Mobilitätfür Graz-Reininghaus
Mobilität für Graz-Reininghaus
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Inhalt
Die Reininghaus-Methode 10Das Areal Graz-Reininghaus 22Perspektive Mobilität 30Die Konsulenten 36Aspekte der Mobilität 46Aspekte – Kurzfassung 85Projektbeteiligte 88
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Mobilität ist Anspruch an eine selbstbestimmte räumliche Freiheit und damit dominanter Teil unserer alltäglichen Lebens-Infrastruktur. Die vielfältige Bedeutung, die Mobilität in unserem Leben einnimmt, wird umso klarer, je mehr man sich mit diesem Thema und mit seinem eigenen diesbezüglichen Verhalten bewusst auseinandersetzt. Mobilität ist selbstverständliche Voraussetzung dafür geworden, dass der Tagesablauf so funktioniert, wie wir ihn uns eingerichtet haben, vom Schulweg der Kinder über das Einkaufen und die Wege zum Arbeits-platz bis hin zur Freizeitgestaltung. Je größer die Distanzen und je vielfältiger die Aktivitäten, desto stärker wird das Mobilitätsverhalten auch zum Bemühen, zeitliche Einschränkungen überwinden zu können – indem wir noch mehr Zeit in Mobilität investieren. Denn der Tag hat nach wie vor nur 24 Stunden. Zeit ist eben nicht zeitlos – und ganz offensichtlich auch nicht raumlos. Die Betrachtung dessen, was Mobilität überhaupt erst möglich macht, führt einer -seits direkt zu zentralen Fragen des weltweiten Energie- und Ressourcenhaushalts, anderer-seits aber auch zum Nachdenken über den persönlichen Umgang mit Fragestellungen des nachhaltigen Agierens – und es schließt die verursachte Beeinträchtigung oder gar Zerstö-rung von Umwelt und Lebensraum unmittelbar mit ein.
Gelungene Mobilität – Voraussetzung für urbane Zukunftsfähigkeit und Lebensqualität
Aufgrund der Dominanz der Mobilität in unser aller Leben multiplizieren sich die Folgen unerwünschter Auswirkungen zeitnah auf ein Vielfaches der jeweiligen Ursachen – die Abhängigkeit der Wirtschaft vom Automobil-sektor wird in diesen Tagen deutlicher denn je erlebbar. Aber auch kleinste „Systemstörungen“ zeigen die Abhängigkeit unserer angestrebten Unabhängigkeit: Unfälle, Witterungseinflüsse, Streik – sofort entstehen beträchtliche betriebs- und volkswirtschaftliche Nachteile, hinzu kommen die enormen sozialen Kosten. Jeder dieser Punkte wäre allein Grund genug, sich bei der Entwicklung einer Stadt intensiv mit Mobilität zu beschäftigen. In ihrer Summe werden sie jedoch zur notwendigen Bedingung für das Gelingen – einer Stadt im allgemeinen und von Graz-Reininghaus im besonderen. Denn nach allen vorliegenden Erkenntnissen können Städte eine Form der Mobilität, wie sie heute praktiziert wird, bereits mittelfristig nicht mehr bewältigen. Hinzu kommt, dass Städte wieder zunehmend als begehrter Lebensraum entdeckt werden. Graz-Reininghaus ist jedoch nicht nur als urbanes Zentrum definiert, gleichzeitig zielt das Ent-wicklungskonzept auf eine außergewöhnliche Zukunftsfähigkeit und Lebensqualität ab – dies erfordert eine ebenso zukunftsfähige Mobilität für Graz-Reininghaus. Zusätzliche Aufmerksamkeit erfährt Mobilität aber auch auf einer sehr praktischen Ebene der gelungenen Stadtentwicklung: Verkehrswegebau ist mit Städtebau stark verzahnt. Heute mehr denn je, da etwa die
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Anforderungen an den Straßenraum deutlich komplexer sind als in Zeiten der autogerechten Stadt. Das heißt: Auch im konkreten Bauen gelingt Zukunftsfähigkeit und Lebensqualität in Graz-Reininghaus nur, wenn Mobilität gelingt. Mobilität wird also Graz-Reininghaus prägen – und muss daher bereits am Beginn der Umset-zung Zeichen setzen. Vor allem anderen. Unser individuelles Mobilitäts-Verhalten ist und bleibt überwiegend Routinen unter-worfen. So schwierig es dadurch wird, Ände-rungen im Mobilitäts-Verhalten zu bewirken, etwa vom Auto auf Öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen, so einfach ist es, in einer Stunde Null diese Routinen wunschgemäß mitzuprägen. Jeder, der den Wohnsitz wechselt, beginnt mit seiner Mobilität bei einer solchen Stunde Null: Wo kann man das Auto parken? Wann fährt die Straßenbahn? Welche Rad- und Fußwege gibt es? Wenn Graz-Reininghaus von Anfang an eine autoarme, perfekt vom öffentlichen Nahverkehr erschlossene, radfahrerfreundliche und von kurzen Wegen geprägte Mobilitäts- Infrastruktur anbietet, wird sie von den Ein-wohnern und Besuchern dementsprechend – und damit anders als die meisten heutigen urbanen Zentren – genutzt werden. Ganz einfach, weil es individuell vernünftig ist. Über das – letztlich alles entscheidende – tägliche Verhal-ten der Menschen, die in Graz-Reininghaus wohnen, arbeiten und sich bilden werden, wird der Beitrag der Mobilität zu einer Erfolgs-geschichte von Graz-Reininghaus bestimmt werden.
Wie wir aus dem Feedback der Konsulenten entnehmen durften, sind wir mit der Gewich-tung und mit der inhaltlichen Ausrichtung des Themas Mobilität für Graz-Reininghaus „gut auf Schiene“. Wie bereits zuvor bei den Pers-pektiven zu Stadtszenarien, Grün- und Frei-raum, Nutzungsvielfalt, Energie und Next City haben wir auch zur Perspektive Mobilität Experten eingebunden und sehr interessante Antworten erhalten. Unter der bewährten Stadtteil-Inten-danz von kleboth lindinger partners haben die Verkehrsexperten Prof. Jürg Dietiker, Dr. Kurt Fallast und DI Helmut Koch die Verkehrssituation in und um Graz-Reininghaus analysiert. In Be-zug auf Öffentlichen Verkehr, Individualverkehr, ruhenden Verkehr und auf sanfte Mobilität haben sie wissenschaftliche Grundlagen und Umsetzungs-Empfehlungen erarbeitet, aber auch analytische Betrachtungen aus Sicht der aktuellen Verkehrsplanung. Graz-Reininghaus hat das städtische Potenzial, im Bereich der Mobilität Vorbild und Maßstab zu sein. Auf dem Weg dort hin sind die vorliegenden Erkenntnisse für Konzept und Realisierung von zentraler Bedeutung und sie werden zusammen mit den noch laufenden Prozessen zu einem fassbaren Modell für Graz-Reininghaus verdichtet werden – zu einem Stadtmodell, geprägt von Zukunftstauglichkeit und Entwicklungsfähigkeit.
Roland KoppensteinerCEO der Asset One AG
Vorwort
Reininghaus-Gesellschaft
Kooperationen Stadt
Impulse Urbanism
01 / 200802 / 2006 01 / 2007
Das Buch
Rodelle
Struktur der Eigenschaften
sTennisMasters 07
Smart Cities
La Strada
steirischer herbst
MIPIM 2007
Pioniernutzungen
Perspektiven
Tennis oder die Magie des Unnormierten
Kooperationen
Standpunkte
Wissenslandkarte
Der Wurm in der Bildung
Die Kultur des Scheiterns
Woher kommt das Neue?
Future of Cities, Copenhagen
werkstadt017
Die Konzeption des Wünschenswerten
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Die Asset One Immobilien Entwicklungs AG nimmt sich für die Entwicklung von Graz- Reininghaus vor allem Zeit. Zeit für eine detaillierte Suche nach den Qualitäten, die den zukünftigen Stadtteil charakterisieren und unverwechselbar machen werden.
Dieser Prozess dauert mehrere Jahre. Zum einen, um die Eigenschaften behutsam und genau entwickeln zu können. Zum ande-ren, um bekannte und allgegenwärtige Fehler zu vermeiden. Es gilt, möglichst viele Blickwin-kel einzunehmen und Optionen abzuwägen, bevor man die gesammelten Erkenntnisse Schritt für Schritt in tragfähige wirtschaftliche Konzepte, in Architektur und insgesamt in einen zukunftsweisenden Stadtteil übersetzt.
Die Reininghaus-Methode
sTennisMasters 08
Kooperationen Stadt
Workshop Smart Cities
Stadtmodelle
Städtebaulicher Rahmenplan
Impulse Urbanism
Townhouse Development
Human Technology Styria
Denksalon Bildung
Exkursion Barcelona
7 grüne Ideen für Graz
Symposium
SymposiumGenehmigungsplanung
Bauen und Leben
Verdichtung
Symposium Next City
01 / 2009 01 / 2010 01 / 2011
Mobilität für Graz-Reininghaus
Wohnen für Graz-Reininghaus
Stadtregierungssitzung Gemeinderatsausschuss
Bezirksräte
Smart Governance
Rechtsform
Finanzierung
Vermarktung
Nutzer
Infrastruktur
Verkehr
Magnetismus
Nachhaltigkeit
Charta Graz-Reininghaus
Stadtmodell
Rechtliche Grundlagen
Realisierungs-planung
11Die Reininghaus-Methode
Wesentlich dabei erscheinen noch zwei Faktoren: Kontinuität und Transparenz.Kontinuität, was die Bearbeitung der Themen und die Verlässlichkeit der Aussagen angeht. Das schafft Vertrauen und ist eine wesentliche Voraussetzung für ein erfolgreiches Mitein-ander der beteiligten Akteure.
Transparenz signalisiert den Grazer Bürgern ebenso wie der Politik und möglichen zukünftigen Investoren: Hier wird mit großem Engagement versucht, einen neuen, lebenswerten Stadtteil entstehen zu lassen. Man kann zusehen, wie die Gedanken, Ideen und Entwürfe – und später die Häuser und der Stadtteil wachsen.
sTennisMasters 08TC Graz-Reininghaus
Workshop Smart Cities
Stadtmodelle
Städtebaulicher Rahmenplan
Mobilität
Wohnen
Stadtszenarien
Nutzungsvielfalt
Good Governance
Energie
Stadtsoziologie / Kulturwissenschaften
Bildung / Wissenschaft
Sozialraum-analyse
Townhouse Development
Human Technology StyriaUrbane Zukunfts-szenarien
Exkursion Oberösterreich
Denksalon Bildung
Was baut Wien?
Exkursion Barcelona
7 grüne Ideen für GrazKickoff
Symposium
SymposiumGenehmigungsplanung
Bauen und Leben
Verdichtung
Symposium Next City
01 / 2008 01 / 2009 01 / 2010 01 / 2011
Mobilität für Graz-Reininghaus
Wohnen in Graz-Reininghaus
Stadtregierungssitzung Gemeinderatsausschuss
Bezirksräte
Smart Governance
Rechtsform
Finanzierung
Vermarktung
Nutzer
Infrastruktur
Verkehr
Magnetismus
Nachhaltigkeit
Frei- und Grünraum
Charta Graz-Reininghaus
Stadtmodell
Rechtliche Grundlagen
Realisierungs-planung
Graz und Land Steiermark
Konzeptionen des Wünschenswerten – Was Städte über die Zukunft wissen sollten. Erschienen im Czernin Verlag und bei SpringerWienNewYork.www.graz-reininghaus.com
Perspektivenwechsel
Nicht Städteplaner und Architekten, sondern 32 Grazerinnen und Grazer unterschiedlicher beruflicher Herkunft und deren Gesprächspart-ner aus den verschiedensten Lebensbereichen im In- und Ausland begaben sich 2006 auf die Suche nach wünschenswerten Konzeptionen für zukünftiges urbanes Leben, Arbeiten und Lernen. Das Ergebnis waren demnach auch keine Pläne und Zeichnungen, sondern ein Buch. Und ein Netzwerk von Eigenschaften.
Der Entwicklungsprozess von Graz-Reining-haus hatte damit seine ersten grundlegenden inhaltlichen Orientierungslinien, die in der Fol-ge in fünf zentralen Standpunkten von Asset One manifestiert wurden. Demnach soll Graz-Reininghaus ein vollwertiges und gemischt genutztes Stadtzentrum werden, das unter der inhaltlichen Führung von Asset One schon aufgrund des einzigartigen Entwicklungspro-zesses als eigenständige Marke eindeutig zu erkennen sein wird. Um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen, hat kleboth lindinger partners eine Prozessarchitektur entworfen, in deren Rah-men der Weg vom Denkbaren zum Möglichen konsequent und transparent beschritten wird. Das komplexe Thema Stadtentwicklung wird dabei von Experten aus verschiedenen Diszi -plinen vertieft und Perspektiven zu den The men Grün- und Freiraum, Stadtszenarien, Nutzungs-vielfalt, Mobilität, Energie und Wohnen werden entwickelt. Zudem werden zentrale Aspekte des Lebens in einer Stadt der Zukunft aus der soziokulturellen Perspektive heraus formuliert und bearbeitet. All dies sind Themen, innerhalb derer Graz-Reininghaus konsequent weitergedacht wird und aus denen ein erstes, noch stark abstraktes Stadtmodell des zukünf-tigen Stadtteils von Graz entstehen wird.
13Die Reininghaus-Methode
Ein Stadtzentrum im Grazer Westen
1Vielfalt durch Urbanität
2Der Prozess als Qualität
4Asset One als Impulsgeber
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Graz-Reininghaus als Marke
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Perspektiven der Entwicklung von Graz-Reininghaus
MobilitätStadtszenarienGrün- und FreiraumNutzungsvielfalt EnergieNext City
Perspektive Stadtszenarien
Joan Busquets, Andres Duany, Erick van Eger-aat, Vittorio Magnago Lampugnani, Dietmar Leyk, Philipp Oswalt, Kazunari Sakamoto und Dirk Baecker im Gespräch mit Andreas Kleboth und Max Rieder auf der Spur von städtebau-lichen Möglichkeiten für Graz-Reininghaus … im Rahmen von Interviews an den Bürostand-orten der genannten Konsulenten in Berlin, Zürich, Rotterdam, Tokyo, Miami, Barcelona und Friedrichshafen und bei einem zweitägigen Symposium in Graz wurden vielfältige Themen aus dem Bereich des Städtebaus aufgezeigt, erörtert und nebeneinandergestellt. Durch intensives Betrachten einzelner Themen wie Startpunkt, Wachstum und Plan-barkeit von Stadtteilen, Herstellen von Wertbe-ständigkeit und Kommunizierbarkeit städtischer Optionen entstand ein umfassendes Bild für entscheidende Fragen einer Stadtentwicklung des 21. Jahrhunderts. Ganz bewusst ging es dabei vorrangig darum, Potenziale aufzuzeigen, ohne bestimmte Themen festzuschreiben.Eine ausführliche Publikation zum Thema
„Stadtszenarien für Graz-Reininghaus“ liegt vor.
15Die Reininghaus-Methode
Perspektive Grün- und Freiraum
Bilder des Frei- und Grünraums als erste kon-kretisierte Bilder eines Stadtteils, das war die Idee. Also wurden sieben europäische Land-schaftsarchitekturbüros aus Graz, Wien, Meran, Karlsruhe, Paris und Amsterdam eingeladen, Vorschläge für den Freiraum in Graz-Reining-haus zu machen. Ganz bewusst nicht als Wett-bewerb gedacht, sondern als Sammlung von Ideen und Anregungen.
Die eingebrachten Vorschläge waren vielfältig und reizvoll: Sie reichten von kleinen Interven-tionen wie einem Giraffengehege im beste-henden Malzsilo über eine Sichtbarmachung der bestehenden Quellen durch Fontänen und Trinkhäuser bis hin zu gesamthaften Lösungen wie etwa einem Central Park in der Mitte von Graz-Reininghaus. In einem zweitägigen Symposium waren alle sieben Landschaftsarchitekten am 24./25. Juni 2008 in Graz-Reininghaus und diskutierten dabei gemeinsam mit Vertretern der Stadt Graz grundlegend und intensiv wesentliche Fragen der Freiraumplanung. In einer Abendveranstaltung wurden die Ent-würfe auch öffentlich diskutiert. Eine aus-führliche Publikation zum Thema „Grün- und Freiraum für Graz-Reininghaus“ liegt vor.
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Perspektive Nutzungsvielfalt
Beim Begriff „Urbanität“ haben wir Bilder von vielfältigem städtischen Leben vor unserem geistigen Auge, einen bunten Mix von Geschäften und Lokalen, einen attraktiven, hoch frequentierten öffentlichen Raum, ein selbstverständliches Nebeneinander unter-schiedlicher Kulturen, Gesellschaftsschichten und Generationen. Und dies alles am besten rund um die Uhr. Abgesehen von den Metro-polen entsprechen am ehesten die histori-schen Zentren der Mittelstädte diesem Ideal. Stadtneugründungen dagegen zeichnen sich meist durch Sterilität aus, und das, obwohl sich viele Stadtplanungen der letzten Jahrzehn-te Nutzungsmischung, die Stadt der kurzen Wege, Belebung der Gebäudesockelzonen etc. zum Ziel gesetzt hatten. Offensichtlich stehen gesellschaftliche Rahmenbedingungen, norma-tive Vorschreibungen, wirtschaftliche Überle-gungen oder auch nur Gewohnheiten diesen an sich so wünschenswerten Eigenschaften im Weg. Im Sinne unseres Gesamtmottos ‚Stadt ermöglichen‘ wollen wir daher in der Perspektive Nutzungsvielfalt diesem Thema auf den Grund gehen und darüber nachdenken, in welchem Bereich die Durchmischung von Funktionen und Bevölkerungsgruppen Vorteile bringen und wie dies bei einer städtebaulichen Entwicklung wie in Graz-Reininghaus Berück-sichtigung finden kann. Eine Publikation zum Thema liegt vor.
17Die Reininghaus-Methode
Perspektive Energie
Es ist das hochgesteckte Ziel zukunftsorien-tierter Stadtentwicklungen, „energieneutral“ zu sein. Das heißt, der Betrieb des Stadtteils erfolgt ohne externe Energie (Elektrizität, Gas, Öl usw.), vielmehr wird die benötigte Energie in bzw. an den Häusern selbst erzeugt, meist durch Solaranlagen, Solarzellen, Erdwärme, Grundwasser etc. Zusätzlich wird auch jene Energie, die in die Herstellung und Entsorgung der Bauwerke investiert wurde (graue Energie), innerhalb des Lebenszyklus erwirtschaftet. Wie eine derartige saubere Vision für Graz-Reininghaus Wirklichkeit werden kann, wird in dieser Perspektive geklärt. Dabei geht es einerseits um die technisch sinnvolle Mach-barkeit solcher Vorhaben und andererseits um das Aufzeigen von Verwertungschancen der Immobilien. Besonders spannend erscheint dabei, welche Synergien sich durch die ganzheitliche Betrachtung der Energiebilanz eines ganzen Stadtteils ergeben. Denn gerade unterschied-liche Funktionen und Nutzungszeiten bergen überraschende Möglichkeiten, wenn die Ab-wärme des einen Gebäudes zum Heizen des nächsten dient, wenn Büros blendfrei nach Norden und Wohnungen zur Sonne orientiert sind und wenn darüber hinaus Wege des täg-lichen Bedarfs fußläufig in Graz-Reininghaus stattfinden.
Perspektive Next City
Wie man „Stadt“ im Rahmen der absehbaren Veränderungen unserer Gesellschaft denken kann, ist Gegenstand der stadtsoziologischen Perspektive, die im Projekt Graz-Reininghaus unter der Überschrift „Next City“ bearbeitet wird. Durch Forschungskooperationen u. a. mit der Zeppelin University Friedrichshafen und unter Einbindung internationaler Experten werden all die relevanten gesellschaftlichen Fragestellungen aufgegriffen, die sich mit dem Übergang der modernen Gesellschaft in eine post-moderne Weltgesellschaft für die Ent-wicklung urbaner Räume ergeben. Dabei steht insbesondere die Neubewertung der Frage nach Heimat und Verortung des Menschen in Zeiten globaler, zunehmend virtueller Lebens-zusammenhänge im Mittelpunkt. Die Ergeb-nisse dieses Arbeitsprozesses werden in Form eines „stadtsoziologischen Pflichtenhefts“ zusammengefasst, in dem Überlegungen und Anforderungen an eine „Nächste Stadt“ am konkreten Beispiel von Graz-Reininghaus durchdekliniert und festgehalten werden. Ein dreitägiges Symposium zum Thema fand vom 13. bis 15. November 2008 in Graz- Reininghaus statt.
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19Die Reininghaus-Methode
Ausblick: Stadtmodell Reininghaus
In diesem kommenden Prozessschritt werden die bisher gesammelten Inspirationen, Ideen und Perspektiven erstmals gebündelt und materialisiert. Dies wird in Form von sogenann-ten „Stadtmodellen“ geschehen, die man als abstrahierte Verräumlichungen interdisziplinär gedachter Stadtideen verstehen kann. Sie sind die umfassende Materialisierung der vielfälti-gen Überlegungen für Graz-Reininghaus, die Übersetzung wünschenswerter Eigenschaften aus unterschiedlichen Disziplinen in ein auch grafisch dargestelltes Stadtmodell. Die Konzeption der Stadtmodelle wird stark geprägt sein von Wissen, Erfahrung und von Erkenntnissen aus dem bisherigen Pro-zess. Darauf aufbauend werden sich wiederum durch die subjektive Wahrnehmung geprägte, kreativ-individualistische Lösungsvorschläge ergeben. Die Varianten dieser „Stadtmodelle“ werden ein Spektrum an prinzipiellen Möglich-keiten für Graz-Reininghaus liefern und so Rich-tungsentscheidungen für die weitere Entwick-lung erleichtern. Ihnen folgen intensive Diskus-sionen, Evaluierungen durch externe Experten, Kommentare und Kritik – danach wird aus den vorgelegten Varianten eine ausgewählt. Diese wird dann zum „Stadtmodell Reininghaus“.
