Interkulturelle KompetenzWer die Welt durch die Brille des Anderen betrachtet, sieht sie viel bunter. Das gilt auch für die Geschäftswelt. Im interkulturellen Kommunikationstraining des Arbeitgeberverbandes Chemie ging es darum, die „kulturelle Blindheit” loszuwerden.
Sich mit den Augen Anderer sehen, aus der Perspektive eines Chinesen vielleicht, oder eines USAmerikaners, garantierte AhaErlebnisse. Oft amüsant, immer erkenntnisreich. Einmal in der Rolle des Alter Ego, wurde das „fremde” Verhalten der Kollegen oder Geschäftspartner verständlicher.
Denn jede Kultur hat ihre eigenen Konzepte von Kommunikation und richtigem Verhalten. Und so stellt sich in interkulturellen Teams die Frage: Teilen wir das gleiche Verständnis von Unternehmenskultur, Qualifikation, Führung oder Feedback? In den meisten Fällen lautet die Antwort: Nein. Wie darauf reagieren? Das Seminar gab Antworten.
Stefanie Lenze | Chemieverbände RheinlandPfalzMit Kollegen oder Geschäftspartnern aus anderen Kulturen zusammen zu arbeiten, birgt seine ganz eigenen Herausforderungen.
INHALTDie Welt auf den Kopf stellen
Warum denken wir, wie wir denken?
Die Perspektive wechseln
Verstehen wir das gleiche unter...?
nachgefragt
festgehaltenDie Veranstaltungen der Chemieverbände rheinlandPfalz
12 | 2014
Interkulturelle Kompetenz | Grünstadt
Folgen interkultureller Defizite Verhandlungen platzen
Kontrolle über den internationalen Partner geht verloren
Lieferanten und Kundenbeziehungen zerbrechen
Produkte entsprechen nicht den Erwartungen
Märkte bleiben unerschlossen
Projekte scheitern
Warum denken wir, wie wir denken? Weil wir in unserer Sozialisiation kulturelle Filter erwerben. Mit diesen Filtern sortieren wir die Welt. Diese Stereotypen sind zuerst einmal sehr praktisch: die gesammelten Erfahrungen unserer Kultur helfen uns, uns schneller in der Welt zurecht zu finden und vor allem: schneller Entscheidungen zu treffen.
Der Nachteil ist, dass man für alles, was nicht in diesen Stereotypen enthalten ist, auf einem oder beiden Augen blind ist. Und noch ein anderes Problem ist mit kulturellen Stereotypen verbunden: Die in ihnen festgelegten Standardregeln einer Kultur werden nicht erklärt. Weil sie nicht bewusst sind.
Kultur ist mehr als Nationalität
Außensicht
Person
Ge schlecht ...
Alter soziale Schicht
Firma Nation / Herkunft
Die Welt auf den Kopf stellenDer erste Schritt auf dem Weg zur interkulturellen Kompetenz ist ein schmerzhafter. Man muss sich seine eigene Inkompetenz bewusst machen. Frei nach Sokrates: „Ich weiß, dass ich nichts weiß.” Denn Lernen beginnt mit dem Erkennen der eigenen Selbstverständlichkeiten. Wir können den Anderen nur verstehen, wenn wir die Konzepte unserer eigenen Kultur reflektieren.
Die erste Aufgabe, die Trainer Volker Germann also stellte, war: Einen Schritt zurück gehen und Abstand zum eigenen Verhalten, zu den Werten und kulturellen Regeln gewinnen. Stellen Sie sich vor, mit einem Fernglas auf die eigene Lebenswelt schauen. Das Ziel von Germanns Übung ist einfach beschrieben, aber nicht so einfach umgesetzt: „Sie sollen sich bewusst werden, warum sie so denken, wie Sie denken.”
Die Zugehörigkeit zu einem Land macht nur einen Teil einer Person aus. Kultur vermittelt soziale Konzepte von Geschlecht, Alter und vielem mehr. In interkulturellen Kontexten spielen alle ebenen eine rolle.
Verstehen wir das gleiche unter...Es gibt Fauxpas, die man merkt und die, die man nicht merkt. Letztere geschehen oft dann, wenn man in die Vertrautheitsfalle getappt ist. Besonders anfällig ist die Zusammenarbeit mit Kulturen, die man zu kennen glaubt. Dabei haben beispielsweise Franzosen andere Vorstellungen davon, wie Projekte ablaufen. Und USAmerikaner davon, wie Probleme angemessen adressiert werden.
Daher sollte man sich in vermeintlich vertrauten Kulturen mit der gleichen Sensibilität und Aufmerksamkeit bewegen, wie man sie in fremden Kulturen an den Tag legt. Hier sind ein paar klassische Stolpersteine, die man nur mit der richtigen Kulturbrille erkennt.
Die Perspektive wechseln Um die Brille des Anderen tragen zu können, ist ein Perspektivwechsel nötig. Dieser wird einfacher, wenn man sich zuerst klarmacht, welche Kulturstandards in Deutschland gelten.
