Projekttagebuch „Mu(h)t zum Gras“
Teilnahme am Bundeswettbewerb „Tiere in unserer Ernährung“ des bmt Klasse A14/17
Euro Akademie Chemnitz Hartmannstraße 3a-7
09111 Chemnitz
Wer wir sind
Am 1.9.2014 begannen wir, die Klasse A 14/17, unter Leitung und Leidung unserer
Klassenleit/derin Kerstin Pöschel unsere Ausbildung in der Altenpflege an der Euro
Akademie Chemnitz. Unterschiedlichste Erwartungen und Biografien trafen aufeinander,
nicht alle Anfänger wurden Fortgeschrittene, aber wir verbliebenen Lieben Sieben werden in
2 Jahren unsere Vorstellungen davon, was gute Altenpflege ist und wie sie sein sollte,
verwirklichen und die Pflegewelt nach unseren Werten und nach unserer Ethik ein wenig
bunter und freundlicher gestalten.
Empathie ist eine wesentliche Basiskompetenz wirklich guter Altenpflegefachkräfte.
1. Akt – wie alles begann
Unsere Schule ist eine Schule mit sehr umtriebigem Personal.
Folgerichtig gerieten auch wir in den Strudel der Klassen-, Schul- und sonstigen Projekte und
fanden uns unversehens Mitte Dezember 2014 in der Eröffnungsveranstaltung zum
traditionellen Schulprojekt „Du bist, was Du isst“ mit den Beginnern der insgesamt 6 Klassen
Sozialassistenz, Heilerziehungspflege und Erzieher wieder. Mit uns zusammen waren das
also 7 Klassen.
Der Saal war demzufolge rappelvoll, unsere Lehrer trugen komische Hüte, waren plötzlich
alle miteinander verwandt und gerieten sich während eines traditionellen Weihnachtsessens
über die Herkunft und den Tod des Festtagsbratens in die Haare. Nach dieser
Slapstickeinlage hatten wir freie Filmwahl – zur Auswahl standen die arte-Dokumentation
„Dürfen wir Tiere essen?“ und „Earthlings“. – Danach sollten sich alle Schüler/innen
entsprechend ihrer Interessen in die vier Gruppen „Umwelt-/Naturschutz“, „Ernährung“,
„Tierrechte“ oder „Verbraucherschutz“ einordnen und in diesen Gruppen drei Tage lang sie
interessierende Schwerpunkte bearbeiten. Die Ergebnisse sollten zielgruppenorientiert
aufbereitet werden, um mit entsprechenden Angeboten in Praktikumseinrichtungen (Kita,
Jugendliche, Behindertenbereich, Altenhilfe) das brandneu erworbene Wissen weitergeben
zu können. – Im vergangenen Jahr, so war zu hören, lief das Schulprojekt bis auf die
praktische Umsetzung sehr erfolgreich.
Aber: Zeiten ändern sich...
2. Akt. – Ist der Plan auch gut gelungen, verträgt er dennoch Änderungen...
Die Menge an Projektteilnehmern in durchaus sehr unterschiedlicher Motivationslage begann
sehr schnell, unseren Klassenanspruch zu stören. Die Arbeit in den Gruppen kratzte nur an
der Oberfläche, und trotz von unseren Lehrern organisierten Exkursionen auf den
Wirtschaftshof Sachsen (wo viele Exkursionsteilnehmer tatsächlich zum ersten Mal ein
Schwein als komplettes, atmendes Tier erlebten und über ein zu früh geborenes totes Kalb
vollkommen entsetzt waren), ins Peacefood Chemnitz (die veganen Döner sind seitdem der
RENNER im Lehrerzimmer und unter einigen Schülern ein Geheimtipp!), ins Zentrum der
Gesundheit (wo viel über Dunkelfelder zu erfahren war, die allerdings mit Agrarwirtschaft bei
Nacht nichts zu tun haben) sowie der Wanderausstellung der „Ärzte gegen Tierversuche“,
die leider irgendwie unbeachtet fast unterging, hatten wir den Eindruck, dass uns die Arbeit
am Projekt so weder Freude machte noch neue Erkenntnisse bringen würde.
