Download - Mangelnde Sensibilität beim Datenschutz Debatte über einen Gesetzentwurf zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung –„Gesundheitsreform 2000”/49. Sitzung des Bundestages

Transcript

Hausarztsystem

Was wird sich nun für Versicherte sowiePatientinnen und Patienten ändern? Siewerden nicht zu gläsernen Patientin-nen und Patienten werden, sondernsich endlich in einem System zurecht-finden können, über das kaum noch je-mand einen Überblick hat. Sie werdenVeränderungen vor allem dort erleben,wo sie selbst aktiv eingreifen können.So ist der Prävention – das hatten Sieabgeschafft, Sie erinnern sich sicherlich– endlich wieder der ihr gebührendePlatz eingeräumt worden.

Ein weiterer Punkt betrifft dasHausarztsystem. Wenn man mündigePatienten will, die sich selber zurecht-

Medikamente enthalten sind, die auchnach entsprechenden Kriterien bewer-tet werden, ist kein Feigenblatt, sondernin allererster Linie ein Instrument zurQualitätssicherung, die wir auch in die-sem Bereich brauchen.

Mit der vorgelegten Reform sorgenwir dafür, daß es Modernität und Solari-tät miteinander verbindet, daß es Eigen-verantwortung und Selbstbestimmungstärkt und daß es künftig mehr auf dasSetzen von Rahmenbedingungen denndirigistisches Reglementieren zielt.

Katrin Dagmar Göring-Eckhardt (*1966)Bündnis 90/Die GrünenAngestellteIngersleben (Thüringen)

finden, dann muß man dafür sorgen,daß sie einen Partner bekommen. Denwollen wir ihnen mit dem Hausarzt zurSeite stellen. Wir wollen niemandenzwingen, irgendeinen Hausarzt oderFacharzt zu besuchen.

Die freie Wahl des Arztes ist nach wievor gegeben.

Mit der Stärkung der Selbsthilfe, dieheute hier schon angesprochen wur-de, werden diejenigen unterstützt, dieselbst etwas im Prozeß der Genesungoder auch im Umgang mit ihrer Krank-heit beitragen wollen. Auch die Positiv-liste, die für mehr Transparenz sorgtund in deren Anhang die alternativen

| Der Internist 9·99M 274

D. Parr

Mangelnde Sensibilität beim DatenschutzDebatte über einen Gesetzentwurf zur Reform der gesetzlichenKrankenversicherung – „Gesundheitsreform 2000“/49. Sitzungdes Bundestages am 30. Juni 1999

Ich sehe die Plakate mit der Aufschrift„Arbeit, Arbeit, Arbeit“ noch vor mir.Unter dieses Motto, meine Damen undHerren von der SPD und von den Grü-nen, haben Sie noch vor wenigen Mona-ten Ihren Wahlkampf gestellt. Jede Ent-scheidung sollte, bevor sie in Kraft tritt,hinsichtlich ihrer Auswirkungen aufden Arbeitsmarkt abgeklopft werden.Als wir dieses Thema vor 14 Tagen aufdie Tagesordnung gesetzt haben, habenSie die von uns beantragte AktuelleStunde zu den Folgen Ihrer Gesund-heitsreform für die Arbeitsplätze vonder Tagesordnung abgesetzt. Das Pfle-gepersonal in den Krankenhäusern undArzthelferinnen bangt um seine Zu-kunft, und Sie drücken sich um dieparlamentarische Auseinandersetzungherum.

Im Korsett des Budgets

Sie behaupten, daß Sie den Ärzten er-möglichen wollen, Ihre Patienten opti-mal zu betreuen. Statt dessen strangu-lieren Sie sie, so daß ihnen kaum mehrLuft zum Atmen bleibt: Sie beraubensie ihrer ehrenamtlichen Selbstverwal-tung; Sie konfrontieren sie mit sinken-den Punktwerten und Planungsunsi-cherheit; Sie pressen sie in ein Kor-sett unterschiedlichster Budgetvorha-ben. So geht die Freiberuflichkeit alsGarant für patientenorientiertes Han-deln vor die Hunde. Sie behaupten, da-für sorgen zu wollen, daß die Patienteneine gute Zahnprophylaxe und, wenn esnotwendig ist, einen gut aussehendenZahnersatz erhalten. Gleichzeitig sen-ken Sie diejenigen, die das garantieren

sollen, die Vergütungen und nehmendem Patienten jede Möglichkeit derfreiwilligen Zuzahlung für eine höher-wertige Leistung. High-Tech-Zahner-satz soll zukünftig in den Leistungska-talog der gesetzlichen Krankenver-sicherung aufgenommen werden; abereine zusätzliche Bezahlung dieserLeistungen kommt selbstverständlichnicht in Betracht, nach dem Motto: Wirhaben ja das Globalbudget.