Das „Stadtmodell Reininghaus“ wird zum Haltegriff, Schrittmacher und Gradmesser für alle weiteren Umsetzungsmaßnahmen von Graz-Reininghaus. Erst danach werden die herkömmlichen Entwicklungs- und Planungs-schritte, wie Bebauungsplanung, Projekt-planung usw., zum Einsatz kommen – auf dem höchst ambitionierten Weg zu einem
„normal funktionierenden Stadtteil des 21. Jahrhunderts”.
Das Areal Graz-Reininghaus >>
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Graz-Reininghaus
Im Westen von Graz liegt, nur 1.800 Meter vom historischen Stadtzentrum entfernt, das 545.786 Quadratmeter große Areal der ehe-maligen Brauerei Reininghaus. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um eine große, durch charakteristische Pappelhaine strukturierte Grünfläche mit einigen Industriegebäuden als Altbestand. De facto ist Graz-Reininghaus zurzeit ein weißer Fleck auf dem Stadtplan.
Eine Straßenkreuzung in Groß-Graz Wenn auch in den Überlegungen zu Graz- Reininghaus immer wieder die Alte Poststraße genannt wird – eine Verkehrsader gab es hier bereits vor 5000 Jahren. Verkehr ist in Folge nicht nur die einzig nachweisbare Kontinuität am Ort, er begleitet auch, mittelbar und in unterschiedlichen Ausprägungen, die Entwick-lung von Graz-Reininghaus. Zu der in Nord-Süd-Richtung durch das Steinfeld führenden Straße kam unter den Römern eine West-Ost-Achse hinzu. Von der Kreuzung der beiden Verkehrswege gibt es eine direkte Linie zu Graz-Reininghaus: 1361 erweiterte Graz sein Stadtgebiet nach Westen über die Mur bis zur alten Poststraße, um von dem an Graz vorbei fließenden Alpen-Adria-Verkehr künftig Maut einheben zu können. Dem Mauthaus folgte eine Gastwirtschaft und 1669 erhielt ihr Besitzer vom Fürsten zu Eggen berg die Erlaubnis zur Errichtung einer Brauerei. 1853 erwarben die Brüder Johann Peter und Julius Reininghaus aus Westfalen das Maut-haus samt Brauerei und 45 Hektar Land. Ein idealer Zeitpunkt. Denn die Monar-chie wurde gerade von der Industrialisierung erfasst, aufgrund der benötigten Arbeiter mit den Städten als ihre wesentlichen Zentren. Technische Revolutionen im Brauereiwesen erlaubten vollkommen neue Produktions-
Das Areal Graz-Reininghaus
Verfahren und -Mengen. Und auch das Verkehrs-wesen eröffnete neue Perspek tiven: 1854 verband die Semmeringbahn Graz mit Wien, 1857 war die Strecke nach Triest fertiggestellt, 1860 die Graz-Köflach-Bahn, 1873 die Raaber Bahn nach Ungarn. Perfekt für die aufstrebende Industrie, die den logistischen Vorteil der Eisen-bahn sowohl für die Anlieferung der Rohstoffe als auch für den Abtransport und für den Ex-port ihrer Erzeugnisse nutzte. Historisch liegt Graz-Reininghaus also nicht hinter dem Bahn-hof, sondern der Bahnhof direkt vor dem Brau-erei-Areal, das ab 1882 auch seinen eigenen Gleisanschluss hatte. Die Schattenseite der verkehrsgünstigen Lage: Bis in die neuesten Konzeptionen für Graz-Reininghaus werden die nahezu vollständig umlaufenden Gleiskörper als Barriere für eine urbane Verschmelzung von Graz und Reininghaus empfunden. Der Boom der Gründerzeit hat Folgen: Graz wächst 1850-1910 von 56.220 auf 151.781 Einwohner (+ 170 %). Und die Bier- Tycoons beteiligen sich – durchaus auch im Eigeninteresse – an einem Teil der gesellschaft-lichen Entwicklung: Reininghaus errichtet einen Sportplatz (der älteste in Graz, er existiert heute noch), weiters ein Spital, ein Altenheim und man beteiligt sich auch am Bau des Elektrizitäts-werks Lebring. Reininghaus investiert in den Bau der Schlossbergbahn, das Unternehmen ist Mitbegründer der Tramwaygesellschaft – und bereits 1901 verbinden zwei Straßenbahn-linien die Grazer Altstadt mit den westlichen Bezirken und Vororten. Aber auch die Stadt erkennt das neue Zeitalter für Graz. Stadtbaumeister Freiherr Ritter von Kink entwirft Graz nach nahezu großstädtischen Parametern, mit einer Baum bestandenen Ringstraße um den Stadtkern und mit radialen Ausfallsstraßen. Der 1892 vom Grazer Gemeinderat verabschiedete Generalbebauungsplan betrachtete einen Zeitraum bis zum Ende des 20. Jhdts.
23Das Areal Graz-Reininghaus
Anfang der 1970er Jahre spielte das Thema Verkehr in Graz-Reininghaus wieder eine zent-rale Rolle. Beim Ausbau der Pyhrn-Autobahn sollte die ‚Eggenberger Trasse‘ an den Hügeln im Grazer Westen geführt werden. Dies wurde jedoch von Bürgerinitiativen verhindert. Statt-dessen wurde der Plabutschtunnel errichtet und 1987 ohne Anschlussstellen im gesamten Grazer Westen eröffnet.
Die bestehende ÖV-Infrastruktur zeigt deutlich, dass Graz- Reininghaus noch nicht optimal erschlossen ist
Straßenbahn
Bus
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Historische Entwicklung des Gebiets
14. Jahrhundert
Die Stadt Graz errichtet ein Mauthaus im Grazer Steinfeld am Kreuzungspunkt der Ost-West- und Nord-Süd-Routen, die bereits in der Römerzeit bekannt waren.
16. Jahrhundert
Ein neues Mauthaus entsteht an der Stelle, wo sich heute das Restaurant Reininghaus befindet.
1853
Der aus Westfalen stammende Johann Peter Reininghaus und seine Frau Therese Mautner Markhof kaufen das Mauthaus und das dazu-gehörige Areal.
1855
Johann Peter und sein Bruder Julius Reining-haus gründen die Firma „Brüder Reininghaus“. Sie bauen die erste mit Dampf betriebene Brauerei der Steiermark und melden mehrere Patente für Brauereigeräte an. In den kommen-den Jahrzehnten werden Eisteiche angelegt, ein Kanal zur Mur gegraben und ein Sportplatz angelegt, der heute noch existiert.
1882
Anschluss des Geländes an die Südbahn.
1892
Die Brauerei zählt 700 Mitarbeiter und ist damit die fünftgrößte der Monarchie. Die Brü-der Reininghaus beteiligen sich an der Grün-dung der Grazer Tramwaygesellschaft, am Elektrizitätswerk in Lebring und am Bau der Schlossbergbahn.
Im Grazer Gemeinderat wird der „General-bebauungsplan 1892 der Stadt Graz mit allen Teilen als Rahmenentwurf für die bauliche Ent-wicklung der Stadt in den nächsten 50 – 100 Jahren“ beschlossen. Der bürgerliche Hausbau und die Betonung von Grünräumen als Teil der städtischen Wohlfahrt sind zwei markante Kennzeichen dieses Beschlusses. Die Marktgemeinde und Arbeiter-vorstadt Eggenberg hat ein eigenes Rathaus, ein Bauamt, ein Volksbad und 68 Gemischt-warenhandlungen.
1900 und 1901
werden zwei Straßenbahnlinien in den Grazer Westen eröffnet. Der Landbesitz der Brüder Reininghaus reicht bis zum heutigen Weblinger Gürtel.
Nach 1918
Die Förderung des Kleinwohnungsbaus führt in den Stadtrandgebieten von Graz zum Bau zahlreicher Einzelhäuser mit Gartenanteil. Karl Hoffmann ortet in dieser Tendenz 1928 eine fehlende „notwendige Zusammenfassung zur städtebaulich befriedigenden Einheit“ und schlägt eine nutzungsbezogene Gebiets-aufteilung vor, die in ihrer Funktionsaufteilung bereits die Richtung späterer Flächenwid-mungspläne einschlägt und auch auf die Nachbargemeinden von Graz Bedacht nimmt.
1938
Eggenberg, Wetzelsdorf und weitere Gemein-den westlich der Südbahn werden eingemein-det. Graz erreicht damit seine noch heute gültige Ausdehnung.
1939
Emigration der Familie Reininghaus.
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25Das Areal Graz-Reininghaus 25Das Areal Graz-Reininghaus
Öffentlicher Verkehr:Die erste Pferdebahn in Graz um 1880
Industrialisierung:Ein eigener Bahnanschluss für die Brauerei der Gebrüder Reininghaus
Die Brauerei Reininghaus im Jahr 1908
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Internationale und regionale Verkehrsanbindung von Graz-Reininghaus
Bild obenDer Jakominiplatz in Graz: hier treffen sich alle Straßenbahnlinien
Karte rechtsDurch den Ausbau der Schienen verkehrs infra-struktur wird Graz zu einer zentralen Schnitt stelle
Plan rechts obenDas Straßennetz von Graz
Plan rechts untenÖffentlicher Verkehr in Graz
zusätzliches Bildmaterial
27Das Areal Graz-Reininghaus
1944 /1945
Die Brauerei Reininghaus wird mit der Brauerei Puntigam zwangsfusioniert. Auf dem Reining-haus-Gelände wird unterirdisch Kriegsgerät produziert. Die Brauerei wird mehrmals Opfer von Bombenangriffen und ist bei Kriegsende stark beschädigt.
1946 /47
Die Familie Reininghaus kehrt aus dem Exil zurück. Die Bierproduktion wird nach Puntigam verlegt.
1948
Städtebauliche Planung für Graz durch Bleich-Ehrenberger-Gallowitsch, die sich an den Prinzipien der Moderne und an Le Corbusiers
„offener Stadt“ orientiert. Entwurf eines auf die Topographie abgestimmten Planes für die Festlegung von hochhausfreien Zonen.
1960er-Jahre
Der Generalverkehrsplan widmet sich der Erschließung der ganzen Stadt für den Auto-verkehr. Der Plan, die Nord-Süd-Verkehrsachse des Fernverkehrs durch Eggenberg zu leiten und mehrere Anbindungen ins Zentrum zu schaffen, wird von Bürgerinitiativen verhindert. Die Umfahrung von Graz durch den Plabutsch-tunnel gilt als Alternativvariante.
1975, 1982, 1992
Die Flächennutzungs- bzw. Flächenwidmungs-planung der Stadt Graz nimmt immer stärker die Position der örtlichen Raumordnung ein. Schwerpunkte sind die Begrenzung des Bau-landverbrauchs, das Abblocken von aus dem Rahmen fallenden Vorhaben sowie bewahren-de Maßnahmen zur Erhaltung und Verbesse-rung der Lebensqualität.
1995 – 1999
Im Rahmen des EU-Programms URBAN I erfolgt 1997 die Ansiedlung der FH Joanneum an der Kreuzung Eggenberger Allee/Alte Poststraße als Impuls für die Aufwertung des Grazer Westens.
1997
Übernahme der Steirerbrau AG durch die Brau Union.
2001 – 2005
Im Rahmen von URBAN II werden u. a. der Bau der Helmut-List-Halle beschlossen und der Ausbau des FH-Campus Graz-West. Unterstützt werden der Bau der Unterführung Graz-Köflacher Bahn in der Alten Poststraße, die Einrichtung des Start-up-Centers im „Busi-nesspark Reininghaus“ sowie weitere Projekte zur städtebaulichen Entwicklung von Graz- West.
2003
Heineken erwirbt die Aktien der Brau Union.
2005
Asset One erwirbt das Gelände von Graz-Reininghaus.
Perspektive Mobilität >>
30
Ansatz
Mobilität ist eines der Kernthemen für eine erfolgreiche Standortentwicklung. Einfache Erreichbarkeit und optimale Anbindung an überregionale Wegenetze sind unabdingbare Bedingungen jedes erfolgreichen Immobilien-projekts. Dabei greift das Thema Mobilität in einem Stadtteil elementar in den Alltag von Bewohnern und Passanten ein. Ein derart gro-ßes Betrachtungsgebiet wie Graz-Reininghaus bietet besondere Chancen, das Mobilitätsver-halten der Menschen grundlegend zu ändern. Auch auf Grund hoher Errichtungskosten und etwaiger Folgekosten bedarf Verkehrs planung eines langen Vorlaufs und einer intensiven Abstimmung mit zahlreichen Beteiligten aus den unterschiedlichsten Verantwortungsbe-reichen – vor allem auch mit der Stadt Graz.
Perspektive Mobilität
31Perspektive Mobilität
Ziel
In der Verkehrsplanung gilt ganz besonders: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Gelingt es Graz-Reininghaus, die für seine Bestimmung adäquate Verkehrs-Infrastruktur zu schaffen, ist ein gutes Stück des Weges hin zu einem in der Wirklichkeit funktionierenden und begehrten Graz-Reininghaus geschafft. Das Pflichtenheft für die Mobilität beinhaltet vor allem auch die Einbindung aller Betroffenen und Beteiligten: Aufftraggeber, Planer und Konsulenten sowie Vertreter der Stadt. Dies ist unerlässlich, um die langfristigen inhaltlichen Anforderungen der zukünftigen Nutzer in Bezug auf ihre Mobilität zu berück-sichtigen. Die Verkehrsplanung für Graz-Reining-haus muss und soll so angelegt sein, dass sie den absehbaren Mobilitäts-Bedarf (und die -Bedürfnisse) seiner Nutzer erkennt und deckt. Und auf den noch nicht absehbaren Bedarf muss sie in jedem Fall flexibel eingehen können.
32
Methode
Die Tatsache, dass die Auftraggeberin bei der Verkehrsplanung von Graz-Reininghaus ihre Interessen bei der Stadt berücksichtigt sehen will, führt zu der Notwendigkeit, sich bereits in diesem Stadium der Projektentwicklung intensiv mit Fragen der Mobilität zu befassen. Die grundlegende Frage hierbei ist, wie man das Areal, unter Einbeziehung der örtlichen Gegebenheiten, optimal und zukunftsweisend erschließen kann. Dies führt einerseits zu kon kreten Untersuchungen wie Verkehrs zäh-lungen und Visualisierungen von Verkehrs kno ten -punk ten. Und andererseits zu Darstellungenmöglicher Entwicklungen – von Mobilität in derZukunft, Veränderungen im Mobilitätsverhaltenoder Anpassung an neue Mobilitätsformen. Im Sinne einer umfassenden Verkehrs-erschließung beinhaltet die Betrachtung der Verkehrssituation für Graz-Reininghaus auch Themen wie:• Gestaltung eines attraktiven öffentlichen Raums mit Aufenthaltsqualität und Verteilung der Parkflächen• Gleichberechtigung der einzelnen Verkehrs- mittel und Fortbewegungsformen, Einbindung ins Fuß- und Radwegenetz der Umgebung• Mobilitätsmanagement• soziale und ökologische Ausgewogenheit der Mobilitätsformen
33Perspektive Mobilität
Die beauftragten Verkehrsexperten Dr. Kurt Fallast , Verkehrsplaner, Graz, DI Helmut Koch , Trafico, Gmunden und Prof. Jürg Dietiker, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Winterthur erarbeiteten die wissenschaftlichen Grund la-gen und Umsetzungs-Empfehlungen, aber auch analytische Betrachtungen aus Sicht der aktuellen Verkehrs planung und exemplarische Verkehrs konzepte in Form konkreter Pläne und Berechnungen. Diese wurden bei einem Symposium am 9. Oktober 2008 in Graz vorgestellt.
An der öffentlichen Podiumsdiskussion im Rahmen des Symposiums nahmen teil:Lisa Rücker, Vizebürgermeisterin der Stadt Graz, DI Andreas Tropper, Landesbaudirektor,Leiter der Abteilung 18 – Verkehr, DI Martin Kroissenbrunner, Vorstand der Abteilung für Verkehrsplanung der Stadt Graz, Mag. Roland Koppensteiner, CEO der Asset One AG, Arch. DI Andreas Kleboth, kleboth lindinger partners, Städte bauliche Intendanz Graz-Reininghaus.
Von links nach rechtsAndreas Kleboth, Martin Kroissenbrunner, Helmut Koch, Andreas Tropper, Lisa Rücker, Jürg Dietiker, Roland Koppensteiner, Gonzo Renger (Moderation), Kurt Fallast
Die Konsulenten >>
Weitere Tätigkeits bereiche sind· Lehrauftrag „Verkehr und Umwelt“ und „Raumord- nung und Infrastruktur- recht“ im Rahmen des Masterstudiums „Umwelt und Verkehr” an der TU Graz· Geschäftsführer der Landesstelle Steiermark der „Österreichischen Verkehrswissenschaft- lichen Gesellschaft”· Mitglied des Aufsichtsrates der ASFINAG-Verkehrs- telematik GmbH· Mitarbeit im Österreichi- schen Arbeitsring für Lärm bekämpfung (Arbeitsgruppe „Lärmarme Kfz – Lärmarme Reifen“)· Mitarbeit in den Arbeits- ausschüssen „Mobilitäts- management“ und „Immissionsschutz - Lärm“ der Forschungsgesellschaft Straße – Schiene – Verkehr, Erstellung der Richtlinien und Vorschriften für das Straßenwesen RVS 04.02.11 – Lärmschutz· Bearbeitung des For- schungsschwerpunktes „Psychoakustik“ am Institut für Straßen- und Verkehrs- wesen an der TU Graz, Leiter des Akustik-Labors
DI Dr.techn. Ass.Prof. Kurt Fallast
Studium des Wirtschafts-ingenieurwesens für Bauwesen an der TU Graz.1979 Abschluss mit der Diplomarbeit „Nutzen- Kosten-Untersuchung für städtische Hochleistungs-straßen”. Seit 1980 am Institut für Straßen- und Verkehrswesen tätig. 1988 Dissertation „KFZ-Verkehrs-wegewahl in städtischen Straßennetzen”. Seit 1994 Ass.Prof. am Institut für Straßen- und Verkehrswesen
In seinem Ingenieurbüro für Verkehrswesen beschäftigt sich Fallast mit· Verkehrsuntersuchung· Verkehrsplanung· Verkehrstechnik· Umweltuntersuchung· UVE – Umweltverträglich - keitserklärung· UVP – Umweltverträglich- keitsprüfung
„Der Drang zur individuellen Mobilität ist in Graz nach wie vor sehr stark ausgeprägt.“
„Die Verkehrszunahme im Grazer Stadtgebiet geschieht hauptsächlich im Randgebiet, im Speckgürtel der Stadt, da die Leistungsfähigkeit des Straßen-netzes im Stadtzentrum kaum noch verbessert werden kann.“
„Trotz hoher Pendlerzahlen wird ein Großteil des Grazer Verkehrsaufkom-mens durch Binnenverkehr verursacht.“
„Neue Mobilitätsformen sind die Voraussetzung dafür, die Anzahl der Kfz-Fahrten einschränken zu können.“
„Intensive Nutzungsmischung in einem Stadtquartier fördert sanfte Mobilität: Bewohner dieser Quartiere gehen zu Fuß und nutzen öffentliche Verkehrsmittel.“
Kurt Fallast
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Jürg Dietiker
Verkehrsplanung und Städtebau sind interdiszi-plinäre Aufgaben, aus diesem Grund besteht das Büro Dietiker immer nur aus einem relativ kleinen Kern, eingebettet in ein Netz ähnlich strukturierter anderer Fachleute. Bei neuen Aufträgen wird aus diesem Netz ein geeignetes Team formiert, das neben technischen Fachleuten meist auch Vertreter der Sozial- und Geisteswissen-schaften, aber auch Partizi-pations- und Moderations-fachleute umfasst. Wichtige Prinzipien sind: Orientie-rung an Grenzen, angebots-orientierte Planung und Partizipative Planung
Prof. Jürg DietikerZürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Winterthur
Nach der Grundausbildung zum Bauingenieur vorerst Weiterstudium „querfeldein“ an Universität und ETH Zürich, danach Jahre des
„learning by doing“ in der Praxis, unterbrochen von einem Studienaufenthalt in Italien. Vorerst letzte Ausbil-dungsetappe 2003 mit dem Master in advanced studies in applied ethics.
Vorbilder„Als Bearbeiter der Mobilitätsstrategie der Stadt Zürich kenne ich diese Stadt natürlich am besten. Es ist aber auch die Stadt, die angebotsorientierte Planung seit einem Vierteljahrhundert vielleicht am konsequentesten umsetzt: Mit neuen Stadtbahnen und Straßen-bahnlinien, mit Begrenzung des Park-raums, mit Straßenumgestaltung, flächen deckender Verkehrsbe ruhigung etc.“
Positive Entwicklungen der letzten Jahre
„Der Schritt vom sektoriellen Denken technischer Lösungen zu ganzheit-lichen Betrachtungen im System Mensch – Technik – Umfeld. Der Schritt vom technokratischen Experten zum interdisziplinären Mitdenker in parti-zipativen Prozessen. Die Wiederent-deckung und Gestaltung der Straßen als wichtige Stadträume.“
Chancen für Graz-Reininghaus„So, wie der Projektprozess aufgegleist wurde, steht einem europäischen Leuchtturmprojekt nichts im Wege.“
Die Konsulenten 37
Trafico ist eine Partnerschaft von drei Verkehrsplanungs-büros, mit dem Anspruch, die Stärken der Partner opti mal einzusetzen. Weitere Planungsbüros aus den Bereichen Architektur, Stadt planung, Regionalpla-nung, Landschaftsplanung, Bauinge nieur wesen und Umwelt sind ebenfalls in das Netzwerk eingebunden. Trafico Verkehrsplanung erfolgt nach dem Ablauf Problemanalyse – Entwick-lung von Maßnahmenvor-schlägen – Wirkungsprog-nose – Um setzung und Evaluierung, vielfach unter intensiver Einbindung der Betroffenen und der Um-setzungsverant wortlichen.