Individualisten, die wir sind, scherten wir daher aus und holten uns von der Schulleiterin die
Genehmigung, unser eigenes Ding zu machen.
Auf das wir allerdings gar keine Lust mehr hatten.
3. Akt. – Was muss, das muss.
Während alle anderen Schüler/innen sich in ihren Gruppen um Ergebnisse mühten, mühten
wir uns, erst einmal ein Thema zu finden, um dann erstaunt festzustellen, dass wir das
eigentlich haben – „Du bist, was Du isst“..... Wir begannen, uns damit auseinanderzusetzen,
was uns das eigentlich sagt und was man folgerichtig draus machen kann. Unsere
Klassenleiterin, die seit Jahren in der Materie steckt, gab uns ein paar Gedankenanstöße,
erzählte von ihren Hühnern („Woher die kleinen Eier kommen“) und von ihrer Zeit in der
Landwirtschaft (das „erste“ Leben der Frau Pö).
Weil vegan nicht schmeckt, quälten wir uns bei einem gemeinsamen Arbeitsfrühstück durch
veganes Gehacktes, vegane Knoblauchbutter und vegane Marmelade, um endlich kugelrund
und satt irgendwie eine Projektstrategie zu entwickeln.
Gegessen wurde während dieses Projektes eigentlich anschließend ständig. Fast erwogen
wir, den Titel in „Du bist, weil/wenn Du isst“ umzubenennen und unser Klassenzimmer mit
Bistromöbeln auszustatten.
Gevatter Zufall kam uns zu Hilfe – just in unsere Ideensuche fiel die Ausschreibung des
Bundes gegen Missbrauch der Tiere zum Bundeswettbewerb „Tiere in unserer Ernährung“. –
Den sozialen Netzwerken sei Dank – unser Projekt hatte plötzlich ein Gesicht.
Und mit einem klaren Ziel vor Augen sieht man dann plötzlich auch den Weg.
4. Akt. – Wer kann, der kann
Gemeinsam einigten wir uns auf verschiedene Aktionen, an denen wir teilnehmen wollten,
um das Thema nicht nur aus unserer – der „Esser“-, sondern auch aus Sicht der Erzeuger
und der Erzeugten sehen zu können.
Perspektivwechsel
Folgende Veranstaltungen interessierten uns zusätzlich zu den Exkursionen der Schule:
Eine Versammlung unter dem Thema „Legehennenproduktion in Doberschwitz“ im
März 2015 im Gasthof Doberschwitz – für die Sicht der Erzeuger, der betroffenen
Anwohner und der Politik
Die Teilnahme an mindestens einer Mahnwache „Gegen den Schlachthof Altenburg“
– für die Sicht eines Tierrechtlers, der Menschen, die mit oder an der
Fleischproduktion ihr Geld verdienen, Konsumentensicht und Sicht der Tiere
Den Kauf einiger ausgedienter Legehennen und Übernahme einer
Hühnerpatenschaft
Nicht jede Veranstaltung konnten wir gemeinsam und vollständig besuchen, da uns unsere
berufspraktische Ausbildung (sprich: der Einsatz in unseren Ausbildungsstellen) den Zeitplan
diktierte. Ausgerechnet in der Zeit, in der viele Dinge liefen, liefen wir auch viel, nämlich
zwischen den Bewohnerzimmern oder den Wohnungen unserer Pflegebedürftigen hin und
her. - Hier war Organisationstalent gefragt.
Auf diese Weise schulten wir unsere kommunikative Kompetenz
Das Ergebnis unserer Aktionen wollten wir in einer Präsentation zusammenstellen und dazu
ein Lied schreiben.
Wir sind vollkommen unmusikalisch
Zwischenspiel. – PräsenTiere.
Da unser eigenes Bildmaterial für eine Präsentation eventuell nicht ausreichen würde und wir
trotz unserer „Hühnerlastigkeit“ andere sog. „Nutz“Tiere nicht vernachlässigen wollten,
setzten wir uns mit zwei sehr guten Tierrechtsorganisationen in Verbindung – „Animals
Angels international“ und „ARIWA“. Beide Organisationen sagten uns sofort und sehr
unkompliziert zu, dass wir ausgewählte Bilder für unser Projekt verwenden dürfen.
