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OC I Vorlesung, zweiter Teil (Skriptversion 1.4)

Verantwortliche:

Prof. Dr. Harald Schwalbe, email: [email protected] Institut für Organische Chemie und Chemische Biologie Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt Marie-Curie-Str. 11 N160, 314, 3. Stock D-60439 Frankfurt Telephon: ++49 69 7982 9737 Telefax: ++49 69 7982 9515 http://schwalbe.org.chemie.uni-frankfurt.de/ Dipl. Chem. Jan Ferner, email: [email protected]

Literaturverweis:

Aspekte der Organischen Chemie von Quinkert, Egert und Griesinger [Querverweis

gekennzeichnet mit Kapitel …]

Organic Chemistry von Clayden, Greeves, Warren, and Wothers [Querverweis

gekennzeichnet mit Chapter …]

Wie sollten Sie diese Vorlesungsmitschrift verwenden?

Jede Vorlesung ist in dieser Mitschrift einheitlich strukturiert: Wir stellen zunächst die

wesentlichen Inhalte jeder Vorlesungsstunde zusammen. Dies soll Ihnen helfen, den

roten Faden der Vorlesung besser verstehen zu können. Dann kommt der

Mitschriftteil jeder Vorlesung. Am Ende jeder Vorlesungsstunde sind Fragen

zusammengefasst. Diese halten sich eng an das während der Vorlesung Gesagte.

Sie sollten nach Besuch der Vorlesung und nach der Durchsicht Ihrer eigenen

Mitschrift in der Lage sein, diese Fragen zu beantworten. Die Mitschrift hat vor allem

zwei Bücher genutzt, nämlich das Buch „Aspekte der Organischen Chemie“ von

Quinkert, Egert, Griesinger und das englische Buch „Organic Chemistry“ von

Clayden, Greeves, Warren, and Wothers, auf die mit „Kapitel in Quinkert“ bzw.

„Chapter in Warren“ hingewiesen wird. Eine aktive Bearbeitung dieser beiden Bücher

kann das Vorlesungsskript nicht ersetzen.

Schließlich finden Sie auch die Übungen, die Sie mit dem Vorlesungsassistenten

durchgearbeitet haben. Diese Übungen können manchmal ein wenig schwieriger

sein als die direkten Fragen. Unter einer Vorlesungsstunde meinen wir eher die

2

Summe von Dingen, die inhaltlich zusammengehören, und weniger tatsächlich das,

was wir innerhalb von 90 Minuten besprechen konnten.

Trotz der Mitschrift raten wir Ihnen, während der Vorlesung mitzuschreiben; einmal,

weil die Vorlesung sich verändert, neue Dinge hinzukommen und alte eventuell

weniger intensiv besprochen werden, zum anderen, weil Sie lernen müssen, die

Strukturen von Verbindungen zu zeichnen. Nur durch die Übung werden Sie in der

Lage sein, dieses Werkzeug der Chemie sicher anwenden zu können. Schließlich

raten wir Ihnen, in die Vorlesung zu kommen, denn das gesprochene Wort kann

durch kein geschriebenes ersetzt werden und gerade in der Kombination aus

Vorlesung, Nacharbeiten in der Mitschrift und Auseinandersetzung und Ergänzung

mittels der eigenen Mitschrift ergibt sich ein nachhaltiger Lerneffekt. Die Konzepte,

die Sie in der OCI-Vorlesung erlernt haben, werden Sie in Ihrem Studium der

Chemie, der Biologie, der Biochemie und der Physik brauchen.

Dank:

Die Vorlesung ist Teil des Lehrkonzepts der Organischen Chemie, dass von den

Professoren Quinkert, Egert, Engels, Göbel, Griesinger, Rehm, Schneider, Schwalbe

und Kessler ausgearbeitet wurde.

3

OC I Vorlesung, zweiter Teil ....................................................................................... 1

1 Das qualitative MO-Modell............................................................................... 4

1.1 Die Grenzen des klassischen Strukturmodells der Organischen Chemie. 5

1.2 Das Benzol-Problem................................................................................. 8

1.3 Atom- und Molekül-Orbitale .................................................................... 19

1.4 Deutung der bisher unverständlichen Fälle durch das MO-Modell ......... 42

2 Reaktionen..................................................................................................... 47

2.1 Einführung .............................................................................................. 47

2.2 Verwendung von „gebogenen Pfeilen“.................................................... 57

2.3 Carbonylchemie...................................................................................... 59

2.4 Bildung und Reaktion von Enolen und Enolaten..................................... 94

2.5 Diels – Alder – Reaktion ........................................................................127

3 Übungsblätter im Wintersemster 2003 / 2004...............................................134

4

1 Das qualitative MO-Modell

Erste Vorlesungsstunde

Inhalte:

I. Die Grenzen des klassischen Strukturmodells werden an 4 Beispielen

aufgezeichnet:

a.) Amidbindung,

b.) anomerer Effekt,

c.) Inversionsbarriere der Halogenaziridine,

d.) Benzol.

II. Das Benzolproblem wird eingehend diskutiert, nämlich:

a.) Strukturproblem, mesomere Grenzstrukturen

b.) Stabilitätsproblem, Resonanzstabilisierung

III. Die experimentelle Bestimmung der Stabilität von Verbindungen und die

Berechnung der Stabilität von Verbindungen mittels Inkrementsystemen wird

eingeführt.

Achtung:

In der ersten Vorlesungsstunde wird noch nicht aufgelöst, wie man mit Hilfe des

qualitativen MO-Modells zu einer ‚neuen’ Sicht von Strukturen kommt. Dies passiert

in der zweiten und dritten Vorlesungsstunde.

5

Kapitel 8.1. in Quinkert et al.

1.1 Die Grenzen des klassischen Strukturmodells der Organischen Chemie

Im ersten Teil der Vorlesung haben Sie das klassische Strukturmodell und seine

Leistungsfähigkeit in bezug auf die Vorhersage von Konstitution und Konfiguration

organischer Verbindungen kennen gelernt.

Das klassische Strukturmodell stößt bei einer Reihe von Fragen an seine Grenzen,

die mit Hilfe des qualitativen MO-Modells beantwortet können. Das MO-Modell ist

darüber hinaus ein wichtiges Bindeglied zum Verständnis der Reaktivität von

Verbindungen, die man zur Entwicklung von Reaktionen vorhersagen muß.

1.1.1 Die Amidbindung

a)

H N

O

H

H O N

H

H

H

b)

Abbildung 1: (a) Formamid und Rotation um Carbonyl-Amidstickstoff-Einfachbindung, (b)

Proteinrückgratatome mit Definition der Diederwinkel φ und ψ

Abbildung 1a zeigt die Strukturformel des Formamids, es stellt die einfachste

Verbindung mit einer Amidbindung dar. Die Amidbindung ist das zentrale

Strukturelement in Polypeptiden, die die einzelnen Aminosäuren verknüpft

(Abbildung 1b). Die Amidbindung kann in zwei Formen vorliegen, wie in Abbildung 1a

gezeigt.

Nach dem klassischen Strukturmodell der Organischen Chemie gibt es zwischen

dem Carbonylkohlenstoff- und dem Amidstickstoffatom eine Einfachbindung. Um

solche Einfachbindungen gibt es normalerweise freie Drehbarkeit. Tatsächlich findet

6

man aber folgendes: Röntgenstrukturanalyse und Mikrowellenspektroskopie zeigen:

6 Atome der Amidgruppierung liegen in einer Ebene, d.h. die Amidbinding ist planar

(Abbildung 1). Die Rotation um die C-N Bindung hat eine hohe Barriere. Weder die

Planarität noch die hohe Rotationsbarriere sind nach dem klassischen

Strukturmodell erklärbar.

1.1.2 Der anomere Effekt

O OH

OHOH

OH

OH

O

OHOH

OH

CH2OHOH

O

OHOHOH

OH

OH

β-D-Glucopyranose

cyclo seco

α-D-Glucopyranose

cyclo

1

2

3

4

5

6

2 11

3

4 5

6

Abbildung 2: Gleichgewicht der D-Glucose in Lösung, die β-D-Glucopyranose und die α-D-

Glucopyranose unterscheiden sich durch die Konfiguration am so-genannten anomeren Zentrum C1,

sie sind Epimere und im speziellen hier Anomere.

D-Glucose (C6H12O6) liegt in Lösung in einem Gleichgewicht vor: nämlich zwischen

der zyklischen β-D-Glucopyranose, der offenkettigen seco-Verbindung und der

zyklischen α-D-Glucopyranose (Abbildung 2). α-D-Glucopyranose und β-D-

Glucopyranose unterscheiden sich nur anhand der Konfiguration des anomeren

Zentrums (C1). Das offenkettige seco-Isomere liegt zu weniger als 1% vor.

Die Lage des Gleichgewichts zwischen dem axialen (α-D-Glucopyranose) und dem

äquatorialen Anomeren (β-D-Glucopyranose) an C1 in Abhängigkeit des

Substituenten an C1 ist in Tabelle 1 aufgeführt.

Substituent an C1 % axiales Anomer

D-Glucopyranose OH 36

Methyl-D-glucopyranosid OMe 67

Penta-O-acetyl-D-glucopyranosid OAc 86

Tetra-O-acetyl- D-glucopyranosyl-chlorid Cl 94

Tabelle 1: Anteil des α-Anomeren im Gleichgewicht (siehe Abbildung 2)

7

⇒ Der anomere Effekt ist im Rahmen des klassischen Strukturmodells der

Organischen Chemie nicht erklärbar.

1.1.3 Inversionsbarrieren von N-Halogenaziridinen

NRR´

R´´

Abbildung 3: Räumliche Struktur eines tertiären Amins (R ≠ R’ ≠ R’’) mit freiem Elektronenpaar.

Amine mit drei unterschiedlichen Substituenten NRR´R´´ sind chiral, aber eine

Trennung in die Enantiomeren gelang lange Zeit nicht.

Eschenmoser konnte das unten angegebene N-Halogenaziridin in Enantiomere

trennen (D. Felix, A. Eschenmoser, Angew. Chem. (1968), 80, 197).

⇒ Der Einfluss des Chlorsubstituenten auf die Erhöhung der Inversionsbarriere

ist im Rahmen des klassischen Strukturmodells der Organischen Chemie nicht

erklärbar.

NCl

N

Cl

Abbildung 4: Beispiel eines in die Enantiomeren trennbaren N-Halogenaziridins.

1.1.4 Symmetrie (D6h) und thermodynamische Stabilität des Benzols (C6H6)

Die Symmetrie (D6h) und die thermodynamische Stabilität des Benzols sind

unerwartet. Sie haben zu einem so genannten Benzolproblem geführt, das mit Hilfe

des MO-Modells erklärt werden kann.

8

1.2 Das Benzol-Problem

1.2.1 Strukturvorschlag der Konstitution des Benzols

Kapitel 14.1. in Quinkert et al.

Kekulé (1865): Kekulé postuliert, dass Benzol ringförmig aufgebaut sei und

alternierende C-C-Einfach- und C=C-Doppelbindungen aufweise.

Abbildung 5: Kekulé Strukturmodell für das Benzol: Sechsring mit alternierenden C-C-Einfach- und

C=C-Doppelbindungen.

Falsifizierungsexperiment: Das Postulat der alternierenden, aber lokalisierten C-C-

Einfach- und C=C-Doppelbindungen führt zwingend zu einer Vorhersage von

möglichen Reaktionsprodukten, wenn man einen, zwei oder drei Substituenten im

Benzolring einführt; also ein H-Atom durch ein Atom X oder Y ersetzt. Man kann also

die Maximalzahl an Konstitutionsisomeren für symmetrische Disubstitution (zwei

gleiche Substituenten X werden eingeführt, Abbildung 6) oder für unsymmetrische

Disubstitution (zwei ungleiche Substituenten X und Y werden eingeführt, Abbildung

7) vorhersagen. Das Modell kann mittels chemischer Reaktionen falsifiziert werden.

Was ist die Anzahl der symmetrisch substituierten Benzole?

X

XX

XX

X

XX

X

X

1 2

3

4

5

6

Abbildung 6: Erwartete Anzahl symmetrisch mono- (2) und disubstituierter Benzolderivate (3-6).

9

Experimentell findet man nur 3 statt 4 vorhergesagter Konstitutionsisomere für X,X-

disubstituierte Benzole (Moleküle 3 und 4 sind identisch)

Was ist die Anzahl der unsymmetrisch substituierten Benzole?

X

XY

XY

X

Y

X

Y

X

Y

+X

1 2

7

8 = 7

9

11

+Y

10 = 9

Abbildung 7: Erwartete Anzahl unsymmetrisch mono- (2) und disubstituierter Benzolderivate (7-11).

Für X,Y-disubstituierte Benzolderivate gibt es 3 statt 5 vorhergesagter

Konstitutionsisomere (Moleküle 7 und 8, sowie 9 und 10 sind identisch).

Dies führt zu Kekulé's erweitertem Postulat: Dynamische Vorstellung der Konstitution

des Benzolrings. Die Dynamik führt zu einer Symmetrieerhöhung, Benzol weist D6h-

statt D3h-Symmetrie auf.

" "

Abbildung 8: Benzol wird durch oben stehende mesomere Grenzformeln beschrieben. Die

alternierenden Einfach- und Doppelbindungen sind nicht lokalisiert.

⇒ Widerspruch zum klassischen organischen Strukturmodell nach Butlerov

(„Jede chemische Verbindung wird durch eine spezifische Strukturformel

beschrieben.“). Benzol wird durch zwei mesomere Grenzformeln beschrieben.

10

Robinson hat die Schreibweise des Rings für die delokalisierten Einfach- und

Doppelbindungen eingeführt (Abbildung 9).

Abbildung 9: Robinson: „Bindungen im Benzol werden durch einen Kreis in einem regulären

Sechseck beschrieben.“

Eine interessante Alternative zum Robinson’schen Vorschlag gibt A. von Bayer

(Abbildung 10):

Abbildung 10: A. v. Bayer (anlässlich des Benzolfests 1890): "von den C-Atomen der Koordinations-

zahl 3 verschwindet die 4te Valenz für unsere Wahrnehmung."

1.2.2 Betrachtung der Energie des Benzols

Struktur und Energie charakterisieren eine Verbindung!

⇒ Benzol-Problem hat einen strukturellen Aspekt (D6h statt D3h Symmetrie) und

einen energetischen Aspekt (Stabilität, "Resonanzstabilisierung").

In diesem Zusammenhang:

Was bedeutet stabiler?

- A ist stabiler als B, wenn für die Reaktion A B die freie Reaktionsenthalpie

∆rG0>0 ist.

- P ist relativ zu Y stabiler als Q relativ zu Z, wenn für die freien Enthalpien der

folgenden Reaktionen gilt:

P X + Y ∆rG10

Q X + Z ∆rG20

∆rG10 > ∆rG2

0

11

1.2.3 Reaktionsenthalpie, Bildungsenthalpie, Bindungsenthalpie

Definitionen: Reaktionsenthalpie:

Die Reaktionsenthalpie wird mit dem Symbol ∆H bezeichnet und gibt die als

Reaktionswärme abgegebene Energie einer chemischen Reaktion wieder. Ist

der Wert ∆H negativ, wird Wärme freigesetzt und man spricht von einer

exothermen Reaktion. Endotherme Reaktionen benötigen die Zufuhr von

Wärme, ∆H hat positives Vorzeichen.

Bildungsenthalpie:

Ein bequemer Weg, Reaktionsenthalpien zu berechnen, geht von

tabellarischen Werten aus, die wir Standard-Bildungsenthalpien nennen. Die

Standard-Bildungsenthalpie ist der ∆H-Wert, der zur Bildung von 1 mol reiner

Substanz aus den reinen Elementen unter Standard-Bedingungen gehört.

Bindungsenthalpie:

Die Energie, die zum Aufbrechen der Bindung eines zweiatomigen Moleküls

benötigt wird, ist die Dissoziationsenergie. Die Energie wird in Kilojoule pro

Mol Bindungen angegeben. Geht man zu mehratomigen Molekülen, so lassen

sich mittlere Bindungsenthalpien bestimmen. Diese besagen, wie viel Energie

im Mittel eingesetzt werden muss, um eine X–Y-Bindung homolytisch zu

spalten.

Vergleich von E-But-2-en (12) und Z-But-2-en (13)

12 13

Abbildung 11: Die beiden Stereoisomere des But-2-ens, das E-But-2-en 12 und das Z-But-2-en 13.

12 ist ein Diastereomeres von 13, eines der Diastereomere wird stabiler sein als das

andere. Welches?

12

Folgende Experimente geben darüber Aufschluss:

1.) Bestimmung der Verbrennungsenthalpien ∆cH (bei konstantem Druck p) in

einer Kaloriemeterbombe (oder der Reaktionsenergie ∆cU (bei konstantem

Volumen V))

E-But-2-en + 6 O2 4 CO2 + 4 H2O ∆cH0 = -2706.2 [kJ/mol]

Z-But-2-en + 6 O2 4 CO2 + 4 H2O ∆cH0 = -2710.4 [kJ/mol]

⇒ Das E-Isomere ist um 4.2 kJ/mol stabiler als das Z-Isomere.

2.) Bestimmung der Hydrierungsenthalpien ∆rH0:

E-But-2-en + H2 Butan ∆rH0 = -114.9 [kJ/mol]

Z-But-2-en + H2 Butan ∆rH0 = -119.1 [kJ/mol]

⇒ Das E-Isomere ist um 4.2 kJ/mol stabiler als das Z-Isomere, die experimentell

bestimmte relative Stabilität von E-But-2-en und Z-But-2-en ist also

unabhängig von der experimentellen Methode.

Bei Kenntnis der Verbrennungsenthalpien eines Kohlenwasserstoffs, von Graphit

und von Wasserstoff kann man die Bildungsenthalpie des Kohlenwasserstoffs

berechnen:

Verbrennungsenthalpien:

4 CO2 + 4 H2O (Z)-C4H8 + 6 O2 - ∆cH0 = +2710.4 [kJ/mol]

4 CO2 + 4 H2O (E)-C4H8 + 6 O2 - ∆cH0 = +2706.2 [kJ/mol]

4 C (Graphit) + 4 O2 4 CO2 ∆cH0 = -1574.0 [kJ/mol]

4 H2 + 2 O2 4 H2O ∆cH0 = -1143.3 [kJ/mol]

⇒ Bildungsenthalpien:

4 C (Graphit) + 4 H2 (Z)-C4H8 ∆fH0 = - 6.9 [kJ/mol]

4 C (Graphit) + 4 H2 (E)-C4H8 ∆fH0 = -11.1 [kJ/mol]

13

4 C + 4 H2

(E)-But-2-en

∆fH0 = -11.1 kJ/mol

4 CO2 + 4 H2O

∆cH0 = -2706.2 kJ/mol

(Z)-But-2-en

∆fH0 = -6.9 kJ/mol

∆cH0 = -2710.4 kJ/mol

Abbildung 12: „Heßscher Satz der konstanten Wärmesummen“

Modell: Bildungsenthalpie eines Moleküls setzt sich additiv aus Bildungsenthalpie-

inkrementen zusammen (Prinzip des chemischen Baukastens).

Formel 1: ∑=∆ Bausteinenaren submolekul aus eträgeEnthalpieb konst.(Molekül)0Hf

Tabelle 2: Bindungsenthalpiewerte als Bildungsenthalpieinkremente. Cd = C-Atom mit der

Koordinationszahl 3. Für die Berechnungen werden die (C=C)- und die (C=O)-Gruppe jeweils als

Einheit mit der Koordinationszahl 4 bzw. 2 betrachtet.

14

Tabelle 3: Atomgruppenenthalpieinkremente. Cd = C-Atom mit der Koordinationszahl 3, CB = C-Atom

im Benzolring, Ct und Ca = C-Atom der Koordinationszahl 2 (Ca = allenisches C-Atom), CBF = C-Atom

in einem anellierten aromatischen Ringsystem wie z.B. Naphthalin oder Anthracen

15

Beispiele:

a) Essigsäureethylester (14)

HC

CO

CC

H

H H

O H H

H H

14 ∆fH0(berechnet) = 8 [C-H] + [(O=C)-C] + [(O=C)-O] + [C-O] + [C-C]

= 8⋅(-16.02) + (-60.25) + (-211.29) + (-50.21) +(11.42)

= - 438.49 kJ/mol

∆fH0(experimentell) = - 432.63 kJ/mol

b) Zyklische Systeme

Cyclopropan Cyclohexan Benzol („Cyclohexa-1,3,5-trien“)

∆fH0(aus Tab. 14.2) - 61.9 kJ/mol - 123.8 kJ/mol +164.4 kJ/mol

∆fH0(aus Tab. 14.3) - 61.9 kJ/mol - 123.8 kJ/mol +170.2 kJ/mol

∆fH0(experimentell) +53.1 kJ/mol - 123.4 kJ/mol +82.8 kJ/mol

∆(∆fH0) = ∆fH0(exp.) - ∆fH0(Tab.)

+ 115.0 kJ/mol(?) + 0.4 kJ/mol

- 81.6 kJ/mol (?) bzw.

- 87.4 kJ/mol (?)

Tabelle 4: Bildungsenthalpien für ausgewählte Verbindungen. Bei Cyclopropan und Benzol muss die

große Differenz zwischen der experimentellen und der berechneten Bildungsenthalpie hinterfragt

werden (dies ist in der Tabelle mit den Fragezeichen angedeutet).

⇒ Die Unterschiede zwischen dem experimentell gemessenen und den

berechneten Werten beim Cyclopropan sowie beim Benzol sind auf der

Grundlage des klassischen Strukturmodells der organischen Chemie nicht zu

erklären.

16

1.2.4 Berechnung der Resonanzenergie

Reales Benzol (D6h) ist im Vergleich zum

Kekulé-Benzol (D3h) um den Betrag seiner

Resonanzenergie RE stabilisiert.