Vorbilder„Die Stadtplanung in Salzburg ist in mehreren Bereichen vorbildlich. Seit den 1980er Jahren wird eine kon-sequente Verkehrspolitik umgesetzt, die insbesondere im Bereich des Radverkehrs herzeigbare Ergebnisse gebracht hat.“
Positive Entwicklungen der letzten Jahre
„Das Prinzip der Verkehrsberuhigung hat sich weitgehend durchgesetzt. Tabus gibt es bei stärker belasteten Straßen, besonders bei klassifizierten Straßen (Landesstraßen). Die intensive Diskus sion des Themas Shared Space ist ein Beispiel dafür, dass auch hier bei der Nutzung des Straßenraums ein Umdenken stattfindet. Der Radverkehr hat in den letzten Jahrzehnten stark an Bedeutung gewonnen. Es gibt heute ausgesprochene Radfahrerstädte, jede österreichische Landeshauptstadt bemüht sich um die Förderung des Radverkehrs.“
Chancen für Graz-Reininghaus„Graz-Reininghaus hat die Chance, ein Musterstadtteil von österreich-weiter Bedeutung zu werden. Die Heran geh ens weise an die Planung ist äußerst innovativ und bringt viele neue, gute Ideen für die noch ausstehende Konkretisierung. Von großer Bedeutung wird sein, inwieweit wichtige Infra-strukturprojekte (Straßenbahn, Radverkehrsanbindung) zeitgerecht umgesetzt werden können.“
Dipl.Ing. Helmut KochTrafico Verkehrsplanung, Gmunden
Studium der Geografie an der Universität Wien, Studium der Raumplanung und Raumordnung an der TU Wien. 1979–1985 Univer-sitätsassistent am Institut für Verkehrsplanung der TU Wien, 1985–1987 Sachbe-arbeiter beim Magistrat der Stadt Salzburg, Abteilung Stadt- und Verkehrsplanung, seit 1988 freiberuflicher Verkehrsplaner
Helmut Koch
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39Die Konsulenten
Interview mit Helmut Kochund Jürg Dietiker
Mobilität und das Auto wurden in den letzten 150 Jahren als Inbegriff freier persönlicher Lebensgestaltung empfunden. Bleibt das auch in Zukunft so? Koch Das Auto ist immer noch ein Vehikel, das Freiheit verspricht und auch gibt. Aber es ist heute mehr ein Gebrauchsgegen-stand. Ich denke, dass sich die Beziehung zum Auto weiter rationalisieren wird. Dietiker Mobilität ist lustvoll, sie ist ein uralter Menschheitstraum, war aber immer auch mit Gefahren verbunden, wie uns bereits Ikarus in der griechischen Mythologie zeigt. In dieser Geschichte steckt aber auch eine sehr aktuelle Erkenntnis: Wenn wir Grenzen über-schreiten, droht Unheil – wie heute mit dem automobilen Verkehr, der Klimaveränderungen, Unfälle, Zersiedelung der Landschaft und Zer-störung der gewachsenen Stadtstruk turen zur Folge hat. Wenn jedoch Alternativen angeboten werden, die ein anderes Mobilitätsverhalten vernünftiger machen, dann erfolgt der Umstieg als freie Wahl eines vernünftigen Individuums.
Ist es nicht schade, dass wir Mobilität in unseren Städten stets negativ konnotieren? K Negativ gesehen werden vor allem der Kfz-Verkehr und der Verkehr der Anderen, siehe „Transit-Verkehr“. Das hat viel mit sub-jektiver Wahrnehmung zu tun. Schlüssel größen bei der Anpassung an die Umgebung sind geringe Geschwindigkeit, gegenseitige Rück-sichtnahme und gute Querbarkeit der Straßen. Hier besteht enormer Handlungsbedarf, denn Straßenbau ist auch Städtebau, es braucht wieder Straßenräume mit Qualität und gute Integration in das Umfeld. D Mobilität ist viel mehr als die übliche Gleichsetzung von Verkehr und Autofahren. Probleme entstehen dann, wenn das Domi nanz -gefälle zwischen den Mobilitätsformen – z.B. Auto und Fußgänger – zu groß ist: Durch Geschwindigkeit und kinetische Energie domi-nieren die Autos in vielen Stadtstraßen das
Mobilitätsgeschehen, machen anderes unmög-lich und werden deshalb als negativ empfunden.
Lange Zeit dachte man, die Einführung von elektronischem Datenverkehr wird dazu führen, dass wir weniger reisen werden. Das Gegenteil ist eingetroffen, unsere Reisedis-tanzen nehmen zu. Ist für Sie da ein Ende des Mobilitätswachstums in Sicht? K Es gibt kein Mobilitätswachstum. Die Zahl der Wege und die Zeit, die wir täglich unterwegs sind, haben sich nur wenig verän-dert. Was sich jedoch radikal geändert hat, ist die Selbstverständlichkeit, mit der wir weite Distanzen zurücklegen. Problematisch ist auch die ausufernde Alltagsmobilität, die steigenden Pendelentfernungen, kilometer intensive Ein-kaufsfahrten und die Mobilität in der (Wochen-end-)Freizeit. D Mobilität bezieht sich nicht nur auf Weglängen. Sie umfasst alle Wege, die wir zur Erfüllung unserer täglichen Bedürfnisse zurücklegen müssen. Ihre Zahl ist über viele Jahrzehnte gleich geblieben – der Weg in die Arbeit, zum Einkaufen und zum Erreichen von Freizeitzielen. Mehr brauchen wir nicht, in diesem Sinne sind wir über die Jahre nicht mobiler geworden. Verändert haben sich aber Verkehrsmittelwahl zugunsten des Autos und die zurückgelegten Distanzen. Ein Ende dieses Distanzwachstums wird erst dann eintreten, wenn die Möglichkeiten, innerhalb des tägli-chen – und erstaunlich konstanten – Zeitbud-gets immer größere Distanzen zurückzulegen, nicht mehr zur Verfügung gestellt werden.
Mobilität ist viel mehr als die übliche Gleichsetzung von Verkehr und Autofahren
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Shared Space wird als neue Form des Miteinanders auf unseren Straßen gesehen: Löst es tatsächlich Probleme und ist es in Graz-Reininghaus realisierbar? K Grundsätzlich ist es wichtig, städti-sche Hauptverkehrsstraßen besser ins Umfeld zu integrieren – nach der Idee von Shared Space, in Anlehnung an das Berner Modell oder durch ein neues Modell „Graz-Reininghaus“. Denn hier kann man Hauptverkehrs straßen von Anfang an städtebaulich integrieren und mit Qualität ausstatten. Wichtig sind dabei ein angepasstes Geschwindigkeitsniveau, gute Querbarkeit und gute gestalterische Lösungen – und der Öffentliche Verkehr, der durch intel-ligente Betriebskonzepte zu bevorzugen ist. D Shared Space ist nichts anderes als eine Antwort auf unsere praktischen Probleme: Die Anforderungen an die öffentlichen Räume nehmen zu, der zur Verfügung stehende Platz ist jedoch beschränkt. Mit der gemein samen Nutzung (eben ‚shared space‘) von öffentlichem Raum werden neue Spielräume und Flexibi li tä-ten für die Nutzung und Entwicklung der Stadt geöffnet. Voraussetzung für diese Koexis tenz ist jedoch: Der Verkehr muss langsam, sicher und aufmerksam ablaufen.
Wie könnte man das Mobilitätsverhalten etwa in Graz entscheidend verändern und die Akzeptanz von anderen ‚sanften‘ Mobilitäts-formen steigern? K Es gibt eine Reihe empirischer Belege dafür, dass ein quantitativ vergleich-bares Angebot auf Schienen deutlich mehr Fahrgäste anspricht als eine Buslinie. Das hat verschiedene Gründe und kann rational nicht ausreichend erklärt werden. In Straßenbahn-städten sollte die Erschließung neuer Stadt teile grundsätzlich auf der Schiene erfolgen, um einen möglichst hohen Anteil von ÖV-Wegen zu erreichen. Und zwar von Anfang an, da das Verkehrsverhalten der NutzerInnen beim Wohn -sitzwechsel geändert und neu geprägt wird. D Auch auf die Vorschreibung be-stimmter Stellplatzzahlen zu verzichten und das Parken dem freien Markt zu überlassen, ist längst nicht mehr nur eine Idee. So hat ABB beim Ausbau an seinem Standort Baden mit der Stadt ein Mobilitätskonzept entwickelt, das zunächst die Parkplätze stark beschränkt hat. In einem zweiten Schritt hat ABB mit der Rei-hung der Anspruchsberechtigungen der Mit -arbeiter nach ÖPNV-Fahrzeit, mit Benützungs-gebühren für die Stellplätze und mit Ökobonus bei Verzicht auf den Stellplatz die Nachfrage nach Parkraum privatwirtschaftlich geregelt.
Shared Space ist nichts anderes als eine Antwort auf unsere praktischen Probleme
41Die Konsulenten
Wie werden wir uns im Jahr 2030 in unseren Städten bewegen? Werden wir weiterhin mehr als 40 % der Wege mit dem Auto zurücklegen, werden wir vermehrt zu Fuß gehen oder sind neue Verkehrstechnologien zu erwarten? K Die Zahl der Fußwege nimmt seit Jahrzehnten ab, auch in den Städten – zu Guns-ten des Autos und des Radverkehrs, in einigen Fällen auch zu Gunsten des Öffent lichen Ver-kehrs. Die Gründe dafür sind die sich ändernden Siedlungsstrukturen und die Bereitschaft, für viele Aktivitäten weite Distanzen zurückzulegen. Es braucht daher eine neue urbane Kultur des Gehens, aber auch die entsprechenden Struk-turen: Hohe Dichten, starke Nutzungsmischung und attraktive Verbindungen für Fußgänger. D Ein Zurück in die Stadt wird nicht nur Wunschdenken, sondern sehr wahrschein-lich Realität sein. Um für diese neuen Anfor-derungen gerüstet zu sein, bieten hochwertige, verdichtete und nach dem Prinzip der kurzen Wege konzipierte neue Stadtteile wie Reining-haus die nachhaltigsten Voraussetzungen. Meine Vision 2030 von Graz-Reininghaus sieht daher so aus: Unterwegs sind Menschen zu Fuß, mit dem Fahrrad und mit dem Kickboard, moderne Straßenbahnen ohne Oberleitungen verkehren im Sechsminutentakt. Die modernen Stadtautos mit Elektroantrieb – überwiegend aus der Reininghaus CarSharing-Flotte – fahren ruhig und langsam, durch ihr Design haben sie ihre optische und physische Dominanz verloren und werden in den zentralen Parkierungsanla-gen am Quartierrand stationiert. Die Bewohner nehmen den Fußweg dahin gerne in Kauf, profitieren sie doch selber vom verkehrsarmen Stadtteil und erleben unterwegs auch noch das urbane Leben in Reininghaus.
Drei Dinge, die in Graz-Reininghaus unbedingt realisiert werden sollten: K 1. Erarbeitung eines Städtebau lichen Leit-planes mit der Festlegung von Verkehrsinfra-struktur, Sammelgaragen, autofreien Zonen, Nutzungen und Dichten. Vorgaben für die Ausgestaltung des Straßennetzes.
2. Ausarbeitung von Qualitätsstandards für künftige Investoren, Bauherren und Nutzer als Geschäftsgrundlage für eine „Graz-Reining-haus-Entwicklungs-GmbH“.
3. Errichtung einer Straßenbahnlinie als zen-trale Erschließungsachse vor dem Beginn der Bebauung. D 1. Ein klares Bekenntnis zur stadtverträg-lichen, nachhaltigen Mobilität und eine konse-quente Umsetzung dieses Bekenntnisses in zukunftsorientierten Projekten.
2. Ein schrittweises und partizipatives Vorge-hen mit regelmäßiger Standortbestimmung und Neubeurteilung des nächsten Schrittes.
3. Das Beibehalten der Originalität und Kreativität des begonnen Entwicklungsprozesses.
Absatz oder Hervorheben der Punkte 1, 2, 3Ein Zurück in die Stadt wird nicht
nur Wunschdenken, sondern sehr wahrscheinlich Realität sein
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Diskussionsgäste
Lisa RückerVizebürgermeisterin der Stadt Graz
„Ein Gebiet ist natürlich ideal versorgt, wenn Infrastrukturfragen wie Nah ver-sorgung von Anfang an mitgedacht werden. Es geht also nicht nur um die rein verkehrlichen Maßnahmen, sondern auch um die kurzen Wege: Sie sollen erleichtert werden, indem bestimmte Angebote möglichst im Gebiet oder in der Region von vornherein vorhanden sind.“
Die Bearbeitung des Themas Mobilität in Graz wird maßgeblich vom Koalitionsvertrag zwischen ÖVP und Grünen bestimmt. Die Leit ziele in diesem Arbeitsprogramm sind geprägt vom „gemeinsamen Ziel“, einer „Neuorientierung der städtischen Verkehrspolitik“, von einer „Verschiebung der Verhältnisse zwischen motorisiertem Individualverkehr und Umwelt-verbund“, weiters von größerer Aufmerksam-keit für Kinder und Senioren und von einer Verbesserung der überregionalen Mobilität. Die festgehaltenen Maßnahmen befassen sich mit den Themen Feinstaub, Öffentlicher Ver-kehr, Finanzierung, Parken, Rad, Gehen und Verkehrsberuhigung.*
* Entnommen aus „Koalitionsvertrag zwischen Grazer Volkspartei und Die Grünen Graz für die Gemeinderats-periode der Landeshauptstadt Graz 2008 bis 2013“, näheres finden Sie unter www.graz.at
DI Andreas TropperLandesbaudirektor,Leiter der Abteilung 18 – Verkehr
„Der Radwegbau hat in der Steiermark durchaus Tradition, da sind wir öster-reichweit nicht schlecht unterwegs. Seit zwei Jahren heißt der Schwerpunkt ‚Rad im Alltag‘. Dahinter steht die Idee, das Rad im städtischen Bereich verstärkt einzusetzen.“
„Das Land Steiermark legt als erstes Bundes-land Österreichs ein Programm vor, das die Radverkehrsstrategie für die Jahre 2008 bis 2012 vorgibt.
Dieses Programm umfasst 3 Säulen:· Infrastruktur· Kommunikation und Bewusstseinsbildung· Organisation und Rahmenbedingungen
Diese Säulen sollen den Radverkehr systema-tisch erfassen und fördern. Ein ambitioniertes Maßnahmenpaket aus 56 Maßnahmen, das sich am bundes weiten Masterplan Radfahren orientiert, gibt einen Überblick darüber, welche Schwerpunkte das Land Steiermark in den 4 Jahren setzen wird. Gleichzeitig werden die Maßnahmen den steirischen Gemeinden als gezieltes Angebot zur Umsetzung vorgestellt.“
Näheres finden Sie unter www.radland.steiermark.at
DI Martin KroissenbrunnerVorstand der Abteilung für Verkehrsplanung der Stadt Graz
„Wir haben uns (…) mit Asset One als Entwickler von Graz-Reininghaus darauf verständigt, einen Verkehrs spar-stadtteil zu entwickeln. Mit Ver kehrs-sparstadt teil war gemeint, dass es in dem Gebiet (…) tatsächlich Möglichkeiten gibt, bestimmte Fehler zu vermeiden. Das heißt, sowohl ausreichende Querschnitte für den Fußgänger- und Radverkehr zu berücksichtigen als auch die Durchwegung.“
Martin Kroissenbrunner steht als zentraler An-sprechpartner für alle Fragen im Zusammen-hang mit Planungen von Verkehrsinfrastruktur und gemeinwirtschaftlichen ÖV-Dienstleistungen in der Stadt Graz zur Verfügung. Für ihn ist es wichtig, dass die Menschen möglichst viele Wege umwelt- und „stadtfreundlich“ zurück-legen können. Durch Verbesserungen im öffentlichen und kombinierten Verkehr soll der Verkehrsdruck in der Stadt verringert werden.
43Die Konsulenten
Aspekte der Mobilität >>
46
Abb.1 Modal Split Per so nen-verkehr in Graz: Auto und Fahrrad nehmen zu, ÖPNV steigt leicht, Wege zu Fuß sind stark rückgängig
ÖV Kfz-Mitfahrer Kfz-Lenker Fahrrad zu Fuß
Quelle: Stadt Graz
Abb.2 Fahrten über die Stadtgrenze (Pendler) steigen konstant und werden vor allem mit dem Kfz erledigt. Der Anteil des ÖPNV sinkt
Summe der Stadt- grenzen überschrei- tenden Personenwege
Personenwege Kfz (inkl. Mitfahrer)
Kfz-Fahrten ÖV-Personenfahrten
Quelle: Land Steiermark
Verkehrsmittelanteile
Wegeanteil in %
47Aspekte der Mobilität
Die Verkehrssituation in Graz
Die Verkehrssituation in Graz ist entgegen den in den letzten 20 Jahren beschlossenen ver-kehrspolitischen Leitlinien und Zielsetzungen noch immer von der starken Entwicklung des motorisierten Individualverkehrs (MIV) geprägt. Kontinuierliche Verkehrserhebungen zeigen, dass der Anteil der im MIV zurückgelegten Wege (Kfz-Lenker und -Mitfahrer) in den letzten 25 Jahren von 42,6 % auf 47,3 % zugenommen hat (Abb.1). Positiv im Sinne einer umwelt-freundlichen Entwicklung ist die starke Steige-rung des Radverkehrsanteils von 8,3 % auf 14,1 % aller Wege im Untersuchungszeitraum und die, wenn auch geringfügige Steigerung des Öffentlichen Verkehrs (ÖPNV). Der starke Rückgang des Anteils der Wege, die zu Fuß zurückgelegt werden, ist auf die dezentrale Siedlungsentwicklung und auf die immer größer werdenden Weglängen (z.B. im Ausbildungs- und Berufspendlerverkehr, sowie im Einkaufs-verkehr) zurück zu führen.
Im Verkehr, der die Stadtgrenze überschreitet, wurden bei langfristigen Beobachtungen für den Kfz-Verkehr durchschnittliche Steigerungen von 2 bis 3 % pro Jahr registriert. Der Aus bau des ÖPNV zeigt Wirkung, vor allem die Ver-besserung des Angebotes im Bahnverkehr wird von den nach Graz kommenden Personen wahrgenommen und bewirkt eine Zunahme der Fahrten mit der Bahn. Verstärkt wird diese Tendenz durch den Parkdruck in den zentrums-nahen Bezirken und durch die Parkraumbewirt-schaftung in den ‚Blauen‘ und ‚Grünen‘ Zonen. Trotzdem liegen die Steigerungsraten im ÖPNV mit rund 1% pro Jahr deutlich unter jenen im MIV, sodass die Schere zwischen ÖPNV- und MIV-Anteil immer noch größer wird (Abb.2). Die vor allem in den Umlandbezirken von Graz immer noch steigende Zahl der privat genutzten Pkw ist zugleich Auswirkung und Ursache dieser Verkehrsentwicklung. Der Drang zur individuellen Mobilität ist dort vor allem in den jüngeren Altersschichten immer noch sehr stark ausgeprägt. Die dezentrale Siedlungspolitik fördert dazu noch diese Motorisierungs- und Mobilitätsentwicklung (Abb.3).
Basisdaten für ein Mobilitätskonzept Graz-Reininghaus
Abb.3 Auswirkung und Ursache der Verkehrsent-wicklung: Hoher Motori-sierungsgrad am Land weiter steigend, in der Stadt bereits abnehmend
Bandbreite des Motorisierungsgrades der steirischen Bezirke
Steiermark Graz
Quelle: Land Steiermark
PKW und Kombi pro 1.000 Einwohner
48
Abb.4 Szenarien der Ver-kehrsentwicklung, Trends bis 2020: Selbst bei ‚starker Korrektur‘ sind die Haupt-straßen überfordert
Quelle: Land Steiermark
In zunehmendem Maße wird der die Stadt-grenze überschreitende Verkehr auch von Per-sonen mit Wohnsitz in der Stadt Graz geprägt. Rund ein Drittel dieser Kfz-Fahrten mit dem Ziel im Umland wird von Grazern mit den Ziel-zwecken Arbeiten, Ausbildung, Ein kaufen und Freizeit durchgeführt. Die MIV-Nutzung wird vom Umstand beeinflusst, dass in den Zielge-meinden zumeist genügend Parkraum vorhan-den ist und die Straßen z.B. in der Morgenspitze stadtauswärts weniger ausgelastet sind. Die Verteilung der Fahrtziele ist weniger konzent-riert als bei den stadteinwärts führenden Fahrten, damit ist auch das Poten zial für eine Verlagerung dieses Verkehrs auf den ÖPNV geringer.
Mobilitätsprognose
Für die Prognose zur Verkehrs-Entwicklung in Graz werden verschiedene Szenarien unter-sucht (Abb.4).• Bei einer Fortsetzung des aktuellen Trends mit 2 bis 3 % Zunahme pro Jahr bei jenem MIV, der die Stadtgrenze überschreitet, ergibt sich bis 2020 eine Steigerung der Kfz-Fahrten von knapp 50 %.• Beim Szenario „Leichte Korrektur“ wird vor- ausgesetzt, dass die jährlichen Zuwachs - raten leicht reduziert werden können. Das würde bedeuten, dass die Kfz-Fahrten bis 2020 noch um mehr als 1/3 zunehmen. • Das Szenario „Starke Korrektur“ setzt voraus, dass die jährlichen Zuwachsraten jeweils um 0,2 % verringert werden (von 2,7 % auf 2,5 % auf 2,3 % usw.). Für den Zeitraum bis 2020 ergibt das immerhin noch einen Zuwachs der Kfz-Fahrten um rund 20 %. Allein diese Mehrbelastung übersteigt die Kapazität der meisten Radialstraßen vor allem in den Spitzenstunden, sie reduziert die Verkehrs- qualität und damit die Erreichbarkeit von Graz als Wirtschafts- und Wohnstandort.
