen Hand,
behütet durch mein Atmen
und durch meinen Blick.
Groß wächst du hinaus
Aus meiner hohlen Hand.
Nur in den Linien
Lese ich dich noch.
Musik
27
Absage:
Die Tochter des Vaters der konkreten Poesie
Über Eugen und Nora Gomringer
Ein Feature von Sabine Fringes
Es sprach: Frauke Poolman
Regie: Fabian von Freier
Redaktion: Ulrike Bajohr und Tina Klopp
Eine Produktion des Deutschlandfunks 2016.
Musik
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