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Alt und lebensmüde?Suizidalität im Alter
15.3.19 Wil
Fachärztin für Psychiatrie & PsychotherapieSchwerpunkt Alterspsychotherapie
Praxis RömerhofObertor 18400 Winterthur
www.ruhwinkel.ch
Institut für Ökologisch-systemische Therapie Zürich, (Dozentin und Vorstandsmitglied)
MAS Supervision und Coaching in Organisationen ZFH
Dr. med. Bernadette Ruhwinkel MAS S&C
Zahlen und Fakten zu Suiziden
• Weltweit jährlich 1 Millionen Suizide
• In der Schweiz jährlich ca. 1000 Suizide
• Bei 15 - 44 jährigen Schweizer Männern zweit häufigste Todesursache
• 1 - 2% aller Schweizer sterben durch Suizid
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Zahlen und Fakten zu Suiziden
ca. 3 Menschen sterben pro Tag in der Schweiz
durch Suizid
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Suizidrate im internationalen Vergleich (WHO Suizidrate 2005)
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Suizidrate in der Schweiz bis 2010(Todesursachenstatistik Bundesamt für Statistik)
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Untersuchung nach SV an der Golden Gate Bridge• 515 Menschen wurden daran gehindert zu
springen
• 25 brachten sich danach tatsächlich um• 95 % haben sich Jahre und Jahrzehnte nach
der Rettung nicht das Leben genommen.
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Postvention
Wer ist betroffen nach einem Suizid?
Suizidopfer
Ange-hörige
Mit-Patienten
Peers
Professionelle
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PostventionReaktionen von Angehörigen nach einem Suizid?
• Trauer
• Schock
• Verzweiflung
• Wut
• Depressive Symptome, Angst/ Panik
• Symptome der akuten/ posttraumatischen Belastungsstörungen
• Schuldgefühle
• Suizidgedanken
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Postvention
Mögliche Interventionen bei Angehörigen......
1. Gespräche mit Behandelnden
2. Unabhängige Krisenintervention
3. Selbsthilfegruppen
4. rechtlicher Beistand
5. Schutz und Beratung im Umgang mit Medien
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Postvention
Spezifische Probleme bei Professionellen
• Gleichzeitig in der Rolle als Therapeuten als auch in der Rolle der „Hinterbliebenen“
• Zweifel an der eigenen Kompetenz/ Insuffizienz- und Schuldgefühle
• Sollten für Angehörige und Mitpatienten als Ansprechpartner präsent sein
• Adäquate Reaktion auf Schuldzuweisungen
• Mögliche juristische Folgen
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assistierter Suizid
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Begriffe
1. Aktive Sterbehilfe: verboten
2. Beihilfe zur Selbsttötung (assistierter Suizid) ist in D und CH legal, wenn der Betroffene Mittel selber einnimmt und in der Schweiz dürfen keine selbstsüchtigen Beweggründe vorliegen. In Österreich ist es verboten (bis 5 Jahre Haft)
3. Passive Sterbehilfe in D, Ö legal wenn eine Willensäusserung des Betroffenen oder eine gültige Patientenverfügung vorliegt. In der Schweiz ist es legal.
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Suizidrate nach Alter und Geschlecht(Todesursachenstatistik)
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•90 % der Menschen die den assisitierten Suizid wählten waren 55 Jahre und älter!
•Handlung eines urteilsfähigen Menschen, der aus freiem Willen entscheidet „Bilanzsuizid“
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Rechtliche Hintergründe•Beihilfe zum Suizid ist in der Schweiz nicht strafbar,
•wenn ein urteilsfähiger Sterbewilliger den Suizid selbst begeht (Tatherrschaft) und
•wenn die helfende Person nicht selbstsüchtig handelt.
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ZGB Art. 1611 Stand 01.01.2013
•Urteilsfähig im Sinne dieses Gesetzes ist jede Person, der nicht wegen ihres Kindesalters, infolge geistiger Behinderung, psychischer Störung, Rausch oder ähnlicher Zustände die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäss zu handeln.
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Urteilsfähigkeit – juristische Überlegungen
•«Für die Beurteilung der Urteilsfähigkeit ist (folglich) immer von den konkreten Umständen hinsichtlich einer bestimmten Handlung zum gegebenen Zeitpunkt auszugehen»
• Relativität der Urteilsfähigkeit
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In dubio pro reo • Im Zweifelsfall ist zugunsten «des Angeklagten»
von der Urteilsfähigkeit des Sterbewilligen auszugehen.