Parallel stand die Frage unseres Liedes. Wir hatten zwei selbst geschriebene Texte im
Rennen, jedoch war der eine ausschließlich für Rinder geschrieben und passte damit nicht
wirklich zu unserem eher geflügellastigen Projekt. Das Huhn stand letztlich im Mittelpunkt.
Wir wollten und brauchten für uns etwas Greifbares, jemanden mit einem Gesicht. Für
gerettete Kühe haben wir aber einfach keine eigenen Kapazitäten.
Daher fiel die Wahl dann auf den anderen Text, weil der auf Hühner passt, die anderen Tiere
aber ebenso einschließt.
Unser Musiklehrer, Herr Wahlhäuser, vertonte uns den Text, und ein frohes Üben begann.
Keiner von uns ist besonders musikalisch, und wenn wir singen, dann höchstens mal
heimlich hinter verschlossenen Türen mit unseren Bewohnern oder für unsere Kinder ein
Gute-Nacht-Lied, aber wir beschlossen, Opfer zu bringen. Die Idee, stimmgewaltige
Gesangstalente aus unserer Schule zu mieten, war schon verworfen, bevor sie entstanden
war – schließlich ist das UNSER Projekt.
Was uns die Präsentation noch an Zeit und Nerven rauben sollte, ahnten wir nicht....
5. Akt. Doberschwitz.
Auch von dieser Veranstaltung hatten wir nur zufällig via Facebook erfahren. Eine
Geflügelzuchtanlage stand (und steht) in der Kritik, und man lud zum Gespräch.
Geflügelzuchtanlage in Doberschwitz - Legehennen als Produktionseinheiten oder
Mitgeschöpfe?
Zeit:
Freitag, 13.03.15
18:00 - 20:00 Uhr
Ort:
Speiserestaurant Sachsenhöhe
Leisniger Straße 2 D
04703 Bockelwitz - Poltenberg
Die Legebatterie Doberschwitz wurde von der Sächsischen Farmbtriebe GmbH (SFG)
Hilbersdorf errichtet und im Februar 2012 in Betrieb genommen. Monatlich werden dort
38.100 Hühner gemästet und ca. 34.300 Eier pro Tag produziert. Anwohnerinnen und
Anwohnern fielen in der Vergangenheit wöchentlich Hunderte bis Tausende tote Tiere auf,
die in Kadavertonnen vor der Anlage abgestellt wurden.
In Massentierhaltungsanlagen gilt als "normal", dass täglich Hunderte Tiere verenden
können. Die Meldeschwelle liegt bei Todesraten von 2 Prozent des Gesamtbestandes
täglich. Für Veterinärbehörden besteht daher kein Handlungsbedarf. Inwiefern solche
Todesraten mit dem Gebot von § 2 Tierschutzgesetz vereinbar sind, bleibt allerdings zu
hinterfragen.
Anliegen der Veranstaltung ist, die Geflügelhaltung vor dem Hintergrund einer artgerechten
Nutztierhaltung zu bewerten und über die Folgen der industriellen Tierhaltung für den
Menschen und die Umwelt zu informieren und diskutieren.
Podium:
Eckard Wendt, AG Artgerechte Nutztierhaltung e.V.
Rita Ebock, Initiatorin der Petition gegen die qualvolle Haltung der Legehennen in
Doberschwitz
Pfarrer Dr. Ulrich Seidel, Aktion Kirche und Tiere (angefragt)
Moderation:
Wolfram Günther, agrarpolitischer Sprecher, GRÜNE-Landtagsfraktion Sachsen
Quelle: internet: http://www.gruene-fraktion-
sachsen.de/termine/veranstaltung/gefluegelzuchtanlage-in-doberschwitz-legehennen-als-
produktionseinheiten-oder-mitgeschoepfe/ letzter Besuch der Seite am 12.05.2015
Letztlich war es erschreckend, wie wenig Interesse das Geschehen vor der eigenen Haustür
weckte – Anwohner waren nahezu nicht anwesend, zwei Tierrechtler aus anderen Gegenden
hatten sich eingefunden, ein Herr, der offenbar in der Anlage arbeitete und dann vorzeitig
wutentbrannt ging, eine Dame der örtlichen Presse – insgesamt bestand das Publikum mit
unserer Abordnung aus dem ca 50 km entfernten Chemnitz aus vielleicht 20 Leuten.