RE = ∆fH0(experimentell) - ∆fH0(berechnet)

Abbildung 13: Unterschied der Hydrierungsenthalpien

des verzerrten Cyclohexa-1,3,5-triens und des Kekulé-

Benzols.

Hydrierungsenthalpien ∆hH0:

Benzol (real) Cyclohexan Cyclohexen

-206.2 kJ/mol -118.9 kJ/mol

Abbildung 14: Hypothetische Zerlegung der Berechnung der Resonanzenergie des Benzols.

„empirische Resonanzenergie“ RE = ∆(∆hH0) = 3(-118.9 kJ/mol)-(-206.2 kJ/mol)

= -150.5 kJ/mol

⇒ Reales Benzol (D6h) ist mit der Resonanzenergie RE = -150.5 kJ/mol stabiler

als Cyclohexa-1,3,5-trien.

(Unberücksichtigt ist hierbei jedoch die Differenz der Spannungsenergien von

Cyclohexatrien und Cyclohexen.)

Kekulé-Benzol

Cyclohexa-1,3,5-trien

∆H

RE(empirisch)

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Fragen:

I. Die Grenzen des klassischen Strukturmodells wurden an 4 Beispielen auf-

gezeichnet. Fassen Sie zusammen, welche Aspekte für die Punkte a.)-d.) nicht mit

dem klassischen Strukturmodell im Einklang stehen.

a.) Amidbindung (Sie müssen hier 2 Punkte benennen können)

b.) anomerer Effekt (Sie müssen hier 2 Punkte benennen können)

c.) Inversionsbarriere der Halogenaziridine (Sie müssen hier 1 Punkt benennen

können)

d.) Benzol (Sie müssen hier 3 Punkte benennen können)

II. Spezifische Fragen:

a.) Die Amidbindung spielt eine entscheidende Rolle bei der Konformation von

Proteinen. Diskutieren Sie die Konsequenzen für die Einstellung der Rückgrat-

winkel in Proteinen. Welche zwei Möglichkeiten gibt es für den Rückgratwinkel ω

und welche findet man vor allem? Für welche Aminosäure(n) findet man

Ausnahmen (Lesen Sie im Quinkert-Buch nach)?

b.) Können Sie sich vorstellen, dass auch andere Strukturelemente ähnlich wie die

Amideinheit planar sind? Welche?

c.) Der anomere Effekt hängt von der Art des Substituenten ab. Womit wird dieser

Effekt nach Ihrem jetzigen Wissenstand korrelieren?

d.) Lesen Sie in einem Anorganikbuch (z.B. Hollemann-Wiberg) über die Ammoniak-

uhr nach. Sind Phosphorverbindungen mit drei unterschiedlichen Substituenten

einfacher oder schwerer in die Enantiomere zu separieren?

e.) Nehmen Sie an, Sie führen eine Reaktion durch, bei der Sie eine Carbonsäure-

gruppe in das Molekül Methoxybenzol einführen. Welche konstitutionsisomeren

Verbindungen erwarten Sie? Welche Konstitutionsisomere erwarten Sie, wenn

Sie einen zweiten Chlorsubstituenten in Chlorbenzol einführen?

f.) Wie können Sie die relative Stabilität von zwei Verbindungen experimentell

bestimmen?

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Zweite Vorlesungsstunde

Inhalte:

I. Verbindungen werden durch Bindungen zwischen Atomen zusammengehalten.

Elektronen zwischen Atomkernen stellen diese Bindungen dar. In Reaktionen werden

Bindungen gebildet und gebrochen. In der zweiten Vorlesungsstunde wird in die

Beschreibung der chemischen Bindung und in grundlegende Konzepte eingeführt.

II. Zunächst werden die Atomorbitale (s-, p-, d-, f-Orbitale) eingeführt, diese sind

Ihnen aus der Grundvorlesung bekannt: s-, p-, d-, f- etc. Orbitale sind die exakten

Lösungen des Wasserstoffatoms und werden auch für größere Systeme als

Näherung (!) verwendet.

III. Dann werden Mehrelektronensysteme vorgestellt, das einfachste ist das

Heliumatom, ein Kern und zwei Elektronen. Zur Beschreibung dieses Atoms werden

die unter II. verwendeten Orbitale als Näherung (!) benutzt.

IV. Wir führen die Regeln für die Besetzung von Atomorbitalen mit Elektronen ein:

Pauliprinzip, Hund’sche Regel.

V. Wir beschreiben Moleküle mittels der Orbitale, die wir von Einelektronen- und

Mehrelektronenatomen kennen gelernt haben mittels des LCAO-MO-Ansatzes.

Achtung:

In der zweiten Vorlesungsstunde werden viele theoretische Konzepte eingeführt, die

zu Beginn sehr komplex sind. Verlieren Sie nicht den Atem, sondern behalten Sie im

Auge, dass wir letztlich eine ‚einfache’ Beschreibung erarbeiten wollen, die es uns

ermöglicht, organische Reaktionen und Reaktivitäten von Molekülen vorherzusagen.

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1.3 Atom- und Molekül-Orbitale

Kapitel 8.3. in Quinkert et al

1.3.1 „Bindungen sind aus Elektronen gemacht“

Grundfragen: Wie beschreiben wir Elektronen? Wie beschreiben wir Bindungen? Wie

können wir aus Atomen aufgebaute Moleküle beschreiben?

Zur Beantwortung dieser Fragen gehen wir von einfachen Systemen, das einfachste

Atom ist das Wasserstoffatom 1H (ein Proton, ein Elektron), das einfachste Molekül

ist das Wasserstoffgas H2, zu komplexeren Molekülen über. Dabei sehen wir, dass

ein chemisches Baukastenmodell sehr aussagekräftig ist.

Die Bewegung von Teilchen kleiner Masse werden nicht durch die Newton´sche

Gesetze der Mechanik beschrieben, sondern durch die Schrödingergleichung. Dies

ist eine Konsequenz der Heisenberg’schen Unschärferelation, die auftritt, wenn Ort

und Impuls eines atomaren Teilchens gleichzeitig genau beschreiben werden sollen

(Lesen Sie dazu im Kapitel 8.3 in Aspekte der Organischen Chemie und in

weiterführenden Lehrbücher der PC, z.B. Hensen). Die Lösung der

Schrödingergleichung kann für das Wasserstoffatom 1H exakt angegeben werden, ist

aber für größere Atome (z.B. He) oder Moleküle häufig nur mittels Näherungs-

verfahren möglich. Wir wollen z.B. die Aufenthaltswahrscheinlichkeit eines Elektrons

berechnen, also wie wahrscheinlich ist es, ein Elektron in einem Abstand r0 vom Kern

entfernt zu finden. Diese Frage wird davon abhängen, welches Atom man anschaut,

d.h. wie viele Protonen sich im Kern befinden, oder mit anderen Worten, wie groß die

Kernladung Z ist und wie viele Elektronen sich in äußeren Schalen befinden. Die

Aufenthaltswahrscheinlichkeit z.B. eines Elektrons wird durch die „psi“-Funktionen

Ψ(r,t) beschrieben.

Die Aufenthaltswahrscheinlichkeit bzw. Wahrscheinlichkeitsdichte, also die

Wahrscheinlichkeit W, ein Teilchen (z.B. ein Elektron) im Volumenelement dV

anzutreffen, ist gegeben durch:

Formel 2: dVdW

=ΨΨ=Ψ *2

(Ψ* ist die komplex konjugierte Funktion zu Ψ).

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Typische und Ihnen bekannte Ψ-Funktionen sind die s-, p-, d-, f-Orbitale, die die

Lösung des Wasserstoffatoms darstellen (siehe unten ausführlicher erklärt). Jedes

Orbital kann durch jeweils maximal zwei Elektronen besetzt werden (s. unten).

Ψ-Funktionen sind orthonormiert:

Formel 3: ∫⎩⎨⎧

==≠=

=ΨΨjifür 1jifür 0* dVji

⇒ Volumenintegral = 0 für unterschiedliche Funktionen

Volumenintegral = 1 für gleiche Funktionen, weil die Wahrscheinlichkeit,

ein Elektron im gesamten Raum anzutreffen, 100 %

ist.

Das bedeutet:

Ein Elektron kann sich nicht gleichzeitig in einem s- und einem p-Orbital befinden.

a.) es gibt keinen Überlapp zwischen einem Elektron, das sich in einem s-Orbital

befindet, und einem Elektron, das sich in einem p-Orbital befindet

(Volumenintegral = 0 für unterschiedliche Funktionen).

b.) ein s-Elektron befindet sich irgendwo innerhalb des gesamten Volumens des

s-Orbitals (Volumenintegral = 1 für gleiche Funktionen).

Man kann jetzt für verschieden große Schalen um ein Zentralatom angeben, wie dort

die Wahrscheinlichkeit ist, ein Elektron innerhalb dieses Volumenelements

anzutreffen.

1.3.2 Einelektronenatome (z.B. Wasserstoffatom)

e-

r

x

y

z

ϕ

ϑ

Z+

Abbildung 15: Definition der Lage des Elektrons im Potentialfeld eines Z+-fach geladenen

Zentralatoms (H, Z=1; He, Z=2) mittels kartesischer oder polarer Koordinaten.

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Die Position des Elektrons kann entweder durch die kartesischen Koordinaten x,y,z

oder durch die Kugelkoordinaten Radius r sowie die Winkel ϑ und ϕ beschrieben

werden (s. Abbildung 15).

Die Schrödingergleichung beschreibt den Aufenthalt dieses einen Elektrons. Für das

Wasserstoffatomproblem - 1 Elektron im Potential eines geladenen Kerns (vergleich-

bar mit der Bahn eines Monds um sein Zentralgestirn) - gibt es Lösungen, folgendes

halten wir bezüglich dieser Funktionen fest

- Es gibt eine unendlich große Anzahl möglicher Lösungsfunktionen Ψ

(Funktionen 1s, 2s,2p, 3s,3p,3d, etc)

- Die Lösungsfunktionen haben diskrete Energien.

- Lösungsfunktionen, auch Zustandsfunktionen genannt, heißen auch Orbitale.

E [eV]

0

-3.4 Z2

-13.6 Z2

1s

2s 2px 2py 2pz

Abbildung 16: Energetische Lage der Lösungen des Wasserstoffatomproblems. Die Energie der

Orbitale mit n=2 ist gleich und beträgt -3.4Z2 [eV], d.h. die Energie der 2s und 2p Orbitale ist für das

Wasserstoffatomproblem entartet.

1.3.2.1 Grundzustand des H-Atoms

Ψ1s besitzt den niedrigsten Energieeigenwert ⇒ Grundzustand des H-Atoms

Die komplex konjugierte der Ψ1s ist gleich Ψ1s (Ψ1s* = Ψ1s).

Formel 4: dW = Ψ1s* Ψ1s dV = Ψ1s Ψ1s dV

Die Wahrscheinlichkeit, ein Elektron in irgendeinem Volumenelement dV mit Abstand

r vom Kern zu finden, ist gegeben durch:

Formel 5: dW = Ψ1s Ψ1s 4πr2 dr

22

Abbildung 17: Darstellung der Funktionen Ψ1s, Ψ1s2 und Ψ1s

2 ⋅ 4πr2 für das H-Atom

Der wahrscheinlichste Abstand ist gleich dem Bohrschen Radius a0 (r = 53 pm). Im

Bohrschen Atommodell umkreist das Elektron den Kern mit einem festen Radius

r=53pm. Im Gegensatz dazu findet man allerdings hier das Elektron nur mit der

größten Wahrscheinlichkeit (siehe Heisenberg’sche Unschärferelation). Mit einer

20%igen Wahrscheinlichkeit findet man das Elektron ebenfalls in einem Abstand r =

53 ± 10 pm.

Für die graphische Darstellung der s-Orbitale werden meist Kugeln mit begrenztem

Radius verwendet, die eine Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons von 90 %

wiedergeben.

1.3.2.2 Energetisch höhere Zustände des H-Atoms

Abbildung 18: Darstellung der Funktionen Ψ2s, Ψ2s2 und Ψ2s

2 ⋅ 4πr2 für das H-Atom

23

Das 2s-Orbital des Wasserstoffatoms ist wie das 1s-Orbital sphärisch aufgebaut,

jedoch größer. Außerdem besitzt es eine sphärische Knotenfläche (r = 106 pm), d.h.

dort ist die Aufenthaltswahrscheinlichkeit gleich Null. (Dies ist, zugegebenermaßen,

paradox, d.h. entgegen unserer Erfahrungswirklichkeit).

Abbildung 19: Diagramm der Elektronendichte eines 1s Orbitals

Abbildung 20: Diagramm der Elektronendichte eines 2s Orbitals

Abbildung 21: Diagramm der Elektronendichte eines 2p Orbitals

Abbildung 22: Dreidimensionale Anordnung der 2p Orbitale

24

1.3.3 Mehrelektronensysteme

Einelektronensystem: In einem Einelektronensystem umkreist das Elektron den

Atomkern und spürt das Coulombpotential des Atomkerns.

Das vom Elektron gespürte Coulombpotential ist nur auf den Kern gerichtet

+r

e_

Abbildung 23: Einelektronensystem

Mehrelektronensystem: In einem Mehrelektronensystem umkreisen z.B. zwei

Elektronen den Atomkern und spüren demzufolge neben dem anziehenden Potential

des Atomkerns auch das abstoßende Potential des zweiten Elektrons.

Das Coulombpotential setzt sich vektoriell aus dem Elektronen- und dem

Kernpotential zusammen.

e1_

r1r2

Z+

e2

_

Abbildung 24: Zweielektronensystem

⇒ Systeme aus 3 Teilchen (Sonne, Zentralgestirn und Mond oder Proton und

zwei Elektronen) sind weder klassisch mechanisch noch quantenmechanisch

exakt lösbar, aber mittels Näherungsverfahren mit jeder gewünschten

Genauigkeit lösbar!

Man kommt also zu Näherungsverfahren, zunächst zur Orbital-Näherung.

25

1.3.3.1 Orbital-Näherung

Die Orbitalnäherung für Mehrelektronensysteme beruht auf zwei Näherungen:

Nullte Näherung:

• Es gibt keine Elektron/Elektron-Wechselwirkungen

Jedes Elektron „spürt“ nur den Atomkern einer Ladung, nicht aber die

Abstoßung durch andere Elektronen.

• Lösung der Schrödingergleichung für jedes der n Elektronen setzt sich

zusammen aus den Lösungen des Einelektronensystems nach dem

Prinzip des chemischen Legokastens. Man nennt dies einen

Produktansatz:

( ) )(...)()(,...,, 2211ln

21 nnäherungOrbita

n rrrrrr ϕϕϕ ⋅⋅⋅⎯⎯⎯⎯⎯ →⎯Ψ

(ϕx(rx) sind wasserstoff-ähnliche Einelektronenfunktionen)

Ein solcher Produktansatz führt mit gewissen Einschränkungen zu brauchbaren

Vorhersagen.

Erste Näherung:

• Die reale Kernladung wird durch eine „effektive“ Kernladung

ersetzt.

Jedes Elektron im Mehrelektronenatom „spürt“ eine reduzierte

Kernladung aufgrund der Anwesenheit weiterer Elektronen. Die

Elektronenkorrelation (des Ortes, der Spins etc.) bleibt unberück-

sichtigt.

1.3.3.2 Besetzungsregeln und Elektronenstruktur

Wie werden unterschiedliche Orbitale (1s, 2s, 2p, etc.) eines Mehrelektronensystems

durch Elektronen besetzt?

- Pauli-Prinzip: 2 Elektronen können nur dann durch gleiche Einelektronen-

funktionen beschrieben werden, wenn sie sich durch den Spin unterscheiden.

- Elektronen besetzen paarweise Orbitale von niedrigster zur höchsten Energie.

- Hund´sche Regel: Bei Besetzung energiegleicher (entarteter) Orbitale ist

Anordnung mit Elektronen gleichen Spins am stabilsten.

26

Beispiel:

Abbildung 25: Beispiel zu Besetzungsregeln (6 Elektronen, z.B. bei Kohlenstoff)

1.3.4 Moleküle

Wir haben die Mehrelektronensystem in einem Baukastenprinzip aus den Orbitalen

für Einelektronensysteme zusammengesetzt. In einem gedanklichen analogen Schritt

setzen wir Moleküle, die aus Atomen aufgebaut sind, aus Orbitalen zusammen, die

die einzelnen Atome beschreiben. Diesen Ansatz nennt man den LCAO-MO–Ansatz.

1.3.4.1 LCAO-MO–Ansatz (Linear Combination of Atomic Orbitals to

Molecular Orbitals)

Wie kommen wir von Atomen zu Molekülen?

H2-MolekülR1 R2

r2r1

Abbildung 26: Modell des Wasserstoffmoleküls

Die Beschreibung eines Moleküls umfasst mehrere Schritte:

Ein Molekül besteht aus m Atomkernen + n Elektronen (2 Atomkerne und 2

Elektronen für das H2-Molekül). Um das System vollständig beschreiben zu können,

brauchen wir im Prinzip die Koordinaten aller Atomkerne und aller Elektronen.

Formel 6: ( )n21m21 r,...,r,r,R,...,R,RΨ

(R1-Rm sind Atomkernkoordinaten, r1-rn sind die Elektronenkoordinaten)

27

Aufgrund der sehr viel kleineren Masse der Elektronen (und damit der Trägheit)

passen sich die Elektronen verzögerungsfrei der Umorientierung des Kerngerüsts an.

D.h.: Die Beschriebung der Kernkoordinaten (R1-Rm) kann von der Beschreibung der

Elektronenkoordinaten (r1-rn) abgetrennt werden. Die Gesamt-Psifunktion (Formel 6)

kann in ein Produkt von Psifunktionen, die nur die Kernbewegung (χ) und die nur die

Elektronenbewegung (ψ’) beschreiben (Formel 7), aufgeteilt werden. Diese

Aufteilung oder Separation der Kernbewegung von der Elektronenbewegung nennt

man die „Born-Oppenheimer-Näherung“.

Formel 7: ( ) ( )n21m21n21m21 r,...,r,r )R,...,R,Rr,...,r,r,R,...,R,R ´( ΨΨ ⋅→ χ

- χ(Rx) beschreibt das fixierte Kerngerüst

- Die Radien rx stehen für die Elektronenkoordinaten im fixierten Kerngerüst

Tabelle 5: Vergleich von Atom-Orbitalen und Molekül-Orbitalen

AO MO

AOs unterscheiden sich nur in

Ausdehnung und Energie von Atom zu

Atom, nicht aber in der Geometrie

Das effektive Feld der Kerngerüste

unterscheidet sich von Molekül zu

Molekül und von Konformation zu

Konformation. MOs werden im

Baukastenprinzip aufgebaut.

1.3.4.2 Orbital-Symmetrie

Orbitale werden klassifiziert nach ihrem Symmetrieverhalten (siehe Gruppentheorie-

vorlesungen).

Ψ´ = c · Ψ Symmetrie-Operator c wandelt Ψ in Ψ´ um.

c = ± 1 c = + 1 → symmetrisch

c = - 1 → antisymmetrisch

28

Tabelle 6: Symmetrie-Verhalten des 2px-Orbitals

MOs gehören zur selben Symmetriepunktgruppe wie das Molekül, das sie

beschreiben.

1.3.4.3 Wechselwirkungsdiagramme

Wie kommt es zur Bindung in einem H2-Molekül?

Dazu müssen wir gedanklich verfolgen, wie zwei H-Radikale langsam aufeinander

sich zu bewegen.

29

1s´

1s

σ

σ∗

E

σ∗ = (1s-1s´)/√2

σ = (1s+1s´)/√2

Abbildung 27: Wechselwirkungsdiagramm zweier 1s-Orbitale, z.B. H. + H. –> H2.

Kombinationsregeln:

2 AO → 2 MO

AO + AO → bindendes MO (niedriger in Energie als AO)

AO - AO → antibindendes MO (höher in Energie als AO)

⇒ Wenn 2 Elektronen in einem bindenden Molekül-Orbital zusammenkommen,

entsteht eine chemische Bindung und die gewonnene Energie wird freigesetzt.

Die gebildeten MOs müssen orthonormiert werden, was die Koeffizienten 1/√2 ergibt:

( ) ( )( ) ( )

02

´11*

2

´11

2

1*

2

1

2

1*

2

1

2

1*

2

1

2

1*

2

1

***

=∫+

⋅−

⎟⎟⎠

⎞⎜⎜⎝

⎛⎟⎠⎞

⎜⎝⎛

⎟⎠⎞

⎜⎝⎛

⎟⎠⎞

⎜⎝⎛

⎟⎠⎞

⎜⎝⎛

⎟⎟⎠

⎞⎜⎜⎝

⎛⎟⎠⎞

⎜⎝⎛

⎟⎠⎞

⎜⎝⎛

⎟⎠⎞

⎜⎝⎛

⎟⎠⎞

⎜⎝⎛=⎟

⎜⎜

⎛⎟⎠⎞

⎜⎝⎛

⎟⎠⎞

⎜⎝⎛

⎟⎠⎞⎜

⎝⎛ ⋅=⋅

−⋅+

−⋅+⋅+⋅

∫∫

dVssss

dVdV σσψψ

1s 1s´

2 H-Orbitale

1σ*2

1σσ*3σσ*

1σ2

E

H2-Molekül

Abbildung 28: Besetzungsmöglichkeiten der beiden Elektronen nach Überlappung zweier 1s-Orbitale

und die relative Energie der Elektronenstrukturen

30

Jedes Elektron besitzt einen quantenmechanischen Spin s von ±½. Der Gesamtspin

S eines Atoms oder eines Moleküls berechnet sich aus der Summe der einzelnen

Spins (S = Σs).