• Lässt sich jedoch aufgrund schriftlicher Akten (Krankengeschichte) oder Zeugenaussagen (behandelnder Arzt) beispielsweise eine psychische Störung im Moment der Selbstverletzung nachweisen, ist ein strafrechtlicher Schuldspruch gegen den Beteiligten denkbar.
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Voraussetzungen gemäss ethischen Überlegungen (Rippe et al. 2005)
•Ob Suizidbegleitung bei Menschen mit psychischen Störungen moralisch vertretbar ist, hängt - ….. – davon ab, ob ihre Suizidwünsche
a) autonom
b) dauerhaft und
c) wohlerwogen
sein können.
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Wohlerwogen•In dem Sinne, dass die betreffende Person:
•Die eigene Lebenssituation angemessen versteht und beurteilt•Die wichtigsten zukünftigen Möglichkeiten (inkl. weiterer therapeutischer Optionen) kennt und zu einem angemessenen Urteil über deren Eintrittswahrscheinlichkeit bzw. die damit verbundenen Unsicherheiten gelangt ist.
•Die Optionen vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen und persönlichen Wertüberzeugungen geprüft hat.
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Exit: (homepage Exit 2019)1. Exit Gründung 3.4.1982
2. mittlerweile rund 110 000 Mitglieder, davon 21 000 Mitglieder auf Lebenszeit 5,1 Mio. Jahresbeiträge und 2 Mio. Lebenszeitbeiträge
3. Nimmt nur Schweizer Bürger oder Menschen mit Wohnsitz in der Schweiz auf
4. Anfragen nach assistiertem Suizid: jährlich 3500
5. Bewilligte: 1031
6. Effektive Freitodbegleitung 734 (31.12.17)/ ( 2008 150; 2013 450)
7. Kosten: für Mitglieder die mehr als 3 Jahre dabei sind gratis, weniger als 3 Jahre 3500 CHF
8. Jahresbeitrag eines Mitglieds 45 CHF oder 1100 CHF auf Lebenszeit
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Geschichte:
Assistierte Suizide werden seit 2009 nicht mehr in der Suizidrate erfasst.
Sie werden bei der Sterberate der zugrundeliegenden Krankheit erfasst
Suizidrate seit 2003 konstant um 1000 Suizide pro Jahr
Aber die Rate der assistierten Suizide steigt jährlich an.
90 % der Menschen die mit assistiertem Suizid aus dem Leben gehen sind 55 Jahre und älter.
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2004: Exit hebt Moratorium auf• Nachdem dem Vertrauensarzt von Exit wegen
mangelhafter Abklärung der Urteilsfähigkeit die Praxisbewilligung auf den Bereich der Präventivmedizin eingeschränkt worden war, weil er assistierten Suizid einer 30-jährigen depressiven Patientin 1998 in Basel durch Exit unterstützt hatte, sprach Exit 1999 ein Moratorium hinsichtlich der Suizidbegleitung bei psychisch Kranken aus.
• Anlässlich einer Mitgliederbefragung forderte eine klare Mehrheit die Gleichbehandlung von somatisch und psychisch Kranken
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2004: Exit hebt Moratorium auf• Ein interdisziplinäres Gutachten kommt zum
Schluss, dass bei Menschen mit psychischen Störungen der Suizidwunsch zwar meistens in einem kausalen Zusammenhang mit ihrer psychischen Krankheit steht, was einen begleiteten Suizid ausschliesst.
• Daneben könne es aber durchaus Fälle geben, wo der Wunsch eines psychisch Kranken, aus dem Leben zu scheiden, als Willensentscheidung eines urteilsfähigen Menschen zu qualifizieren und deshalb zu respektieren sei.
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Bundesgerichtsentscheid 2006• Nimmt in den vorgenannten Punkten explizit
Bezug auf die Richtlinie der SAMW
• Anders als die Richtlinie der SAMW sieht allerdings das Bundesgericht die Möglichkeit der ärztlichen Suizidhilfe nicht auf Patientinnen und Patienten am Lebensende beschränkt.
• Es schliesst sogar die ärztliche Beihilfe zum Suizid bei psychisch Kranken nicht generell aus, verlangt hier aber äusserste Zurückhaltung.