Der Vortrag des Pfarrers Dr. Ulrich Seidel der „Aktion Kirche und Tiere“ war sehr
beeindruckend, stieß aber auf viel aggressiven Widerstand bei den anwesenden Pro-
Geflügelanlage-Gästen. Herr Dr. Seidel, der vegan lebt, würde gern an unserer Schule sein
Aktionsbündnis vorstellen, und im Rahmen des nächsten Ess-Projektes ist das auch geplant.
Der Vortrag des Herrn Eckhard Wendt, ehemals ProVieh, jetzt AG Artgerechte
Nutztierhaltung e.V., brachte viel neues Wissen über das Huhn, ein uns trotz allem immer
noch sehr fremdes Wesen. So war uns z.B. neu, dass die Beleuchtung in den Anlagen mit
Neonlicht wegen des Sehspektrums eines Huhnes durch dieses als Dauerflackerlicht
wahrgenommen wird. – Was für eine Vorstellung.
Herr Günter, Landtagsfraktion „Die Grünen“, wartete dann noch einmal mit konkreten Zahlen
auf – in Doberschwitz beträgt die wöchentliche Verlustrate um die 1070 kg. – Wie viel das in
konkreten Tieren ist, konnten wir nicht genau erfahren – zwar begann ein abstruses
Herumrechnen, ausgehend von einem reichlichen kg Huhn, aber da am Ende keiner wusste,
wie schwer das konkrete Huhn denn nun bei Dauerbelastung tatsächlich ist, weil man als
bekannte Vergleichsgröße nur das tiefgefrorene ausgenommene Brathähnchen hatte, konnte
auch keiner diese kg in Lebewesen umrechnen. Offenbar sind 1070 kg pro Woche
versehentliche Verluste aber durchaus noch im gesetzlichen Rahmen. – Wie viel Leid und
Schmerz das für das einzelne Huhn bedeutet, ist den Behörden scheinbar egal.
Die anschließende Podiumsdiskussion war wenig befriedigend und brachte überhaupt keine
verwertbaren Ergebnisse. Die Aussagen reichten vom üblichen „Das war schon immer so
und so ist es richtig“ eines Anwohners über „Die armen Hennen“ und dem Ruf nach mehr
Ehrenämtlern für Kontrollen in den Anlagen seiner Nachbarin bis zum traurigen
Offenbarungseid des Herrn Wolfram Günther, agrarpolitischer Sprecher der Grünen in
Sachsen, der dem Verbraucher ständig die alleinige Verantwortung für die Zustände in der
modernen Agrarindustrie zuschob.
Die Nachfrage des Konsumenten bestimmt demnach die Haltungsform. Auf die Anmerkung,
das sei viel zu einfach gedacht, denn auch der Konsument ist schließlich machtlos gegen
Produktion für den Export und Etikettenschwindel mit Bio und Co., äußerte Herr Günther, die
Politik sei hier machtlos. Es sei durchaus ein offenes Geheimnis, dass es in der
Geflügelwirtschaft immer zwei unterschiedliche Zahlen pro Anlage gebe – die eine sei die
genehmigte Besatzzahl fürs Veterinäramt und die andere, viel höhere, die fürs Finanzamt.
Kein Veterinär könne die reale Besatzzahl ermitteln, und wenn Missstände aufgedeckt
werden, hätten die Produzenten einfach die besseren Anwälte. Diese würden lange
Pamphlets verfassen, deren Widerlegen so aufwendig und zeitintensiv sei, dass es den
Aufwand eben nicht lohne.
