Universität Bremen
Dipl.-Psych. Tobias Hayer
Regulierung durch die Spielverordnung - Positionspapier -
Spielhallen und Regulierung Workshop / Podiumsdiskussion
Euroforum der Universität Hohenheim, 29. März 2012
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(K)ein neues Problem?! Spiegel (49/1985, S.120)
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Gewerbliches Automatenspiel: Marktentwicklung Meyer (2011); Vieweg (2012)
2007 2008 2009 2010 2011
Anzahl Geräte 207.000 216.000 227.000 235.750 242.250
Umsätze
(Mrd. Euro) auf der Basis einer
Auszahlungsquote
von 77,1%
13,32 14,72 16,16 17,21 18,08
Brutto-
spielertrag
(Mrd. Euro)
3,05 3,37 3,70 3,94 4.14
Der großzügige Gestaltungsspielraum für innovative Geschäftsideen durch die novellierte
Spielverordnung (2006) und das relativ hohe Spielerschutzniveau beim staatlichen Glücksspiel seit
Einführung des Glücksspielstaatsvertrages (2008) bedingen diese Marktdynamik im Wesentlichen.
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Marktentwicklungen – Teil 1
Mehrfachkonzessionierte Entertainment-Center
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Buchungsvorgang (Punkte in Geld bzw. Geld in Punkte) = Spieleinheit ?!
Marktentwicklungen – Teil 2
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Messinstrument Zur Einschätzung des Gefährdungspotenzials von Glücksspielen (Meyer et al., 2010)
Glücksspielform Punktwert
- Glücksspielautomaten
- Geldspielautomaten
56,65
54,35
- Poker im Internet
- Live-Wetten im Internet
- Roulette in Spielbanken
46,30
43,55
42,40
- Rubbellose
- Festquotenwette
- Telegewinnspiele
38,15
36,05
35,95
- Keno
- Lotto „6aus49“
- Klassenlotterien (Internet)
- Klassenlotterien (Annahmestelle)
28,85
28,75
26,60
25,95
- Fernsehlotterien (Internet)
- Fernsehlotterien (Annahmestelle)
17,55
16,90
Anwendung des Messinstrumentes für Glücksspielangebote in Deutschland
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Problemausmaß auf Bevölkerungsebene – Teil 1 Meyer et al. (2011)
N = 15.023 Personen im Alter von 14 bis 64 Jahren
5% haben Spielerfahrung in Bezug auf Geldspielautomaten (letzte 12 Monate)
Primärer Spielort: Gastronomie (50,5%), Spielhalle (39,2%)
Spielform Befragte mit mehr als
10 Spieltagen
PG – Lebenszeit
OR (univariat)
PG – Lebenszeit
OR (multivariat)
Sofortlotterien 1.296 1,9 ---
Oddset 294 5,3 ---
Pferdewetten 122 1,6 ---
Andere Sportwetten 213 10,7 4,7
Großes Spiel / Kasino 197 8,5 ---
Poker 423 11,7 5,0
Kleines Spiel / Kasino 150 18,2 4,1
Geldspielautomaten 653 10,6 6,3
Dauerquiz im TV 101 3,0 ---
Privat / illegal 223 6,9 ---
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Problemausmaß auf Bevölkerungsebene – Teil 2 Meyer et al. (2011)
Primär problemverursachende Spielform (n = 108)
Spielform Nennungen Prozent (gewichtet)
Geldspielautomaten 54 49,1
Poker 16 14,5
Kleines Spiel / Kasino 10 10,4
Großes Spiel / Kasino 8 7,3
Oddset 5 6,5
Privat / illegal 4 1,2
Andere Sportwetten 3 2,0
Lotto „6aus49“ 2 1,3
Sonstige 6 n.e.
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Exkurs: Verzerrende „Wissenschaft“ (TMS EMNID, 2011)
Befund (√)
„Von den Glücksspielern, die fünf oder mehr der zehn Pathologiekriterien erfüllen
und somit als pathologische Spieler gelten können, war nur ein einziger Mono-
Glücksspieler, d.h. er oder sie berichtet, nur eine Glücksspielform zu nutzen. Im
Durchschnitt werden von den pathologischen Spielern fünf Spielformen genannt,
sie zeigen also ein ausgeprägt multiples Glücksspielverhalten.“
Interpretation (?)
„Wenn es um die Eindämmung und Bekämpfung krankhaften Spielverhaltens geht,
gehört die Spielerpersönlichkeit ins Zentrum der Betrachtung und nicht das Spiel,
dem der krankhafte Spieler mehr oder minder zufällig frönt.“
Automatenspiel in Spielhallen und Automatenspiel in Gaststätten = zwei separate Kategorien!