Kulturstandards in Deutschland
Sachorientierung direkter Kommunikationsstil Wertschätzung von klaren Strukturen und Planbarkeit
(z.B. Zeitkontrolle, Verbindlichkeit) Trennung von privaten Lebensbereichen und Arbeitswelt
12/2014
Beispiel Indien: hierarchisch (Kasten system), nur Führungskräfte
dürfen kritisieren, „noproblemKultur”, Erwartungshaltung:
man wird angelernt Beispiel USA: hierarchisch, enge Führung mit viel persönlichem
Feedback, MikroManagement, flexibel
Beispiel sachbezogene Kulturen: punk tuell, konstruktiv, zeitnah,
anlass bezogen, „Nicht geschimpft ist genug gelobt.” (Holschuld) Beispiel personenbezogene Kulturen:
lobend, motivierend, persönlich, privates Umfeld beachtend,
„No feedback is bad feedback.” (Bringschuld)
Beispiel Deutschland: eine Gemeinschaft, die sich über
die Sachlage austauscht
Beispiel Frankreich: Gruppe aus Individuen,
die unabhängig arbeiten
„Verstehen Sie Irritationen als Information.” Volker Germann
Diese zentralen Selbstzuschreibungen werden von anderen Kulturen bestätigt. Der Unterschied liegt in der Bewertung dieser Standards. Wenn hier Pünktlichkeit eine positive Eigenschaft ist, wirkt das im interkulturellen Kontext als unflexibel. Hierzulande schätzen wir Verlässlichkeit. Dort wird eine solche Person als unkreativ wahrgenommen. In Deutschland legt man Wert auf Qualifizierung. Dies wird im Ausland oft als unnötige Hürde wahrgenommen. Führung bedeutet hier auch, dass jemand verlässlich und eigenständig arbeitet. In einigen Länder fragt man sich, wie man zusammenarbeiten kann, ohne in ständigem Austausch zu sein. Diese unterschiedliche Bewertung sorgt regelmäßig für Missverständnisse in interkulturellen Teams.
...Feedback?
...Führung?
...Team?
Interkulturelle Kompetenz | Grünstadt
Herr Germann, Ihr Motto ist trainieren statt trichtern. Wie zeigt sich das in Ihren Seminaren?
Im Gegensatz zu Vokabeln kann man etwas Komplexes wie interkulturelle Kommunikation, den Umgang mit den eigenen Stereotypen oder die eigene kulturelle Brille nicht eintrichtern. Man muss typische Situationen in Rollenspielen und Simulationen üben. Und am eigenen Leib erfahren, wie die eigene kulturelle Brille diese Situation verändert und unser Verhalten beeinflusst.
Warum ist es für Unternehmen wichtig, ihre Mitarbeiter entsprechend zu trainieren?
Viele Unternehmen trainieren nur die Sprachkenntnisse ihrer Mitarbeiter, unterschätzen jedoch die interkulturellen Aspekte internationaler Zusammenarbeit. Ein nicht angemessenes Verhalten in international arbeitenden Teams kann aber zu Verzögerungen im Projektablauf, im schlimmsten Fall zum kompletten Kom
munikationsstillstand führen. Multinational besetzte Teams sind längerfristig betrachtet kreativer, bedürfen jedoch eines Teamleiters, der über den Tellerrand der eigenen Kultur blicken kann, um das volle Potential solcher Teams auszuschöpfen.
Können Sie einen allgemeinen Verhaltenstipp für interkulturelle Kontexte geben, wenn man beispielsweise keine Zeit für eine intensive Vorbereitung auf den ausländischen Partner hatte?
Sehen Sie „Irritation als Information“ – wenn Sie in einem fremden kulturellen Umfeld eine Handlung oder eine Sichtweise Ihres Gegenübers nicht verstehen, gehen Sie anstatt nach vorne zu stürmen und zu handeln, einfach einen Schritt zurück. Beobachten Sie und versuchen Sie Ihre eigene kulturelle Brille etwas zu lüpfen. Manchmal ist es auch hilfreich, die eigene Irritation zu kommunizieren.
IMPreSSUM Herausgeber: Chemieverbände RheinlandPfalz, Bahnhofstraße 48, 67059 Ludwigshafen, Telefon 06 215 20 56 0, Telefax 06 215 20 56 20, info@chemierp.de, www.chemierp.de, redaktion: Stefanie Lenze, Fotos: Marcel Hasübert, mhfoto.de, Titelfoto: Paul Tearle/Onyx/F1online, Gestaltung: [email protected], Köln, Druck: Chroma Druck & Verlag GmbH, RömerbergBerghausen, Auflage: 400, Stand: Dezember 2014. Die Veranstaltung fand am 13. bis 14. November 2014 in Grünstadt statt.
„In dem Seminar wurde uns unsere deutsche Brille abgenommen und die interkulturelle aufgesetzt — sehr spannend!” Claas Kreykenbohm
Das interkulturelle Training brauchte Input der Teilnehmer, ihre erfahrungen und persönlichen Verhaltensstrategien.
nachgefragt
Volker Germann ist interkultureller Mediator, Lehrbeauftragteran der Universität Heidelberg sowie Trainer und Coach für interkulturelle Kommunikation.
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