Dieser politische Offenbarungseid eines gewählten Volksvertreters einer offiziell tier- und
naturnahen Partei macht uns sprachlos und sehr wütend.
Die Diskussion, die gerade in Gang kam, wurde durch Herrn Wolfram Günther pünktlich 20
Uhr abgebrochen, mit dem Hinweis, man habe den Veranstaltungsraum nur bis 20 Uhr
gemietet. – Angesichts des eher überschaubaren Gästeaufkommens im Gasthof wirkte das
etwas deplatziert.
Irgendwie passend zur Veranstaltung war die Speisekarte, die vom Gasthof hereingegeben
wurde. – Es gab nicht EIN fleischloses Gericht....
In der Reflektion lässt sich dennoch feststellen, dass der Besuch der Diskussion keine
verschenkte Zeit war, auch wenn uns der Abend zunächst sehr ratlos zurückließ. – Nun
wissen wir wenigstens, dass das Leiden der Hühner real ist, die Toten in Prozent pro Woche
(2% Verlust sind im Akzeptanzbereich) niemanden auch nur im Entferntesten stören, dass
der Großteil der Menschen vollkommen desinteressiert und die Politik machtlos ist. – Und
dass die Kirche die Tiere durchaus nicht ganz vergessen hat!
Ein köstliches Frühstücksei gehört auf jeden gut gedeckten Sonntagstisch, und Hähnchen
vom Hähnchengrill sind schnell verfügbares, billiges und leckeres Essen.
Den WAHREN Preis zahlen die Namenlosen.
6. Akt. – Hühner kaufen oder: Wieviel ist ein Leben wert?
Legehennen, das hatten wir inzwischen in Erfahrung gebracht, werden im Alter von ca 15
Monaten ausgemustert und durch frische ersetzt, weil ab dann die Erträge sinken (können)
und die Verlustraten steigen. Eine Henne, die unvorstellbare 300 -330 Eier im Jahr legt,
übersteht diese Belastung nicht unbedingt folgenfrei. – Der Vorgang des Ersetzens beginnt
mit der Ausstallung – das bedeutet, alle Tiere eines Stalles werden zum Schlachten
gebracht, der Stall wird gereinigt und desinfiziert und möglichst schnell mit frischem
Hühnermaterial neu befüllt. – Die „Alten“ sind zu diesem Zeitpunkt als Suppenhuhn,
Tierfutter oder anderweitig vertan. In der menschlichen Ernährung spielen sie ab da nur noch
eine sehr untergeordnete Rolle. Eigentlich sind sie Abfälle der Eierproduktion.
Manche Anlagen verkaufen vor dem Ausstalltermin Hennen an Privathalter. Oft sind das
Leute, die die Eier noch nutzen wollen, da die Hennen ja auch im weiteren Verlauf noch
legen.
Manchmal sind es Leute, die ein paar Welten retten wollen, und denen die Eier ganz egal
sind.
Wir wollten Welten retten.
So fuhren am 12.3.15 zwei Schülerinnen mit unserem Dozenten Herrn Werner als Chauffeur
und Bodyguard quasi undercover nach Lommatzsch, drei
Transportbehälter im Gepäck und mit der telefonischen Zusage
auf 12 Hennen.
Kopfüber wurden sie uns gebracht, ein paar in jeder Hand,
ein vollkommen verwirrter Strauß Leben. Das erste Mal in
die Sonne blinzelnd, nicht wissend, dass ihre vielen,
vielen Leidensgenossinnen heute Nachmittag „die
Männer“ (Aussage der dortigen Mitarbeiterin) holen
würden und dass sie soeben den Hauptpreis in der
Lebenslotterie gewonnen hatten.
Jedes Leben kostete 2,50€.
Bis dahin war alles graue Theorie. Und plötzlich war da das
Grauen.
Wir standen vor diesen anonymen, grauen Hallen. Wir fanden die Kadavertonnen. Und auf
einmal war ALLES, was wir uns so theoretisch erarbeitet hatten, real.
Real waren auch die etwas
aufgebrachten Mitarbeiter, die da
plötzlich aus der Ferne schimpften.
