Personbezogene Faktoren bei Jugendlichen mit Depressionen –
Beschreibungen in dyadischen Interviews
Jeanne Siede Andreas Seidel
Institut für Sozialmedizin, Rehabilitationswissenschaften und Versorgungsforschung
Hochschule Nordhausen
Personbezogene Faktoren bei Jugendlichen mit Depressionen
Beschreibungen in dyadischen Interviews
• Einleitung in die Thematik
• PatientInnen und Methoden des Forschungsprojektes
• Ergebnisse des Forschungsprojektes
• Fazit
• Diskussion und offene Fragen
Einleitung
Einleitung
...find out what they want to do
• Was für ein Kind habe ich vor mir?
– äußere Erscheinung
– Ausstrahlung, Persönlichkeit
– Gesichtsausdruck, Mimik
• Sozial-emotionale Möglichkeiten
– Kontakt zu Mutter, Vater, Geschwistern Frühförderin/er
– Kommunikation
– Äußerung seiner Bedürfnisse, von Gefühlen
– Motivation, Interesse
Inhaltsbereiche Pädagogischer Diagnostik
nach Simon
Sommerfeld: Integrative Ansätze diagnostischen Fallverstehens 2014
Personbezogene Faktoren – Soziale Arbeit
Bundesteilhabegesetz
Beispiel:
Integrierter Teilhabeplan (ITP) in Thüringen
http://www.thueringen.de/mam/th7/tmsfg/2015-03-27_itp_manual__version_3.1_.pdf
Coresets und personbezogene Faktoren
Personbezogene Faktoren der ICF sind für viele Fragestellungen bedeutsam Personbezogene Faktoren erleichtern den ressourcenorientierten Ansatz für Teilhabeleistungen „Aus diesem Grund wird ein einheitlich akzeptiertes Ordnungssystem benötigt, wie es der vorliegende Vorschlag einer Liste personbezogener Faktoren in Ermangelung einer durch die WHO vorgegebenen Systematik zur Verfügung stellt.“
Vorstellung des Forschungsprojektes
Depressionen in der Adoleszenz: die Perspektive der PatientInnen und deren Sorgeberechtigten
auf relevante Bereiche der Funktionsfähigkeit
Einleitung – Depression in der Adoleszenz
„Man fühlt sich einfach kraftlos. Als ob man, keine Ahnung, die Grippe hätte oder so.“
(Leonie, 15 J.)
• Unipolare Depression - affektive Störung - Symptome betreffen das ganze System des Individuums
ü Emotionen ü Kognition ü Verhalten ü (Psycho-) somatisch (Nevermann et al., 2004)
• Depressionen in der Adoleszenz - Störungsbild hat starke Beeinträchtigungen in der Lebensphase - Prävalenz der Depression in der Pubertät (Remschmidt, 2004) - 3,2 bis 8,9% der Jugendlichen erkranken an einer Depression
(Kovcas et al., 1984)
Fragestellungen und Ziele
Identifizierung der Funktionsfähigkeit bei
Jugendlichen mit Depression
Identifizierung der Therapieziele
PatientInnen (KJP) Sorgeberechtigte
Perspektiven
PatientInnen und Methoden
• Datenbeschaffung - semistrukturierte (dyadische) Interviews mit PatientInnen und deren
Sorgeberechtigten
- unipolare Depression (ICD-10 Kriterien) als Voraussetzung
- offene Frageform; nach den Komponenten der ICF-CY
- Interviewdurchführung in stationärer Kinder- und Jugendpsychiatrie
• Datenanalyse - Interviews aufgenommen (audio), wortwörtlich transkribiert
- Kodierung anhand f4analyse; Verwendung der ICF – CY Codes
- Auswertung seitens zwei Professionellen aus dem Gesundheitsbereich
- Auswertung anhand der „ICF linking rules“ (Cieza et al. 2005)
- Deskriptive Auswertung (Excel)
PatientInnen im Überblick
• 11 dyadische Interviews
• Alter der Jugendlichen: 13 – 17 Jahre (≈ 15,45 J.)
