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Genomische Zuchtwerte: Jetzt geht’s los!
Die deutsche Holstein-Zucht steht mit der Einführung der genomischen Zuchtwerte vor massiven Veränderun-gen. Profitieren Züchter und Milch-viehhalter von der Entwicklung?Der Jungbulle Malindo (RUW) ist Deutschlands
höchster Mascol-Sohn und seit
August verfügbar.
Wie ein Wirbelsturm verändert die genomische Selektion derzeit die deutsche Holstein-Zucht. Keine
Woche, in der nicht neue Schlagzeilen aus der Zuchtszene die Runde machen: „OHG schließt Bullenmütter-Prüfung. Master-rind beendet den konventionellen Testein-satz.“ Oder zuletzt: „Fast 40 % der Warte-bullen geschlachtet“. Die genomische Se-lektion ist also angekommen in der deutschen Holstein-Zucht und sorgt für einen gravierenden Umbruch in den Zuchtprogrammen.
Neue Zuchtwerte im AugustUnd ab Mitte August können auch die
hiesigen Züchter und Milchviehhalter die genomisch getesteten Jungbullen nutzen. Erstmals wurden die genomischen Zucht-werte (gZW) der Jungbullen in Deutsch-land veröffentlicht. Bisher hatten sie nur
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die Möglichkeit für viel Geld (ca. 200 €) ihre weiblichen Tiere untersuchen zu las-sen, jetzt können die deutschen Milch-viehhalter auch Jungbullen mit genomi-schem Zuchtwert einsetzen.
Die Vorteile der genomischen Selektion sind klar: Schnellerer Zuchtfortschritt durch ein kürzeres Generationsintervall, höhere Sicherheiten der Zuchtwerte bei jungen Bullen im Vergleich zu früheren Testbullen (Übersicht 1) sowie gezieltere Suche von potenziellen Bullenmüttern.
Zudem können die Zuchtorganisatio-
nen nun deutlich mehr Bullen vorab tes-ten. Waren es bislang rund 1 000 Bullen, die jährlich getestet wurden, rechnet das Re-chenzentrum vit in Verden damit, dass die deutschen Besamungsstationen in diesem Jahr schon 10 000 männliche Kälber geno-misch testen werden. Allein die Rinder-Union West (RUW) wird pro Jahr ca. 1 000 männliche Kälber genomisch testen.
Dass jetzt auch die Züchter und Milch-viehhalter hierzulande profitieren, hat erst der Zusammenschluss der europäischen Zuchtverbände aus Deutschland, Frank-reich, den Niederlanden und Skandinavien unter dem Namen EuroGenomics möglich gemacht. Durch den Zusammenschluss hat sich die Lernstichprobe (Kontrollgruppe von Bullen mit genomischem Zuchtwert) für Deutschland auf 17 000 Bullen erhöht. Die genomischen Zuchtwerte sind so deut-lich sicherer geworden.
Haar- oder BlutprobenUm den genomischen Zuchtwert zu er-
mitteln, wird genetisches Material (Blut, Gewebe, Haare) der potenziellen Vererber untersucht. Die DNA des Bullen wird ei-ner „Rasterfahndung“ unterzogen. Nach der Untersuchung errechnet das Rechen-zentrum vit in Verden mit Hilfe einer Lern-stichprobe und den Daten, die ein Chip ab-gelesen hat, den Zuchtwert des jeweiligen Tieres (s. top agrar 3/2009 R 20).
Die Listen mit den genomischen Jung-bullen werden künftig jeden zweiten Dienstag im Monat aktualisiert. Bei den
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Sicherheit in %
Merkmale
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Zugewinn an Sicherheit durch die genomische Untersuchung
Sicherheit des Pedigree-Index
Übers. 1: Die Sicherheit der Zuchtwerte von Jungbullen legt zu
Durch die geno-mische Selektion haben sich die Sicherheiten der Zuchtwerte von Jungbullen teil-weise verdoppelt.
