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Fragmentierung geradelektronischer Ionen
Problem:
• unterschiedliche Fragmentierungswege für geradelektronische Ionen [M+H]+, [M-H]- und Radikalionen [M]+•
• umfangreiche Kenntnisse über die Fragmentierung ungeradelektronischer Ionen [M]+• vorhanden
• bislang nur wenige systematische Untersuchungen zur Fragmentierung geradelektronischer Quasimolekülionen [M+H]+ und [M-H]-
Randbedingungen (stoßinduzierte Fragmentierung):
• niedrigere Anregungs-/Stoßenergien (wenige eV)
• längere Zeitskalen als bei EI-Fragmentierung (bis zu ca. 100 ms)
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ESI-MS/MS von [M + H]+, m/z 216
Zerfall des M+• und des [M + H]+ von Atrazin
HN
N N
HN N Cl
200 +•
- CH3•
M+•
100 120 140 160 180 200 220
104 122 132145
158
164
173
187
200
215
0
50
100
[M + H]+
- C3H6
174
216
100 120 140 160 180 200 220 m/z0
1000
2000
3000
4000
Intens.
EI-MS
ungeradelektronisches Ion
geradelektronisches Ion
H2N
N N
HN N Cl
+
174
H
+
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Energetische Betrachtungen (Bildungsenthalpien)
Annahmen:
• keine Abhängigkeit der Fragmentierung des [M+H]+ -Ions von der Ionisierungsmethode (z.B. ESI, CI, ...), sondern nur von seiner inneren Energie.
• Stoßfragmentierung erzeugt dieselben Fragmente wie unimolekularer Zerfall.
• Die Bildungsenthalpien der Produkte (Summe der Bildungsenthalpien von Ion und Neutralteilchen) bestimmen die Fragmentierung.
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Vergleich der Bildungsenthalpien (ΔHf298) ungeradelektronischer Molekülionen [M]+• und geradelektronischer Quasimolekülionen [M + H]+
[kJ/mol]
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Vergleich der Bildungsenthalpien (ΔHf298) von Neutralteilchen und korrespondierenden Radikalen
-36HBr
112 Br
-92HCl
122 Cl
-46NH3
172 NH2
-242H2O
39 OH
-75CH4
142CH3
Hf 298 (kJ/mol)Neutralteil
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Beispiel: ESI-MS/MS des [M+H]+ von Valin
72.3
118.1
0.0
0.2
0.4
0.6
0.8
1.05x10
Intens.
50 60 70 80 90 100 110 120 130 140 m/z
46
H2N CH C
C
OH
O
H3C
CH3
H
10
2. Beispiel: MS/MS des [M+H]+ von Bromhexin:
C14H20Br2N2, M = 374
113
261
11
71
81
89
101
107113
119
125
131
143
149
161
179
0
100
200
300
400
500
Intens.
60 80 100 120 140 160 180 200m/z
3. Besipiel: ESI-MS/MS-Spektrum des [M-H]-
von Fructose (M = 180)OH
OH
OH
CH2OH
OH
HOH
H
H
H
18
18
18
18
303030
Δm = 30: CH2O
181818
Δm = 18: H2O
18
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2. Spaltung der β-C-C-Bindung mit Verbleib der Ladung am Heteroatom
Onium-Ionen
Fragmentierung geradelektronischer Ionen nach der „even-electron rule“:
m/z
rel. I
nt.
Beispiel: MS/MS des [M+H]+ von Propanolol, m/z 260
A.L. Upthagrove, M. Hackett, W.L. Nelson, Rapid Comm. Mass Spectrom. 13, 534-541 (1999)
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Fragmentierung muss nicht von der Stelle der lokalisierten Ladung ausgehen
„charge-remote“-Fragmentierung
Beispiel: MS/MS des [M+H]+ von Timolol
W.M.A. Niessen, J. Chromatogr. A 1217, 4061-4070 (2010)
186C13H24N4O3S
M = 316
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Außerdem: Fragmentierungen, die keinen einfachen Regeln gehorchen:
• H2O-Abspaltungen aus Ethern und Ketonen
• NH3-Abspaltungen aus sekundären und tertiären Aminen
• S-Abspaltungen aus Thioethern
• Gerüstumlagerungen
• ...