Aus dem Gesamtspin wird durch die Formel 2S+1 die Spin-Multiplizität bestimmt,

welche durch eine links hochgestellte Ziffer angegeben wird.

Gesamtspin S Spin-Multiplizität Bezeichnung 0 1 Singulett 1 3 Triplett

Abbildung 29: Energieänderung der σ- und σ*-MOs in Abhängigkeit vom (Kern–Kern)-Abstand

Abbildung 29 zeigt die Energieänderung der σ- und σ*-MOs in Abhängigkeit vom

(Kern-Kern)-Abstand. Der Gleichgewichtsabstand erklärt sich durch den Kompromiss

aus möglichst großer Überlappung der beteiligten AOs und der gegenseitigen

Abstoßung der positiven Kerne.

Fragen:

1. Was bedeuten streng genommen s-,p-,d-,f-Orbitale?

2. Welche Vereinfachung führt zur Born-Oppenheimer-Nährung?

31

3. Nennen Sie die drei Regeln, mit deren Hilfe Elektronen die einzelnen Orbitale

eines Mehrelektronensystems besetzen.

4. Nennen Sie Unterschiede zwischen MOs und AOs? Von welchen Eigenschaften

eines Moleküls hängen MOs ab?

5. Wieviele MOs kann man aus 2 AOs konstruiere? Wie unterscheiden sich bindende

und die antibindende Wechselwirkungen?

Dritte Vorlesungsstunde

Inhalte:

I. In der zweiten Vorlesungsstunde haben wir die Beschreibung von Atomen im

Rahmen des MO-Modells diskutiert. Für das H2-Molekül haben wir die Kombination

von Atomorbitalen (s-Orbitalen) der H-Radikale zu Molekülorbitalen (σ-Orbitalen)

eingeführt. In der dritten Vorlesungsstunde werden die Kombinationsmöglichkeiten

weiterer Atomorbitale einführen.

II. Insbesondere wird auch in die Hybridisierung von s- und p-Orbitalen eingeführt.

Dies ist wichtig, um Kohlenstoffverbindungen der Koordinationszahl 2, 3 und 4 zu

verstehen.

III. Es wird am Beispiel des linearen und des gewinkelten Methylen (CH2) eingeführt,

wie die jeweilige Geometrie eines Moleküls die Kombination von Atomorbitalen

beeinflusst.

IV. Für Systeme mit konjugierten π-Systemen, also z.B. Systemen mit konjugierten

Doppelbindungen, kann man von MO-Modell zum HMO-Modell übergehen. In die

Vorhersage der π MO-Orbitale wird eingeführt.

V. In der ersten Vorlesungsstunde haben wir die Grenzen des klassischen

Strukturmodells an vier Beispielen aufgezeichnet. In der dritten Vorlesungsstunde

werden die Phänomen aus der Sicht des MO- und des HMO-Modell diskutiert.

VI. Regeln für aromatische und antiaromatische Verbindungen werden eingeführt.

32

1.3.4.4 Regeln für die Wechselwirkung von AO-Orbitalen

Es können nur solche Atom-Orbitale miteinander in Wechselwirkung treten, die (i) in

bezug auf Drehung oder Rotation gleiches Symmetrieverhalten besitzen und die (ii)

energetisch nah beieinander liegen. Letzteres erklärt, weshalb Bindungen zumeist

aus Orbitalen mit gleicher oder benachbarter Hauptquantenzahl entstehen.

Energetische Begründung:

∆E

AO MO

∆E∆E

AO MO AO MOE

Abbildung 30: Wechselwirkungsdiagramme von Orbitalen mit steigendem Unterschied in ihren

Energieniveaus. Mit zunehmendem energetischem Abstand der AOs wird die stabilisierende

Wechselwirkung ∆E zwischen AOs und MOs immer kleiner.

Für bindende Wechselwirkungen sind gewisse Symmetrievoraussetzungen

vonnöten.

s pz pzpx

Abbildung 31: Symmetrieverbotene Kombinationen von Atom-Orbitalen

Der positive Überlapp zwischen den Volumina mit gleichem Vorzeichen wird durch

den negativen Überlapp des gleich großen Volumenanteils mit entgegen gesetztem

Vorzeichen kompensiert, so dass insgesamt keine Stabilisierung zustande kommt.

33

+

+

2s+2p:

σ∗

σ

2p+2p:

end-on

2pσ-MOs

2sσ-MOs

bindend

antibindend

antibindend

bindend

side-on

2pπ-MOs

bindend

antibindend

+

Abbildung 32: Symmetrie-erlaubte Kombinationen von s- und p-Atom-Orbitalen

Zur Klassifizierung in σ- und π-Bindung muss berücksichtigt werden, welche

Symmetrie die entstandenen MOs relativ zur Bindungsachse aufweisen. Sind die

MOs rotationssymmetrisch zur Bindungsachse, spricht man von σ-Orbitalen, wenn

sie antisymmetrisch sind, von π-Orbitalen. π-Orbitale stehen senkrecht auf der

Bindungsachse, im Falle von zwei π-Orbitalen auch senkrecht zueinander.

1.3.4.5 Hybridisierung von Atom-Orbitalen

Linearkombinationen von Atomorbitalen innerhalb eines Atoms führen zu neuen

Atomorbitalen, so genannten Hybridorbitalen.

Am Beispiel der 2s- und der drei 2p-Orbitale eines Kohlenstoffatoms soll dies gezeigt

werden:

34

+ + +

2s 2px 2py 2pz

4

sp3-Hybridorbital

Abbildung 33: sp3-Hybridisierung

Aus 4 AO entstehen 4 Hybridorbitale. Diese 4 Hybridorbitale eines Atoms nehmen

die strukturell günstigste Geometrie ein, nämlich die, bei der alle Orbitale den

größtmöglichen Abstand zueinander besitzen, einen Tetraeder (vgl. Gillespie-

Nyholm-Modell, z. B. Hollemann-Wiberg).

Weitere Hybridorbitale sind möglich durch Herausnahme von p-Orbitalen aus der

Linearkombination:

+ + +

2s 2px 2py 2pz

3

sp2-Hybridorbital

+

2pz

Abbildung 34: sp2-Hybridisierung, Geometrie: trigonal planar.

Diese Hybridorbitale können nun wiederum mit Orbitalen anderer Atome bzw.

Atomgruppen in Wechselwirkung treten und somit Molekül-Orbitale bilden.

Abbildung 35: Darstellung der σ- und π-Bindungen im Ethen

35

Abbildung 36: sp-Hybridisierung, Geometrie: linear

Abbildung 37: Darstellung der σ- und π-Bindungen im Ethin

1.3.4.5.1 Wechselwirkungsdiagramm für linear angenommenes Methylen

CH H

C2 C2

C∝ Symmetrie D∝h

Abbildung 38: Lineares Methylen und seine Symmetrieoperationen

Zur Vereinfachung wird für das lineare Methylen eine Symmetrie von D2h

angenommen.

Das linear angeordnete Methylen lässt sich symmetrisch in zwei Fragmente

auftrennen, 1. das Fragment C-Atom und 2. das Fragment gedehntes H2-Molekül.

36

2s

2px 2py 2pz

2py 2pz

σ∗−2px

σ∗+2px

σ−2s

σ+2s

σ

σ∗

Orbitale des C-Fragments Orbitale des H2-Fragments

Abbildung 39: Wechselwirkungsdiagramm des linearen Methylens

Elektronenstruktur: (σ+2s)2 (σ*+2px)2 2py 2pz

⇒ Triplett-Zustand

1.3.4.5.2 Wechselwirkungsdiagramm für gewinkelt angenommenes Methylen

C

H H

C2

Symmetrie C2v

Abbildung 40: gewinkeltes Methylen und seine Symmetrieoperatoren

2s

2px 2py 2pz

2pz

σ∗−2px

σ∗+2px

σ−2py

σ+2s

σ

σ∗

Orbitale des C-Fragments Orbitale des H2-Fragments

σ+2py-2s

Abbildung 41: Wechselwirkungsdiagramm des gewinkelten Methylens

37

• 2py hat keinen Beitrag, da unsymmetrisch → nichtbindendes Orbital

• 2px hat gleiches Symmetrieverhalten wie σ* → 2px ± σ*

• σ, 2s, 2py weisen das gleiche Symmetrieverhalten auf

→ Dreierkombination, da man sonst 4 MOs

schaffen würde, was verboten wäre.

Elektronenstruktur: (σ+2s)2 (σ+2py-2s)2 (σ*+2px)2

⇒ Singulett-Zustand

1.3.4.5.3 Walsh-Diagramme

Mit Walsh-Diagrammen sollen die Änderungen der nodalen und energetischen

Eigenschaften der MOs verdeutlicht werden, wenn die Kernanordnung geändert wird.

• Korrelationslinien verbinden Orbitale mit gleichem Symmetrieverhalten

(gemäß den Symmetrie-Operationen beider Kernanordnungen)

Abbildung 42: Walsh-Korrelationsdiagramm für XH2 (X entspricht einem Atom aus der zweiten

Periode)

• Korrelationslinien dürfen sich nur für Orbitalpaare unterschiedlicher Symmetrie

kreuzen

Elektronenstruktur Molekül-Struktur Beispiel φ1

2φ22 linear H Be H

φ12φ2

2φ32 nicht-linear H

CH

Singulett!

φ12φ2

2φ32φ4

2 nicht-linear OH H

Tabelle 7: Strukturvorhersagen von XH2-Molekülen

38

1.3.4.6 Das HMO-Modell (Hückel Molecular Orbitals) und seine Vereinfachungen

1.3.4.6.1 Die (σ/π)-Trennung

σ-Orbitale können von π-Orbitalen getrennt werden.

- Anwendung nur auf π-Elektronensystem

- ebenes Molekül bzw. Molekülteil (xy-Ebene)

- s, px, py sind symmetrisch bezüglich der Molekülebene, während pz

antisymmetrisch angeordnet ist

→ keine Mischung zwischen den s-, px-, py-Atomorbitalen und den pz-

Atomorbitalen.

getrennte Wechselwirkungsdiagamme:

• symmetrische σ-MOs

• antisymmetrische π-MOs

Gesamtenergie Eπ des π-Elektronensystems:

Formel 8: ∑=i

iibE επ

bi: Besetzungszahl (0, 1 oder 2) des i-ten MOs; εi: Energie des i-ten MOs

Die Energie εi der π-MOs ergibt sich aus dem Coulombintegral α, welches die

freiwerdende Energie beschreibt, wenn ein Elektron das 2pz-AO des C-Atoms

besetzt, und dem Resonanzintegral β, welches die freiwerdende Energie darstellt,

wenn sich ein Elektron über weitere benachbarte AOs in bindenden MOs

delokalisiert. Beide Werte sind kleiner als Null.

E

α

Ε2=α−β

Ε1=α+β

2pz

π∗

π

Abbildung 43: HMO-Energieniveau-Diagramm für Ethen

39

Ethen: Gesamtenergie des π-Systems Eπ = 2(α+β)

Energiegewinn ∆Eπ = 2β

1.3.4.6.2 Mnemotechnische Hilfsmittel zur Beschreibung der HMO-Energie-Schemata (Gedächtnisstütze)

A. Monozyklische, konjugiert-ungesättigte Systeme nach Frost-Musulin:

Es werden Kreise mit einem Radius von 2|β| gezeichnet und die zyklischen

Moleküle mit der Spitze nach unten in diese gestellt, so dass die Ecken

(Atome) des Moleküls auf dem Kreis liegen. Eine horizontale Projektion der

Schnittpunkte gibt die Lage der Energieniveaus wider.

Abbildung 44: Mnemotechnisches Hilfsmittel nach Frost-Musulin zur Beschreibung von MO-Energie-

schemata für zyklische, konjugiert-ungesättigte Systeme vom Hückel-Typ (|β| ist die verwendete

Energieeinheit)

40

Besetzung aller bindenden MO mit je zwei Elektronen führt zu Systemen mit

(4n+2) π-Elektronen in abgeschlossenen Elektronenschalen und maximaler

Stabilisierung. Hierbei ist n eine ganze natürliche Zahl.

Abbildung 45: Zyklisch-konjugierte Moleküle bzw. Ionen mit (4n+2) π-Elektronen

In Systemen mit 4n Elektronen kommt man zu Biradikalen im Triplettzustand.

Abbildung 46: Zyklisch-konjugierte Moleküle bzw. Ionen mit 4n π-Elektronen

B. azyklische, konjugiert-ungesättigte Systeme nach Frost-Musulin

Für acyclische π-Systeme mit n Zentren werden Polygone mit 2n+2 Zentren in

die Kreise gezeichnet, wobei der azyklische Teil in die rechte Hälfte gesetzt

wird und die unten aufliegende Spitze nicht Bestandteil des Moleküls ist.

41

Abbildung 47: Mnemotechnisches Hilfsmittel nach Frost-Musulin zur Beschreibung von MO-Energie-

schemata für azyklische, konjugiert-ungesättigte Systeme (|β| ist die verwendete Energieeinheit)

Ketten mit gerader Anzahl an Zentren besitzen n/2 bindende und n/2 anti-

bindende MO, währenddessen Ketten mit ungerader Anzahl auf jeweils (n-1)/2

bindende und antibindende MO kommen, sowie einem nichtbindenden.

Abbildung 48: Aufspaltung der MOs für azyklische, konjugiert-ungesättigte Systeme in bindende,

antibindende und nichtbindende in Abhängigkeit von der Zentrenzahl n

42

1.3.4.6.3 Regeln für konjugiert-ungesättigte periplanare Moleküle

- π-Elektronensysteme aus n pz-AOs haben n π-MOs

- im Molekülorbital niedrigster Energie weisen alle Atomorbitale gleiches

Vorzeichen auf

- Zahl der Knotenflächen steigt mit zunehmender Einelektronenenergie

(bei Azyklen ist die Zahl der Knotenflächen um eine Einheit geringer als die

Laufzahl des MOs)

Abbildung 49: HMO-Satz von Benzol mit Angabe der Summe der bindenden(b) und antibindenden(a)

Wechselwirkungen, sowie der Zahl der Knotenflächen

Tabelle 8: HMO-Sätze für C2h- und C2v-Buta-1,3-dien unter Anwendung obiger Regeln (Σ AO-WW:

Summe der bindenden (b) und antibindenden (a) Wechselwirkungen)

1.4 Deutung der bisher unverständlichen Fälle durch das MO-Modell

Knotenflächen

3

2

1

0

43

1.4.1 Stabilisierung der planaren Amidgruppe durch Konjugation

- gewinkeltes 3 Zentrensystem, Heteropropenyl

- 4 Elektronen (2 π-Elektronen (C=O) und freies Elektronenpaar am Stickstoff)

C´N

O

H O

R

ωϕ

ψ

Abbildung 50: Peptidrückgrat mit den Winkeln ω, φ und ψ

Koplanarität der Amidgruppe:

maximale Delokalisierung der Elektronen durch optimale Überlappung

der drei pz-AOs

Abbildung 51: Graphische Darstellung der drei propenylähnlichen π-MOs der Amid- (links) und der

Estergruppe (rechts) mit Angabe der jeweiligen Einelektronenenergie

N C O φ1 0.87 0.44 0.22 φ2 0.42 -0.47 -0.78 φ3 0.24 -0.77 0.59

Tabelle 9: Koeffizienten der jeweiligen pz-AOs für die drei MOs der Amidgruppe

44

1.4.2 Destabilisierung planarer N-Heteroatom-substituierter Aziridine durch

Konjugation

System aus 2 Zentren mit 4 π Elektronen:

Pyramidalisierung zur Stabilisierung, Verminderung der Delokalisation

NCl

Abbildung 52: N-Chloroaziridin

1.4.3 Die Ursachen der anomeren Effekte

Einsame Elektronenpaare können an Elektronendonor/Elektronenakzeptor-Wechsel-

wirkungen teilnehmen, welche einem Elektronenfluss durch die benachbarte in eine

übernächste Bindung entsprechen. Diese Delokalisierung ist dann optimal, wenn das

einsame Elektronenpaar antiperiplanar zur übernächsten Bindung steht.

O

OMe

O+

OMe

O

OMe

freies Elektronenpaardes Sauerstoff

σ∗-Orbital

Elektronenverschiebung

Abbildung 53: Beschreibung des anomeren Effekts anhand eines Methylglycosids

Dies führt bei den zyklischen D-Kohlenhydraten zu einer Stabilisierung des sterisch

benachteiligten α-Anomers. Bei Estern erklärt dieser Effekt, warum die

synperiplanare Konformation bevorzugt ist gegenüber der antiperiplanaren.

45

O

O

sp

O

O

ap

Abbildung 54: synperiplanare und antiperiplanare Konformationen von Estern

1.4.4 Annulene

- monozyklische, konjugiert-ungesättigte Kohlenwasserstoffe

- Molekularformel (CH)2m

- Elektronenstruktur führt zur Klassifizierung in zwei Untergruppen:

• (4n+2) π-Elektronen → aromatisch

• 4n π-Elektronen → antiaromatisch

1.4.4.1 Annulene mit (4n+2) π-Elektronen: „aromatische Moleküle“

Kapitel 14.4. in Quinkert et al.

- ungerades m in der Molekularformel (CH)2m

- Prototyp: Benzol (CH)6 → m = 3

6 π-Elektronen → n = 1

⇒ HMO-π-Elektronenenergie von 8β

1.4.4.2 Annulene mit 4n π-Elektronen: „antiaromatische Moleküle“

- gerades m in der Molekularformel (CH)2m

- Beispiele: (Z,Z)-Cyclobuta-1,3-dien [4]-Annulen

(Z,Z,Z,Z)-Cycloocta-1,3,5,7-tetraen [8]-Annulen

46

Abbildung 55: Isomerisierung von Cyclobutadien

Cyclobutadien besitzt eine HMO-π-Elektronenenergie von 4β, während dies bei Buta-

1,3-dien 4.5 β beträgt. Daher ist Cyclobutadien antiaromatisch. Im Grundzustand

weist es Singulett-Charakter und eine rechteckige Geometrie auf, während die

Topomerisierung der rechteckigen Isomere eine quadratische Übergangsstruktur

durchläuft.

Fragen:

1. Welche Regeln gelten für die Wechselwirkung von AO’s?

2. Wie kommen Sie zu sp-, sp2-, sp3-Hybridisierung? Wieviele AOs sind an einem sp-

Hybridorbital beteiligt (sp2-, sp3)? Welche weitere Orbitale besitzt der Kohlenstoff?

Welche Bindungsgeometrie finden Sie bei sp-, sp2-, sp3-Hybridisierung? Wie

korreliert dies mit dem Gillespie-Nyholm-Modell?

3. Von welchen Grundannahmen geht das HMO-Modell aus?

4. Zeichnen Sie die HMO-Energieschemata mit dem Satz von HMO für Benzol und

für Butadien!

5. Wann spricht man von aromatischen und wann von antiaromatischen

Verbindungen?

47

Vierte Vorlesungsstunde

Inhalte:

I. Wir führen in die Klassifizierung von Reaktionen ein.

II. Am Beispiel der Reaktion von H2 mit D führen wir in das Konzept der

Reaktionskoordinate und Aktivierungsenergie ein.

III. Wir diskutieren den Einfluß der Energiedifferenz von Edukt und Produkt auf die

Lage des Gleichgewichts einer Reaktion.

IV. Wir diskutieren die Triebkraft einer Reaktion. Dies ist ein wichtiges Konzept, das

Sie häufig anwenden werden, um zu verstehen, wieso Reaktionen in einer gewissen

Richtung ablaufen.

V. Wir führen in die Begriffe ‚thermodynamisch kontrollierte’ und ‚kinetisch

kontrollierte’ Reaktion ein. Für den Begriff einer kinetisch kontrollierten Reaktion

müssen wir in die Theorie des Übergangszustands einführen. Hierbei diskutieren wir,

welchen Einfluß die Änderung der Aktivierungsenthalpie auf die Reaktionsrate

besitzt.

2 Reaktionen

2.1 Einführung

Strukturen Bindungen Strukturumwandlung (Stereochemie) (Reaktivität) (Reaktionen)

Reaktion:

Ausgangssubstanz

Reaktand (Katalysator)

Edukt (Enzym)

Substrat

Produkt

48

Ziele beim Studium von Reaktionen:

- Vorhersage der Reaktionsprodukte ?A X⎯→⎯

- Synthesebedingungen BA ?⎯→⎯

- Retrosynthese B? ?⎯→⎯

Reaktionstypen:

⎟⎟⎠

⎞⎜⎜⎝

⎛⎯⎯⎯⎯⎯⎯ →⎯⎪⎭

⎪⎬

2

1Bindungender Änderung

vv

ät Selektivit und

(v)t Reaktivitä von abhängig

rungIsomerisie -Atomen von Aufnahme -Atomen von Abspaltung -

Bindungsspaltung:

X Y

X Y

X+

Y

+

+

homolytisch (Radikale)

heterolytisch (Ionen)

polarisierte Bindungen, Partialladungen:

C Cl C Oδ−δ+ δ+ δ−

⇒ Angriff durch Elektrophil E+ (z.B. H+, Br+)

Nukleophil Nu- (z.B. OH-)

2.1.1 Einfache Reaktionen: Austauschreaktion (vergl. Lehrbücher der

Physikalischen Chemie)

Austausch eines Protons im Wasserstoffmolekül gegen ein Deuterium:

H H D H D H

. . .+ +

rHH

rHD

Abbildung 56: Gleichung der Reaktion eines Wasserstoffmoleküls mit einem Deuterium-Radikal

49

Der erste Schritt der Reaktion H2 + D -> HD + H ist die Ausbildung eines höher-

energetischen Übergangskomplexes HHD, der in Richtung der Edukte oder Produkte

zerfallen kann. Während sich das Deuteriumatom dem einen H-Atom nähert (rHD wird

kleiner), vergrößert sich der Abstand der Atome im H2-Molekül (rHH wird größer). Der

Reaktionsverlauf wird auf einer Energiehyperfläche G(rHH,rHD) wiedergegeben. Unter

der Annahme, dass der HHD-Komplex linear ist, hängt diese Energiehyperfläche in

guter Näherung nur vom Abstand rHH und rHD ab. Damit Atome und Moleküle

reagieren können, müssen sie eine Aktivierungsenergie besitzen, die zu einem

‚erfolgreichen’ Stoß führt.