Fotos: Dammann (1), Heil (2), Leifker (3), privat (4), van Leeuwen (1)
Genomische Zuchtwerte aktuell im Internet
www.topagrar.com
Um den 17. August sollen die neuen genomischen Zuchtwerte veröffentlicht werden, so die offizielle Information vom Rechenzentrum vit in Verden, also etwa zeitgleich mit Erscheinen dieser top agrar-Ausgabe.
Wir wollen Sie, liebe Leser, natürlich aktuell informieren. Deshalb finden Sie die neuen Zuchtwerte sofort nach der
Veröffentlichung im Internet. Exklusiv für Sie haben wir die besten genomisch getesteten Bullen zusammengestellt.
Wir bieten Ihnen nicht nur das deut-sche Angebot an schwarz- und rotbun-ten „Genom-Bullen“, sondern auch das Angebot der Spermaimporteure. Alle Bullen und weitere Informa tionen fin-den Sie unter www.topagrar.com/Zucht
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nachkommengeprüften Bullen bleibt es dagegen bei den drei gewohnten Schätz-terminen pro Jahr. „Eine kombinierte Liste von genomischen Vererbern und nachkommengeprüften gibt es vorerst nicht. Es werden zunächst zwei Listen veröffentlicht“, so das Rechenzentrum vit in Verden.
Bullenmütter-Prüfung ist Geschichte
Für die Zuchtorganisationen hat die „genomische Revolution“ aber nicht erst jetzt begonnen. Sie nutzen das Instrument genomischer Zuchtwerte bereits seit einem Jahr zur Vorselektion neuer Vererber und zur Kontrolle der bereits aufgestallten Test- und Wartebullen, mit weitreichenden Veränderungen der Zuchtprogramme.
So haben z. B. die Masterrind, die Weser-EmsUnion (WEU) und die Rinderzucht Schleswig-Holstein (RSH) ihre konven-tionellen Testbullenprogramme bereits eingestellt. „Testbullen im ursprüngli-chen Sinn gibt es nicht mehr. Alle Bullen, auch Jungbullen, haben jetzt ei-nen Zuchtwert. Dementspre-chend werden auch die
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Jungbullen als einzelne Vererber vermark-tet“, sagt Dr. Josef Pott von der WEU.
Aber nicht alle Stationen gehen mit so klarer Linie voran. Die RUW will bei-spielsweise den konventionellen Testein-satz in abgespeckter Form weiterführen: „Einzelbullen können sich auch bei der
genomischen Selektion weiter-hin nach oben wie unten ab-
setzen. Entscheidend ist
nicht nur ein hoher genomischer RZG, sondern auch das Pedigree spielt bei uns immer noch eine Rolle. Sonst hätten wir einen Bullen wie Gibor nie entdeckt“, gibt Dr. Jürgen Hartmann von der RUW zu Bedenken. Gibor hatte in den letzten Jah-ren die Einsatzlisten beherrscht, vor allem aufgrund seiner guten Fitness-Vererbung.
Vorerst weiterführen wollen den Test-einsatz auch die OHG und der Verein Ost-friesischer Stammviehzüchter (VOST).
Wartebullen geschlachtetDeutlich dezimiert haben die Stationen
auch ihre Wartebullenbestände. Denn nach der genomischen Untersuchung konnte man sich von potenziellen „Nieten“ schnel-ler trennen, heißt es. Während es bei der RUW lediglich 15 % der Bullen waren, sol-len andere Stationen wie die RSH oder Masterrind ihren Bestand gleich um 30 bis 50 % reduziert haben (Übersicht 2).
Ähnliche Rückgänge werden auch bei den künftigen Bullenankäufen erwartet. Die RSH kündigte an, statt ca. 90 schwarz- und rotbunter Jungbullen künftig nur noch 55 Bullen pro Jahr aufstallen zu wollen, die RUW 100 statt 130. Die Organisatio-nen selektieren also schärfer.