Ziel- und QuellverkehrBinnenverkehr
49Aspekte der Mobilität
Abb.5 Anteile der flächen-haften Verkehrsmerkmale im Kfz-Verkehr
Quelle: Land Steiermark
Binnenverkehr Graz330.000 (92%)
28.000 (8%)358.000 (100%)
Grazer
Im Gegensatz zum Grazer Ziel- und Quellver-kehr nimmt der Kfz-Binnenverkehr nur um rund 1 % pro Jahr zu. Hier ist im Betrachtungs-zeitraum nur mehr eine leichte Verkehrszu-nahme um etwas mehr als 10 % zu erwarten, wobei diese vor allem in den Randgebieten von Graz auftreten wird. Im Stadtzentrum kann die Leistungsfähigkeit des Straßennetzes nur mehr in geringem Maße verbessert werden. Den Fokus auf jene Fahrten zu richten,die die Stadtgrenze überqueren und damit die Problemursachen auf den „Pendlerverkehr“ abzuschieben, ist jedoch trügerisch. Knapp 60 % des Gesamtverkehrsaufkommens in Graz ist Binnenverkehr, der von den Grazern selbst verursacht wird. Damit liegen die Ursachen für Stau und schlechte Umweltbedingungen haupt-sächlich bei den Bewohnern von Graz selbst. Es ist also nicht zielführend, die Hand-lungsspielräume allein bei den mit dem falschen Sammelbegriff „Einpendler“ bezeichneten Kfz-Lenkern zu suchen. Ein großes Verbesse-rungspotenzial hinsichtlich der Reduktion der Kfz-Fahrten liegt vielmehr in der Änderung des Mobilitätsverhaltens der Grazer Wohnbe völ ke -rung. Dies bedeutet keineswegs eine Ein schrän -kung der Mobilität im Sinne einer Verringerung der Weganzahl. Es sind jedoch innovative Maß nahmen gefordert, um die Anzahl der Kfz-Fahrten einzuschränken und dadurch die Mobili-tät insgesamt zu sichern. Neue Mobilitätsformen sind dafür die Voraussetzung. Sie müssen entsprechend gefördert werden.
Ziel-Quell-Verkehr
Nicht-Grazer
60.000 (27%)
160.000 (73%)220.000 (100%)
50
Verkehrsanalyse Reininghaus
Ein Vergleich der Verkehrsmittelwahl im Ver-kehrsbezirk Reininghaus mit jener im benach-barten Eggenberg zeigt teilweise relevante Unterschiede. So weisen die Wege in Reining-haus einen deutlich höheren Anteil an Kfz- Fahrten auf, während in Eggenberg der Anteil der Fußwege und der Wege mit dem ÖPNV signifikant höher ist. Die Ursache liegt in den unterschiedlichen Nutzungen in den beiden Verkehrsbezirken. Während Reininghaus einen hohen Anteil an Arbeitsplätzen mit Einpendlern aufweist, findet sich in Eggenberg die klassische Struktur eines Wohnbezirkes mit einer Misch-nutzung aus Wohnen, Arbeiten und Ausbildung. Diese Nutzung ermöglicht und fördert eher die Mobilität zu Fuß und mit dem öffentlichen Verkehr.
Die mit dem Pkw zurückgelegten Wege, die ihren Ausgangspunkt im Bereich Reininghaus haben, sind derzeit mit ihren Zielen zu einem großen Anteil nach Norden und Süden hin orientiert. Die Kfz-Wege mit dem Ziel im Zen-trumsbereich und in östlichen Grazer Bezirken stellen einen geringen Anteil dar. Auch bei den Zielen außerhalb von Graz haben nördlich und südlich liegende Bezirke den größten Anteil. Diese Zielwahl ist auch ein Abbild der Erreich-barkeit des Bereichs Reininghaus für den Kfz-Verkehr (Abb.7). Im Gegensatz zu den Kfz-Wegen sind die mit dem Öffentlichen Verkehr zurückgeleg-ten Wege aus dem Bereich Reininghaus zum überwiegenden Anteil zum Zentrum von Graz hin orientiert (Abb.8). Die Tatsache, dass vor allem die Innenstadt von Graz sehr viel leichter mit dem öffentlichen Verkehr zu erreichen ist und gleichzeitig der Parksuchverkehr und die Parkgebühr entfallen, hat entsprechende Auswirkungen auf die Verkehrsmittelwahl der Wohn bevölkerung. Die künftige Nutzung von Reininghaus zu Grunde gelegt, lässt sich unter der Annahme einer Fortschreibung der bisherigen Verkehrs-mittelwahl eine Abschätzung des künftigen Verkehrsaufkommens vornehmen: Für die künftige Wohnbevölkerung von Reininghaus werden vorerst die Mobilitätsdaten der Grazer Wohnbevölkerung angenommen. Von den durchschnittlich 3,8 Wegen pro Tag sind 2,5 Wege heimgebunden, das heißt, sie haben Quelle oder Ziel im Wohnbereich. Mit einem Anteil von rund 40 % für Kfz-Wege würden zusätzlich zum Bestand rund 10.000 Kfz-Fahrten generiert werden.
Wohnbezirkes mit einer Mischnutzung aus Wohnen, Arbeiten und Ausbildung. Diese Nutzung ermöglicht und fördert eher die Mobilität zu Fuß und mit dem öffentlichen Verkehr.
Abb.6 Durch viele Pendler ist der Kfz-Verkehr in Reininghaus höher als im benachbarten Bezirk Eggenberg. Die mit dem Pkw zurückgelegten Wege, die ihren Ausgangspunkt im Bereich Reininghaus haben, sind derzeit mit ihren Zielen zu einem großen Anteil nach Norden und Süden hin orientiert. Die Kfz-Wege mit dem Ziel in den Zentrumsbereich und in die östlichen Grazer Bezirke stellen den geringen Anteil dar. Auch bei den Zielen außerhalb von Graz haben nördlich und südlich liegende Bezirke den größten Anteil. Diese Zielwahl ist auch ein Abbild der Erreichbarkeit des Bereichs Reininghaus für den Kfz-Verkehr (Abb.7).
Abb.6 Verkehrsmittel-wahl in Eggenberg und Reininghaus. Durch viele Pendler ist der Kfz-Verkehr in Reininghaus höher als im benachbarten Bezirk Eggenberg
Reininghaus Eggenberg
L LenkerM Mitfahrer
Quelle: Stadt Graz
51Aspekte der Mobilität
Für die Entwicklung von Graz-Reininghaus wich-tige Verkehrskonzepte
Steirisches Gesamt-verkehrskonzept 2008+www.verkehr.steiermark.at/gv
Regionales Verkehrs-konzept Graz und Graz Umgebungwww.verkehr.steiermark.at/gv
Generalverkehrsplan Österreich 2002www.bmvit.gv.at/verkehr/ge-
samtverkehr/generalverkehrs-
planung/downloads/gvk.pdf
Transeuropäische Netze (TEN)www.oir.at
Bundesverkehrswegeplanwww.bmvit.gv.at/service/
publikationen/verkehr/pro-
jektbibliothek/downloads/
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KURT FALLAST
Abb.7 Quellverkehr Reininghaus 2008 mit dem Pkw: Die Ziele sind vor allem im Norden und Süden von Graz
Abb.8 Quellverkehr Reininghaus 2008: Gute Anbindung, Zeit- und Kostenvorteile - Richtung Innenstadt wird der ÖPNV bevorzugt
Quelle: Stadt Graz
52
Generierte Fahrten10.000 Personen
3,8 Wege pro Person 2,5 Wege heimgebunden 25.000 Wege pro Tag 40 % Kfz-Wege >> + 10.000 Kfz-Fahrten
5.000 Arbeitswege 2 Wege pro Person 10.000 Wege pro Tag 80 % Kfz-Wege >> + 8.000 Kfz-Fahrten
Für etwa 5.000 neue Arbeitsplätze sind ca. 10.000 Wege pro Tag zu erwarten. Der Berufs-pendlerverkehr von Nicht-Grazern in die äußeren Bezirke von Graz weist derzeit einen sehr hohen Anteil an Kfz-Fahrten auf. Bei einer Fort-schreibung des bisherigen Verkehrsverhaltens wäre in Graz-Reininghaus mit rund 8.000 zusätzlichen Kfz-Fahrten zu rechnen.
Diese Abschätzungen zeigen, dass begleitend zur Entwicklung von Reininghaus auch neue Mobilitätskon-zepte erforderlich sind.
Die Entwicklung zu einer Mischnutzung für Wohnen und Arbeiten ergibt auch ein zusätz-liches Potenzial für kurze fußläufige Wege innerhalb des Gebietes. Für eine mögliche Entwicklung von Reininghaus wurden die Auswirkungen auf die Kfz-Infrastruktur abgeschätzt. Aus der detail-lierten Fortschreibung der Quell-Ziel-Matrix der Verkehrsbeziehungen zeigt sich, dass die östlich ins Stadtzentrum und die Richtung Westen gerichteten Fahrten einen relativ geringen Anteil von jeweils rund 14% aller Kfz-Fahrten haben. Neben der Notwendigkeit von inno - va tiven Mobilitätsformen lässt sich aus diesen Pro gnosen vor allem ableiten, dass die Er reich barkeit der nördlich und südlich liegen-den Anknüpfungspunkte an das hochrangige Straßen netz sichergestellt sein muss.
1
Innere S
Hasnerplatz
KörösistrAVL
Lendplatz
Marianegasse
Volksgarten
Hauptbahnhof
Wienerstraße
Fröbelpark
Remise III
Waagner Biro
GriesplatzEggenberger Gürtel
GKE
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Karlau
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UKH
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Krottendorf
Hummelkaserne
Evangel. Friedhof
Pirchhäckerstraße
LNKH
Alte Poststr. Süd
Gablenzkaserne
Brauerei Reininghaus
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1
Innere S
Hasnerplatz
KörösistrAVL
Lendplatz
Marianegasse
Volksgarten
Hauptbahnhof
Wienerstraße
Fröbelpark
Remise III
Waagner Biro
GriesplatzEggenberger Gürtel
GKE
Don Bosco
City-Park
südl. Lazarettfeld
Karlau
Zentralfriedhof
Hergottwiesgasse
Fürstenstand
UKH
Bergstraße
Baierdorf
abutschEggenberger Allee
Wetzelsdorf
Krottendorf
Hummelkaserne
Evangel. Friedhof
Pirchhäckerstraße
LNKH
Alte Poststr. Süd
Gablenzkaserne
Brauerei Reininghaus
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220
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60
20
140
100 100
680
4380
440
Großraum Graz IBV-Fallast Bestand_2007.ver06.08.2007 Bestand (Netz 2007/Nachfrage 2007)+ 10.000 Nutzer 1:15000
29%
12%
45%
14%
Graz-Reininghaus
Abb.9 Reininghaus 2015: 74 % der Pkw-Fahrten richten sich nach Süden und nach Norden
Quelle: Stadt Graz
53Aspekte der Mobilität
Für einen Vergleich der Mobilitätskosten werden zwei Familien mit unterschiedlichem Wohnort und entsprechender Verkehrsmittel-wahl an Hand ihrer durchschnittlichen Wege miteinander verglichen.
Zusammensetzung der Familien1 Vollbeschäftigte/r 1 Teilzeitbeschäftigte/r 1 Kind Mittelschule Oeversee-Gymnasium1 Kind Kindergarten jeweils in Nachbarschaft zum Wohnort1 Familienausflug pro Woche mit dem Pkw, Ziel in 75 km Entfernung
Die beiden Familien haben ihre Wohnstandorte in Hausmannstätten, einer typischen Umland-gemeinde bzw. in Graz-Reininghaus. Die Arbeits-plätze sind für beide Familien ident, ebenso der Schulstandort. Der Kindergarten befindet sich jeweils in fußläufiger Entfernung zur Wohnung. Die Familie in der Umlandgemeinde verfügt über 2 Pkws, die Familie in Graz-Reininghaus deckt ihre Mobilität mit 2 ÖPNV-Jahreskar ten und mit einer Car-Sharing Mitgliedschaft ab. Unter der Voraussetzung, dass beide Familien die gleichen Aktivitätsmuster mit den an die jeweiligen Wohnstandorte angepassten Verkehrsmitteln abwickeln, hat die im Um land wohnende Familie etwa doppelt so hohe Mobilitätskosten. Pro Jahr ergibt das für die in Graz-Reininghaus lebende Familie einen Mobilitätskosten-Vorteil von rund 6.500,- Euro.
Rechenmodell Mobilitätskosten
Wohnort Wohnort Hausmannstätten Graz-ReininghausZeit Kosten pro Woche Kosten pro Woche
1 Vollzeitbeschäftigte/r
Arbeitsplatz Graz-Lendplatz 5 Tagewoche, 2 Wege/Tag,= 10 Wege, bei Kfz variable Kosten 18,75
1 Innenstadtbesuch/Woche allein,= 2 Wege, bei Kfz variable Kosten 3,75
1 Innenstadtbesuch/Woche mit Partner= 2 Wege, bei Kfz variable Kosten 3,75
Pkw A Fixkosten 102,00
Fixkosten Car-Sharing,Jahres-Mitgliedschaft 104,- 2,00
Fixkosten ÖV-Jahreskarte 510,- 9,81 1 Teilzeitbeschäftigte/r
Arbeitsplatz Graz-Puntigam
3 Tagewoche, 2 Wege/Tag,= 6 Wege, bei Kfz variable Kosten 13,20
1 Innenstadtbesuch/Woche allein= 2 Wege, bei Kfz variable Kosten 3,75
1 Innenstadtbesuch/Woche mit Partner
Pkw B Fixkosten 89,00
Fixkosten ÖV-Jahreskarte 510,- 9,81 1 Kind
Mittelschule Oeversee-Gymnasium Schülerfreifahrt ohne/mit Aufzahlung 101 1,00 6,77 1 Kind
Kindergarten in der Nähe der Wohnung 1 Ausflug mit Pkw A, 150 km, variable Kosten 22,50
1 Ausflug mit Car-Sharing Pkw, Km-Kosten 80,85dazu Car-Sharing Zeitkosten 8 h 16,80
€ 257,70 € 126,04
54
Angesichts der allgemeinen Gegebenheiten im urbanen Raum kann ein Mobilitätskonzept in Graz-Reininghaus drei Punkte nicht außer Acht lassen. 1. Es gilt, eine hohe Erreichbarkeits- und Ver-bindungsqualität als Voraussetzung für eine er-folgreiche Gebietsentwicklung bereit zustellen. 2. Die Straßenräume sind als wichtige Stadträume so zu gestalten, dass sie Voraus-setz ungen für eine hohe Wohn-, Arbeits- und Lebensqualität bieten. Mobilität und Verkehr beanspruchen Ressourcen und verursachen Emissionen. Diese sind heute höher als sie im Hinblick auf die globale und lokale Verträglich-keit sein dürften. Für die Lösung der ersten beiden Aufgaben gilt deshalb 3. Die Verträglichkeitsgrenzen der lokalen Umfelder und der globalen Umwelt sind zu beachten.
Das folgende Konzept stellt zu Beginn Reining-haus ins städtische Umfeld von Graz und lotet die daraus resultierenden Chancen aus. Anschließend werden die Planungsansätze erläutert und das Prinzip der angebotsorien-tierten Planung begründet. Diese bilden in der zukünftigen Planung die Grundlagen für die Entwicklung der Mobilitätsstrategie und der Gestaltungsprinzipien für die Straßenräume in Graz-Reininghaus.
1. Philosophie einer nachhaltigen Mobilitätsplanung
Was finden wir vor?Das Entwicklungsgebiet Graz-Reininghaus befindet sich mitten in der gewachsenen Stadt. Es liegt westlich der Altstadt, schließt an das gründerzeitliche Bahnhofsquartier an und bildet den Übergang zu den durchgrünten westlichen Wohngebieten. Diese zentrale Lage hat ver-kehrliche Nachteile, die Straßen im Umfeld sind ausgelastet, die Verträglichkeitskriterien zwi-schen Siedlung und Verkehr nicht erfüllt und die Immissionsgrenzwerte oft überschritten. Demgegenüber zeigen alle wissen-schaftlichen Untersuchungen, dass eine nach-haltige Entwicklung verdichtetes Bauen in zentralen Lagen mit guter öffentlicher Verkehrs-erschließung und Einbettung in die Stadt- und Nutzungsstruktur nötig macht. Graz-Reining-haus ist ein Gebiet, das diesen Anforderungen ideal entspricht. In diesem Spannungsfeld zwischen örtlicher Begrenzung und Nachhaltigkeit muss die Mobilitätsplanung für Graz-Reininghaus Lösungen aufzeigen, welche die sinnvolle Neu nutzung unter Berücksichtigung der infra-strukturellen Rahmenbedingungen und der Nachhaltigkeitsdimensionen Wirtschaft, Gesell-schaft und Umwelt ermöglichen.
Rahmenbedingungen für ein Mobilitätskonzept Graz-Reininghaus
55Aspekte der Mobilität
Innerstädtische Mobilität ist ein knappes GutTraditionellerweise hatte die Verkehrsplanung die Aufgabe, die durch neue Vorhaben entste-henden Verkehrsnachfragen zu prognostizieren und die zu deren Erfüllung nötigen Infrastruk-turen aufzuzeigen. Vor dem Hintergrund der heutigen Rahmenbedingungen – örtliche Begrenzungen und Orientierung am Prinzip der Nachhaltigkeit – hat sich die Situation verändert. In städtischen Verhältnissen ist die Mobilität ein knappes Gut geworden. Und um knappe Güter wird individuell und gesellschaftlich gerungen.
Um knappe Güter wird gerungenDieses Ringen findet statt zwischen Investoren, die auf attraktive Erschließungsverhältnisse für zukünftige Nutzer angewiesen sind, den Verkehrsteilnehmern, die zusätzliche Behinde-rungen im Verkehrsnetz vermeiden wollen, den Bewohnern, die ruhig wohnen und gute Luft atmen wollen, den Umweltverbänden, die eine nachhaltige Entwicklung anstreben und den Be hörden, die das städtische Verkehrs-system funktionsfähig halten müssen. Die Problematik lässt sich anhand der folgenden Grafiken erläutern: Die Nach-kriegszeit stand bis in die Sechzigerjahre des ver gangenen Jahrhunderts unter dem gesell-schaft lichen Paradigma von Fortschritt und Ent wicklung „Alles ist technisch machbar“. Neue Bedürfnisse konnten mit neuen Ange-boten (Straßen, Bahnen etc.) erfüllt werden. Die Mittel dazu standen zur Verfügung und die Projekte wurden von einem breiten gesell-schaftlichen Konsens getragen. Ab den Sieb-zigerjahren zeigten sich die Schattenseiten dieser Entwicklung. 1972 erschien der Bericht des Club of Rome „Grenzen des Wachstums“. Er zeigte die Endlichkeit der Ressourcen auf und weckte erstmals in breiten Kreisen das Bewusstsein von Grenzen. Seither sind die Diskussionen darüber im Gange und finden ihren Ausdruck im Prinzip der Nachhaltigen Entwicklung.
Wachstum und Fortschritt – alles ist machbar
1972 – das Bewusstsein von Grenzen
Denken in Grenzen (1), gleichzeitig Reparatur und Entwicklung (2)
Neue Bedürfnisse durch neue Angebote befriedigt
Orientierung an Grenzen
Grenzen setzen neue AufgabenIm Wissen um die Tatsache, dass in Bereichen wie Emissionen, Sicherheit und klimawirk sameSchadstoffe die Grenzen zum Teil weit über-schritten sind, ergeben sich für die Mobilitäts-planung zwei Aufgaben. Bei der Entwicklungs-aufgabe müssen Lösungen erarbeitet werden, welche die Mobilitätsbedürfnisse unter Berück-sichtigung der Grenzen erfüllen können. Dazu sind koordinierte Strategien sowie Mobilitäts-, Gestaltungs- und Betriebskonzepte nötig, die alle Verkehrsarten umfassen und mit der Städte-planung abgestimmt sind. Und im Rahmen der Reparaturaufgabe müssen die Konzepte und Projekte gleichzeitig zur Reparatur der Folge-schäden früherer Entwicklungen beitragen. Aus dieser Situation resultieren zweiKonfliktbereiche. Auf der individuellen Ebenesind von allen Beteiligten Umdenken und Praxisänderungen nötig. Auf der gesellschafts-politischen Ebene verursacht das knappe Gut Mobilität Auseinandersetzungen um Macht und Ressourcen.
Mobilität: Sozial- statt TechnikwissenschaftDie Überlegung zeigt, dass die Herausforde-rungen einer nachhaltigen Mobilitätsplanung nicht nur technisch sind, sondern vor allem und bestimmend menschliche Einstellungs- und Verhaltensprobleme ansprechen. Damit wird klar: Mobilitätsplanung für Graz-Reining-haus ist nicht nur eine Technikwissenschaft, sie muss vielmehr auch auf das Wissen der Sozial- und Gesellschaftswissenschaften ab-gestützt werden. Nur wenn verstanden wird, wie dieser Mensch, für den wir planen, „funk-tioniert“, wie Einstellungs- und Verhaltensän-derungen sowohl im Planungsprozess als auch im Verkehrsalltag zustande kommen, kann es gelingen, die Ziele der nachhaltigen Ent-wicklung von Graz-Reininghaus zu erreichen.
56
Rückführung frühererStraßenräume in lebens-werten Stadtraum
In Cincinnati soll ein Park über dem Fort Washing-ton Highway den Zugang zum Ohio River wieder ermöglichen
Oben: ein aktuelles LuftbildUnten: Planung für eine Über bauung des Highways
In Seoul wurde der Fluss Cheonggyecheon in den 1960er Jahren durch eine mehrspurige Stadtauto-bahn verbaut
Durch die Verlegung der Straße wurde das Flussbett wieder freigelegt, es lädt nun zum Flanieren ein
57Aspekte der Mobilität
Menschen verhalten sich immer vernünftig …Eigentlich wäre es sehr einfach – denn mit geringen, einfachen und billigen Verhaltens-änderungen könnten viele Verkehrsprobleme gelöst werden: Ab und zu zusammen zur Arbeit fahren, für kurze Wege auch einmal aufs Fahrrad steigen, zweimal pro Woche statt des Autos den öffentlichen Verkehr benutzen – das würde den Spitzenstundenverkehr halbieren und alle Kapazitätsprobleme wären gelöst. Warum machen wir das nicht? Von dieser Frage stellung ausgehende interdisziplinäre Forschungsarbeiten zeigen interessante Resul-tate, die unseren Vorstellungen vom rational handelnden Verkehrsteilnehmer ins Wanken bringen. Denn Mobilitätshandlungen sind Routinehandlungen, die sich bewährt haben und deshalb immer wieder durchgeführt wer-den. Die moderne Hirnforschung zeigt, dass Handlungen, die sich bewährt haben, die aus Erfahrung also vernünftig sind, vom unbe-wussten Mittelhirn selbständig gesteuert werden.
