Hat das Betreutes Wohnen in Familien (BWF)eine Zukunft in der gemeindepsychiatrischen
Versorgung ?
Dr. Michael Konrad
Geschäftsbereichsleiter Wohnen am ZfP Südwürttemberg Sprecher des GPV im Landkreis Ravensburg Vorstandsmitglied Dachverband Gemeindepsychiatrie
Grundsätze der gemeindepsychiatrischen Versorgung in einem GPV mit
Versorgungsverpflichtung (gemäß UN-Behindertenrechtskonvention)
Personenzentrierung – Integration in die Gemeinde mit der Unterstützung, die benötigt wird
Inklusion – Teilhabe am gesellschaftlichen Leben
Diversity – keine einseitige Anpassung
Artikel 19 Selbstbestimmt Leben und Einbeziehung in die Gemeinschaft
Die Vertragsstaaten gewährleisten, dass
a) Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben, und nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben;
Wesentliches DilemmaAusgewogenes Verhältnis zwischen
Autonomie und Fürsorge
BWF im Verhältnis zu anderen Wohnformen im GPV des Landkreises Ravensburg
2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014
107
332
448
208
227 201
7284 80
Entwicklung der Klientenzahlen im betreuten Wohnen
ABW Stat. BW BWF
Anz
ahl d
er K
lient
Inne
n
Funktionswandel des BWF in der GemeindepsychiatrieVon der Dauerplatzierung in einer Gastfamilie zum
Lernfeld für ein autonomes Leben
Wandel der Klientel im GPV im LK Ravensburg
ABW SBW BWF RPK SpDi6%
20%19%
20% 56%
26%
10%
10%
28%
14%
40%
35%
27%
24%
8%
20%
8%
10%
17% 15%
53%
8%
26%
Vergleich Diagnosen in verschiedenen Wohnformen U30
Sucht Schizophrenie Affektive Störungen
Persönlichkeits-störungen
Neurotische Störungen
Psychische ErkrankungenKiJu
Krisenprävention durch Gastfamilien
BWF SpDi ABW Stat. BW ABW plus
18
23
2930
k.A.
13
2225
31
41.7
KlientInnen mit ein oder mehreren stationären psychiatrischen Behandlungen
2013 2014
Ant
eil K
lient
Inne
n in
%
…und die Krisenaufenthalte in der Klinik dauern weniger lang
ABW Fachpflegeheim SpDi Wohnheime BWF ABW plus0
5
10
15
20
25
30
29
5
46 18
2,9
1 4
9
0
5
Anzahl der KlientInnen in längeren stationären Kriseninterventionen nach Wohnform
30 bis 90 Tage 91 bis 180 Tage
Ant
eil
der
Klie
ntIn
nen
in %
Warum kann eine Gastfamilie die Autonomie eines psychisch kranken
Menschen fördern?
Weil die Familie seit Jahrtausenden die wesentliche Sozialisationsinstanz ist und entgegen den Unkenrufen des
Funktionsverlustes der Familie nach dem 2. Weltkrieg auch geblieben ist
Hegel:Familie als zentrale Verwirklichungsstätte
sozialer Freiheit
200-jähriger Wandel der bürgerlichen Familie von einer hierarchischen Instanz mit
klarer Rollenaufteilung zu einer
gleichberechtigten Einheit mit flexiblen Rollenmustern
Honneth: Das Recht der Freiheit
Von den Stachelschweinen lernen Schopenhauer
An einem kalten Wintertag sehnten sie sich nach Wärme. Um sich vor dem Erfrieren zu schützen, drängelten sie sich daher ganz dicht aneinander. Doch die erhoffte Gemütlichkeit blieb aus: mit ihren Stacheln verletzten sie sich gegenseitig. So liefen sie wieder auseinander und jedes Stachelschwein fror alleine vor sich hin. Schließlich rückten sie wieder ein wenig näher zusammen – doch nicht allzu nahe – „bis sie eine mäßige Entfernung voneinander herausgefunden hatten, in der sie es am besten aushalten konnten
Partnerschaftliches Gleichheitsidealnach dem Modell romantischer Liebe
Vater, Mutter und Kindsind jeweils so einbezogen,
dass sie entsprechend ihrer Bedürftigkeit Fürsorge und Anteilnahme erhalten
Aushandlung von Grenzen bei Ambivalenzzwischen Verschmelzungstendenz und Rebellion
Neudefinition von Familie
jede Lebensform , deren Selbstverständnis die Vorbereitung auf ein selbständiges Leben ist
Heterosexuelle und homosexuelle Paare mit und ohne Kinder,
Allein lebende Erwachsene mit und ohne Kinder Auf langfristiges Zusammenleben eingestellt
Wohngemeinschaften
Die diskrete Arbeit der Transformation(Schöneberger)
Die entstehenden Konflikte müssen spontan angegangen werden; sie lassen
den Umweg über Teamkonflikte, Teamsupervisionen und Festlegung von
Regeln nicht zu.