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Schweizer Akademie der medizinischen Wissenschaft (SAMW) / Standesrecht6. Juni 2018
Regelung zur Suizidbeihilfe wird neu formuliert.
Arztrolle ist es Symptome zu lindern und den Patienten zu begleiten. Suizidbeihilfe gehört nicht zu seinen Aufgaben und kann von keinem Pat. als Anspruch erhoben werden.
Unter bestimmten Voraussetzungen ist Suizidbeihilfe für einen Arzt erlaubt:
• persönlich verantworteten Entscheid des Arztes
• Pat muss urteilsfähig sein
• Suizidwunsch muss wohlerwogen und ohne äusseren Druck entstanden und dauerhaft sein
• Suizidwunsch muss für den Arzt aufgrund der Vorgeschichte und wiederholten Gesprächen nachvollziehbar sein
• Es muss für den Arzt vertretbar sein in diesem konkreten Fall Suizidbeihilfe zu leisten
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Revision der Richtlinien in einem Punkt:
Alte Richtlinien: Suizidbeihilfe ist nur dann erlaubt wenn „die Erkrankung des Patienten die Annahme rechtfertigt, dass das Lebensende nahe ist.“
Neue Richtlinien: Suizidbeihilfe ist dann zulässig, wenn „die Krankheitssymptome und/ oder Funktionseinschränkungen des Patienten für diesen Ursache unerträglichen Leidens“ sind.
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Exit unterstützt den Altersfreitod
•Ende Mai 2014 hat die Generalversammlung mit Rekordbeteiligung den Einsatz für den Altersfreitod (erleichterter Zugang zum selbstbestimmten Sterben für Betagte) explizit in die EXIT-Statuten aufgenommen.
Über 98 Prozent der 650 Mitglieder der Generalversammlung vom
24. Mai 2014 erheben ihre Karte in der EXIT-Farbe Blau – für ein Ja
zum Einsatz für das volle Selbstbestimmungsrecht von alten Menschen. Nur sechs Mitglieder sind dagegen, nur vier enthalten sich (siehe Seite 21, GV-Protokoll). Damit
wird die konsultative Mitgliederumfrage bestätigt, in welcher sich 95,5 Prozent der Teilnehmenden für ein Vorwärtsmachen beim erleichterten Zugang zum Sterbemittel für Betagte ausgesprochen haben.
(Exit Info 2/2014)
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Depression im Alter• Prävalenz depressiver Störungen >60 Jährige 7-25 %• Schwere Depressionen nehmen im Alter nicht zu• Subsyndromale Depressionen und reaktive
Depressionen sind häufiger• Grundsätzlich kein Unterschied zu Depressionen in
anderen Lebensabschnitten, behandelbar• Kaschiert und subsyndromal• oft verkannt
• negative Altersbilder bei Therapeuten und Bezugspersonen
• Unspezifische oft somatische Beschwerden• J. Minder; V. Ajdacic-Gross; U.Hepp Schweiz Med Forum
2018 (10) 230-235
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Prävention von Depression und Suizidalität im Alter• Körperl. Aktivität reduziert Depression• Konsequente Depressionsbehandlung reduziert Suizidalität• Ärzte und Therapeuten schulen Depressionen im Alter
besser zu erkennen• Einsatz von Antidepressiva und Neuroleptika zur
Depressionsbehandlung und bei Schlafstörungen und reduzierter Einsatz von Benzodiazepinen bei Erstbehandlung
• Einsatz von Lithium bei Affektiven Störungen• Rechtseitige Hilfe anbieten und holen wenn depressive
Symptome oder Suizidalität auftritt• Niederschwellige Hilfsangebote, wohnortnahe und/ oder
aufsuchend(Wächtler 2014)
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Zusammenfassung:1. Psychisch Kranke und ältere Menschen werden zunehmend
zum assistierten Suizid durch Exit zugelassen.
2. Ärzte dürfen unter bestimmten Gründen, müssen aber nicht, einem Menschen beim assistierten Suizid helfen.
3. Es reicht ein schweres Leiden um Suizidbeihilfe zu rechtfertigen, Ärzte werden mit der Entscheidung, was das heisst, alleine gelassen.