• !:" ü Jugendliche 2 : 9 ü Sorgeberechtigte 2 : 9
• Bildungsart ü Schule: 8 Jugendliche ü Berufsausbildung: 3 Jugendliche
• drei PatientInnen nennen psychische und/oder körperliche
Komorbiditäten
Ergebnisse – ICF-CY Komponenten I
241
328
190
239
134
159
66
107 107
169
124 132
0
50
100
150
200
250
300
350
Körperfunktionen [b] Aktivitäten und Teilhabe [d]
Umweltfaktoren [e] Personbezogene Faktoren [i]
Anz
ahl
in N
ennu
ngen
ICF-CY Komponente
Gesamtangaben
Jugendliche
Sorgeberechtigte
Ergebnisse – ICF-CY nach 1. Ebene Jugenliche
%
Sorgeberechtigte Gesamt n = 11 n = 11 n = 22
ICF-CY Kategorien [Klassifikation der ersten Ebene] # # % (n = 100%)
Körperfunktionen [b] 134 56 107 44 241 Mentale Funktionen [b1] 130 57 97 43 227 Sinnesfunktionen und Schmerz [b2] 1 11 8 89 9 Stimm- und Sprechfunktionen [b3] 1 100 0 0 1
Funktionen des kardiovaskulären, hämatologischen, Immun- und Atmungssystems [b4] 2 100 0 0 2
Funktionen des Verdauungs-, des Stoffwechsel- und des endokrinen Systems [b5] 0 0 1 100 1 Funktionen der Haut und der Hautanhangsgebilde [b8] 0 0 1 100 1 Aktivitäten und Teilhabe [d] 159 48 169 52 328 Lernen und Wissensanwendung [d1] 20 69 9 31 29 Allgemeine Aufaben und Anforderungen [d2] 21 64 12 36 33 Kommunikation [d3] 3 23 10 77 13 Mobilität [d4] 1 33 2 67 3 Selbstversorgung [d5] 10 71 4 29 14 Häusliches Leben [d6] 8 26 23 74 31 Interpersonelle Interaktionen und Beziehungen [d7] 31 55 25 45 56 Bedeutende Lebensbereiche [d8] 16 40 24 60 40 Gemeinschafts-, soziales und staatbürgerliches Leben [d9] 46 46 54 54 100 Umweltfaktoren [e] 66 35 124 65 190 Produkte und Technologien [e1] 2 18 9 82 11 Natürliche und vom Menschen veränderte Umwelt [e2] 1 100 0 0 1 Unterstützung und Beziehungen [e3] 38 40 58 60 96 Einstellungen [e4] 6 35 11 65 17 Dienste, Systeme und Handlungsgrundsätze [e5] 19 29 46 71 65 Personbezogene Faktoren [i] 107 45 132 55 239 Allgemeine Merkmale einer Person [1] 0 0 1 100 1 Physische Faktoren [2] 2 67 1 33 3 Mentale Faktoren [3] 43 48 46 52 89 Einstellungen, Grundkompetenzen und Verhaltensgewohnheiten [4] 58 46 67 54 125 Lebenslage und sozioökonomische/kulturelle Faktoren [5] 1 25 3 75 4 Andere Gesundheitsfaktoren [6] 3 18 14 82 17
(Auswertung n. WHO, 2013; Grotkamp, 2010)
Ergebnisse – Personbezogene Faktoren I
(Auswertung n. Grotkamp et al., 2010)
Jugenliche
%
Sorgeberechtigte Gesamt n = 11 n = 11 n = 22
ICF-CY Kategorien [Klassifikation der ersten Ebene] # # %
(n = 100%)
Personbezogene Faktoren [i] 107 45 132 55 239
Allgemeine Merkmale einer Person [1] 0 0 1 100 1
Physische Faktoren [2] 2 67 1 33 3
Mentale Faktoren [3] 43 48 46 52 89
Einstellungen, Grundkompetenzen und Verhaltensgewohnheiten [4] 58 46 67 54 125
Lebenslage und sozioökonomische/kulturelle Faktoren [5] 1 25 3 75 4
Andere Gesundheitsfaktoren [6] 3 18 14 82 17
Ergebnisse – Personbezogene Faktoren II Art der
Personbezogene Faktoren
Jugendliche Sorgeberechtigte
Copingstrategien reden, malen, Krankheit verstecken, Fingerzeichen bei “schlechten“ Gedanken