Im Krankenhausbereich treibenSie es ganz besonders toll. Sie wollen,daß die Patienten im Krankenhaus um-fassend versorgt und betreut werden.Gleichzeitig entziehen Sie den Kran-kenhäusern massiv Geld. Als amschlimmsten empfinde ich Ihre fehlen-de Sensibilität hinsichtlich der Daten-erfassung. Während der Datenschutz

für Sie vor wenigen Jahren noch derentscheidende Grund für die Ableh-nung der Volkszählung war, wollen Siejetzt den Krankenkassen ohne mit derWimper zu zucken und abweichendvon der bisherigen Anonymität dieSammlung patientenbezogener Dia-gnosedaten in einer zentralen Daten-annahmestelle zugestehen. Damit sind

aufgebläht werden, und ihrer Spitzen-verbände verbunden. Das bedeutet dengläsernen Patienten und den gläsernenArzt.

D. Parr (*1942) F.D.P.RealschuldirektorRatingen

wie selbstverständlich der Datenträ-geraustausch, die Prüfung der medizi-nischen Notwendigkeit von Leistun-gen, die Kontrolle der Wirtschaftlich-keit, der Zweckmäßigkeit und der Qua-lität der ärztlichen Leistungen, Über-mittlungen an besondere Prüfstellenund die Medizinischen Dienste derKrankenkassen, die als Kontrollorgane

Der Internist 9·99 | M 275

Ges

un

dh

eits

wes

en BDI

R.W. Schuster

Prioritäten für PatienteninteressenDebatte über einen Gesetzentwurf zur Reform der gesetzlichenKrankenversicherung – „Gesundheitsreform 2000“/49. Sitzungdes Bundestages am 30.Juni 1999

Viele Reaktionen offizieller Art vonseiten der Bundesärztekammer undder Kassenärztlichen Bundesvereini-gung sind für mich nur schwer nach-vollziehbar:Erstens die Verteufelung des Global-budgets. Der Beschluß von Lahnstein1992 – Globalbudget als Summe dersektoralen Budgets – wurde mehrfachzitiert. Sie, meine Damen und Herrenvon der CDU/CSU, waren damals mituns einig. Wir bieten unseren Kollegin-nen und Kollegen draußen an, inner-halb dieses Globalbudgets selber denAnteil der Sektoren zu bestimmen undfestzulegen. Das halten wir für einenFortschritt.Zweitens haben wir erklärtermaßen ge-sagt, daß in Zukunft ambulante Be-handlung vor stationäre Behandlunggehe. Frau Schaich-Walch hat daraufhingewiesen, daß das Geld der Leistungfolgen soll. Das bedeutet doch im Klar-text, daß der Markt für die niedergelas-senen Ärzte zunehmen wird. Das ist ei-ne große Chance, weil sie im Prinzip ge-genüber Krankenhäusern konkurrenz-los preiswert sind.

Trotzdem stimme ich meinem Kol-legen Dreßler zu, daß wir nach wie vor

zu viele und vor allem falsch ausgebil-dete Ärzte haben. Für die Umsetzungunseres Hausarztmodells brauchen wireine ganz andere Art von Aus- und Wei-terbildung.Drittens macht es mich nachdenklich,daß in Deutschland nach wie vor über-proportional viele überflüssige Eingrif-fe sowohl in der Therapie wie auch beider Diagnostik vorgenommen werden,obwohl wir Ärzte den berühmten Eiddes Hippokrates beschworen haben.Wir wollen nicht schaden.

Mich macht nachdenklich, daß epi-demiologische Studien bei chronischKranken nachweisen, daß wir mehr alszwei Drittel sparen könnten, wenn wirPräventionsmaßnahmen ergriffen. Aufdie Unterversorgung der Diabetikerwurde hingewiesen. Mich macht esnachdenklich, wenn viele diagnostischeund therapeutische Maßnahmen auchbei Anwendung der Kriterien derSchulmedizin umstritten sind. Michmacht es nachdenklich, daß die Kom-munikation zwischen den behandeln-den Ärzten in den drei Stufen nach wievor häufig zu Lasten des Patienten geht,unvollständig ist und zu spät kommt.Diese Defizite sind uns seit langem be-

kannt. In dem Gutachten des Sachver-ständigenrates wurde mehrfach daraufhingewiesen, daß hier offensichtlich dieberühmte Selbstverwaltung versagt hat.Deswegen müssen wir gesetzlich re-geln, was die Selbstverwaltung selbernicht schaffen konnte.Viertens ist es ein Denkfehler zu glau-ben, daß die Interessen der Versicher-ten identisch mit denen der Patientenseien. Das gilt auch für die Krankenkas-sen, die nicht immer die Interessen derPatienten vertreten. Das gilt aber auchfür uns Ärzte. Auch wir sind nicht diealleinigen Interessenvertreter unsererPatienten, weil wir eigene Interessenhaben.

Unser Gesundheitsversorgungssystemist nach wie vor deutlich überpropor-tional ärzte- und zuwenig patienten-orientiert.

Fragen Sie einmal chronisch kranke Pa-tienten nach ihrer Situation. Sie werdenIhnen erzählen, wie beschwerlich es fürsie ist, wenn sie in diesem Irrgarten wei-tergereicht werden. Wir hoffen jeden-falls, mit unserem Vorschlag des Haus-arztsystems für den einzelnen Patienten