Was hat die Gastfamilie von der Aufnahme eines psychisch kranken Menschen ?
Sie profitiert
Die elementare Struktur der Familie besteht im Tausch. Gastfamilien müssen in irgendeiner Form etwas davon haben, eine Wahlverwandtschaft einzugehen
Zum Beispiel…Gastfamilie Karin Müller und Kai Schmidt ,Anfang 50, seit 27 Jahren verlobt. Kinder aus vorherigen Beziehungen großgezogen ,80-jährige an Demenz erkranke Mutter im HausGaststätte, Second-Hand-Laden, Wohnungsentrümplungen .Hauptberuf freiberufliche Musiker und Produzenten mit eigenem Tonstudio keine Tabuzonen Bewohner Herr Rudolff , Seit Jahren krankheitsuneinsichtig, lebte unbehandelt auf Platte, schwor dem Establishment ab. Akut psychotisch bekämpfte er Symptome mit Alkohol Cannabis. Beschimpfungen /Provokationen durch Entblößung des Hinterteils.Lebensperspektive: individuelle Selbstverwirklichung, Schlafen im Schlafsack Duschen max. alle 2 Wochen ohne Seife, Verweigerung von Unterwäsche und SockenGastfamilie nahm ihn zunächst so wie er war, gemeinsame Einnahme der Mahlzeiten und Medikamenteneinnahme. Er erzählte aus seinem Leben. Unverbindliches Interesse an Wohnumfeld. Hilfe bei Autoreparatur, Entrümpeln. Tonstudio: Leidenschaft für Schlagzeug.
Zunehmend entwickelte sich eine Beziehung zu den Gasteltern, sodass es schon bald keine Tabuthemen mehr gab.
In beständiger Beharrlichkeit verhinderten die Gasteltern seine Verwahrlosung: wöchentliche Reinigungsaktionen die er als Einschränkung seiner Freiheit bewertete. Selbst die härtesten Auseinandersetzungen hinterließen keine Spuren der Verletzung und waren schnell vergessen. Seine Rolle: „Spinner“ im normalen Umfeld Eigenarten beibehalten. Seit 13 Jahren bei Gastfamilie, 2 stationär behandlungsbedürftige Krisen. Seit 11 Jahren WfbM. Im Gemeinwesen ist er bekannt, aber trotz seines Aussehens nicht gefürchtet, zum Teil sogar beliebt.
Können „gute“ Gastfamilien identifiziert werden?
Bewohnergruppen im BWF – Vielfalt durch optimales Passungsverhältnis
Chronisch psychisch kranke Menschen Menschen mit geistiger Behinderung Menschen mit Suchterkrankung Menschen mit Doppeldiagnosen Menschen mit gerontopsychiatrischer Erkrankung Pflegebedürftige Menschen Psychisch Kranke Eltern mit Kind
Fazit
BWF wird in GPV mit Versorgungsverpflichtung dringend benötigt
BWF gibt Klienten die Sicherheit, die für die Entwicklung von Autonomie erforderlich ist
Hinsichtlich Gastfamilien gibt es bei angemessener Finanzierung Luft nach oben (Ravensburg ca. 500)
Zur Gewinnung von Gastfamilien in der Stadt sollten Strategien entwickelt werden
Der Fachdienst sollte darauf achten, exotische Familienkonstellationen nicht auszuschließen
Vielen Dank für Ihre AufmerksamkeitEine Vertiefung des Themas finden Sie in diesem Buch
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