Überspielung der Erkrankung, Verdrängung
Motivation Behandlungsmotivation Behandlungsmotivation Intraperonale Ressourcen
ehrlich, fröhlich, Bewältigungsoptimismus, hilfsbereit, freundlich, tolerant gegenüber anderen Meinungen, intelligent, Kämpferin, fleißig, starker Wille
keine Berührungsängste, Gerechtigkeitsempfinden, pflichtbewusst, vertritt seine/ihre eigene Meinung, Lebensfreude, Vertrauen
Begabungen Kreativität, Mathematik Klavierspielen, Umgang mit besonderen Menschen
Charaktereigenschaften still, zurückhaltend, ruhig, lieb, “beleidigende Art”, ungeduldig, Perfektionismus, keine Offenheit, spontan, nachdenklich
offen, empathisch, egoistisch, humorvoll, ruhig, charismatisch, diskutierfreudig
Schwächen redet nicht über Probleme, redet zu viel, sensibel, ungeduldig, “erst gucke ich auf andere, dann auch mich selbst”, ängstlich, naiv, unselbstständig
“Dickschädel”, negatives Denken, ehrgeizig, keine Hilfesuche, Umgang mit Kritik, unordentlich, Perfektionismus
Vergangene Charaktereigenschaften
fröhlich
Vergangene Aktivitäten voltigieren, mit dem Papagei spielen, spazieren gehen mit dem Hund, shoppen, schwimmen
voltigieren, “Geocaching”, wandern, Freunde treffen, reiten, Handball spielen, oft draußen
Weitere relevante Personbezogene Faktoren
rauchen
!
Ein Fallbeispiel
Förderfaktoren
Barrieren
u Hilfsbereitschaft u Freundlichkeit u Wille
u „Kämpferin“
u Sensibilität u Negativität
u Einsicht zur Hilfe u Wille
u Entscheidung zum Abbruch der Lehre bedingt durch die Angstattacken
Jugendliche B: Ich bin ein hilfsbereiter Mensch, nur ruhig, ja fleißig bin ich, eine Kämpferin. B: Meine Hilfsbereitschaft vielleicht. Und die Freundlichkeit. Und dass ich das will auch. B: Ja, weil ich immer so schnell sensibel bin. B: Ich fange bei jedem bisschen, also im Moment ist das so, dass ich bei jedem bisschen anfange zu weinen, auch wenn es keinen Grund gibt. Und dass ich immer alles negativ so schnell sehe. Sorgeberechtigte B: Ja jetzt hat sie vielleicht einen Willen. Sie will unbedingt Therapien machen. Dass sie selber jetzt auch eingesehen hat: „Ich brauche Hilfe.“. Sie will ja jetzt selber. B: Nein, außer dass sie sich jetzt wirklich in den Kopf gesetzt hat die Lehre, alles zu schmeißen, weil sie da so Angstattacken hat, da auch wieder hinzugehen.
Ergebnisse - Therapieziele Frage nach Therapiezielen im stationären Setting
49%
44%
0%
35%
51%
56%
0%
65%
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
Körperfunktionen [b]
Aktivitäten und Teilhabe [d]
Umweltfaktoren [e] Personbezogene Faktoren [i]
Ant
eil
in %
ICF-CY Komponente
Jugendliche
Sorgeberechtigte
Fazit
• PF werden von Jugendlichen und von Sorgeberechtigten häufig benannt
• Perspektive bedeutsam (Jugendlichen/Sorgeberechtigten); Häufigkeiten und Inhalte unterschiedlich
• beide Perspektiven für Fallverstehen/Diagnostik und Hilfekonzept bedeutsam
• Schwächen der Studie
• Bedeutung der PF ist weiter zu erforschen
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