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Amöbenart, die den menschlichenDarm besiedelt. In vielen Fällenkommt es zunächst zu asymptomati-schen Verläufen, sodass die Infektionhäufig unerkannt bleibt. Im weiterenVerlauf können dann Symptome auf-treten, die von Bauchschmerzen überleichte Durchfälle (Diarrhöe) bis hinzu schweren blutigen Darmentzün-dungen (Kolitis) reichen.

Eine Infektion mit Entamoebahistolytica erfolgt durch die oraleAufnahme des Dauerstadiums desEinzellers, den so genannten Zysten.Infizierte scheiden täglich bis zu 100Millionen Zysten mit dem Stuhl aus.Wenn wie in der zentralvietnamesi-schen Stadt Hué vielen der rund300.000 Einwohner ein Fluss gleich-zeitig das Trink- und Waschwasser lie-fert, aber auch die Kanalisation dar-stellt, verbreitet sich der Parasit leichtfäkal-oral. In Vietnam sind inzwi-schen staatliche Kampagnen zur Auf-klärung der Bevölkerung und zur Ver-besserung der Hygiene angelaufen(siehe Abbildung).

Eine typische Komplikation imKrankheitsverlauf der Amöbiasis istder Amöbenleberabszess, eine flüs-sigkeitsgefüllte Höhle im Leberge-webe. Ein solcher Abszess kann sichbilden, wenn der Erreger die Darm-schleimhaut durchbricht, Anschlussan die Blutgefäße findet und über diePfortader in die Leber gelangt.

Ein Amöbenleberabszess weisteine medizinische Besonderheit auf,er gehört zu den so genannten „steri-len Abszessen“. Das bedeutet, dasssich in seinem Inneren keine Bakte-rien befinden, wie es sonst bei ent-zündlichen, eitrigen Reaktionen üb-lich ist.

Frauen erkranken häufiger – undwerden schneller wieder gesundMan würde vermuten, dass Amöben-leberabszesse unter den Infiziertengleich häufig vorkommen. Die For-scher analysierten in Hué mehr als2000 Patienten mit Amöbenleberabs-zessen über mehrere Jahre [1]. Mithochgerechneten 37 Abszessen pro100.000 Einwohnern pro Jahr hatHué das höchste bis dahin bekannt

gewordene Vorkommen von Amö-benleberabszessen weltweit. Bei derAuswertung machten die Forscher er-staunliche Entdeckungen.

Obwohl auch Kinder an Amöbia-sis erkranken, fanden sich Amöbenle-berabszesse fast ausschließlich (zu 95Prozent) bei erwachsenen Patienten.Wiederum 80 Prozent dieser Patien-ten sind Männer. Obwohl Frauen häu-figer mit dem Parasiten infiziert sind,bilden sich bei ihnen sehr viel selte-ner Abszesse. Männer zwischen 30und 49 zeigen die größte Neigung zuLeberabszessen, in dieser Alters-gruppe kommt auf sieben erkrankteMänner nur eine einzige weiblichePatientin. Erst bei Frauen über 60steigt die Wahrscheinlichkeit für ei-nen Leberabszess.

Neben einigen wenigen Affenar-ten ist der Mensch der einzige Wirtfür Entamoeba histolytica. Daher istes schwierig, Untersuchungen zurAmöbiasis in einem geeigneten Tier-modell durchzuführen. Forscher amBernhard-Nocht-Institut verwendetenMäuse und versuchten Abszesse zuerzeugen, indem eine Amöben-Rein-kultur unmittelbar direkt in die Leberinjiziert wurde. Überraschenderweiseergab sich in dem Mausmodell dasgleiche Bild wie beim Menschen: Diein dieser Studie untersuchten weibli-chen Mäuse zeigten tatsächlich eineArt Resistenz gegenüber denLeberabszessen. Sie beseitigten Amö-ben schneller aus ihren Lebern underholten sich insgesamt schneller voneiner Infektion.