Der Übergangskomplex ist zunächst experimentell nicht erfassbar, wird aber als

existent angenommen und als im Gleichgewicht befindlich mit Edukten und

Produkten. Dies erlaubt eine Ableitung der Aktivierungsenergie (siehe weiter unten)

aus thermodynamischen Größen (H, S).

Abbildung 57: Verlauf der potentiellen Energie während der Reaktion H–H + D⋅ → H⋅ + H–D, solche

Energiehyperflächen wurden von H. Eyring, H. Geishiweritz, C.E. Sun berechnet (J.Chem. Phys. 3,

768 (1935)).

Abbildung 58: Zusammenhang zwischen Energieverlauf einer Reaktion und den Potentialen für

Bindungsbruch und Bindungsbildung

50

Abbildung 59: Energiediagramm einer Einstufenreaktion

Es gilt für den Übergangszustand (ÜZ):

- Sattelpunkt des Reaktionsverlaufs

- kein isolierbares Zwischenprodukt

- Lebensdauer τÜZ ~ 10-12 s

- Energiedifferenz zwischen Edukten und ÜZ → Aktivierungsenthalpie ∆GE→ÜZ

- Energiedifferenz zwischen Edukt und Produkt → Reaktionsenthalpie ∆GE→P

Für eine Auftragung der Energie als Funktion der Reaktionskoordinate (RKT) gilt:

Die Reaktionskoordinate ist definiert als der Verlauf einer Reaktion von z.B. zwei

Reaktanden, bei denen sich die Reaktanden entlang einer Trajektorie niedrigster

Energie aufeinander zu bewegen (Pfeilstriche in Abbildung 57).

2.1.2 Gleichgewichtsreaktionen, Ungleichgewichtsreaktionen

Gleichgewichtsreaktion Ungleichgewichtsreaktion • reversibel • Produkte bestimmt durch

thermodynamisches Gleichgewicht K• thermodynamische Produktkontrolle

• irreversibel • Produkte bestimmt durch Selektivität

verschiedener Reaktionen • kinetische Produktkontrolle

Tabelle 10: Eigenschaften von Gleichgewichts-/Ungleichgewichtsreaktionen

Beispiel:

H+

RCOOH + R´OH RCOOR´ + H2O

Abbildung 60: Veresterung als Beispiel einer Gleichgewichtsreaktion

Kleine Mengen an Säure beschleunigen die Gleichgewichtseinstellung, nicht aber die

Gleichgewichtslage: Katalysator!

51

Gleichgewichtskonstante: [ ][ ][ ][ ]R´OHRCOOH

OHRCOOR´K 2=

Die Gleichgewichtskonstante K ist unter anderem abhängig von Lösungsmittel,

Temperatur, Druck, sowie den Konzentrationen von Edukten und Produkten.

Abbildung 61: Energiediagramm einer katalysierten und einer unkatalysierten Reaktion

Beziehung von ∆G zu K:

Formel 9

ST-HGe K

Kln RTG

RTG

∆∗∆=∆=

−=∆∆

Beispielwerte:

A B [ ][ ]ABK = T = 298 K (25 °C)

∆G (kcal mol-1) K %-Anteil von A im GG + 5.0 2.14⋅10-4 99.98 + 3.0 6.29⋅10-3 99.38 + 2.0 3.41⋅10-2 96.71 + 1.0 1.85⋅10-1 84.42 + 0.5 4.3⋅10-1 69.95

0 1 50 - 5.0 4.67⋅103 0.0214

Tabelle 11: Zahlenwerte von ∆G und K einer reversiblen Reaktion, GG: Gleichgewicht

Bei großen Beträgen von ∆G wird eine Reaktion praktisch irreversibel.

unkatalysiert

katalysiert

G

RKT

∆∆Gunkat→kat

enthalpischer Beitrag entropischer Beitrag

52

2.1.3 Triebkraft chemischer Reaktionen

Typische Bindungsenergien [kcal mol-1]:

C – C 81 O – O 33 C = C 148 N – N 38 C ≡ C 194 N ≡ N 226 C – O 84 C ≡ O 257 C = O 172 O = CO 128 C – H 100 O – H 110

Als Triebkraft einer chemischen Reaktion dient meist die Bildung sehr stabiler

funktioneller Gruppen oder kleiner Fragmentmoleküle, z.B. CO, N2, CO2,

Carbonylgruppe, R3P=O. So ist C=C weniger als doppelt so stabil wie C–C, während

C=O mehr als doppelt so stabil ist wie C–O.

2.1.4 Irreversible Reaktionen

Für vom Betrag nach große Werte von ∆G oder für Reaktionen, in denen ein

Reaktionspartner aus der Reaktion entweicht (Bsp. Gas) gilt: A → B, da diese keine

Gleichgewichtsreaktion, sind im Prinzip 100 % Ausbeute möglich.

BA k⎯→⎯

Abbildung 62: Energiediagramm einer irreversiblen Reaktion mit der freien Aktivierungsenergie ∆G‡

∆G‡ ist die freie Aktivierungsenthalpie. Ohne Barriere (∆G‡ =0) würde die Reaktion

mit diffusionskontrollierter Geschwindigkeitskonstante ablaufen.

Aber: Meist sind mehrere Produkte möglich!

BAB´ kk´ ⎯→⎯⎯⎯←

∆G

RKT

A

B

∆∆GA→B

A‡

∆∆G‡ freie Aktivierungsenthalpie

53

Produktverhältnis wird durch k und k´ gegeben.

⇒ „Kinetisch kontrollierte Reaktion“

In Abbildung 63 sind zwei mögliche Reaktionsprodukte für A aufgezeigt, B und B’. B’

ist stabiler als B, so dass unter Gleichgewichtsbedingungen das Verhältnis [B]/[B’]

aus der Stabilität von B und B’ berechnet werden kann. Wählt man für die

Durchführung einer Reaktion Bedingungen, bei denen A im Gleichgewicht mit B und

B’ steht, dann nennt man die Reaktion ‚thermodynamisch kontrolliert’.

Die freien Aktivierungsenthalpien ∆G‡B und ∆G‡

B’ unterscheiden sich. Das weniger

stabile B ist mit einer geringeren freien Aktivierungsenergie mit A ‚verknüpft’ als das

stabilere B’ (∆G‡B < ∆G‡

B’). D.h., führt man in einer Reaktion nur soviel Energie zu,

dass die Barriere zu B überwunden werden kann (wieviel, ist eine Funktion der

Temperatur, siehe unten), so kann man selektiv nur B erhalten oder zumindest B

anreichern. Eine solche Reaktion nennt man ‚kinetisch kontrolliert’.

2.1.5 Theorie des Übergangszustands

Wir betrachten die Reaktion von A nach B mit der Geschwindigkeitskonstanten k1

und dem Übergangszustand A‡.

A A‡K‡ k‡

B v ~ [A] k1 v ~ [A‡] k‡

[ ][ ]

≠∆

−≠≠≠≠

=== kkKkk1RTG

eA

A

∆G

RKT

A

B

∆G‡B

∆G‡B´

∆∆G‡B,B´

Abbildung 63: Energiediagramm zweier irreversibler Konkurrenzreaktionen

54

Formel 10: RTG

e≠∆

−=

hTkk B

1 Eyring-Gleichung

cal) (in T 57.4

G-T lg32.10k lg 1

≠∆+=

Beispielwerte (T = 298 K):

∆G‡ [kcal mol-1] t1/2 10 ~10 µs 15 ~10 ms 20 ~1 min 25 ~20 h 30 ~10 Jahre

Tabelle 12: Halbwertszeiten von Reaktionen mit der Aktivierungsenergie ∆G‡

⇒ Reduktion von ∆G‡ um 5 kcal mol-1 liefert eine drastische

Beschleunigung der Reaktion. Sie können nun ∆∆G‡ für zwei

mögliche Reaktionen in Reaktionsraten umrechnen.

Fragen:

1. Was versteht man unter homolytischer und heterolytischer Bindungsspaltung?

2. Was versteht man unter einer Reaktionskoordinate?

3. Stellen Sie zusammen, was Sie über den Übergangszustand einer Reaktion

wissen.

4. Nehmen Sie an, die Produkte einer Reaktion sind 5 kcalmol-1 stabiler als die

Edukte. Wo liegt dann die Gleichgewichtskonstante?

5. Wie unterscheiden sich thermodynamisch kontrollierte und kinetisch kontrollierte

Reaktionen?

55

Fünfte Vorlesungsstunde

Inhalte:

I. Wir führen in die Begriffe Nukleophile (nukleophil) und Elektrophile (elektrophil) ein.

II. Wir diskutieren die Verwendung von gebogenen Pfeilen zur Bilanzierung von

Elektronenwanderungen im Verlauf von Reaktionen. Elektronenquelle und

Elektronenabfluß sind zentrale Begriffe.

2.1.6 Nukleophil/Elektrophil

O

unpolare Reaktanden stoßen sich durch ihre Elektronenhülle ab

δ− δ+

C NCyanid

N

H

HH

Ammoniak

elektrostatische Anziehungδ−

δ+

H H D

Abbildung 64: polare und unpolare Reaktionen

Elektronegativität der Elemente:

H 2.2

Li 0.94

B 2.04

C 2.55

N 3.04

O 3.44

F 3.98

Mg 1.31

Al 1.61

Si 1.9

P 2.19

S 2.58

Cl 3.16

Br 2.96

I 2.66

Tabelle 13: Werte der Elektronegativität ausgewählter Elemente

Mehrzahl der organischen Reaktionen sind polar:

Elektronen fließen von Elektronenquelle (Nukleophil) eines Moleküls zu einem

Elektronenabfluss (Elektrophil) eines zweiten Moleküls

56

Nu: E+ ENu

=Nu|

freies Elektronenpaarfreies Orbital

neue Bindung

Abbildung 65: Angriff eines Nukleophils an ein Elektrophil

Orbitalenergie

Nu- E+

Nu-

E+

Nu-

E+

abnehmende Stabilität der neuen Bindung

Abbildung 66: Energiediagramme von Reaktionen mit Nukleophil und Elektrophil

Es kann nur das gefüllte Orbital höchster Energie des Nukleophils (HOMO, Highest

Occupied Molecular Orbital) mit dem ungefüllten Orbital niedrigster Energie des

Elektrophils (LUMO, Lowest Unoccupied Molecular Orbital) in Wechselwirkung

treten. Der energetische Abstand zwischen anderen Orbitalen ist zu gross (siehe

Abbildung 30).

Moleküle stoßen sich ab wegen äußerer Elektronenschale, ziehen sich aber an,

wenn unterschiedliche Partialladungen vorliegen. Es müssen sich das HOMO und

das LUMO überlagern.

HO

H HN

HH

MeN

MeMe

MeS

Me

H O Me S Br C N

Nukleophile

Elektrophile

H Lewissäuren, z.B. AlCl3 CarbonylverbindungenCl

AlClCl

HO

H

Al O

Cl

Cl

Cl

H

H

Abbildung 67: Beispiele für Elektrophile und Nukleophile

57

2.2 Verwendung von „gebogenen Pfeilen“

H O H+

Elektronenquelle

H O

H

gebogene Pfeile:Bewegung der Elektronen

Nukleophil greift antibindendes Orbital an: 2 Pfeile

Me

S

Me

Br BrMe

S

Me

Br Br-

Abbildung 68: Beispiele für den Gebrauch von gebogenen Pfeilen

Beachte: Ladung bleibt erhalten!!!

H

O H

H

N

H

HH

H

O

H

H N

H

H

H

HO

O O

HO

Abbildung 69: Beispiele für den Gebrauch von gebogenen Pfeilen und dem Erhalt der Ladung

Elektronen können auch aus π-Bindungen doniert werden:

H Br

H

+ Br-

Abbildung 70: Doppelbindungen als Nukleophile

58

Zerfall von Molekülen:

R N

H X H+ + X-

N R+ + N N

OH

H+

OH2 + H2O

Abbildung 71: Gebrauch der gebogenen Pfeile beim Zerfall von Molekülen

Bewegung von nur einem Elektron:

Br Br Br + Br

Abbildung 72: Gebrauch von gebogenen Pfeilen bei Wanderung von einzelnen Elektronen

Zur Kennzeichnung, dass sich nur ein Elektron entlang des Pfeils bewegt, wird am

Ende des Pfeils nur eine halbe Spitze verwendet.

Nukleophiler Angriff (weit) entfernt vom Atom mit Elektronenabfluß:

ONu Nu

O

BrMe S

SMe

+ Br-

(a)

(b)

Abbildung 73: (a) Das Nukleophil kann am C-Atom der Doppelbindung angreifen anstatt am

Carbonylkohlenstoffatom. Damit wird die Reaktivität durch Konjugation der Doppelbindung vom

Carbonylkohlenstoffatom auf das ungesättigte C-Atom übertragen. Dieses Prinzip nennt man

Vinylogieprinzip. (b) Nukleophiler Angriff auf konjugierte Systeme. Der Elektronenabfluss ist das

Bromidanion, die Stelle höchster Elektrophilie ist am Ende des konjugierten Doppelbindungssystems.

59

Achtung: Bei der Konstruktion von Reaktionsmechanismen muss die Oktettregel bei den Elementen der 2.Periode (B, C, N, O) eingehalten werden.

Intramolekulare Reaktionen:

HSO

A

A

B

B

A

S

OH

BS

OH

Abbildung 74: Verwendung gebogener Pfeile bei intramolekularen Reaktionen

2.3 Carbonylchemie

Chapter 6 in Warren et al.

Die Carbonylgruppe ist durch ihre starke Polarisierung ein gutes Beispiel für

Reaktionen mit Elektrophilen und Nukleophilen. Während die Nukleophilie des

Carbonylsauerstoffs durch seine hohe Elektronegativität gering ist, prägt die starke

Elektrophilie des Carbonylkohlenstoffatoms die Reaktivität dieser funktionellen

Gruppe.

C O

C O

HOMO

LUMO

π

π∗

Abbildung 75: Energiediagramm einer Carbonylgruppe

Im besetzten π-Orbital, dem HOMO, ist die Elektronendichte auf dem Sauerstoff

gegenüber dem Kohlenstoff stark vergrößert. Daher erfolgen nukleophile Angriffe der

Carbonylgruppe immer über den Sauerstoff.

60

Dagegen ist der Orbitallappen im unbesetzten π*-Orbital, dem LUMO, am Kohlenstoff

größer, so dass Nukleophile sich hier anlagern.

Nu O ONu

Elektronen-quelle

Elektronen-abfluss

NuO

Elektronen-quelle

Elektronen-abfluss

H+ O

H

ONu H

Abbildung 76: Nukleophile und elektrophile Reaktionen von Carbonylgruppen.

Fragen:

1. Was versteht man unter Elektronenquelle und Elektronenabfluß?

2. Wie interpretieren Sie diese Begriffe im Rahmen des MO-Modells?

3. Machen Sie sich klar, dass immer, IMMER die Elektronen wandern! Machen Sie

sich auch klar, dass wo Elektronenquelle, auch ein Elektronenabfluß da ist.

4. Zeichnen Sie die gebogenen Pfeile und zeichnen Sie KONSEQUENT (nicht

mogeln!!) die resultierenden Produkte.

5. Denken Sie daran: der Kohlenstoff ist nie fünfbindig.

61

Sechste Vorlesungsstunde

I. Die Carbonylgruppe ist ein wichtiges Elektrophil. Reaktionen von Carbonylgruppen

mit verschiedensten Nukleophilen (C-,N-,O-,S-Nukleophile) werden diskutiert.

II. Die Reaktionen werden in der Hinreaktion als auch in ihrer retrosynthetischen

Zerlegung diskutiert.

Bei der Carbonylgruppe handelt es sich um eine starke elektrophile Einheit. Als

Nukleophile können verschiedenste Spezies angreifen, z.B. C-Nukleophile, O-

Nukleophile, S-Nukleophile oder H-Nukleophile.

2.3.1 Cyanid als C-Nukleophil

Das Cyanid ist ein bekanntes Beispiel für ein C-Nukleophil.

R H

O NaCNH2SO4

H2O

OH

R HNC

OH

NC HR

+

Cyanhydrin

R H

OO

R HNC

H+

N C

OH

R HNC

rac

Abbildung 77: Synthese von Cyanhydrinen und der Mechanismus

Addition an Carbonylverbindungen:

1.) nukleophiler Angriff

2.) Protonierung des resultierenden Anions

Resultat: Knüpfung einer neuen C-C-Bindung

62

Retrosynthese:

R H

NC OH

R H

OH" "

+ CN" " hypothetische oder

reale Vorläufermoleküle

Woraus könnten diese entstanden sein?

Synthetische Äquivalente:

R H

O+ NaCN + Säurekatalyse

Abbildung 78: Retrosynthetische Betrachtung von Cyanhydrinen

Da Cyanhydrine chirale Verbindungen sind, ist eine enantioselektive Synthese

gewünscht. Diese erreicht man mit Hilfe eines chiralen Katalysators.

O

H

R Me3SiCNKatalysator

Ti(O-iPr)4 OSiMe3

H

RCN 5% HF

OHH

RCN

Katalysator: OH

S

NH

MeO

ein Sulfoximin

Ausbeuten: 70-95 %74-91 % ee

Abbildung 79: Stereoselektive Synthese eines Cyanhydrins mit Hilfe eines chiralen Katalysators

(Literaturstelle: C.Bolm, P.Müller; THL 1995, 36, 1625-1628)

2.3.2 H-Nukleophile

O

H-

H- ist nicht nukleophil, sondern reagiert immer als Base:

H- + H X H2 + X-

Abbildung 80: Eigenschaften von freiem H-

Erklärung: 1s ist zu klein, um mit 2π*-LUMO genug Überlappung zu etablieren.

63

Synthetisches Äquivalent: Natriumborhydrid NaBH4

H

B

H

H H

Na

R

O

HB

H

H H+

R H

H O

rac

R H

H O B

H

H

HR

O

H

R H

H O BH2

+

R H

H O

BH2(OCH2R)2 B(OCH2R)4Boronsäureester

Na

Na

Na

Abbildung 81: Reaktion von Natriumborhydrid als synthetisches Äquivalent eines H--Nukleophils mit

einem Aldehyden

Zur Isolierung des Reduktionsprodukts wird der Boronsäureester z.B. mittels

Methanol im Überschuss hydrolysiert.

R H

H O BH4-n

n R´

OHR H

H On + R´ O BH4-n

H

R H

H OHn +

n

R´ O BH4-nn

Abbildung 82: Hydrolyse des Borsäureester-Zwischenprodukts mittels eines Alkohols im Überschuss

zum reduzierten Produkt.

Resultat: Aldehyd wird zum primären Alkohol reduziert.

Keton wird zum sekundären Alkohol reduziert.

rac

R H

H OH

R

O

H

Reduktion

+I -I

64

Retrosynthese:

R H

H OH

R

O

H

H" "

+ " H- " Retrons

R

O

H

NaBH4 Synthetische Äquivalente

Abbildung 83: Retrosynthetische Betrachtung von primären Alkoholen

Es gibt auch andere Reduktionsmittel, z.B. LiAlH4 („LAH“)

2.3.3 Beispiele für Reaktionen von Carbonylverbindungen mit

Reduktionsmitteln (allg.)

MeO H

ONaBH4

H2OMeO H

OH

HO

NaBH4

MeOH

OH

rac

O

NaBH4

i-PrOH

OH

1.

2.

1.

2.

1.

2.

Abbildung 84: Reduktionen von Carbonylverbindungen zu Alkoholen mit Natriumborhydrid

65

R Cl

O

>R O

O

O

>R H

O

>

>R R´

O

R O

O

R O

O

>R O

O

H

R O

O

H

Säurechlorid Säureanhydrid Aldehyd Keton

Ester freie Carbonsäure

>R NR2

O

R NR2

O

Säureamid

>R O

O

R O

O

Carboxylat

Abbildung 85: Reihenfolge der Reaktivitäten von Carbonylfunktionalitäten enthaltenden organischen

Verbindungen. Mit der Reaktivität nimmt auch die Elektrophilie des Carbonylkohlenstoffs ab. Mit

NaBH4 lassen sich noch Ketone reduzieren, nicht aber Ester und die unreaktiveren Verbindungen.

LiAlH4 ist so reaktiv, dass alle Verbindungen zum Alkohol reduziert werden können.

H

O

CH3

O

Benzaldehyd Acetophenon

>>

Abbildung 86: Vergleich der Reaktivität von einem Aldehyden und einem Keton

Benzaldehyd reagiert 400-fach schneller als Acetophenon

2.3.3.1 Reaktivität von Aldehyden

H H

O

Cl3C H

O

>Me H

O

>tBu H

O

>

Chloral Formaldehyd Acetaldehyd Pivalinaldehyd

Abbildung 87: Abstufung der Reaktivität von Aldehydverbindungen. Das unreaktive Verhalten von

Pivalinaldehyd (Trimethylacetaldehyd) erklärt sich vorwiegend durch die sterische Abschirmung des

elektrophilen Carbonylkohlenstoffs durch die tert-Butyl-Gruppe.

66

2.3.3.2 Reaktivität von Ketonen

Ph CH3

O

H3C CH3

O

>Ph Ph

O

>

Aceton Acetophenon Benzophenon

Abbildung 88: Abstufung der Reaktivität von Ketonen. Die Abnahme der Reaktivität in obigen

Beispielen lässt sich durch die Einbindung der Carbonylgruppe in die Konjugation mit den Aromaten

erklären.