Also verschwanden wir eilig mit
unseren 12 Glücklichen, um sie nach
Hause zu bringen.
Unsere Hennen gehören jetzt nur
noch sich selbst. Sie sind nicht „Kilo“
wert oder Eier. Sie sind lebens- und
liebenswert. Jede ist eine ganz
besondere Seele.
Sie lernen das Leben. Sie standen im ersten Regen ihres Lebens und ließen sich andächtig
nassregnen, und sie lernten von den anderen, denen, deren Platz sie vor einem Jahr
eingenommen hatten, wie man sonnenbadet und Käfern nachstellt (nachdem die
Hackordnung hergestellt war). Inzwischen werden ihre blassen Gesichter und Kämme rot,
die alten Federn werfen sie ab und ihnen wächst ein neues, wunderschönes Kleid. Sie sind
nicht mehr hektisch und haben es auch mit ihren zum Teil sehr schlecht kupierten Schnäbeln
gelernt, Grashalme zu verspeisen.
7. Akt. – Mahnen und wachen.
Den nächsten Blick hinter die Kulissen der Fleischproduktion wagten wir am letzten Freitag
im März. Wir hatten erfahren, dass immer am letzten Freitag eines jeden Monats
Mahnwachen am Schlachthof Altenburg stattfinden. Anlass war die geplante (und im April
inzwischen genehmigte) Kapazitätserweiterung von 440 auf 660 Tonnen täglich. In Tieren
ausgedrückt, bedeutet das 18.000 Schweine und 2.000 Rinder pro Woche.
Anwohner sorgen sich um Lärm und Geruch. Tierrechtler macht eher die Zahl schwindlig.
Im Internet machten wir uns zunächst kundig und nahmen mit den Aktiven Kontakt auf. Auf
der Facebookseite der Veranstaltung ging es zum damaligen Zeitpunkt hoch her, die
Schlachthofbefürworter vergriffen sich oftmals im Ton und wurden sehr beleidigend. Einer
der LKW-Fahrer schrieb sogar, beim nächsten Mal wolle er mit dem Auflieger nicht so weit
ausholen. (Dieser Post ist allerdings inzwischen von ihm gelöscht worden.) Dadurch blieb
erst einmal ein kleines Grummeln im Bauch, was die Teilnahme anging. – Besonders bei
unseren Dozenten. –
Nachdem wir aber erfahren hatten, dass alles ordnungsgemäß beim Ordnungsamt
angemeldet und daher legal abläuft, stand einer Aktion im Rahmen eines Schulprojektes
nichts mehr im Wege, und so machten wir uns mit Schülerinnen der Heilerziehungspflege
und zwei Dozentinnen auf ins 60 km entfernte Altenburg. Der Schlachthof gehört dem
holländischen Vion-Konzern, einem Konzern, der vor Kurzem von sich reden machte, als
seine Filiale in Bad Bramstedt wegen Tierschutz- und Hygieneverstößen in die Schlagzeilen
geriet. – Eine Bitte um eine Betriebsbesichtigung in Altenburg wurde schon 2014 abgelehnt.
Also besichtigten wir den Betrieb von außen....
Auch hier war wieder logistische Feinabstimmung gefragt, denn auch dieser Termin fiel
genau in unsere Praktikumszeit.
Die Gruppe war insgesamt klein. Die Tierrechtler kamen überwiegend aus Leipzig..
Anwohner standen gar nicht mit an der Einfahrt zum Betriebsgelände. Eine Anwohnerin
erzählte uns, dass sie einfach Angst vor Repressalien hätte – sie wohne schließlich da. Aber
sie höre Tag und Nacht das Schreien der Tiere.
Während wir dort in der Sonne standen, fuhr LKW um LKW an uns vorbei und brachte
Rinder und Schweine ihrem Tod entgegen. – Es nahm uns die Luft.