… bezogen auf ihren individuellen NutzenZu den individuell vernünftigen Verhaltens-weisen gehört das Autofahren. Welches Verkehrsmittel sonst kann die Vorteile der jederzeitigen Verfügbarkeit, der Individualität und der Sicherheit im selben Maße bieten? Die interdisziplinäre Stauforschung zeigt, dass die Regel der Vernunft sogar für viele Stau-steher gilt: In den Autos sitzen viele Männer im mittleren Alter, sie sind sowohl im Beruf wie in der Familie stark gefordert. Individual-zeiten für sich selbst haben sie kaum. Deshalb hat die Stauzeit für sie eine positive Beset-zung, sie sind allein, können nachdenken, Musik hören und sich bequem und ruhig zu-rücklehnen. Welches andere Verkehrsmittel kann diese Vorteile bieten?
Menschen lernen aus ErfahrungWenn sich jedoch zu viele individuell vernünf-tig verhalten, kann ein kollektives Problem entstehen. Zum Beispiel im Verkehr. Es bilden sich Staus, Behinderungen und Kapazi-tätsengpässe werden spürbar. Daraus ergibt sich ein interessanter Ansatzpunkt für die Planungsstrategie. Solange sich zwischen dem Tun (der Routinehandlung) und dem Erfahren kein Spannungsfeld aufbaut, wird die bewährte Routinehandlung, gesteuert von den unbewussten Gehirnregionen, immer wieder ausgeführt. Erst wenn sich dem Tun ein Widerstand entgegenstellt, treten die bewussten Gehirnteile in Aktion. Verhaltens-änderungen sind jedoch unbeliebt, deshalb besteht in solchen Fällen das erste Bestreben darin, das Hindernis aus dem Weg zu räumen – dies drückt sich dann etwa in heftigen ver-kehrspolitischen Diskussionen aus. Erst wenn sich zeigt, dass damit kein Erfolg verbunden ist, wird nach dem Prinzip der individuellen Vernunft nach neuen Möglichkeiten gesucht, die unter den neuen Bedingungen individuell vernünftiger sind.
Die angebotsorientierte Planung … Diese Erkenntnisse macht sich der Ansatz der angebotsorientierten Planung zunutze. Im Gegensatz zur nachfrageorientierten Planung, bei der Erfahrungen aus der Vergangenheit in die Zukunft umgelegt werden, wird damit be-wusst auf eine Beeinflussung und Steuerung der künftigen Entwicklung gesetzt. Ausgehend von der Frage, welche Mobilitätsangebote unter Berücksichtigung der Rahmenbedingun-gen und Grenzen gemacht werden können, werden koordinierte Verkehrs-, Betriebs- und Gestaltungskonzepte für alle Verkehrsträger entwickelt. Diese zielen darauf ab, dass Erfah-rungsprozesse automatisch zu Verhaltensän-derungen führen. Dazu gehören Auslöser wie Sanktionselemente (begrenzte Kapazitäten,
Spielräume für Verhal-tensweisen im Verkehr
PendlerverkehrDer heutige Besetzungs-grad der Autos im Pendler-verkehr beträgt ca. 1,1 Personen. Schon mit einem Besetzungsgrad von 1,6 Personen (z.B. Förderung von Fahrgemeinschaften durch Bevorzugung bei Pförtneranlagen und Par-kierung) reduziert sich der Spitzenstundenverkehr um ein Drittel.
Kurze WegeGut 10 % der Autofahrten sind kürzer als 1 km. Bei über 40 % wird dabei kein Gepäck transportiert. Ein-mal pro Woche einen Weg bis zu 1 km zu Fuß gehen statt das Auto zu benützen bringt eine Verkehrsreduk-tion von ca. 7 %.
Fahrrad fahrenCa. 29 % aller Autofahrten sind kürzer als 3 km. Zwei Autofahrten pro Woche durchs Velo ersetzen, führt zu einer Verkehrsreduktion von ca. 11 %.
Flexibel sein2 Autofahrten pro Woche durch öffentliche Verkehrs-mittel ersetzen bringt eine Verkehrsreduktion von ca. 15 %.
58
Kosten etc.) genau so wie Attraktoren (öffent-liche Verkehrsmittel, Straßenraumgestaltung, Wohnqualität etc.). Ein gutes Beispiel für ersteres ist das Modell in Kopenhagen.
… löst den Diskurs um ethische Werte ausIm Gegensatz zu einer einfach aus den Erfah-rungen abgeleiteten Nachfragebefriedigung löst die angebotsorientierte Planungsstrategie meist heftige Diskussionen aus. Mit der Frage nach den Zielen und nach den Orientierungen des planerischen Handelns verlagert sich die Diskussion von der technischen auf die Werte ebene. Hier geht es dann nicht mehr um Fahr bahnbreiten und Stellplatzzahlen, sondern darum, welche Verantwortung wir späteren Generationen gegenüber wahrnehmen wollen, wie wir mit dem uns übergebenen Erbe um gehen und wie wir dieses mindestens gleichwertig an unsere Nachkommen weiter-geben. Für diesen Diskurs braucht es Orien-tierungs hilfen, wie sie zum Beispiel mit den unten stehenden planungsethischen Leitsätzen formuliert wurden.
Planungsethische Leitsätze Was kann ich wissen:
• Umfassende Betrachtung • Verantwortlichkeit wahrnehmen • Über die Grenzen denken
Was kann ich tun: • Spielräume offenhalten • Gerecht verfahren • Erben und vererben • Identität stützen
Was kann ich hoffen: • Nach zukünftigen Generationen urteilen • Nach dem Universalisierungsprinzip handeln
Das Modell Kopenhagen
50 % der Einwohner radeln täglich – das ist der aktuelle Zwischenstand in Kopen-hagen, eine der Welthaupt-städte des urbanen Rad-fahrens. Man würde jedoch das Thema verfehlen, wollte man die beeindruckende Bike-Dichte Kopenhagens alleine auf eine quasi gene-tische Prädisposition der Dänen und auf die hohen Autosteuern zurückführen wollen. Eines der Master-minds hinter der Fahrrad-stadt Kopenhagen ist der Architekt Jan Gehl. Neben vielen, inzwischen zum Standard der Re-Urbanisie-rung gehörenden baulichen Maßnahmen ist für Gehl ein Punkt zentral für das Gelingen einer Fahrradstadt: Systematische Verknappung des Parkraums für Autos in der Innenstadt. Damit wird nicht das Auto-Fahren un-attraktiv gemacht (wie etwa mit einer City-Maut), son-dern der Gesamtnutzen, bequem in die Innenstadt zu gelangen – denn dort findet man einfach keinen Park-platz. Die Autofahrer sammeln so genau jene Erfahrungen, die auch für Jürg Dietiker die wahren Impulse sind, um nach subjektiv vernünftigen Handlungsalternativen zu suchen. Etwa mit dem Fahr-rad in die Stadt zu fahren ...
In der Stadt Grenchen/CH wurde durch Gestaltungund Geschwindigkeitsredu-zierung für den MIV wieder ein problemloses Neben-ein ander der verschiedenen Verkehrsteilnehmer ermöglicht
Graz-Reininghaus: ein Areal, so groß wie ein ganzer Stadtteil. Identität von Familie, Industrie und geografischem Begriff – Ausdruck und letztes Echo eines unbeschreiblichen Booms in der zweiten Hälfte des 19. Jhdts., den die Technik als Beschleuniger von Produktion und Transport möglich gemacht hat. Die Industrialisierung à la Reining haus machte Grenzenlosigkeit zum Paradigma: Anything goes, die Zukunft hat immer Recht. Die neuen Industrie-Betriebe lockten die Men-schen in die Städte, die Städte wuchsen im Zuge der Urbanisierung und damit auch die Distanzen in den Städten. Und wieder gab es eine Zukunft, die für die Überwindung dieser Distanzen eine fantastische Lösung hatte: Das Auto. Vorbild dafür waren die USA, aber bereits 1900 war Paris die ‚erste Autostadt Europas‘. Ab den 1920er Jah ren gab es schließlich auch das politische Wol-len von Massenbewegungen, diese neue indi vi-duelle Mobilität möglichst vielen zu ermöglichen. Zur technischen Möglichkeit der Überwindung größerer Distanzen für Viele kam noch die Überlegung hinzu, die Funktionen von Wohnen und Arbeiten in den Städten zu trennen, um etwa die Ausbreitung von Seuchen und Bränden zu vermeiden. Le Corbusier war es dann, der daraus ein generelles Zukunfts-modell ableitete. Seine ‚Charta von Athen‘ for-mulierte 95 Leitsätze zum Städtebau (verfasst 1933, veröffentlicht 1943), die u.a. „eine systema-tische Aufgliederung der Stadt in räumlich klar getrennte Funktionsbereiche“ (Heineberg, 2000: Stadtgeographie – S. 219) vorsah. In einer ‚Stadtvision‘ lieferte Le Corbusier dazu die Bau-Anleitung nach. Diese wurde nach 1945 in den vom Krieg zerstörten Städten dankbar aufgegriffen und als ‚State-of-the-Art‘ des Bauens in der Stadt und in der Stadtentwick-lung über Jahrzehnte konsequent angewandt: Geometrische Raster, scheibenförmige Hoch-häuser, parkähnliche Freiflächen und getrennte Wege für Fahrzeuge und Fußgänger. Insgesamt verständlich, dass in der Zeit nach den Chaos-
jahren ein derart klares Ordnungsprinzip willkommen war, es ist jedoch in der urbanen Lebenswirklichkeit mit zu vielen Nachteilen behaftet und wirkt aus heutiger Sicht technoid. Mit diesen – dann schon gebauten – Stadt visionen und vor dem Hintergrund der in zwischen flächendeckend voran schreitenden Massenmotorisierung war das Konzept der autogerechten Stadt ein logischer, nächster Schritt. 1959 sollte es also noch einmal gelingen, eine Zukunft zu denken, die keine Grenzen kannte und die vorgab, mit einem großen Wurf alles lösen zu können: „In der autogerechten Stadt kann es nur ein einheitliches, auf den Kern und das Ganze bezogenes Hauptverkehrs-system geben, das die gute Verkehrsfunktion, klare Orientierung und das gesammelte Erleb-nis der Stadt in sich vereinigt.“ (Reichow, 1959: Die autogerechte Stadt – S. 80). In der autoge-rechten Stadt des Architekten Hans Bernhard Reichow sollten sich alle Planungsmaßnahmen dem ungehinderten Verkehrsfluss des Autos unterordnen, das damit zum neuen Maß aller Dinge wurde. Vor allem sollte dies in Verbin-dung mit klaren Flächenzuweisungen und mit Nutzungsentmischung erfolgen.
Überwindung der autogerechten Stadt
59Aspekte der Mobilität
60
Wirtschaftswunder, Bevölkerungswachstum und Auto-Boom in den 1970er Jahren zeigten jedoch erstmals auf, dass Technik und Konzepte Folgen haben und unter bestimmten Bedingun-gen an Grenzen stoßen. Im Falle der autogerech-ten Stadt zeigte sich dies an mehreren Punkten gleichzeitig:
• Stark steigende Kosten für Errichtung und Betrieb von immer mehr Straßen• Hoher Flächenverbrauch für Straßenbauten im begrenzten urbanen Raum• Trotz aller Bemühungen zu wenig Verkehrs- fläche für zu viele Autos• Schlechte Wohnqualität entlang der Verkehrswege, Ghetto-Bildung sowohl entlang der Verkehrswege als auch an den Zielen in den neu entstandenen Vororten•Steigende Kosten der Mobilität für den einzelnen•Konzept der autogerechten Stadt dient als Rechtfertigung, die Funktionen der Stadt noch weiter voneinander zu trennen und damit den MIV neuerlich zu steigern • Schädigung von Umwelt und Menschen durch Staub- und Lärmbelastung•Monofunktionalität ist der Tod der Stadt, sie verhindert die Weiterentwicklung bei geänderten Nutzungsbestimmungen Damit ist klar, dass die ‚autogerechte Stadt‘ heute ein reichlich belegter und gut eingeführ-ter Begriff für verfehlte Stadtplanung ist. Die Frage ist jedoch, ob das alleine ausreichend ist, aus der autogerechten eine menschengerechte Stadt zu machen. Folgt man etwa Dietiker (S. 57), dann geschieht ja Umdenken nicht im Kopf, sondern auf Basis konkreter Erfah-rungen – im Stau, in der Straßenbahn, mit der Radweg-Infrastruktur.
So ist es doch wieder Aufgabe der Verkehrsplaner, geeignete Verkehrs-, Betriebs- und Gestaltungs-konzepte für alle Verkehrsträger zu schaffen. Diese können sie so gestalten, „dass Erfahrungs-prozesse dazu führen, dass sich Verhaltensän-derungen automatisch einstellen“ (Dietiker). Neben den vielen rationalen Argumenten, die dafür sprechen, würde Graz-Reininghaus damit auch einen einzigartigen emotionalen Bezug zu seinen Nutzern und Bewohnern aufbauen: Sie werden gerne hier leben. Sie werden Graz-Reininghaus lieben.
Leitbilder der Verkehrsplanung1
Die verkehrsgerechte Stadt (1945–1955)Trennung der Verkehrsarten (Vorbild der USA) – moto- risierter Verkehr ist struktur-bildend – Kritik an Straßen-bahnen – Straßen werden verbreitert – Verkehrsschnei-sen, Durchgangsstraßen und Verkehrsplätze entstehen
Die autogerechte Stadt (1955 –1971)Noch mehr Bedeutung des motorisierten Verkehrs – Ring-/Tangentialstraßen, Stadtautobahnen und Park-häuser entstehen – ÖPNV: vor allem U-Bahnen/Busse – kein Platz für Radfahrer – eigene Bereiche für Fuß-gänger – Städtebau denkt in Dienstleistungs-Arbeits-plätzen und Hochhäusern – Wohnstädte am Stadtrand entstehen
Der stadtgerechte Verkehr (1971–1980)Reagiert auf die Nachteile der autogerechten Stadt (Stadtflucht, Verkehrsinfarkt, Niedergang der Altstädte) – Förderung von ÖPNV, Fuß-gängerverkehr – Verkehrs-beruhigung – Reduzierung von Straßenraum – Ein-schränkung des motorisier-ten Verkehrs
Die menschengerechte Stadt (1980 –1990)Änderung der Verkehrs-planung aufgrund Lärm-/Schadstoffbelastung – Mischung der Verkehrsarten – Entschleunigung – Wieder-geburt der Straßenbahn – Verkehrsleitsysteme – Re-Urbanisierung durch neue Funktionen in den Innenstädten
1 nach B. Schmucki: Der Traum vom Verkehrsfluß, Frankfurt/New York 2001
61Aspekte der Mobilität
2. Perspektiven
Szenarien künftiger EntwicklungenDie voranstehenden Gedanken zu einer Philo-sophie nachhaltiger Mobilitätsplanung setzen sich mit jenen Aufgaben auseinander, die sich aus dem Bewusstsein um Grenzen ergeben. Und sie formulieren mit dem auf die Eigen-schaften des Menschen abgestützten Prinzip der angebotsorientierten Planungsstrategie eine Methode zur Umsetzung. Noch nicht beantwortet ist damit die Frage, wie die Welt in 30 bis 40 Jahren aussehen könnte, in der Graz-Reininghaus seine Funktion erfüllen wird. Die Sichtung von Studien möglicher Entwick-lungsszenarien zeigt zunächst folgendes:
• Die Ressourcen werden knapper und teurer• Die Wirtschaft wird globaler, schnelllebiger, kurzfristiger und störungsempfindlicher• Die Gesellschaft wird bunter, älter, segregierter (Kohabitation von Subkulturen) und überwachter• Die Technik wird vielfältiger, digitaler und bietet neue Mobilitätslösungen an• Der Lebensstil wird individueller, unsicherer, multibiografischer und entfernungsintensiver• Die räumliche Organisation wird dichter, segregierter, weiträumiger und vernetzter• Die Nutzungsstrukturen werden durch- mischter, konzentrierter, der Druck auf die Stadträume nimmt zu• Die Verkehrsinfrastruktur wird dichter, vernetzter, flexibler, teurer, bewirtschafteter, es wird selektiver investiert und in der Peripherie ausgedünnt
Passt Graz-Reininghaus in die erwartete Zukunft 2050 –welche Folgerungen für die Mobilitätsplanung von Graz-Reininghaus können aus diesen zahlreichen Möglichkeiten gezogen werden?
Konzentration und InteressenfokussierungGrundsätzlich zeigt sich, dass die innerstädti-sche Entwicklung und Aufwertung eine adäquate Vorbereitung für die aufgezeigten Herausforderungen ist. Sie bietet Raum für das durch Ressourcenknappheit und Mobilitäts-verteuerung erwartete Zusammenrücken der Gesellschaft und sie schafft Möglichkeiten, die knappen Investitionen auf Verkehrsinfrastruk-turen mit hohem Benützungsgrad und hoher Netzdichte zu konzentrieren. Dies wiederum ermöglicht das erwartete selektivere und differenziertere Mobilitätsverhalten mit der entsprechenden Verkehrsmittelwahl. Dieses differenzierte Mobilitätsverhalten kann zudem durch eine angebotsorientierte Planungsstra-tegie unterstützt werden, die bewusst auf eine nachhaltige Entwicklung fokussiert ist (Priorisie rung Umweltverbund, Gestaltung der Straßenräume, koordinierte und bewirtschaftete Stellplatz regelung etc.).
62
Verdichtung von StadträumenAnsprüche an StadträumeMit der Verdichtung in der Stadt wird jedoch auch der Nutzungsdruck auf die öffentlichen Stadträume (Straßen, Plätze, Parks) stark zu-nehmen. Um diesen Ansprüchen genügen zu können, müssen auch die Straßenräume neue Funktionen übernehmen können. Sie müssen wieder so gestaltet sein, dass sie nicht nur monofunktionale Verkehrsachsen, sondern multifunktionale, repräsentative und von allen nutzbare Stadträume werden. Dazu sind in den letzten Jahren interessante Beispiele realisiert worden – und auch Graz-Reininghaus bietet dafür Voraussetzungen: Einerseits kann mit Haupterschließungen als multifunktionale
„Pracht straßen“ an den traditionellen Städte-bau angeknüpft und somit erste Adressen geschaffen werden. Andererseits können durch die konsequente Umsetzung eines Mobilitäts-konzeptes, das alle Verkehrsarten sowie den Parkraum umfasst, große verkehrsarme Außen-raumflächen mit hoher Wohn-, Arbeits- und Lebensqualität entstehen – als Voraussetzung dafür, dass das zukünftige Leben sich wieder vermehrt auf den öffentlichen Raum konzen-trieren wird.
EntwicklungsprozessTrotz der oben dargestellten möglichen Entwicklungsszenarien ist die Zukunft offen. So zeigen etwa globale Wirtschaftsturbulen-zen, wie fragil die Welt geworden ist. Diesem Umstand wird in Graz-Reininghaus dadurch begegnet, dass die Entwicklung hier ein lange dauernder, ständiger Prozess ist, der es ermög-licht, ausgehend von klaren Zielvorstellungen schrittweise vorzugehen, periodisch eine Standortbestimmung vorzunehmen und die nächsten Schritte aufgrund der Erkenntnisse allenfalls neu auszurichten.
Der Stadtteil Bern-Köniz in der Schweiz
63Aspekte der Mobilität
Fazit• Graz-Reinighaus ist prädestiniert für nach- haltige Mobilität. Der Entwicklungsschwer- punkt mitten in der Stadt ist die ideale Vorbereitung auf die Anforderungen der Zukunft, wenn infolge der Ressourcenknapp- heit und der wirtschaftlichen Vernetzung die Menschen näher an die Zentren rücken.• Vor dem Hintergrund der ökologischen und finanziellen Grenzen ist Mobilität im städti- schen Raum ein knappes Gut. Die Aufgabe besteht darin, die zukünftigen Mobilitäts- bedürfnisse unter Berücksichtigung dieser Grenzen zu erfüllen.• Dies setzt Einstellungs- und Verhaltensände- rungen aller Beteiligten voraus. Zielpublikum des Mobilitätskonzeptes sind deshalb die Menschen in Graz-Reininghaus.• Die Entwicklungsforschung zeigt: Die Menschen verhalten sich immer vernünftig – bezogen auf ihren individuellen Nutzen. Ihr Verhalten orientiert sich an den Botschaften und Anreizen, die ihnen die Mobilitätsange- bote vermitteln. • Deshalb müssen die Mobilitätsangebote im Sinne einer angebotsorientierten Planung so gestaltet sein, dass nachhaltiges Verkehren selbstverständlich vernünftig ist.
3. Städtebauliche Form und Vernetzung
Von der monozentrischen zur polyzentrischen StadtDie heutige Stadtstruktur von Graz ist traditio-nell monozentrisch aufgebaut und weist in Ost-West-Richtung ein deutliches Bedeutungs-gefälle auf. Damit verbunden sind auch die Verkehrstromkonzentrationen sowie die Bean-spruchung der öffentlichen Stadträume. Die Entwicklungsmöglichkeiten dieser Struktur im Hinblick auf die sich abzeichnenden zukünf-tigen Entwicklungen sind sehr begrenzt. Die Zukunft gehört der polyzentrischen Stadt. Um die Funktionsfähigkeit der öffentlichen und privaten Verkehrsnetze zu erhalten, müssen die mit der radialen Ausrichtung verbundenen Konzentrationen aufgebrochen und in einem Netz verteilt werden. Mit der Entwicklung von Graz-Reininghaus erfolgt ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Das neue Zentrum West wird zum Ziel, durch die verdichtete gemischte Nutzung können viele Wege auch zu Fuß und mit dem Fahrrad zurückgelegt werden.
1 Hierarchisches Wachstum, Konzentration und radiale Ausrichtung mit monozentralem Bedeutungsprofil
2 Polyzentraler Stadtraum mit gleichmäßig verteilten Bedeutungsschwerpunkten
1 2
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Lange Wege – kurze WegeIn der polyzentrischen Stadt sind die Mobilitätsbedürfnisse differenziert. Für die langen Wege zwischen den Inseln und den Zentren braucht es flexibel nutzbare Netze des öffentlichen Verkehrs, ebenso für Fußgänger und Radfahrer. Innerhalb des Entwicklungsgebiets sind die kurzen Wege zu den Haltestellen des öffentlichen Verkehrs mit direkten und sicheren Fußwegen zu erschließen.