2.3.3.3 Abstufung der Reaktivität des Hydridreagenzes

O

O

H

O

Ester

Aldehyd

O

O

H

OH

H

1. NaBH42. EtOH

1. LiAlH42. Hydrolyse

HO H

OH

H

H H

Abbildung 89: Selektive Reduktion eines Aldehyden in Anwesenheit einer Estergruppe

Wegen der Abstufung der Reaktivität ist es möglich, bei Wahl eines geeigneten

Hydridreagenzes selektiv eine funktionelle Gruppe zu reduzieren, während weitere

nicht angegriffen werden.

67

2.3.4 O-Nukleophile

2.3.4.1 H2O

O

H H

+ H2OOH

H H

HOGleichgewichtsreaktion

Mechanismus:O

H H

OH H

O

H H

O

H

H

OH

H

O

H H

HO

H2OH OH

H H

HO

+ H2O

Formaldehyd Hydrat

Abbildung 90: Nukleophiler Angriff eines Wassermoleküls an Formaldehyd zum Monohydrat

Resultat: Addition von H2O an eine Carbonylverbindung zum Hydrat

O

R R

+ H2OOH

R R

HOAllgemein:

KO

R R

OH

R R

HO

K =[H2O]

Abbildung 91: Gleichgewichtsreaktion einer Addition von Wasser an eine Carbonylverbindung

Name Struktur der Carbonylverbindung K

Aceton O

0.001

Acetaldehyd O

H 1.06

Chloral O

Cl3C H 2000

Betäubungsmittel Chloralhydrat ist als Kristall isolierbar.

68

Formaldehyd O

H H 2280

wasserfreies Formaldehyd? → polymeres Paraformaldehyd

HO O OHn

∆CH2O

Hexafluoro-aceton

O

F3C CF3 1200000

Cyclopropanon O

>> 1

Tabelle 14: Verhältnis einiger Carbonylverbindungen zu ihren Hydraten. Die Gleichgewichtskonstante

K gibt an, wie sehr das Gleichgewicht auf der Seite des Hydrats liegt.

Formaldehyd liegt vorwiegend auf der Seite des Hydrats, da hier keine sterische

Hinderung vorliegt, wenn die Bindungswinkel von 120° zu 109° verkleinert werden.

Bei Chloral erklärt sich die große Zahl von K, da der Substituent CCl3 durch

Elektronenzug (-I – Effekt) die Elektrophilie am Carbonylkohlenstoff verstärkt. Beim

Hexafluoroaceton ist dies noch dramatischer.

Kleine zyklische Ketone, z.B. Cyclopropanon, bevorzugen die hydratisierte Form, da

sich hierbei die Ringspannung vermindert. Bei Cyclopropanon sind die inner-

zyklischen Bindungswinkel auf 60° begrenzt, während das sp2-hybridisierte

Carbonylkohlenstoffatom einen Winkel von 120° anstrebt. In der hydratisierten Form

liegt der bevorzugte Winkel bei 109°, wodurch eine Entspannung des Rings

geschieht.

Retrosynthese:

R R

HO OH

R

O

R

H" "

+ " OH " Retrons

R

O

R

H2O Synthetische Äquivalente

69

Chapter 6 und 14 in Warren et al.

2.3.4.2 Alkohole R-OH

1.Schritt: O

R H

O

R H

OH

O

R H

OEtH

H

O Et

O

R H

OEt

H

H

O Et

EtOH OH

R H

OEt HemiacetalHalbacetal

Abbildung 92: Mechanismus der Bildung eines Halbacetals

Die Protonierung bzw Deprotonierung im Mechanismus kann sowohl intra- als auch

intermolekular beschrieben werden.

OH

R1 R3

OR2

Abbildung 93: Struktur eines Halbketals, welches bei der Addition eines Alkohols an ein Keton

gebildet wird.

2.Schritt: (nur im Sauren!!!)

R H

OOH

R´ H+

R H

OOH2

R H

OR´

-H2O

OH

R H

OO

H

R H

OR´OR´

(Voll-)Acetal

Abbildung 94: Weiterreaktion von Halbacetalen in saurem Milieu zum Vollacetal

70

analog:

R R´

OR´´OR´´

Abbildung 95: Struktur eines Ketals, welches in saurem Milieu in der Folgereaktion der

Halbketalbildung entsteht

Resultat: Addition eines Äquivalents Alkohol zum Halbacetal (Halbketal) und im

sauren Addition eines weiteren Äquivalents zum Acetal (Ketal)

Aldehyd AcetalR-OH

H+

Keton KetalR-OH

H+

Abbildung 96: Übersicht der Reaktionen von Carbonylverbindungen mit Alkoholen

2.3.4.2.1 Beispiel 1: Glucose

O

OH

HOHO

HOOH

H

α-D-Glucopyranose

HalbacetalC

OH

HO

OH

OH

CH2OH

O

O

OH

HOHO

HOH

OH

β-D-Glucopyranose

Halbacetal

seco-Form

Abbildung 97: Isomere der D-Glucose. Die zyklischen Isomere besitzen eine Halbacetal-Gruppe

71

2.3.4.2.2 Beispiel 2: Synthese eines Ketals

O

+ ROHTsOH RO OR

+ H2O

TsOH = para-Toluolsulfonsäure

Toluol

S

O

O

HO

(Wasserabscheider verschiebt das Gleichgewicht auf die Produktseite)

Abbildung 98: Synthese eines Ketals mit p-Toluolsulfonsäure als Katalysator

2.3.4.2.3 Beispiel 3: Acetale als Schutzgruppen

O

Cyclohexanon

HOOH+

Ethylenglykol

TsOH

O O

+ H2O

Abbildung 99: Acetalbildung ist entropisch begünstigt. Das Produkt ist basenstabil, wodurch die

Carbonylgruppe geschützt wird.

Eine intramolekulare Reaktion kann bis zu 107-fach schneller verlaufen als eine

intermolekulare Reaktion.

R OH +

O

Dihydropyran rac

THP-EtherTetrahydropyranylether

ORO *

Abbildung 100: Bildung von Tetrahydropyranylethern als Schutzgruppe von Alkoholen

Durch die Verwendung von acetalischen Schutzgruppen lassen sich reaktive

Gruppen schützen, sodass selektiv weniger reaktive Gruppen zur Reaktion gebracht

werden können, während die reaktive Gruppe danach wieder hergestellt wird.

72

CHO

COOCH3

C

COOCH3

O O

H

* C

CH2OH

O O

H

H+/H2O

CHO

CH2OH

a.

HOC2H4OH, H+

b.

LiAlH4

NaBH4

CH2OH

COOCH3

a.

b.

Abbildung 101: Reaktionswege zur selektiven Reduzierung einer Verbindung mit zwei funktionellen

Gruppen. a.) Mit Natriumborhydrid wird nur die Aldehydgruppe zum Alkohol reduziert. Der Ester wird

nicht angegriffen. b.) Nach der Einführung einer acetalischen Schutzgruppe kann die Estergruppe mit

Lithiumaluminiumhydrid selektiv reduziert werden. Nach der Entschützung liegt die Aldehydgruppe

wieder vor.

Retrosynthese:

R H

R´O OR´

R

OR´" "

+ " OR´ " Retrons

R

O+ ROH + H+ Synthetische Äquivalente

Abbildung 102: Retrosynthetische Betrachtung von Acetalen

73

2.3.5 S-Nukleophile

2.3.5.1 Thioalkohole R-SH

O

R H

+HS SH S S

R H

BF3·Et2O

(Bortrifluoridetherat)

Abbildung 103: Reaktion eines Aldehyden mit Propan-1,3-dithiol zu einem Dithioacetal. Diese sind

sehr stabil gegenüber saurer Hydrolyse und somit geeignet als mögliche Schutzgruppe

2.3.5.1.1 Spaltung von Dithioacetalen

SS

OO

H5IO6(=HIO4+2H2O)

OO

O

0°C, THF abs.oder Et2O abs.

Abbildung 104: Selektive Spaltung einer Dithioacetalgruppe in Anwesenheit einer Acetalgruppe, die

nicht angegriffen wird, mit Periodatsäure. Die Reaktion verläuft mit hoher Chemoselektivität und guten

Ausbeuten. (X.Shi et al., THL 37, 4331-4334 (1996))

2.3.5.1.2 Folgereaktionen von Thioacetalen

Reduktion: R CH

S

S R´

Raney-NickelR CH3

74

Deprotonierung:C

S

S

R

H

Bu-LiC

S

S

R

R´XC

S

S

R

O

R

Abbildung 105: Verwendung von Thioacetalen in verschiedenen Synthesen. Bei der Reduktion wird

eine Carbonylgruppe über ein Thioacetal als Zwischenprodukt zum Alkyl reduziert. Die Reaktion über

die Deprotonierung des Thioacetals entspricht der Umpolung einer Carbonylgruppe.

2.3.5.2 Natriumhydrogensulfit

O+ Na HSO3

O S

O

HO

NaO

OSO

O O HNa

HO SO3 Na

Schüttelnim Eisbad

verdünnteSäure

Produktkristallisierbar

Abbildung 106: Bei der Reaktion einer Carbonylverbindung mit Hydrogensulfit entsteht ein

kristallisierbares Produkt

O NaHSO3NaCN HO CN

O NaHSO3 HO SO3 O S

O OOH

O+ HSO3

NC einziges H+

O CNH O

S

O O

HO CNNa2SO3 +

Na Na

~H+

Na

Na

2 Na

Abbildung 107: Bei der Darstellung von Cyanhydrin wird zunächst die Bisulfitverbindung synthetisiert

und getrocknet, bevor das Cyanid zugegeben wird. Der zweite Reaktionsschritt kann gänzlich in

aprotischem Lösungsmittel stattfinden, um zu vermeiden, dass Blausäure entsteht. Das benötigte

Proton liefert das Sulfit.

75

Industrielle Verwendung: O

H H

NaHSO3

Ethanol HO SO3 Na

Abbildung 108: Die Umsetzung von Natriumhydrogensulfit mir Formaldehyd liefert ein kristallines

Produkt. Das Zn-Salz dieser Verbindung wird in der Textilindustrie als Reduktionsmittel verwendet.

Medizinische Verwendung:

SOO

H2N NH2

HO SO3

NaS

OO

H2N NH

SO3

Na

Abbildung 109: Bei der Ausgangsverbindung handelt es sich um das Antilepramittel Dapson, welches

wasserunlöslich ist. Durch Anlagerung der Bisulfitverbindung entsteht ein wasserlöslicher Prodrug, der

dem Patienten verabreicht werden kann und im Körper das Dapson freisetzt.

2.3.6 N-Nukleophile

Chapter 14 in Warren et al.

2.3.6.1 Primäre Amine

C O R NH2+H+

C

OH

NHR

C N

R

Halbaminaloder Hemiaminal

Imin

-H2O

O

N R

H H

O

NR

H H

H+HO

NH

R

H+H2O

NH

R

- H2ON

R

H- H+

C N

R

Abbildung 110: Allgemeine säurekatalysierte Reaktion einer Carbonylverbindung mit einem primären

Amin über das Zwischenprodukt des Halbaminals (vgl. Halbacetal) zum Produkt Imin und der

Mechanismus

76

Die Reaktion (Abbildung 110) lässt sich in die folgenden Schritte einteilen:

1. Protonierung von CO

2. Addition des Amins

3. Deprotonierung des Amins

4. säurekatalysierte H2O-Abspaltung

Als Produkt erhält man das Imin. Für R=H kann man die C=NH-Gruppe als Stickstoff-

Analogon zur Carbonylgruppe betrachten. Entspricht R einer organischen Gruppe,

redet man von substituierten Iminen bzw. von einer Schiffschen Base.

Die meisten Imine, vor allem aber unsubstituierte, sind ziemlich unbeständig und

hydrolysieren leicht zurück zum Amin und der Carbonylverbindung. Stabile Imine

erhält man, wenn das Kohlenstoff- oder das Stickstoffatom mit einer Phenylgruppe

substituiert ist, da somit ein konjugiertes System entsteht (Abbildung 111). Außerdem

kann die Reaktion auf die Iminseite verschoben werden, wenn das gebildete H2O von

der Reaktionslösung entfernt wird, z.B. mit einem Wasserabscheider.

CHO + NH2

HC N

+ H2O

Abbildung 111: Durch Konjugation wird das gebildete Imin stabilisiert.

Anstelle von primären Aminen kann man auch folgende Edukte verwenden:

H2N OH N

OHHydroxylamin Oxim

H2N NH2

Hydrazin

N

NH2

+ N

NHydrazon

NO2HN

O2N

H2N 2,4-Dinitrophenylhydrazin(Derivat des Hydrazin, welches früher in der Analytik verwendet wurde, da sich die Hydrazone gut kristallisieren lassen

Abbildung 112: Beispiele weiterer N-Nukleophile und ihrer Produkte aus der Reaktion mit Carbonyl-

verbindungen

77

2.3.6.2 Sekundäre Amine

Bei der Reaktion von Carbonylverbindungen mit sekundären Aminen können sich

Immonium-Ionen und Enamine bilden. Enamine sind die Stickstoffanalogen der

Enole. OH

Enol

NH2

Enamin

Abbildung 113: Struktur eines Enols und eines Enamins

Enamine sind im Allgemeinen wie die Enole instabil und wandeln sich daher in das

tautomere Imin um.

NH

N

Enamin Imin

Abbildung 114: Imin-Enamin-Tautomerie

Ist der Stickstoff eines Enamins tertiär kann diese Tautomerie nicht auftreten und das

Enamin lässt sich isolieren.

78

O

+ H+

OH

+ R2NH

HO NHR2

~H+

H2O NR2NR2

-H2O

H

- H+

NR2

Immonium-IonEnamin

Abbildung 115: Mechanismus der säurekatalysierten Enaminsynthese. Als Zwischenprodukt entsteht

ein Immonium-Ion, welches bei fehlendem β-H-Atom als Endstufe der Reaktion entsteht.

Beachte: Das β-C-Atom eines Enamins entspricht dem α-C-Atom einer

Carbonylverbindung!

Fragen:

1. Weshalb kann man mit H - nicht direkt nukleophil an einem Kohlenstoff angreifen?

2. Sie kennen die Reaktivität von Carbonylgruppen enthaltenden funktionellen

Gruppen und können deren relative Elektrophilie erklären.

3. Erklären Sie die Lage des Gleichgewichts der Addition von H2O an eine

Carbonylverbindung für Aceton, Acetaldehyd, Formaldehyd, Chloral,

Hexafluoroaceton und Cyclopropanon..

4. Wie kommen Sie von einem Halbacetal zu einem Acetal. Benennen Sie wichtige

Halbacetale.

5. Wie unterscheiden sich die Produkte der Umsetzung von Carbonylverbindungen

mit primären, sekundären und tertiären Aminen.

79

Siebte Vorlesungsstunde

I. Neben dem Cyanidion gibt es auch C-Nukleophile, sogenannte metallorganische

Verbindungen. Sie lernen Grignardverbindungen und Organolithiumverbindungen

kennen..

II. Sie lernen verschiedene Methoden kennen, mit deren Hilfe

Organolithiumverbindungen hergestellt werden können.

III. Als Carbonylelektrophile, die mit metallorganischen Verbindungen reagieren

können, stehen CO2, Ester, Ketone, und Aldehyde zur Verfügung. Sie lernen die

resultierenden Produkte kennen.

IV. Der Mechanismus der Bildung einer Grignardverbindung wird kurz diskutiert.

2.3.7 Metallorganische Verbindungen als C-Nukleophile

Chapter 9 in Warren et al.

Metallorganische Verbindungen haben eine große Bedeutung bei der Bildung von C–

C-Bindungen. Die wesentlichen Reaktionen finden entweder mit Organolithium-

(Abbildung 119) oder mit Grignardverbindungen (Abbildung 117) statt.

Organometallverbindungen besitzen polare C–M-Bindungen (M = Metall):

O

CH H

EN = 3.5

EN = 2.5

Li

CH H

H

EN = 1.0

EN = 2.5

R Li

R MgX

R

R

+ Li

+ MgX

Abbildung 116: Vergleich der Elektronegativitäten bei Organometall- und Carbonylverbindungen und

Aufzeigen der Polarisierung der C–M-Bindung

80

2.3.7.1 Grignardreaktion

O

MgBr

2. H+, H2O

1. HO

90 % Ausbeute, rac

, Ether

O

BrMg

O MgBr

H+

OH

Abbildung 117: Addition der Grignardverbindung des Brombenzol an Butan-2-on

Präparation von Grignardreagenzien:

BrMg, THF

MgBr

Insertion von Mg in eine C-X-Bindung:

Mg(0) Mg(+II) Oxidative Addition

R X

Mg

R MgX

Mechanismus:

Abbildung 118: Mechanismus der Präparation von Grignardverbindungen

Bei der Präparation des Grignardreagenzes handelt es sich um eine heftige

Oberflächenreaktion. Zumeist aber startet sie nicht, da die Magnesiumoberfläche

durch Oxidation deaktiviert ist. Durch Zugabe von 1,2-Diiodethan oder in einem

Ultraschallbad kann die Oberfläche aktiviert werden.

81

2.3.7.2 Organolithiumverbindungen

O

Li1.

2. H+, H2O

HO

89 % Ausbeute

+ LiOH

Abbildung 119: Addition von Butyllithium an Cyclohexanon

Präparation der Organolithiumverbindungen:

MeCl2 Li, Et2O

MeLi + LiCl

Br

OMe

2 Li, Et2O

Li

OMe

+ LiBr

Abbildung 120: Darstellung von Organolithiumverbindungen mit elementarem Lithium und

Diethylether als Lösungsmittel

2.3.7.3 Lösungsmittel für Reaktionen mit metallorganischen Verbindungen

O

THF (Tetrahydrofuran)

ODiethylether (Ether)

OO Dioxan

OO Dimethoxyethan (DME)

1. Ether sind unreaktiv

2. Grignardverbindungen lösen sich in Ether

RMg

X

O O

Abbildung 121: Strukturen verwendeter Lösungsmittel in Grignardreaktionen und ihre Eigenschaften

82

2.3.7.4 Kommerziell erhältliche Organolithium- und Grignardreagenzien

Me Li

Li

Li

Li

Methyllithium

n-Butyllithium

sec-Butyllithium

tert-Butyllithium

Me MgX

Et MgBr

Bu MgCl

MgX

MgX

Methylmagnesiumhalogenid(X = Cl, Br, I)Ethylmagnesiumbromid

Butylmagnesiumchlorid

Allylmagnesiumhalogenid(X = Cl, Br)

Phenylmagnesiumhalogenid(X = Cl, Br)

Abbildung 122: Auflistung einiger kommerziell erhältlicher organometallischer Verbindungen

2.3.7.5 Basizität der Organometallverbindungen

MgBrH+

+ Mg2+ + Br-

Abbildung 123: Organometallverbindungen reagieren in protischen Lösungsmitteln mit einem Proton

zur organischen Verbindung und dem Metallsalz. Daher müssen diese Reaktionen wasserfrei

gehalten werden.

Alkine sind azide genug (pKs ca. 25), um durch Organometallverbindungen (oder

durch Natriumamid NaNH2) deprotoniert zu werden. Dadurch lassen sich die

Metallverbindungen der Alkine synthetisieren.

Me H + EtMgBrTHF

20 °CMe MgBr + Ethan

Propin

MeTHF

Me Li

Propin

H H + NaNH2-78 °C

H C Na + NH3

Ethin

BuLiO1.

2. H2O

OH

rac

Abbildung 124: Deprotonierung einiger Alkine mit Organometallverbindungen

83

Die Alkinmetallverbindungen spielen eine wichtige Rolle in der Synthese biologisch-

relevanter Verbindungen, z.B. Hormonen.

HO

OMe

H

HH

Li1.

2. H+, H2O

HO

OHMe

H

HH

Östron Ethinylöstradiol

Abbildung 125: Addition von Ethinyllithium an die Carbonylgruppe des weiblichen Hormons Östron

zur Synthese der empfängnisverhütenden Verbindung Ethinylöstradiol

2.3.7.6 Ortholithiierung

Bei der Ortholithiierung wird an einem Aromaten in ortho-Position zu einer

funktionellen Gruppe, die ein Sauerstoffatom (manchmal auch ein Stickstoffatom)

beinhaltet, das Proton durch ein Lithiumatom substituiert.

OMe

BuLi20 °C

O

H

Li

Bu OMe

Li+ BuH

Abbildung 126: Mechanismus der Ortholithiierung

Das Sauerstoffatom der funktionellen Gruppe komplexiert das Lewis-azide Lithium-

atom und bewirkt dadurch die Deprotonierung in ortho-Position.

2.3.7.7 Halogen-Metall-Austausch

Beim Halogen-Metall-Austausch wird an einer alkylischen oder arylischen Halogen-

verbindung das Halogenatom durch ein Lithiumatom aus einer Organolithium-

verbindung ausgetauscht.

84

BrBuLi

Li

+ BuBr

Abbildung 127: Reaktion des Halogen-Metall-Austauschs. Das Bromoniumkation wird durch das

Butyllithium abgespalten und durch das Lithiumkation ersetzt. Das gebildete metallorganische Produkt

ist weniger basisch als die Ausgangsverbindung.

Als Halogenide können sowohl Chloride, Bromide als auch Iodide verwendet werden,

während die Reaktionen mit Bromid und Iodid am schnellsten verlaufen.

2.3.7.8 Transmetallierung

Da Organolithiumverbindungen zumeist sehr reaktiv und stark basisch sind, können

sie unerwünschte Nebenreaktionen verursachen. Daher ist es hilfreich, durch Trans-

metallierung weniger reaktive Organometallverbindungen darzustellen.