4. Die sorgfältige fachärztliche Abklärung, ob eine Depression vorliegt (was im Alter schwierig ist) unterbleibt.
5. Der Prozess der Vorbereitung zum assistierten Suizid läuft möglicherweise parallel zur Psychotherapie und oder medizinisch, therapeutischen Behandlung
6. Angehörige werden in diesem Prozess komplett vernachlässigt
B. Ruhwinkel März 2019
Spannungsfeld:•Patient im Spannungsfeld zwischen den Abläufen bei Exit und der therapeutischen Arbeit, was bedeutet das für unser psychotherapeutisches Handeln?
•Ist der Sterbewunsch via Exit dem Therapeuten bekannt?•Genaue Information wo der Patient mit der Sterbehilfeorganisation steht.•Frage auch der akuten Suizidalität•Ambivalenz des Todeswunsches in der Therapie besprechbar machen•Urteilsfähigkeit des Patienten gegeben?
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Spannungsfeld•Therapeutisch wird an der Erweiterung des Denkens gearbeitet•Fragen nach dem was den Menschen am Leben festhalten lässt
•Frage nach Überzeugungen und Sinn des Lebens
•Was müsste geschehen, damit das Leben wieder lebenswert wäre?
•Bedeutung des Sterbens für Angehörige und Freunde
•Exit arbeitet parallel an Vorbereitung auf den assistierten Suizid mit Verstärkung der Einengung des Denkens•Abschiedsbrief
•Gutachten
•Festlegung eines Datums
•Information der Angehörigen
•Regelung der Administration
Sterbewunsch heisst was?
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Sterbewünsche älterer Menschen haben zu tun mit: • Negativen Altersbildern
(Nutzlosigkeit, Wertlosigkeit und Belastung des Alters für die Gesellschaft)
• Narzisstischen Kränkungen und Verlusten
• Einsamkeit im Alter
• Verkannter Depressionen
• Junge Therapeuten sind u.U. überfordert mit den existentiellen Themen der älteren Menschen
• Beziehungstest mit Arzt
• Hilferuf an den Therapeuten/ Angehörige/ Helfer
(Dr. D. Grob 2014)
Selbstbestimmung des Individuums
1.Handlung oder Entscheidung die aus eigenem Antrieb und nicht durch Einfluss von aussen erfolgt
2.«…dass ein Suizid ehr selten aus völlig freier Selbstverantwortung und Selbstbestimmung heraus erfolgt.» (H. Wedler Psychotherapie im Alter 1/11 JG 2014 pp11-26)
•Wachsende Zahl alter Menschen
•Kosten im Gesundheitswesen
•Ältere Menschen fühlen sich oft überflüssig in der Gesellschaft
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Sterben ändert sich•«Ein natürliches Sterben am Ende eines erfüllten Lebens ist seither keine Selbstverständlichkeit mehr: Sterben gerät immer mehr in Abhängigkeit von einer ärztlichen, evidenzbasierten Entscheidung.» (H. Wedler 2014)
•Sterben setzt zunehmend eine entsprechende Entscheidung voraus (CH: 51% der Fälle)
•Zentrales Kriterium ist dabei der aktuelle oder mutmassliche Patientenwille.
(Heinz Rüegger 2014)
Würdeverständnis• Befürchteter Würdeverlust ist ein häufiges Motiv für einen
assistierten Suizid (G. Stoppe)
• Klassisches Würdeverständnis (Menschenrechtstradition) Würde als Anspruch auf Achtung, die jedem Menschen immer zusteht (normativ, unbedingt, egalitär, unantastbar/ unverlierbar)
• Neues Würdeverständnis, dass sich schleichend ausweitet:Würde hat nur, wer bestimmte Voraussetzungen erfüllt«Der Verlust der geistigen Kontrolle über mein Leben wäre ein würdeloser Zustand, dem ich mich entschlossen habe, entschieden entgegenzutreten» ( G. Sachs 2011)
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Tod und Sterben Tabuthemen in der Psychotherapie?