Hormone beeinflussen die ImmunantwortAnalysen ergaben, dass die Infektionmit Amöben bei männlichen undweiblichen Tieren zu unterschied-lichen Aktivierungen des Immunsys-tems führt. Während bei weiblichenTieren in erster Linie der pro-inflam-matorische Botenstoff Gamma-Inter-feron gebildet wird, der die Makro-phagen aktiviert, findet sich beimännlichen Mäusen vor allem deranti-inflammatorische Botenstoff In-terleukin-4, der die Makrophagenhemmt. Das Gamma-Interferon schal-

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Männer, Frauen,Parasiten – dieAmöbenruhr machtfeine Unterschiede

Forscher des Ber n ha rd- No ch t- I n-st i tuts für Tropen me dizin in Ha m-bu rg (BNI) unters uch ten in Viet-nam die Verteil u ng des Pa ras i tenEntamoeba histolytica in der Be v ö l ker u ng und st ießen auf Un-erwa rtetes: Obwohl Frauen imVerg leich zu Männern häuf igermit dem Pa ras i ten inf iz iert sind,entw ic keln sie nur sel ten Kra n k-hei t ssy mptome wie den Amöben-leb erabs zess.

Die Amöbenruhr oder Amöbiasis isteine Erkrankung durch Parasiten undbetrifft weltweit jährlich etwa 50 Mil-lionen Menschen. In etwa zehn Pro-zent dieser Fälle kommt es zu einemLeberabszess. Von dieser Erkrankungbetroffen sind vor allem Menschen insubtropischen und tropischen Regio-nen. Das Risiko für eine Infektionsteht in engem Zusammenhang mitder Bevölkerungsdichte und dem Zu-gang zu sauberem Trinkwasser. DieAmöbiasis beruht auf einer Infektionmit Entamoeba histolytica, einer

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tet in den Weibchen die amöbizideImmunantwort an, indem es dieMakrophagen zur Produktion vonStickstoffmonoxid stimuliert. InMännchen führt der anfangs erhöhteInterleukin-4-Spiegel dazu, dass dieMakrophagen mehr oder weniger ge-lähmt sind.

Um die bisherigen Ergebnisse zuuntermauern, wurden Antikörper-tests durchgeführt. Vor der Infektionmit Entamoeba histolytica wurdenweiblichen Versuchstieren Antikör-per gegen das Gamma-Interferon ge-spritzt. Bilden diese Tiere nun wäh-rend ihrer Immunantwort auf dieInfektion das Gamma-Interferon, so

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wird es blockiert und kann die Pro-duktion des amöbiziden Stickstoff-monoxids nicht anregen. Diese weib-lichen Mäuse zeigten tatsächlichgroße Abszesse, die mit denen derMännchen vergleichbar waren.

Zusätzlich wurden Experimentemit weiblichen Knock-out-Mäusendurchgeführt, bei denen Gene desImmunsystems deaktiviert wurden.Die Knock-out-Mäuse zeigten im Ver-gleich zu den Wildtyp-Mäusen grö-ßere Abszesse und einen verlangsam-ten Genesungsprozess, ähnlich derReaktion der männlichen Mäuse aufeine Infektion mit Entamoeba histo-lytica.

Aktuelle Untersuchungen der Ar-beitsgruppe widmen sich nun einemhormonellen Rollentausch: KastrierteMäuseweibchen bilden keine weibli-chen Hormone mehr. Gibt man ihnendann Testosteron, entwickeln sieebenfalls Abszesse. Männliche Tiere,die man vor einer Infektion mit weib-lichen Hormonen behandelt, werdenderzeit untersucht.

[1] J. Blessmann et al., Am. J. Trop. Med. Hyg.2002, 66(5), 578–583.

[2] H. Lotter et al., Infect. Immun. 2006 74(1),118–124.

Egbert Tannich, Hamburg; Milena Wozniczka, Kamp-Lintfort