Einbettung ins städtische VerkehrsnetzDie Straßen um GrazReininghaus sind ausgelastet, zudem fehlt eine leistungsfähige öffentliche Verkehrserschließung. Um in diesem Kontext und mit dem Ziel einer nachhaltigen Entwicklung die Mobilitätsbedürfnisse zu erfüllen, ist eine konsequent angebotsorientierte Strategie mit den folgenden Elementen nötig:
• GrazReininghaus ist mit neuen Haltestellen an die SBahn und mit einer zentralen Stra ßenbahnlinie leistungsfähig und attraktiv zu erschließen. Diese Angebote des öffentlichen Verkehrs müssen zum Zeitpunkt der ersten Nutzungsetappe erstellt sein, wie es beispiels weise in Freiburg Rieselfeld geschehen ist.• Zwischen Innenstadt und GrazReininghaus ist eine attraktive LangsamverkehrsHaupt achse für Radfahrer und Fußgänger zu erstellen. Die Distanz ist ideal und es wird vermieden, weiteren Autoverkehr zwischen diesen bereits überlasteten Bereichen zu erzeugen. • Mit direkten Langsamverkehrsverbindungen ist GrazReininghaus zudem mit den umlie genden Stadtteilen zu verbinden. • Richtung Süden und Norden ist Reininghaus an das übergeordnete Straßennetz anzubinden.
1 Zwischen den Inseln der polyzentrischen Stadt:flexibel nutzbare Netze desöffentlichen Verkehrs fürRadfahrer und Fußgänger
2 Inseln der Stadtland-schaft sind heterarchische Brenn punkte. Innerhalb der Inseln lebt die Stadt der kurzen Wege
3 Die Stadt der langen Wege: Bewegung zwischen den Inseln nach dem Prinzip Quantensprung
4 S-Bahnen undStraßenbahnen – der öffentliche Verkehr als Rückgrat der Mobilität in Reininghaus
5 Priorität für Fußgängerund Radfahrer in und um Reininghaus
6 Erschließungsprinzip
langsam (zu Fuß /Rad) schnell (Kfz/ÖPNV)
1 2 3
4 5 6
65Aspekte der Mobilität
4. Öffentlicher und privater Raum
Straßenräume sind wichtige StadträumeFrüher war es selbstverständlich: „Prachtstra-ßen“ wurden gebaut, multifunktional genutzt und sie waren gesuchte Adressen für Bewohner und Firmen. Mit der zunehmenden Automobi-lisierung und der „Erfindung“ der Verkehrs-planung wurden aus diesen Stadträumen immer mehr monofunktionale Verkehrsachen. Die zukünftigen Anforderungen an Nutzbarkeit und Leistungsfähigkeit der inner-städtischen Straßen für alle Verkehrsteilnehmer machen eine Neuausrichtung nötig. Dazu sind in den vergangenen Jahren Erfolg versprechende Beispiele realisiert worden. Sie zeigen, wie mit intelligenten Verkehrs-, Betriebs- und Gestal-tungskonzepten, mit sorgfältiger Gestaltung, mit einer Kultur der Langsamkeit sowie mit Koexistenz auch stark belastete Straßen in die städtebauliche Struktur integriert werden können. Diese Beispiele zeigen auch das Potenzial dieser Gestaltung als Grundlage für Investitions-entscheide auf den angrenzenden Grundstücken. So wurde in Grenchen im Rahmen der Umgestaltung des Stadtzentrums eine freie Überquerbarkeit der Hauptstraßen für Fußgänger erreicht (siehe Abb. auf S. 58). Gleiches erziehlte man auch in der stark belasteten Hauptverkehrs-straße von Bern-Köniz – hier durch gestalterische Elemente und Geschwindigkeits drosselung (siehe Abb. auf S. 62). In Bern-Neuhaus wurde mit diesen Maßnahmen neben den Verkehrs-problemen auch die Hauptstraßengestaltung unter Einbeziehung der Bevölkerung gelöst.
Bern Neuhaus – durch die Integrierung der Straßen bahn in den Mischverkehr konnte die Verkehrs fläche reduziert und der Straßen raum auch für andere Ver kehrs-teilnehmer auf gewertet werden
Bei der Sanierung und verträglichen Um-gestaltung von Ortsdurchfahrten geht der Kanton Bern seit zwanzig Jahren einen eigenen Weg. Die Leitlinie ‚Koexistenz‘ statt Dominanz im Straßenverkehr ist dem Prinzip der Shared Spaces (vgl. S. 40, Interview Koch/ Dietiker) für den urbanen Raum sehr ähnlich: Früher wurden Orts-durchfahrten hauptsächlich für den moto-risierten Individualverkehr ausgebaut, die Straße dominierte den Raum. Der Zerschneidungseffekt war hoch und das Einkaufen links und rechts der Straße wurde zunehmend erschwert. Es hat sich jedoch die Erkenntnis durchgesetzt, dass Ortsdurchfahrten leben müssen. Im ‚Berner Modell‘ ist der Straßen -raum demnach so zu gestalten, dass der Verkehr für alle Verkehrsteilnehmer, An-wohner, Geschäfte und Gewerbebetriebe verträglich abgewickelt werden kann. Erreicht werden kann dieses Ziel nur, wenn die Bevölkerung und die Betroffenen sehr eng in die Planungsprozesse einbe zogen werden. Aus raumplanerischen und öko-nomischen Gründen wird in erster Linie eine Lösung auf den bestehenden Straßen angestrebt. Dies deckt sich auch mit der Schweizerischen Gesamtmobilitäts stra te-gie, die vor dem Bau neuer Straßen auf Nachfrage beeinflussung und Verkehrs-management setzt. Wenn aber keine verträg liche Lösung im Ortszentrum mög-lich ist, kann auch eine Umfahrungsstrasse die Lösung sein. Standardisierte Frage - stel lun gen und Prozessschritte sorgen im ‚Berner Modell‘ dafür, dass die für die jeweilige Situation angepasste Lösung gefunden wird.
Berner Modell: Neues Leben in Ortsdurchfahrten
Graz-Reininghaus – Ringerschließung oder zentrale Hauptachse?Eine Ringerschließung hat den Vorteil, dass das Entwicklungsgebiet vom Verkehr stark entlastet ist. Dies geht jedoch meist zu Lasten der umliegenden Stadtteile, da zwei Klassen von Stadträumen entstehen: die privilegierte Innenfläche und die belasteten Außenbereiche. Die Erfahrung zeigt, dass sich dieses Gefälle bei einer Ringerschließung kaum vermeiden lässt. Zudem gehen im Entwicklungsgebiet wichtige Aspekte verloren: Gebiete in der Größe von Graz-Reininghaus brauchen eine starke tragende Struktur, sie brauchen Orientierungs-hilfen, Attraktivitäts zonen und Adressen. Diese können mit einer zentralen, nach dem Prinzip der Koexistenz gestalteten Hauptachse natür-lich und logisch geschaffen werden.
Zentrale Achse und Einsteige-OrteIn der als „Prachtstraße“ gestalteten zentralen Hauptachse fährt auch die Straßenbahn. Die Haltestellen sind über Fuß- und Radwege aus den umliegenden Nutzungsgebieten erreich -bar. Damit im Sinne der angebotsorientierten Planung der öffentliche Verkehr zumindest ebenso leicht erreichbar ist wie das private Auto, werden die Parkplätze so platziert, dass man auf dem Weg zum Abstellplatz an der Haltestelle der Straßenbahn vorbeikommt. Diese Anordnung hat weitere Vorteile:
• Graz-Reininghaus kann weitgehend verkehrs - frei gestaltet werden. Damit erleben Bewoh- ner und Arbeitende direkt den Nutzen der nachhaltig orientierten Konzeption in Form einer hohen Wohn- und Lebensqualität.• In Bezug auf die Erreichbarkeit sind so der öffentliche Verkehr und der Privatverkehr gleichgestellt. Der Anreiz, die Straßenbahn zu benutzen, wird erhöht.
Fritz Kobi* hat zusammen mit Jürg Dietiker das Berner Modell ab 1986 entwickelt. Er sagt heute über …
… die Grundidee„Es ist in erster Linie eine Geisteshaltung, wie man an Straßenbau- oder Umge-staltungsprojekte herangeht. Lebensräume und Systeme sind begrenzt, sie müssen sich nach dem Angebot, d.h. nach dem vorhandenen Straßenraum und seiner Umgebung richten – und nicht nach der Nachfrage. Innerhalb dieser Rahmen-bedingungen ist eine verträgliche Lösung für alle Betroffenen zu finden.“
… die Rolle des Planers„Früher wurde die Verkehrs-planung als rein technische Aufgabe der Fachleute verstanden. Heute stehen wir ganz woanders. Mit dem Einbezug der Gemeinden und der Bevölkerung in den Planungsprozess wird der Verkehrsplaner gleichzeitig zum Projektmanager, Voll -zieher der Politik, Mode - ra tor, Anwalt sprachloser Gruppen und Gruppenmit-glied im partizipativen Pro zess. Nicht zuletzt ist er Wächter über die Hand-lungsspielräume der kom-menden Generationen.“
… dessen Zukunft„Das lässt sich nicht vorher-sagen. Die Elemente des Modells werden sich sicher weiterentwickeln. Auch der Straßenbau wird hoffentlich nicht still stehen und neueLösungsansätze für die Verträglichkeit schaffen. Tempo-30-Zonen in Orts-zentren wie in Köniz (18.000 Fahrzeuge/Tag) werden mehr werden, sie füllen die Lücke zwischen dem Kon-zept der Begegnungszone mit Tempo 20 und Vorrang für Fußgänger – und dem üblichen Tempo 50. Sie sind daher eine ideale Lösung für viele belebte Ortszentren.“
*Fritz Kobi war über 20 Jahre Kreisoberingenieur im Kanton Bern-Mittelland
67Aspekte der Mobilität
• Bei den Einzelbauten müssen keine Abstell- plätze erstellt werden. Die Investoren und Nutzer können sich in eine zentrale Anlage einkaufen und vom professionellen Mobili- tätsmanagement profitieren.• Die zentrale Abstellanlage kann von einer spezialisierten Firma erstellt und wirtschaft- lich betrieben werden. Sie kann auch so konzipiert sein, dass sie sich beim Eintritt markanter Veränderungen im Mobilitätsver- halten umnutzen lässt.• Für die Konzipierung der Verkehrs-, Betriebs- und Gestaltungskonzepte hat sich das Instrument des interdisziplinären Wettbe- werbes bewährt. Es hat sich gezeigt, dass dabei gegenüber traditionellen Straßenpla- nungsprojekten besser die Gewähr besteht, neuen und zukunftsorientierten Projekten zum Durchbruch zu verhelfen.
Fazit• Graz-Reinighaus wird mit einer Hauptachse zentral erschlossen. Diese ist entsprechend ihrer Bedeutung als wichtiger Stadtraum – und ,erste Adresse‘ – sorgfältig und reprä- sentativ gestaltet. • Innerhalb von Graz-Reininghaus gilt die Kultur des Langsamverkehrs. Der fußläufige Stadtteil ist über attraktive Verbindungen mit dem Stadtzentrum und den umliegenden Stadtteilen verbunden.• Graz-Reininghaus wird von Beginn an mit öffentlichen Verkehrsmitteln attraktiv erschlossen.• Das Parken wird zentralisiert. Der Stellplatz- pool wird von einer Mobilitätsberatungsstelle gemanagt und bewirtschaftet.
68
5. Planungsansätze
Das Prinzip TetrisDer Weg in die Zukunft ist ein Zick-Zack-Pfad, dessen Verlauf von den jeweiligen Verhältnissen bestimmt wird und der immer wieder neu ausgerichtet werden muss. Planen heißt auch
„surfen auf den Wellen der Zeit“. Die Planenden müssen bestrebt sein, oben zu bleiben, den Überblick zu behalten und immer wieder die Zielrichtung anzupeilen, um das Gesamtziel nicht aus den Augen zu verlieren. Diese Meta-pher rückt die Chancen eines sich über lange Zeit entwickelnden Graz-Reininghaus ins Blick-feld. Denn hier erlaubt es der Prozess, immer wieder für Standortbestimmungen innezuhalten, gemäß den jeweils aktuellen Erkenntnissen die nächsten Schritte des Mobilitätskonzeptes neu zu fokussieren und entsprechend dem Prinzip Tetris das jeweils entstandene sinnvoll zu ergänzen.
Der institutionalisierte ProzessUm in dieser Entwicklung auch das Mobilitäts-konzept sicherzustellen, soll für Graz-Reining-haus ein Entwicklungsbeirat mit definierten Aufgaben und Kompetenzen institutionalisiert werden. Dieser hat die Aufgabe, in regelmäßigen Abständen eine „Zustandsdiagnose“ des bisher Erreichten zu erstellen sowie die nächsten Schritte festzulegen.
Planungsvorstellungen …
Der Plan – ein statisches hierachisches Bild. Aus druck einer „heilsge-schichtlichen“ Entwick-lungslinie, der Weg zum
„Paradies“ (oben)
Der reale Weg in die Zukunft ist aber ein Zick-Zack-Pfad, der von den jeweiligen Verhältnissen bestimmt ist – das genera-tive Prinzip (unten)
69Aspekte der Mobilität
Gesellschaftlicher ParadigmenwechselWie wichtig ein solcher Prozess mit kontinuier-licher Standortbestimmung und Re-Design der nächsten Schritte für die Zielerreichung ist, zeigt sich, wenn man zum Beispiel die Phasen der gesellschaftlichen Paradigmen in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts betrachtet – die Paradigmenwechsel fanden hier etwa alle 10 Jahre statt. Das Problem besteht darin, dass Projektprozesse wie in Graz-Reininghaus länger dauern und über diese Paradigmenphasen hinausreichen. Dies führt dazu, dass man ein Projekt zu einem Zeitpunkt beginnt, fertig ge-stellt wird es aber in einer anderen Paradigmen-Phase – mit dem Ergebnis, dass das Pro jekt dann nicht mehr zeitgemäß ist.
Kairos – Die gute Gelegenheit Das Prinzip Tetris berücksichtigt eine weitere, auf alten griechischen Allegorien basierende Erkenntnis: Bei aller Planung sind gute Ge-legenheiten am Schopf zu packen. Sind sie vorbei, besteht keine Möglichkeit mehr, sie zurückzuholen.
Der gesellschaftliche Paradigmenwechsel
Die Paradigmenphasen sind kürzer als die Projektzeiträume
Projektzeitraum
70
Nähe macht mobil
Das Wort ‚Mobilität‘ hat eine lateinische Wurzel und bedeutet ‚Beweglichkeit‘. Es beschreibt also die Möglichkeit, sich zu bewegen oder sich persönlich zu verändern. Mobilität ist ein überaus positiv besetzter Begriff – niemand bezeichnet sich gerne als immobil. In der öffentlichen Wahr-nehmung wird Mobilität in jeder Weise zele-briert: die Wirtschaft verlangt Mobilität in der Arbeitswelt, von Studenten wird erwartet, dass sie mindestens ein Semester im Ausland verbringen, vom Durchschnittskonsumenten werden mindestens eine Urlaubsreise pro Jahr und mehrere Kurzausflüge verlangt u.v.m. In der öffentlichen Wahrnehmung wird Mobilität vielfach auch mit „Kilometerleis-tung“ gleichgesetzt. Diejenige Person, die das größte Auto besitzt, die die meisten Kilometer herumfährt oder am häufigsten mit dem Flugzeug unterwegs ist, wird als äußerst mobil bezeichnet. Unabhängig vom Sinn und Zweck der vielen Kilometer und PS. Dabei ist eigentlich klar: Mobilität bedeutet nicht die Fähigkeit, möglichst viele Kilometer zurückzulegen, sondern möglichst viele Ziele aufsuchen zu können bzw. zwischen möglichst vielen Zielen wählen zu können. Und das ist ein wesentlicher Unterschied. Technisch ausgedrückt, steigen die Mobilitäts-Chancen, je mehr unterschiedliche und für das Individuum nützliche Ziele sich in seiner Nähe befinden. Stadtplanerisch heißt das: Je intensiver ein Gebiet genutzt wird und je stärker die Nutzungen gemischt sind, umso mehr Möglichkeiten eröffnen sich für die Bewohner und für die Nutzer. Ein Phänomen, das man auch Urbanität nennt.
Planungsanforderungen für die Mobilität in Graz-Reininghaus
71Aspekte der Mobilität
Wir wissen: Je urbaner gebaute Struk turen sind, umso geringer ist die Abhängigkeit von einem Verkehrsmittel. Nähe bedeutet auch Wahlfreiheit – zwischen Gehen, Radfahren, Benützen öffentlicher Verkehrsmittel und Autofahren. Mobile Vielfalt statt zwanghaftem ‚Kilometerfressen‘. Personen, die in gewachsenen städti-schen Strukturen leben, steuern mehrere Ziele an und nutzen vorwiegend die Füße oder das Fahrrad, sie sind so genannte Langsam-Verkehrsteilnehmer. Das Auto spielt eine eher untergeordnete Rolle und bleibt häufig in der Garage. Bewohner urbaner Strukturen legen nur halb so viele Kilometer zurück wie Stadt-rand-Bewohner, die gezwungen sind, für viele Aktivitäten das Auto zu benutzen.
Zeit und Geld sparen
Im Durchschnitt bewegt sich ein Mensch an einem Arbeitstag rund 75 Minuten lang. Dieser Wert scheint relativ konstant zu sein, da er sich auch bei Betrachtung längerer Zeit- reihen nur unwesentlich ändert. Man könnte auch von einem Zeitbudget sprechen, das jedem Menschen zur Verfügung steht – und wovon der durchschnittliche Mensch be reit ist, 75 Minuten seiner täglichen Lebenszeit für Mobilität zu investieren. Es kommt also dann vor allem darauf an, was man daraus macht.
LinksDichte Nutzungsmischung führt zur Stadt der kurzen Wege
RechtsNutzungstrennung führt zu langen Wegen
72
Dieses ‚Gesetz der Zeitkonstanz‘ erklärt auch, dass es Bewohner urbaner Bereiche leichter haben, ihre Erledigungen zu machen, da wegen der kürzeren Wege weniger Zeit pro Aktivität investiert werden muss. Und des-wegen sind sie auch mobiler. In der Wande-rungsbilanz gewinnen Ballungszentren daher, während zeitintensive Randlagen verlieren. Umgekehrt bedeutet das Gesetz der Zeitkonstanz auch, dass überproportional Kilometer mit motorisierten Verkehrsmitteln eingespart werden, wenn es gelingt, einen guten Teil der Mobilität eines Stadtteiles un motorisiert abzuwickeln. Gleichzeitig sinkt auch die Nachfrage nach dem Besitz eines eigenen Kraftfahrzeuges. Es entsteht also eine klare Win-Win-Situation: Das Individuum spart Zeit und Geld, Umwelt und Stadt gewinnen an Qualität.
Graz-Reininghaus als (potenziell) urbaner Stand-ort bietet die Chance, Urbanität zu schaffen und damit Verkehr zu sparen. Aber nur, wenn wichtige Grundsätze bei Planung, Entwicklung und Realisierung des Verkehrs verwirklicht werden.
Lobgesang auf das Fahrrad
Das Fahrrad ist für viele Wege ein ideales Verkehrsmittel. Im städtischen Bereich bei Distanzen bis zu 5 Kilometer ist es meist das schnellste Verkehrsmittel, das billigste ist es in jedem Fall. Und 50 % aller Wege, die derzeit mit dem Auto zurückgelegt werden, sind kürzer als 5 Kilometer! Die tatsächliche Nutzung des Fahrrads hängt in der Praxis von mehreren Faktoren ab, deren wichtigster das Fahrradklima ist.
Modal Split in Salzburg
Taxi, Bahn, Sonstiges Bus städt. Verkehrsmittel mit dem Auto als Mitfahrer mit dem Auto als Fahrer mit dem Fahrrad zu Fuß
Weganteile in %
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Innen-stadt
Nord-Ost
Ost Süd West Nord-West
Sbg. Stadtgesamt
43
14
20
5
14
20
16
37
7
14
18
15
39
10
13
17
15
41
9
16
27
16
33
8
13
21
18
34
10
12
22
16
36
8
1313
24
1 1 11 14 4 41 2
Fans sind Meinungsführer
Präzise fokussierte An-gebote treffen den Nerv ihrer Zielgruppe genau. Sie erzielen dadurch eine deutlich höhere Bindung – Kunden werden zu Fans. Für eine fahrradorientierte Stadt sind diese Fans als glaubwürdige Meinungsfüh-rer von Bedeutung: Wenn überzeugte Biker in ihrer Community und darüber hi-naus kommunizieren, dass Graz-Reininghaus fahrrad-freundlich ist, dann ist das ein Experten-Gutachten. Bei der Bike-City in Wien ist Christoph Chorherr das sicher gelungen: Sie bietet eine Wohnform, die speziell auf die Bedürfnisse von Radfahrern zugeschnitten ist, mit abgesicherten Fahr-rad-Parkplätzen, Werkstätte, Fahrradverleih und sogar mit Sauna, Fitness-Center und vorgelagertem Son-nendeck. Große Liftkabinen machen es leicht, besonders hochwertige Bikes auch mit in die Wohnung zu nehmen.
73Aspekte der Mobilität
Diese Klima ist dann gut, wenn das Fahrrad als Verkehrsmittel ernst genommen wird. Fahr -radfreundliche Städte und Stadtteile zeichnen sich durch sichere und leicht erreichbare Fahr-rad abstellanlagen im Haus und an den Zielen aus, sowie durch eine sicher und angenehm befahrbare Radverkehrsinfrastruktur. Viele dieser Voraussetzungen erfüllt die Stadt Graz, auch wenn in den letzten Jahren die Anstren-gungen etwas nachgelassen haben und die ehemalige Radlerhauptstadt Österreichs mittlerweile von Salzburg „überholt“ wurde. In Graz-Reininghaus bestehen daher geradezu ideale Voraussetzungen für eine echte Radlerstadt: Ebenes Gelände, die Mög-lichkeit, das Straßen- und Wegenetz von vorn-herein fahrradgerecht zu gestalten – und kurze, fahrradgerechte Distanzen zu einer Vielzahl von Zielen in Graz. Schlussendlich besteht in Graz-Reininghaus die Möglichkeit, die Vorteile des Fahrrads durch ein intelligentes Gesamt-konzept voll zur Geltung zu bringen (vgl. Dietiker, Das Tetris-Prinzip: „Bei aller Planung sind gute Gelegenheiten am Schopf zu packen.“).