Wurden vor der genomischen Selektion oft alle potenziellen Bullen aus einer An-paarung angekauft, sind es heute nur noch Bullen mit den vielversprechendsten Zuchtwerten. Manch ein Bullenzüchter geht jetzt sogar leer aus, da trotz guter Ab-stammung kein Bullenkalb die gewünsch-ten genomischen Zuchtwerte erreicht. Die Selektionsschärfe liegt verbreitet bei 1 von 10 männlichen Kälbern z. T. noch darüber. So lässt sich der Zuchtfortschritt gegen-über einem klassischen Zuchtprogramm um mehr als 30 % steigern (Übers. 3).
Der Vorteil für die Zuchtorganisatio-nen liegt auf der Hand. Die Gefahr, wie früher die „Katze im Sack“ zu kaufen, ist sehr gering, da das Potenzial des Bullen durch die genomische Selektion schneller
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2010*2009200820072006
Anzahl Prüfbullen
Jahrgang*Prognose Quelle: ADR
Sbt + Rbt
Einführung der genomischen
Selektion
Übers. 2: Die Anzahl der Prüfbullen sinkt deutlich
Die deutschen Zuchtorganisatio-
nen stallen aufgrund der genomischen
Selektion deutlich weniger Bullen auf.
Grafi ken: Driemer
Weltweit neue Zuchtfi rmen
Die genomische Selektion dürfteweltweit den Spermamarkt revolutio-nieren. Erstes Indiz dafür sind die zahl-reichen Neugründungen von Zuchtor-ganisationen und Zuchtprogrammen. Zu den bekannteren gehören AI Total in den Niederlanden, KingStreetSires und SterlingSires aus Eng-land oder TAG aus den USA, die sich vor allem auf die Vermarktung ge-nomischer Jungbullen spe-zialisiert haben.
Auch in Deutschland ist bereits Bewegung im Markt. So haben WWS Germany, die US-Besa-mungsgenossenschaften SelectSires und Accelera-ted Genetics gemeinsam das Unternehmen Gene-Pool gegründet. GenePool kauft Embryonen aus ge-
Dr. Hermannleitet das neugramm Gene
nomisch untersuchten Kühen und Fär-sen in Europa an und überträgt diese in Partnerherden.
Die daraus stammenden Kälber wer-den alle genomisch untersucht. Die bes-ten männlichen Kälber werden bei der Besamungsstation Göpel Genetik in
Herleshausen aufgestallt und für den weltweiten Spermavertrieb abge-samt. Die besten weibli-chen Tiere werden zum ET genutzt.
„Inzwischen produzie-ren bereits die ersten vier Jungbullen Sperma“, so Dr. Hermann Niermann von GenePool. Vorteil des Zuchtprogrammes soll der zusätzliche Zuchtfort-schritt sein, da fast nur mit junger Genetik gear-beitet wird.
Niermann e Zuchtpro-Pool.
erkannt wird. „Mittelfristig werden wir die daraus resultierenden Überkapazitäten in
mit offiziellen Zuchtwerten deutlich größer geworden. Denn alle bisherigen Wartebullen der Jahrgänge 2006 bis 2008 haben jetzt einen Zuchtwert. Viele Zucht-experten sprechen daher auch von einem
Übers. 3: Der ZuchtfortschSituation 1
400 Testbullenaus 1 600 (1:4)
Zuchtfortschritt je Jahr (RZG-Punkte) +2,36
Steigerung in % gegenüber klassischem Zuchtprogramm +0,7 %
Dr. Stefan Neuner, LfL Bayern, Institut für Tierzuc
Mit Hilfe der genomischen Selektion lässt sic
„Bullen-Tsunami“ in der Holstein-Zucht.„Die Herausforderung, jetzt die richti-
Zuchtorganisationen gar nicht absehen können, in welchen Mengen die Jungbul-len eingesetzt werden. Die Einschätzungen der Organisationen liegen zwischen 20 und 30 % aller Besamungen. Doch blickt man
ritt steigt um über 30 %Situation 2 Situation 3
Weniger Testbullen, schärfer selektiert
160 aus 1 600 (1:10)
wie 2 + Typisierung von Färsen (1/3 Bul-lenmutter: Färsen)
+3,07 +3,27
+30,9 % +39,7 %
ht 2010
h der Zuchtfortschritt beschleunigen.
in die USA, so erreichen die genomischen Jungbullen inzwischen Einsatzraten von 50 % und mehr.