Spielteilnahme ≠ problembehaftete Glücksspielform!
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Problemausmaß auf Bevölkerungsebene – Teil 3 BZgA (2012, S. 81)
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Evaluierung der Spielverordnung Bühringer et al. (2010)
Interviews mit Spielern aus
Spielhallen (N = 447)
Interviews mit Spielern aus
Gaststätten (N = 144)
Sample: Überproportionaler Anteil von Lang- und Vielspielern
Auswirkungen auf die
finanzielle Situation
59,5% müssen sich (sehr /
etwas) einschränken
47,9% müssen sich (sehr /
etwas) einschränken
Verwendung des gesamten
verfügbaren Geldes 11,6% 9,7%
Spielverhalten (diagnostisch
bezogen auf das letzte Jahr)
pathologisch: 42,0%
Langzeitspieler (> 4 Jahre): 43,8%
Kurzzeitspieler (< 4 Jahre) : 35,9%
(vgl. Meyer & Bachmann, 2011, S. 86)
pathologisch: 30,1%
Langzeitspieler (> 4 Jahre): 31,3%
Kurzzeitspieler (< 4 Jahre): 25,0%
(vgl. Meyer & Bachmann, 2011, S. 86)
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Hurrelmann et al. (2003)
5.009 Schüler (13-19 Jahre)
Duven et al. (2011)
3.967 Schüler (12-18 Jahre)
12-Monats-Prävalenz (%)
Kartenspiele um Geld 16,9 23,7
Rubbellose 15,9 15,8
Oddset-Sportwetten 11,6 10,4 (Sportwetten)
Geldspielautomaten 7,4 14,2
Würfelspiele um Geld 7,4 13,4
Geschicklichkeitsspiele um Geld 6,7 10,9
Lotto „6aus49“ 6,1 9,7 (Lotto / Keno)
Insgesamt 39,9% 41,2%
Spielverhalten Jugendlicher im Vergleich
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Raubüberfälle auf Spielhallen Feltes (2011, S. 31) – Polizeiliche Kriminalstatistik (Schlüssel-Nr. 212100)
402 456
500
661
1078
1231
0
200
400
600
800
1000
1200
1400
2005 2006 2007 2008 2009 2010
Anzahl Raubüberfälle auf Spielhallen (PKS)
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Spielerschutz beim gewerblichen Automatenspiel – Teil 1 Anspruch und Wirklichkeit
Ausgewählte Maßnahmen Bewertung
Abbildung einer Hotline-Nummer der BZgA auf jedem Geldspielautomaten
- Evaluationsbefunde fehlen
- Betroffene werden nur sporadisch erreicht
Warnhinweise zu den Gefahren übermäßigen Spielens in Form von Piktogrammen auf jedem Geldspielautomaten
- Evaluationsbefunde fehlen
- Wirksamkeit ist auf der Verhaltensebene als gering einzustufen
Auslegen von Informationsflyern zu den Risiken des Automatenspiels
- Umsetzung in der Praxis ist suboptimal
- Verhaltensänderungen sind kaum zu erwarten
- Qualität der Inhalte ist z.T. mangelhaft
Entwicklung eines Sozialkonzeptes durch einen unabhängigen Beirat
- Vermischung von Spiel und Glücksspiel
- Einseitige Darstellung wissenschaftlicher Erkenntnisse in Richtung Verharmlosung
- Wenig substanzieller Maßnahmenkatalog
Personalschulungen u.a. durch die Caritas Berlin
- Evaluationsbefunde fehlen (bislang)
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Spielerschutz beim gewerblichen Automatenspiel – Teil 2 Warnhinweise im Vergleich
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Regulativer Handlungsbedarf: EuGH-Urteil Pressemitteilung (08.09.2010)
Gleichwohl haben die deutschen Gerichte nach Ansicht des Gerichtshofs angesichts
der von ihnen in den vorliegenden Rechtssachen getroffenen Feststellungen Grund zu
der Schlussfolgerung, dass die deutsche Regelung die Glücksspiele nicht in
kohärenter und systematischer Weise begrenzt. Zum einen führen nämlich die
Inhaber der staatlichen Monopole intensive Werbekampagnen durch, um die Gewinne
aus den Lotterien zu maximieren, und entfernen sich damit von den Zielen, die das
Bestehen dieser Monopole rechtfertigen. Zum anderen betreiben oder dulden die
deutschen Behörden in Bezug auf Glücksspiele wie Kasino- oder
Automatenspiele, die nicht dem staatlichen Monopol unterliegen, aber ein
höheres Suchtpotenzial aufweisen als die vom Monopol erfassten Spiele, eine
Politik, mit der zur Teilnahme an diesen Spielen ermuntert wird. Unter diesen
Umständen lässt sich das präventive Ziel des Monopols nicht mehr wirksam verfolgen,
so dass das Monopol nicht mehr gerechtfertigt werden kann.