R MgBr + LiBr R Li R CeCl2 + LiClMgBr2

THF

CeCl3

THF

Abbildung 128: Transmetallierung einer Organolithiumverbindung zu einer Grignard- oder einer

Organocerverbindung

Beispiel der unterschiedlichen Reaktivitäten:

OMe

OMe

O

H H

Li

OMe

OMe

O

H Li

+ Ethin

Organolithiumverbindung

85

MeO

MeO

O

Li

CeCl3

Cl2Ce + LiCl

MeO

MeO

OH2O

MeO

MeO

OH

85 % Ausbeute

Daunorubicin oderAdriamycin

Transmetallierung zu einer Organocerverbindung

Abbildung 129: Während die Organolithiumverbindung das Edukt zum Enolat deprotoniert, addiert

sich das weniger basische Cerreagenz an die Carbonylgruppe. Dies ist ein Syntheseschritt der

Darstellung der Naturstoffe Daunorubicin und Adriamycin

2.3.7.9 Synthese organischer Moleküle mittels Organometallverbindungen

2.3.7.9.1 Synthese von Carbonsäuren

Organometallverbindungen können auch leicht in Carbonsäuren überführt werden.

Dafür wird einfach festes Kohlendioxid zu einer Lösung einer Organolithium- oder

Grignardverbindung in THF oder Ether gegeben. Dabei entsteht eine Carbonsäure

mit einem Kohlenstoffatom mehr als die organometallische Ausgangsverbindung.

R MgBr1.CO2, Et2O

2.H+, H2O

O

R OH

BrMg

R

O C O O

R O

H+

MgBr

Abbildung 130: Reaktion einer Grignardverbindung mit Kohlendioxid in Ether unter Bildung einer

Carbonsäure

86

Die Carbonsäuresynthese mittels einer Organometallreaktion verläuft über 3 Stufen.

Zunächst wird die Organometallverbindung dargestellt gefolgt von der CO2-

Analgerung. Die wässrige Aufarbeitung protoniert das Carboxylat. Jede der Stufen

muss erst beendet werden, bevor die nächste beginnen kann. Bei den ersten beiden

Schritten muss vollständig auf Wasserausschluss geachtet werden.

Beispielreaktionen:

Cl

Mg

Ether abs.

ClMg

1. CO2

2.H+, H2OHOOC

oxidativeInsertion

Me

O OMe

t-BuLiEther abs.

Ortholithiierung

Me

O OMe

Li1. CO2

2.H+, H2O

Me

O OMe

COOH

70% Ausbeute

90% Ausbeute

Abbildung 131: Synthese von Carbonsäuren über Organometallverbindungen. Die Ortholithiierung

findet aus sterischen und stereoelektronischen Gründen in para-Stellung zur Methylgruppe statt.

2.3.7.9.2 Synthese primärer Alkohole

Durch Reaktion von Organometallverbindungen mit Formaldehyd erhält man primäre

Alkohole. Cl

Mg, Et2O

MgCl1.CH2O

2.H+, H2O

OH

MgCl

O CH2

O

MgCl

H+

Abbildung 132: Synthese primärer Alkohol mittels einer Grignardverbindung und Formaldehyd

87

2.3.7.9.3 Synthese sekundärer (tertiärer) Alkohole

Aldehyde reagieren mit Organometallverbindungen zu sekundären Alkoholen. O

R1 H

1.R2MgBr

2.H+, H2O

OH

R1 R2

BrMg

R2O

R1 H

O

R1 R2

H

H+

MgBr

Abbildung 133: Synthese sekundärer Alkohole bei der Umsetzung einer Grignardverbindung mit

einem Aldehyd

Analog zur Reaktion in Abbildung 133 können mit Ketonen tertiäre Alkohole

dargestellt werden.

2.3.7.9.4 Zusammenfassung

Bei der Addition von Organometallverbindungen an Carbonyle wird die Oxidations-

stufe um eins erniedrigt.

• Addition an CO2 ergibt eine Carbonsäure

• Addition an Formaldehyd ergibt einen primären Alkohol

• Addition an einen Aldehyden ergibt einen sekundären Alkohol

• Addition an ein Keton ergibt einen tertiären Alkohol

2.3.7.10 Mechanismus der Addition von Organometall- an Carbonyl-

verbindungen

Der Mechanismus dieser Reaktionen ist unbekannt. Die Rolle des Metallatoms kann

nicht definiert werden. Nach der heterolytischen Spaltung der C–M-Bindung wird das

Metallkation einfach an den anionischen Sauerstoff koordiniert. Dieses wird dann bei

der Aufarbeitung durch ein Proton ersetzt und als Metallsalz abgetrennt.

Wahrscheinlich trägt das Metallatom in der metallorganischen Verbindung die Rolle

einer Lewis-Säure, die die Carbonylgruppe aktiviert bzw. die Reaktion katalysiert.

88

Verschiedene Mechanismen werden diskutiert:

Mechanistischer Vorschlag 1: Br

Mg

R

O

R

O

BrMg

R

O MgBr

möglicher Übergangszustand: Br

Mg O

R4-gliedriger Ring (?)

Abbildung 134: Mechanistische Betrachtung der Grignardreaktion mit dem Übergangszustand eines

4-Rings. Im Übergangszustand werden gleichzeitig Bindungen gebrochen und neue aufgebaut.

Mechanistischer Vorschlag 2:

O

R

MgBr

Br

Mg

R

O

RMgBr

BrMg

R

O

RMgBr2

Mg

R

Abbildung 135: Alternative Betrachtung, wobei zwei Grignardmoleküle involviert sind. Der

Übergangszustand ist ein 6-Ring.

Fragen:

1. Wie stellen Sie Grignardverbindungen her? Wie stellen Sie

Organolithiumverbindungen her?

2. Welche Lösungsmittel verwenden Sie und weshalb?.

3. Was versteht man unter Ortholithiierung?

4. Was versteht man unter Transmetallierung?

5. Wie erhalten Sie primäre, sekundäre und tertiäre Alkohole in einer

Grignardreaktion? Wie erhalten Sie Carbonsäuren?

89

Achte Vorlesungsstunde

I. Neben den Grignardverbindungen und Organolithiumverbindungen gibt es auch die

Wittigreagenzien, in denen der Kohlenstoff als Nukleophil reagiert.

II. In dieser Vorlesungsstunde wird die Wittigreaktion im Detail diskutiert, um Ihnen

die Mächtigkeit der Diskussion von Reaktionskoordinaten, kinetischer und

thermodynamischer Kontrolle von Reaktionen vor Augen zu führen.

III. Wir führen Sie in die Bildung und Reaktion von Enolen und Enolaten ein. Enolate

stellen wichtige C-Nukleophile dar, deren Chemie wir in den verbleibenden

Vorlesungsstunden besprechen werden (Stichwort Aldolchemie).

2.3.8 Wittig-Reaktion

Chapter 31 in Warren et al.

Bei der Wittig-Reaktion wird eine Carbonylgruppe in eine C=C-Doppelbindung

überführt. Somit können zwei organische Verbindungen durch eine Doppelbindung

verknüpft werden.

2.3.8.1 Einführung

OPh3P CH2

O

CH2

PPh3

+ Ph3PO

86% AusbeutezyklischesOxaphosphetan

Abbildung 136: Grundschema der Wittig-Reaktion

Entscheidend für die Reaktion ist das Wittig-Reagenz. Dieses wird aus einem

Phosphan gewonnen. Nach Deprotonierung an einem dem Phosphor benachbarten

Kohlenstoffatom erhält man ein C-Nukleophil, genannt Ylid. Dieses lagert sich an den

elektrophilen Carbonylkohlenstoff, während der Phosphor mit dem Carbonyl-

sauerstoff eine Bindung eingeht. In-situ bildet sich dadurch ein zyklisches

Oxaphosphetan. Dieses zerfällt sofort zum thermodynamisch stark begünstigten

90

Phosphinoxid und der neuen organischen Verbindung. Die Bildung des

Phosphinoxids ist die treibende Kraft der Reaktion.

2.3.8.2 Darstellung des Wittig-Reagenzes bzw. des Ylids:

Br

PPh3

H

PPh3

Br

azides Proton

PPh3 PPh3

BuLi

Phosphoniumsalz Ylid Phosphoran

Abbildung 137: Synthese des Wittig-Reagenzes: Triphenylphosphin substituiert das Halogenatom

eines Alkylhalogenids zum Phosphoniumsalz. Dies trägt in direkter Nachbarschaft ein azides Proton,

welches durch eine starke Base abgespalten wird. Somit erhält man das Ylid, das auch als

Phosphoran geschrieben werden kann.

Ylide können isoliert werden, aber zumeist werden sie gleich mit einem Aldehyd oder

Keton umgesetzt.

2.3.8.3 Mechanismus

PPh3

H

Ph

O

Ph3P

CHPh

O

Oxaphosphetan-Intermediat

Ph

O PPh3+

65% Ausbeute

Abbildung 138: Mechanismus der Wittig-Reaktion

2.3.8.4 Stereoselektivität

Bei der Wittig-Reaktion wird eine neue stereogene Einheit erzeugt, eine

Doppelbindung. Die Reaktionen verlaufen auch mit einer ausgeprägten

Stereoselektivität. Diese hängt vom Substituenten des Kohlenstoffatoms am Ylid ab.

91

PPh3

n-C13H27CHO

11

91% Ausbeute, alles Z

EtO

O

PPH3+

OHC

OO

OO

EtO2C

96% Ausbeute, alles E

Abbildung 139: Beispiele einer Z-selektiven und einer E-selektiven Wittig-Reaktion

• mit stabilisierten Yliden ist die Wittig-Reaktion E-selektiv

• mit unstabilisierten Yliden ist die Wittig-Reaktion Z-selektiv

RPPh3

O

RPPh3

O

R = H, OR, Alkyl

stabilisiertes Ylid unstabilisiertes Ylid

R PPh3

R = Alkyl

Abbildung 140: Strukturmerkmal eines stabilisierten und eines unstabilisierten Ylids

Wie lässt sich diese Stereoselektivität erklären?

PPh3

H R´

O

H R

OHR

Ph3P

H R´

O PPh3

R R´

RR´

OHR

Ph3P

R´ H

O PPh3

R R´

R R´

+

transcis

∆G0‡E1 ∆G0‡

E2

∆G0E

∆G0Z

∆G0‡Z1

∆G0‡Z2

RKT

∆G

Z-Produkt E-Produkt

Abbildung 141: Energiediagramm der Wittig-Reaktion zu den Konstitutionsisomeren, dem Z- und

dem E-Produkt

92

- kinetische Reaktionskontrollebevorzugt Z-Produkt- thermodynamische Reaktionskontrollebevorzugt E-Produkt

∆GE0 < ∆GZ

0 ⇒ E-Produkt ist stabiler

∆GZ10‡ < ∆GE1

0‡

∆GZ20‡ ≈ ∆GE2

0‡

∆GZ20‡ << ∆GZ1

0‡

∆GE20‡ << ∆GE1

0‡

⇒ Thermodynamische Reaktionskontrolle (reversibel)

Was ist das stabilere Produkt?

Kinetische Reaktionskontrolle (irreversibel)

Was benötigt die geringere Aktivierungsenthalpie ∆G0‡?

Beim unstabilisierten Ylid haben wir einen irreversiblen Schritt, so dass die Reaktion

kinetisch-kontrolliert verläuft.

R1 PPh3 R2CHOOPh3P

R1 R2R1 R2

Abbildung 142: Für unstabilisierte Ylide verläuft die Reaktion irreversibel

Die Bildung des Oxaphosphetans verläuft irreversibel, da das Ylid nicht stabilisiert

wird. Der zweite Schritt, der Zerfall des Oxaphosphetans erfolgt stereospezifisch. Aus

dem cis-Oxaphosphetan kann nur das Z-Produkt entstehen.

Warum verläuft die Anlagerung des Ylids an die Carbonylgruppe rechtwinklig?

C O

LUMO derCarbonylverbindung

HOMO desYlids

C

P

Abbildung 143: Darstellung der reagierenden Molekülorbitale während der Oxaphosphetanbildung.

Orbitale gleichen Vorzeichens können in Wechselwirkung miteinander treten, während Orbitale mit

entgegengesetztem Vorzeichen sich abstoßen.

Durch die rechtwinklige Annäherung des HOMOs vom Ylid an das LUMO der

Carbonylgruppe wird eine größtmögliche Überlappung erreicht.

93

Warum ist die Bildung des cis-Oxaphosphetans bevorzugt?

PPh3

H R´

+

O

H R

OH

R

Ph3P

H R´

O PPh3

R R´

RR´

Ph3P O

OH

R

Ph3P

R´ H

O PPh3

R R´Ph3P O

große Substituentengehen sich aus dem Weg

R R´

Aufspaltung derC-C-Bindungheterolytisch undRotation

trans

cis

Abbildung 144: Mechanismen der Wittig-Reaktion stabilisierter und unstabilisierter Ylide

Das Gleichgewicht zwischen den diastereomeren Oxaphosphetanen liegt aus

sterischen Gründen auf Seiten der trans-Verbindung. Jedoch ist der Übergangs-

zustand, der zur cis-Verbindung führt, sterisch bevorzugt. Stabilisierte Ylide

ermöglichen die Gleichgewichtseinstellung zwischen den diastereomeren

Oxaphosphetanen, da sie das intermediäre Carbanion stabilisieren. Verwendet man

ein unstabilisiertes Ylid so bildet sich aus kinetischen Gründen das cis-

Oxaphosphetan, das gleich zum Z-Produkt abreagiert. Das Oxaphosphetan kann

nicht zur trans-Verbindung isomerisieren da die Zwischenstufe dieser Isomerisierung

nicht stabilisiert wird.

Mechanismus der cis/trans-Isomerisierung: stabilisiertes Ylid:

O PPh3

RCarbonyl

O

O PPh3

RCarbonyl

O

O PPh3

RCarbonyl

R´O

O PPh3

RCarbonyl

O

Rotation!

Abbildung 145: Bei der heterolytischen Spaltung der C–C-Bindung entsteht ein Carbanion, welches

sich im Falle eines stabilisierten Ylids als Enolat stabilisieren kann. Durch Rotation erhält man nun ein

trans-Intermediat, das sich dann zum trans-Oxaphosphetan zyklisiert.

94

Arbeitet man also unter reversiblen Bedingungen, so kann sich das cis-

Oxaphosphetan in sein trans-Isomer umwandeln und man erhält das

thermodynamisch-bevorzugte E-Produkt.

2.4 Bildung und Reaktion von Enolen und Enolaten

Chapter 21 in Warren et al.

Im NMR-Spektrum von Dimedon findet man zwei Verbindungen:

O O O OH

70 % 30 %

Dimedon (5,5-Dimethoxycyclohexan-1,3-dion)

Abbildung 146: Tautomere des Dimedon im Verhältnis Keto : Enol 7:3

2.4.1 Keto-Enol-Tautomerie

O OH

0.001 %

Aceton: Cyclohexanon: O OH

0.02 %

Abbildung 147: Tautomere von Aceton und von Cyclohexanon

2.4.2 Lage des Gleichgewichts

Aus dem Vergleich von Keto- und Enol-Form geht hervor, dass die Keto-Form um ca.

40 kJ/mol stabiler ist. Dies erklärt auch den Unterschied beim Aceton, wo die Enol-

Form nur zu 0.001 % vorliegt.

95

E

Keto

Enol

O

H

OH

Keto Enol

C O 720 kJ/molC H 440 kJ/mol

C C 620 kJ/molO H 500 kJ/mol

Σ 1160 kJ/mol 1120 kJ/mol

Bindungsstärken:

Abbildung 148: Energetischer Vergleich der Keto- und der Enol-Form. Die Werte der

Bindungsstärken sind aus Warren et al.

2.4.3 Katalyse

Enolisierung wird durch allgemeine Säure-Base-Katalyse beschleunigt!!!

1.) Säurekatalyse

O

HH

H O

H

HProtonierung desCarbonyl-Sauerstoffs O

HH

H

O

H

H

Abspalten einesProtons vom α-C O

H

H

+ H3O

Abbildung 149: Mechanismus der säurekatalysierten Enolisierung

2.) Basenkatalyse

O

HH

O H

O

H

H O

H

Enolat

OH

H

+ HO

Abspalten einesProtons vom α-C

Abbildung 150: Mechanismus der basenkatalysierten Enolisierung

96

2.4.4 Azidität

Grundfrage: Welches Tautomer ist saurer? Keto-

O

HH

OH

H

Enol-

Deprotonierung

O

H

O

H

Enolat

Keto-

Enol-

∆G0Keto

∆G0Enol

E

Abbildung 151: Vergleich der Azidität zwischen der Keto- und der Enol-Form

Durch Deprotonierung beider Tautomere kommt man zum gemeinsamen Produkt,

dem Enolat. Die Enol-Form ist energetisch ungünstiger, wodurch der Energiegewinn

größer ist (|∆G0Enol| > |∆G0

Keto|). Das erklärt die größere Azidität der Enol-Form.

2.4.5 Struktur des Enolats

Grundfrage: Wie sollen wir Enolat beschreiben?

O

H

α-C

Oxianion

O

H

Carbanion

Abbildung 152: Mesomeren Grenzformeln des Enolats. Lokalisiert man die negative Ladung am

Sauerstoff so spricht man vom Oxianion bzw. am Kohlenstoff von einem Carbanion

97

Diese Beschreibung ist analog zum Allylsystem:

HOMO

O O

HOMO

Allylsystem Enolatsystem

Elektronendichteam α-C größer

Abbildung 153: Analogie zwischen einem Allylsystem und einem Enolatsystem. Während im

Allylsystem die Elektronendichte symmetrisch verteilt ist, liegt sie beim Enolat im niedrigen π-MO auf

dem Sauerstoff und im HOMO auf dem α-Kohlenstoff.

Fragen:

1. Wie stellt man ein Wittigreagenz her?

2. Welche Regeln für die Stereoselektivität der Wittigreaktion kennen Sie?

3. Wie können Sie ein Enol erzeugen? Wie können Sie ein Enolat erzeugen?

4. Ist eine Ketoverbindung oder eine Enolverbindung acider? Merken Sie sich das

Prinzip der Erklärung, es lässt sich auf viele Fragestellungen anwenden!

5. Wie können Sie im MO-Modell das Enolat beschreiben?

98

Neunte Vorlesungsstunde

I. Wir diskutieren, wie ein Enolatanion als C-Nukleophil in Reaktionen eingesetzt

wird.

II. Dabei werden zunächst die Alkylierung, also die Umsetzung mit einer R-X

Verbindung besprochen (hierbei steht X für entweder ein Halogen oder auch eine

andere Abgangsgruppe).

III. Dabei führen wir in das Konzept der C- und der O-Alkylierung von Enolaten ein.

IV. Wir diskutieren das Konzept der kinetisch-kontrollierten und der

thermodynamisch-kontrollierten Enolatbildung.

V. Wir führen Enolatanaloga ein, die das Problem der C- bzw. O-Alkylierung bzw. das

Problem der Regioselektivität lösen können.

2.4.6 Chemie des Enolatanions

Chapter 26 in Warren et al.

Enole des Methylethylketons:

OH+

OH OH

+

Z

OH

+

E

Säurekatalysiert:

O OHO O

+

Z

O

+

E

Basenkatalysiert:

Abbildung 154: Produkte der säure- oder basenkatalysierten Enolisierung von Methylethylketon

99

Mögliche Basen:

1. NaOEt in EtOH und unter Rückfluss

⇒ thermodynamisch-kontrollierte Enolatbildung

2. Lithiumdiisopropylamid (LDA) in etherischem Lösungsmittel (THF, Et2O)

bei -78 °C

LDA:

N Li

Abbildung 155: Struktur des Lithiumdiisopropylamids (LDA)

⇒ kinetisch-kontrollierte Enolatbildung

Welche Bedingungen, welche Kontrolle?

hohe Temperatur ⇒ thermodynamische Kontrolle

niedrige Temperatur ⇒ kinetische Kontrolle

Thermodynamisches Produkt:

OHOH

+

Abbildung 156: Produkte der thermodynamisch kontrollierten Enolbildung des Methylethylketons

Die Enole mit der höher-substituierten Doppelbindung sind die thermodynamischen

Produkte.

Kinetisches Produkt: OH

Abbildung 157: Produkt der kinetisch kontrollierten Enolbildung des Methylethylketons

Das Enol mit der niedriger-substituierten Doppelbindung ist das kinetische Produkt.

100

Frage: Wie kann man die thermodynamische Stabilität der Enole bestimmen?

Lösung: Man betrachtet die Hydrierungsenthalpien der analogen Butene 15,16

und 17 zum Butan 18.

15 16 17

H2

18

Abbildung 158: Hydrierung der drei isomeren Butene zum Butan

16 ist stabiler als 17, ist stabiler als 15.

Beispiele:

O

H

LDA

-78 °C

O

O

H NaOEt/EtOH

Rückfluss

O O

+

Abbildung 159: Beispiele für eine kinetisch- und eine thermodynamisch-kontrollierte Enolatbildung

Warum ist die Deprotonierung der Methylgruppe kinetisch-bevorzugt gegenüber der

Deprotonierung der Methylengruppe?

1. Methyl-Protonen sind weniger stark abgeschirmt als die Methylen-Protonen

(sterischer Effekt)

2. 3 Protonen am Methyl-Kohlenstoff und nur 2 Protonen am Methylen-

Kohlenstoff (statistischer Einfluss)

Gleichgewichtseinstellung mit Natriumethanolat in Ethanol:

EtO- Base

EtOH konjugierte Säure

⇒ thermodynamisches Gleichgewicht der stabilen Enolate

101

Wie azide sind Protonen in verschiedenen organischen Verbindungen?