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Charakterisierung funktioneller Gruppen durch Neutralverluste aus [M + H]+- oder [M - H]--Ionen
---arom./aliph.-CH3
NH3aliph.
---arom.-NH2
H2Oaliph.
------arom.-OH
•NO / •NO2•NO / •NO2arom.-NO2
HBr / •BrHBr / •Brarom./aliph.-Br
HCl (•Cl)HCl (•Cl)arom./aliph.-Cl
SO2 (SO3)arom./aliph.-SO3H
CH3OHarom./aliph.-COOCH3
COarom.-CH=O
CO2H2Oarom./aliph.-COOH
[M - H]-[M + H]+Funktionelle Gruppe
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Dominierende Neutralverluste aus [M + H]+- oder [M - H]- -Ionenvon Verbindungen mit zwei und drei funktionellen Gruppen
HCl (• Cl)HCl (• Cl)-OH, -NH2, CH=O, -CH3
-Cl
• NO / • NO2-OH, -NH2, -CH=O, -CH3
-NO2
SO2 / SO3-OH, -NH2, NO2-SO3H
CO2-OH, -NH2, -NO2, -Cl, CH3O-, -CH3
-COOH
dominierend bei [M - H]-
dominierendbei [M + H]+
Zweite/dritte Gruppe
Erste Gruppe
Faustregel:Die am stärksten polare funktionelle Gruppe dominiert das Fragmentierungsverhalten.
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• Zerfall von [M + H]+- oder [M - H]--Ionen organischer Verbindungenvorwiegend unter Abspaltung kleiner neutraler Moleküle (wenigerhäufig neutraler Radikale).
• Identifizierung funktioneller Gruppen hierüber oft (nicht immer!) möglich
• charakteristische Neutralverluste: zeigen recht eindeutig einefunktionelle Gruppe an, treten aber bei mehreren Verbindungsklassenauf (z.B. Verlust von H2O aus Säuren, Verlust von CO aus Aldehyden).
• spezifische Neutralverluste: treten nur bei einer bestimmtenfunktionellen Gruppe auf (z.B. CO2, CH3OH, SO2, HCl, NO2.);
hiermit zuverlässige Erkennung einer Gruppe möglich
Charakterisierung funktioneller Gruppen durch Neutralverluste aus [M + H]+- oder [M - H]--Ionen
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2. Kinetische Gründe: Radikal-Abspaltung ist schneller als die Abspaltung eines Neutralteilchens
Beispiel: MS/MS des [M+H]+ von Prodigiosin, m/z 324:
C20H25N3O
M = 323
32
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Abweichungen von der „even-electron-rule“:
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Fragmente von m/z 324:
K. Chen, N.S. Rannulu, Y. Cai, P. Lane, A.L. Liebl, B.B. Rees, C. Corre, G.L. Challis, R.B. Cole, J. Am. Soc. Mass Spectrom. 19, 1856–1866 (2008)
+227 kJ/mol
+122 kJ/mol
Radikalischer Fragmentierungsweg ist thermodynamisch ungünstig, aber offenbar erheblich schneller!
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Zusammenfassung:
• Unterschiedliche Fragmentierungswege bei geradelektronischen [M+H]+
bzw. [M-H]- und ungeradelektronischen [M]+• Ionen
• Fragmentierung vorwiegend unter Verlust neutraler Moleküle und Bildung geradelektronischer Fragmentionen („even electron rule“)
• Ausnahmen v.a. bei kleinen aromatischen Ionen (Verlust neutralerRadikale); Ausnahmen erklärbar auf der Basis thermochemischerDaten, z.T. über kinetische Überlegungen
• Neutralverluste aus [M+H]+ und [M-H]- -Ionen erlauben oft, aber nichtimmer die Identifikation von Substituenten.
• Aber: Stoßinduzierte Fragmente allein erlauben i.a. keine zweifelsfreieStrukturaufklärung unbekannter Verbindungen. Hochaufgelöste MS-Daten und insbesondere NMR-Daten notwendig!
Detaillierte Betrachtung:K. Levsen et al., J. Mass Spectrom. 42, 1024-1044 (2007)M. Holčapek, R. Jirásko, M. Lísa, J. Chromatogr. A 1217, 3908-3921 (2010)
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