30 % Radverkehrsanteil ist in Graz-Reininghaus möglich
Dazu wird die Radlerstadt Graz-Reininghaus wie folgt gedacht. Graz-Reininghaus hat fahrradgerechte Gebäude. Das sind Gebäude, die im Erdge-schoß (direkt neben dem Eingang) Fahrrad-räume haben, in denen das Fahrrad sicher und trocken abgestellt werden kann. Um den Gebrauch des Fahrrads zu fördern, können auch die dafür notwendigen Räumlichkeiten als Bonuskubatur aus dem verwertbaren Raum herausgenommen werden. Alle Ziele in Graz-Reininghaus sind direkt und verkehrssicher mit dem Fahrrad erreichbar – insbesondere auf Wegen abseits von starkem Kfz-Verkehr und in attrak tiver Umgebung, damit das Radeln Spaß macht. Zu weiter entfernt liegenden Zielen gibt es gut ausgebaute Fahrradrouten, die direkt und attraktiv geführt sind, etwa in so genannten Fahrradstraßen, auf denen Radfahrer prinzipiell im Vorrang sind und Kraftfahrzeuge nur ge-duldet werden. Diese Hauptverbindungen vermeiden Umwege, die vielleicht mit anderen Verkehrsmitteln erforderlich sind und bieten grundsätzlich den kürzesten Weg an.
Bonus vom Amt
Es sind oft die mittelbaren Maßnahmen, die, an der richtigen Stelle gesetzt, plötzlich für vollkommen neue Perspektiven sorgen. Beispiel Bonuskubaturen. Dabei handelt es sich um umbauten Raum, der nicht in die amtlichen Maßzahlen (z.B. Geschoßflächenzahl und Dichteberechnung) für die maximale Bebauungs-dichte einberechnet wird. Bonuskubaturen sind ein wesentliches Instrument, um zusätzliche Räume ohne Verwertungsdruck zu schaffen – und damit wichtige Elemente für eine funk-tionierende Stadt mit durch-mischter Nutzung und kurzen Wegen. Wie etwa im Kabelwerk in Wien und im Stadtwerk Lehen in Salz-burg: wichtige Räume wie geschützte Fahrrad-Abstell-flächen im Erdgeschoß, Bewohnertreffs, kommuni-kative Foyers, freie Flächen für Kunstprojekte u.a.m. konnten hier mittels Bonus-kubaturen entstehen.
Siehe dazu auch Kapitel 5 der Publikation „Nutzungs-vielfalt für Graz-Reininghaus“
74
Den öffentlichen Verkehr strukturprägend konzipieren
Öffentliche Verkehrsmittel sind attraktiv, wenn sie häufig verkehren, wenn man möglichst viele Ziele mit ihnen direkt erreichen kann und wenn die Haltestellen auf kurzem Weg und attraktiv erreichbar sind. Diese Grundsätze gilt es in Graz-Reininghaus von vorne herein sicherzustellen. Zu fordern ist die zeitgerechte Errich-tung einer Straßenbahnlinie mitten durch den neuen Stadtteil. Zeitgerecht heißt: Vor dem Baubeginn des neuen Stadtteils. Nur so kann das Verkehrsverhalten von Anfang an und nachhaltig zu Gunsten des Öffentlichen Ver-kehrs geprägt werden. Die Straßenbahnachse sollte als Struk-tur bildende Achse dienen. Durch städtebauliche Leitplanung sollte sichergestellt werden, dass sich im unmittelbaren Umfeld der Haltestellen die höchsten Nutzungsdichten konzentrieren und dass hier Einrichtungen situiert werden, die die höchste Besucherfrequenz erzeugen. Die Fußwege zu den Haltestellen sind sorg-fältig zu planen, der Weg zur Haltestelle kann abwechslungsreich und attraktiv sein.
Formen der sanften Mobilität in Barcelona
Querschnitt durch die Prachtstrasse um 1900
75Aspekte der Mobilität
Die Trasse der Straßenbahn sollte der Haupt-straße folgen, um Synergien zwischen Fuß-gängerfrequenz, intensiver Nutzung der Ziele entlang der Hauptstraße und öffentlichem Ver-kehr zu schaffen. Eine Ausbildung als „Pracht-straße“ mit vielfältigen Funktionen und mit ausreichend Raum für viele Nutzungen wäre zu empfehlen. Die Haltestellen können als Stadtteil-zentren ausgebildet werden, als Orte, wo man sich gerne trifft und die man täglich ohnehin des Öfteren frequentiert. Straßenbahnen sind deutlich attraktiver als Busse. Ein Phänomen, das objektiv schwer zu erklären ist, in der Praxis und empirisch aber eindeutig zu beobachten ist. Einen hohen Anteil des Öffentlichen Verkehrs wird man in Graz-Reininghaus daher nur mit einer Straßen-bahnlinie erreichen können, am besten durch eine Verlängerung der Linie 3 oder 6. Dadurch könnte zusammen mit der geplanten Haupt-bahnhofunterführung eine attraktive Verbindung zum Hauptbahnhof und ins Stadtzentrum geschaffen werden.
Mobilität als Dienstleistung – in Graz-Reininghaus hat man alle Möglichkeiten
Für Mieter, Wohnungsbesitzer und sonstige Nutzer werden standortbezogene Dienstleis-tungen in Zukunft wichtiger. Neben sogenann-ten Concierge-Diensten gewinnt vor allem der Bereich Mobilität an Bedeutung: Mit Abschluss eines Miet- oder Kaufvertrages wird dabei auch eine Reihe von Mobilitätsangeboten mit
“gekauft“. Die Qualität dieser Dienstleistungen wird in Zukunft die Qualität von Standorten wesentlich mitbestimmen. Und ein umfassen-des und kundenorientiertes Bündel an Dienst-leistungen trägt dazu bei, eine rationelle und ökonomische Verkehrsmittelwahl zu ermög-lichen und unnötig zurückgelegte Wege und Kilometer zu vermeiden.
ZuzüglerpaketEin Wohnortwechsel oder der Wechsel des Arbeitsplatzes bedeuten immer auch einen neuen Lebensabschnitt. Und Lebensabschnitts-wechsel gehen meist mit einem Wechsel persönlicher Verhaltensweisen einher, auch des persönlichen Verkehrsverhaltens. Diese Tatsache kann durch eine persönliche Infor-mation zu den Mobilitätsmöglichkeiten der neuen Wohnung oder des neuen Arbeitsplat-zes unter stützt werden. Zum Beispiel durch
„Zuzüglerpakete“. Diese enthalten Informa-tionen zum Nahbereich, über die vorhandenen Ver sorgungseinrichtungen, das Parkraum-management, über die Fahrradinfrastruktur und die Angebote im Öffentlichen Verkehr. Für den Öffentlichen Verkehr werden „Schnupper-tickets“ angeboten, mit denen diese einmal kostenlos getestet werden können. In Kombi-nation mit persönlicher Beratung können allein durch das Zuzüglerpaket deutliche Verände-rungen im Verkehrsverhalten erzielt werden – vergleicht man die Situation mit Bevölkerungs-gruppen, die nicht informiert werden (vgl. dazu
„Mobilitätsmanagement wirkt“ auf S. 82).
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Mietertickets und ÖV-InformationDie Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist schwierig – wenn man diese nur selten nutzt oder noch nie genutzt hat. Auch die Preise für eine einzelne Fahrt werden subjektiv oft als sehr hoch empfunden. Fehlende Informationen (Streckennetz, günstige Fahrscheine, Zusatz-angebote) und das gängige Vorurteil, dass der Öffentliche Verkehr schlecht und unbrauchbar ist, tragen ebenfalls zu geringer Nutzung bei. In Österreich besteht zudem das generelle Problem, dass zwar für den Betrieb des ÖV-Angebotes sehr viel Geld ausgegeben wird, für dessen Vermarktung allerdings fast nichts. Eine erstaunliche Tatsache, die in der Privat-wirtschaft undenkbar wäre: Keinem Autoher-steller würde es einfallen, ein neues Auto zu entwickeln, dieses Produkt aber „geheim“ zu halten. Ein Stadtteil, der Wert auf eine mög-lichst hohe Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel legt, bietet daher zielgruppenspezifische Infor-mationen an. Das sind zum Beispiel aktuelle Fahrpläne, die regelmäßig an alle Haushalte
und Betriebe geliefert werden. Oder Timeboards in allen Hauseingängen, mit den aktuellen Ab-fahrtszeiten der nächstliegenden Haltestellen. Mietertickets sind Fahrkarten des Öffentlichen Verkehrs, die an Bewohner, aber auch an andere Gruppen, die sich regelmäßig im Stadtteil aufhalten, weitergegeben werden – etwa kostenlos in Form eines „Schnupper-tickets“ oder gegen einen vergünstigten Preis, um regelmäßigere Nutzung zu erzeugen. Denkbar sind aber auch Netzkarten für die Stadt Graz, Fahrkarten für die Steirische S-Bahn oder für das neue Generalabo Österreich, mit dem alle Öffentlichen Verkehrsmittel in Österreich benutzt werden können.
Radverleih und Rad-Service-StationenWichtiger Teil eines nachhaltigen, urbanen Mobilitätsangebots ist das Fahrrad. Neben dem Besitz eines eigenen ‚Drahtesels‘ muss es in einer Fahrradstadt die Möglichkeit geben, kurzfristig und unkompliziert ein Fahrrad aus-leihen zu können: Wenn das eigene Fahrrad einmal defekt ist, wenn man mit Freunden etwas unternehmen will – oder für dienstliche Wege von Mitarbeitern in den Betrieben von Graz-Reininghaus. Ideal ist die Einbindung in ein stadtweit funktionierendes Radverleih-system, möglich ist aber auch, einen lokalen Anbieter zu etablieren.
CarSharingAutonutzung muss nicht zwangsläufig privaten Autobesitz bedeuten. Das Angebot von Car-Sharing-Fahrzeugen im Stadtteil ermöglicht es, jederzeit und zumeist auch relativ spontan, über ein Auto zu verfügen. Neben Kosten-vorteilen ist es einfach auch sehr praktisch, für verschiedene Fahrzwecke verschiedene Fahrzeuge verwenden zu können. Eine auto-matische Mitgliedschaft aller Bewohner und Arbeitnehmer in Graz-Reininghaus bei einer CarSharing-Organisation ermöglicht eine Ver-ringerung des privaten Autobesitzes und damit
CarSharing – Wohnen und Mobilität kombiniert
Zu Fuß gehen, Rad fahren, ÖPNV nutzen – nach Dietiker ist es essentiell, dass man sich an einem neuen Wohn-ort von Anfang an daran gewöhnt. Hier setzt das Konzept ‚Kombinierte Mobi-lität‘ an: In der Wohnungs-miete ist eine Netzkarte für den regionalen ÖPNV inbegriffen. Trotzdem kann ein Auto manchmal sehr praktisch sein, etwa für den Großeinkauf oder für den Ausflug mit der Großmutter. Zur kombinierten Mobilität gehört daher auch eine Flotte von CarSharing-Fahrzeugen, die individuell angefordert werden können. Kombinierte Mobilität wird im Großraum Zürich und in Bern in mehre-ren Wohnbauprojekten umgesetzt.
77Aspekte der Mobilität
auch des Autoverkehrs. CarSharing-Fahrzeuge werden üblicherweise überlegter eingesetzt als private Fahrzeuge.
Persönliche MobilitätsberatungRegelmäßige Beratungsangebote für Bewohner und Arbeitnehmer des Stadtteils wären eine weitere wichtige Mobilitätsdienstleistung. Nachdem es in Graz die älteste Mobilitätszen-trale Österreichs gibt, bietet sich eine Koope-ration mit dieser an, zum Beispiel in Form fixer Beratungstage. Persönliche Mobilitätsberatung zeigt (vor allem für neue Bewohner und Mitarbeiter) alle Möglichkeiten auf, wie die täglichen Wege zurückgelegt werden können. Aber auch für Freizeit und Urlaub kann Beratung wichtig sein. Zur persönlichen Beratung gehört neben dem Aufzeigen von Alternativen bei der
Verkehrsmittelwahl die Darstellung von einge-sparter Zeit und Kilometern, weiters Kosten-vergleiche und eine Umweltbilanz.
Nahversorgung und ZustelldiensteEin Erlebniseinkauf der ganz besonderen Art ist sicherlich jener, bei dem z.B. der Wochen-einkauf nicht selbst nach Hause getragen werden muss, sondern zugestellt wird. Stamm-kunden eines Geschäfts können ihre Wünsche auch telefonisch oder per Internet bestellen – die ihnen dann umgehend geliefert werden. Viele Einkaufsfahrten können dadurch entfallen. Zu empfehlen ist in diesem Zusam-menhang die Einrichtung eines entsprechenden Services in Graz-Reininghaus. Am besten in Kooperation mit den Geschäften im Stadtteil und mit einem Fahrradlieferservice.
Persönliche Dienste
Der Sozialwissenschafter Raimund Gutmann sieht in der Wissensgesellschaft einen Trend zu individuellen, persönlichen Dienstleistun-gen (Graz-Reininghaus, Bd. Nutzungsvielfalt, S. 65). Ein derartiges Service, das zudem gut in die Mobilitäts-Überlegungen für Graz- Reininghaus passt, wird in Burgdorf im Kanton Bern praktiziert: Hauszustellung von Einkäufen durch einen Fahrraddienst. 2000 Liefe-rungen werden so monatlich mit Elektro-Velos zwischen Großmarkt und Haustüre transportiert. Die Hauszu-stellungen der Velostation sind Teil eines fahrradorien-tierten Servicedienstes, in dessen Rahmen auch Kurier- dienste, Fahrradverleih, Reparaturwerkstätten und Recyclingdienste angeboten werden.
Wegehäufigkeiten vonCarSharing Kunden
Personen mit voller Autoverfügbarkeit
34.8 %
20.2 %
17.5 %
8.1 %
6.3 %
5.4 %
2.9 %
1.6 %
0.2 %
2.4 %
9.6 %
8.1 %
10.0 %
11.4 %
-
54 %
1.6 %
0.7 %
-
4.6 %
Bahn/Postauto
Fahrrad
Bus/Tram
zu Fuß
CarSharing
Auto im Haushalt
Motorrad
Leihwagen
Taxi
Andere
78
ParkraummanagementParkplätze in der Stadt sind teuer. Und die Bau-behörde schreibt normalerweise sogenannte Pflichtstellplätze vor, eine Mindestzahl von Stellplätzen, die vom Bauwerber zu errichten ist. Die Kosten für die Tiefgarage können bis zu 12 % der Errichtungskosten ausmachen. Unabhängig vom tatsächlichen Bedarf werden die Wohnbaukosten damit erheblich verteuert. Gleichzeitig gibt es in urbanen Lagen einen erheblichen Anteil an Haushalten und Personen, die über gar kein Kraftfahrzeug verfügen, sich keines leisten wollen und dieses auch nicht benötigen. Damit werden diese Personen gezwungen, einen Parkplatz mitzu-finanzieren, den sie selbst nicht benötigen –
ein eklatanter Verstoß gegen Gerechtigkeit und Kostenwahrheit. Überdies wird mit diesen Bestimmungen die private Automobilität aktiv gefördert. Ein Umstand, der seinerzeit von den Schöpfern des (Reichs-)Garagengesetzes als wesentlicher Grund für die Einführung der Stellplatzpflicht genannt wurde. Gerechter und im Sinne der Kosten-wahrheit effizienter wäre es, das Parken zu privatisieren. Voraussetzung dafür ist zunächst, dass das (Dauer-)Parken im Straßenraum und generell im öffentlichen Raum nicht möglich ist. Dahinter steht auch eine prinzipielle Über-legung – denn bei kritischer Betrachtung ist es eigentlich nicht nachvollziehbar, dass die
autonormales Quartier
überdurchschnitt licher Besitz:
Förderung Kfz, hoher Anteil an
Auto besitzern, Zweitwagen
Parkbedarf: alle Bewohner
und Besucher
autoreduziertes Quartier
unterdurchschnitt licher Besitz:
Anreize für Autofreiheit, restriktive
Maßnahmen für Kfz
Parkbedarf: CarSharing, Besucher,
geringer Teil der Bewohner
autofreiesQuartier
kein individueller Besitz:
Menschen, die freiwillig ohne Auto
leben wollen
Parkbedarf: CarSharing, Besucher,
Sonderfälle
verkehrsberuhigtes Quartier
eingeschränkter Kfz-Verkehr:
bauliche Maßnahmen, Tempo 30-Zone,
Wohn- und Spielstraße
Parkbedarf: Bedarfsdeckung oder ein-
geschränkt Str.-rand, Hof, Tiefgarage
MIV freiesQuartier
kein privater Kfz-Verkehr:
Fußgängerzone, Lieferverkehr und
Öffentliche Dienste frei
Parkbedarf: Bedarfsdeckung am Rand
in Parkhäusern
verkehrsgerechtesQuartier
unbehinderter Kfz-Verkehr:
Tempo 50 / Tempo 30
Parkbedarf: volle Bedarfsdeckung,
Garagen an der Haustür
Kfz-BesitzReduzierung des Kfz-Besitzes in jedem Haushalt im Quartier
keine Beschränkungen
hoher Kfz-Besitz
kein Kfz-Besitz
hohe Beschränkungen
Kfz-VerkehrBeschränkung des Kfz-Verkehrs im Quartier
Kfz-Reduktion ist nur mit gezielten Beschränkungen des MIV möglich
79Aspekte der Mobilität
öffentliche Hand (also der Steuerzahler) un-entgeltlich Grundfläche zum Abstellen privaten Eigentums zur Verfügung stellt – zumal im städtischen Bereich, in dem Flächen ohnehin knapp sind. Konsequent weiter gedacht, muss man festhalten: Für Schränke, Gartenmöbel und Sperrmüll gibt es dieses Recht jedenfalls nicht. Damit wäre es privaten Grundbesitzern bzw. Investoren überlassen, Stellplätze außer-halb des Straßenraums zu errichten und gegen eine kostendeckende Gebühr anzubieten. In Japan ist beispielsweise die Zulassung eines privaten Kraftfahrzeuges an den Nachweis eines privaten Stellplatzes außerhalb des Straßen-raumes gebunden. Pflichtstellplätze bei jeder Wohnung, bei jedem Arbeitsplatz oder bei jeder Schule können damit deutlich reduziert werden bzw. vollkommen entfallen. Die gesetzlichen Grundlagen in Österreich lassen diese Vorgangsweise nicht zu. Es gibt jedoch auch im bestehenden gesetz lichen Rahmen durchaus Möglichkeiten, Parkraummanagement mit mehr Gerechtigkeit, Kostenwahrheit und schlussendlich mit mehr Effizienz zu betreiben. Ein erster wichtiger Schritt ist dabei die Trennung des Besitzes von Wohnung und Garagenplatz. Das heißt, dass der Kauf einer Wohnung nicht zwangsläufig an den Kauf eines dazugehörigen Stellplatzes gebunden wird. Wenn jemand einen Garagenplatz benötigt, so kann er diesen jederzeit erwerben oder anmie-ten. Wenn jemand aber kein Kraftfahrzeug besitzt, spart er Geld.
Beim Bauvorhaben Sihlbogen im KantonZürich setzte der Bauträger bereits 2007 aufkombinierte Mobilität. Die im Wohnungs-preis enthaltene Netzkarte für den ÖPNVund CarSharing-Angebote waren von Anfang an Bestandteil eines Leuchtturm-Projekts im Bereich Energie-Effizienz. Urs Frei, Präsident der planenden Baugenos-senschaft Zurlinden: „Finanziert wird das ÖPNV-Abo durch die Tiefgaragen plätze, welche wir nicht errichten müssen.“ Zusätz-liche Attraktivität erhält kombinierte Mobi-lität hier dadurch, dass direkt am südlichen Ende des Areals sowohl S-Bahn- als auch Bus-Verbindungen zur Verfügung stehen. Das Bauvorhaben Sihlbogen ist ein Pilotprojekt für optimale Energie nut zung nach den Prinzipien der ‚2000- Watt- Ge -sellschaft‘. Urs Frei: „2000-Watt-Ge bäude werden langfristig eine höhere Rendite aufweisen als kon ventionell erstellte Bau-ten.“ Um dieses Ziel zu er reichen, gehört zum Vier-Säulen-Modell am Sihlbogen auch ein neuer Wand-Aufbau aus Holz mit Isolierung und hinterlüfteter Fassade, eine intelligente Vernetzung der Haushaltsgeräte und ein neues Raumklima-Verfahren. Den Begriff der ‚2000-Watt-Gesell-schaft‘ hat Prof. Dieter Imboden von der ETH Zürich Anfang der 1990er Jahre geprägt. Er steht für den Gedanken, dasswir – statt wie aktuell mit ca. 6.000 Watt/Tag – auch mit nur einem Drittel dieserEnergie ohne Verzicht auf Komfort leben können. Mit starker Unterstützung u.a. der Schweizerischen Energie-Stiftung SES ist die 2000-Watt-Gesellschaft heute Common Sense als Ziel für die Schweiz im Jahr 2050. In einer Volksabstimmung haben die Bürger von Zürich am 30.11.2008 die 2000-Watt-Gesellschaft in der Gemeinde-ordnung festgeschrieben.
Bauvorhaben Sihlbogen: Kombinierte Mobilität ab 2010
keine Beschränkungen
hohe Beschränkungen
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Garagenstandorte optimierenBereits heute müssen Garagen nicht direkt am Grundstück des jeweiligen Objektes errichtet werden. Das geltende steirische Baurecht er-laubt es, Sammelgaragen für mehrere Objekte gemeinsam zu errichten. Es ist zu empfehlen, die Stellplätze in Graz-Reininghaus konzentriert am Rand der bebauten Bereiche zu errichten – und zwar so, dass die Zufahrt möglichst konfliktfrei und ohne Belastung von Wohnbereichen oder intensiv genutzter Zonen erfolgt. Diese Sam-melgaragen sollten überdies so angelegt sein, dass sie gut zu Fuß erreichbar sind und der Weg dorthin attraktiv und abwechslungsreich gestaltet ist. Ideal ist die Kombination mit Haltestellen des Öffentlichen Verkehrs, um die Freiheit bei der Wahl der Verkehrsmittel zu unterstreichen.