O

OH

pKa

5O O

HDeprotonierung

9

pKa

OH 18

O

H

20

O

O

H

25

O O

O

HO

O

O

O

H

11

13

Butan 38-40

LDA 36

Acetonitril 25

H

NC

O

O9

H

NO2

9

H

O2N NO24

Abbildung 160: pKa-Werte ausgewählter organischer Verbindungen

2.4.6.1 C-Alkylierung

O 1. Base

R X

O

R

+

O

+

R

O

R19 20 ent-20

Produkte der C-Alkylierung

2.

Abbildung 161: Produkte der C-Alkylierung der Enolate des Methylethylketons. ( X = Cl, Br, I oder

Pseudohalogenid)

102

O

H

B

O

R X

O

R

+ BH + X

Abbildung 162: Mechanismus der C-Alkylierung von Enolaten unter kinetischer Kontrolle

2.4.6.2 O-Alkylierung

O1. Base

R X

O

+

O

+

O

21 22-Z 22-E

Produkte der O-Alkylierung

R R R

2.

Abbildung 163: Produkte der O-Alkylierung der Enolate des Methylethylketons

2.4.6.3 Vergleich der C- und O-Alkylierung

Wegen dieser Chemoselektivität gehören Enolate zu den ambiphilen Nukleophilen.

O O

Abbildung 164: Mesomeren Grenzformeln des Enolatanions

103

Was bestimmt die Chemoselektivität?

Als Erklärung kann das HSAB-Prinzip (Hard and Soft Acids and Bases)

herangezogen werden:

O O

harte Lewis-Base

weiche Lewis-Base

Abbildung 165: Lewis-basischen Eigenschaften der mesomeren Grenzformeln des Enolatanions

O-Position: hartes Nukleophil, SN1-Mechanismus

C-Position: weiches Nukleophil, SN2-Mechanismus

Typische Elektrophile:

O: (CH3)3SiCl(TMS-Cl,Trimethylsilylchlorid)

O

R Cl

O

R O R

O

hart

Produkte

OTMS

Silylenolether

O

O

R

Enolester

C: Alkyliodide (R-I)Alkylbromide (R-Br) weich

Abbildung 166: Beispiele typischer Elektrophile für O- oder C-Alkylierung eines Enolats

⇒ hartes Nukleophil reagiert mit hartem Elektrophil

weiches Nukleophil reagiert mit weichem Elektrophil

104

Beispiel:

OEt

O O

H

B

K2CO3

LöMi,100°CnBu-X OEt

O O

Bu

C-Alkylierung:

OEt

O O

O-Alkylierung:

Bu

Stereochemieunbestimmt

OEt

O OK+

O-Alkylierung

C-Alkylierung

Abbildung 167: Beispielreaktion zur Selektivität der Alkylierung eines Enolatanions. Durch Wahl des

Lösungsmittels (LM) und des Halogenids X lässt sich die Selektivität dirigieren (siehe Tabelle 15)

LöMi X C-Alkylierung O-Alkylierung Dimethylformamid

(DMF) Cl 54 % 46 %

DMF I 99 % 1 % Aceton Cl 90 % 10 %

Tabelle 15: Selektivität der Alkylierung bei verschiedenen Bedingungen

DMF O

(Me)2N H

polares aprotischesLösungsmittel

Abbildung 168: Konstitution des Dimethylformamids (DMF)

2.4.6.4 Regioselektivität der C-Alkylierung

O

Me BaseMeI

OMe

Me +

O

MeMe

+ Mehrfach- alkylierungen

2,2-Dimethyl-cyclohexanon

2,6-Dimethyl-cyclohexanon

O O

Abbildung 169: C-Methylierung von 2-Methylcyclohexanon kann zu 2 konstitutionsisomeren

Verbindungen führen.

105

2,6-Dimethylcyclohexanon: O

Me

LDA,-78°C,THF

Me-I

O

MeMe

Abbildung 170: Synthese von 2,6-Dimethylcyclohexanon aus 2-Methylcyclohexanon und Methyliodid

mit der Base Lithiumdiisopropylamid (LDA) bei -78 °C.

Mit der sterisch anspruchsvollen Base LDA und der niedrigen Temperatur von -78 °C

verläuft die Deprotonierung unter kinetischer Kontrolle. Es wird ein Regioisomer

erhalten.

2,2-Dimethylcyclohexanon: O

Me

NaOEt, EtOH,Rückfluss

Me-I

O

MeMe

+ Mehrfach- alkylierungen

Abbildung 171: Synthese von 2,2-Dimethylcyclohexanon aus 2-Methylcyclohexanon und Methyliodid

mit der Base Natriumethanolat in Ethanol unter Rückfluss.

Werden die Edukte unter reversiblen Bedingungen (NaOEt in EtOH unter Rückfluss)

umgesetzt, erfolgt die Deprotonierung thermodynamisch kontrolliert. Problematisch

ist bei dieser Umsetzung jedoch, dass häufig Mehrfachalkylierungen passieren.

⇒ Variation der Synthese notwendig!!!

Die isomeren Enolate müssen als Vorform isoliert werden.

2.4.6.5 Enolat-Analoga

2.4.6.5.1 Enamine

Gilbert Stork entwickelte 1954 die Idee, zunächst aus Carbonylverbindungen die

isomeren Enamine zu isolieren, welche voneinander getrennt werden können. Mit

diesen Enaminen lassen sich dann die Alkylierungen zum selektiven Produkt

durchführen.

106

H

O

+ N

H

H+

N

N

2 diastereomere Produkte(voneinander trennbar)

C I

N

NMeI

I

I

Iminiumsalze

MeI

+H

H

Abbildung 172: Verwendung von Enaminen zur selektiven Alkylierung von unsymmetrischen

Carbonylverbindungen. Wässrige Aufarbeitung der Iminiumsalze führt zu den Carbonylverbindungen

2.4.6.5.2 Enolester

Auch können Enolester synthetisiert und die Isomeren voneinander getrennt werden.

O

Ac2O O

O

+

O

O

O

O

+

MeLi(1.Äquivalent)

MeLi(2.Äquivalent) O

Li

Li

H3C I

O

+ LiI

HClO4

O

OLi Me

23 24

24

Abbildung 173: Selektive Methylierung von 2-Methylcyclohexanon über die Zwischenstufe der

Enolester. Die konstitutionsisomeren Enolester (23 und 24) werden isoliert und voneinander getrennt

weiter umgesetzt (Weiterreaktion mit 23 entsprechend). Zur Spaltung der Esterbindung werden 2

Äquivalente Methyllithium benötigt, da das Nebenprodukt, Aceton, elektrophiler ist als die

Ausgangsverbindung. Erst nach der Rückgewinnung des Enolatanions wird das Elektrophil,

Methyliodid, zugegeben.

107

2.4.6.5.3 Silylenolether

Zuletzt können die Enolate als Silylenolether abgefangen werden. Silylhalogenide

unterlaufen einer O-Alkylierung durch Enolate. Nach der Trennung der

Konstitutionsisomere erfolgt die Abspaltung des Silylrests mit Methyllithium.

O

TMS-ClOTMS

+

O Li Me

O Li

H3C I

O

+ LiI

Base

Si

Me

Me

Me

MeLi

Abbildung 174: Bei der Reaktion von 2-Methylcyclohexanon mit Trimethylsilylchlorid (TMS-Cl) und

einer Base bilden sich die Silylenolether, die wieder aufgetrennt werden können. Nach der Abspaltung

des Silylrests mit Methyllithium kann das Elektrophil zugegeben werden.

Fragen:

1. Welche Basen nimmt man zur Herstellung von Enolaten? Wie unterscheiden sich

die Basen?

2. Wie erklären Sie die Entstehung des kinetisch bevorzugten Enolats, wie erklären

Sie die Entstehung des thermodynamisch bevorzugten Enolats?

3. Wie erklären Sie die C- bzw. O-Alkylierung des Enolats?

4. Wie können Sie die Regioselektivität der C-Alkylierung kontrollieren?

108

Zehnte Vorlesungsstunde

I. Wir diskutieren, wie ein Enolatanion als C-Nukleophil in Reaktionen eingesetzt

wird.

II. 1,3-Dicarbonylverbindungen können decarboxylieren.

III. Wir führen in die Doppelalkylierung von 1,3-Dicarbonylverbindungen ein.

IV. α,β-ungesättigte Carbonylverbindungen heissen auch Enone. Wir diskutieren die

Reaktivität von solchen Enonen, insbesondere die 1,2-Addition und die 1,4-Addition.

V. Wir führen in die Aldolreaktion ein. Wir diskutieren Aldolreaktionen mit

unsymmetrischen Ketonen, die gekreuzte Aldolreaktion, die Aldolreaktion von

Formaldehyd (Stichwort Cannizarro-Reaktion).

2.4.7 1,3-Dicarbonylverbindungen/ β-Dicarbonylverbindungen

R

O O

H H

1 2 3α

β

pKa ~10 pKa ~20

K2CO3

Aceton,Rückfluss

R

O O

R

O O

R

O OK

MeIR

O O

Merac

Abbildung 175: Methylierung von 1,3-Dicarbonylverbindungen.

Die Azidität von Protonen zwischen 2 Carbonylfunktionen ist stark erhöht. Während

Protonen neben einer Carbonylfunktion einen pKa von ca. 20 aufweisen, liegt dieser

bei 1,3-Dicarbonylverbindungen bei ca. 10. Somit ist es bereits möglich, diese mit

schwachen Basen, z.B. Kaliumcarbonat, zu deprotonieren. Die negative Ladung des

Enolats wird über beide Carbonylgruppen delokalisiert und somit das Enolat

109

stabilisiert. Zur Stabilisierung tragen auch Kationen bei, die durch die

Carbonylsauerstoffatome chelatförmig komplexiert werden.

Typische 1,3-Dicarbonylverbindungen:

O O

O O

Diethylmalonat

HOOC COOH Malonsäure

O

O O

Ethylacetylacetonat

Abbildung 176: Häufig verwendete 1,3-Dicarbonylverbindungen

2.4.7.1 Decarboxylierung

β-Carbonylverbindungen, deren eine Gruppe ein Carbonsäure-Derivat ist, neigen zur

Decarboxylierung. Liegt die freie Carbonsäure, z.B. nach einer Verseifung, vor,

spaltet sich gleich im Anschluss das thermodynamisch äußerst stabile CO2 ab und

die negative Ladung kann als Enolat stabilisiert werden.

OEt

O O

R

NaOH

H2O O

O O

RVerseifungeines Esters

O

R

+ CO2

H+

O

O O

R

HOH

R

+ CO2

OH+

R

Abbildung 177: Mechanismus der Decarboxylierung einer β-Carbonylverbindung. Zunächst wird der

Ester zur Carbonsäure verseift. Gleich darauf spaltet die Verbindung CO2 ab und reagiert weiter zur

Ketoverbindung.

110

O O

O O

H+

+

Br

NaOH

O O

O O

COOMe

+ NaBrO

O

CH H

HCl

R

O

O

OMeO

+ MeCl

NaCl, DMSO,H2O, 160 °C

"Karpcho-Decarboxylierung"

R

O

O

+ CO2R

O

O DMSO(Dimethylsulfoxid)

O

SH3C CH3

Abbildung 178: Synthese einer organischen Verbindung unter Verwendung einer 1,3-

Dicarbonylverbindung und der Decarboxylierung mit Karpcho-Bedingungen

O O

O ONaOEtEtOH

O O

O ONa

+ BrBr

O O

O O

H

+ NaBr

O O

O O

Br

- H+

O O

O O

+ NaBr

Na

Br

Abbildung 179: Intramolekulare Reaktionen müssen ebenfalls als Konkurrenz zur Decarboxylierung

betrachtet werden. in obiger Synthese wird ein Cyclobutanderivat durch einen intramolekularen Schritt

erzeugt.

111

Warum wird ein gespannter Vierring gebildet und keine intermolekulare Reaktion zu

Polymeren?

Intramolekulare Reaktionen sind entropisch so begünstigt, dass sie mit einem Faktor

von bis zu 107 schneller verlaufen als intermolekulare Reaktionen.

2.4.7.2 Doppelalkylierung von 1,3-Dicarbonylverbindungen

O

OO

Wie führen wir an dieser weniger aziden Position einenorganischen Rest R ein?

O

OONaH

O

OONa

+ H2

O

OONa

H

Bu Li

O

OO NaLi

+ Butan

X R

OMe

OO

R + LiX

Na

reaktivere (nukleophilere)Position !

X R´

OMe

OO

R R´+ NaX

Abbildung 180: Durch zweifache Deprotonierung einer 1,3-Dicarbonylverbindung mit starken Basen

lässt sich auch an der weniger aziden Cα-Position ein organischer Rest R einführen. An der stark

aziden Position zwischen den Carbonylgruppen kann dann eine andere Gruppe R´ eingefügt werden.

112

2.4.8 α,β-ungesättigte Carbonylverbindungen

α,β-ungesättigte Carbonylverbindungen werden auch als Enone bezeichnet.

OO

1

2

3

4

α

β

δ−

δ−δ+

δ+

Nu K(ation)ONu

K

hartes Nukleophil

OK

Nuweiches Nukleophil

Abbildung 181: Die nukleophile Addition an eine α,β-ungesättigte Carbonylverbindung hängt von der

Chemie des Nukleophils an (HSAB-Prinzip)

vinyloge Prinzip: Die Elektrophilie der 2-Position, des Carbonylkohlenstoffs, wird

durch das konjugierte System teils auf die 4-Position übertragen.

2.4.8.1 1,4-Addition

Für eine 1,4-Addition wird ein weiches Nukleophil benötigt. Bei der Verwendung von

Organometallverbindungen muss z.B. über eine Transmetallierung zunächst ein

Cuprat hergestellt werden. Sowohl Methyllithium als auch Grignardverbindungen sind

harte Reagenzien, die unter 1,2-Addition mit α,β-ungesättigten Carbonyl-

verbindungen reagieren.

Me Cu Me Li

Methylcuprat

+

O O Li

Merac

Abbildung 182: Reaktion von Methylcuprat mit Cyclopent-2-enon unter 1,4-Addition. Vom

eingesetzten Methylcuprat wird nur eine Methylgruppe übertragen.

113

2.4.8.2 Synthese-Beispiel: Prostaglandine

Prostaglandine sind wichtige Naturstoffe, so dass Synthesewege sehr gefragt sind. O

HO

R

O

R

Synthese dieser Vorstufe?

trans

Abbildung 183: Grundstruktur der Prostaglandine. Die trans-Anordnung der organischen Reste R und

R´ ist wesentlich.

O

[R´-Cu-R´]Li

O

Li

rac

Enolat

R X

O

R

O

R

R´rac rac+ LiX

+

trans-Anordnung bevorzugt

Abbildung 184: Teil der Prostaglandin-Synthese aus Cyclopent-2-enon durch 1,4-Addition eines

Cuprats und anschließender nukleophiler Reaktion des Enolats. Die trans-Anordnung ist aus

sterischen Gründen bevorzugt, jedoch müssen die Enantiomere getrennt werden.

114

2.4.9 Die Aldolreaktion (Aldoladdition + Aldolkondensastion)

Chapter 27 in Warren et al.

2.4.9.1 Basenkatalysierte Aldoladdition und –kondensation

O

H

NaOH

Rückfluss

O

H

O

H

O

H

O

H

H

OH

H

O OH

rac

AlkoholAldehyd

β-Hydroxyaldehyd3-Hydroxybutanal

ALDOL

O

HnukleophilesEnolat

O

H

elektrophilesAldehyd

CH-azideKomponente

Akzeptor-Komponente

Abbildung 185: Synthese eines β-Hydroxyaldehyds aus Acetaldehyd im Basischen unter Rückfluss.

Der Acetaldehyd reagiert nach der Deprotonierung als nukleophiles Enolat mit einem zweiten Molekül

des elektrophilen Acetaldehyds

Bei der Aldoladdition wird eine azide Carbonylverbindung zum Enolat deprotoniert,

welches nukleophil eine elektrophile Carbonylverbindung angreift. Als Base werden

nur geringe Mengen eines Hydroxids eingesetzt. Das Produkt gibt der Reaktion den

Namen, da in β-Position zum Aldehyd eine Alkoholgruppe entsteht.

OBa(OH)2

Rückfluss

OO

O OH

OH

O OH

neue Bindung

Abbildung 186: Auch mit dem unlöslichen Bariumhydroxid lässt sich in Aceton das Aldol darstellen.

115

Treten in der Lösung höhere Konzentrationen an Base auf, kann das Aldol nicht

isoliert werden. Das Aldol unterliegt einer Folgereaktion (Aldolkondensation), bei der

H2O abgespalten wird. Als Produkt erhält man eine α,β-ungesättigte

Carbonylverbindung.

H

HO H

H H

O

Base

H

O

+H-Base + OH

H2O + BaseCrotonaldehyd

H

HO

H H

O

Base

O

+H-Base + OH

H2O + BaseMesityloxid

Abbildung 187: Synthese der α,β-ungesättigten Carbonylverbindungen Crotonaldehyd und Mesityl-

oxid aus den Aldolen von Acetaldehyd (siehe Abbildung 185) und Aceton (siehe Abbildung 186)

2.4.9.2 Säurekatalysierte Aldoladdition und –kondensation

O

H+

OH O

H

O

HO

+ H+

neue Bindung

Aldoladdition:

Aldolkondensation:

O

O H

H+

O

O H

H

HO

+ H2O + H+

Abbildung 188: Mechanismus der säurekatalysierten Aldolreaktion von Cyclopentanon

116

2.4.9.3 Vergleich der Katalysemechanismen

Beim basenkatalysierten Mechanismus wird die Nukleophilie der einen Komponente

erhöht, während bei der Katalyse mit einer Brønsted-Säure die andere Komponente

elektrophiler gemacht wird.

Außerdem kann man durch geeignete Wahl der Katalyse entweder das Produkt der

Aldoladdition, das Aldol selbst, oder das Produkt der Aldolkondensation, die α,β-

ungesättigte Carbonylverbindung, erhalten.

Produkt Katalyse Addition Kondensation

OH – Aldol (Enon)

H + (Aldol) Enon

Tabelle 16: Bevorzugtes Produkt der säure- oder basenkatalysierten Aldolreaktion

2.4.9.4 Retrosynthese der Aldolreaktion

O

O OH

O

O

+

α,β-ungesättigtesKeton

β-Hydroxy-Keton

Abbildung 189: Retrosynthetische Zerlegung von Mesityloxid

117

2.4.9.5 Stereochemie der Aldoladdition

O O

H+solvent,-20°C

O

MO

H

O

MO

H +

+ H2O

O

OHH

25

O

OH

H

ent-25

M OH

Abbildung 190: Stereochemische Betrachtung der Aldoladdition von Cyclopentanon und 2-Methyl-

propanal mit verschiedenen Hydroxiden M+OH- und Lösungsmitteln zu den Enantiomeren 25 und ent-25 (siehe Tabelle 17)

LöMi M+ 25 ent-25 Aceton Li+ 95 % 5 %

Me4N+ 30 % 70 % Methanol Li+ 30 % 70 %

Me4N+ 30 % 70 % Tabelle 17: Reaktionsbedingungen für die Aldoladdition in Abbildung 190 und ihre stereochemische

Konsequenz

2.4.9.6 Aldolreaktion mit unsymmetrischen Ketonen

O

R1 R2

Problem: Regioselektivität

Richtung der Enolatbildung

(Bei der Aldolreaktion ist dies dramatischer, da immer

Gleichgewichtsbedingungen vorliegen.)

Lösung: nicht enolisierbare Substituenten

R1 ≠ R2 unsymmetr. Keton

R1 = R2 symmetr. Keton

118

O

Pinakolon

nicht

enolisierbarO

(H3C)3C C(CH3)3

O

Acetophenon

nicht

enolisierbarO

O

O

Lacton

O

O O

nicht

enolisierbar

Abbildung 191: Aldolreaktionen unsymmetrischer Ketone, bei deren ein Substituent nicht enolisierbar

ist.

2.4.9.7 Gekreuzte Aldolreaktion

Problem: Konkurrenz zwischen Selbstkondensation (A + A → A2 + H2O) und

Kreuzkondensation (A + B → AB + H2O)

Lösung: Es darf nur eine der beiden Komponenten ein Enolat bilden können.

O

+

Acetophenon

HO

NO2para-Nitrobenzaldehyd(nicht enolisierbar)

O

NO2

Abbildung 192: Eine gekreuzte Aldolreaktion von Acetophenon mit para-Nitrobenzaldehyd, das nicht

enolisiert werden kann.

119

Experimentelle Umsetzung:

Zu einer Vorlage der nicht enolisierbaren Komponente in basischem Milieu

wird die enolisierbare Komponente zugetropft. Somit ist die erste Komponente

im Überschuss und die zweite reagiert gleich nach der Enolisierung mit dieser.

Die Konzentration der zweiten ist so niedrig, dass keine Selbstkondensation

stattfindet.

Nicht-enolisierbare Aldolakzeptoren: O

R H Substituent R Beispiel

H O

H H Formaldehyd

CF3 O

F3C H

tAlklyl-Rest

O

H

Pivalinaldehyd

Aryl

O

H

Benzaldehyd

NR´2 O

Me2N H Dimethylformamid

OR´

O

OH

H

nicht azidegenugfür NaOH

Lacton

Tabelle 18: Tabelle von blockierten Aldolakzeptoren. Die Reaktivität als Akzeptor nimmt von oben

nach unten ab.

120

2.4.9.8 Aldolreaktion von Formaldehyd

Problem: Formaldehyd ist zu reaktiv

O

H H

O

H

+NaOH O

H H

O

H

+

H H

O

H

O

H+

H H

OH

H

O

erstes AldolH H

OH

H

O

O

HHH H

OH

H

O

H

OH zweites Aldol

H H

OH

H

O

HO

O

HH

H

OOH

OH OHdrittes Aldol

Abbildung 193: Aldoladdition von Formaldehyd an Acetaldehyd. Die Reaktivität des Aldolakzeptors

ist so groß, dass die Reaktion erst nach dreifachem Umsatz abbricht.