• „Gewöhne dich daran zu glauben, dass der Tod keine Bedeutung für uns hat. Denn alles, was gut, und alles, was schlecht ist, ist Sache der Wahrnehmung. Der Verlust der Wahrnehmung aber ist der Tod. Daher macht die richtige Erkenntnis, dass der Tod keine Bedeutung für uns hat, die Vergänglichkeit des Lebens zu einer Quelle der Lust, indem sie uns keine unbegrenzte Zeit in Aussicht stellt, sondern das Verlangen nach Unsterblichkeit aufhebt. […] Das schauerlichste aller Übel, der Tod, hat also keine Bedeutung für uns; denn solange wir da sind, ist der Tod nicht da, wenn aber der Tod da ist, dann sind wir nicht da.“
(Epikur: Wege zum Glück. Herausgegeben und übersetzt von Rainer Nickel. Artemis & Winkler, Düsseldorf/Zürich 2005,
S117)
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Epikur• Wenn wir sterblich sind und die Seele nicht
überlebt, dann haben wir in einem Leben nach dem Tod nichts zu fürchten.
• Wo ich bin, ist der Tod nicht; wo der Tod ist, bin ich nicht.• Warum den Tod fürchten, wenn wir ihn niemals
wahrnehmen können?
• Zustand des Nichtseins nach dem Tod sei derselbe wie der vor unserer Geburt
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« Obwohl die Physikalität
des Todes den Menschen
zerstört,
rettet ihn die Idee des
Todes» (Irvin D. Yalom)
Existentielle Themen in der Psychotherapie
� Tod, als Quelle der Angst:• Desensibilisierung• Verzerrungen unbewusster Schrecken des Todes (
Fantasien aus KH) identifizieren, erhellen und dadurch zerstreuen
• Zergliederung und Analyse• Hilflosigkeit in unveränderbarer existentieller Situation
erkennen, aber Kontrolle da nutzen wo sie möglich ist.• Suizidalität aus Todesangst: Versuch das zu kontrollieren,
was uns kontrolliert
Endlichkeit als Ressource nutzen:• Lebenslinie aufzeichnen/ jetziger Lebenszeitpunkt/ Gefühl
wenn man zurück schaut/ was müsste man ändern, damit man in 1-2 Jahren nicht mehr bedauert/ vermisst……
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Was hilft gegen die Todesangst?
• Empfinden des Erfülltseins, ein Gefühl dass das Leben gut gelebt wurde, wirkt besänftigend auf den Schrecken des Todes (Studie an Krebspatienten zitiert nach I.D.Yalom )
• «Was vollkommen geworden ist, alles was reif ist – möchte sterben. Alles was unreif ist, möchte leben. Alles was leidet, möchte leben, sodass es reif und freudig und sehnsuchtsvoll werden möge – sehnsuchtsvoll nach dem, was weiter, höher, heller ist.» (F. Nietzsche)
• «Lebe dein Leben», «Werde der du bist», «Was mich nicht umbringt macht mich stärker» (F.Nietzsche1882- 1900)
Existentielle Themen in der Psychotherapie
�Freiheit des Lebens; Verantwortung für das eigene Leben• Problem der Wahl• Vermeiden der Verantwortung und Wahl durch fixe
Struktur und Zwang• Hier- und Jetzt- Analyse in der Therapiesitzung wo sich
das im Kleinen abbildet, was im Leben des Pat. zum Problem oder Leiden wird.Das Wollen• Arbeiten mit der Zukunft• Für das Verstehen eines Menschen ist das Werden wichtig,
Vergangenheit wird erforscht, um die Gegenwart zu verstehen und die Beziehung im Hier und Jetzt zu vertiefen
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Existentielle Themen in der Psychotherapie�3. Isolation:• Interpersonale Isolation (Einsamkeit)• Intrapersonalen Isolation (abgespaltene Anteile)• Existentiellen Isolation (keiner kann dem Anderen
sein Sterben abnehmen Heidegger)
� Wir wollen Individuum sein/ Preis ist Isolation� Wunsch zu Verschmelzen (mit Menschen, einer
Sache), sich abhängig machen � Religion ist das, was der Mensch mit seiner
eigenen Einsamkeit macht
Klinisch zeigen sich existentielle Themen der Isolation:
• panische Angst vor dem Alleine sein, nicht mehr zu existieren ohne die anderen,
• Liebesbeziehung zur Überwindung der Isolation, der andere wird gebraucht um sich selber lebendig fühlen zu können.
• Selbstmord als Versuch den Tod zu vernichten/ andere denken dann ganz lange noch an einen.
