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politik 23

DFZ 2 · 2014

Krankheitskosten

Medizinbetrieb boomtDie Gesundheitsausgaben/Krankheitskosten in Deutschland haben eine neue Rekordhöhe erreicht: Nach der aktuellen Gesundheitsberichterstattung des Statistischen Bundesamts vom Herbst vergan-genen Jahres betrugen die direkten Gesundheitsausgaben 2011 insgesamt 293.801 Milliarden Euro! Davon entfallen rund 180 Milliarden Euro allein auf die gesetzliche Krankenversicherung (GKV).

Experten des Bundesversicherungsamtes (BVA) und des Bundes-ministeriums für Gesundheit (BMG) prognostizierten die gesam-ten Ausgaben der GKV für das Jahr 2014 auf 199,6 Milliar den Euro; die für das laufende Jahr zu erwartenden Einnahmen werden auf 202,2 Milliarden Euro geschätzt. Damit dür�e am Jahresende 2014 das derzeitige Kassen�nanzpolster in Höhe von mehr als 30 Mil-liarden Euro zum größten Teil wieder entschwunden sein. Diese enormen Gesamtausgaben auf den einzelnen Einwohner umge-rechnet ergeben Ausgaben in Höhe von durchschnittlich 3590 Euro je Einwohner – vom Neugeborenen bis zum über Hundertjährigen!

Fast zwei Drittel der gesamten Krankheitsausgaben, nämlich durchschnittlich 2400 Euro je Kopf, bestritten die gesetzliche und private Krankenversicherung (GKV und PKV). Die Krankenkassen versichern im Rahmen des dualistischen Gesundheitssicherungs-systems rund 92 Prozent der Bevölkerung. Der Rest hat unter dem Dach der PKV und/oder der Beihilfe (für Beamte und ö�entlich Bedienstete) vorgesorgt.

Was die gesamten volkswirtschaftlichen Ausgaben für die Gesundheitssicherung betri�, liegt Deutschland im internatio-nalen Vergleich im oberen Drittel des Länder-Rankings: Seit mehr als zehn Jahren beansprucht die „Gesundheitskosten quote“ in Deutschland unverändert zirka 9,8 bis 10,5 Prozent des Brutto-inlandsprodukts (BIP). Aktuell beträgt die Gesundheitsquote 11,3 Prozent des BIP (im Jahr 2011), zwei Prozentpunkte über dem OECD-Durchschnitt. Gleichzeitig stellt Deutschland ein deut-lich größeres Angebot an Infrastruktur und Leistungserbringern als andere OECD-Länder. Nur die USA mit zirka 15,5 Prozent, die Niederlande mit 12,0 Prozent, Frankreich mit 11,8 Prozent und die Schweiz mit zirka 11 Prozent wenden noch mehr Ressourcen für die Gesundheitssicherung auf.

Statistiken sagen wenig ausOb diese Ausgaben, die personellen und die sachlichen Ressour-cen richtig und am richtigen Ort und bei der indizierten Person gut investiert sind, ist aus den globalen, zum Teil hochgerechneten Zahlen nicht ablesbar. Ob sich das Industrieland Deutschland sol-che Ausgaben (noch) leisten kann, und ob das Geld und die wirt-scha�lichen Ressourcen richtig und e�zient eingesetzt sind, steht auf einem anderen Blatt. Statistische Betrachtungen sowie gesund-heitsökonomische Analysen und Werturteile helfen dem Patienten und Versicherten aber nicht, ebenso wenig den Leistungserbringern und den Leistungsträgern. Zur Kenntnis genommen werden diese Zahlen und die langfristigen Entwicklungen allemal – ob es dem Einzelnen, den mehr als 600 Verbänden und Körperscha�en in der „Gesundheitsindustrie“, der Politik und den Krankenkassen passt oder nicht.

Bei der Analyse des Leistungsvolumens und der Inanspruch-nahme ergeben sich aufschlussreiche Perspektiven: Im letzten Jahr

wurden etwa 800 Millionen Patient-Arzt-Kontakte registriert. Die Krankenhauswirtscha�, die bei einem Jahresumsatz von rund 86,8 Milliarden Euro (2013) mehr als ein Drittel aller GKV- und PKV-Leistungsausgaben beanspruchte, bewältigte 18,6 Millionen, zumeist kostenträchtige vollstationäre Krankenhausfälle.

Vertragszahnärzte: 85,5 Millionen Behandlungen pro JahrDie rund 55.000 an der vertragszahnärztlichen Versorgung teilneh-menden Zahnärzte (Vertragszahnärzte) erbrachten rund 85,57 Mil-lionen allgemeine, konservierende und chirurgische zahnärztliche Behandlungsmaßnahmen, wie die aktuelle Statistik der Kassen-zahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) ausweist. Aufgeglie-dert auf die drei wesentlichen Behandlungssektoren ergibt sich folgendes Bild: Auf den Leistungsbereich Prothetik ent�elen rund 9,89 Millionen Behandlungsfälle, auf den Sektor Kieferorthopä-die 7,56 Millionen Fälle und 981 Millionen Parodontalbehand-lungsmaßnahmen. Die Zahl aller zahnärztlichen Behandlungen nahm zuletzt innerhalb eines Jahres um ein Prozent zu. Um das gesamte zahnärztliche Leistungserstellungsvolumen beurteilen zu können, müssen noch die Leistungen berücksichtigt werden, die im privatzahnärztlichen Sektor erbracht und über die private Krankenversicherung, Beihilfestellen und Selbstzahler abgerech-net werden. Wenn heute rund 20 bis 25 Prozent aller zahnärzt-lichen Leistungsfälle auf privatzahnärztliche Behandlung entfal-len, müssen 17 Millionen privatzahnärztliche Leistungsfälle zum GKV-Leistungsvolumen hinzugerechnet werden, um das gesamte zahnärztliche Leistungspotenzial zahlenmäßig darzustellen.

Dr. Harald Clade, freier Journalist

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