Wir wurden beschimpft, von LKW-Fahrern und aus Privat-PKWs heraus, man zeigte uns den
sprichwörtlichen Vogel, man gab Gas. – Kurz: Wir wurden wahrgenommen. Wir kamen mit
wenigen Mutigen ins Gespräch, die wissen wollten, warum wir dort stehen. – Ein älterer
Mann, zeit seines Lebens Landwirt, fand das alles grundlegend dämlich. Als wir ihm
erklärten, es gehe nicht ausschließlich um das Schlachten an sich, sondern um
Massenproduktion über alle Bedarfe hinaus, Umweltzerstörung (die Landwirtschaft ist ein
größerer Klimakiller als die Industrie!), globale Auswirkungen und Gesundheitsgefahren für
uns alle, stimmte er zu. Schließlich erzählte er, sein Sohn arbeite als Veterinär im
Schlachthof dort drüben. Und ja, es ginge immer mal was schief. Und wenn zum Beispiel die
Schweine, die Privatpersonen anliefern, zu groß oder zu schwer sind, störe das den
Schlachtablauf. – Aber: „Das Band darf nicht stillstehen.“
Es war einfach nur bedrückend, dort zu stehen, zu wissen, was den Seelen, die an uns
vorbeigefahren wurden, in den nächsten Stunden bevorsteht und in diesem Moment nichts
tun zu können, außer dort zu stehen. Wir sahen die Tiere, sie waren zum Greifen nah. – Und
sie waren in dem Moment, in dem wir sie sahen, schon als Schnitzel oder Steak von
irgendeinem Laden oder Restaurant bestellt. – Wir hofften mit ihnen, dass es schnell gehen
würde und schmerzlos. Aber inzwischen kennen wir Begriffe wie „Brühlunge“ (Schweine, die
fehlbetäubt und falsch gestochen im Brühbad noch atmen, haben eine solche), wir kennen
die offiziellen Zahlen der Bundesregierung zu Fehlbetäubungen in deutschen Schlachthöfen
(bzw. in niederländischen Schlachthöfen in Deutschland), wir wissen, dass die Betäubung
mit CO2 bei allen (!) so betäubten Schweinen Erstickungsangst auslöst und der Kampf
einfach zu lange dauert, um noch als „leidfrei“ bezeichnet zu werden, wir wissen, dass der
Bolzenschuss bei Rindern oft nicht richtig „sitzt“ und dann (eigentlich!) nachgeschossen
werden muss. Wir wissen darum, dass denen, die dort in den LKWs standen, auch bei
gutwilligster Betrachtung noch mehr unvorstellbares Leid bevorstand, als sie es bisher durch
unsere Nutzung ihres Lebens für unsere Zwecke erdulden mussten.
Und wir fragen uns, dort, am Straßenrand unter jenen großen Werbetafeln für OBI, in der
Sonne stehend, wer uns das Recht gibt, solche Urteile vollstrecken zu lassen.
Stellvertretend. An Unschuldigen.
Es sind jetzt jeden letzten Freitag im Monat Schüler und/oder Dozenten dort, je nachdem,
wie es gelingt, die Zeit vorher herauszuarbeiten. – Wir wollen Zeichen gegen die
Gedankenlosigkeit setzen.
Und das Band darf nicht stillstehen.
8. Akt. – Mit Power zum Point und: Drum singe, wem Gesang gegeben!
Nachdem die Bildauswahl für unsere Präsentation stand und alle ihre Familien mit ihrem
Übungsgesang konsequent in den Wahnsinn getrieben hatten, fühlten wir uns bereit für den
nächsten Akt.
Das Gesangsstück nahmen wir im Tonstudio gemeinsam auf, was ein ziemliches Abenteuer
war. Auch hier unterstützten uns unsere Dozenten – Herr Wahlhäuser fungierte als Pianist,
Herr Werner verstärkte den Chor. Es zeigte sich, dass die Ausbildung in der Altenpflege
unerwartet auch musikalisch sehr bildet, jedenfalls an unserer verrückten Schule
Anschließend gab es noch ein professionelles Fotoshooting mit „unseren“ Hühnern in
Lehrers Garten, natürlich in Verbindung mit einer weiteren obskuren veganen Mahlzeit.