• Therapie: Hilfe sich der Isolation zu stellen: Pat. kann existentielle Isolation nicht eliminieren, bewusst werden,
• sich der Angst zu stellen kann dem Mitgefühl für die anderen den Weg frei machen, denn alle sind «einsame Schiffe auf einem dunklen Meer «
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Therapeutische Beziehung heilt:• Temporäre Beziehung zum Therapeuten• Erfahrung von Intimität und Verstanden werden wird möglich• Anschliessend Konfrontation mit der existentiellen Isolation
indem Pat. die alleinige Verantwortung für sein Leben erkennt.• «Man lernt auch, was man nicht von anderen erhalten kann»
• Etwas im andern zum Leben erwecken.• Nach Buber nicht durch «Auferlegen» seiner Meinungen und
Haltungen, sondern durch «Entfaltung» von dem was die ganze Zeit schon da war im Patient.
• Nicht manipulieren, sondern echte Therapie heisst sich mit seinem ganzen Sein dem Pat. zuwenden
„Was heilt, ist letztlich die Beziehung“. (I.D.Yalom)
• In seiner Arbeit legt er deshalb grossen Wert darauf, mit seinen Patienten eine empathische, tiefe Bindung aufzubauen.
• Therapeuten müssen eine authentische, wahrhaftige Beziehung zu ihren Patienten aufbauen. Diese Beziehung der Intimität und Verbundenheit dient den Patienten später als Modell für die anderen nahen Beziehungen in ihrem Leben.
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Existentielle Themen in der Psychotherapie�4. Sinnlosigkeit• Sinnsysteme (nach V. Frankl)
• Kreativität (das was man schafft und der Welt gibt)• Erfahrung (das was man von der Welt nimmt Begegnung/
Erfahrung)• Haltung (gegenüber dem Schicksal)
I.D.Yalom empfiehlt: 1. Frage nach Sinnlosigkeit analysieren und
differenzieren was dahinter steckt (Todesangst, Freiheit, Isolation)
2. Durch Engagement indirekt angehen, sodass galaktische Perspektive unbedeutend wird
Therapeutisch hilfreiche Gedanken/Übungen• Welleneffekt:• Jeder erzeugt bewusst oder unbewusst
konzentrische Einflusskreise die sich jahrelang und oft über Generationen hinweg ausweiten
• Dankbesuch:• An jemanden noch lebenden denken gegenüber
dem man eine grosse Dankbarkeit verspürt.• 10 min einen Dankesbrief an diesen Menschen
schreiben• Persönlichen Besuch abstatten und ihm/ihr den
Brief laut vorlesen.
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«Das tibetische Buch vom Leben und vom Sterben»«Wenn wir aber schliesslich zu der Gewissheit kommen, dass wir sterben müssen und alle andern fühlenden Wesen ebenso, entsteht in uns ein glühendes, fast herzzerreissendes Gefühl für die Zerbrechlichkeit und Kostbarkeit des Augenblicks und jedes Lebewesens, und daraus kann sich ein tiefes, klares, grenzenloses Mitgefühl für alle Lebewesen entwickeln» (Sogyal Rinpoche)
Literatur:
• Irvin D. Yalom (2010) Existentielle Psychotherapie EPH Verlag
• Irvin D. Yalom (2008) In die Sonne schauen –Wie man die Angst vor dem Tod überwindet
• Sogyal Rinpoche «Das tibetische Buch vom Leben und vom Sterben»
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Literatur:• Selbstbestimmung im Leben und Sterben Exit-Dokument im Internet
2018• D. Grob (2014) Vom Umgang mit Sterbewünschen: «Ich möchte
sterben» heisst nicht « ich will mich umbringen» (SÄZ 2012 93:13 S 493-494)
• P. Hoff Suizidwunsch bei Menschen mit einer psychischen Erkrankung: Symptom oder autonomer Entscheid? (SÄZ 2012 93:23 S. 852- 853)
• G. Harbauer und J. Minder (2013) Besonderheiten der Suizidalität im Alter (Psychiatrie und Neurologie 3/2013 S.15 bis 19)
• J. Minder, V. Ajdacic-Gross; U. Hepp (2018) Schweiz Med Forum 2018 (10) Alterssuizid 230-235
• H. Rüegger (2014) SGAP Tagung in Winterthur 13.3.14
• H. Wedler (2014) Psychotherapie im Alter 1/11 JG 2014 Selbstbestimmtes Sterben nur eine Utopie? 11-26)
• C. Wächtler (2014) In Psychotherapie im Alter 1/11 Jg 2014 Depression und Suizid im Alter Erkennen und behandeln lohnen sich
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