Für Dr. Hartmann, RUW, wäre dies nur schwer vorstellbar. „Unsere Landwirte ha-ben jahrelang auf sichere Wiedereinsatz-bullen wie Gibor oder Carmano gesetzt.
»Die Bauern werden weiter
eher sichere, bewährte Bullen
bevorzugen«, schätzt Dr. Jürgen
Hartmann (RUW).
der Bullenhaltung abbauen und Kosten sparen“, so Dr. Josef Pott, WEU.
Einsparungen erhofft sich auch die OHG. Sie beendet die Bullenmütter- Prüfung im September. Das eingesparte Geld will Geschäftsführer Hans-Willi Warder aber in die Ausweitung der Typi-sierung von wertvollen Bullenkälbern stecken. Ein ähnliches Schicksal droht der Bullenmütter-Prüfung der Nordost-Gene-tik in Karkendamm.
Erst „Bullen-Flut“, dann „Bullen-Ebbe“
Und noch eine Änderung beschäftigt die Stationen. Mit der Einführung der „Genomics“ ist das Angebot an Vererbern
gen Bullen aus der Masse an Vererbern auszuwählen, ist riesig“, so Dr. Alfred Wei-dele, Rinderunion Baden-Württemberg.
Auf den ersten Blick profitieren die Milchviehhalter: das Angebot wird deut-lich breiter, hochwertiger und sicherer. Aber das täuscht, warnen schon die ersten aus der Zuchtszene. Schließlich werden in einem Jahr annähernd vier Bullenjahrgän-ge „verheizt“. Die Vererber, die ursprüng-lich erst 2011 oder 2012 auf dem Markt wä-ren, werden jetzt schon angeboten.
Da zudem aufgrund der schärferen Se-lektion noch deutlich weniger Jungbullen aufgestallt werden, könnte 2011 die große „Ebbe“ kommen. Neue gute Bullen wür-den dann knapp, befürchten Insider.
Ein weiteres Problem ist, dass die
1. Korrekturlauf
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Ich glaube kaum, dass sie jetzt zu Roulette-Bauern werden, die hauptsächlich auf ge-nomisch getestete Jungbullen setzen.“
Diese Meinung teilt auch Dr. Dettmar Frese von der Masterrind, der den Milch-viehhaltern empfiehlt, einen Mix aus 30 % genomischer Jungbullen und 70 % nach-kommengeprüfter Bullen einzusetzen.
Kritik von Seiten einiger Organisatio-nen gibt es auch an der Bullenauslese durch die genomische Selektion. Denn bis-lang schneiden besonders die Bullen gut ab, die viele Verwandte mit hohem Zucht-wert in der Lernstichprobe haben, wie z. B. Söhne und Enkel von Shottle, Goldwyn, Bolton oder O-Man.
„Wir sehen ganz klar die Gefahr, dass Outcross-Bullen eher die hoch gesteckten Zuchtwertziele nicht erreichen und so gar nicht zum Einsatz kommen,“ sagt Dr. Hartmann. Die Folge: Steigende In-
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»Bullenmütter mit Sonderbehandlung gibt es jetzt nicht mehr«, erklärt Alois Lodden kemper, Rinkerode.
Thomas Wiethege, Halver:»Die Kosten für uns Züchter steigen, aber die Erlöse sinken.«
zuchtgefahr. „Wir müssen daher das Ange-bot an genomischen Jungbullen breit auf-stellen.“
Für ihn liegt die Verantwortung bei den Zuchtorganisationen dieser Entwicklung entgegen zu wirken. Ansonsten sei es klar, dass die Landwirte auf die hohen Zucht-wert-Bullen fliegen und damit die Veren-gung der Blutlinien vorantreiben.