Die Reaktivität des Formaldehyds führt beim Versuch, Formaldehyd zu isolieren, zu

einer Disproportionierung, genannt Cannizarro-Reaktion.

O

H H

2

O

H OH

+

OH

H HH

Carbonsäure Alkohol

Abbildung 194: Disproportionierung von Formaldehyd zu Ameisensäure und Methanol

121

O

R H

OH

O

R HO

H

O

R HO

Hydratdianion

OH

R HOH

- 2H+

O

R HO

O

R HO

R O

+

O

R HH

+I

+III-I

Carboxylatanion Alkoholat

Abbildung 195: Mechanismus der Disproportionierung von Aldehyden (Cannizarro-Reaktion). Beim

allgemeinen Aldehyden (R = C-Rest) disproportioniert der Carbonylkohlenstoff von der Oxidationszahl

+I zu den Oxidationszahlen +III (im Carboxylat) und –I (im Alkoholat).

H

OOH

OH OH

OH

H

O

H

OOH

OH OH

H+ +

H

O O

+ H2O

- OH

OH OH

HO OH

Pentaerythritol

Abbildung 196: Folgereaktion aus der dreifachen Aldoladdition von Formaldehyd an Acetaldehyd

zum hochsymmetrischen Pentaerythritol. Diese Reaktion entspricht der Cannizarro-Reaktion. Mit der

Base NaOH erhält man 80 % Ausbeute, mit Mg(OH)2 sogar 90 %.

Fragen:

1. Formulieren Sie den Mechanismus der Decarboxylierung?

2. Mit welcher Organometallverbindung erreichen Sie eine 1,4-Addition an ein Enon?

Wie erhalten 1,2-Addukte?

3. Beschreiben Sie den Mechanismus der Aldoladdition und Aldolkondensation?

4. Was versteht man unter einem blockierten Aldolakzeptor?

5. Wie reagiert Formaldehyd mit Acetaldehyd?

122

Elfte Vorlesungsstunde

I. Wir diskutieren die Mannichreaktion.

II. Werden aus Estern Esterenolate erzeugen und diese reagieren, kommt man zur

Claisen-Schmidt-Reaktion bzw., wenn die Reaktion intramolekular verläuft, zur

Dieckmannesterkondensation.

III. Wir diskutieren die Michaeladdition von Enolaten an Enone.

2.4.9.9 Mannich-Reaktion

Bei der Umsetzung eines Enolats mit Formaldehyd bekommt man meist mehrfach

Aldoladditionen. Nach 3 Aldoladditionen kann das Molekül auch einer Cannizarro-

Reaktion unterlaufen. Daher eignet sich Formaldehyd nicht als Aldolakzeptor. Als

Alternative bietet sich die Mannich-Reaktion an. O

Me2NH, H2CO

kat. HCl

O

NMe2

Abbildung 197: Mannich-Reaktion von Cyclohexanon mit Dimethylamin und Formaldehyd

O

H HN

Me

Me

H

O

H HN

HMe

Me

H+

OH

N

Me

Me

H+(kat. HCl)

O

N

Me

Me

HH

NMe Me

- H2O

ClClH H

Abbildung 198: Darstellung des Iminiumkations aus Formaldehyd und Dimethylamin bei saurer

Katalyse

123

O HO

N

Me

Me

Cl

O

H

N

Me

Me

Cl

- HCl

O

N

Me

Me

Mannich-Baseisolierbar

Abbildung 199: Reaktion des Iminiumkations mit Cyclohexanon zur Mannich-Base

O

NMe

Me

Me I

1.

O

NMe

Me

MeH

OH

I

2.

O

NMe

Me

Me

I + H2O

O

+ Me3N

exozyklischeMethylengruppe

+ I

Abbildung 200: Weiterreaktion der Mannich-Base aus Abbildung 199 zur exozyklischen

Methylengruppe. Der erste Reaktionsschritt ist eine N-Alkylierung mit Methyliodid. Beim zweiten wird

Base zugesetzt.

Retrosynthese:

124

O O

H

O H

+

Abbildung 201: Retrosynthetische Analyse einer Aldolreaktion mit Formaldehyd als Aldolakzeptor.

Synthetisch muss dies über eine Mannich-Reaktion verlaufen

2.4.10 Claisen-Esterkondensation

Chapter 28 in Warren et al.

Die Claisen-Esterkondensation ist eine Variante der Aldolreaktion. Während bei der

Aldolreaktion Ketone bzw. Aldehyde als Carbonylfunktionen eingesetzt werden,

können auch Estergruppen verwendet werden.

NaOHO

HH

OHO

H

Na + H2O

NaOEtO

OEtH

OEtO

OEt

Na + HOEt

EtOH

pKA 25 Ester-Enolat(Konzentration gering)

pKA 13.5

Abbildung 202: Die Enolatbildung von Aldehyden und Estern verläuft nach gleichem Mechanismus.

Bei Estern ist jedoch die Azidität weitaus geringer, so dass eine stärkere Base, Natriumethanolat in

Ethanol, benötigt wird.

125

O

H

O

HH

O

H

O H2O

H

O

H

OH

O

OEt

O

OEtEtO

O

OEt

O H2O

EtO

O O

neue Bindung

H Hβ-Ketoester

OEt

Na

EtO

O ONa

+ EtOHEtO

O ONa

EtO

O ONa

26

A:

B:

Abbildung 203: Vergleich der Mechanismen der Aldoladdition und der Claisen-Esterkondensation

zum Enolatanion 26

Triebkraft der Reaktion ist die Bildung des Enolatanions 26.

Die Claisen-Esterkondensation wird auch als Claisen-Schmidt-Reaktion bezeichnet.

Sie ist eine intermolekulare Reaktion.

2.4.10.1 Dieckmann-Kondensation

Verläuft die Reaktion intramolekular, nennt man sie auch Dieckmann-Kondensation.

EtOOEt

O

O

HexandisäurediethylesterAdipinsäurediethylester

Abbildung 204: Adipinsäurediethylester ist das typische Reagenz einer Dieckmann-Kondensation

126

O OEtH

O

OEt

OEt Na

O OEt

O

OEt

Na

EtO

O

O

OEt

NaO

O

OEtH

OEtNa

OO

OEt

Na

+ EtOH74-81 % Ausbeute

Abbildung 205: Mechanismus der Dieckmann-Kondensation von Adipinsäurediethylester mit der

Base Natriumethanolat. Die Bildung des Enolatanions ist die Triebkraft der Reaktion.

Folgechemie:

OO

OEt

1. NaOEt/EtOH2. MeI

OO

OEt

Me

Abbildung 206: Das Produkt der Dieckmann-Kondensation ist eine 1,3-Dicarbonylverbindung mit

einem aziden Proton, so dass nach der Deprotonierung eine Alkylierung mit Methyliodid möglich ist.

2.4.11 Michael-Addition

Chapter 29 in Warren et al.

Eine konjugierte Addition eines Enolats an ein Enon führt zu einer 1,5-

Dicarbonylverbindung und wird als Michael-Addition bezeichnet.

127

O

R

+O

R´R R´

O O

neue C-C-BindungBase

O

R

O

R´ R R´

O O

H+

Enon Michael-Akzeptor

Abbildung 207: Mechanismus der Michael-Addition zum Produkt, einer 1,5-Dicarbonylverbindung

2.4.12 Zusammenfassung der Enolat-Reaktionen

RO

O O

13

1,3-Dicarbonyl

O

RO

O

RO

+Claisen-Ester-kondensation

R

O

1

1,5-Dicarbonyl

O

R

O

Michael-Addition

O

+

R R´

O OH

13

1,3-Keto-Hydroxy

O

R

O

+ Aldolreaktion

5

R R´

O

α,β-ungesättigteCarbonylverbindung

Abbildung 208: Retrosynthetische Betrachtung von Carbonylverbindungen.

Fragen:

1. Wie verläuft die Mannichreaktion?

2. Was ist die Treibkraft der Claisenreaktion?

3. Wie können Sie 1,3 Dicarbonylverbindungen retrosynthetisch zerlegen?

2.5 Diels – Alder – Reaktion (4+2 – Cycloaddition)

128

4

1

3

2

6

5

4

1

3

2

6

5

Dien Dienophil Cyclohexen

Abbildung 209: Diels-Alder-Reaktion von Buta-1,3-dien und Ethen zum Produkt Cyclohexen

Bei der Diels-Alder-Reaktion tritt ein Buta-1,3-dienoides System (Dien genannt) mit

einem Ethenderivat (Dienophil genannt) in Wechselwirkung, wodurch ein

carbozyklischer Sechsring mit einer Doppelbindung entsteht.

Die Bedeutung der Diels-Alder –Reaktion besteht in der hohen Chemo-, Regio- und

Stereoselektivität.

2.5.1 Diels-Alder-Reaktion mit normalem Elektronenbedarf

4

1

3

2

6

5

cis-Konformationum 2,3-Bindung

elektronenreiches Dien

HOMO

ϕ1

ϕ2

ϕ3

ϕ4

elektronenarmes Dienophil

LUMO

ϕ1

ϕ2

Abbildung 210: MO-Diagramme der Edukte mit ihrer Elektronenbesetzung bei normalem

Elektronenbedarf. Das HOMO des Diens reagiert mit dem LUMO des Dienophils.

129

2.5.2 Diels-Alder-Reaktion mit inversem Elektronenbedarf

4

1

3

2

6

5

elektronenarmes Dien

LUMO

ϕ1

ϕ2

ϕ3

ϕ4

elektronenreiches Dienophil

HOMOϕ1

ϕ2

Abbildung 211: MO-Diagramme der Edukte mit ihrer Elektronenbesetzung bei inversem

Elektronenbedarf. Das LUMO des Diens reagiert mit dem HOMO des Dienophils.

2.5.3 Anlagerung der Reaktanden

Die Eduktkomponenten lagern sich aus zueinander parallelen Ebenen an.

4

1

3

2

6

5

primäre Orbital-wechselwirkungen

Diels-Alder mitnormalem Elektronen-bedarf

Diels-Alder mitinversem Elektronen-bedarf

Abbildung 212: Anlagerung der Reaktanden in der Diels-Alder-Reaktion. Die Edukte werden durch

primäre Orbitalwechselwirkungen in zueinander parallelen Ebenen ausgerichtet.

Zwei neue Bindungen zwischen den Atomen 1 und 5 bzw. 4 und 6 werden

konzertiert geknüpft.

130

Die Stereochemie der Diels-Alder-Reaktion wird bestimmt durch das CIS – Prinzip

und die ENDO – Präferenz.

2.5.3.1 CIS – Prinzip

Die relative Konfiguration der Substituenten in den Komponenten des Edukts findet

sich im Addukt wieder.

R

R

Z

R

R

cis

R

E

R

R

trans

R

R

R

R

R

R R

R

R

Abbildung 213: 4 Diels-Alder-Reaktionen, die zeigen, dass die relative Konfiguration während der

Reaktion beibehalten wird. Egal, ob die Substituenten im Dien oder im Dienophil sich befinden.

2.5.3.2 ENDO – Präferenz

O

O

O

O

O

O

Konstitutiondes

Adduktes

H

H

O

O

OO

O

O

H

H

endo exo

Konfigurationdes

Adduktes

Abbildung 214: Konstitution und Konfigurationen des bizyklischen Adduktes der Diels-Alder-Reaktion

131

Was ist stabiler? Endo- oder exo-Addukt?

endo-Addukt exo-Addukt

1-Brücke

2-Brücke

Abbildung 215: Schematische Darstellung der beiden Addukte mit möglichen sterischen

Behinderungen

⇒ endo-Addukt sterisch anspruchsvoller als exo-Addukt

Allgemein: Es entsteht dasjenige Produkt bevorzugt, das im Übergangszustand mit

einer Sandwich-artigen Vororientierung der Komponenten

korrespondiert, so dass eine maximale Häufung der Doppelbindungen

eintritt.

O

O

O

LUMO

ϕ1

ϕ2

ϕ3

ϕ4

HOMO

ϕ5

ϕ6

Abbildung 216: MO des Dienophils Maleinsäureanhydrid. Maleinsäureanhydrid ist ein

elektronenarmes Dienophil und reagiert mit seinem LUMO bei der Diels-Alder-Reaktion mit normalem

Elektronenbedarf.

132

4

1

3

2

6

5

primäre Orbital-wechselwirkungen

zwischen 4-6 bzw. 1-5

O

O

O

Atome 2,3 weg vom Dienophil - exo

4

1

3

2

6

5

sekundäre Orbital-wechselwirkungen

zwischen 3-6C´ bzw.2-5C´

Atome 2,3 hin zum Dienophil - endo

O

O

O

Abbildung 217: Anlagerung der Reaktanden im exo- und im endo-Fall. Während bei einer exo-

Anlagerung nur primäre Orbitalwechselwirkungen zwischen den π–Orbitalen der Atome 1 und 5 bzw. 4

und 6 den Übergangszustand stabilisieren, bewirken sekundäre Orbitalwechselwirkungen zwischen

den π–Orbitalen der Atome 2 und dem 5-banachbarten Carbonylkohlenstoff bzw. 3 und dem 6-

benachbarten Carbonylkohlenstoff einen energetischen Vorteil.

4

1

3

2

6

5

endo-Anlagerung

O

O

O

O

O

O

H

H

O

O

O

OO O

H H

4

1

3

2

6

5

O

O

O

O

O

O

H

H

exo-Anlagerung

O

O

O

O

O

O

H

H

Abbildung 218: Reaktionsverlauf, Übergangszustand und Stereochemie des Produkts der Diels-

Alder-Reaktion mit endo- und exo-Anlagerung.

133

+

∆G0endo

∆G0exo

RKT

∆G

exo-Produkt

endo-ProduktO OO

O

O

O

H

H

O

O

O

H

H

Abbildung 219: Energiediagramm der Diels-Alder-Reaktionen von Cyclopenta-1,3-dien mit

Maleinsäureanhydrid zum exo- und endo-Addukt.

Das exo-Addukt der Diels-Alder-Reaktion ist das thermodynamisch stabilere Produkt,

da es weniger sterische Behinderungen aufweist. Jedoch entsteht bei der Diels-

Alder-Reaktion meist das endo-Addukt, da der Übergangszustand durch die

sekundären Orbitalwechselwirkungen eine niedrigere Aktivierungsenergie benötigt.

⇒ endo-Addukt ist das kinetische Produkt

134

3 Übungsblätter im Sommersemester 2007

Übung zur Vorlesung „Organische Chemie I“ (SS 2007) Prof. Harald Schwalbe / Senada Nozinovic

Blatt 1 1) Geben Sie die natürlichen Aminsäuren mit ihrer Struktur und ihre Abkürzungen an.

Fassen Sie Aminosäuren mit ähnlichen Eigenschaften zusammen.

2) Führen Sie eine Monosubstitution (H X) an Pyridin durch.

- Welche möglichen Produkte erhalten Sie nach dem klassischen Strukturmodell? - Wie viele Produkte können Sie tatsächlich isolieren? - Mit welchen Methoden lassen sich die Produkte voneinander unterscheiden?

3) Zeichnen Sie die Glucose in der Ringform (als Sessel) und der offenkettigen Form.

4) Molekül-Orbital-Theorie

Die Dissoziationsenergie des Stickstoffmonoxids NO beträgt 6.5 eV, die des Nitrosylkations

NO+ hingegen 10.6 eV. Erkläre diesen Unterschied mit Hilfe des einfachen MO-Schemas

für homonukleare zweiatomige Moleküle.

135

Übung zur Vorlesung „Organische Chemie I“ (SS 2007) Prof. Harald Schwalbe / Senada Nozinovic

Blatt 2 1) HMO-Modell

a) Wie sind aromatische und antiaromatische Verbindungen definiert? Was spricht

gegen Antiaromaten?

b) Konstruieren Sie mit Hilfe von Frost-Musulin-Diagrammen die HMOs des Cyclohexa-1,3,5-triens und geben Sie die relativen Energien an.

c) Skizzieren Sie für dieses System die Gestalt der π-Molekülorbitale und zeichnen Sie die

Knotenflächen ein.

d) Konstruieren Sie mit Hilfe von Frost-Musulin-Diagrammen die HMOs des Ok-

1,3,5-triens und geben Sie die relativen Energien an.

2) Amid/Ester-Bindung

a) Skizzieren Sie das MO-Schema für die Amidbindung mit den beteiligten

Orbitalen.

b) Skizzieren Sie das MO-Schema für die Esterbindung mit den beteiligten

Orbitalen.

3) Anomerer Effekt beim Zucker

a) Erklären Sie anhand einer Skizze den anomeren Effekt beim Zucker. b) Wie verhält sich der anomere Effekt für die Reihe X = OH, Cl, F?

136

Übung zur Vorlesung „Organische Chemie I“ (SS 2007) Prof. Harald Schwalbe / Senada Nozinovic

Blatt 3 1) Reaktionen

a) Welche Arten von Bindungsspaltung gibt es und von was hängt es ab? b) Was ist ein Katalysator? Nennen Sie Beispiele. c) Wie sind die Eigenschaften von Gleichgewichts- und Ungleichgewichtsreaktionen? d) Berechnen Sie die Lage des Gleichgewichts

bei 37 °C für ∆G = -1, -2, -3 kcal/mol

2) Einschätzung der Azidität/Basizität (sehr wichtig für Vorhersagen von Reaktionen) a) Geben Sie die (ungefähren) pK

a-Werte für die markierten Protonen an und ordnen Sie die

Verbindungen nach steigender Azidität. H

2O (bzw. H

3O

+) HCl NH

4

+

Butan Ethanol

Essigsäure

Ethylacetat Hexan-1,3-dion Aceton

b) Aus welchen Ausgangsverbindungen sind Amide aufgebaut?

Was passiert : + NH3

c) Ordnen Sie folgende Verbindungen nach steigender Nukleophilie ein. R

- RCO

2

- Cl

- R-O

- NH

3

3) Carbonyl-Chemie

a) Nennen Sie mindestens fünf Verbindungsklassen in denen die Carbonylfunktionalität vorkommt. Ordnen Sie diese nach abnehmender Reaktivität. D.h. nach abnehmender Elektrophilie des Carbonylkohlenstoffs.

b) Welche der Carbonylverbindungen kann mit NaBH

4 zu Alkohol reduziert werden?

137

Übung zur Vorlesung „Organische Chemie I“ (SS 2007) Prof. Harald Schwalbe / Senada Nozinovic

Blatt 4 1) Nukleotide

Geben Sie die Strukturen der Deoxyribonukleotide an. Wie werden die Nukleotide

durchnummeriert? Wodurch unterscheiden sich RNA und DNA?

2) Hemiacetale/Halbacetale

Die Verbindungen a) – e) gehören zur Gruppe der Hemiacetale bzw. Halbacetale und

werden durch die Reaktion eines Alkohols mit einer Carbonylverbindung gebildet.

Geben Sie die Strukturen und die Namen der jeweiligen Ausgangsverbindungen an.

3) Zeichnen Sie die Grenzstrukturen der folgenden Moleküle und bestimmen Sie die

nucleophilen bzw. elektrophilen Zentren des C-Gerüsts des Moleküls.

138

Übung zur Vorlesung „Organische Chemie I“ (SS 2007) Prof. Harald Schwalbe / Senada Nozinovic

Blatt 5

1) Grignard-Reaktion

In obiger Reaktion wird 13

C-markiertes Allylbromid in einer Grignard-Reaktion mit Diphenylketon umgesetzt. Im Produkt findet man die

13C-Markierung gleichmäßig verteilt an beiden Enden des

allylischen Systems. Geben Sie eine Erklärung für diese Beobachtung. Beschreiben Sie den Mechanismus der Reaktion.

2) Enolisierung

Geben Sie einen Mechanismus für folgende Isomerisierung an. Verwenden Sie nur Hin- und Rückreaktionen der Enolisierung.

3) Mannich-Reaktion

a) Zeichnen Sie in nachfolgender Reaktion die Mechanismen 1) der Enaminbildung ( 1 → 2 ), 2) der Reaktion des Enamins mit dem Alkylhalogenid ( 2 → 3 ), 3) der Hydrolyse zum Endprodukt ( 3 → 4 ).

b) Prinzipiell können zwei Enamine entstehen ( 2 bzw. das Molekül mit der Doppelbindung in die

andere Richtung). Weshalb wird bevorzugt 2 gebildet?

139

Übung zur Vorlesung „Organische Chemie I“ (SS 2007)

Prof. Harald Schwalbe / Senada Nozinovic

Blatt 6

1) Vervollständigen Sie folgende Synthese (Reagenzien, Zwischenprodukt): OMe

OMe OMe

COOH

OMe

??

?

2) Wittig-Reaktion.

a) Geben Sie den Ausgang der Reaktion an und diskutieren Sie die mögliche Stereochemie des Produkts. Zeichen Sie den Übergangszustand.

OCHO

Ph3P R

O

?

b) Wie kann der Ausgang einer Wittig-Reaktion kontrolliert werden?

3) Alkylierung. Bei der Alkylierung von Enolaten, die durch Deprotonierung von Ketonen entstehen, bilden sich bis zu 6 Alkylierungsprodukte. a) Geben Sie die 6 möglichen Produkte für die Deprotonierung und Alkylierung mit R– X

von 2-Methylcyclohexanon an (X kann dabei für ein Halogen oder eine andere Gruppierung stehen).

O

B"Deprotonierung"

"Alkylierung"

b) Wie können Sie die C-Alkylierung bevorzugen? Wie die O-Alkylierung? Geben Sie

jeweils ein Beispiel für ein typisches Reagenz an. c).Wie können Sie die Richtung der Enolatbildung beeinflussen?