Sammelgaragen auf dem Areal von Vauban/D
81
Der Betrieb dieser Garagen sollte durch ein stadtteilbezogenes Unternehmen erfolgen, das optimalerweise auch andere Mobilitätsdienst-leistungen anbietet. Bauträger sollten ihre Pflicht-stellplätze grundsätzlich in diesen Sammelga-ragen errichten bzw. sich dort einkaufen müssen.
Kfz-Verkehr steuern und Erreichbarkeit sichernDas Straßennetz rund um Graz-Reininghaus ist – entsprechend der innenstadtnahen Lage – hoch belastet und zu bestimmten Zeiten auch überlastet. Zur Sicherstellung einer guten Er-reichbarkeit des Stadtteiles ist eine Steuerung des Ziel- und Quellverkehrs im neuen Stadtteil zu empfehlen. Dies kann am besten über das Parkraummanagement in den Sammelgaragen erfolgen. Es ist beispielsweise denkbar, die Kosten des Parkplatzes nicht als monatliches Fixum zu entrichten, sondern die Kosten ab-hängig zu machen von der Zahl der Einfahrten und/oder von der Uhrzeit der Ein- bzw. Aus-fahrt. Dabei kann der Tarif in den Stunden, in denen Überlastungen im Straßennetz auftreten, höher sein als zu Zeiten, in denen dies nicht der Fall ist. Auch dies ist ein Beitrag zu mehr Kostenwahrheit und eine effiziente Möglichkeit, die Erreichbarkeit des Stadtteiles sicherzustellen, da Staus und Überlastungen dadurch verringert werden.
Mobilität in Graz-ReininghausWird Graz-Reininghaus als autoarme Stadt gedacht, ist es sinnvoll, mit prägenden Infra-struktur-Investitionen für ÖPNV und MIV in die Umsetzungsphase zu starten – mit einem Parkhaus und mit einer neuen Straßenbahnlinie. Auf Basis eines umfassenden Verkehrs- und Mobilitätsmanagementkonzeptes kann das Areal dann schrittweise und flexibel bebaut werden. Spielregeln und Qualitätsstandards für Investoren, Betriebe und BewohnerInnen legen von Anfang an Rechte und Pflichten nachvollziehbar fest. Ein Rahmenplan definiert die Hauptverkehrsachsen und Funktionen (Fußgänger, Radfahrer, Kraftfahrzeugverkehr, Standorte für Garagen und garagenfreie Berei-che) und gibt vor, in welchen Bereichen hohe Dichten erwünscht sind. Eine „Reininghaus-Entwicklungs-GesmbH“ managt die Stellplätze und die vielfältigen Mobilitätsangebote im Stadtteil. Jeder Bewohner und Betrieb be-kommt dann am Jahresende seine individuelle Mobilitätsrechnung. Darin werden die Kosten für Parken, CarSharing, Nutzung von ÖPNV Schnuppertickets, Zustellservice und Leihräder zusammengefasst. Ein intelligentes Preissys-tem belohnt die Nutzung umweltfreundlicher Verkehrsmittel und berechnet die Parkkosten in Abhängigkeit von der Zahl der Ausfahrten und der Uhrzeit der Autonutzung.
82
Die Olympischen Spiele 1972 hat München dazu genützt, den ÖPNV stärker in die Wahrnehmung der Öffentlichkeit zu rücken. Seither gibt es ein immer wieder ausgebautes und verfeinertes U- und S-Bahn-Netz, das heute wesentlich
zum Funktionieren des Großraums München beiträgt. Zum umfassenden Mobilitätsmanage-ment der bayerischen Landeshauptstadt gehört auch eine Mobilitätsberatung für Neubürger (vgl. Koch, Zuzüglerpaket, S 75). Eine Studie bestätigt, dass die Maßnahme sehr erfolgreich ist: Bürger, die beraten wurden, nutzen um 7,6 % mehr ÖPNV und um 3,3 % weniger MIV. Umgelegt in die konkreten Auswirkungen auf Verkehrsgeschehen, Volkswirtschaft und Umwelt bedeutet das: Jedes Jahr reduzieren die 85.000 Münchener Neubürger aufgrund der Mobilitätsberatung ihre Fahrten um 80 Mio. PKW-Kilometer, sie vermeiden 16 Mio. Euro Folgekosten und verringern den CO2-Ausstoß um 12.000 Tonnen.
Verkehrsplaner Helmut Koch bemängelt das vielfach ineffektive Kommunikationsver-halten der ÖPNV Anbieter (vgl. Koch, ÖV-Infor mation, S. 76). Die Potenziale, die in einem zielgruppenspezifischen Marketing des ÖPNV stecken, sind enorm und aus der Münchener Studie ablesbar: Aufgrund der Mobilitätsberatung nimmt der ÖPNV sogar dem Rad- und Fußver-kehr 3,5 % ‚Marktanteil‘ weg. Weitere Angebote des Verkehrs- und Mobilitäts managementplans (VMP) im Rahmen des Gesamtkonzepts Mobilitätsmanagement München sind u.a. Mobilitätsmanagement an Schulen, Mobilitätsmanagement bei Großver-anstaltungen und Mobilitätsberatung im Internet. Weiters beteiligten sich Pilotunternehmen an einem betrieblichen Mobilitätsmanagement:Bei nur 10.000 teilnehmenden Mitarbeitern führten die Maßnahmen jährlich zu einer Ein-sparung von 8 Mio. PKW-Kilometern, 1,6 Mio. Euro Folgekosten und 1.200 Tonnen CO2-Aus-stoß. Würden nur 50 % der Münchener Unter-nehmen mit über 250 Mitarbeitern an diesem Programm teilnehmen, ergäbe sich eine Ein spa-rung von jährlich 55 Mio. PKW-Kilometern, 11 Mio. Euro Folgekosten und 8.250 Tonnen CO2-Ausstoß.
Mobilitätsmanagement wirkt
Anmeldung im Bürgerbüro
Zusendung Begrü-ßungsschreiben und Servicekarte zum Bestellen von Infomaterialien und kostenlosem Schnupperpaket
Bestellung durch den Kunden mit freiwilliger Angabe der Telefonnummer
Zusendung des gewünschten Materials
TelefonischeBeratung
Vermittlung von Aboverträgen, CarSharing Mitgliedschaften etc.
83Aspekte der Mobilität
Eine Vision von ARGUS Steiermark
Geeignete Infrastruktur mit Leitsystem, Vor-rang für Radrouten, Radmitnahme in Öffent-lichen Verkehrsmitteln, Abstellanlagen und Wertschätzung für RadlerInnen: Alles einfache Maßnahmen, die für die Arbeitsgemeinschaft umweltfreundlicher Stadtverkehr (ARGUS) Steiermark aber Voraussetzungen für eine rad-freundliche Stadt darstellen. Das Fahrrad ist ein umweltfreundliches, gesundes, einfaches und effizientes Verkehrs-mittel, das bei Distanzen bis zu 5 km im urbanen Raum unschlagbar ist. Die Kosten für Radver-kehrs-Infrastruktur sind im Vergleich zum Autoverkehr oder zum Öffentlichen Verkehr vernachlässigbar. Schon aus wirtschaftlichen Gründen sollte daher Radverkehr in jeder Stadt vorrangig behandelt werden. In einer radfreundlichen Stadt sollte es ein lückenloses Radroutennetz geben, das sowohl schnelleren wie auch langsameren Rad-lerInnen ein gleichermaßen gutes wie sicheres Vorankommen über mittlere Distanzen sichert. Dafür notwendig ist eine geeignete Infrastruktur mit z.B. ausreichend breiten Radstreifen, auf denen auch Überholvorgänge gefahrlos möglich sind. Die Entflechtung von anderen Ver-kehrsteilnehmerströmen wie Fußgängern und Autofahrern wäre ebenfalls wünschenswert. Vor allem Geh-Rad-Wege, wie sie in Graz leider üblich sind, stellen oft nur eine Notlösung für bereits verplanten Raum dar und sollten prin-zipiell vermieden werden. Trotzdem sollte es zu sätzlich Lebens-Räume geben, die von allen Verkehrsteilnehmern unter gegenseitiger Rück-sicht nahme gemeinsam genutzt werden können. Die Bevorrangung von Hauptradrouten würde dem Radverkehr zusätzliches Gewicht verleihen und könnte das Umsteigen von immer mehr Personen auf das Verkehrsmittel Fahrrad bewirken. Radrouten sollten zudem mit ent-sprechendem Baustellenmanagement immer
durchgängig befahrbar gehalten werden. Ein Radrouten-Leitsystem, wie es vom Land Steier-mark, der Stadt Graz gemeinsam mit ARGUS Steiermark erarbeitet wurde und bis zum Früh-jahr 2009 in Graz installiert wird, fördert ein zügiges Vorankommen auch für die weniger Ortskundigen. Zur Überbrückung längerer Distanzen in der Stadt oder bei hügeligem Gelände sollte auch die Radmitnahme in allen Öffentlichen Verkehrsmitteln jederzeit möglich sein, da vor allem im Alltag eine Mitnutzung des ÖV, z.B. bei schlechtem Wetter, zusätzliche Nutzergrup-pen erschließen würde. Am Ziel sollten die RadlerInnen dann stets geeignete, sichere, über-dachte Abstellanlagen vorfinden. Nur so werden von den RadlerInnen dauerhaft hochwertige und verkehrssichere Fahrräder eingesetzt werden, da die Möglichkeit, das Rad anzusperren statt nur abzusperren, vor Diebstahl schützt. Grundsätzlich sollte RadlerInnen von allen Seiten entsprechende Wertschätzung ent -ge gengebracht werden, was sie auch weiterhin zum Radeln motiviert. Nur so kann ihnen letztlich auch der Platz und der hohe Rang in der mobilen Gesellschaft zukommen, der ihnen gebührt.
www.graz.radln.net
Anforderungen an eine radfreundliche Stadt
Ein Beitrag von Manfred Koblmüller, Österreichisches Ökologie-Institut
Eine Stadtentwicklung in der Dimension von Graz-Reininghaus muss als Zeichen für die Zukunftsfähigkeit urbaner Lebens- und Wirt-schaftsverhältnisse interpretiert werden. In besonderem Maße gilt dieser Anspruch für das Mobilitäts- und Verkehrssystem. Bewegung im Raum beansprucht Energie und materielle Ressourcen, beide Komponenten unterliegen mehr oder weniger einem Knappheitsgebot. Verteilungsgerechtigkeit und generationsüber-greifende Perspektiven in der Ressourcenfrage sind somit ein aktuelles Thema in der Stadtplanung. In keinem anderen Feld wird dieser Zusammenhang so offenkundig wie in der Frage des globalen Klimaschutzes. Städtische Systeme, die zur Abdeckung der Mobilitätsbe-dürfnisse noch immer auf die leichte Verfüg-barkeit fossiler Energiequellen setzen, sind als nicht zukunftstauglich einzustufen. Wer hin-gegen die räumlichen, organisatorischen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen bereits frühzeitig unter dem Paradigma der klima-schonenden Mobilität definiert, wird in den nächsten Jahren die größeren Entwicklungs-chancen vorfinden. Die ersten Skizzen für das zukünftige Mobilitätsgerüst in Graz-Reininghaus sind viel versprechend: Für mehr als 12.000 Personen wird eine „Stadt der Zukunft“ angedacht. Für Menschen, die in Graz-Reininghaus wohnen, soll es eine Stadt der kurzen Wege sein. Sie werden eine Vielfalt an Arbeits-, Bildungs- und Dienstleistungsangeboten vorfinden. Graz- Reininghaus wird auch Personen aus anderen Stadtteilen ansprechen, die sich hier bilden oder unterhalten werden, die andere Menschen treffen und mit ihnen kommunizieren wollen.
Jede dieser Tätigkeiten ist mit Wegen verbunden, Personen verändern ihren momentanen Ort, Bewegung ist Kommunikation. Klimaschonende Mobilitätssysteme unterstützen jedoch keines-falls den Stillstand und/oder den persönlichen Rückzug. Zukunftstauglich im Sinne von klimaverträglich sind vielmehr jene Strukturen, die Ortsveränderung als Form der Kommuni-kation fördern, dabei jedoch höhere Effizienz-Maßstäbe im Energieaufwand ansetzen. Sparsame Fahrzeuge oder neue emissi-onsfreie Technologien können einen Beitrag leisten. Einen größeren Einfluss haben hohe Anschlussdichte und gut durchdachte Zugänge im öffentlichen Verkehrssystem. Als Teil einer Stadtregion wird sich Graz-Reininghaus auch mit dem Umfeld vernetzen, über städtische Straßenbahnen, Schnellbahn-Netze und durch einen vernünftigen Anschluss an das hochran-gige Straßennetz. Nicht erforderlich sollten neue Straßenverbindungen in das Stadtzentrum sein, dieser Planungsfehler der Verkehrspolitik des 20. Jahrhunderts wäre zu unterbinden. „Menschliche Maßstäbe“ im städtebau-lichen Entwurfsprozess geben allen NutzerInnen im Stadtteil ausreichend Bewegungsraum, zu allererst FußgängerInnen und RadfahrerInnen. Eine breit gefächerte Bewohnerstruktur fordert ihren Platz. „Inklusive Planung“ als Gestaltungs-prinzip für die gebaute Umwelt stärkt die Aufenthaltsqualität für alle, ist Voraussetzung für kulturelle und gesellschaftliche Vielfalt.Die Stadtentwicklung Graz-Reininghaus wird mit der Gesamtheit dieser städtebaulichen Planungsprinzipien einen erkennbaren Beitrag für eine positive Klimabilanz des gesamten Stadtteils leisten.
Graz-Reininghaus als Partner für klima-aktive Mobilität
Konzept bestätigt Investor
Das Programm „klima:aktiv mobil“ des Lebensminis-teriums bietet Immobilien-entwicklern an, absehbare CO2-Einsparungen in einer Bilanzierung abzubilden und als verbindliche Zielverein-barung festzuhalten. Asset One wird auf Grundlage der Mobilitätsszenarien in den nächsten Monaten mit dem Lebensministerium eine entsprechende klima:aktiv-mobil-Partnerschaft für Graz-Reininghaus abschlie-ßen. Über das Beratungs-programm „Mobilitätsma-nagement für Bauträger, Immobilienentwickler und Investoren“ soll Graz-Rei-ninghaus als Erfolgsbeispiel für klimaschonende Stadt- und Verkehrsentwicklung bekannt gemacht werden.
84
85
Aspekte – Kurzfassung
Standpunkte zur Mobilität von Graz-Reininghaus
Positive Konnotation von MobilitätMobilität als wesentlicher Faktor
des Lebens
Mobilität als wesentlicher Faktor
zukunftsoffener Stadtentwicklung
Mobilität als wesentliches Qualitäts-
kennzeichen modernen Lebens
Aktuelle Mobilitätsformen stoßen an ihre GrenzenRessourcen wie Zeit, Finanzen, Energie,
bestehendes Straßennetz und Umwelt
werden knapp
Projektzeiträume sind länger als die Meinungsgenerationen Mobilität verlangt vernetztes statt lokal begrenztes Denken Interdisziplinarität als Voraussetzung für optimierte Lösungenn Graz-Reininghaus ist einer nachhal-tigen Stadtentwicklung verschrieben Besondere Ressourcenschonung bei der Mobilität von, nach und in Graz-Reininghaus Neue Lebenseinstellungen und urbane Lebensformen als Vorausset-zungen für eine Reduktion des Autoverkehrs
Die Gestaltung der Straßen und damit die Aufenthaltsqualität entlang hoch-frequenter Straßen ist gering Sinkt die Fortbewegungsgeschwindig-keit, sinkt auch die Attraktivität als Wirtschafts- und Lebensstandort
Spezifische Voraus-setzungen in Graz-Reininghaus
Durch die zentrale Lage innerhalb von Graz sind prinzipielle Voraussetzungen für eine nachhaltige Stadtentwicklung gegeben
Die geplante dichte Verbauung mit großer Nutzungsvielfalt erfüllt Anfor-derungen einer kompakten Stadt mit kurzen Wegen
Graz-Reininghaus soll in vielfacher Hinsicht eine ökologische Alternative zu Standorten darstellen, insbeson-dere im Bereich der umweltverträg-lichen Mobilität Einfache und preiswerte Erreichbar-keit mit öffentlichem Verkehr (v. a. Straßenbahn) und optimale Fuß- und Radwegverbindung ans restliche Graz möglich Fuß- und Radwege sowie die Anbin-dung durch öffentlichen Verkehr (vor allem der Straßenbahn) werden eine optimale Vernetzung und Einbettung in Graz gewährleisten Gute Verwertbarkeit und Image durch ökologische Mobilitätsformen Straßenraum wird als Gestaltungs-element und Lebensraum (wieder) entdeckt
86
Aspekte – Kurzfassung
Vorteile alternativer Mobilitätsformen
Reduktion von Lärm und Emissionen – gesteigerte Aufenthaltsqualität im Straßenraum Reduktion des ruhenden Autoverkehrs – der öffentliche Raum steht für andere Nutzungen zur Verfügung Keine/Geringere Unterhaltskosten für Privat-PKW Optimale Auslastung der öffentlichen Verkehrsmittel Positive gesundheitliche Aspekte durch mehr körperliche Bewegung und weniger Emissionen Zeitersparnis durch kurze Wege Verbesserte Akzeptanz von Nahversorgern Höhere Frequenz im öffentlichen Raum Höhere Anzahl und verbesserte Qualität der Sozialkontakte
Konkrete Maßnahmen für Graz-Reininghaus
Sofortiger Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes, v.a. der Straßenbahn
Angebotsorientierte Planung statt Nutzungsorientierter Planung, da Verkehrsverhalten sehr stark gewohnheitsgeprägt ist. Für diese Prägung muss alternative Mobilität von Anfang an attraktiver sein als der Autoverkehr Umfassendes Mobilitätsmanagement Reduktion der Anzahl der vorge-schrie benen Parkplätze (Stellplatzverordnung) Gleichwertigkeit von öffentlichem Verkehr und Autoverkehr Attraktiver öffentlicher Raum, ‚Prachtstraße‘ mit hoher Ereignisdichte Alternative, belebte Sockelzonen
Facetten alternativer Formen von Mobilität
Shared SpaceStraßenraum, der von allen Verkehrs-
teilnehmern gleichwertig genutzt wird
ParkraummanagementQuartiers- und Sammelgaragen (zumeist
privat verwaltet), autofreie Zonen
Autoarmes WohnenWohnnutzung mit geringer Stellplatz-
zahl stärkt Nachfrage nach ÖPNV und
kleinräumigen Nutzungen
Optimierter Modal SplitVerschiebung der Mobilitätsformen
zugunsten von ÖPNV, Fußgängern und
Radfahrern
PrachtstraßeEin attraktiver Straßenraum lädt zum
Verweilen ein, er erhöht die Identifika-
tion und die Sozialkontakte
Mobilitätsprognose Stadt der kurzen Wege Mobilität als DienstleistungStandortbezogene Dienstleistung
Zuzügler Pakete
Radverleih
Mobilitätsberatung
Zustelldienste
CarSharing
87
88
Auftraggeber
Die Asset One Immobilienentwicklungs AG wurde 2005 von österreichischen Investoren gegründet, um die Flächen aus dem ehe- maligen Besitz der Brau Union in Österreich zu entwickeln. Insgesamt werden Liegen-schaften im Ausmaß von 1,2 Millionen Quad-ratmetern gehalten. Über 900.000 m2 davon sind gewidmetes Bauland in Salzburg, Linz, Schwechat und Graz. Die zentrale Strategie von Asset One ist es, für Bauland in städti-scher Lage die optimale Nutzung zu finden und den Qualitäten und Besonderheiten jedes Standortes bestmöglich gerecht zu werden.
kleboth lindinger partners
Die städtebauliche Intendanz von Graz- Reininghaus wurde von der Asset One AG an kleboth lindinger partners (KLP) übertragen.Auf der strategischen Ebene gehören dazu die Beratung des Auftraggebers in städtebaulichen Fragen und laufende Gespräche mit Experten der Stadt Graz. Auf der operativen Ebene ent-wickelte KLP die Methode für die Koordinationder einzelnen Fachbereiche („städtebaulichePerspektiven“). Hier war KLP sowohl für Kon-zept und Programm als auch für die Realisie-rung verantwortlich, von der Erarbeitung der Themenfelder bis zur Organisation der Sympo-sien. KLP sind Stadtplaner und Archi tekten mit Standorten in Linz, Graz, Salzburg und Innsbruck.
Projektbeteiligte
89Projektbeteiligte
90
Februar 2009
HerausgeberAsset One AGwww.asset-one.atwww.graz-reininghaus.com
Städtebauliche IntendanzGesamtkonzeption kleboth lindinger partners www.kleboth-lindinger.com
KonsulentenJürg DietikerKurt FallastHelmut Koch
Redaktion kleboth lindinger partners mit Unterstützung von Cyrus Asreahan, Barbara Gigler,Veronika Harzl und Michael Sammer
AutorenJürg DietikerKurt FallastIna GranzowChristian HansenKatharina KaroshiAndreas KlebothManfred KoblmüllerHelmut KochHeidi Schmitt
Grafische GestaltungGabi Peters
TextbearbeitungChristian Hansen
91
AbbildungsnachweisFoto Melbinger (32–33, 36–43),Dr. Hans Ludwig Rosegger, Die Geschichte der Brüder Reininghaus (25 oben/Mitte),Jürg Dietiker (55, 58, 62–64, 67–69), kleboth lindinger partners (59, 71, 73, 74 oben/Mitte, 76), Land Steiermark (47, 48–49),Lisi Gradnitzer (U1, 6–9, 14–18, 20–21, 28–31, 34–35, 44–45),Tramwaymuseum Graz (25 unten),IV, EU-Zukunftsregion Süd-Ost, 1997 (26 links unten), Stadtent-wicklungskonzept 3.0 der Landes-hauptstadt Graz (26 rechts oben/unten), Stadt Graz (23 oben, 46, 50–52), Städtisches Straßenamt Wiesbaden (74 unten), Amt für Volkswirtschaft des Kanton Bern (65), www.argus.at (83), www.epe.at (61), www.dot.ca.gov/hq/paffairs/about/photos.htm (60 unten), www.ggpht.com (26 links oben), www.hollecker.de (70), www.lh3.ggpht.com (56 links),www.lightrailnow.org (56 rechts),www.vauban.de (80–81)
Impressum
www.graz-reininghaus.com
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