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Implikationen für die Suchtprävention – Teil 1
ANSATZPUNKT 1
Ebene der Kommunen / Bundesländer
Erhöhung der Vergnügungssteuer - Kein wirksames suchtpräventives Steuerungselement im Glücksspielbereich
Baunutzungsverordnung - Im Wesentlichen: Verschiebung der Problematik
Spielhallengesetz (Recht der Spielhallen) (u.a. Regelungen zu Standorten, Geschäftszeiten, Größe, Anzahl etc.) - prinzipiell zu begrüßen, bedeutet letztendlich aber nur Symptombehandlung
BEWERTUNG
als flankierende Maßnahmen unter Umständen sinnvoll
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Exkurs: Spielhallengesetze – Auswirkungen
Berliner Kurier vom 30.12.2011:
Automatenverbot wird ausgehebelt: Die Glücksspiel-Trickser von Berlin
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Implikationen für die Suchtprävention – Teil 2
ANSATZPUNKT 2
Einstufung der Geldspielautomaten als Glücksspiel /
Verstaatlichung des Automatenspiels
Mögliche Handlungsschritte
- Flächendeckender Abbau aller Geldspielautomaten aus gastronomischen Betrieben und Spielhallen
- Automatenspiel nur unter dem Dach der Spielbanken (vgl. Schweizer Modell)
- Alternativ: Verstaatlichung des Automatenspiels (vgl. Norweger Modell)
BEWERTUNG
In Deutschland aufgrund der vielschichtigen wirtschaftlichen und politischen Interessen utopisch
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Implikationen für die Suchtprävention – Teil 3a
ANSATZPUNKT 3
Änderung der Spielverordnung in Richtung:
Entschärfung der Geräte / Reduzierung der Spielanreize / Betonung des
Unterhaltungscharakters
Primäre Korrekturen der Spielstruktur (modifiziert nach Meyer, 2012)
- Substanzielle Reduzierung des Höchstgewinns auf 15€ / Stunde
- Deutliche Verringerung der maximalen Verlustmöglichkeiten auf 15€ / Stunde
- Generelles Verbot von Merkmalsübertragungen sowie kontinuierliche
Speicherlöschung in kurzen Zeitabständen
- ggf. Einführung einer eindeutigen Definition von „Spieleinheit / Einzelspiel“
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Implikationen für die Suchtprävention – Teil 3b
ANSATZPUNKT 3 (Fortsetzung)
Sekundäre Korrekturen der Spielstruktur (modifiziert nach Meyer, 2012)
- Längere Spielpausen
- Verhinderung der Mehrfachbespielung, z.B. über den manuellen Start jedes Einzelspiels
- Abschaffung von Geldscheinakzeptoren
- Verbot von Mehrplatzspielgeräten und Jackpot-Anlagen
- Verlangsamung der Spielgeschwindigkeit auf 15 Sekunden pro Einzelspiel
- Unterbindung überzufällig häufiger Fast-Gewinne
- Reduzierung der Auszahlungsquote
- Einbindung von Pop-up-Fenstern (Rückmeldung des Spielverhaltens, Warnhinweise etc.)
- Option der Spielsperre / Aufbau eines Sperrsystems
- Einführung einer Spielerkarte (nur in Kombination mit biometrischer Erkennung - wie etwa einem
Fingerabdruck - sinnvoll, um Missbrauch vorzubeugen!)
BEWERTUNG
Erfolg versprechende Bekämpfung der Ursachen
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Dipl.-Psych. Tobias Hayer
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!
Dipl.-Psych. Tobias Hayer Universität Bremen
Institut für Psychologie und Kognitionsforschung Grazerstr. 4
28359 Bremen Tel. 0421 218-68708
E-Mail: [email protected] Web: http://www.tobha.de
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Hayer, T. (2010). Geldspielautomaten und Suchtgefahren – Wissenschaftliche Erkenntnisse und suchtpolitischer Handlungsbedarf.
Sucht Aktuell, 17 (1), 47-52.
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