Töchterprüfung bleibt wichtig
Nicht endgültig beantworten lässt sich auch die Frage, ob sich die gZW in ein paar Jahren voll bestätigen oder, wie von eini-
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gen Züchtern befürchtet, überschätzt sind: „Es ist ganz klar, dass die Schätzformel für genomische Zuchtwerte ständig nachjus-tiert werden muss. Das war und ist bei der konventionellen Schätzformel doch auch der Fall und die genomische Schätzung ist noch eine relativ neue Technik“, macht Dr. Stefan Rensing vom vit klar. „Ob wir wirk-lich richtig liegen, werden wir wissen, wenn die jetzigen Jungbullen in ca. vier Jahren erstmals abgekalbte Töchter in der Nach-kommenprüfung haben. Denn dann ent-scheidet sich, ob der Bulle die Zuchtwerte bei über 95 % Sicherheit bestätigt oder nicht“, so Rensing.
Entscheidend für das System genomi-
scher Zuchtwerte ist die ständige Nach-kommenprüfung vor allem über die Milchleistungsprüfung. „Denn ohne die harten Leistungsdaten der Töchter funk-tioniert das System auf Dauer nicht. Kon-kret: Wenn die Lernstichprobe nicht lau-fend durch aktuelle töchtergeprüfte Ver-erber ergänzt wird, verschleißt sie mit der Zeit und passt nicht mehr so gut zur aktu-tellen Population. Die Folge wären abneh-mende Sicherheiten der genomischen Zuchtwerte“, so Rensing.
Für hitzige Diskussionen innerhalb der deutschen Verbände sorgt auch die Frage, ob die Nachzuchtbewertung vor allem der bereits geschlachteten Wartebullen noch
Sind die Züchter die Verlierer?Viele Züchter betrachten die genomische Selektion mit Skepsis. Sie begrüßen zwar die höhere Sicherheit der Zuchtwerte. Aber der Aufwand für das Zuchtgeschäft steigt – und die Erlöse sinken.
Für Alois Loddenkemper aus Rinkero-de (Westfalen) überwiegen die Vor-
teile der genomischen Selektion: „Die Zuchtwerte der Jungbullen sind sicherer und der Zuchtfortschritt steigt.“ Größtes Plus der „Genomics“ ist für den Hol-stein-Züchter aber, dass sich leichter fest-stellen lässt, welche Bullenmutter wirk-lich hält was sie verspricht: „Bullenmüt-
ter mit Sonderbehandlung dürften jetzt der Vergangenheit angehören.“
Doch nicht alle Züchter sind erfreut, über die neuen Möglichkeiten in der Rin-derzucht, wie Thomas Wiethege aus Halver im Sauerland: „Zurzeit ist es frustrierend: früher konnte ich aus einer Spülung drei oder vier männliche Kälber an die Zucht-organisationen verkaufen. Inzwischen sind Spülungen dabei, bei denen nicht mal ein Kalb verkauft werden kann.“
Schlechte Bezahlung in der Kritik
Der engagierte Züchter hatte in den letzten Jahren jährlich ca. 15 männliche Kälber an Zuchtorganisationen weltweit verkauft. In diesem Jahr waren es erst zwei Kälber. Wiethege glaubt zwar an das In-strument genomische Selektion, dennoch ist er enttäuscht. Trotz einer hohen Leis-tung von über 11 000 kg im Schnitt und ei-nem Top-Exterieur, ist die Ausbeute an po-tenziellen Bullenkälbern bislang beschei-den. „Ich frage mich ernsthaft, ob das Spülen und Einpflanzen von Embryonen
noch Sinn macht, schließlich entstehen so Kosten von 500 bis 1 500 € pro Spülung, die ich ohne den Verkauf eines Kalbes kaum wieder einspielen kann“, so der Züchter.
Andere Züchter bemängeln die schlech-te Bezahlung der Kälber: „Der Züchter trägt das Risiko und die Kosten alleine“, kritisiert Markus Mock aus Markdorf in Baden-Württemberg. „Die Ankaufpreise für die männlichen Kälber müssten höher sein, absolute Untergrenze wären 10 000 €. Wenn die Zuchtorganisationen hier nicht bald reagieren, werden etliche Züchter die Flinte ins Korn werfen“, so Mock.