Diesmal war es ein Riesentopf Soljanka, gepaart mit Naan-Brot, und aus purer Höflichkeit
aßen wir ALLES auf Anschließend rollten wir dann mit den Hennen durch den Garten,
während Frau Behrami, die Fotografin, uns auf dem Bauch hinterherkroch und Frau Pöschel
die Hühner zu bändigen suchte.
Die Material- und Wissenssammlung war damit abgeschlossen. Die Fülle an Informationen
passte so nicht in eine Präsentation, also einigten wir uns auf den ausschließlichen
Schwerpunkt „Tier“ und ließen Umwelt- und Verbraucherschutz außen vor, auch, wenn wir
die Erkenntnisse dazu genauso verstörend fanden. Der Titel wurde, weg vom Arbeitstitel „Du
bist, was Du isst“ einstimmig als „Mu(h)t zum Gras“ festgelegt.
Wir begannen endgültig, alles zusammenzufügen und frohgemut an der Technik zu
verzweifeln. Mal siegten wir, dann wieder das Programm, und irgendwie hatten wir dauernd
das Gefühl grüßender Murmeltiere. Was heute passte, stimmte morgen nicht mehr, was
gestern komisch war, war übermorgen grandios, und wir kamen immer mehr zu der
Überzeugung, dass „S. Peicher Chip“ in Wahrheit der Name einer Dynastie kleiner
hinterhältiger Männchen ist, die perfekte Dateien immer wieder durcheinanderbringen und
sich dann vor Lachen biegen, wenn es draußen flucht.
Am Ende konnten wir uns nicht mehr sehen, nicht mehr hören und nicht mehr leiden
Letzter Akt. – Fertig und Eine Schule auf dem Weg.
Inzwischen ist der Abgabetermin in bedrohliche Nähe gerückt. Wir müssen also aufhören, an
der Präsentation zu feilen, und können uns wieder dem Unterricht widmen.
Das Projekttagebuch steht.
Die CD ist gebrannt.
Die Präsentation unseres Projektes werden wir als Schulveranstaltung mit einem
kleinen veganen „Häppchen“-Basar zugunsten des „Nutz“Tierschutzes im September
durchführen. Momentan sind einfach zu viele Klassen im Praktikum.
Unsere Klasse lebt jetzt nicht komplett vegan, aber wir leben viel achtsamer und
verstehen alle, die sich für diesen Weg entschieden haben. – Das Projekt hallt nach,
Spätfolgen sind noch nicht abzusehen
Unsere Dozentin Frau Günther ist nun Gründungsmitglied der „Ärzte gegen
Tierversuche“ Ortsgruppe Leipzig und hat für Chemnitz schon viele spannende
Ideen, an denen dann auch Schüler mitwirken können.
Unsere Hühner werden eine Kuhpatenschaft übernehmen, das Projekt ist gerade in
der Entstehungsphase. Da sie weiterhin genetisch bedingt Eier legen, können die
Paten 10 € monatlich spenden und erhalten dafür monatlich 20 Eier. Die
Eierspendengelder sollen dem Verein „Weil Tiere lieber leben“ zugute kommen, der
sich auch für Nutztiere einsetzt und Kühe vorm Schlachten bewahrt. – Die
Patenurkunden sind bereits in Arbeit und eine erste Patenschaft hat „unsere“
Fotografin Bianka Behrami, die weltbeste Hühnerporträtiererin, soeben übernommen.
Einige Schüler/innen und zwei weitere Dozentinnen leben inzwischen vegetarisch
bzw. vegan.
Der Weg ist das Ziel.
Die Klasse A 14/1
Nachtrag.
Wir trauern um Henny.
Henny war eine der 12 Seelen, die mit uns ins Leben fahren durften. Sie durfte nur 2 Monate
Sonne, Regen, Wind und Erde genießen. Die gnadenlose Leistungszucht wurde ihr zum
Verhängnis, ihr kleiner, armer Körper war zu stark geschädigt.
Henny schlief am 19.5.2015 so still ein, wie sie gelebt hatte, aber sie ging nicht unbeachtet.
Wir trauern um sie. Sie hat ein Grab im Garten bei ihrem Lebensplatz.
Sie hat ihre Würde zurück.
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