Bislang haben die Organisationen auf die Kritik der Züchter nur unzureichend reagiert, so zahlen die WEU und die RUW für einen Standardbullen (gRZG 130) in-zwischen ca. 6 000 € pro Tier. Bei absoluten Spitzenbullen zahlt die OHG immerhin zwischen 10 000 und 15 000 €. Die Vertrags-klauseln ändern sich aber laufend. Vor der genomischen Selektion lagen die Kauf-summen zwischen 1 500 und 4 000 €.
Weiterer Kritikpunkt: Viele Züchter
»Wir Züchter sind den Zucht-organisationen ausgeliefert.« Andreas Lohmöller, Listrup.
durchgeführt werden soll. Eini-ge Verbände wollen aus Kos-tengründen darauf verzichten.
Fazitn Die genomische Selektion sorgt für einen massiven Um-bruch in der Zucht. Testbullen-programme werden eingestellt bzw. abgespeckt, die Bullen-mütterprüfung aufgegeben. n Der Milchviehhalter kann mit genomisch getesteten Bul-len den Zuchtfortschritt in sei-ner Herde beschleunigen, denn
die Jungbullen sind in ihrer Vererbung sicherer als die ur-sprünglichen Testbullen. Den-noch sollten nachkommenge-prüfte Bullen erste Wahl sein. n Der Frust bei den Züchtern ist derzeit groß. Schließlich bricht mit dem Verkauf von männlichen Kälbern an die Stationen ein Teil des Einkom-mens weg. Wenn sich die Be-zahlung für die wenigen ver-käuflichen Kälber nicht bes-sert, dürfte so mancher Züchter resigniert das Handtuch wer-fen. Ansgar Leifker j
fühlen sich den Zuchtunter-nehmen ausgeliefert, denn die genomischen Zuchtwerte der männlichen Kälber erhält bis-lang zuerst die Besamungssta-tion. Männliche Kälber kön-nen nur im Auftrag der Orga-nisationen untersucht werden.
„Den Wert meines Kalbes kennt also zunächst nur die Zuchtorganisation“, klagt An-dreas Lohmöller aus Listrup im Emsland. Der Schwarz-bunt-Züchter und Schaurich-ter wünscht sich mehr Wettbe-werb. „Gut wäre es, wenn ich zuerst den genomischen Zucht-wert meines Kalbes kenne und dann mit den Stationen über einen Preis verhandeln kann.“
Doch die Organisationen schalten bislang auf stur. Schließlich haben sie mehrere
Millionen Euro in das Projekt „Genomics“ investiert und wollen nun vorerst ihre Rechte an den Zuchtwerten sichern.
Zumindest in Nordameri-ka dürfte sich dies schon bald ändern. Dort sehen viele Züchter dem 1. März 2013 mit Vorfreude entgegen. Ab diesem Tag können sie auch ihre männlichen Kälber ge-nomisch untersuchen lassen. „Viele US-Stationen sehen dieses Datum dagegen mit gemischten Gefühlen, da sie eine Verteuerung beim Bul-lenankauf befürchten“, so Dr. Hermann Niermann von GenePool. Aber auch für die hiesigen Züchter wäre dann der Weg frei, männliche Tiere in den USA untersuchen zu lassen. Spätestens dann, so die Erwartung, müsste auch im Euro-Genomics-Gebiet die Untersuchung männlicher Tiere durch Züchter möglich sein.
Dann könnte auch jeder Deckbulle einen genomi-schen Zuchtwert erhalten. „Es wäre aber auch denkbar, dass sich Züchter zusam-menschließen und gute Bul-len gegen Entgelt bei einer Besamungsstation absamen lassen und das Sperma selbst vermarkten“, zeigt Dr. Nier-mann eine weitere Option auf. Dadurch würde der Spermamarkt mächtig in Be-wegung kommen. Ob es so kommt, bleibt offen.
In Deutschland werden vorerst nur jene Deckbullen mit genomischem Zuchtwert angeboten, die aufgrund ihrer niedrigen Zuchtwerte nicht von den Besamungs-stationen aufgekauft wer-den. -al-
1. Korrekturlauf
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So werden die Jungbullen vermarktet
Seit Mitte August bieten fast alle Zuchtorgannen genomische Jungbullen an.
Wie sieht das Angebot an genomi-schen Jungvererbern demnächst
aus? Wir haben die deutschen Organisa-tionen und Spermaimporteure befragt. Fast alle Zuchtorganisationen fahren eine andere Strategie, z. T. stehen die Entschei-
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Der US-Bulle Super (CRI) konnte seinen genmit den ersten Nachkommen-Daten bestätige
dungen sogar noch aus. Selbst in den Kooperationen TopQ oder NOG wird unterschiedlich vor-gegangen.n Die Masterrind wird ihre „heißen“ Jungbullen, wie z. B. Boyle, Marnie, Spontan oder Ba-kombre, als einzelne Vererber unter dem Markennamen „Mas-tergen“ vertreiben. Die Kosten für die Jungbullen sollen je nach Qualität zwischen 4 und 17 € liegen. Ähnlich will auch die RBW und WEU agieren.n Die RSH und auch die ZBH in Hessen wollen ihre genomi-schen Jungbullen (Schaumura oder Elburn RF) hingegen in Produktlinien vermarkten, um den Landwirten die Auswahl zu erleichtern. Dabei werden die Bullen nach Vererbungsschwer-punkten sortiert angeboten, wie z. B. nach Exterieur, Nutzungs-dauer oder Outcross. Innerhalb dieser Kategorien wird es eine kleine Auswahl an Bullen ge-ben. Die Preise sollen sich zwi-schen 5 und 20 € bewegen,n Die RUW schlägt noch einen anderen Weg ein. Die genomi-schen Jungbullen werden hier unter dem Namen RUW Select und SelectPlus verkauft. Im Se-lectPlus-Pool sind nur hochver-anlagte Bullen (ca. 10) wie z. B. Malindo, Selayo oder Sterngold
zu finden, die nach dem konventionellen Testeinsatz für den freien Einsatz zur Ver-fügung stehen. Im „normalen“ Selectpool landen Jungbullen, die aufgrund ihrer viel-versprechenden Gene in den konventio-nellen Testeinsatz gehen. Die Preise liegen
isatio-
omischen Zuchtwert n.
Boyle (Bolton x ShotMasterrind.
bei 7 € für die „normalen“ genomischen Jungbullen, und 24 € für Spitzenbullen. n Die OHG oder der VOST haben bis zum Redaktionsschluss noch keine Ent-scheidung getroffen. Die ostdeutschen Ver-bände RBB, RMV, RSA und LTR waren zu keiner Auskunft bereit.
Importeure bieten wieder Jungbullen an
Aber nicht nur die deutschen Stationen bieten seit Mitte August genomische Jung-bullen an. Auch die Importeure dürfen jetzt wieder Jungbullen in Deutschland an-bieten, nachdem der Verkauf von so ge-nannten Super Samplern jahrelang durch das Tierzuchtgesetz untersagt war. Durch die offizielle Anerkennung der Zuchtwert-schätzung aus den USA oder Kanada ist jetzt ein Verkauf von ausländischen Jung-bullen in Deutschland wieder möglich.
Allerdings dürfen die Bullen nur mit den jeweiligen Länder-Zuchtwerten ange-boten werden. Denn eine Umrechnung der genomischen Zuchtwerte über Interbull wird wohl auf absehbare Zeit nicht mög-lich sein.
Daher werden US-Bullen mit US-Zuchtwert und kanadische Bullen mit ka-nadischem Zuchtwert angeboten. Alle Spermaimporteure, ob ABS, CRI, WWS, Semex oder CRV scheinen auf die Einzel-tiervermarktung zu setzen.
Martin Buschsieweke von Semex-Deutschland: „Wir werden wahrscheinlich acht bis zehn Jungbullen in unser Angebot aufnehmen, die wir in Deutschland anbie-ten werden.“ Ähnlich verfährt auch Hu-bertus Wasmer von CRI-Genetics: „Wir bieten zunächst fünf Einzelbullen an, mit der Zeit wird die Bullenauswahl dann er-weitert.“ j
tle) zählt zu den Top-Jungbullen der
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